Oracular Amuletic Decree H40 (Papyrus IFAO H40)
Übersetzung und Kommentar
Oracular Amuletic Decree H 40 (Papyrus IFAO H 40)
Platzierung: Zu dem Papyrus gehören neben den zwei Hauptfragmenten und vier sehr kleinen Fragmenten mit nur wenigen erhaltenen Zeichen auch noch ein weiteres Fragment, auf dem sich bei (nach Foto) annähernd vollständig erhaltener Breite Reste von vier Zeilen befinden. Alle Fragmente wurden in einem Rahmen zusammengestellt. In der Publikation des Textes von Koenig (in: BIFAO 118, 2018, 233–239) wurden nur die beiden Hauptfragmente, die Koenig als „A“ und „B“ bezeichnet hat, berücksichtigt. Im Rahmen wurde das dritte Fragment oberhalb von Fragment A positioniert. Tatsächlich ist diese Position aber durch keine Argumente abgesichert. Bei den beiden Hauptfragmenten ist der Papyrus deutlich dunkler als bei dem kleineren Fragment, aber das könnte auch sekundär durch unterschiedliche Lagerung bedingt sein. Der Beginn des Textes und damit die Einleitungsformel, die die orakelgebenden Götter sowie den Amulett-Besitzer vorstellt, hat sich nicht erhalten, so dass auch der Text keine Anhaltspunkte auf die Platzierung bietet. Die Platzierung zu Beginn des Textes behalte ich lediglich aus pragmatischen Gründen. Das von Koenig „A“ genannte Fragment wird im Folgenden als „A2“ bezeichnet, das hier beschriebene Fragment als „A1“.
Fragment A1
[A1, x+1] [...] Wir werden [...] ⸢Wir werden⸣ [sie zu jeder Zeit]1 [A1, x+4] ersetzen (= jemand anderen an seiner Stelle ausliefern) lassen. [...]2
1 [zu jeder Zeit] ([⸮m ꜣ.t nb.t?]): Ergänzung nach Papyrus New York MMA 10.53 (NY), rto 36.
2 Rest der Zeile verloren sowie Text von unbekannter Länge verloren.
Fragment A2
[A2, x+1] [...Wir werden] ⸢sie⸣ vor [jedem bösen] Blick (wörtl. Auge) [bewahren]1 (und) jedem [bösen Sicht]omen eines jeden Mannes (und) jeder Frau aus jedem Land (und) jedem Fremdland. Wir werden {{nicht}} zulassen, [A2, x+5] dass sie (jeder böse Blick und jedes böse Sichtomen) jemals (wörtl. wieder und wieder/immer wieder)2 Macht über sie haben werden.
⸢(In göttlicher Weise) haben die⸣ großen ⸢Götter⸣ gesprochen3, die Ältesten, als diejenigen, die zuerst entstanden sind4: Wir werden den Leib von Neschons öffnen5 ⸢der Tochter⸣ [von] [...]-Chons (und) ⸢der Tochter⸣ von [A2, x+10] Chons-[...]6, uns⸢erer Dien⸣erin. Wir werden sie männliche und weibliche Kinder gebären lassen für Mechdjerethati (?)7, den Sohn von Padiumaat, Sohn von Nestanebetischeru.
[A2, x+15] Wir werden sie vor Verwüstung8 bewahren, vor Beraubung9, jeder schlimmen Krankheit (und) vor jeder schwierigen Geburt. Wir werden sie leben lassen. Wir werden sie [...] ⸢lassen⸣, indem sie den [...] gebiert. [Wir] werden [A2, x+20] sie vor 〈den〉 Göttern [...] beschützen [...].
1 [Wir werden] ⸢sie⸣ [bewahren] ([jw]=[nn] (r) [šdi̯]=⸢st⸣): Ergänzung des ersten Teils des Satzes nach pTurin Cat. 1984 (T2), vso 89–91, s. Koenig, in BIFAO 118, 2018, 235 u. 239. Anders als Koenig möchte ich in der Gruppe direkt vor dem Auge r über t erkennen, vgl. die gleiche Gruppe (=st r) in Zeile A2, x+15. Auf dem Foto (ebd., 238) sieht man noch ein kleines Fragment, das schräg über den ersten beiden Zeilen liegt. Koenig hat es nicht berücksichtigt, so dass davon auszugehen ist, dass es eigentlich zu den nicht platzierten Stücken gehören dürfte, die oberhalb von Fragment A angeordnet sind. Die Erweiterung durch n ꜥḥꜣ.w nb sḥm.t nb.t n(.j) tꜣ nb ḫꜣs.t nb.t ist für diesen Spruch ohne Parallele.
2 jemals (wörtl. wieder und wieder/immer wieder) (ꜥn ⸢⸮zp-2?⸣): Ergänzung nach pChicago ISACM E25622A-D, x+37–39. Zu Beginn von Zeile A2, x+6 sieht man noch den Rest eines schrägen Abstrichs nach links, der sich gut mit Schreibungen von zp-2 verbinden lässt, siehe z.B. pNew York MMA 10.53 (NY), rto 42 u. 47 oder pLondon BM EA 10730 (L7), x+64 u. x+72.
3 (In göttlicher Weise) gesprochen (⸢⸮ḏd?⸣): Es ist nicht ungewöhnlich, dass dieses Formular, das standardmäßig den Beginn des Textes darstellt, im weiteren Verlauf des Textes wiederholt werden kann (s. Grams, in: SAK 46, 2017, 59). Dass der folgende Spruch den Namen der Orakelbesitzerin angibt, passt ebenfalls zu einer Wiederholung der einführenden Sprüche.
4 diejenigen, die zuerst entstanden sind (n šꜣꜥ(,w)-ḫpr): Zu verschiedenen Varianten des Epithetons s. Edwards, in: JEA 41, 1955, 97; Parker, in: JEA 42, 1965, 122.
5 den Leib öffnen (wn ẖ.t): Ein ähnliches Versprechen findet sich im pLondon BM EA 10730 (L7), x+38–41 (Koenig, in: BIFAO 118, 2018, 236 [14]); dort allerdings in einer Variante, die für einen männlichen Amulettbesitzer formuliert wurde: jw=j (r) wn ẖ.t nꜣy=f ḥbs.w(t) j msi̯(.t) (x+40) ẖrd ꜥḥꜣ(.wtj) ẖrd ḥm.t m mw pri̯ m ḥꜥ.t.ṱ=f „Ich werde den Bauch seiner Frauen fruchtbar machen (wörtl. öffnen), (x+40) um männliche Kinder (und) weibliche Kinder zu gebären, aus dem Samen, der aus seinem Leib herausgekommen ist.“, siehe Blöbaum, in: TLA Satz-ID ICIAh8Q6Kodc4USiveggzxHCJ2I. Das „Öffnen des Leibs“ wn ẖ.t ist als Ausdruck für die Geburt zu verstehen, vgl. Ritner, in: JNES 43, 1984, 214–221.
6 ⸢der Tochter⸣ [von] [...]-Chons (und) ⸢der Tochter⸣ von Chons-[...] (⸢⸮tꜣ šrj.t?⸣ [⸮n.t?] ___-Ḫnsw ⸢tꜣ šrj(.t)⸣ n(.t) ⸢⸮Ḫnsw?-___): Meiner Meinung sind in den Zeilen A2, x+9 bis x+10 die Eltern von Neschons, der Amulettbesitzerin genannt. Am Ende von Zeile x+9 ist recht deutlich das sitzende Kind (A17) über einer Wasserlinie (N35) zu erkennen. Davor kann man Ḫnsw gefolgt von einem sitzenden Mann (A1) lesen. Somit haben wir hiermit das Ende des Namens vom Vater. Zu Beginn von Zeile x+9 wäre demnach ebenfalls tꜣ šrj.t n.t zu ergänzen. Die Zeichenreste sind unspezifisch, würden aber zu den Zeichen passen. In den Zeichenresten zu Beginn von Zeile x+10 erkenne ich ebenfalls Ḫnsw. Was darauf folgt verstehe ich nicht, aber am Ende würde ich einen Mann mit der Hand am Mund (A2) vermuten, gefolgt von der sitzenden Frau (B2) als Klassifikator für den Namen der Mutter. Das Zeichen sieht zwar etwas anders aus als der Klassifikator bei Neschons in Zeile x+8, kann aber ohne Schwierigkeiten als B2 identifiziert werden.
7 für Mechdjerethati (?) (n mḥ ḏr.t ḥꜣ.tj): Dieses Versprechen ist schwer zu verstehen. Koenig (in: BIFAO 118, 2018, 236) fasst n mḥ ḏr.t ḥꜣ.tj als parallele Aussage zum vorhergehenden Satz auf („nous remplirons la main comme le cœur (de) cet enfant de ...“) Das ist grammatikalisch nicht möglich. Die Phrase mḥ ḏr.t ḥꜣ.tj wird durch n bzw. m angeschlossen. Ich vermute, dass hier der Vater der ungeborenen Kinder genannt ist. In dem Zeichen nach ḥꜣ.tj, das Koenig (in: BIFAO 118, 2018, 239) als Fleischstück (F51) deutet, erkenne ich ziemlich deutlich einen sitzenden Mann (A1). Insofern möchte ich Mḥ-ḏr.t-ḥꜣ.tj als Namen dieses Mannes deuten, gefolgt von der Filiation „Sohn von Padiumaat (und) Sohn von Nestanebetischeru“. Parallelen zu einem solchen Namen kann ich nicht anführen; eine ähnliche Bildungsweise liegt in Namen wie Mḥ-jb-GN (RPN I 163.15–17) und Mḥ-ꜥ.w (RPN II 292.03) vor. Durch diese Deutung ergibt sich ein schöner Sinn, wobei im vorausgehenden Versprechen Neschons als Mutter der erhofften Kinder genannt ist und nun hier ganz parallel der Vater.
8 Verwüstung (wgpw): Das Verb wgp „zerstoßen, zerstören, zerbrechen“ kommt in den Oracular Amuletic Decrees sonst regelmäßig in der Verbindung wgp n.j qrj „die Verwüstung/Zerstörung eines Unwetters“ vor (pBerlin ÄMP 10462 (B), x+1–3; pLondon BM EA 10083 (L1), rto x+7–9; pLondon BM EA 10308 (L3), A x+4–6; pLouvre E 25354 (P3), x+25–27; pTurin Cat. 1983 (T1), rto 97–99 und pTurin 1985 (T3), rto 37–38). Die Sprüche sind in der Regel zweiteilig und nennen im ersten Teil das „Einstürzen einer Mauer/eines Hauses“. Hier im vorliegenden Text wird der Begriff in einem anderen Kontext benutzt: Hier steht wgp allein als erstes Element zu Beginn einer vierteiligen Aufzählung von allgemeinem Unglück über Krankheit bis hin zu einer Risikogeburt. Da der Text zum Schutz einer schwangeren Frau konzipiert wurde, ist es naheliegend, dass die Themen rund um Schwangerschaft und Geburt dominieren und bekannte Sprüche dahingehend ergänzt oder umformuliert worden sein dürften.
9 Beraubung (ḥftw): Der Begriff ḥftw in diesem Versprechen ist uneindeutig. Das Zeichen unterhalb der Viper (I9) ist gut und deutlich geschrieben. Doch der Schreiber hält die Zeichen r (D21) und t (X1) paläographisch nicht auseinander, wie man an der zweimal in der gleichen Zeile vorkommenden Präposition r und an den Schreibungen von t in jr.t „Auge“ in den Zeilen A2, x+1 und A2, x+13 sehr gut sehen kann. Koenig gibt in der hieroglyphischen Transliteration des Textes ein r (D21) an (in: BIFAO 118, 2018, 239), transkribiert das Wort jedoch ḥfd (in: BIFAO 118, 2018, 235) und plädiert für eine Übersetzung „tremblement“ nach Wb 3, 75.14: ḥfḏ (Lemma-ID 104580). Der Schreiber scheint aber das Zeichen „Hand“ (d: D46), wenn es allein, also nicht in einer Ligatur steht, ohne Abstrich nach unten zu schreiben, vgl. die Zeilen A2, x+15 sowie B, x+16. Daher halte ich die Lesung ḥfd für die am wenigsten wahrscheinliche. Eine Lesung ḥfr gibt allerdings keinen Sinn, so dass ich für ḥft plädiere. Demotisches ḥft „wegreißen“ (siehe: pKrall 5, XXIII, 6–7 u. 21–22: Satz-ID IBUBdz4f1Cj2R030jIQ5IkLeF3g; Satz-ID IBUBd7Xmo8F050f7nxNUncilWSE) geht auf ḥwtf „rauben“ (Wb 3, 56.17–57.3; Lemma-ID 103270) zurück, was im Zusammenhang mit dem ersten Element „Verwüstung“ inhaltlich ganz gut zusammenpasst.
Fragment B
[...] [B, x+1] [...] ? des [...] ? vor (?) [...] einer Geburt [...] vor einer Geburt eines (durch die Nabelschnur ?) gebundenen (?) (Fötus), (und) vor einer Geburt von Zwillingen, wenn einer wütet.1 [B, x+5] ⸢Wir⸣ werden Amun zu ihr bringen zu ihrer Zeit der Geburt.2 Wir werden Nechbet zur ihr bringen als Schutz des Amun.3
Wir werden sie bereichern.4 Wir werden [B, x+10] sie ausstatten.5 Wir werden für sie jede gute Angelegenheit restlos gut machen (wörtl. zu etwas Gutem machen, ohne dass ein Rest dabei bleibt).6 Wir werden sie vor jeder schlechten Angelegenheit [B, x+15] restlos fernhalten lassen (wörtl. ohne dass es einen Rest gäbe).7
Es wurde gemacht nach dem was von den großen Göttern (in göttlicher Weise) gesagt wurde, den Großen, die zuerst entstanden sind.
1 Dieses Versprechen ist leider nicht komplett erhalten. Es handelt sich ganz offensichtlich um Beschreibungen risikoreicher Geburtsszenarien, vor denen die Amulettbesitzerin von den Göttern beschützt werden soll. Vergleichbar ist ein Versprechen aus dem pTurin Cat. 1984 (T2), rto 113–115: jw=n (r) šdi̯=st r msw(.t) Ḥr.w r msw(.t) ḏꜣ.t r msw(.t) ḥtrj „Wir werden sie vor einer Horus-Geburt (= Frühgeburt?) schützen, vor einer Fehl-/Risikogeburt (?) (und) vor einer Zwillingsgeburt.“ (Blöbaum, in: TLA Satz-ID ICEBE65stGN6CEr9kefuZRc1KF4). Im hier vorliegenden Fall ist der Beginn des Satzes verloren, aber vermutlich ist auch hier eine Formulierung wie jw=nn (r) šdi̯=st r zu erwarten. Die Bezeichnungen der Geburtsszenarien sind anders und der zweite Bestandteil vom ersten Element ist leider nicht erhalten.
Das zweite Element ist schwer zu verstehen. Das Verb qnb bedeutet „binden, bändigen“ (Wb 5, 53.1–4; Lemma-ID 161330). Koenig (in: BIFAO 118, 2018, 236 [21]) verweist darauf, dass mit qnb inhaltlich das Gegenteil von sfḫ „lösen“ (Wb 4, 116.2–117.5; Lemma-ID 133780) ausgedrückt ist, das oft im Zusammenhang mit dem Einleiten einer Geburt verbunden ist, s. Arnette, in: CENIM 10, 2015, 19–21). Er vermutet hier also einen Ausdruck, der das Stagnieren einer Geburt o.ä. ausdrückt und übersetzt: „naissance nouée“ (verknotete Geburt). Ich bin der Meinung, dass hier ebenso wie im folgenden Element das Zeichen nach ms als n, also Genitiv, zu deuten ist, und würde den folgenden Begriff parallel zum folgenden als Bezeichnung des Fötus auffassen. Ich würde hier inhaltlich ganz wörtlich bleiben und vermuten, dass es sich um eine Geburt handeln könnte, bei der der Fötus durch die Nabelschnur gefährlich eingeschnürt ist. Die Situation, dass die Nabelschnur sich beispielsweise um den Hals des Kindes legen und es so unter der Geburt zu einem Sauerstoffmangel kommen kann, ist eine gefährliche Situation, durch die das Kind Schaden oder Tod erleiden kann. Es fällt auf, dass die Zwillingsgeburt auch hier an letzter Stelle genannt ist, und das Risiko noch präziser beschrieben wird durch ḫꜥr wꜥ „wenn einer wütet“. Diese Stelle könnte auf äußere Einflüsse hindeuten, die eine Zwillingsgeburt gefährden könnten, oder aber generell auf die Gefahr, dass einer der beiden Zwillinge die Geburt nicht überstehen könnte, s. Arnette, in BIFAO 117, 2020, 48–49.
2 Vgl. Papyrus London BM EA 10083 (L1), vso x+46–47: Blöbaum, in: TLA Satz-ID IBkCgWTSfFrZpkPsgWTMz9V1RD4 und Papyrus Turin Cat. 1984 (T2), rto 11–112: Blöbaum, in: TLA Satz-ID ICEBExMqTldsQ0L5vVlM7w5Cb8o), siehe auch Koenig, in BIFAO 118, 2018, 236–237 [23].
3 Vgl. Papyrus London BM EA 10083 (L1), vso x+48–50: Blöbaum, in: TLA (Satz-ID IBkCgxEwMa5z6EGHuqyto16oIhA) als nächste Parallele des Versprechens sowie hinsichtlich der Schreibung {Rsj}〈Nḫ〉b.t der Göttin Nechbet, siehe auch Koenig, in: BIFAO 118, 2018, 236–237 [23].
4 Vgl. Papyrus Turin Cat. 1985 (T3), rto 90–91: Blöbaum, in: TLA (Satz-ID ICEDACZ0rm8DoEf5pSlkLShnCuE); Koenig, in: BIFAO 118, 2018, 237 [25].
5 Vgl. Papyrus Turin Cat. 1985 (T3), rto 91–92: Blöbaum, in: TLA (Satz-ID ICEDAJky3a0IX0kEmWF4C6AJcGw); Koenig, in: BIFAO 118, 2018, 237 [25].
6 Dieses Versprechen ist so oder ähnlich in drei weiteren Oracular Amuletic Decrees belegt: Papyrus Berlin ÄMP 3059 (B2), rto 52–54; Papyrus Louvre E 8083 (P2), rto 30–32; Papyrus Turin Cat. 1983 (T1), rto 35–36.
7 Ein ähnliches Versprechen findet sich im Papyrus Berlin ÄMP 3059 (B2), rto 54–55.
