Horusstele Avignon A.58

Metadaten

Wissensbereiche
Aufbewahrungsort
Europa » Frankreich » (Städte A-B) » Avignon » Musée Calvet

Inventarnummer: A.58

Erwerbsgeschichte

Im Jahr 1836 beim Antikenhändler Lunel in Avignon für das Museum angekauft (Foissy-Aufrère 1985: 259 [§ 492], 270; Aufrère 1990, 337). Eigentum der Fondation Calvet in Avignon.

Herkunft
Niltal von Kairo bis Assiut » zwischen Kairo und Fajjum » westliches Ufer » Memphis

Über die Herkunft ist nichts bekannt. Auffällig ist das gemeinsame Vorkommen der Kurzversion des sogenannten Horusstelentextes B mit anschließendem Horusstelentext D auf den Horusstelen Avignon A.58, Kairo CG 9405 und Kairo CG 9410. Dabei sind die Texte B und D von Avignon A.58 und Kairo CG 9405 orthographisch und paläographisch identisch, einschließlich mancher Individualfehler, was den Eindruck erweckt, dass die eine von der anderen abgeschrieben wurde oder dass beide auf eine gemeinsamen Vorlage zurückgehen (CG 9410 stammt von einer anderen Vorlage). Die deutlich größere Horusstele CG 9405 (32,5 cm hoch, ebenfalls aus Kalkstein) stammt aus dem Kom el-Qalꜥa, einem der Ruinenhügeln von Memphis, südöstlich des großen Ptahtempels. Das dürfte daher auch für Avignon A.58 zutreffen. Sofern außerdem allein schon die seltene Textkombination von B und D (siehe Gutekunst) für eine Verortung von CG 9410 und Avignon A.58 relevant sein sollte, könnten beide Stücke vielleicht wie CG 9405 aus einer memphitischen Werkstatt stammen. Allerdings gehören die drei Stücke objekttypologisch zu unterschiedlichen Typen (Sternberg-el Hotabi 1999, I, 9596, 99: Stelentypen I.a, I.c und II). Zu erwähnen ist, dass die Textkombination Text B + D noch auf einer weiteren Horusstele aus Memphis vorkommt (Kairo JE 86778), eine andere stammt aus dem nur ca. 60 km weiter südlich gelegenen Atfih (Horusstele Atfih+Louvre E16264), zwei sind von unbekannter Herkunft (Moskau Nr. 182 und Louvre E20021). Bei ihnen sind die Ähnlichkeiten geringer und Horusstelentext D ist dort jeweils kürzer.

Datierung
(Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Spätzeit » 26. Dynastie

Die Datierung erfolgt indirekt und beruht auf einer Kombination von bildtypologischen, textgeschichtlichen und orthographischen Argumenten. Moret 1913 liefert keine Datierung. Meeks (1985, 136) vermerkt, dass Darstellungen des seitwärts schreitenden Horus eher selten sind und dass dieses Merkmal vielleicht für eine Datierung in einer älteren Phase der Horusstelen spricht, bevor die Stelen sehr populär wurden, d.h. in der Zeit vor der 26. Dynastie. Gutekunst (1995, 326) erwähnt den Datierungsansatz von Meeks 1985 früher als die 26. Dynastie, schreibt jedoch auch (326, Anm. 3), dass dieses Datierungskriterium der Ausgestaltung des Horus als seitwärts schreitend manchmal hinterfragt wird (Sternberg-el Hotabi 1999, I, 103 listet Horusstelen mit seitwärts schreitender Haltung bis ca. 400 v. Chr. auf). Selber setzt er diese Horusstele in seine texttypologische „Mittelphase“ von Horusstelenspruch B, die seiner Meinung nach in die 26.–28. Dynastie fällt (Gutekunst 1995, 257). Er verweist auf die Kombination der Kurzfassung von Spruch B mit anschließendem Spruch D (sein Typus „Kf-D-Gruppe“) auf den Horusstelen Avignon A.58, Kairo CG 9405 und Kairo CG 9410, wobei beide letztere Horusstelen von ihm in Anlehnung an die nicht weiter begründete Datierung durch Daressy 1903 in die 26. Dynastie gesetzt werden. Allerdings werden weitere Textvertreter von der Kurzfassung von Spruch B mit Spruch D auch noch nach der 26. Dynastie datiert (Gutekunst 1995, 257, 267; vgl. auch Quack 2018, 3536 Anm. 62 mit Kritik am Datierungsansatz von Gutekunst). Andererseits ist Spruch D vielleicht schon in der Ramessidenzeit (Horusstele Louvre E20021; siehe jedoch Quack 2018, 36, Anm. 65: stilistisch eher 26.–30. Dynastie) und eindeutig in der 22. Dynastie (Osorkon I.: Horusstele von Atfih+Louvre E16264; Osorkon II.: Kairo JE 86778) belegt (jedesmal in Kombination mit Spruch B). Sternberg-el Hotabi (1999, I, 93) datiert die Stele Avignon A.58 in ihre objekttypologische „Mittelphase“, d.h. 26.–29. Dynastie, ca. 660–400 v. Chr., wobei konkret die Varianten des Spruchs B gemäß der Untersuchung von Gutekunst auf die 26. Dynastie verweisen. Der seitwärts schreitende Horusgott ist ein ikonographisches Merkmal, das aus ihrer „Frühphase I“ (19.–20. Dynastie) tradiert wurde, die Integration des Beskopfes im Giebelfeld aus ihrer „Frühphase II“ (21.–25. Dynastie). Sternberg-el Hotabi (1999, I, 96) typologisiert den Horuscippus von Avignon als Stelentypus I.c ihrer Mittelphase, wobei er entweder ganz für sich allein oder zusammen mit Horuscippus Bolton Inv.-Nr. 1886.28.57 (inschriftlos und vielleicht gar kein Horuscippus: Sternberg-el Hotabi 1999, I, 96, Anm. 34) einen Typus bildet. Sie verteilt ihre Mittelphase in zwei Perioden: Ihre Stelentypen I und II der Mittelphase gehören für sie in die 26. Dynastie (ca. 660–525 v. Chr.), die übrigen in die Perserzeit (ca. 525–400 v. Chr.) (Sternberg-el Hotabi 1999, I, 102103). Für die Datierungsdiskussion möglicherweise noch relevant ist die Tatsache, dass die Sprache von Spruch D neuägyptische Merkmale aufweist (Quack 2018, 36 Anm. 62 denkt an eine Textredaktion in der 18. oder frühen 19. Dynastie), während die meisten Sprüche der Horusstelen Mittelägyptisch sind oder irgendwann nach der Dritten Zwischenzeit (in der Saitenzeit?) mittelägyptisch umgearbeitet wurden. Texttypologisch ist auch noch zu erwähnen, dass der Name des Begünstigten an einer Stelle hätte eingetragen werden müssen (die Stelle wurde leer gelassen), wie es für ältere Horusstelen üblich ist, aber ab der 30. Dynastie immer seltener wird. Ein wichtiges Datierungskriterium dürfte die Orthographie des Namens des Gottes Osiris mit der Götterfahne (R8) als Determinativ sein, eine Orthographie, die laut Leahy erst unter Pije erscheint und kaum vor der Regierung von Psammetichus I. in der Region von Memphis belegt ist (Leahy 1979, 145146). Die Datierung „Nouvel empire“ auf der Homepage des Musée Calvet wird nicht begründet und ist zu korrigieren.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Die hieroglyphischen Inschriften bestehen aus Beischriften zu den beiden Standarten (Falke auf Papyrusstängel und Nefertemstandarte) sowie aus den sogenannten Horusstelentexten A (auf den beiden Schmalseiten), B und D (obere bzw. untere Hälfte der Rückseite). Anders als es Sternberg-el Hotabi 1999, I, 96 und II, 4 angibt, ist der Name des Stelenstifters nicht vorhanden, denn was sie als Personenname Nfr-ḫwj liest, gehört zur Inschrift des Nefertem-Symbols. Platz für den Namen des Stelenstifters oder Begünstigten wurde in Spruch D (Rückseite, Z. 14) gelassen.

Ein von Thoth ausgesprochener "Spruch A" zur "Verehrung" des Horus, um ihn zu "verklären". Thoth begrüßt den jugendlichen Horus und bittet ihn, dass er mit seiner Magie und seinen Zaubersprüchen kommen möge, um die gefährlichen Tiere in der Wüste, im Wasser und in den Höhlen abzuwehren und um das Gift im Patienten zu beschwören. Er möge den Patienten wiederbeleben, damit Horus’ Ansehen entstehe und er als Horus-Sched („der Retter“ oder „der Beschwörer“) angerufen werde.

Der sogenannte "Spruch B" der Horusstelen und Heilstatuen hat zum Ziel, einen Reisenden auf dem Wasser zu schützen, insbesondere vor Krokodilen. Er fängt mit einer Anrufung an den Sonnengott/Schöpfergott an, der Osiris, der auf dem Wasser ist, beschützen möge. Anschließend spricht der Zauberer/Beschwörer die gefährlichen Wassertiere und insbesondere das Krokodil Nehaher direkt und in imperativischer Form an. Sie sollen Osiris nicht angreifen, oder ihnen werde das Gesicht umgedreht werden bzw. ihnen drohe die Vernichtung. Er sagt, dass eine Vierergruppe von Göttern Osiris und den Reisenden beschützt. Der Zauberer identifiziert sich anschließend mit Chnum und befiehlt dem Angreifer zurückzuweichen, sonst werde er zerstückelt werden. Zwei mythologische Passagen mit einem lauten Schrei in Heliopolis, in der ein Kater und der Abdu-Fisch eine Rolle spielen, und mit einem zweiten lauten Schrei in Nedit, wo Osiris ermordet wurde, werden eingeflochten, weil Re deshalb sehr wütend geworden sei und die Zerstückelung des Rebellen auf dem Wasser befohlen habe.

Der sogenannte "Spruch D" der Horusstelen findet sich im Anschluss an eine verkürzte Version von „Spruch B“. Ein nicht weiter identifizierter Magier richtet sich an das Krokodil Maga, um es von einem Angriff auf den Gotteskörper (sicherlich den des Osiris im Wasser) bzw. den Körper des Menschen NN abzuhalten. Es gibt Anspielungen auf mythologische Wesen, die über Osiris wachen, auf ein Verbrechen seitens Maga gegen die Götterbarke (des Osiris oder des Re?) mit dem anschließenden Abschneiden von dessen Zunge sowie dessen Vernichtung durch den Landepflock des Osiris. In einem weiteren Abschnitt oder einer Erweiterung des Spruchs droht der Magier dem Krokodil Maga im Falle eines Angriffs, dass er dessen geheimen nubischen (?) Namen verraten werde.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Weil der Fundkontext nicht bekannt ist, kann nicht entschieden werden, ob die Stele aus einem Tempelkontext (einer Heilkultkapelle), einer privaten Kapelle, den Arbeitsmaterialien eines Magiers oder Heilers oder sogar aus einem Grab (Grabkontexte sind nur für das Neue Reich und die Dritte Zwischenzeit nachgewiesen) stammt. Die Stele ist jedenfalls zu groß, um als Amulett von einem Reisenden mitgetragen worden zu sein. Es wird vermutet, dass die „Abschabung“ („la surface de la pierre ... est profondément émoussée“) von Oberkante und am oberen Bereich der Rückseite als Spuren einer intensiven Benutzung zu bewerten ist.

Material
Nicht Organisch » Stein » Kalkstein
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Stele » Horusstele / Horuscippus
Technische Daten

Höhe 23,9 cm; Breite 17,9 cm; Dicke 6,9 cm (laut Meeks 1985, 270; Moret 1913, 55 hat: 22x17 cm). Horuscippus aus Kalkstein (Foissy-Aufrère 1985, 270) bzw. metamorphem Kalkstein (Homepage Musée Calvet: „calcaire métamorphosé“), sicherlich nicht rötlichem Sandstein (Moret 1913, 55) mit falkenköpfigem Gott, der mit einem Lendenschurz bekleidet ist und seitwärts nach rechts (Betrachterperspektive) auf zwei antithetisch angeordneten Krokodilen schreitet. Er hält Skorpion und Löwe in der vorderen Hand, zwei Schlangen und eine Oryxantilope in der hinteren Hand. Vor ihm ist ein Falke auf einer Papyrusstandarte eingraviert, hinter ihm das Nefertem-Symbol. Über seinem Kopf befindet sich eine Besmaske. Auf dem Sockel unter den Krokodilen sind sechs kleine Göttergestalten oder Götterszenen eingraviert. Die beiden Schmalseiten und die Rückseite sind mit Texten versehen. Der sogenannte Horusstelentext A steht in 31 kurzen Zeilen (nicht 35, wie es Moret schreibt) auf den beiden Schmalseiten (15 + 16 Zeilen) und blieb aus Platzmangel vermutlich unvollendet (es ist, contra Meeks, unwahrscheinlich, dass der Text oben auf der Rückseite endete). Der Anfang der Inschrift befindet sich auf der linken Schmalseite (Betrachterperspektive). Oberhalb der Inschriftzeilen auf den Schmalseiten stehen eingravierte Gottheiten. Auf der Rückseite sind Reste von 17 Textzeilen erhalten (nicht 18, contra Moret). Es ist möglich, dass darüber im Giebelfeld ursprünglich ein niedriger Bildstreifen mit Götterdarstellungen gestanden hat (Meeks möchte hier das Ende von Horusstelenspruch A ergänzen). Die erste erhaltene Textzeile ist wahrscheinlich der Anfang von Horusstelenspruch B, der in Zeile 9 zu Ende war, worauf sich unmittelbar der sogenannte Horusstelentext D anschloss. Das (hypothetische) Bildfeld oben auf der Rückseite ist komplett „abgeschabt“ (?) und auch von den nachfolgenden vier Textzeilen ist mehr als die Hälfte „abgeschabt“.

Schrift
Hieroglyphen

Eingravierte Hieroglyphen von mittelmäßiger Qualität (Moret 1913, 55).

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch » traditionelles Mittelägyptisch, Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch

Horusstelentext B ist in Traditionsägyptisch (traditionelles Mittelägyptisch) geschrieben. Horusstelentext D enthält auch neuägyptische Verbalformen.

Bearbeitungsgeschichte

Moret publizierte im Jahr 1913 eine Beschreibung, eine Abschrift in Bleihieroglyphen der hieroglyphischen Texte, eine Übersetzung und zwei kleine Fotos von Vorder- und Rückseite. Er konnte mit Hilfe von Textparallelen Lücken in den Inschriften ergänzen, aber seine Ergänzungen sind an mehreren Stellen zu korrigieren. Eine neue Beschreibung mit einer aktualisierten Übersetzung lieferte Meeks 1985. Gutekunst 1995 hat eine textkritische Analyse von Horusstelentext B vorgenommen, aber verfügte nicht über eine gegenüber Moret verbesserte Textabschrift. Sternberg-el Hotabi 1999 hat die Stele in ihrer typologischen Studie aufgenommen. Quack 2018 benutzte die Stele für seine Analyse von Horusstelentext D. Gute Fotos der Inschriften auf den Schmalseiten und der Rückseite sind bislang nicht publiziert (sie wurden Peter Dils vom Museum Calvet bzw. der Fondation Calvet zur Verfügung gestellt).

Editionen

- Moret 1913: A. Moret, Monuments égyptiens du Musée Calvet à Avignon, in: Recueil de travaux relatifs à la philologie et à l'archéologie égyptiennes et assyriennes 35, 1913, 4859, hier: 5559 [Nr. XXX] und Taf. VII, 45.

Literatur zu den Metadaten

- Aufrère 1990: S. Aufrère, La momie et la tempête. Nicolas-Claude Fabri de Peiresc et la curiosité égyptienne en Provence au début du XVIIe siècle (Avignon 1990), 337 und Taf. XI.

- Gutekunst 1995: W. Gutekunst, Textgeschichtliche Studien zum Verjüngungsspruch (Text B) auf Horusstelen und Heilstatuen (Trier 1995), 257, 259268, 326.

- Leahy 1979: A. Leahy, The Name of Osiris Written Osiris, in: Studien zur altägyptischen Kultur 7, 1979, 141–153.

- Meeks 1985: D. Meeks, in: M.-P. Foissy-Aufrère – S. Aufrère – Chr. Loury (Hrsg.), Egypte & Provence. Civilisation, survivances et “Cabinetz de curiositez” (Avignon 1985), 136–137 (§ 327), 259 (§ 492), 270 (A58).

- Quack 2018: J. F. Quack, Eine magische Stele aus dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe (Inv. H 1049), Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 58 (Heidelberg 2018), 35–40.

- Sternberg-el Hotabi 1999: H. Sternberg-el Hotabi, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen, 2 Bände, Ägyptologische Abhandlungen 62 (Wiesbaden 1999), Bd. I: Textband, 93, 96, 252 (Abb. 45); Bd. II: Materialsammlung, 4.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Peter Dils
Autoren (Metadaten)
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Vorderseite

Bildbeischriften

[beim Falken auf der Standarte, A.1] Dein (allgemeiner) zꜣ-Schutz ist beim Herrn des Lebens/Erdkreises (?), (bei) Dem,-der-auf-seinem-Papyrusstängel-ist.
[beim Nefertemsymbol] Dein (allgemeiner) zꜣ-Schutz im Leben ist bei Nefertem, der die Beiden Länder behütet.
[auf dem Sockel bei einem Falken in einem Serech/Kasten, A.5] Der Herr des Erdkreises (?)1.

1 Moret 1913, 56 liest diese Inschrift als nb ꜣḫ.t: „Herr des Horizonts“. Was Moret als ꜣḫ.t: "Horizont" liest, ist fast wie das mutmaßliche ꜥnḫ: "Leben" in Z. A.1 geschrieben. Statt an ꜥnḫ könnte man zumindest im zweiten Fall auch an den šn-Ring denken. Horus nb-šn ist auf einigen Horusstelen belegt (C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Band III. pnbw, Orientalia Lovaniensia Analecta 112 (Leuven/Paris/Dudley, MA 2002), 753a: „der Herr des Erdkreises“).

Schmalseiten

Horusstelentext A = Metternichstele Spruch 10

[linke Schmalseite, B.1] Sei gegrüßt, du Gott, Sohn eines Gottes! Sei gegrüßt, du Erbe, Sohn eines Erben! Sei gegrüßt, du Stier, Sohn eines Stieres! Sei gegrüßt, du Horus, [B.5] der aus Osiris hervorgegangen ist, den Isis, die Göttliche/Göttin, geboren hat!
[Besprich für mich]1 in/mit deinem Namen! Beschwöre für mich [mit der] Magie (?) des Re (?)! Besprich für mich [mit] deinen Zaubersprüchen! Rezitiere [für] mich [mit den Rezitationen], die du erschaffen hast.
[Das sind die] ⸢kunstfertigen Sprüche⸣ [B.10] [, die in] deinem Mund [sind],die [dir dein (Groß)vater Ge]b anvertraut hat, die dir deine Mutter Isis gegeben hat, die dich die Majestät des Vorstehers-von-Letopolis gelehrt hat, [um] deinen zꜣ-Schutz zu bereiten, um [deinen] mk.t-Schutz zu wiederholen, um das Maul aller wurmähnlichen Kreaturen (d.h. Schlangen u.ä.) zu verschließen, [B.15] die im Himmel (d.h. in der Luft) sind, die auf der Erde sind, die im Wasser sind, um die Menschen zu beleben, [rechte Schmalseite] 〈um〉 die Götter zufrieden zu stellen, um Re mit [deinen] Lob[preisungen/Gebeten] zu ver[klären.]
[Komme] zu mir, schnell, [B.20] schnell, an diesem Tag / heute, so wie wenn du das Steuerruder des/im Gottesboot hantierst.
[Mögest du für mich] jeden [Löwen] in der Wüste, jedes ⸢Krokodil⸣ [im Fluss], jedes beißende (Schlangen)Maul [in] seiner Höhle abwehren.Mögest du 〈sie〉 machen w[ie [B.25] einen Kieselstein des] Gebirges (oder: im Gebirge), wie eine Topfscherbe auf/entlang der Straße. Mögest du das/dieses (hier vorliegende) Gift beschwören, d[as] in jedem Glied des Gottes (?) ist, der [deine] Worte seinet[wegen] (des Gifts) lächerlich macht4.
Siehe, [B.30] dein Name wird heute gerufen.
Lass für mich dein Ansehen 〈mittels〉 (deiner) Magie entstehen!

1 So gemäß Horusstele CG 9405, die später im Textfeld die Horusstelentexte B und D in einer sehr ähnlichen Textgestaltung wie Avignon A.58 hat. Die Spuren von ḏd: "Sprechen" sind auf einem Foto, das das Musée Calvet zur Verfügung gestellt hat, noch ausreichend erkennbar.

2 Die Formulierung bzw. Ergänzung von Moret 1913 beruht auf CG 9401 und 9402 und passt nicht zu den vorhandenen Spuren oder zum vorhandenen Platz.

3 Die Ergänzungen von Moret 1913 stimmen nicht ganz mit den vorhandenen Zeichenspuren überein.

4 Die Formulierung am Ende des Satzes weicht ab von den bei Gutekunst 1995, 135136 aufgelisteten, aber sie erscheint bei den vorhanden Zeichen die einzig mögliche. Die Lesung nṯr: "Gott" ist unsicher, eventuell ist auch ḥm: "Majestät" möglich. Der Satz dürfte eine Umformulierung sein von: "Hüte dich, dass deine Worte deswegen (oder: seinetwegen, d.h. des Gifts) lächerlich gemacht (oder: weggelacht) werden".

Rückseite

Horusstelentext B = Metternichtstele Spruch 5 = Torso Wien ÄS 40 Spruch 1

[C.1] Oh alter Mann1, [der sich zu seiner Zeit verjüngt, (oh) Greis, der als Jugendlicher agiert, mögest du veranlassen], dass Thoth zu mir auf meine Stimme hin kommt, [damit er für mich das (Krokodil) Wildgesicht (Neha-her) vertreibt.
[Siehe(?)2, Osiris ist] auf dem Wasser; das Horusauge ist in seiner Hand. Der [große] Flügelskarabäus [ist in seiner Faust, der] die Götter (schon) als nḫn-Kind [geboren/gebildet hat (?)].3
Wenn man dem, der auf dem Wasser ist, zu nahe tritt, dann tritt man dem [Horus]auge4 zu nahe.
[Zurück mit] euch, (ihr) Untote (?), [C.5] (ihr) 〈Wasser〉bewohner, (du) Feind, Jener/Feindin, (Un)-Toter/Wiedergänger, (Un)-Tote/Wiedergängerin, Widersacher, Widersacherin und so weiter! Erhebt nicht [eure Gesichter]! Erspäht/jagt nicht mit euren Augen! Es ist Osiris, der euren Schlund verstopft hat. Es ist Thoth, der eure Augen geblendet hat. Es ist Sachmet, 〈die ... ... ...〉
Diese Vierzahl von großen Göttern, die über die Majestät des Osiris wachen, sie sind es, die den zꜣ-Schutz vor (?) dem Gott am (?) Sarg bereiten (sowie) den zꜣ-Schutz dessen, der im Wasser ist.5
Hui, hui!
Eine hohe/laute Stimme ist im Großen-Haus, ein großes Gejammer ist im Mund des Katers (oder: der Katze).
„Was ist los? Was ist los?“ bezüglich (?) des Abdu-Fisches, als er geboren wird.

1 Die drei Hieroglyphenquadrate auf der ersten, heute noch vorhandenen Textzeile sind auf dem Foto, das mir vom Musée Calvet zur Verfügung gestellt wurde, nicht eindeutig identifizierbar. In Anbetracht der Länge der Zeilen auf der Stele und des zu rekonstruierenden Anfangs von Horusstelentext B, ist (contra Moret 1913) nicht mit zwei zerstörten Textzeilen, sondern nur mit einer Zeile zu rechnen, von der eben der Anfang noch vorhanden ist. Das bedeutet, dass darüber noch Platz für ein niedriges Bildfeld war, wie es z.B. auf der sehr ähnlichen Textkomposition auf Kairo CG 9405 der Fall ist.

2 Der Satz fängt auf Kairo CG 9405 und CG 9410 mit m=k: "siehe" an. Alternativ könnte nichts (vor allem in späten Handschriften) oder jw: "wahrlich" dort gestanden haben. Siehe Gutekunst 1995, 109,152153 (Phrase Nr. 3.1).

3 „Der [große] Flügelskarabäus [steht mit gespreizten Flügeln (schützend) über ihm.].“ So ergänzt Moret 1913, 57; vgl. Gutekunst 1995, 109, 155 (Phrase 3.3,a1a2). Auf Horusstele CG 9405 steht : "der große Flügelskarabäus ist in seiner Faust, der die Götter als nḫn-Kind geboren hat", auf Horusstele CG 9410 steht : "der große Flügelskarabäus ist in seiner Faust; die Kinder der Götter sind im Wehklagen".

4 So die Ergänzung von Moret 1913, 57. Auf vielen Textvertretern, darunter Kairo CG 9410, steht : "das weinende/verfinsterte Horusauge", aber dafür reicht der Platz nicht aus.

5 Auf den Horusstelen Kairo CG 9405 und CG 9410 steht: "sie sind es, die den zꜣ-Schutz des Gottes, des Vorstehers (?) des Sarges, bereiten, und den zꜣ-Schutz dessen, der im Wasser ist".

Rückseite

Horusstelentext D

Hui, hui! (Oh du), der auf den (man) spuckt, (du) Maga, [C.10] Sohn des Seth,
Oh (du), der mit seinem Schwanz fährt1, dessen Ruder/Paddel seine Hände sind2: was den Gott angeht, der dich mit einem Auftrag ausgesandt hat, er ist es, der mir befohlen hat, dich aufzuhalten/zu behindern.3
Hast du dich also nicht vertraut gemacht mit (oder: verschluckt?)4 Sebeq und Sebeqet, Tem und Temet, der Vierzahl an großen Achs, die über die Majestät des Osiris wachen?
Hast du dich also nicht vertraut gemacht mit (oder: verschluckt?) Neheheti (?)5, der auf deinem Rücken ist wegen des großen Verbrechens, das du getan hast in/an der Barke dieses Gottes, als deine Zunge auf6 dem Rumpfbrett (oder: der Reling)7 dieser Barke abgeschnitten wurde, wobei du mit dem großen Pflock8 des Osiris vernichtet worden bist.
Hüte dich vor dem Gottesleib!9 Hüte dich vor dem Leib 〈des NN〉!
[C.15] Ansonsten werde ich sagen:
Hui, hui!
Scherdescheq ist dein Name! Berqer ist dein Name! Ireriry ist dein Name. Amun-na-tjen Amun-na-ka-intek 〈ist dein Name.〉
Auf der Flut hat der göttliche Falke sich abgewandt (?).
Der Feind (?) (oder: Phre)10 in seinem großen Haus, (ist) der, der gekentert ist.
Wehe! Es gibt keinen, der sich kümmert (?)11.
[Man werde nicht freveln gegen NN].

1 Auf Horusstele Kairo CG 9410 steht : "der, der sich vorwärts (?) schleppt/zieht mit seinem Schwanz".

2 Entweder ein Adverbialsatz „dessen Ruder in seinen Händen sind“ oder ein Identitätssatz: „dessen Hände als seine Ruder fungieren“.

3 Meeks 1985, 136137 übersetzt „Quant au dieu parti en voyage, c’est lui qui exécutera mon ordre pour te faire reculer.“

4 Meeks 1985, 137 übersetzt das Verb mit: "Bien sûr je ne ravalerai (?) pas (...)." Quack 2018, 3839, hat: "Kennst du nicht (...)." J.-C. Goyon, Le recueil de prophylaxie contre les agressions des animaux venimeux du Musée de Brooklyn. Papyrus Wilbour 47.218.138, Studien zur spätägyptischen Religion 5 (Wiesbaden 2012), 17 (§ 10) übersetzt mit: "Certes, tu n’as pas englouti ..." und mit "avaler".

5 ⸮n?ḥḥ,tj: Mit dem Feind als Determinativ. Quack 2018, 39, Anm. 81 verzichtet in seiner synoptischen Bearbeitung von Spruch D auf eine Übersetzung. Er fragt sich, ob mit ḥtḥt.w(?) (so seine Transkription auf S. 37) die Feder auf dem Rücken des Krokodils gemeint sein könnte, die u.a. vom Gauzeichen von Dendara bekannt ist. Er vergleicht mit kopt. ϩⲧⲏ: "Lanzenschaft" und mit äg. ḥtyt: "spitzer Gegenstand". Meeks 1985, 137 übersetzt: "l’Agrippeur (?)". Auf Horusstele Moskau Nr. 182 (I.1.a.4467) steht nwḥtḥt o.a., auf Horusstele Kairo CG 9410 steht der Plural nꜣ ḥtj.w: "Schlächter(?)-Götter" (nur Abschrift in Bleihieroglyphen). Vgl. dazu ḥttjw, das eine Graphie von ḥntjw sein kann, vgl. ḥnṯtjw: "die Schlächter". Die verständlichste Schreibung steht auf Kairo JE 86778: nꜣ jtḥ: "die Schlingen, Fesseln".

6 Zur Übersetzung vgl. Quack 2018, 39: "wegen des Bordbrettes"; Meeks 1985, 137: "sur le plat-bord."

7 R. Hannig, Die Sprache der Pharaonen. Großes Handwörterbuch Ägyptisch – Deutsch (2800–950 v. Chr.), Kulturgeschichte der antiken Welt 64 (Mainz 2009), 723: "*e. Rumpfbrett (des Holzboots); *Reling; *Schanzkleid"; Wb. 4, 43.1 "Bordbrett des Schiffes"; N. Dürring, Materialien zum Schiffbau im Alten Ägypten, Abhandlungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo. Ägyptologische Reihe 11 (Berlin 1995), 64, 215: s.v. sꜥꜣ: "a) Holzteil, Balken; b) Schanzkleid, Reling". R. O. Faulkner, A Concise Dictionary of Middle Egyptian (Oxford 2002 (Repr. 1962)), 213: "gunwale"; R. A. Caminos, Late-Egyptian Miscellanies, Brown Egyptological Studies 1 (London 1954), 161: "thole-board, gunwale"; G. Jéquier, Essai sur la nomenclature des parties de bateaux, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 9, 1911, 3782, Taf. 1–3, hier: 51–52: "agrandisseur" (Bezeichung von zwei Sockeln auf dem Deck der Sonnenbarke, die wḏ.t-Holzpfosten unterstützen); P. Montet, Les scènes de la vie privée dans les tombeaux égyptiens de l’Ancien Empire (Strasbourg 1925), 341: "bastingage" (d.h. "Reling"); D. Jones, A Glossary of Ancient Egyptian Nautial Titles and Terms (London/New York 1988), 183-184: "gunwale, thole-board".

8 nꜥy.t: Wb. 2, 207.17: "ein Pflock oder Pfahl am Vorderteil des Schiffes, mit dem es an Land festgemacht wird"; W. K. Simpson, Papyrus Reisner II; Accounts of the Dockyard Workshop at This in the Reign of Sesostris I. (Boston 1965), B 23: "mooring block, cleat, stake at bow for mooring"; F. Ll. Griffith, The Teaching of Amenophis the Son of Kanakht. Papyrus B.M. 10474, in: Journal of Egyptian Archaeology 12, 1926, 191–231, hier: 199, Anm. 3 "mooring post"; R. O. Faulkner, A Concise Dictionary of Middle Egyptian (Oxford 2002 (Repr. 1962)), 126: "mooring-post"; Dürring, Materialien zum Schiffbau, 86: „ein Rundholz“; Jones, A Glossary of Ancient Egyptian Nautial Titles and Terms, 199: "mooring-post"; kopt. ⲛⲁⲉⲓⲱ: W. E. Crum, A Coptic Dictionary (Oxford 1962), 218b: "peg, stake for ship’s hawsers"; W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch (Heidelberg 2008 (Repr. 1965–1977)), 120: "Pfahl, Haltepflock (für Schiffe)".

9 Dies könnte auch auf Horusstele Kairo CG 9405 stehen.

10 Pꜣ ḫrꜥ: So auch auf Horusstele Kairo CG 9405; zerstört auf CG 9410. Ist eine Ableitung von ḫr: "Feind" gemeint, eventuell als Euphemismus, oder liegt eine Schreibung von Pꜣ-Rꜥw: "Phre; der Re" vor?

11 Quack 2018, 39 übersetzt mit: "Beschirmer (?)".