Oracular Amuletic Decree Ch (Chicago ISACM E25622A-D)

Metadaten

Wissensbereiche
Alternative Namen
OAD Ch
Aufbewahrungsort
Nordamerika » U.S.A. » (Städte A-Ch) » Chicago (IL) » Oriental Institute Museum

Erwerbsgeschichte

Der Papyrus wurde 1932 in Luxor angekauft. Weitere Informationen sind nicht bekannt. (MacArthur 2009, 80; Edwards, 1960a, 107).

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben

Die genaue Herkunft des Papyrus ist nicht bekannt. Edwards (1960a, xiii) nimmt generell für diese Gruppe von Texten eine Herkunft aus Theben an. Diese Annahme wird zumeist durch die im Text genannten Götter gestützt. Die Göttin, die das Orakel gegeben hat, ist in diesem Fall Nechbet, die als Begründung einer Verortung nach Theben nicht so leicht herangezogen werden kann. Da der Papyrus im Jahr 1932 in Luxor angekauft worden ist (MacArthur 2009, 80 [61]), ist eine Herkunft aus dem thebanischen Raum zumindest wahrscheinlich.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 21. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 22.–23. Dynastie

Edwards (1960, xiii–xiv) geht von einer Datierung des gesamten Korpus der Amulettpapyri mit Orakeldekreten in die 22./23. Dynastie aus. Ein einziger Text (L7: pBM EA 10730) liefert einen Hinweis auf die Datierung, denn er ist für einen Prinzen und zukünftigen General in der Armee eines Königs Osorkon geschrieben, bei dem es sich nach Edwards (1960, xiv) und Ritner (2009, 74) vermutlich um Osorkon I. handeln dürfte, während Jacquet-Gordon (1960, 175, n. 5; Ead., 1963, 32) und ihr folgend Verhoeven (2001, 13) von Osorkon II. ausgehen. Diese Datierung basiert auf Textparallelen im Text auf einer Statue aus Tanis (Kairo CG 1040 + CG 881 + Philadelphia E 16159: s. Jacquet-Gordon, 1960, 23), die ursprünglich für Sethos I. angefertigt und für Osorkon II. wiederverwendet und neu beschriftet wurde (Sourouzian 2010, 97–105). Der Text L7 wäre also in die 22. Dynastie, oder für den Fall, dass es sich ungeachtet der Parallelen doch um einen späteren Osorkon handeln würde, spätestens in die 23. Dynastie zu datieren. Nach Koenig (1987, 31) ist aufgrund der Paläographie sowie spezifischer Schreibungen mindestens für einen Teil der Texte, den hier bearbeiteten nicht miteingeschlossen, eine Datierung in die 21. Dynastie anzunehmen.

Textsorte
Oracular Amuletic Decree
Inhalt

Die orakelgebende Göttin, Nechbet, verspricht der Besitzerin des Amuletts, Taibakhori, die man auch Scherienihi nennt, deren Vater Tetischeri ist, Schutz vor Gefahren und Bedrohungen sowie die Gesunderhaltung ihres Körpers. Die Beschreibung des Körpers in seinen Einzelteilen sowie die Aufzählung der Gefahren und Bedrohungen generiert sich aus einem standardisierten Katalog, der allen Texten des Korpus zugrundeliegt, s. Grams 2017, 55–100.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Amulettpapyri wie der hier vorliegende Text wurden aufgerollt in einem kleinen Behälter, der aus Leder, Holz oder Metall gearbeitet sein konnte (vgl. Ray 1972, 151–153; Bourriau/Ray 1975, 257–258), um den Hals getragen und diente somit als Apotropaion (vgl. hierzu Roß 2019, 40–44). Die Amulette wurden vermutlich in erster Linie für Kinder hergestellt (vgl. Roß 2019, 26–36; Adderley 2015, 193; Edwards 1960, xvi), wobei es Hinweise darauf gibt, dass es sich um Säuglinge oder sehr junge Kinder gehandelt haben könnte (Roß, ebd.). Wilfong (2013, 295–300) geht davon aus, dass die Länge des beschrifteten Papyrusstreifens mit der Größe des Kindes korreliert werden kann. Mittlerweile ist auch ein Orakeldekret für eine schwangere Frau belegt (pIFAO H40: Koenig 2018, 233–239), doch ist der Text leider nur fragmentarisch erhalten, so dass keine Rückschlüsse auf die ursprüngliche Länge des Dokumentes erzielt werden können.

Die Texte sind generell als Götterrede konzipiert, die durch die Phrase „Göttername + ḏd“ eingeleitet wird. Im hier vorliegenden Papyrus ist an den Stellen, wo man ḏd „sagen“ erwartet, jeweils etwas Platz frei gelassen. Edwards (1960, xvii) geht davon aus, dass die Lücken erst, nachdem der Papyrus den Göttern vorgelegt worden ist, ausgefüllt wurden, und erst durch diesen Akt die Wirksamkeit gewährleistet war. Somit wäre der hier vorliegende Text niemals wirksam gemacht worden und folglich wohl auch nicht getragen worden. Die Tatsache, dass uns für die gleiche Besitzerin mit dem Papyrus Turin Cat. 1984 (OAD, T2) ein weiterer Papyrus vorliegt, in dem sich keine Lücken befinden, eine entsprechende „Validierung“ also stattgefunden haben muss, unterstützt diese These. Aus welchen Gründen der Text L1 (pBM EA 10083) offenbar ausgemustert wurde, ist allerdings unklar.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schreibblatt
Technische Daten

Der 6,5 cm breite Papyrus ist in vier Fragmenten erhalten, die zusammen eine Länge von 92 cm aufweisen. Er ist nur auf einer Seite, dem Recto, beschrieben. Wie bei den meisten anderen Oracular Amuletic Decrees verlaufen die Fasern auf der beschrifteten Seite vertikal.

Es mag zunächst etwas irritieren, dass die Seite des Textes als „Recto“ bezeichnet wird, bei der die vertikalen Fasern oben liegen. Die Oracular Amuletic Decrees sind generell auf sehr schmalen und zum Teil enorm langen Papyrusstreifen notiert worden. Wie haben die Schreiber diese Streifen hergestellt? Die einfachste Methode ist die, einen schmalen Streifen von einer bereits vorbereiteten Rolle abzuschneiden. Edwards hat bei einer Untersuchung der Klebungen Hinweise auf genau dieses Vorgehen festgestellt (Edwards 1960a, xii). So konnte er bei einer Reihe von Texten Klebungen in regelmäßigen Abständen feststellen, die auf eine vorgefertigte Rolle hindeuten. Allerdings erwähnt er auch, dass es Texte gibt, die unregelmäßige Abstände bei den Klebungen aufweisen bzw. aufzuweisen scheinen (ebd.). Daraus zieht er den Schluss, dass es für die Herstellung der OAD keine festgelegte Methode gab, sondern die Schreiber vielmehr das Material verwendeten, das sie gerade zur Hand hatten; seien es Abschnitte einer Rolle oder anderweitige Streifen, bzw. eine Kombination aus beidem. Als Beispiel eines zusammengestückelten Papyrus führt er insbesondere Papyrus London BM EA 10320 (L4) an (ebd.). Dieser Papyrus beginnt mit einem Stück, auf dem neun Zeilen des Textes erhalten sind, bei dem aber die horizontalen Fasern oben liegen. Dieses Stück ist an den Streifen mit vertikalen Fasern angeklebt (Edwards 1960a, 27). Genau diesen Papyrus möchte ich allerdings als wichtigen Hinweis dafür benennen, dass die Schreiber in der Regel einen schmalen Streifen von einer vorbereiteten Rolle abgeschnitten haben. Das kurze Stück mit dem anderen Faserverlauf ist doch zweifelsfrei ein sog. Schutzblatt bzw. „protocollon“ zu Beginn einer Papyrusrolle (vgl. Turner 1978, 28–29), das in diesem Fall entgegen der allgemeinen Praxis ebenfalls beschriftet wurde. Die Klebung zeigt zudem deutlich an, dass es sich um das Recto der betreffenden Rolle handeln muss (An dieser Stelle möchte ich Nadine Quenouille für ihre papyrologische Expertise und Einschätzung sehr herzlich danken). Der Schreiber hat also den Streifen von einer neuen Rolle abgeschnitten und dann zur Beschriftung um 90 Grad gedreht. Es handelt sich also papyrologisch um ein „transversa carta“ (Turner 1978, 29; Bülow-Jacobson 2009, 21–22), ähnlich wie es bei spätramessidischen Briefen zu beobachten ist (Edwards 1960a, xii [7] mit Verweis auf Černý 1939, xvii-xx).

Schrift
Hieratisch

Der Text ist in einem deutlich kursiven Späthieratisch geschrieben, s. Edwards 1960a, xiv, 1; vgl. Verhoeven 2001, 13.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch

Die im Text verwendete Sprache ist nach Orthographie und Grammatik eindeutig dem Neuägyptischen zuzuordnen. Indizien sind z.B. die Schreibung der Suffixpronomen sowie der Gebrauch des Possessivartikels oder der Periphrase mit jri̯. Zudem ist im Futur III die Präposition r nicht geschrieben, vgl. zur Morphologie der Verben in den OAD die zitierten Beispiele bei Winand 1992, 536–537.

Bearbeitungsgeschichte

Im Jahr 1960 legte Edwards die editio princeps von insgesamt 21 Papyri vor (Edwards 1960a+b), darunter auch der hier bearbeitete Papyrus Chicago ISACM (früher: OIM) E25622A-D. Er bezeichnete die Textgruppe als „Oracular Amuletic Decrees“ (OAD). Unser Text ist dort mit der Sigle Ch aufgenommen (1960a, 107–110, 1960b, pl. XLII–XLIII). Im Jahr 1999 wurde von Robert Ritner eine Übersetzung für die Ausstellung im ISAC Museum (damals noch Oriental Institute Joseph and Mary Grimshaw Egyptian Gallery) vorbereitet, die in weiten Teilen in einem Ausstellungskatalog veröffentlicht wurde (MacArthur 2009). Verschiedene Studien widmeten sich dem Korpus der Oracular Amuletic Decrees unter diversen Gesichtspunkten, wobei Textsegmente der gesamten Gruppe bearbeitet und zitiert werden, s. Lucarelli 2009, 231–239; Wilfong 2013, 295–300; Austin 2014, 39–41; Adderley 2015, 191–227; Grams 2017, 2017, 55–100; Roß 2019.

Editionen

- Edwards 1960a: I. E. S. Edwards. Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series: Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom I. Text. London 1960, 107–110.

- Edwards 1960b: I. E. S. Edwards. Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series: Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom II. Plates. London 1960, pl. XLII–XLIII.

Literatur zu den Metadaten

- Adderley 2015: N. J. Adderley, Personal Religion in the Libyan Period in Egypt (Saarbrücken 2015), 191–218.

- Austin 2014: A. Austin, Contending with Illness in Ancient Egypt (Los Angeles 2014)(24.10.2019).

- Bourriau – Ray 1975: J. D. Bourriau – J. Ray, Two Further Decree-Cases of ŠꜢḳ, in: Journal of Egyptian Archaeology 61 (1975), 257–258.

- Bülow-Jacobson 2009: A. Bülow-Jacobson, Writing Materials in the Ancient Word, in: R. S. Bagnall, The Oxford Handbook of Papyrology (Oxford 2009), 3–29.

- Černý 1939: J. Černý, Late Ramesside Letters, Bibliotheca Aegyptiaca IV (Brüssel 1939).

- Derchain 1965: Ph. Derchain, Le Papyrus Salt 825 (B.M. 10051) rituel pour la conservation de la vie en Égypte, Mémoires (de l’)Académie Royale de Belgique: Classe des Lettres 58, 1a (Bruxelles 1965).

- Grams 2017: A. Grams, Der Gefahrenkatalog in den Oracular Amuletic Decrees, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 46 (2017), 55–100.

- Jacquet-Gordon 1963: H. J. Jacquet-Gordon, [Review:] I. E. S. Edwards, Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series. Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom, 2 Bände (London 1960), in: Bibliotheca Orientalis 20 (1963), 31–33.

- Jacquet-Gordon 1979: H. Jacquet-Gordon, Deux graffiti de l’époque libyenne sur le toit du temple de Khonsou à Karnak, in: Anonymous (Hrsg.), Hommages à la mémoire de Serge Sauneron 1927-1976. I. Égypte pharaonique, Bibliothèque d’Étude 81 (Caire 1979), 167–183, Taf. 27–29.

- Koenig 1987: Y. Koenig, Notes de transcription, in: Cahiers de Recherches de l’Institut de Papyrologie et d’Égyptologie de Lille 9 (1987), 31–32.

- Koenig 2018: Y. Koenig, Un nouveau décret amulettique oraculaire: Pap. IFAO H 40, Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 118 (2018), 233–239.

- Lucarelli 2009: R. Lucarelli, Popular Beliefs in Demons in the Libyan Period: The Evidence of the Oracular Amuletic Decrees, in: G. P. F. Broekman – R. J. Demarée – O. E. Kaper (Hrsg.), The Libyan Period in Egypt. Historical and Cultural Studies into the 21st – 24th Dynasties: Proceedings of a Conference at Leiden University, 25-27 October 2007, Egyptologische Uitgaven 23 (Leuven 2009), 231–239.

- MacArthur 2009: E. V. MacArthur, Oracular Amuletic Decree, in: E. Teeter/ J. H. Johnson (Hrsg.). The Life of Meresamun. Oriental Institute Museum Publications 29 (Chicago 2009), 80–81 [61].

- Ray 1972: J. Ray, Two Inscribed Objects in the Fitzwilliam Museum, Cambridge, in: Journal of Egyptian Archaeology 58 (1972), 247–253.

- Ritner 2009: R. K. Ritner, The Libyan Anarchy. Inscriptions from Egypt’s Third Intermediate Period (Atlanta 2009), 74.

- Roß 2019: A. Roß, Der Schutz von Kindern im alten Ägypten. Die religiösen und soziokulturellen Aspekte der Oracular Amuletic Decrees (Göttingen 2019).

- Sourouzian 2010: H. Sourouzian, Seti I, not Osorkon II. A new join to the statue from Tanis, CG 1040 in the Cairo Museum, in: O. El-Aguizy – M. S. Ali (Hrsg.), Echoes of Eternity. Studies presented to Gaballa Aly Gaballa, Philippika 35 (Wiesbaden 2010), 96–105.

- Turner 1978: E. C. Turner, The Terms Recto and Verso: The Anatomy of the Papyrus Roll. Papyrologica Bruxellensia: études de papyrologie et édition de sources 16 (Bruxelles 1978).

- Verhoeven 2001: U. Verhoeven, Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift, Orientalia Lovaniensia Analecta 99 (Leuven 2001), 13.

- Wilfong 2013: T. G. Wilfong, The Oracular Amuletic Decrees: A Question of length, in: Journal of Egyptian Archaeology 99 (2013), 295–300.

- Winand 1992: J. Winand, Études de néo-égyptien 1. La morphologie verbale, Aegyptiaca Leodiensia 2 (Liège 1992).

Online-Ressourcen
Autoren
Dr. Anke Ilona Blöbaum
Autoren (Metadaten)
Dr. Anke Ilona Blöbaum

Übersetzung und Kommentar

Oracular Amuletic Decree Ch (Chicago ISACM E25622A-D)

Recto

[rto x+1] [...]1 [Ich werde] Taibakhori beschützen, diese Tochter von Teti⸢scheri⸣, diese, die man Scherienihi nennt, meine Dienerin, meinen Zögling. [rto x+5] Ich werde sie gesund erhalten 〈an〉 ihrem Fleisch (und) ihrem Skelett.Ich werde 〈sie〉 behüten. Ich werde sie beschützen.

Ich werde (aktiv) zwischen ihr und jeder Krankheit stehen (wörtl. handeln). Ich werde ihr Leben, Gesundheit (und) ein hohes schönes Alter geben. Ich werde ihr Auge sehen [rto x+10] lassen. Ich werde ihr Ohrenpaar hören lassen. [Ich werde] ihre Kraft gedeihen [lassen]3. Ich werde ihren Mund öffnen, um zu essen. Ich werde ihren Mund öffnen, um zu trinken. Ich werde sie essen lassen, um zu leben. Ich werde sie trinken lassen, um gesund zu bleiben. Ich [rto x+15] werde sie sich vollständig sättigen lassen (wörtl. sich an jeder/einer ganzen Sättigung sättigen) an einem schönen Leben auf Erden. Ich werde ihren ganzen Körper, jedes der Glieder (und) ihren gesamten Rumpf von ihrem Kopf bis zu ihren beiden Fußsohlen gesund erhalten.

Ich werde 〈sie〉 bewahren vor jedem (bösen) Plan eines jeden Gottes (und) einer jeden Göttin [rto x+20] inmitten des Himmels, der Erde (und) der Unterwelt. Ich werde sie vor 〈ihrer〉 (der Götter) bꜣ.w-Macht bewahren. Ich werde 〈sie〉 (die Götter) für sie in allen ihren Namen beruhigen4. Ich werde sie bewahren vor jeder Aktion eines Messerdämons, vor jeder Aktion eines Wanderdämons, vor ⸢jeder⸣ Aktion ⸢eines⸣ jeden Gottes, der angreift.5 Ich werde ⸢sie⸣ [rto x+25] bewahren vor jeder Aktion eines jeden Gottes, einer jeden Göttin (und) vor jeder üblen (Nach-)Rede. Ich werde sie aus den Händen der Götter ⸢vom⸣ (Buch) „Das, was im Jahr ist“ retten. Ich werde veranlassen, dass [sie] (die Götter) für sie unschädlich gemacht werden (wörtl. aufgehoben werden) zu jeder Zeit.

Ich werde sie bewahren vor jeder Aktion eines wr.t-Geistes (und) vor jedem Nähern eines wr.t-Geistes. [rto x+30] Ich werde sie bewahren 〈vor〉 jedem wr.t-Geist jeder Art, der [im] Himmel, auf der Erde (und) in der Unterwelt existiert. Ich werde nicht zulassen, dass sie (die wr.t-Geister aller Art) sich irgendwo ihrer Umgebung nähern. Ich werde sie vor jedem bösen Blick bewahren.

Ich werde sie vor jedem (Schadens-)Zauber eines Syrers bewahren. Ich werde sie vor [rto x+35] jedem (Schadens-)Zauber eines jeden Fremdlandes jeglicher Art auf der ganzen Erde bewahren. Ich werde nicht zulassen, dass sie (diejenigen, die Schadenszauber betreiben) jemals (wörtl. wieder und wieder bzw. immer wieder) Macht über sie haben werden.

Ich werde sie vor jedem Zorn eines jeden (männlichen) ꜣḫ-Geistes (und) eines jeden (weiblichen) ꜣḫ-Geistes retten. Ich werde nicht zulassen, dass sie (die ꜣḫ-Geister) sich irgendwo in ihrer Umgebung nähern.

1 Textverlust: Die Einführung der Göttin ist verloren. Da der Text in der ersten Person Singular formuliert ist und allein die Göttin Nechbet am Ende des Textes (rto x+93–94) als orakelgebende Gottheit genannt ist, ist davon auszugehen, dass nicht mehr als ein oder zwei Zeilen zu Beginn des Textes verloren sein dürften, s. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 107 [1].

2 Der Schreiber ist offenbar etwas unkonzentriert. Bei „Skelett“ (qs) fügt er trotz des vorgeschalteten Possessivartikels nochmals ein Suffixpronomen (st) an. Gerade bei den Körperteilen erhält sich die mittelägyptische Konstruktion mit Suffixpronomen gegenüber der neuägyptischen Konstruktion mit Possessivartikel sehr hartnäckig. Hier zeigt sich der Übergang, da der Schreiber beides schreibt. Am Verb schreibt er das Suffixpronomen der dritten Singular femininum sw anstelle der in dieser Zeit geläufigeren Variante st. Die Schreibungen sw und st werden von diesem Schreiber gleichwertig nebeneinander benutzt. Ob die Auswahl der ein oder anderen Schreibung gewissen Regeln unterliegt, ist nur durch eine umfassende Analyse festzustellen. Auf den ersten Blick zeigt sich aber, dass der Schreiber generell bei der Schreibung des Possessivartikels sowie im Status pronominalis von Präpositionen das Suffix st bevorzugt, wohingegen bei der Verwendung bei Verben und Substantiven beide Schreibvarianten zu beobachten sind.

3 gedeihen [lassen] ([s]:rd): Ergänzung zu [s]:rd nach Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 107 [7].

4 beruhigen (shr(u̯)): Die Gruppe Herz (F34) und Ideogrammstrich (Z1) ist vor dem Götterklassifikator (G7) platziert und muss daher als zusätzlicher Klassifikator betrachtet werden. Aufgrund der Zeichenstellung liegt also eindeutig eine Graphie für shru̯ vor und nicht die Verbindung shru̯ jb, vgl. Wb 2, 496; Clarysse, in: CdE 53, 1978, 239 [2]. Dass hier das Verb mit dem Falken auf der Stange (G7) klassifiziert wurde, zeigt an, dass sich die Verbalaktion auf die zuvor erwähnten Götter beziehen muss. In den Oracular Amuletic Decrees ist dieses Phänomen vor allem bei dem Verb ḏd in der Einleitungsformel der Götter der Fall. Ähnliches ist in spätmittelägyptischen Texten zu beobachten, in denen der Klassifikator für die Götter auch bei Bezeichnungen geschrieben wird, die nicht den Gott selbst, sondern „einen ihm eng verbundenen Teil bzw. einen Gegenstand aus seiner Sphäre bezeichnet“, s. JWSpG, 22 [e]. Einen ähnlichen Hintergrund muss man an dieser Stelle ebenfalls annehmen, da aufgrund der Syntax die Auffassung als 1. Person Singular des Suffixpronomens auszuschließen ist. Allerdings handelt es sich bei den von Jansen-Winkeln angeführten Beispielen in der Regel um Substantive, eine Parallele in Bezug auf ein Verb findet sich nicht.

5 Für den Schreiber dieses Textes ist die Gruppe r ꜥ.w (D21-D36-Z1) „vor (jeder) Aktion“ offenbar zu so einer festen Einheit geworden, dass er stets vor dieser Gruppe die Präposition r nochmals voranstellt. Die Gruppe ist insgesamt fünf Mal im Text belegt (Z. x+22; x+23 (2x); x+25; x+29). Man könnte auch davon ausgehen, dass der Schreiber an dieser Stelle das Substantiv r-ꜥ.w (Wb 2, 395.12; Lemma-ID 600214; vgl. Pantalacci, in: OLP 16, 1985, 5–20) zur Bildung von Abstrakta im Sinn hatte und daher die Präposition zusätzlich notiert hat. Da allerdings in den parallelen Sprüchen eindeutig ꜥ.w „Aktion“ (Lemma-ID 34480) gemeint sein muss, ist davon auszugehen, dass diese Schreibung eher graphisch als semantisch motiviert sein dürfte.

[rto x+40] Ich werde sie 〈vor〉 jedem Geschrei durch jedwede Furcht bewahren.

Ich werde sie vor jedem Schrecken bewahren, jeder Krankheit, jeder Infektion, jedem ⸢Fieber⸣, jeder srf.t-Hautentzündung, [jeder]  Bitterkeit, jeder [rmn.t-Hautkrankheit (?)] (und) jedem [rto x+45] Unglück, das auf der Erde irgendein Wehklagen (?)6 verursacht, wobei ich nicht zulassen werde, dass sie (die zuvor genannten Gefahren) ihr jemals (wörtl. wieder und wieder) zustoßen werden zu irgendeiner Zeit ihres Lebens.

Ich werde sie 〈vor〉 dem Biss einer (Gift-)Schlange bewahren. Ich werde sie ⸢vor⸣ dem Stich von Skorpionen bewahren, vor jedem Biss eines jeden [rto x+50] Gifttiers (und) jeglichem Ungeziefer (und) ⸮vor? jedem Maul, das beißt. Ich werde nicht zulassen, dass sie (die gefährlichen Tiere) sich irgendwo ihrer Umgebung nähern.

Ich werde sie bewahren vor jedem Unfall eines Gespanns. Ich werde sie bewahren vor jedem Unfall eines Streitwagens7 (und) vor jedem Unfall eines Schiffs. Ich werde sie bewahren [rto x+55] vor jeder Anklage/Verleumdung (?)8 (und) jedem Frevel in jeder Gegend jeder Reise, die sie unternehmen wird, mit Schiffen, Gespannen (oder) zu Fuß (wörtl. mit ihren Füßen), wobei ihr Atem lebendig (und) gesund bei ihr ist.

Ich werde sie am Mittag9 unversehrt sein lassen. Ich werde nach ihr [rto x+60] sehen bei […]. ⸢Ich⸣ werde [...]. [...] ? [...] sie/ihr.

Ich werde für sie ein zꜣ-(Schutz-)Amulett machen 〈als〉 lebendigen (und) gesunden mk.t-Schutz an jedem Ort, an dem sie sich befindet, (und) (in) [jedem] Sanktuar (?), [das] sie betreten [rto x+65] wird. Ich werde veranlassen, dass mein sehr großes (und) [...]10 Orakel von ihr Besitz ergreift für Leben, Gesundheit (und) ⸢Gunst (?)⸣11. Ich werde ihr geben, was sie (?) sich aus ⸢ihrem⸣ vollen Herzen wünscht.

Ich werde jeden Traum [rto x+70], den [sie] träumt (wörtl. sieht), gut sein lassen. Ich werde einen Traum, ⸢den⸣ ich einen ⸢and⸣[eren] oder eine andere für sie träumen (wörtl. sehen) ⸢lassen⸣ werde, gut sein ⸢lassen⸣. Ich werde jeden Traum, den jeder Mann, [rto x+75] jede Frau (und) jeder Mensch jeglicher Art im ganzen ⸢Land⸣ für sie träumt (wörtl. sieht), gut sein lassen. Ich werde für sie jedes gute Schicksal12 [...] bereiten.

6 Wehklagen (?) (jhjw): Die Schreibung ist schwierig. Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 108 [29] u. Bd. 2, pl. XLIIA) liest Schilfblatt (M17) – Tuch-s (?) (S29) – (?) – t (X1) (?) über Ba-Vogel (G29) – Semogrammstrich (Z1) – Schilfblatt (M17) – w-Schlaufe (Z7) – Abkürzungsstrich für den Toten (Z6), und lässt eine Lesung bzw. Identifizierung des Wortes aus. Er verweist auf zwei parallele Passagen (pLondon BM 10587 (L6), rto 103–107 und pNew York MMA 10.53 (NY), rto 37–42) mit dem Kommentar: „The parallel passages seem to offer no help in reading this word“ (ebd.). Die Parallelen überliefern folgende Passage: md.t nb.t (bjn.t) n.tj (ḥr) jri̯ jhj r=st „jede (böse) Angelegenheit, die Wehklagen bei ihr hervorruft“. Im Gegensatz zu Edwards denke ich, dass der Schreiber hier tatsächlich jhj oder zumindest ein ähnliches Wort im Sinn hatte. Daher möchte ich die beiden Zeichen, die Edwards als Tuch-s (S29) und etwas Undefinierbares deutete, als Hofgrundriss O4 lesen. Der Schreiber tendiert dazu, das Zeichen sehr kursiv zu schreiben, wie die Beispiele in Zeile rto 21, 24 und 28 zeigen, was zu dem Zeichen an der hier vorliegenden Stelle sehr gut passt. Für die folgende Gruppe, die Edwards als t über dem Ba-Vogel interpretiert, habe ich allerdings keine Lösung. Im Vergleich mit der Schreibung des Ba-Vogels in den Zeilen rto 2 und 4 kann ich dieser Idee nur schwer folgen, habe aber auch keine bessere zu bieten. Aufgrund der Text-Parallelen sehe ich – zumindest bis zu einer eindeutigen Klärung der unbekannten Gruppe – die Lesung jhj als vorerst beste Deutung der Stelle an, auch wenn sich der vorliegende Satz in Details der Syntax und den Zusatz eines weiteren Nebensatzes von den beiden anderen Versionen so unterscheidet, dass mindestens von einer Variante, vielleicht auch von einer verderbten Variante auszugehen ist.

7 Streitwagen (m~rw~kꜣ~〈b〉tj): Defektive Schreibung für mrkbt „Streitwagen“ (Wb 2, 113.4; Lesko, Dictionary I, 229; Hoch, Sem. Words, no. 189; Lemma-ID 73010; vgl. pNew York MMA 10.53, Rto. 54, s. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 108–109 [33].

Anklage/Verleumdung (?) (bw.t): Hier an dieser Stelle ist ganz eindeutig bw.t „Abscheu“ (Wb 1, 453.7–454.7; Lemma-ID 55150) geschrieben, doch in vergleichbaren Versprechen (z.B. pLondon BM EA 10083 (L1), rto x+23–27; pNew York MMA 10.53 (NY), rto 52–58; pParis Louvre E 8083 (P2), rto 8–9, 12–13, 14–15; pParis Louvre E 25354 (P3), rto x+21–23), in denen ḫnw erwähnt wird, folgt in jedem Fall btꜣ.w „Verbrechen“ (Wb 1, 483–484.11; Lemma-ID 58130). Ich halte daher den Begriff bw.t für eine Verschreibung, die zum Beispiel durch einen Hörfehler induziert worden sein könnte, da die beiden Wörter im ersten Jahrtausend im Klangbild sehr ähnlich gewesen sein dürften, s. hierzu Neven, in LingAeg 21, 2013, 148–149; Frandsen, in: Demarée/Egberts, Village Voices, 36; Quack, Ani, 58.

9 Mittag (mt(r.t)): Hier ist der Schreiber offenbar etwas durcheinander geraten, da er das Wort mtr.t „Mittag“ (Wb 2, 174.6–7; Lemma-ID 77710) zusätzlich mit dem Zeichen N2 klassifiziert. Obschon es Versprechen in den Oracular Amuletic Decrees gibt, die sich auf Schutz „zu Mittag, in der Nacht und zu irgendeiner Zeit“ beziehen (z.B. pLondon BM EA 10730 (L7), x+32) glaube ich, dass der Schreiber hier womöglich etwas voreilig das Wort für Nacht im Sinn hatte, weil davon auszugehen ist, dass sich das folgende Versprechen darauf beziehen dürfte. Der Schutz zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten wird für gewöhnlich in kurzen Einzelversprechen formuliert. Das folgende Versprechen passt im Wortlaut zu Beginn des Satzes in dieses Muster. Da es aber am Ende beschädigt ist, lässt sich dies nicht nachprüfen, vgl. hierzu: pParis BN 238-3 (P5), 27–29.

10 [...]: Die Parallel-Versionen schreiben an dieser Stelle in der Regel špsj „erhaben“ (Wb 4, 445.8-447.23; Lemma-ID 400546), doch ist dies hier mit den erkennbaren Zeichenspuren nur schwer zu vereinbaren, s. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 109 [40].

11 ⸢Gunst (?)⸣ (⸢⸮ḥzw(,t)?⸣): Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 109 [42]) erkennt in den Zeichenresten zu Beginn von Zeile rto x+67 ḥzw.t „Gunst“ (Wb 3, 157.8–158.12; Lemma-ID 109800), was ganz gut zu den Resten passt. In den Paralleltexten kommt diese Wendung allerdings nicht vor.

12 jedes gute Schicksal (ꜥš-sḥn ⸢nb⸣{t} nfr [___]): Vgl. pLondon BM EA 10083 (L1), rto x+74–76.

Ich werde sie vor der Linsenkrank〈heit〉 aus ⸢Syrien bewahren⸣. ⸢I⸣ch werde sie vor der Linsenkrank〈heit〉 aus Kusc⸢h⸣ bewahren.

⸢I⸣ch werde sie aus der Hand [rto x+80] der Sachmet ⸢und⸣ ih⸢res⸣ Sohnes ⸢retten⸣. Ich werde sie retten aus der Hand ⸢der Meerkatze⸣ der Stätte des ⸢Sanktuars⸣ (und) des Pa⸢via⸣ns der ⸢Stätte⸣ des wḏꜣ.t-Auges.

Ich werde [ihren] Kopf gesund erhalten. [Ich] werde ihr Ohrenpaar hören lassen. Ich werde ihre [beiden] [rto x+85] Augen sehen lassen. [Ich] werden ihren Mund [ge]sund erhalten. Ich werde ihre Nase? gesund erhalten. [I]ch werde ihre beiden Hände gesund erhalten. [Ich werde ih]re 10 Finger der beiden Hände [gesund erhalten]. [Ich werde ih]re Eingeweide [gesund erhalten]. Ich werde ihre beiden Füße13 [gesund [rto x+90] erhalten]. Ich werde ihre 10 Zehen ihrer beiden Füße gesund erhalten. Ich werde ihren [gesamten] Rumpf gesund erhalten von ihrem Kopf bis zu ihren beiden Füßen.

[In göttlicher Weise (?)] hat Nechbet gesprochen, diese große Göttin, die Älteste, die zuerst entstanden ist: Was jedes [rto x+95] Wort angeht, das auf diesem Orakel(papyrus) notiert (wörtl. gemacht) wurde, und diejenigen, die vergessen wurden, darauf zu notieren (wörtl. zu machen): Ich werde sie gut (wörtl. zu etwas Gutem) machen für Taibakhori, die Tochter von Tetischeri, die man Scherienihi nennt, deren Mutter [...] ist, täglich, täglich!

13 ihre beiden Füße (tꜣ⸢y⸣=st rd.(t)j): Hier ist rd „Fuß“ (Wb 2, 461.1-462.15; Walker, Anatom. Term., 271; Lemma-ID 96600) durch das Possessivpronomen eindeutig als Femininum bezeichnet. Bei einigen Wörtern kommt es im Neuägyptischen zu einem Genuswechsel, s. Neven, in: LingAeg 21, 2013, 139­–157. Eine mögliche Entwicklung ist, dass zu einem maskulinen Substantiv ein feminines Pendant ohne eine Änderung in der Bedeutung entsteht (und entsprechend vice versa). Ein solcher Fall liegt beispielsweise bei dem Wort msḏr „Ohr“ (Wb 2, 154.13–16; Lemma-ID 76230) vor: vgl. msḏr.t „Ohr“ (Wb 2, 154.17; Lemma-ID 860133). Eine ebensolche Entwicklung zeigt sich an dieser Stelle für rd, die durch die Existenz eines Femininums rd.wjt (CDD R, 79; Lemma-ID dm3637) im Demotischen bestätigt wird. Allerdings bezeichnet – anders als im vorliegenden Fall – nach Vittmann (in: ZÄS 127, 2000, 179–180 [118]) im Demotischen das Femininum den einzelnen Fuß, wohingegen für das Paar weiterhin das maskuline Substantiv verwendet wird. Dies müsste aufgrund des hier vorliegenden Belegs als spätere Entwicklung angesehen werden.