Oracular Amuletic Decree P1 (Papyrus Paris Louvre E 3234)

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Alternative Namen
OAD P1; Papyrus Anastasi n° 1040.
Aufbewahrungsort
Europa » Frankreich » (Städte M-P) » Paris » Musée du Louvre

Inventarnummer: E 3234

Digitaler Katalog
Erwerbsgeschichte

Der Papyrus stammt aus der Sammlung Anastasi und wurde 1857 in das Inventarbuch des Louvre aufgenommen (Letellier, in: André-Leicknam/Ziegler [Hrsg.], Naissance de l'écriture 160, [104]). Große Teile der Sammlung Anastasi wurden zwischen dem 23. und 27. Juni 1857 bei einer öffentlichen Auktion vom Louvre angekauft. In dem für den Verkauf erstellten Katalog ist das Objekt als Nr. 1040 zu identifizieren (Lenormant, François, Catalogue d’une collection d’antiquités égyptiennes, 86). Die dortige Beschreibung „Petit manuscrit encore attaché, à suscription hiératique“ zeigt an, dass das Amulett noch eingerollt und verschnürt gewesen und dann im Museum entrollt und verglast worden ist. Dies wurde zwischen 1957 und 1872 vorgenommen, da Devéria (Catalogue des manuscrits égyptiens, 178 [VIII. 9]) den Text als entrollt und verglast beschreibt.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben

Die genaue Herkunft des Papyrus ist nicht bekannt. Edwards (1960a, xiii) nimmt generell für diese Gruppe von Texten eine Herkunft aus Theben an. Diese Annahme wird zumeist durch die im Text genannten Götter gestützt. Dies gilt auch für diesen Papyrus, in dem als orakelgebende Götter Mut, Chons und Amun genannt sind.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 21. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 22.–23. Dynastie

Edwards (1960, xiii–xiv) geht von einer Datierung des gesamten Korpus der Amulettpapyri mit Orakeldekreten in die 22./23. Dynastie aus. Ein einziger Text (L7: pBM EA 10730) liefert einen Hinweis auf die Datierung, denn er ist für einen Prinzen und zukünftigen General in der Armee eines Königs Osorkon geschrieben, bei dem es sich nach Edwards (1960, xiv) und Ritner (2009, 74) vermutlich um Osorkon I. handeln dürfte, während Jacquet-Gordon (1960, 175, n. 5; Ead., 1963, 32) und ihr folgend Verhoeven (2001, 13) von Osorkon II. ausgehen. Diese Datierung basiert auf Textparallelen im Text auf einer Statue aus Tanis (Kairo CG 1040 + CG 881 + Philadelphia E 16159: s. Jacquet-Gordon, 1960, 23), die ursprünglich für Sethos I. angefertigt und für Osorkon II. wiederverwendet und neu beschriftet wurde (Sourouzian 2010, 97–105). Der Text L7 wäre also in die 22. Dynastie, oder für den Fall, dass es sich ungeachtet der Parallelen doch um einen späteren Osorkon handeln würde, spätestens in die 23. Dynastie zu datieren. Nach Koenig (1987, 31) ist aufgrund der Paläographie sowie spezifischer Schreibungen mindestens für einen Teil der Texte, den hier bearbeiteten nicht miteingeschlossen, eine Datierung in die 21. Dynastie anzunehmen.

Textsorte
Oracular Amuletic Decree
Inhalt

Die orakelgebenden Götter, Mut, Chons und Amun versprechen der Besitzerin des Amuletts, Mutuates, die auch Neschons-Scheriihi genannt wird, und deren Mutter Tapeschebastet und deren Vater Iipet ist, Schutz vor Gefahren, aber vor allem eine gute Entwicklung ihrer Person sowie die Aufnahme in das Musikantinnenhaus des Amun. Dieser Text weist eine gänzlich andere Zielsetzung als die anderen OAD auf, die in Teilen mit der in L 5 vergleichbar ist, wo auch die berufliche Perspektive des Orakelbesitzers thematisiert wird.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Amulettpapyri wie der hier vorliegende Text wurden aufgerollt in einem kleinen Behälter, der aus Leder, Holz oder Metall gearbeitet sein konnte (vgl. Ray 1972, 151–153; Bourriau/Ray 1975, 257–258), um den Hals getragen und diente somit als Apotropaion (vgl. hierzu Roß 2019, 40–44). Die Amulette wurden vermutlich in erster Linie für Kinder hergestellt (vgl. Roß 2019, 26–36; Adderley 2015, 193; Edwards 1960, xvi), wobei es Hinweise darauf gibt, dass es sich um Säuglinge oder sehr junge Kinder gehandelt haben könnte (Roß, ebd.). Wilfong (2013, 295–300) geht davon aus, dass die Länge des beschrifteten Papyrusstreifens mit der Größe des Kindes korreliert werden kann. Mittlerweile ist auch ein Orakeldekret für eine schwangere Frau belegt (pIFAO H40: Koenig 2018, 233–239), doch ist der Text leider nur fragmentarisch erhalten, so dass keine Rückschlüsse auf die ursprüngliche Länge des Dokumentes erzielt werden können.

Die Texte sind generell als Götterrede konzipiert, die durch die Phrase „Göttername + ḏd“ eingeleitet wird. Im hier vorliegenden Papyrus ist an den Stellen, wo man ḏd „sagen“ erwartet, jeweils etwas Platz frei gelassen. Edwards (1960, xvii) geht davon aus, dass die Lücken erst, nachdem der Papyrus den Göttern vorgelegt worden ist, ausgefüllt wurden, und erst durch diesen Akt die Wirksamkeit gewährleistet war. Somit wäre der hier vorliegende Text niemals wirksam gemacht worden und folglich wohl auch nicht getragen worden. Die Tatsache, dass uns für die gleiche Besitzerin mit dem Papyrus Turin Cat. 1984 (OAD, T2) ein weiterer Papyrus vorliegt, in dem sich keine Lücken befinden, eine entsprechende „Validierung“ also stattgefunden haben muss, unterstützt diese These. Aus welchen Gründen der Text L1 (pBM EA 10083) offenbar ausgemustert wurde, ist allerdings unklar.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schreibblatt
Technische Daten

Der Papyrus ist nur auf einer Seite, dem Recto, beschrieben. Auf dem Verso befindet sich lediglich eine Zeile, die den Namen der Orakelbesitzerin angibt, ähnlich wie bei den Papyri pMMA 10.53 (N.Y.) und pLouvre E. 3234 (P1). Wie bei den meisten anderen Oracular Amuletic Decrees verlaufen die Fasern auf der beschrifteten Seite meistenteils vertikal.

Aber es zeigt sich auch eine Besonderheit: Unterhalb der zehnten Zeile befindet sich eine Klebung, wobei der obere Teil so angeklebt wurde, dass die Fasern horizontal verlaufen, ähnlich wie es auch bei dem Papyrus London BM EA 10320 (L4) (Edwards 1960a, 27) zu beobachten ist. Da der Anfang des Textes nicht erhalten ist, kann nicht entschieden werden, wie groß der obere Teil ursprünglich war. Die Reste der erhaltenen ersten Zeile können gut zum letzten Satz des einleitenden Absatzes ergänzt werden, so dass davon auszugehen ist, dass nur ein kleiner Teil des Textes verloren gegangen sein dürfte. Edwards (1960a, 113) schätzt den Verlust auf etwa drei bis vier Zeilen ein.

Es mag zunächst etwas irritieren, dass die Seite des Textes als „Verso“ bezeichnet wird, bei der die horizontalen Fasern oben liegen. Die Oracular Amuletic Decrees sind generell auf sehr schmalen und zum Teil enorm langen Papyrusstreifen notiert worden. Wie haben die Schreiber diese Streifen hergestellt? Die einfachste Methode ist die, einen schmalen Streifen von einer bereits vorbereiteten Rolle abzuschneiden. Edwards hat bei einer Untersuchung der Klebungen Hinweise auf genau dieses Vorgehen festgestellt (Edwards 1960a, xii). So konnte er bei einer Reihe von Texten Klebungen in regelmäßigen Abständen feststellen, die auf eine vorgefertigte Rolle hindeuten. Allerdings erwähnt er auch, dass es Texte gibt, die unregelmäßige Abstände bei den Klebungen aufweisen bzw. aufzuweisen scheinen (ebd.). Daraus zieht er den Schluss, dass es für die Herstellung der OAD keine festgelegte Methode gab, sondern die Schreiber vielmehr das Material verwendeten, das sie gerade zur Hand hatten; seien es Abschnitte einer Rolle oder anderweitige Streifen, bzw. eine Kombination aus beidem. Als Beispiel eines zusammengestückelten Papyrus führt er insbesondere Papyrus London BM EA 10320 (L4) an (ebd.). Dieser Papyrus beginnt mit einem Stück, auf dem neun Zeilen des Textes erhalten sind, bei dem aber die horizontalen Fasern oben liegen. Dieses Stück ist an den Streifen mit vertikalen Fasern angeklebt (Edwards 1960a, 27). Genau diesen Papyrus möchte ich allerdings als wichtigen Hinweis dafür benennen, dass die Schreiber in der Regel einen schmalen Streifen von einer vorbereiteten Rolle abgeschnitten haben. Das kurze Stück mit dem anderen Faserverlauf ist doch zweifelsfrei ein sog. Schutzblatt bzw. „protocollon“ zu Beginn einer Papyrusrolle (vgl. Turner 1978, 28–29), das in diesem Fall entgegen der allgemeinen Praxis ebenfalls beschriftet wurde. Die Klebung zeigt zudem deutlich an, dass es sich um das Recto der betreffenden Rolle handeln muss (An dieser Stelle möchte ich Nadine Quenouille für ihre papyrologische Expertise und Einschätzung sehr herzlich danken). Der Schreiber hat also den Streifen von einer neuen Rolle abgeschnitten und dann zur Beschriftung um 90 Grad gedreht. Es handelt sich also papyrologisch um eine „transversa carta“ (Turner 1978, 29; Bülow-Jacobson 2009, 21–22), ähnlich wie es bei spätramessidischen Briefen zu beobachten ist (Edwards 1960a, xii [7] mit Verweis auf Černý 1939, xvii-xx).

Schrift
Hieratisch

Der Text ist in einem deutlich kursiven Späthieratisch geschrieben, s. Edwards 1960a, xiv, 1; vgl. Verhoeven 2001, 13.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch

Die im Text verwendete Sprache ist nach Orthographie und Grammatik eindeutig dem Neuägyptischen zuzuordnen. Indizien sind z.B. die Schreibung der Suffixpronomen sowie der Gebrauch des Possessivartikels oder der Periphrase mit jri̯. Zudem ist im Futur III die Präposition r nicht geschrieben, vgl. zur Morphologie der Verben in den OAD die zitierten Beispiele bei Winand 1992, 536–537.

Bearbeitungsgeschichte

Als der Papyrus 1957 aus der Sammlung Anastasi für den Louvre angekauft wurde, war er zusammengerollt und mit einer Kordel verschnürt (Lenormant 1957, 86 [1040]; Devéria 1872, 178 [VIII.9]). Irgendwann vor 1872 wurde er entrollt und verglast (Devéria, ebd.).

Im Jahr 1960 legte Edwards die editio princeps von insgesamt 21 Papyri vor (Edwards 1960a+b), darunter auch der hier bearbeitete Papyrus Louvre E 3234. Er bezeichnete die Textgruppe als „Oracular Amuletic Decrees“ (OAD). Unser Text ist dort mit der Sigle P1 aufgenommen (1960a, 76–80, Bd. 2, pl. XXIX-XXX). Verschiedene Studien widmeten sich dem Korpus der Oracular Amuletic Decrees unter diversen Gesichtspunkten, wobei Textsegmente der gesamten Gruppe bearbeitet und zitiert werden, s. Lucarelli 2009, 231–239; Wilfong 2013, 295–300; Austin 2014, 39–41; Adderley 2015, 191–227; Grams 2017, 2017, 55–100; Roß 2019.

Editionen

- I. E. S. Edwards. Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series: Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom I. Text. London 1960, 76–80.

- I. E. S. Edwards. Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series: Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom II. Plates. London 1960, pl. 29–30.

Literatur zu den Metadaten

- Adderley 2015: N. J. Adderley, Personal Religion in the Libyan Period in Egypt (Saarbrücken 2015), 191–218.

- Austin 2014: A. Austin, Contending with Illness in Ancient Egypt (Los Angeles 2014).

- Bierbrier 2019: - M. L. Bierbrier. Who was who in Egyptology. 5. überarbeitete Auflage. London 2019.

- Bourriau – Ray 1975: J. D. Bourriau – J. Ray, Two Further Decree-Cases of ŠꜢḳ, in: Journal of Egyptian Archaeology 61 (1975), 257–258.

- Bülow-Jacobson 2009: A. Bülow-Jacobson, Writing Materials in the Ancient Word, in: R. S. Bagnall, The Oxford Handbook of Papyrology (Oxford 2009), 3–29.

- Černý 1939: J. Černý, Late Ramesside Letters, Bibliotheca Aegyptiaca IV (Brüssel 1939).

- Derchain 1965: Ph. Derchain, Le Papyrus Salt 825 (B.M. 10051) rituel pour la conservation de la vie en Égypte, Mémoires (de l’)Académie Royale de Belgique: Classe des Lettres 58, 1a (Bruxelles 1965).

- Devéria 1972: Th. Devéria, Catalogue des manuscrits égyptiens écrits sur papyrus, toile, tablettes et ostraca en caractères hiéroglyphiques, hiératiques, démotiques, grecs, coptes, arabes et latins qui sont conservés au Musée égyptien du Louvre, (Paris 1872).

- Grams 2017: A. Grams, Der Gefahrenkatalog in den Oracular Amuletic Decrees, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 46 (2017), 55–100.

- Jacquet-Gordon 1963: H. J. Jacquet-Gordon, [Review:] I. E. S. Edwards, Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series. Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom, 2 Bände (London 1960), in: Bibliotheca Orientalis 20 (1963), 31–33.

- Jacquet-Gordon 1979: H. Jacquet-Gordon, Deux graffiti de l’époque libyenne sur le toit du temple de Khonsou à Karnak, in: Anonymous (Hrsg.), Hommages à la mémoire de Serge Sauneron 1927-1976. I. Égypte pharaonique, Bibliothèque d’Étude 81 (Caire 1979), 167–183, Taf. 27–29.

- Koenig 1987: Y. Koenig, Notes de transcription, in: Cahiers de Recherches de l’Institut de Papyrologie et d’Égyptologie de Lille 9 (1987), 31–32.

- Koenig 2018: Y. Koenig, Un nouveau décret amulettique oraculaire: Pap. IFAO H 40, Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 118 (2018), 233–239.

- Lenormant 1857: Lenormant, François, Catalogue d'une collection d’antiquités égyptiennes. Collection rassemblée par M. D'Anastasi, consul général de Suède à Alexandrie, [Vente, Paris, 76 rue de Clichy, 1857, 23-27 juin, Felix Schayé].

- Lettelier 1982: B. Lettelier, Décret oraculaire en faveur de Moutouates, in: B. André-Leicknam/Chr. Ziegler [Hrsg.], Naissance de l’écriture: cunéiformes et hiéroglyphes, cat. exp. (Paris, Galeries nationales du Grand Palais, 7 mai-9 août 1982), (Paris 1982), 160 [104].

- Lucarelli 2009: R. Lucarelli, Popular Beliefs in Demons in the Libyan Period: The Evidence of the Oracular Amuletic Decrees, in: G. P. F. Broekman – R. J. Demarée – O. E. Kaper (Hrsg.), The Libyan Period in Egypt. Historical and Cultural Studies into the 21st – 24th Dynasties: Proceedings of a Conference at Leiden University, 25-27 October 2007, Egyptologische Uitgaven 23 (Leuven 2009), 231–239.

- Ray 1972: J. Ray, Two Inscribed Objects in the Fitzwilliam Museum, Cambridge, in: Journal of Egyptian Archaeology 58 (1972), 247–253.

- Ritner 2009: R. K. Ritner, The Libyan Anarchy. Inscriptions from Egypt’s Third Intermediate Period (Atlanta 2009), 74.

- Roß 2019: A. Roß, Der Schutz von Kindern im alten Ägypten. Die religiösen und soziokulturellen Aspekte der Oracular Amuletic Decrees (Göttingen 2019).

- Sourouzian 2010: H. Sourouzian, Seti I, not Osorkon II. A new join to the statue from Tanis, CG 1040 in the Cairo Museum, in: O. El-Aguizy – M. S. Ali (Hrsg.), Echoes of Eternity. Studies presented to Gaballa Aly Gaballa, Philippika 35 (Wiesbaden 2010), 96–105.

- Thirion, Michelle, « Notes d'onomastique. Contribution à une révision du Ranke PN [douzième série] », Revue d'Égyptologie (RdE), 54, 2003, p. 177-190, p. 183.

- Turner 1978: E. C. Turner, The Terms Recto and Verso: The Anatomy of the Papyrus Roll. Papyrologica Bruxellensia: études de papyrologie et édition de sources 16 (Bruxelles 1978).

- Verhoeven 2001: U. Verhoeven, Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift, Orientalia Lovaniensia Analecta 99 (Leuven 2001), 13.

- Wilfong 2013: T. G. Wilfong, The Oracular Amuletic Decrees: A Question of length, in: Journal of Egyptian Archaeology 99 (2013), 295–300.

- Winand 1992: J. Winand, Études de néo-égyptien 1. La morphologie verbale, Aegyptiaca Leodiensia 2 (Liège 1992).

Online-Ressourcen
Autoren
Dr. Anke Ilona Blöbaum
Autoren (Metadaten)
Dr. Anke Ilona Blöbaum

Übersetzung und Kommentar

Oracular Amuletic Decree P1 (Papyrus Paris Louvre E 3234)

Recto

[rto 1] (In göttlicher Weise) ⸢hat⸣ [Mut] ⸢gesprochen⸣,1 [die] auf dem hohen Thron ist; (und in göttlicher Weise) hat Chons, der auf dem hohen Thron ist, gesprochen; (und in göttlicher Weise) hat Chons, der die Krone trägt,2 gesprochen, der große Gott; (und in göttlicher Weise) [hat] ⸢Ch⸣[on]s, das Kind, der sehr Große [rto 5] (und) erstgeborene Sohn des Amun, gesprochen, dieser große Gott; (und in göttlicher Weise) hat Amun, der 〈Herr〉 des Thrones Beider Länder, zu Bakweret3 gesprochen:

Wir werden Leben, Heil (und) Gesundheit (und) eine überaus hohe (und) schöne Lebenszeit an die Amme Mutuates geben, diejenige, die man [rto 10] Neschons-scheri〈ihi〉4 nennt, deren Mutter Tapeschetbastet ist, diejenige, die Iipet geboren wurde,5 (nämlich) unsere Dienerin. Wir werden veranlassen, dass sie eine lange, schöne Lebenszeit verbringt, während sie [rto 15] im Haus der Musikantinnen6 des Amun ist. Wir werden veranlassen, dass Amun sie empfängt mit einem sehr schönen Empfang7 (gemeint ist, dass der Gott sie an- bzw. aufnimmt), glücklich (?)8 in Zufriedenheit des ḥꜣ.tj-Herzens.9

Wir werden sie groß werden [rto 20] lassen. Wir werden sie (sich) entwickeln lassen. Wir werden 〈sie〉 klug sein lassen.10 Wir werden sie erwachsen werden lassen.11 Wir werden bewirken (wörtl. geschehen lassen), dass man sie [rto 25] ins Haus der Musikantinnen des Amun (auf)nimmt (und zwar) wegen der Größe 〈ihrer〉 Klugheit

1 ḏd: Wenn man versucht, die dippings des Schreibers zu verfolgen, so fällt auf, dass das Wort ḏd jeweils zu Beginn der Zeilen rto 1–4 und 6 nicht in den Verlauf passt. Vielmehr erscheint es so, dass die vier ḏd-Schreibungen von oben nach unten in einem Schwung nachträglich eingetragen worden sind. Die Orakelamulette wurden zunächst mit einer Leerstelle produziert, in die ḏd erst bei Ausführung des Orakels nachgetragen wurde, sodass das Orakel dadurch quasi „validiert“ wurde. Dies ist in manchen Fällen, wie im vorliegenden Text auch, durch den Tintenfluss zu erkennen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere noch auf den Beginn von Zeile rto 6 hinzuweisen. Denn dort hat der Schreiber offenbar vergessen, für den Nachtrag von ḏd eine Lücke zu lassen, sodass beim nachträglichen Eintragen das Wort zwischen den Zeilenrand und den Beginn des folgenden Götternamens (Jmn) hineingequetscht werden musste.

2 wṯs ḫꜥ(.w): Dieses Epitheton (LGG II, 611c–612a) ist nur zwei Mal in den Oracular Amuletic Decrees belegt, und zwar jeweils für Chons im pParis Louvre E3234 (P1), rto 3 und im pLondon BM EA 10899 (C2), rto 6–7.

3 Bꜣk(.t)-wr.t: Die hier erwähnte Bakweret (RPN 1, 92 [09]) ist nicht die Orakeleigentümerin, die erst im nächsten Satz mit Filiation ausdrücklich genannt ist. Es ist schwer zu entscheiden, warum hier eine weitere Person genannt ist und in welchem Verhältnis sie zur Eigentümerin des Orakels gestanden haben könnte. Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 77 [4]) vermutet, dass sie anstelle der Eigentümerin das Orakel im Tempel entgegengenommen haben könnte. Für die Nennung einer zusätzlichen – eventuell vermittelnden Person – gibt es in den anderen Texten allerdings kein weiteres Beispiel.

4 Ns-Ḫns.w-šrj(.t)-〈Jhj〉: Die Orakelbesitzerin Mutuates wird mit zweitem Namen „Neschons, Tochter von Ihi“ genannt. Hier, in der Vorstellungsformel, hat der Schreiber den zweiten Namen allerdings nicht vollständig wiedergegeben. Nach šrj(.t) setzt er noch einen sitzenden Mann als Klassifikator, Ihi wurde ausgelassen. Am Ende des Textes (vso 3–6) ist der Name vollständig geschrieben. Dort wird Jhj mit dem sitzenden Kind (A17) klassifiziert. Der Schreiber ist also beim Abschreiben mit den Augen direkt zu dem zweiten der beiden Zeichen gesprungen und hat alles, was zwischen den beiden Zeichen steht, ausgelassen (aberratio oculi).
Der zweite Name der Orakelbesitzerin ist im Kontext der Filiationsangaben in den Oracular Amuletic Decrees ungewöhnlich. Oft wird durch die Angabe eines alternativen Namens der Form šrj(.t)-(n.t)-PN, eingeführt durch ḏd=w n=f, der Vater des/der Orakelbesitzers/in angegeben. Das ist hier allerdings nicht der Fall, denn der Name des Vaters (Jjp.t) wird in den Zeilen rto 11–12 und vso 3 explizit genannt. Interessanterweise gibt es ein anderes Orakeldekret mit einer ähnlichen Konstellation: Es handelt sich um den Papyrus Chicago OIM E25622A-D (Ch). Dort wird in der Vergessensformel (Zeile x+94–100) die Orakelbesitzerin folgendermaßen genannt: Tꜣj-bꜣkj-⸢Ḥr.j⸣ tꜣ šrj(.t) n(.t) Tjtj.y-šrj tꜣ ⸢ḏd⸣=⸢w⸣ ⸢Šrj(.t)⸣-n(.t)-Jhwj jr=sst mw.t=st [___]j „Taibakhori, die Tochter von Tetischeri, die man Scherienihi nennt, deren Mutter [...] ist“. Auch hier hat man also einen zweiten Namen Šrj.t-n(.t)-Ihi und den Namen des Vaters, der eben nicht Ihi lautet. Es mag ein Zufall sein, dass in diesen beiden Fällen jeweils der Zweitname Scherienihi belegt ist, jedenfalls ist kein Zusammenhang festzustellen, s. Edwards, HPBM 4, 77–78 [6]. Ganz generell sind solche „Rufnamen“, die durch ḏd=w n=f gekennzeichnet sind, nicht auf die Angaben von Elternteilen beschränkt, im Gegenteil: sie können ganz unterschiedlich charakterisiert sein, s. Vernus, Surnom, 84–85.

5 msi̯: Der Ausdruck msi̯ n „dem NN geboren sein“ als Anschluss für die Angabe des Vaters ist hier abgekürzt (Schrägstrich über Punkt) geschrieben. Diese Schreibung ist, anders als Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 78 [7]) vermutet, durchaus geläufig und wird bereits im Neuen Reich vor allem in Filiationsangaben benutzt, s. Wb 2, 137.9.

6 pr-ḫnj: Zur Etymologie von ḫni̯/r, s. Bryan, in: BES 4, 1982, 25–54; vgl. Naguib, Le clergé féminin, 189–191; Onstine, Role of the Chantress, 7–8.

7 šsp m šsp nfr ꜥꜣ: Vgl. pLondon BM EA 10730 (L7), x+23–24 sowie pVandier, Recto 1.12 u. 5.15: šsp tw=k Pꜣ-rꜥw n šsp [⸮nfr?] „Möge Pre dich empfangen durch einen schönen Empfang!“ und (j)m(j)-rʾ-mšꜥ [⸮Mrj-Rꜥw?] šsp [tw=k] nꜣ-(n) dwꜣ.t n šsp nfr „General [Merire], mögen die Unterweltlichen [dich] empfangen durch einen schönen Empfang“.

8 sb{p}〈q〉: Die Schreibung des Wortes ist nicht eindeutig. Der Schreiber hat hier offenbar die beiden Wörter spd „tüchtig/geschickt/gerüstet sein“ (Wb 4, 108.15–109.13; Lemma-ID 500143) und sbq „verständig/klug, glücklich/sein“ (Wb 4, 94.2–12; Lemma-ID 132120) im Sinn gehabt und die Orthographie vermischt. Während Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 78 [12]) davon ausgeht, dass hier eine fehlerhafte Schreibung von spd vorliegt, und „prepared (?)“ übersetzt, bin ich eher der Ansicht, dass hier sbq zu lesen ist. Das Wort kommt insgesamt drei Mal im Text (rto 18, 21 und 26) vor. Wenn man die drei Schreibungen im Textverlauf anschaut, so vermittelt sich der Eindruck einer Entwicklung: Beim hier zu besprechenden ersten Versuch schreibt er zunächst s-b-p, unter das p setzt er einen Punkt, den man als t oder als Buchrolle Y1 auffassen kann, danach schreibt er noch ein weiteres hohes Zeichen, das nicht mehr eindeutig zu erkennen ist. Es könnte sich um ein Schilfblatt (M17) handeln, oder vielleicht auch um ein Bein (D56), sicher ist nur ein Strich zu erkennen. Er taucht die Binse in die Tinte und ist offenbar mit dem Wort nicht zufrieden, denn er korrigiert das letzte Zeichen, indem er es mit einem Zeichen überschreibt, das mit einiger Sicherheit als stehende Mumie (A53) zu identifizieren ist.
Der zweite Beleg findet sich in Zeile rto 21–22: Am Ende von Zeile 21 schreibt er exakt das Gleiche wie in Zeile 18, doch ohne das letzte Zeichen; also s-b-p und unter dem p ein Punkt. Durch den Zeilenumbruch hat er wiederum eine Unterbrechung. Auch in diesem Fall scheint er nicht zufrieden, denn zu Beginn von Zeile 22 fügt er ein q hinzu und als Klassifikator einen schlagenden Mann (A24).
Der dritte Beleg findet sich ganz am Ende des Recto in Zeile 26. Hier schreibt er s-b-q mit einem Punkt unter dem q und fügt dann als Klassifikator die stehende Mumie (A53) hinzu. Hier sieht es so aus, als hätte er zunächst zu einem p angesetzt, aber dann die hintere Linie so angesetzt, dass der obere Teil des Zeichens geschlossen ist. Vom Tintenfluss her sieht es so aus, als hätte er den Punkt unter das Zeichen erst ganz am Schluss gesetzt, nachdem er bereits den Klassifikator geschrieben hatte.

9 sb{p}〈q〉 n mtr n(.j) ḥꜣ.tj: Die Syntax insbesondere am Ende des Satzes ist erklärungsbedürftig. Im Grunde genommen kann sbq nur als Pseudopartizip verstanden werden. Doch – wie bereits Edwards (HPBM 4, Bd. 78 [12]) ausführte – würde man im Neuägyptischen eine Einleitung des Nebenumstands durch jw erwarten. Anders als Edwards gehe ich davon aus, dass das Pseudopartizip sowie die folgende Phrase sich allerdings nur auf den Gott Amun und nicht auf die Frau (Edwards erwartet jw=s spd) beziehen kann. In diesem Zusammenhang mag eine Stelle aus pLondon BM EA 10730 (L7), x+45–46 als Parallele gelten. Hier verspricht der orakelgebende Gott, dass er dem Orakelbesitzer die Aufnahme in die Armee eines Pharao Osorkon ermöglichen wird. Des Weiteren verspricht er ihm eine Vielzahl an Nachkommen. Etwas später im Text gibt der orakelgebende Gott die Zusage, dafür zu sorgen, dass das Herz des Pharao mit jeder Arbeit dieser Kinder zufrieden sein wird (mtr ḥꜣ.tj). Die Konstellation ist ähnlich wie im vorliegenden Text. Dem/r Besitzer/in wird die Aufnahme in eine Berufsgruppe versprochen und die Zufriedenheit der jeweils für diese Gruppe zuständigen Instanz (Armee – Pharao; Tempeldienst – Gott). Der Begriff mtr ḥꜣ.tj ist als Ausdruck der Zufriedenheit auch aus juristischen bzw. ökonomischen Kontexten bekannt, dort insbesondere als Ausdruck der Zufriedenheit mit einem Preis für veräußerte Waren, s. Ritner, in: Acts of the 7th Intern. Conf. of Dem. Studies, 347. Im weiteren Verlauf des hier vorliegenden Textes ist diese Formulierung auch in Zeile vso 3–7 noch einmal belegt. Dort versprechen die Götter, dass sie die Zufriedenheit der Eltern der Orakelbesitzerin bewirken würden.

10 rḏi̯ jri̯=〈st〉 sb{pt}q: Ähnlich wie im Versprechen in Z. rto 13–15, das der Orakelbesitzerin ein langes Leben gewährt, wird hier die Aussage periphrastisch konstruiert. Dies findet Parallelen in vergleichbaren Versprechen im pLondon BM EA 10321 (L5), rto 32–33: rḏi̯ jri̯=f spd mit spd „tüchtig sein“ (Wb 4, 108.15–109.13) sowie im pLondon BM EA 10730 (L7), x+43–44: rḏi̯ jri̯=w sbq mit sbq „verständig/klug sein“ (Wb 4, 94.2–12).

11 jri̯ rmṯ: „The process of bringing a child up into an adult was referred to by expressions such as sḫpr and jri̯(.t) (r) rmṯ in literary contexts as well as in the non-literary texts of Deir-el-Medina, when referring to both boys and/or girls“, Toivari-Viitala, Women at Deir el-Medina, 192; vgl. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 78 [16]. Bemerkenswert ist, dass an dieser Stelle rmṯ nur mit dem sitzenden Mann (A1) aber mit doppelten Pluralstrichen klassifiziert ist. Das scheint für diesen Text die Standard-Schreibung für dieses Wort darzustellen, s. Zeilen Verso 12 und 14.

Verso1

[vso 1] in (?) jeder guten Sache (und) 〈jeder〉 guten Angelegenheit.

Wir werden veranlassen, dass das Herz von Iipet, 〈dem Vater von〉 Neschons-scheriihi, (und das von) [vso 5] Taschepetbastet zufrieden ist mit ihr (d.h. mit Mutuates genannt Neschons-Scheriihi) in jeder guten Sache (und) jeder guten Angelegenheit. Wir werden veranlassen, dass ihre Freunde (?) (und) ihre Vorderen (?) leben.2

[vso 10] Wir werden sie bewahren vor jedem Tod, jeder Krankheit (und) jeglichen Schmerzen, die gegen Menschen (vor)kommen. Wir werden sie Vieh, Geflügel (und) Menschen besitzen lassen. Wir werden [vso 15] unser sehr großes (und) erhabenes Orakel als Körperschutz geben täglich, täglich. Frau (?)3 des Amun, die Amme Mutua[tutes] [...].

1 Verso: Dieser Text ist einer von zweien (vgl. pHannover 1976-60c (Ha)) im gesamten Korpus, bei denen der Schreiber offenbar mitten im Satz auf die Verso-Seite gewechselt ist, denn der Text auf dem Verso beginnt mit n md.t nb nfr ꜥš-sḥn nfr, also deutlich mit einem Satzteil, der an den vorausgehenden Satz angeschlossen sein muss. Allerdings hat der Schreiber am Ende der letzten Zeile etwas Raum gelassen, wo er gut das n noch hätte platzieren können, aber vor allem auch noch ein Personalpronomen, was man inhaltlich nach sbq vermisst. Es könnte also sein, dass der Schreiber durch das Wenden des Blattes etwas durcheinandergekommen sein könnte, was auch Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 78 [17]) bereits vermutet hatte. Es gibt ein Versprechen, in dem md.t und š-sḥn in passender Weise genannt sind: jw=j (r) jri̯ n=f md.t nb(.t) nfr(.t) [ꜥš]-sḥn nb nfr „Ich werde für ihn jede gute Sache (und) jedes gute Schicksal bereiten.“ (pCleveland CMA 14.723 (CMA), 29–30) Ein ähnliches Versprechen findet sich ebenfalls im pLondon BM EA 10083 (L1), rto 74–76.

2 nꜣy=st ḫnm.w nꜣy=st ḫnt(.w): Edwards interpretiert die beiden Wörter als ungewöhnliche Schreibungen von ḫnm.t „Amme“ (Wb 3, 293.11–13) und ḫnr.wt „Musikantinnen“ (Wb 3, 307) und übersetzt entsprechend: „her (fellow)-ḫnm.wt and her (fellow)women of the harem“. Ich möchte die Stelle eher etwas allgemeiner fassen und die Wörter ḫnm „Freund“ (Wb 3, 292.15) und ḫnt.j „Vorderer/Erster“ (hier im Sinne von Vorhergehenden, d.h. Vorfahren/Angehörigen) zugrundelegen, weil mir dann die Benutzung der Possessivartikel sinnvoller erscheint.

3 ⸮z(.t)-ḥm.(t)? Jmn: Zu Beginn der Zeile ist einigermaßen deutlich ein Riegel-s (O34) über dem mit Wasser gefüllten Brunnen (N41) zu sehen. Allerdings ist weder eine t-Endung noch ein Klassifikator geschrieben, s. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 79 [27]. Dennoch ist es schwierig, für die beiden Zeichen eine andere Lesung zu finden. Auf den Fotos sind weder vor dieser Adresszeile noch danach weitere Zeichenreste auszumachen. Ein Titel z.t-ḥm.t Jmn ist m.W. unbekannt und der Titel ḥm.t-nṯr ist aufgrund der Schreibung sowie auch in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei der Orakelbesitzerin Mutuatutes höchstwahrscheinlich um ein (junges) Mädchen handelt, wohl auszuschließen. Möglicherweise ist dem Schreiber ein Fehler unterlaufen.