Horusstele Kairo CG 9410
Übersetzung und Kommentar
Rückseite
Horusstelentext B = Metternichtstele Spruch 5 = Torso Wien ÄS 40 Spruch 1
[1] Oh alter Mann, der sich zu seiner Zeit verjüngt, (oh) Greis, der als Jugendlicher agiert, mögest du veranlassen, dass Thoth zu mir auf meine Stimme hin kommt, damit er für mich das (Krokodil) „Wildgesicht“ (Neha-her) vertreibt.
Siehe, Osiris ist auf dem Wasser; das Horusauge ist bei ihm. Der große Flügelskarabäus ist in seiner Faust.
Die Kinder der Götter sind im Wehklagen.1
Wenn man dem, der auf dem Wasser ist, zu nahe tritt, dann tritt man dem weinenden/verfinsterten/dösenden (?)2 Horusauge ebenso zu nahe.
Zurück mit euch, (ihr) Untote/Wiedergänger, Wasserbewohner, Feind{e}, Jener/Feindin, (Un)-Toter/Wiedergänger, (Un)-Tote/Wiedergängerin, Widersacher, Widersacherin und so weiter! [5] Erhebt nicht eure Gesichter! Erspäht/jagt3 nicht mit euren Augen!
Es ist Osiris, der euren Schlund blockiert/verstopft hat. Es ist Thoth, der eure Augen geblendet hat. Es ist Sachmet, 〈die ihre Flamme gegen euch gesetzt hat.〉 〈Es ist Heka, der eure Zunge abgeschnitten hat (o.ä.).〉4
Diese Vierzahl von Göttern, die über die Majestät des Osiris wachen, sie sind es, die den zꜣ-Schutz des Gottes, der im Sarg ist, bereiten (und ebenso) den zꜣ-Schutz dessen, der im Wasser ist.5
Hui, hui!
Eine laute 〈Stimme〉 ist im Großen-Haus; ein großes Gejammer ist im Maul des Katers (oder: der Katze).
Die Götter (sagen): „Siehe doch, siehe doch“ bezüglich (?) des Abdu-Fisches, als er geboren wird.
1 Gutekunst 1995, 265 übersetzt diese Variante als "der große Sonnenkäfer Api ist in seiner (= Osiris) Faust, / der, welcher die Götter (schon) als Kind erschaffen hat."
2 jḥ(.t): Wb. 1, 120.13 hat dieses seltene Verb als "weinen(?)" lemmatisiert, zweifellos wegen des Determinativs des weinenden Auges. Das ist jedenfals die Begründung für die Bedeutung "weinen" bei H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung und Folge den Wortschatz der heiligen- und der Volks-Sprache und -Schrift der alten Ägypter. Nebst deren Erklärung der einzelnen Stämme und der davon abgeleiteten Formen unter Hinweis auf ihre Verwandtschaft mit den entsprechenden Wörtern des Koptischen und der semitischen Idiome. Bd. I (Leipzig 1867), 106 (Quelle = Metternichstele). C. E. Sander-Hansen, Die Texte der Metternichstele, Analecta Aegyptiaca consilio Instituti Aegyptologici Hafniensis 7 (København 1956), 33 übersetzt mit "das weinende Horusauge", hat aber an anderer Stelle (S. 10) "das geweint hat". Das/ein Verb jḥ existiert auch mit dem geschminkten Auge (Dendara V, 51.6; Edfou IV, 111.7; Edfou VIII, 39.11). Ob auf der Metternichstele eine Graphie des Verbs jwḥ: "weinen" bzw. eine Verwirrung mit diesem Verb vorliegen könnte? Es gibt ein weiteres Verb ꜥḥ (mit dem Netz als Determinativ), das Wb. 1, 214.2 mit "(Feuchtes) abwischen: (Tränen) abwischen" wiedergibt. Dieses berücksichtigt H. Altenmüller, Der „Socle Béhague“ und ein Statuentorso in Wien, in: Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden te Leiden 46, 1965, 10–33, hier: 15 möglicherweise in seiner Formulierung von Text B als: „das tränentrockene Horusauge“ (laut P. Vernus, Études de philologie et de linguistique, in: Revue d’égyptologie 32, 1980, 117–134, hier: Anm. 68 ist ꜥḥ ein anderes Verb). P. Vernus, Études de philologie et de linguistique, in: Revue d’égyptologie 32, 1980, 117–134, hier: 131–1132, Anm. (h) stellt die Bedeutung "weinen" infrage: "si on s’attaque à celui qui est sur l’eau, on s’attaque à l’oeil d’Horus avec pour résultat d’être jḥ". Seiner Meinung nach bedeutet jḥ eher (reflexiv) "s’obscurcir", (transitiv) "obscurcir" und (intransitiv) "être plongé dans l’obscurité du sommeil" und notfalls "éblouir", d.h. "blenden". R. Herbin, Le livre de parcourir l’éternité, Orientalia Lovaniensia Analecta 58 (Leuven 1994), 197 übersetzt in pLeiden T 32, Kol. 5.7 mit "somnoler", d.h. "nicken, dösen, vor sich hin schlummern", denn es wird als Synonym von qdd: "Schlaf" in Edfou IV, 111.7 verwendet (er verweist auf Vernus). B. Ventker, Der Starke auf dem Dach. Funktion und Bedeutung der löwengestaltigen Wasserspeier im alten Ägypten, Studien zur spätägyptischen Religion 6 (Wiesbaden 2012), 164 mit Anm. (a) versteht Edfou IV, 111.7 als Substantiv "Schlaf" (und nicht als Infinitiv). P. Wilson, A Ptolemaic Lexikon. A Lexicographical Study of the Texts in the Temple of Edfu, Orientalia Lovaniensia Analecta 78 (Leuven 1997), 102–103 listet ein Lemma jḥ mit dem nicht-weinenden Auge auf, das sie als "schlafen" ansetzt, und sie fragt sich, ob es dasselbe Verb wie Wb. 1, 120.13 "weinen(?)" ist. D. Meeks, Dictionnaires et lexicographie de l’Égyptien ancien. Méthodes et résultats, in: Bibliotheca Orientalis 56, 1999, 570–594, hier: 576 hat ähnlich in seiner Rezension von Wilson: "dormir, sommeiller" statt "pleurer" und verschiebt alle Belege von Wb. 1, 120.13 "weinen(?)" hierhin (DZA 21.198.840 = N. de Garis Davies, The temple of Hibis in el Khārgeh Oasis Part III. The decoration, Publications of the Metropolitan Museum of Art Egyptian Expedition 17 (New York 1953), Taf. 32, mittleres Register, Hymnus Z. 7). Dann würde der Text der Metternichstele lauten: "das dösende Horusauge" oder "das (durch Schlaf) geblendete Horusauge" oder "dann tritt man dem Horusauge zu nahe, mit dem Ergebnis, dass man hinüberdämmert". Gutekunst 1999, 161–162, 167–168 listet die verschiedenen Varianten von "Text B" mit und ohne jḥ auf. Er lehnt die Interpretation von Vernus ab. S. Hodjash – O. Berlev, The Egyptian Reliefs and Stelae in the Pushkin Museum of Fine Arts, Moscow (Leningrad 1982), 249, Anm. (x) schreiben "the weeping Eye is somewhat of a mystery" und sie liefern Quellen für weitere Forschung. Auf mindestens einer Horusstele wird jḥ zu jꜥḥ "Mond" umgedeutet (J. S. Karig, Die Göttinger Isisstatuette, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 87, 1962, 54–59, hier: 59 und Taf. IV).
3 m nw(ꜣ): Zur möglichen bewussten Verwendung des Wahrnehmungsverbs nw(ꜣ) als Anspielung auf nw: "jagen", vgl. Gutekunst 1995, 265 mit Anm. 618.
4 In der Kurzfassung von Spruch B fehlen die zu Sachmet gehörige Aktion sowie der komplette Satz mit Heka als vierter der im Anschluß genannten Vierergruppe (siehe Gutekunst 1995, 262–263).
5 Für diese varianten Formulierungen siehe Gutekunst 1995, 265–266.
Rückseite, Unterseite und Vorderseite
Horusstelentext D
[Rückseite] Hui, hui! (Du), der, auf den gespuckt wird, (du) Maga, Sohn des Seth, oh (du), der sich mit seinem Schwanz vorwärts zieht (?)1, dessen Ruder/Paddel seine Arme sind:
Falke (?)2, was den/diesen Gott angeht, der dich mit einer Botschaft 〈ausgeschickt〉 hat, er ist derjenige, der [10] mir befohlen hat, dich zu behindern.
Hast du dich also nicht vertraut gemacht mit Sebeq, Sebeqet, Tem und Temet, (mit) der Vierzahl an großen Achs, die über die Majestät des Osiris wachen?
Hast du dich also nicht vertraut gemacht mit den Schlächter(?)-Göttern3, die auf deinem Rücken sind wegen des großen Verbrechens, das du getan hast [Unterseite] in/an der Barke dieses Gottes, als deine Zunge auf dem Rumpfbrett (oder: der Reling)4 dieser Barke abgeschnitten wurde, wobei du mit [15] dem großen Pflock5 des Osiris vernichtet worden bist?
Hüte dich vor dem Gottesleib! Hüte dich vor dem Leib 〈des NN〉!
Ansonsten werde ich sagen:
Hui, hui!
〈Sch〉erdesched 〈ist dein Name.〉6 Berqer ist dein Name. Iriry ist dein Name. Amun-na-tjek Amun-na-ka-in7 〈ist dein Name.〉
Siehe, auf [der Flut] hat der göttliche Falke [Vorderseite, 20] sich abgewandt (?).
[Der Gefallene/Phre (?)]8 in seinem großen Haus (ist?) der, der gekentert ist. Zweimal!
1 Auf den Horusstelen Kairo CG 9405 und Avignon A.58 steht: "der mit seinem Schwanz fährt" (die Textabschriften von Daressy 1903 und A. Moret, Monuments égyptiens du Musée Calvet à Avignon, in: Recueil de travaux relatifs à la philologie et à l'archéologie égyptiennes et assyriennes 35, 1913, 48–59 sind zu korrigieren).
2 Steht nicht in den übrigen Textvertretern.
3 nꜣ ḥtj.w: Vgl. ḥttjw, das eine Graphie von ḥntjw sein kann, vgl. ḥnṯtjw: "die Schlächter". Quack, 39, Anm. 81 verzichtet in seiner synoptischen Bearbeitung von Spruch D auf eine Übersetzung . Er fragt sich, ob mit ḥtḥt.w(?) (so seine Transkription auf S. 37) die Feder auf dem Rücken des Krokodils gemeint sein könnte, die u.a. von dem Gauzeichen von Dendara bekannt ist. Er denkt an kopt. ϩⲧⲏ: "Lanzenschaft" und ḥtyt: "spitzer Gegenstand". D. Meeks, in: M.-P. Foissy-Aufrère – S. Aufrère – Chr. Loury (Hrsg.), Egypte & Provence. Civilisation, survivances et “Cabinetz de curiositez” (Avignon 1985), 137 übersetzt: "l’Agrippeur (?)". Auf Horusstele Moskau Nr. 182 (I.1.a.4467) steht nwḥtḥt o.a., auf den Horusstelen Kairo CG 9405 und Avignon A.58 steht nḥḥ,tj mit dem Feind als Determinativ. Die verständlichste Schreibung steht auf Kairo JE 86778: nꜣ jtḥ: "die Schlingen, Fesseln".
4 R. Hannig, Die Sprache der Pharaonen. Großes Handwörterbuch Ägyptisch – Deutsch (2800–950 v. Chr.), Kulturgeschichte der antiken Welt 64 (Mainz 2009), 723: "*e. Rumpfbrett (des Holzboots); *Reling; *Schanzkleid"; Wb. 4, 43.1 "Bordbrett des Schiffes"; N. Dürring, Materialien zum Schiffbau im Alten Ägypten, Abhandlungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo. Ägyptologische Reihe 11 (Berlin 1995), 64, 215: s.v. sꜥꜣ: "a) Holzteil, Balken; b) Schanzkleid, Reling". R. O. Faulkner, A Concise Dictionary of Middle Egyptian (Oxford 2002 (Repr. 1962)), 213: "gunwale"; R. A. Caminos, Late-Egyptian Miscellanies, Brown Egyptological Studies 1 (London 1954), 161: "thole-board, gunwale"; G. Jéquier, Essai sur la nomenclature des parties de bateaux, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 9, 1911, 37–82, Taf. 1–3, hier: 51–52: "agrandisseur" (Bezeichung von zwei Sockeln auf dem Deck der Sonnenbarke, die wḏ.t-Holzpfosten unterstützen); P. Montet, Les scènes de la vie privée dans les tombeaux égyptiens de l’Ancien Empire (Strasbourg 1925), 341: "bastingage" (d.h. "Reling"); D. Jones, A Glossary of Ancient Egyptian Nautial Titles and Terms (London/New York 1988), 183-184: "gunwale, thole-board".
5 nꜥy.t: Wb. 2, 207.17: "ein Pflock oder Pfahl am Vorderteil des Schiffes, mit dem es an Land festgemacht wird"; W. K. Simpson, Papyrus Reisner II; Accounts of the Dockyard Workshop at This in the Reign of Sesostris I. (Boston 1965), B 23: "mooring block, cleat, stake at bow for mooring"; F. Ll. Griffith, The Teaching of Amenophis the Son of Kanakht. Papyrus B.M. 10474, in: Journal of Egyptian Archaeology 12, 1926, 191–231, hier: 199, Anm. 3 "mooring post"; R. O. Faulkner, A Concise Dictionary of Middle Egyptian (Oxford 2002 (Repr. 1962)), 126: "mooring-post"; Dürring, Materialien zum Schiffbau, 86: „ein Rundholz“; Jones, A Glossary of Ancient Egyptian Nautial Titles and Terms, 199: "mooring-post"; kopt. ⲛⲁⲉⲓⲱ: W. E. Crum, A Coptic Dictionary (Oxford 1962), 218b: "peg, stake for ship’s hawsers"; W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch (Heidelberg 2008 (Repr. 1965–1977)), 120: "Pfahl, Haltepflock (für Schiffe)".
6 Ergänzung nach den Horusstelen Kairo CG 9405 und Avignon A.58.
7 Auf den Horusstelen Kairo CG 9405 und Avignon A.58 steht eher Amun-na-ka-intek (siehe Quack 2018, 39), was hier verschrieben oder umgedeutet wurde.
8 Ergänzt nach den Horusstelen Kairo CG 9405 und Avignon A.58. Die Deutung ist mangels Determinativ unklar. Ist dort eine Ableitung von ḫr: "Feind" gemeint, eventuell als Euphemismus, oder liegt eine Schreibung von Pꜣ-Rꜥw: "Phre; der Re" vor?
Vorderseite
Spruch, um das Maul zu verschließen
Spruch, um das Maul eines jeden Kriegtieres und eines jeden Löwen (?) zu verschließen 〈...〉