Oracular Amuletic Decree L4 (Papyrus London BM EA 10320)
Übersetzung und Kommentar
Oracular Amuletic Decree L4 (Papyrus BM EA 10320)
Recto
[...] [x+1] [...]1.
[Ich werde] ⸢ihn⸣ [retten] [aus der Hand] [des]2 wilden [Löw]en der Bastet, der 〈vom〉 Blut der Rechit-Menschen lebt.
Ich werde ⸢ihn⸣ bewahren ⸢vor⸣ der [x+5] Linsenkrankheit (aus) Syrien (und) der Linsenkrankheit (aus) Kusch.
Ich werde ihn retten aus der Hand der Götter, die einen Menschen 〈in〉3 der Stadt finden und ihn auf den Feldern töten.
Ich werde ihn retten aus der Hand der Götter, die [x+10] einen Menschen 〈auf〉 den Feldern ⸢finden⸣ und ihn in 〈der〉4 Stadt töten.
Ich werde ihn bewahren5 vor (Schadens)zauber, {vor (Schadens)zauber}6 vor (Schadens)zauber eines Syrers, vor (Schadens)zauber eines Nubiers (und) vor (Schadens)zauber eines [x+15] Ägypters.
1 Edwards (1960a, 27) schätzt, dass ca. ein Drittel des ursprünglichen Textes verloren sind.
2 Ergänzungen nach einer Parallele in pTurin Cat. 1984 (T2), Rto. 58, vgl. Edwards 1960a, 27 [1].
3 〈m〉: Ergänzung nach einer Parallele in pTurin Cat. 1984 (T2), Rto. 29–31, vgl. ferner den folgenden Satz.
4 〈pꜣ〉: Vgl. Z. x+7, im vorausgehenden Satz.
5 šdi̯ : Das Verb šdi̯ „retten, bewahren“ (Wb 4, 563.2–9) ist an dieser Stelle bemerkenswerterweise mit dem Falken auf der Standarte (G7) klassifiziert. In den Oracular Amuletic Decrees ist die Klassifizierung eines Verbums als göttliche Handlung häufig in der Einleitungsformel bei dem Verb ḏd „sagen, sprechen“ zu beobachten. Nur drei Texte derjenigen, in denen dieser Teil des Textes erhalten ist (pBerlin 3059; pTurin Cat. 1984 (T2); pLondon BM EA 10899 (C2)), zeigen Schreibungen ohne den Klassifikator, gegenüber 13 Texten, in denen ḏd generell mit G7 klassifiziert ist.
Ähnliches ist in spätmittelägyptischen Texten zu beobachten, in denen der Klassifikator für die Götter auch bei Bezeichnungen geschrieben wird, die nicht den Gott selbst, sondern „einen ihm eng verbundenen Teil bzw. einen Gegenstand aus seiner Sphäre bezeichnet“, s. K. Jansen-Winkeln, Spätmittelägyptische Grammatik der Texte der 3. Zwischenzeit, Ägypten und Altes Testament (ÄAT) 34 (Wiesbaden1996), 22 [e]. Einen vergleichbaren Hintergrund muss man an dieser Stelle ebenfalls annehmen, da aufgrund der Syntax die Auffassung als 1. Person Singular des Suffixpronomens auszuschließen ist. Allerdings handelt es sich bei den von Jansen-Winkeln angeführten Beispielen in der Regel um Substantive, eine Parallele in Bezug auf ein Verb findet sich nicht.
6 {r ḥkꜣ}: Die Stelle ist korrupt. Möglicherweise hatte der Schreiber eine Formulierung im Kopf, wie wir sie im pBM EA 10083 (L1), finden: Dort wird Schutz vor „(Schadens)zauber eines Zauberers (oder) einer Zauberin“ gewährt (r ḥkꜣ.w n(.j) ḥkꜣ.w (Vso. x+39) ḥkꜣ(.wt)). Dagegen spricht allerdings die Wiederholung der Präposition r. Auch geht das zweite ḥkꜣ nicht über die Zeile hinaus und ist deutlich weniger ausführlich geschrieben als die anderen Belege für den Begriff; dies spricht für eine Dittographie am Zeilenumbruch, bei der der Schreiber mit der neuen Zeile die gesamte Phrase neu schreibt, s. Edwards 1960a, 27, [7]. Anstelle des ersten r ḥkꜣ wäre ein nb „jeder“ zu erwarten, so dass der Beginn des Spruchs im Allgemeinen bleibt, während die folgenden Elemente eine Spezifizierung bieten.
I[ch] werde ihn bewahren 〈vor〉 jedem Land-wr.t-Geist (und) vor jedem Nil-wr.t-Geist.
Ich werde ihn bewahren vor (Gift)schlangen, vor Skorpionen (und) vor jedem ⸢Maul⸣, das beißt.
Ich werde ihn retten ⸢aus der Hand⸣ der Götter, die 〈einen Menschen auf〉7 der Flucht schnappen.8
Ich [x+20] werde [ihn] ⸢retten⸣ [aus] ⸢der Hand⸣ der Götter, ⸢die⸣ einen Menschen 〈als〉 Beute schnappen.
Ich werde ihn retten aus der Hand des Sterns, der ⸢vom⸣ Himmel fällt (= Meteorit) und die Menschen niederschmettert9.
Ich werde ((ihn bewahren)) [vor] dem ⸢Hieb⸣ (wörtl. Schlagen) eines Schwertes, vor dem Stoß (wörtl. Schlagen) [x+25] einer Lanze/eines Speers (und) vor dem ⸢Schl⸣ag (wörtl. Schlagen) eines (Mandel)holz(stocks)10.
7〈rmṯ〉 〈m〉: Ergänzung nach einer Parallele in pLondon BM EA 10083 (L1), Rto. x+37.
8 Inhaltlich schließen dieses Versprechen sowie das folgende an die beiden Versprechen in Z. x+6–11 an.
9 ḫbḫb: Hiermit liegt eine Variante dieses Versprechens vor. In den Texten pBM EA 10083 (L1), Rto. x+15–16 sowie pBerlin 3059 (B), Rto. 23 wird anstelle von ḫbḫb „betreten, (Feinde) niedertreten“ (Wb 3, 255.2–7) das Verbum qbqb „(den Feind) niederwerfen" (Wb 5, 165.3) verwendet.
10 jꜥnw: Gemeint ist wohl der ꜥwn.t-Holzstock (Wb 1, 173.2–3; D. v. Deines/W. Westendorf, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriss der Medizin der alten Ägypter 6 (Berlin 1959), 83), s. Edwards 1960a, 28, [15]. Der Begriff findet sich sowohl zur Bezeichnung einer speziellen Baum-, bzw. Holzart (z. B. im pLondon BM EA 10686 (pChester Beatty VI), 5.10), aber auch zur Benennung eines Schlagstocks, der aus diesem Holz hergestellt worden ist und offenbar zur Bewaffnung eines Streitwagens gehören konnte, s. z. B. oEdinburgh 916, Vso. 9). Die botanische Analyse eines Stockes mit der Aufschrift ꜥwn.t, ergab, dass es sich um einen Mandelbaum handeln dürfte, s. Hall/Janssen, in: Göttinger Miszellen 105, 1988, 15–16. Dies korreliert mit einem Krug (C 614 c) aus dem Grab des Tutanchamun, der mit pr.t ꜥwn.t beschriftet ist und Mandeln enthielt, s. R. Germer, Die Pflanzenmaterialien aus dem Grab des Tutanchamun, Hildesheimer Ägyptologische Beiträge (HÄB) 28 (Hildesheim 1989), 38–40.
(Gesprochen hat)11 Chons in Theben, der Gnädige, der große Gott, der Größte, der zuerst entstanden ist:
Ich werde [...]-Maat12, dessen Mutter Djedasetiuesanch („Isis hat gesagt, dass sie leben soll“) ist, (und) der der Sohn von Djedsepu ist, [x+30] {unseren} 〈meinen〉 Diener (und) {unseren} 〈meinen〉 Zögling beschützen.
Ich werde sein Fleisch (und) sein Skelett gesund erhalten.
Ich werde ⸢seinen⸣ Mund öffnen, um zu essen.
{Wir} Ich werde seinen Mund öffnen, um zu trinken 〈bis zur〉 Sättigung.
Ich werde veranlassen, dass er isst, um zu leben.
[x+35] Ich werde veranlassen, dass 〈er〉 trinkt, um gesund zu bleiben.
11 Spatium: In der Leerstelle ist ḏd „gesprochen hat“ zu ergänzen. Die Orakelamulette wurden zunächst mit der Leerstelle produziert, ḏd wurde erst bei Ausführung des Orakels nachgetragen. Dies ist in manchen Fällen durch den Tintenfluss zu erkennen. Die Tatsache, dass im vorliegenden Papyrus diese „Validierung“ ausblieb, deutet darauf hin, dass das Amulett möglicherweise niemals als solches verwendet wurde. Anders als für den pLondon BM EA 10083 (L1), für dessen Besitzerin mit pTurin Cat. 1984 (T2) ein zweiter „validierter“ Amulettpapyrus erhalten ist (s. Edwards 1960a, xvii), ist für den hier genannten Besitzer kein weiteres Exemplar bekannt.
12 [...]-Mꜣꜥ.t/Ḫns.w-[...]: Der Name des Besitzers dieses Papyrus ist leider an beiden Stellen (Z. x+28 u. Z. x+39–40) nicht komplett erhalten. Eine Rekonstruktion birgt einige Schwierigkeiten. Die erste Stelle überliefert den Schluss des Namens, erhalten ist der Teil eines Strichs, die Feder (H6) sowie der sitzende/hockende Mann mit Flagellum (A52) als Personenklassifikator. Die zweite Stelle überliefert Ḫns.w als Beginn des Namens sowie Reste des letzten Zeichens, die zu A52 gut passen würden. Die Möglichkeit, dass an der zweiten Stelle der Gott Chons gemeint sein könnte, ist aus inhaltlichen Gründen wenig wahrscheinlich, s. Edwards 1960a, 28 [27]. Es sind nur wenige Personennamen, die zu diesen Bestandteilen passen, bezeugt. Der Name könnte gut zu Ḫns.w-ms-pn-Mꜣꜥ.t ergänzt werden. Dieser Name ist in einem Graffito (Gr. 186) auf dem Dach des Chonstempels in Karnak belegt, das in die 26. bis 30. Dynastie zu datieren ist, s. H. Jacquet-Gordon, The Graffiti on the Khonsu Temple Roof at Karnak. A Manifestation of Personal Piety, Oriental Insitute Publications (OIP) 123 (Chicago 2003), 67, pl. 69. Die Schreibung im Graffiti passt sehr gut zu den im hier vorliegenden Papyrus erhaltenen Zeichen. Einschränkend zu bemerken ist, dass der zur Verfügung stehende Platz bei der ersten Erwähnung des Namens eventuell etwas knapp sein könnte.
Ein kürzerer Name, der ebenfalls zu den erhaltenen Bestandteilen passen könnte, wäre Ḫns.w-Šw. Dieser Name ist ebenfalls in Karnak auf dem Dach des Chonstempels in einem anderen Graffito (Gr. 128) belegt, s. Jacquet-Gordon, Graffiti on the Khonsu Temple Roof, 102–103, pl. 47. Hierzu ist einschränkend zu erwähnen, dass bei einer Schreibung für den Gott Shu ein Götterklassifikator zu erwarten wäre, der im vorliegenden Papyrus in Z. x+28 nicht geschrieben ist. Ein weiteres Problem ist, dass nun die Lücke zu Beginn von Z. x+40, die für den zweiten Teil des Namens zur Verfügung steht, mit der zu erwartenden Schreibung von Šw selbst mit Götterklassifikator eigentlich noch nicht ausgefüllt ist. Es gibt also bei beiden Rekonstruktionen kleine Unstimmigkeiten, wobei die erste Möglichkeit im Großen und Ganzen besser zu passen scheint. Letztendlich ist eine sichere Ergänzung des Namens leider nicht möglich.
(Es wurde gesprochen)13 seitens der großen Götter, der Ältesten, die zuerst entstanden sind:
Was jedes Wort betrifft, das auf diesem Orakel aufgeschrieben (wörtl. gemacht) ist, (und) ferner die (= die Versprechen), die wir nicht aufgeschrieben (wörtl. gemacht) haben: wir werden Gutes veranlassen 〈für〉 Chons-[?-Maat]14 (?), [x+40] ⸢unseren⸣ Diener (und) [unseren] Zögling (und) 〈wir〉 werden Gutes veranlassen ⸢für⸣ ihn aufs Vortrefflichste.
13 Siehe Kommentar zum Spatium.
14 Siehe Kommentar zum Namen des Besitzers.