Oracular Amuletic Decree H40 (Papyrus IFAO H40)

Metadaten

Wissensbereiche
Alternative Namen
OAD H40
Aufbewahrungsort
Afrika » Ägypten » Kairo » Institut Français d'Archéologie Orientale
Erwerbsgeschichte

Der Papyrus (drei größere Fragmente sowie vier kleine Fragmente) befindet sich in einem Glasrahmen im Institut français d‘archéologie orientale. Über die Herkunft oder genauere Fundumstände ist nichts publiziert (Koenig 2018, 233–234).

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben

Edwards (1960, xiii) geht bei den Oracular Amuletic Decrees generell von einer Herkunft aus Theben aus, die er vor allem an den in den Texten genannten Göttern festmacht. Da der Beginn dieses Textes sich allerdings nicht sehr gut erhalten hat, lassen sich keine genaueren Angaben über die Götter machen.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 21. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 22.–23. Dynastie

Edwards (1960, xiii–xiv) geht von einer Datierung des gesamten Korpus der Amulettpapyri mit Orakeldekreten in die 22./23. Dynastie aus. Ein einziger Text (L7: pBM EA 10730) liefert einen Hinweis auf die Datierung, denn er ist für einen Prinzen und zukünftigen General in der Armee eines Königs Osorkon geschrieben, bei dem es sich nach Edwards (1960a, xiv) und Ritner (2009, 74) vermutlich um Osorkon I. handeln dürfte, während Jacquet-Gordon (1963, 32; 1979, 175, Anm. 5) und ihr folgend Verhoeven (2001, 13) von Osorkon II. ausgehen. Diese Datierung basiert auf Textparallelen im Text auf einer Statue aus Tanis (Kairo CG 1040 + CG 881 + Philadelphia E 16159: s. Jacquet-Gordon, 1960, 23), die ursprünglich für Sethos I. angefertigt und für Osorkon II. wiederverwendet und neu beschriftet wurde (Sourouzian 2010, 97–105). Der Text L7 wäre also in die 22. Dynastie, oder für den Fall, dass es sich ungeachtet der Parallelen doch um einen späteren Osorkon handeln würde, spätestens in die 23. Dynastie zu datieren. Nach Koenig (1987, 31) ist aufgrund der Paläographie sowie spezifischer Schreibungen mindestens für einen Teil der Texte, den hier bearbeiteten jedoch nicht miteingeschlossen, eine Datierung in die 21. Dynastie anzunehmen.

Textsorte
Oracular Amuletic Decree
Inhalt

Die orakelgebenden Gottheiten versprechen der Besitzerin des Amuletts, Neschons, deren Mutter [...]-Chons und deren Vater Chons-[...] sind, Schutz vor unterschiedlichen Gefahren und Bedrohungen sowie die Gesunderhaltung ihres Körpers. Die Namen der orakelgebenden Götter haben sich nicht erhalten, jedoch ist sicher, dass es sich um eine Gruppe von Göttern handeln muss. Ein Schwerpunkt in den erhaltenen Fragmenten des Papyrus liegt im Bereich Fruchtbarkeit und Geburtshilfe, vor allem auf dem Schutz vor schwierigen Geburtssituationen. Da sich nicht der gesamte Text erhalten hat, können wir nicht sicher sein, ob dies das Hauptthema war, oder ob es sich – ähnlich wie im Text Turin Cat. 1983 (T1) – um nur einen Aspekt im Rahmen der Gesunderhaltung des Körpers und dem Schutz vor Unfällen und Krankheiten handelt.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Amulettpapyri wie der hier vorliegende Text wurden aufgerollt in einem kleinen Behälter, der aus Leder, Holz oder Metall gearbeitet sein konnte (vgl. Ray 1972, 151–153; Bourriau/Ray 1975, 257–258), um den Hals getragen und dienten somit als Apotropaion (vgl. hierzu Roß 2019, 40–44). Die Amulette wurden vermutlich in erster Linie für Kinder hergestellt (vgl. Roß 2019, 26–36; Adderley 2015, 193; Edwards 1960, xvi), wobei es Hinweise darauf gibt, dass es sich um Säuglinge oder sehr junge Kindern gehandelt haben könnte (Roß, ebd.). Wilfong (2013, 295–300) geht davon aus, dass die Länge des beschrifteten Papyrusstreifens mit der Größe des Kindes korreliert werden kann. Mittlerweile ist auch ein Orakeldekret für eine schwangere Frau belegt (pIFAO H40: Koenig 2018, 233–239), doch ist der Text leider nur fragmentarisch erhalten, so dass keine Rückschlüsse auf die ursprüngliche Länge des Dokumentes erzielt werden können.

Die Texte sind generell als Götterrede konzipiert, die durch die Phrase „Göttername + ḏd“ eingeleitet werden. Im Text L1 (pBM EA 10083) ist an den Stellen, wo man ḏd „sagen“ erwartet, jeweils etwas Platz frei gelassen. Edwards (1960a, xvii) geht davon aus, dass die Lücken erst, nachdem der Papyrus den Göttern vorgelegt worden ist, ausgefüllt wurden, und erst durch diesen Akt die Wirksamkeit gewährleistet war. Somit wäre der Text L1 niemals wirksam gemacht worden und folglich wohl auch nicht getragen worden. Die Tatsache, dass uns für die gleiche Besitzerin mit dem Papyrus Turin Cat. 1984 (OAD, T2) ein weiterer Papyrus vorliegt, in dem sich keine Lücken befinden, eine entsprechende „Validierung“ also stattgefunden haben muss, unterstützt diese These. Aus welchen Gründen der Text L1 (pBM EA 10083) offenbar ausgemustert wurde, ist allerdings unklar.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schreibblatt
Technische Daten

Der Papyrus ist nicht sehr gut erhalten. Zwei größere Fragmente sowie ein etwas kleineres und vier sehr kleine Fragmente wurden zusammen unter Glas arrangiert, wobei die kleineren Fragmente nicht platziert wurden. Der Papyrus ist 6 cm breit. Die ursprüngliche Länge lässt sich nicht mehr feststellen, die beiden größeren Fragmente messen 24 und 18 cm in der Länge (Koenig 2018, 234). Der Anfang des Textes hat sich nicht erhalten, jedoch findet sich eine Schlussformel unten auf dem Fragment B, so dass man davon ausgehen kann, dass sich hiermit das Ende des Textes erhalten haben dürfte. Dies ist auch der entscheidende Hinweis für die Reihenfolge der beiden größeren Fragmente.

Der Papyrus ist in der Hauptsache auf der Seite beschrieben, bei der die Fasern vertikal verlaufen (Recto). Auf der Rückseite sind schwache Spuren von Schrift erkennbar aber kaum lesbar. Die Zeichen wirken seitenverkehrt, so dass davon auszugehen ist, dass sich durch das Einrollen des Papyrus Schrift vom Recto auf dem Verso abgedrückt hat. Die Zeilen stimmen nicht mit denen auf dem Verso überein, also ist es nicht so, dass auf dem Verso Schrift vom Recto durchscheint.

Es mag zunächst etwas irritieren, dass die Seite des Textes als „Verso“ bezeichnet wird, bei der die horizontalen Fasern oben liegen. Die Oracular Amuletic Decrees sind generell auf sehr schmalen und zum Teil enorm langen Papyrusstreifen notiert worden. Wie haben die Schreiber diese Streifen hergestellt? Die einfachste Methode ist die, einen schmalen Streifen von einer bereits vorbereiteten Rolle abzuschneiden. Edwards hat bei einer Untersuchung der Klebungen Hinweise auf genau dieses Vorgehen festgestellt (Edwards 1960a, xii). So konnte er bei einer Reihe von Texten, Klebungen in regelmäßigen Abständen feststellen, die auf eine vorgefertigte Rolle hindeuten. Allerdings erwähnt er auch, dass es Texte gibt, die unregelmäßige Abstände bei den Klebungen aufweisen bzw. aufzuweisen scheinen (ebd.). Daraus zieht er den Schluss, dass es für die Herstellung der OAD keine festgelegte Methode gab, sondern die Schreiber vielmehr das Material verwendeten, das sie gerade zur Hand hatten; seien es Abschnitte einer Rolle, oder anderweitige Streifen, bzw. eine Kombination aus beidem. Als Beispiel eines zusammengestückelten Papyrus führt er insbesondere Papyrus London BM EA 10320 (L4) an (ebd.). Dieser Papyrus beginnt mit einem Stück auf dem neun Zeilen des Textes erhalten sind, bei dem aber die horizontalen Fasern oben liegen Dieses Stück ist an den Streifen mit vertikalen Fasern angeklebt (Edwards 1960a, 27). Genau diesen Papyrus möchte ich allerdings als wichtigen Hinweis dafür benennen, dass die Schreiber in der Regel einen schmalen Streifen von einer vorbereiteten Rolle abgeschnitten haben. Das kurze Stück mit dem anderen Faserverlauf ist doch zweifelsfrei ein sog. Schutzblatt bzw. „protocollon“ zu Beginn einer Papyrusrolle (vgl. Turner 1978, 28–29), das in diesem Fall entgegen der allgemeinen Praxis ebenfalls beschriftet wurde. Die Klebung zeigt zudem deutlich an, dass es sich um das Recto der betreffenden Rolle handeln muss (An dieser Stelle möchte ich Nadine Quenouille für ihre papyrologische Expertise und Einschätzung sehr herzlich danken). Der Schreiber hat also den Streifen von einer neuen Rolle abgeschnitten und dann zur Beschriftung um 90 Grad gedreht. Es handelt sich also papyrologisch um eine „transversa carta“ (Turner 1978, 29; Bülow-Jacobson 2009, 21–22), ähnlich wie es bei spätramessidischen Briefen zu beobachten ist (Edwards 1960a, xii [7] mit Verweis auf Černý 1939, xvii-xx).

Schrift
Hieratisch

Der Text ist in einem gut lesbarem Späthieratisch geschrieben, s. Edwards 1960a, xiv, 1; vgl. Verhoeven 2001, 13.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch

Die im Text verwendete Sprache ist nach Orthographie und Grammatik eindeutig dem Neuägyptischen zuzuordnen. Indizien sind z.B. die Schreibung der Suffixpronomen sowie der Gebrauch des Possessivartikels oder der Periphrase mit jri̯. Zudem ist im Futur III die Präposition r nicht geschrieben, vgl. zur Morphologie der Verben in den OAD die zitierten Beispiele bei Winand (1992, 536–537).

Bearbeitungsgeschichte

Im Jahr 1960 legte Edwards die editio princeps von insgesamt 21 Papyri vor (Edwards 1960a+b). Er bezeichnete die Textgruppe als „Oracular Amuletic Decrees“ (OAD). Dieser Text wurde nicht in die Edition von Edwards aufgenommen. Der Text wurde von Yvan Koenig 2018 mit in einem Artikel im Bulletin de l’institut français d’archéologie orientale (Band 118) erstmals publiziert (Koenig 2018).

Verschiedene Studien widmeten sich dem Korpus der Oracular Amuletic Decrees unter diversen Gesichtspunkten, wobei Textsegmente der gesamten Gruppe bearbeitet und zitiert werden, s. Lucarelli 2009, 231–239; Wilfong 2013, 295–300; Austin 2014, 39–41; Adderley 2015, 191–227; Grams 2017, 55–100; Roß 2019.

Editionen

- Koenig 2018: Un nouveau décret amulettique oraculaire. Pap. IFAO H 40. In: BIFAO 118, 2018, 233–239.

Literatur zu den Metadaten

- Adderley 2015: N. J. Adderley, Personal Religion in the Libyan Period in Egypt (Saarbrücken 2015), 191–218.

- Austin 2014: A. Austin, Contending with Illness in Ancient Egypt (Los Angeles 2014) (24.10.2019).

- Bourriau/Ray 1975: J. D. Bourriau/J. Ray, Two Further Decree-Cases of ŠꜢḳ, in: Journal of Egyptian Archaeology 61, 1975, 257–258.

- Bülow-Jacobson 2009: A. Bülow-Jacobson, Writing Materials in the Ancient Word, in: R. S. Bagnall, The Oxford Handbook of Papyrology (Oxford 2009), 3–29.

- Burkard/Fischer-Elfert 1994: G. Burkard/H.-W. Fischer-Elfert. Ägyptische Handschriften. Teil 4. VOHD XIX.4. Stuttgart 1994.

- Černý 1939: J. Černý, Late Ramesside Letters, Bibliotheca Aegyptiaca IV (Brüssel 1939), xvii–xx.

- Coulon 2018: L. Coulon. Rez. Fischer-Elfert. Magika Hieratika, in: Orientalistische Literaturzeitung (OLZ) 113, 2018, 116–119.

- Edwards 1960a: I. E. S. Edwards, Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series. Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom. I. Text (London 1960), 49–51.

- Edwards 1960b: I. E. S. Edwards, Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series. Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom. II. Plates (London 1960), Taf. 16–17.

- Fischer-Elfert 2009: H.-W. Fischer-Elfert, So genanntes Orakeldekret zugunsten eines Mädchens namens Tadimonthu. In: M. Fansa [Hrsg.]. Ex Oriente Lux? Wege zur neuzeitlichen Wissenschaft. Ausstellungskatalog/Im Augusteum Oldenburg. Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Technik 70 (Mainz 2009), 325–326 [I.12].

- Fischer-Elfert 2015: H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München. Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin 2015).

- Grams 2017: A. Grams, Der Gefahrenkatalog in den Oracular Amuletic Decrees, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 46, 2017, 55–100.

- Jacquet-Gordon 1960: H. H. Jacquet-Gordon, The Inscription on the Philadelphia-Cairo Statue of Osorkon II, in: JEA 46, 1960, 12–23.

- Jacquet-Gordon 1963: H. J. Jacquet-Gordon, [Review:] I. E. S. Edwards, Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series. Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom, 2 Bände (London 1960), in: Bibliotheca Orientalis 20, 1963, 31–33.

- Jacquet-Gordon 1979: H. Jacquet-Gordon, Deux graffiti de l’époque libyenne sur le toit du temple de Khonsou à Karnak, in: Anonymous (Hrsg.), Hommages à la mémoire de Serge Sauneron 1927-1976. I. Égypte pharaonique, Bibliothèque d’Étudte 81 (Caire 1979), 167–183, Taf 27–29.

- Koenig 1987: Y. Koenig, Notes de transcription, in: Cahiers de Recherches de l’Institut de Papyrologie et d’Égyptologie de Lille 9, 1987, 31–32.

- Koenig 2018: Y. Koenig, Un nouveau décret amulettique oraculaire: Pap. IFAO H 40, Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 118, 2018, 233–239.

- Lucarelli 2009: R. Lucarelli, Popular Beliefs in Demons in the Libyan Period: The Evidence of the Oracular Amuletic Decrees, in: G. P. F. Broekman - R. J. Demarée – O. E. Kaper (Hrsg.), The Libyan Period in Egypt. Historical and Cultural Studies into the 21st – 24th Dynasties: Proceedings of a Conference at Leiden University, 25-27 October 2007, Egyptologische Uitgaven 23 (Leuven 2009), 231–239.

- Meeks 2016: D. Meeks. Rez. Fischer-Elfert. Magika Hieratika, in: Chronique d’Égypte. Bulletin périodique de la Fondation (ab 2005 Association) Égyptologique Reine Élisabeth (CdE), 91, 181, 2016, 80–84.

- Müller 2015: M. Müller. Rez. Fischer-Elfert. Magika Hieratika, in: Lingua Aegyptia. Journal of Egyptian Language Studies (LingAeg), 23, 2015, 331–338.

- Ray 1972: J. Ray, Two Inscribed Objects in the Fitzwilliam Museum, Cambridge, in: Journal of Egyptian Archaeology 58, 1972, 247–253.

- Ritner 2009: R. K. Ritner, The Libyan Anarchy. Inscriptions from Egypt’s Third Intermediate Period (Atlanta 2009), 74.

- Roß 2019: A. Roß, Der Schutz von Kindern im alten Ägypten. Die religiösen und soziokulturellen Aspekte der Oracular Amuletic Decrees (Göttingen 2019).

- Sourouzian 2010: H. Sourouzian, Seti I, not Osorkon II. A new join to the statue from Tanis, CG 1040 in the Cairo Museum, in: O. El-Aguizy – M. S. Ali (Hrsg.), Echoes of Eternity. Studies presented to Gaballa Aly Gaballa, Philippika 35 (Wiesbaden 2010), 96–105.

- Turner 1978: E. C. Turner, The Terms Recto and Verso: The Anatomy of the Papyrus Roll. Papyrologica Bruxellensia: études de papyrologie et édition de sources 16 (Bruxelles 1978).

- Verhoeven 2001: U. Verhoeven, Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift, Orientalia Lovaniensia Analecta 99 (Leuven 2001), 13.

- Wilfong 2013: T. G. Wilfong, The Oracular Amuletic Decrees: A Question of length, in: Journal of Egyptian Archaeology 99, 2013, 295–300.

- Winand 1992: J. Winand, Études de néo-égyptien 1: La morphologie verbale, Aegyptiaca Leodiensia 2, Liège 1992.

Autoren
Dr. Anke Ilona Blöbaum
Autoren (Metadaten)
Dr. Anke Ilona Blöbaum

Übersetzung und Kommentar

Oracular Amuletic Decree H 40 (Papyrus IFAO H 40)

Platzierung: Zu dem Papyrus gehören neben den zwei Hauptfragmenten und vier sehr kleinen Fragmenten mit nur wenigen erhaltenen Zeichen auch noch ein weiteres Fragment, auf dem sich bei (nach Foto) annähernd vollständig erhaltener Breite Reste von vier Zeilen befinden. Alle Fragmente wurden in einem Rahmen zusammengestellt. In der Publikation des Textes von Koenig (in: BIFAO 118, 2018, 233–239) wurden nur die beiden Hauptfragmente, die Koenig als „A“ und „B“ bezeichnet hat, berücksichtigt. Im Rahmen wurde das dritte Fragment oberhalb von Fragment A positioniert. Tatsächlich ist diese Position aber durch keine Argumente abgesichert. Bei den beiden Hauptfragmenten ist der Papyrus deutlich dunkler als bei dem kleineren Fragment, aber das könnte auch sekundär durch unterschiedliche Lagerung bedingt sein. Der Beginn des Textes und damit die Einleitungsformel, die die orakelgebenden Götter sowie den Amulett-Besitzer vorstellt, hat sich nicht erhalten, so dass auch der Text keine Anhaltspunkte auf die Platzierung bietet. Die Platzierung zu Beginn des Textes behalte ich lediglich aus pragmatischen Gründen. Das von Koenig „A“ genannte Fragment wird im Folgenden als „A2“ bezeichnet, das hier beschriebene Fragment als „A1“.

Fragment A1

[A1, x+1] [...] Wir werden [...] ⸢Wir werden⸣ [sie zu jeder Zeit]1 [A1, x+4] ersetzen (= jemand anderen an seiner Stelle ausliefern) lassen. [...]2

1 [zu jeder Zeit] ([⸮m ꜣ.t nb.t?]): Ergänzung nach Papyrus New York MMA 10.53 (NY), rto 36.

2 Rest der Zeile verloren sowie Text von unbekannter Länge verloren.

Fragment A2

[A2, x+1] [...Wir werden] ⸢sie⸣ vor [jedem bösen] Blick (wörtl. Auge) [bewahren]1 (und) jedem [bösen Sicht]omen eines jeden Mannes (und) jeder Frau aus jedem Land (und) jedem Fremdland. Wir werden {{nicht}} zulassen, [A2, x+5] dass sie (jeder böse Blick und jedes böse Sichtomen) jemals (wörtl. wieder und wieder/immer wieder)2 Macht über sie haben werden.

⸢(In göttlicher Weise) haben die⸣ großen ⸢Götter⸣ gesprochen3, die Ältesten, als diejenigen, die zuerst entstanden sind4Wir werden den Leib von Neschons öffnen5 ⸢der Tochter⸣ [von] [...]-Chons (und) ⸢der Tochter⸣ von [A2, x+10] Chons-[...]6, uns⸢erer Dien⸣erin. Wir werden sie männliche und weibliche Kinder gebären lassen für Mechdjerethati (?)7, den Sohn von Padiumaat, Sohn von Nestanebetischeru.

[A2, x+15] Wir werden sie vor Verwüstung8 bewahren, vor Beraubung9, jeder schlimmen Krankheit (und) vor jeder schwierigen Geburt. Wir werden sie leben lassen. Wir werden sie [...] ⸢lassen⸣, indem sie den [...] gebiert. [Wir] werden [A2, x+20] sie vor 〈den〉 Göttern [...] beschützen [...].

1 [Wir werden] ⸢sie⸣ [bewahren] ([jw]=[nn] (r) [šdi̯]=⸢st⸣): Ergänzung des ersten Teils des Satzes nach pTurin Cat. 1984 (T2), vso 89–91, s. Koenig, in BIFAO 118, 2018, 235 u. 239. Anders als Koenig möchte ich in der Gruppe direkt vor dem Auge r über t erkennen, vgl. die gleiche Gruppe (=st r) in Zeile A2, x+15. Auf dem Foto (ebd., 238) sieht man noch ein kleines Fragment, das schräg über den ersten beiden Zeilen liegt. Koenig hat es nicht berücksichtigt, so dass davon auszugehen ist, dass es eigentlich zu den nicht platzierten Stücken gehören dürfte, die oberhalb von Fragment A angeordnet sind. Die Erweiterung durch n ꜥḥꜣ.w nb sḥm.t nb.t n(.j) tꜣ nb ḫꜣs.t nb.t ist für diesen Spruch ohne Parallele.

2 jemals (wörtl. wieder und wieder/immer wieder) (ꜥn ⸢⸮zp-2?⸣): Ergänzung nach pChicago ISACM E25622A-D, x+37–39. Zu Beginn von Zeile A2, x+6 sieht man noch den Rest eines schrägen Abstrichs nach links, der sich gut mit Schreibungen von zp-2 verbinden lässt, siehe z.B. pNew York MMA 10.53 (NY), rto 42 u. 47 oder pLondon BM EA 10730 (L7), x+64 u. x+72.

3 (In göttlicher Weise) gesprochen (⸢⸮ḏd?⸣): Es ist nicht ungewöhnlich, dass dieses Formular, das standardmäßig den Beginn des Textes darstellt, im weiteren Verlauf des Textes wiederholt werden kann (s. Grams, in: SAK 46, 2017, 59). Dass der folgende Spruch den Namen der Orakelbesitzerin angibt, passt ebenfalls zu einer Wiederholung der einführenden Sprüche.

4 diejenigen, die zuerst entstanden sind (n šꜣꜥ(,w)-ḫpr): Zu verschiedenen Varianten des Epithetons s. Edwards, in: JEA 41, 1955, 97; Parker, in: JEA 42, 1965, 122.

5 den Leib öffnen (wn ẖ.t): Ein ähnliches Versprechen findet sich im pLondon BM EA 10730 (L7), x+38–41 (Koenig, in: BIFAO 118, 2018, 236 [14]); dort allerdings in einer Variante, die für einen männlichen Amulettbesitzer formuliert wurde: jw=j (r) wn ẖ.t nꜣy=f ḥbs.w(t) j msi̯(.t) (x+40) ẖrd ꜥḥꜣ(.wtj) ẖrd ḥm.t m mw pri̯ m ḥꜥ.t.ṱ=f „Ich werde den Bauch seiner Frauen fruchtbar machen (wörtl. öffnen), (x+40) um männliche Kinder (und) weibliche Kinder zu gebären, aus dem Samen, der aus seinem Leib herausgekommen ist.“, siehe Blöbaum, in: TLA Satz-ID ICIAh8Q6Kodc4USiveggzxHCJ2I. Das „Öffnen des Leibs“ wn ẖ.t ist als Ausdruck für die Geburt zu verstehen, vgl. Ritner, in: JNES 43, 1984, 214–221.

6 ⸢der Tochter⸣ [von] [...]-Chons (und) ⸢der Tochter⸣ von Chons-[...] (⸢⸮tꜣ šrj.t?⸣ [⸮n.t?] ___-Ḫnsw ⸢tꜣ šrj(.t)⸣ n(.t) ⸢⸮Ḫnsw?-___): Meiner Meinung sind in den Zeilen A2, x+9 bis x+10 die Eltern von Neschons, der Amulettbesitzerin genannt. Am Ende von Zeile x+9 ist recht deutlich das sitzende Kind (A17) über einer Wasserlinie (N35) zu erkennen. Davor kann man Ḫnsw gefolgt von einem sitzenden Mann (A1) lesen. Somit haben wir hiermit das Ende des Namens vom Vater. Zu Beginn von Zeile x+9 wäre demnach ebenfalls tꜣ šrj.t n.t zu ergänzen. Die Zeichenreste sind unspezifisch, würden aber zu den Zeichen passen. In den Zeichenresten zu Beginn von Zeile x+10 erkenne ich ebenfalls Ḫnsw. Was darauf folgt verstehe ich nicht, aber am Ende würde ich einen Mann mit der Hand am Mund (A2) vermuten, gefolgt von der sitzenden Frau (B2) als Klassifikator für den Namen der Mutter. Das Zeichen sieht zwar etwas anders aus als der Klassifikator bei Neschons in Zeile x+8, kann aber ohne Schwierigkeiten als B2 identifiziert werden.

7 für Mechdjerethati (?) (n mḥ ḏr.t ḥꜣ.tj): Dieses Versprechen ist schwer zu verstehen. Koenig (in: BIFAO 118, 2018, 236) fasst n mḥ ḏr.t ḥꜣ.tj als parallele Aussage zum vorhergehenden Satz auf („nous remplirons la main comme le cœur (de) cet enfant de ...“) Das ist grammatikalisch nicht möglich. Die Phrase mḥ ḏr.t ḥꜣ.tj wird durch n bzw. m angeschlossen. Ich vermute, dass hier der Vater der ungeborenen Kinder genannt ist. In dem Zeichen nach ḥꜣ.tj, das Koenig (in: BIFAO 118, 2018, 239) als Fleischstück (F51) deutet, erkenne ich ziemlich deutlich einen sitzenden Mann (A1). Insofern möchte ich Mḥ-ḏr.t-ḥꜣ.tj als Namen dieses Mannes deuten, gefolgt von der Filiation „Sohn von Padiumaat (und) Sohn von Nestanebetischeru“. Parallelen zu einem solchen Namen kann ich nicht anführen; eine ähnliche Bildungsweise liegt in Namen wie Mḥ-jb-GN (RPN I 163.15–17) und Mḥ-ꜥ.w (RPN II 292.03) vor. Durch diese Deutung ergibt sich ein schöner Sinn, wobei im vorausgehenden Versprechen Neschons als Mutter der erhofften Kinder genannt ist und nun hier ganz parallel der Vater.

8 Verwüstung (wgpw): Das Verb wgp „zerstoßen, zerstören, zerbrechen“ kommt in den Oracular Amuletic Decrees sonst regelmäßig in der Verbindung wgp n.j qrj „die Verwüstung/Zerstörung eines Unwetters“ vor (pBerlin ÄMP 10462 (B), x+1–3; pLondon BM EA 10083 (L1), rto x+7–9; pLondon BM EA 10308 (L3), A x+4–6; pLouvre E 25354 (P3), x+25–27pTurin Cat. 1983 (T1), rto 97–99 und pTurin 1985 (T3), rto 37–38). Die Sprüche sind in der Regel zweiteilig und nennen im ersten Teil das „Einstürzen einer Mauer/eines Hauses“. Hier im vorliegenden Text wird der Begriff in einem anderen Kontext benutzt: Hier steht wgp allein als erstes Element zu Beginn einer vierteiligen Aufzählung von allgemeinem Unglück über Krankheit bis hin zu einer Risikogeburt. Da der Text zum Schutz einer schwangeren Frau konzipiert wurde, ist es naheliegend, dass die Themen rund um Schwangerschaft und Geburt dominieren und bekannte Sprüche dahingehend ergänzt oder umformuliert worden sein dürften.

9 Beraubung (ḥftw): Der Begriff ḥftw in diesem Versprechen ist uneindeutig. Das Zeichen unterhalb der Viper (I9) ist gut und deutlich geschrieben. Doch der Schreiber hält die Zeichen r (D21) und t (X1) paläographisch nicht auseinander, wie man an der zweimal in der gleichen Zeile vorkommenden Präposition r und an den Schreibungen von t in jr.t „Auge“ in den Zeilen A2, x+1 und A2, x+13 sehr gut sehen kann. Koenig gibt in der hieroglyphischen Transliteration des Textes ein r (D21) an (in: BIFAO 118, 2018, 239), transkribiert das Wort jedoch ḥfd (in: BIFAO 118, 2018, 235) und plädiert für eine Übersetzung „tremblement“ nach Wb 3, 75.14: ḥfḏ (Lemma-ID 104580). Der Schreiber scheint aber das Zeichen „Hand“ (d: D46), wenn es allein, also nicht in einer Ligatur steht, ohne Abstrich nach unten zu schreiben, vgl. die Zeilen A2, x+15 sowie B, x+16. Daher halte ich die Lesung ḥfd für die am wenigsten wahrscheinliche. Eine Lesung ḥfr gibt allerdings keinen Sinn, so dass ich für ḥft plädiere. Demotisches ḥft „wegreißen“ (siehe: pKrall 5, XXIII, 6–7 u. 21–22: Satz-ID IBUBdz4f1Cj2R030jIQ5IkLeF3g; Satz-ID IBUBd7Xmo8F050f7nxNUncilWSE) geht auf ḥwtf „rauben“ (Wb 3, 56.17–57.3; Lemma-ID 103270) zurück, was im Zusammenhang mit dem ersten Element „Verwüstung“ inhaltlich ganz gut zusammenpasst.

Fragment B

[...] [B, x+1] [...] ? des [...] ? vor (?) [...] einer Geburt [...] vor einer Geburt eines (durch die Nabelschnur ?) gebundenen (?) (Fötus), (und) vor einer Geburt von Zwillingen, wenn einer wütet.1 [B, x+5] ⸢Wir⸣ werden Amun zu ihr bringen zu ihrer Zeit der Geburt.2 Wir werden Nechbet zur ihr bringen als Schutz des Amun.3

Wir werden sie bereichern.4 Wir werden [B, x+10] sie ausstatten.5 Wir werden für sie jede gute Angelegenheit restlos gut machen (wörtl. zu etwas Gutem machen, ohne dass ein Rest dabei bleibt).6 Wir werden sie vor jeder schlechten Angelegenheit [B, x+15] restlos fernhalten lassen (wörtl. ohne dass es einen Rest gäbe).7

Es wurde gemacht nach dem was von den großen Göttern (in göttlicher Weise) gesagt wurde, den Großen, die zuerst entstanden sind.

1 Dieses Versprechen ist leider nicht komplett erhalten. Es handelt sich ganz offensichtlich um Beschreibungen risikoreicher Geburtsszenarien, vor denen die Amulettbesitzerin von den Göttern beschützt werden soll. Vergleichbar ist ein Versprechen aus dem pTurin Cat. 1984 (T2), rto 113–115: jw=n (r) šdi̯=st r msw(.t) Ḥr.w r msw(.t) ḏꜣ.t r msw(.t) ḥtrj „Wir werden sie vor einer Horus-Geburt (= Frühgeburt?) schützen, vor einer Fehl-/Risikogeburt (?) (und) vor einer Zwillingsgeburt.“ (Blöbaum, in: TLA Satz-ID ICEBE65stGN6CEr9kefuZRc1KF4). Im hier vorliegenden Fall ist der Beginn des Satzes verloren, aber vermutlich ist auch hier eine Formulierung wie jw=nn (r) šdi̯=st r zu erwarten. Die Bezeichnungen der Geburtsszenarien sind anders und der zweite Bestandteil vom ersten Element ist leider nicht erhalten. 
Das zweite Element ist schwer zu verstehen. Das Verb qnb bedeutet „binden, bändigen“ (Wb 5, 53.1–4; Lemma-ID 161330). Koenig (in: BIFAO 118, 2018, 236 [21]) verweist darauf, dass mit qnb inhaltlich das Gegenteil von sfḫ „lösen“ (Wb 4, 116.2–117.5; Lemma-ID 133780) ausgedrückt ist, das oft im Zusammenhang mit dem Einleiten einer Geburt verbunden ist, s. Arnette, in: CENIM 10, 2015, 19–21). Er vermutet hier also einen Ausdruck, der das Stagnieren einer Geburt o.ä. ausdrückt und übersetzt: „naissance nouée“ (verknotete Geburt). Ich bin der Meinung, dass hier ebenso wie im folgenden Element das Zeichen nach ms als n, also Genitiv, zu deuten ist, und würde den folgenden Begriff parallel zum folgenden als Bezeichnung des Fötus auffassen. Ich würde hier inhaltlich ganz wörtlich bleiben und vermuten, dass es sich um eine Geburt handeln könnte, bei der der Fötus durch die Nabelschnur gefährlich eingeschnürt ist. Die Situation, dass die Nabelschnur sich beispielsweise um den Hals des Kindes legen und es so unter der Geburt zu einem Sauerstoffmangel kommen kann, ist eine gefährliche Situation, durch die das Kind Schaden oder Tod erleiden kann. Es fällt auf, dass die Zwillingsgeburt auch hier an letzter Stelle genannt ist, und das Risiko noch präziser beschrieben wird durch ḫꜥr wꜥ „wenn einer wütet“. Diese Stelle könnte auf äußere Einflüsse hindeuten, die eine Zwillingsgeburt gefährden könnten, oder aber generell auf die Gefahr, dass einer der beiden Zwillinge die Geburt nicht überstehen könnte, s. Arnette, in BIFAO 117, 2020, 48–49.

2 Vgl. Papyrus London BM EA 10083 (L1), vso x+46–47: Blöbaum, in: TLA Satz-ID IBkCgWTSfFrZpkPsgWTMz9V1RD4 und Papyrus Turin Cat. 1984 (T2), rto 11–112: Blöbaum, in: TLA Satz-ID ICEBExMqTldsQ0L5vVlM7w5Cb8o), siehe auch Koenig, in BIFAO 118, 2018, 236–237 [23].

3 Vgl. Papyrus London BM EA 10083 (L1), vso x+48–50: Blöbaum, in: TLA (Satz-ID IBkCgxEwMa5z6EGHuqyto16oIhA) als nächste Parallele des Versprechens sowie hinsichtlich der Schreibung {Rsj}〈Nḫ〉b.t der Göttin Nechbet, siehe auch Koenig, in: BIFAO 118, 2018, 236–237 [23].

4 Vgl. Papyrus Turin Cat. 1985 (T3), rto 90–91: Blöbaum, in: TLA (Satz-ID ICEDACZ0rm8DoEf5pSlkLShnCuE); Koenig, in: BIFAO 118, 2018, 237 [25].

5 Vgl. Papyrus Turin Cat. 1985 (T3), rto 91–92: Blöbaum, in: TLA (Satz-ID ICEDAJky3a0IX0kEmWF4C6AJcGw); Koenig, in: BIFAO 118, 2018, 237 [25].

6 Dieses Versprechen ist so oder ähnlich in drei weiteren Oracular Amuletic Decrees belegt: Papyrus Berlin ÄMP 3059 (B2), rto 52–54; Papyrus Louvre E 8083 (P2), rto 30–32; Papyrus Turin Cat. 1983 (T1), rto 35–36.

7 Ein ähnliches Versprechen findet sich im Papyrus Berlin ÄMP 3059 (B2), rto 54–55.