Oracular Amuletic Decree T2 (Papyrus Turin Cat. 1984)

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OAD T2
Aufbewahrungsort
Europa » Italien » (Städte Q-Z) » Turin » Museo Egizio

Inventarnummer: Cat. 1984

Digitaler Katalog
Erwerbsgeschichte

Der Papyrus war Teil der Sammlung Drovetti (Edwards 1960, 51), die der aus dem Piemont stammende Diplomat während seiner Zeit als Generalkonsul für Frankreich ab 1803 in Ägypten zusammengetragen hatte. Die Sammlung wurde nach Verhandlungen in den Jahren 1822–1824 im Januar 1824 im Auftrag des Großherzogs der Toskana (Ferdinand III.) und unter Bewilligung von König Carlo Felice (d.h. Carlo Felice Giuseppe Maria, 1821 bis 1831 König von Sardinien) für das Museo Egizio angekauft (zu den Erwerbsumständen s. Ministero della pubblica istruzione 1880, XII–XIII und Botti 1921, 131–132).

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben

Die genaue Herkunft des Papyrus ist nicht bekannt. Leider wurde die Herkunft der Antiken von Drovetti nicht dokumentiert, doch konzentrierte sich sein Wirken in erster Linie auf den thebanischen Raum, so dass vor allem bei dem Papyrus-Konvolut der Drovetti-Sammlung eine Herkunft aus Theben nicht unwahrscheinlich ist.

Edwards (1960a, xiii) geht von einer Herkunft aus Theben aus, die er vor allem an den im Text genannten Göttern festmacht. Die Götter, die das Orakel geben, sind Iunit, die inmitten des Südlichen Heliopolis ist, Month, der im Sanktuar ist, sowie Chons, der inmitten des Südlichen Heliopolis ist, deren Kultstellen alle in Karnak zu lokalisieren sind. Der Papyrus wurde für die gleiche Besitzerin wie pBM EA 10083 (L1) angefertigt (s. Edwards, 1960a, xvii). Deren Name, Buiruharchons „Sie haben Chons nicht geplündert“ (Thirion 1981, 83–84), ist vor allem im thebanischen Raum belegt, s. Thirion 1981, 84.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 21. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 22.–23. Dynastie

Edwards (1960a, xiii–xiv) geht von einer Datierung des gesamten Korpus der Amulettpapyri mit Orakeldekreten in die 22./23. Dynastie aus. Ein einziger Text (L7: pBM EA 10730) liefert einen Hinweis auf die Datierung, denn er ist für einen Prinzen und zukünftigen General in der Armee eines Königs Osorkon geschrieben, bei dem es sich nach Edwards (1960a, xiv) und Ritner (2009, 74) vermutlich um Osorkon I. handeln dürfte, während Jacquet-Gordon (1963, 32; 1979, 175, Anm. 5) und ihr folgend Verhoeven (2001, 13) von Osorkon II. ausgehen. Diese Datierung basiert auf Textparallelen im Text auf einer Statue aus Tanis (Kairo CG 1040 + CG 881 + Philadelphia E 16159: s. Jacquet-Gordon 1960, 23), die ursprünglich für Sethos I. angefertigt und für Osorkon II. wiederverwendet und neu beschriftet wurde (Sourouzian 2010, 97–105). Der Text L7 wäre also in die 22. Dynastie, oder für den Fall, dass es sich ungeachtet der Parallelen doch um einen späteren Osorkon handeln würde, spätestens in die 23. Dynastie zu datieren. Nach Koenig (1987, 31) ist aufgrund der Paläographie sowie spezifischer Schreibungen mindestens für einen Teil der Texte, den hier bearbeiteten mit eingeschlossen, eine Datierung in die 21. Dynastie anzunehmen.

Auch der Name der Besitzerin, Buiruharchons „Sie haben Chons nicht geplündert“ (Thirion 1981, 83–84) liefert einen Hinweis zur zeitlichen Einordnung. Namen von diesem Typ sind inhaltlich und sprachlich ab der 21. Dynastie belegt (Jansen-Winkeln 2007, 277; Guentch-Ogloueff 1940, 124 und 133; Jansen-Winkeln 1985, 192; Thirion 1981, 83–84), was als Terminus post quem zur paläographischen Datierung passt.

Textsorte
Oracular Amuletic Decree
Inhalt

Die orakelgebenden Götter, Iunit, die inmitten des Südlichen Heliopolis ist, Month, der im Sanktuar ist, sowie Chons, der inmitten des Südlichen Heliopolis ist, versprechen der Besitzerin des Amuletts, Buiruharchons („Sie haben Chons nicht geplündert“, Thirion 1981, 83–84), Tochter von Djedchons, Schutz vor unterschiedlichen Gefahren und Bedrohungen sowie die Gesunderhaltung ihres Körpers. Die Beschreibung des Körpers in seinen Einzelteilen sowie die Aufzählung der Gefahren und Bedrohungen generiert sich aus einem standardisierten Katalog, der allen Texten des Korpus zugrunde liegt, s. Grams 2017, 55–100.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Amulettpapyri wie der hier vorliegende Text wurden aufgerollt in einem kleinen Behälter, der aus Leder, Holz oder Metall gearbeitet sein konnte (vgl. Ray 1972, 151–153; Bourriau – Ray 1975, 257–258), um den Hals getragen und dienten somit als Apotropaion (vgl. hierzu Roß 2019, 40–44). Dieser Papyrus befand sich ursprünglich in einem Lederbehälter (Edwards 1960a, 63).

Die Amulette wurden vermutlich in erster Linie für Kinder hergestellt (vgl. Roß 2019, 26–36; Adderly 2015, 193; Edwards 1960a, xvi), wobei es Hinweise darauf gibt, dass es sich um Säuglinge oder sehr junge Kinder gehandelt haben könnte (Roß 2019, 26–36). Wilfong (2013, 295–300) geht davon aus, dass die Länge des beschrifteten Papyrusstreifens mit der Größe des Kindes korreliert werden kann. Mittlerweile ist auch ein Orakeldekret für eine schwangere Frau belegt (pIFAO H40: Koenig 2018, 233–239), doch ist der Text leider nur fragmentarisch erhalten, so dass keine Rückschlüsse auf die ursprüngliche Länge des Dokumentes erzielt werden können.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Technische Daten

Der Text, der aufgerollt in einem Lederbehälter gefunden wurde, ist vollständig erhalten. Er wurde für die gleiche Besitzerin, für die auch pBM EA 10083 (L1) hergestellt wurde, aufgesetzt. Der Papyrusstreifen hat eine Länge von 104,5 cm und eine Breite von 6,5 cm. Die Bezeichnungen „Recto“ und „Verso“ werden von Edwards auf den Text bezogen, was bei diesem Text dazu führt, dass er das papyrologisch definierte Verso als „Recto“ bezeichnete. Der Text beginnt also auf dem Verso und wird auf dem Recto fortgesetzt und zwar, nachdem der Schreiber den Papyrusstreifen über die Längsseite gedreht hat, sodass der Textbeginn auf der Rückseite auf dem Textbeginn der Vorderseite zu liegen kommt. Zur Herstellung eines solchen Amulettpapyrus musste eine Papyrusrolle oder ein Teil einer Rolle der Länge nach in schmale Streifen geschnitten werden.

Schrift
Hieratisch

Der Text ist in einem gut lesbaren, leicht kursiven Späthieratisch geschrieben, s. Edwards 1960a, xiv, 51; vgl. Verhoeven 2001, 13.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch

Die im Text verwendete Sprache ist nach Orthographie und Grammatik eindeutig dem Neuägyptischen zuzuordnen. Indizien sind z.B. die Schreibung der Suffixpronomen sowie der Gebrauch des Possessivartikels oder der Periphrase mit jri̯. Zudem ist im Futur III die Präposition r nicht geschrieben, vgl. zur Morphologie der Verben in den OAD die zitierten Beispiele bei Winand 1992, 536–537.

Bearbeitungsgeschichte

Der Papyrus findet im Jahr 1882 im Generalkatalog des Museums Turin eine Erwähnung (Fabretti et. al. 1882, 259). Im Jahr 1960 legte Edwards die editio princeps von insgesamt 21 Papyri vor (Edwards 1960a+b), darunter auch der hier bearbeitete Papyrus Turin Cat. 1983. Er bezeichnete die Textgruppe als „Oracular Amuletic Decrees“ (OAD). Unser Text ist dort mit der Sigle T2 aufgenommen (Edwards 1960a, 63–73; Edwards 1960b, Taf. 22–26). Verschiedene Studien widmeten sich dem Korpus der Oracular Amuletic Decrees unter diversen Gesichtspunkten, wobei Textsegmente der gesamten Gruppe bearbeitet und zitiert werden, s. Lucarelli 2009, 231–239; Wilfong 2013, 295–300; Austin 2014, 39–41; Adderly 2015, 191–227; Grams 2017, 2017, 55–100; Roß 2019.

Editionen

- Fabretti et. al. 1882: A. Fabretti et. al. Regio Museo di Torino. Antichità egizie. Vol. 1: Catalogo generale dei musei di antichità e degli oggetti d’arte raccolti nelle gallerie e biblioteche del Regno 1.1. Torino 1882, 259.

- Edwards 1960a: I. E. S. Edwards, Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series. Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom. I. Text (London 1960), 63–73.

- Edwards 1960b: I. E. S. Edwards, Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series. Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom. II. Plates (London 1960), Taf. 22–26.

Literatur zu den Metadaten

- Austin 2014: A. Austin, Contending with Illness in Ancient Egypt (Los Angeles 2014) (https://escholarship.org/uc/item/4rw1m0cz).

 

- Botti 1921: G. Botti, La collezione Drovetti e i papiri del R. Museo Egizio di Torino, in: Rendiconti della Reale Accademia dei Lincei, classe di scienze morali, storiche e filologiche: serie quinta 30 (11–12), 1921, 128–135, 143–149.

 

- Bourriau - Ray 1975: J. D. Bourriau - J. Ray, Two Further Decree-Cases of ŠꜢḳ, in: Journal of Egyptian Archaeology 61, 1975, 257–258.

 

- Grams 2017: A. Grams, Der Gefahrenkatalog in den Oracular Amuletic Decrees, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 46, 2017, 55–100.

 

- Jacquet-Gordon 1960: H. J. Jacquet-Gordon, The Inscription on the Philadelphia-Cairo Statue of Osorkon II, in: JEA 46, 1960, 12–23.

 

- Jacquet-Gordon 1963: H. J. Jacquet-Gordon, [Review:] I. E. S. Edwards, Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series. Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom, 2 Bände (London 1960), in: Bibliotheca Orientalis 20, 1963, 31–33.

 

- Jacquet-Gordon 1979: H. Jacquet-Gordon, Deux graffiti de l'époque libyenne sur le toit du temple de Khonsou à Karnak, in: Anonymous (Hrsg.), Hommages à la mémoire de Serge Sauneron 1927-1976. I. Égypte pharaonique, Bibliothèque d’Étudte 81 (Caire 1979), 167–183, Taf 27–29.

 

- Koenig 1987: Y. Koenig, Notes de transcription, in: Cahiers de Recherches de l'Institut de Papyrologie et d'Égyptologie de Lille 9, 1987, 31–32.

 

- Koenig 2018: Y. Koenig, Un nouveau décret amulettique oraculaire: Pap. IFAO H 40, Bulletin de l'Institut Français d'Archéologie Orientale 118, 2018, 233–239.

 

- Lucarelli 2009: R. Lucarelli, Popular Beliefs in Demons in the Libyan Period: The Evidence of the Oracular Amuletic Decrees, in: G. P. F. Broekman - R. J. Demarée – O. E. Kaper (Hrsg.), The Libyan Period in Egypt. Historical and Cultural Studies into the 21st – 24th Dynasties: Proceedings of a Conference at Leiden University, 25-27 October 2007, Egyptologische Uitgaven 23 (Leuven 2009), 231–239.

 

- Ray 1972: J. Ray, Two Inscribed Objects in the Fitzwilliam Museum, Cambridge, in: Journal of Egyptian Archaeology 58, 1972, 247–253.

 

- Ritner 2009: R. K. Ritner, The Libyan Anarchy. Inscriptions from Egypt‘s Third Intermediate Period (Atlanta 2009), 74.

 

- Roß 2019: A. Roß, Der Schutz von Kindern im alten Ägypten. Die religiösen und soziokulturellen Aspekte der Oracular Amuletic Decrees (Göttingen 2019).

 

- Sourouzian 2010: H. Sourouzian, Seti I, not Osorkon II. A new join to the statue from Tanis, CG 1040 in the Cairo Museum, in: O. El-Aguizy – M. S. Ali (Hrsg.), Echoes of Eternity. Studies presented to Gaballa Aly Gaballa, Philippika 35 (Wiesbaden 2010), 96–105.

 

- Thirion 1988: M. Thirion. Notes d’onomastique. Contribution à une révision du Ranke PN (sixième série), in: Revue d Égyptologie 39, 1988, 131–146.

 

- Verhoeven 2001: U. Verhoeven, Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift, Orientalia Lovaniensia Analecta 99 (Leuven 2001), 13.

 

- Wilfong 2013: T. G. Wilfong, The Oracular Amuletic Decrees: A Question of length, in: Journal of Egyptian Archaeology 99, 2013, 295–300.

 

- Winand 1992: J. Winand, Études de néo-égyptien 1. La morphologie verbale, Aegyptiaca Leodiensia 2 (Liège 1992).

Übersetzung und Kommentar

Oracular Amuletic Decree T2 (pTurin Cat. 1984)

Recto

rto. 1[Gesprochen hat] ⸢Junit, die inmitten des Südlichen⸣ Heliopolis ist; (und in göttlicher Weise) gesprochen hat Month, der auf dem großen Thron ist; (und) gesprochen hat Chons, der inmi[tten]1 des ⸢Südlichen⸣ Heliopolis ist:

Wir werden Buiruharchons, deren Mutter Djedchons (ist), unsere rto. 5Dienerin (und) unseren Zögling, beschützen. Wir werden sie gesund erhalten an ihrem Fleisch und an ihrem Skelett.

Wir werden ihren Mund öffnen,2 um zu essen. Wir werden ihren Mund öffnen, um zu trinken. Wir werden veranlassen, dass sie isst um zu leben. Wir werden veranlassen, dass sie rto. 10trinkt um gesund zu sein.

Wir werden ihre Träume gut machen (wörtl. 〈zu〉 etwas Gutem machen) (und) die (Träume), die jeder andere oder jede andere für sie sehen wird,3 ebenfalls gut (machen) (wörtl. 〈zu〉 etwas Gutem machen).

Wir werden sie retten aus der Hand von d[en] ⸢Göttern⸣, d[ie] ⸢Menschen⸣ [schnappen] (wörtl. nehmen) als Ersatz für (andere) Menschen.4 rto. 15Wir werden sie retten aus der Han[d] von [d]en Göttern, die Menschen beim Rückzug/auf der Flucht schnappen (wörtl. nehmen). Wir werden sie retten aus der Hand der Götter, die Menschen als Beute schnappen (wörtl. nehmen). Wir werden sie aus der Hand der Götter retten, die einen Menschen schnappen (wörtl. nehmen), obwohl es gar nicht sein Schicksal (und) seine rto. 20(glückliche) Bestimmung ist.

Wir werden sie aus dem Einfluss der Bücher vom Jahresanfang (und) aus dem Einfluss der Bücher vom Jahresende retten.

Wir werden sie aus der Hand der Götter retten, die einen Menschen in einem Atemzug (wörtl. beim Atmen) schnappen (wörtl. nehmen). Wir werden sie aus der Hand der Götter des südlichen rto. 25Ackerland(bezirk)s retten (und) aus der Hand der Götter des nördlichen Ackerland(bezirk)s. Wir werden sie aus der Hand der Götter vom (Buch) „Das was im Jahr ist“ retten. Wir werden sie aus der Hand der Götter retten, die einen Menschen auf den Feldern finden und ihn in der Stadt töten. Wir werden sie rto. 30aus der Hand der Götter retten, die einen Menschen in der Stadt finden und ihn auf den Feldern töten. Wir werden sie aus der Hand der Götter retten, die einen Menschen finden und (dann) seine Stimme (wörtl. Mund) wegnehmen. Wir werden sie aus der Hand der Götter retten, die einen Menschen in Panik5 rto. 35schnappen (wörtl. nehmen). Wir werden sie retten aus der Hand der Götter der Dekade, die umkehren6 zu ihren […] (und) zu ihren Gefährten, (nämlich) den Göttern, die mit ihnen gegessen haben. Wir werden sie retten aus der Hand der Götter, die einen Menschen schnappen, wenn er ihren (Sg.) Gott nicht rto. 40kennt.7

Wir werden sie retten aus der Hand der Meerkatze, die den Hügel8 kontrolliert, (und) des Pavians, der das Haus des Udjat-Auges9 kontrolliert. Wir werden sie retten aus der Hand der Messerdämonen10 (und) aus der Hand der Wanderdämonen. Wir werden sie retten aus der Hand der Sachmet und ihres rto. 45Sohnes. Wir werden sie retten aus der Hand der ⸢Gött⸣er des ⸢West⸣lichen ⸢Uferdamms⸣ (und) aus der Hand d⸢er⸣ Götter des östlichen Uferdamms. Wir werden sie retten aus der Hand von Sopdu-Horus im Osten (und) Sopdu-Horus im Westen,11 die Vorsteher12 der Messerdämonen der Neunheit. rto. 50Wir werden sie retten aus der Hand des Wildlöwen, des Sohns der Bastet, dieses großen Gottes, der vom Blut der rḫy.t-Menschen lebt (wörtl. der, von dem gilt: dass er lebt, ist vom Blut der rḫy.t-Menschen).

1 ḥr.j-jb: Zur Schreibung von ḥr.j-jb s. Fecht, Wortakzent, 69.

2 [w]n ⸢rʾ⸣=[st]: Ergänzung nach dem folgenden Parallelsatz.

3 jw kꜣ nb m-rʾ-pw k.tj (r) ptr=w: Zum Vorkommen der Konstruktion jw NN (r) sḏm neben dem geläufigeren jri̯ NN (r) sḏm im Futur III s. Winand, Études de néo-égyptien, 498–504.

4 rmṯ: Der Begriff rmṯ ist zweimal mit dem sitzenden Mann (A1) klassifiziert anstelle von A1 und der sitzenden Frau B1. Der Schreiber benutzt diese Schreibung fast regelmäßig in diesem Text. Von den insgesamt 13 Belegen des Wortes in diesem Text sind lediglich 2 (Rto. 14 u. 16) korrekt geschrieben.

5 ḥr-ny-ḥr-ny: Graphische Schreibung für ḥr-n-ḥr „Unglück“ (Wb 3, 130.23) Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 64 [16]: „panic“ mit Verweis auf Gardiner, in: ZÄS 42, 1905, 29 [6]; Wilson, in: ZÄS 68, 1932, 56–57; Caminos, LEM, 313. Kurze Übersicht und Diskussion bei Wilson, Ptol. Lexikon, 655–656.

6 ꜥnn.t: Zur Verwendung des Verbs ꜥnn „(sich/etwas) umwenden, zuwenden“ (Wb 1, 188.13–189.7) als Bezeichnung für den Untergang der Dekansterne, s. Edwards, HPBM 4, 7–8 [54].

7 [UPDATE FOLGT]

8 jꜣd.t: Beeinflusst durch jꜣd.t > ꜣ.t „Zeit(punkt)“ (Wb 1, 1.12–2.2; Lesko, Dictionary I, 17) wurde hier fehlerhaft als zweiter Klassifikator die Sonnenscheibe (N1) gesetzt. Aus den Parallelen geht deutlich hervor, dass es sich bei dem Begriff in diesem Versprechen um eine Örtlichkeit handeln muss, da in fünf (pLondon BM EA 10587 (L6), Rto. 58; pParis Louvre E 25354 (P3), Rto. 29; pChicago OIM E25622A-D (Ch), 81; pPhiladelphia Penn E 16724 (Ph), D3–4; pBerlin ÄMP 3059 (B1), 42–43) von neun Texten die Ortsangabe tꜣ s.t (n.t) vorgeschaltet ist. Die Bezeichnung der Örtlichkeit variiert: fünf Texte (pLondon BM EA 10587 (L6), Rto. 58; pTurin Cat. 1983 (T1), Rto. 101; pParis Louvre E 8083 (P2), Rto. 17; pParis Louvre E 25354 (P3), Rto. 29; pChicago OIM E25622A-D (Ch), 81) zeigen Schreibungen, die mit jwy.t „Haus, Sanktuar, Stadtviertel“ (Wb 1, 49.5–8) korrespondieren, wobei sicherlich „Sanktuar“ gemeint sein dürfte. Die anderen vier Texte (pTurin Cat. 1984 (T2), Rto. 41; pPhiladelphia Penn E 16724 (Ph), D3–4; pKairo CG 58035 (C1), 36; pBerlin ÄMP 3059 (B1), 42–43), schreiben jꜣ.t „Stätte, Hügel“ (Wb 1, 26.9–15), wobei bis auf einen (C1, 36) die jüngere Schreibung jꜣd.t (Lesko, Dictionary I, 18) verwendet wird. Zu einer möglichen Verbindung der Meerkatze (gyf) zu Thot s. Borghouts, in: JEA 59, 1973, 145–146.

9 pꜣ wḏꜣ.t: Lies pr wḏꜣ.t nach der Parallele in pLondon BM EA 10587 (L6), Rto. 57–59, die tꜣ s.t n(.t) pr wḏꜣ.t schreibt. Weitere Parallelen reduzieren auf tꜣ s.t (n.t) wḏꜣ.t (pParis Louvre E 25354 (P3), Rto. 28–30; pChicago OIM E25622A-D (Ch), 80–82), was die Lesung pr gegen pꜣ absichert. Ein weiterer Text (pKairo CG 58035 (C1), 35–38) schreibt ebenfalls pꜣ wḏꜣ.t. Zu einer anderen Deutung von pꜣ wḏꜣ.t kommt Borghouts (in: JEA 59, 1973, 145–147), vgl. hierzu auch Grams, in: SAK 46, 2017, 79.

10 ḫꜣy.tjw: Zur Natur der ḫꜣy.tjw-Messerdämonen s. Fischer-Elfert, Magika Hieratika, 194–195; Sass, Slaughterers, Knife-bearers and Plague-bringers.

11 Spd.w-Ḥr.w: Zu Sopdu-Horus s. Töpfer, Balsamierungsritual, 325, 298 (speziell zur Verbindung mit jꜣb.t und jmn.t); Beaux, in: BdE 106.1, 61–72 (1994); LGG VI, 279b; Sauneron, Rituel de l’embaumement, 8, 22; Yoyotte, in: BSFE 114, 1989, 20; pNew York 35.9.21, 31,10: Goyon, in: BIFAO 75, 1975, 391.

12 nꜣ ḥr(.jw) ḫꜣ.yt(jw) n(.w) tꜣ psḏ.t: s. LGG V, 407b; Sass, Slaughterers, Knife-Bringers and Plague-Bringers, 49–51.

Wir werden sie schützen 〈vor〉 Pre, Ptah (und) Bastet. Wir werden sie retten aus der Hand von Amun, Mut (und) Chons, den großen rto. 55Göttern des Himmels (und der) Erde. Wir werden sie retten aus der Hand der Götter des Nordens (und) aus der Hand der Götter des Südens. Wir werden sie retten aus der Hand der Götter des Westens (und) der Götter des Ostens. Wir werden sie retten aus der Hand der Götter von draußen.13 Wir werden sie retten aus der Hand rto. 60eines jeden Gottes und jeder Göttin ihrer Mutter (und) aus der Hand eines jeden Gottes und jeder Göttin ihres Vaters.14

Wir werden sie schützen vor jedem männlichen wr-Geist (und) vor jedem weiblichen wr.t-Geist. Wir werden sie schützen vor einem wr.yt-Geist eines Flusses, vor einem wr.yt-Geist eines Kanals, vor einem wr.yt-Geist rto. 65((eines))15 Brunnens, vor jedem wr.yt-Geist eines Teichs (und) vor ⸢Tod⸣ (?)16 ⸢im⸣ Geburtshaus. Wir werden sie schützen vor dem Ungeheuer (?)17 des Geburtshauses. Wir werden sie unversehrt sein lassen in ihrer18 Hand (der Hand der wr.yt-Geister).

Wir werden sie schützen vor Leid des ḥꜣ.tj-Herzens, vor Leid der Lunge, rto. 70vor Leid der Milz, vor Leid des ḏꜣḏꜣ-Kopfes,19 vor Leid des Bauches, vor Leid der Seite, vor Leid des Rückens, vor Leid des Hinterns, vor Leid der Unterleibsregion, vor Leid an beiden Oberschenkeln, vor Leid am Knie (und) vor Leid, das man behandeln kann.20 Wir werden sie rto. 75bewahren vor Aussatz/Lepra, vor Augenleiden/Blindheit (und) vor dem Wirken des Udjat-Auges während ihrer gesamten Lebenszeit.

13 nṯr.w n(.w) rr(w).tj: Diese Gruppe von Göttern ist nur in diesem einen Text der Oracular Amuletic Decrees belegt. Die Vorstellung, dass gefährliche Pathogene von außen kommen und den Menschen durch Eindringen in den Körper gefährden können, ist allerdings aus anderen ägyptischen magischen Texten bekannt (s. zum Beispiel Papyrus Nr. 1826 der Nationalbibliothek Griechenlands, x+8.9: Fischer-Elfert/Hoffmann, Papyrus Nr. 1826, 166). Im Papyrus Edwin Smith (4.16 – Sm 8) findet sich zudem eine aufschlussreiche Glosse, die auch zur Erklärung der hier behandelten Textstelle beiträgt: jr ꜥq.t m-rw.tj ṯꜣw pw n(.j) nṯr n(.j) rw.tj mwt rꜣ-pw „Was (die Textstelle) „etwas, das von außen eingetreten ist“ angeht: das ist der Hauch eines Gottes von draußen oder (der Hauch) eines Toten/Wiedergängers“ (P. Dils, in TLA (März 2025); vgl. Fischer-Elfert/Hoffmann, Papyrus Nr. 1826, 166–167 [728]).

14 nṯr nb nṯr.t nb(.t) m tꜣy=st mw.t m-ḏr.t nṯr nb nṯr.jt nb(.t) n(.t) pꜣy=st jt(j): Der Schreiber war hier offenbar etwas unkonzentriert: Er schreibt m anstelle des Genitivs n.j und vertauscht die Klassifikatoren bei mw.t „Mutter“ (mit A1) und jt(j) „Vater“ (mit B1), s. Edwards, HPBM IV, Bd. 1, 64, Anm. 31. Leider gibt es zu diesem Versprechen keine Parallele in den anderen Texten, so dass man nicht überprüfen kann, ob dort zuerst der Vater und dann die Mutter genannt ist, und die Verwechselung daher rühren könnte. In paarweisen Aufzählungen wird generell zuerst der Mann genannt, deshalb würde man diese Reihenfolge hier ebenso erwarten. Welche Götter konkret angesprochen sind, ist unklar, ebenso ein Grund, warum Gefahr von ihnen ausgehen könnte.

15 ((n.t)): Oberhalb der Klassifikatoren von šd.t „Brunnen“ ist noch ein waagerechter Strich für die Wasserlinie (N35) offenbar nachträglich eingefügt worden.

16 ⸢⸮m(w)⸣t? ⸢n⸣ pr-ms(.w): Das letzte Element der Aufzählung passt nicht zu der vorausgehenden Zusammenstellung verschiedener wr.t-Geister, die in allen anderen Texten immer als homogene Gruppe ohne zusätzliche andersartige Bedrohungen präsentiert werden, s. pLondon BM EA 10083 (L1), Vso. x+21–33; pLondon BM EA 10251 (L2), Rto. 32–34 u. Rto. 66–69; pLondon BM EA 10308 (L3), B 48–54; pLondon BM EA 10320 (L4), 15–16; pLondon BM EA 10321 (L5), Rto./OAD, vs. 13–15 u. Rto./OAD, vs. 23–33; pLondon BM EA 10587 (L6), 76–83; pTurin Cat. 1983 (T1), Vso. 1–5; pParis Louvre E 25354 (P3), Rto. 102–103; pKairo CG 58035 (C1), 53–54; pLondon BM EA 10899 (C2), Vso. 5–8; pNew York MMA 10.53 (NY), Rto. 42–43; pChicago OIM E25622A-D (Ch), 28–33; pBerlin ÄMP 10462 (B1), Rto. 33–35; pHannover 1976.60c (Ha), x+45–48. Der nächste Satz schließt inhaltlich an dieses letzte Element an, der darauffolgende ist wieder auf die wr.yt-Geister bezogen, was aus Parallelen in L1, Vso. x+32–33 und L2, Rto. 69 hervorgeht. Die Zeilen 66–68 vermitteln den Eindruck, als ob dort zumindest Teile des Textes abgewischt und neu geschrieben worden sind. Inwiefern dies mit dem thematisch unpassenden Einschub zu tun hat, ist nicht erkennbar, vgl. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 65 [36].

17 hꜣ~r: Der Begriff hꜣ~r im Kontexts des Geburtshauses (hꜣ~r n(.j) pr-ms(.w)) ist nur in zwei Belegstellen im pTurin Cat. 1984 (T2, Rto. 67–68 sowie Vso. 77–79) belegt. Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 65 [37]) verbindet den Ausdruck mit demot. hll (CDD H, 93; EDG 280) bzw. kopt. ϩⲗⲟⲟⲗⲉ (Crum, Dict. 669) „wiegen o.ä.“, vgl. Meeks, AL 77.2514; Lesko, Dictionary 2, 86; Andreu/Cauville, in: RdE 29, 1977, 9. Edwards bietet keine Übersetzung an, da seine Deutung inhaltlich nur schwer in den Kontext zu integrieren ist, wie er selbst bemerkt. Ein Kind zu wiegen, bzw. es zum Einschlafen zu bringen, ist positiv zu bewerten, und Schutz vor einer solchen Handlung macht keinen Sinn.
Passender erscheint es, hꜣr als eine Bezeichnung des Seth aufzufassen, die in ähnlicher Schreibung in einer Version des Rituals der vier Kugeln aus frühptolemäischer Zeit zwei Mal belegt ist (pMMA 35.9.21, 26, 12 u. 31, 11: Goyon, in: BIFAO 75, 1975, 362–363 u. 392–393; Goyon, Le Papyrus d’Imouthès, 66, 71, pl. 25, 30; Theis, Magie und Raum, 264–265). Dort wird in der Anrufung der Gott Seth mit verschiedenen Namen angesprochen, u.a. als Hꜣ, Hꜣy, Hꜣr und Hꜣtj. Diese Namen könnten in Verbindung mit Seth in der Gestalt eines (schlangenartigen) Untiers oder Ungeheuers zu sehen sein, das als Hj.w bzw. Hy oder Hꜣy (Wb 2, 483.15–17; LGG IV, 795–796) bezeichnet wird. Seit dem Mittleren Reich ist dieser Begriff aber auch für Seth in der Gestalt eines (rufenden/schreienden) Esels belegt, s. Ward, in: JNES 37, 1978, 23–34. Die Tatsache, dass in den Sargtexten selten auch die Schreibung hr in Verbindung mit der Hieroglyphe Eselskopf (F 53) bezeugt ist, die im Ptolemäischen auch zur Schreibung des Wortes hrw „Tag“ (Wilson, Ptol. Lexikon, 607) verwendet wird, führt Ward (ebd., 31–34) auf dialektale Unterschiede zurück.
Ebenso wie bei der Hj.w-Schlangengestalt wird in der Übersetzung das Ungeheuerliche, Monströse der Erscheinung hervorgehoben, z.B. Yamazaki, Mutter und Kind, 32–33 [d]: „Ungeheuer“; Goyon, Le Papyrus d’Imouthès, 66: „monstre“. Es gibt Hinweise darauf, dass Seth als Verursacher von Fehlgeburt oder Missbildung des Fötus gefürchtet war, und Te Velde (Seth, 28–29) vermutete in dieser Hinsicht eine Verbindung zur hj.w-Gestalt des Gottes.
Ein Versprechen mit diesem Thema hier an dieser Stelle wirkt unpassend. Es schließt sich an das letzte Element einer Aufzählung im vorhergehenden Versprechen an, das dort allerdings auch unplatziert wirkt. Am Ende eines Schutzversprechens, das eine Reihe von wr.yt-Geistern aufzählt, wird „Tod im Geburtshaus“ angehängt, was normalerweise in den Texten zu den wr.yt-Geistern nicht vorkommt. Es entsteht der Eindruck, dass der Schreiber aus irgendeinem Grund hier durcheinandergekommen ist (s. Kommentar zum vorhergehenden Versprechen). Gestützt wird diese Annahme dadurch, dass in den Zeilen Vso. 66–68 schwache Tintenspuren zu sehen sind, die darauf hindeuten, dass hier Text zunächst getilgt und dann überschrieben wurde, sowie durch das folgende Versprechen, das inhaltlich zu dem vorausgehenden wr.yt-Versprechen gehört. Zudem werden die Versprechen mit Bezug zum Geburtshaus auf der anderen Seite dieses Papyrus (Vso. 77–79) nochmal wiederholt. Dort wird der Begriff hꜣ~r ebenfalls – allerdings teilweise zerstört – erwähnt.

18 m-ḏr.t=w: Das Suffixpronomen in der 3. Person Plural deutet darauf, dass hier auf die oben erwähnten wr.t-Geister Bezug genommen wurde, wie dies ebenfalls in den Papyri pLondon BM EA 10083 (L1), Vso. x+32–33 und pLondon BM EA 10251 (L2), Rto. 69 der Fall ist. Auch wenn die genaue Bedeutung von hꜣr n pr-ms.w ungeklärt bleiben muss, ist ein Bezug im Plural durch nichts in der Schreibung nachvollziehbar. Dieses Thema des Geburtshauses ist an dieser Stelle offenbar fehlerhaft in den Text aufgenommen worden, denn die Varianten der Versprechen gegen verschiedene wr.yt-Geister in den anderen Texten beziehen keine anderen Themen in die Aufzählungen mit ein. Dies wird gestützt durch die Tatsache, dass sowohl mwt n pr-ms.w „Tod im Geburtshaus“ als auch (n)hꜣr/hꜣr n pr-ms.w „Schrecken/Ungeheuer“ im Geburtshaus“ auf der anderen Seite des Papyrus (Vso. 77–79) ein zweites Mal erwähnt sind.

19 ḏꜣḏꜣ: Die Erwähnung von ḏꜣḏꜣ „Kopf“ (Wb 5, 530.5–531.20) hier an dieser Stelle der Auflistung ist erklärungsbedürftig. Im Allgemeinen werden Körperteile in Listen von oben nach untern, also von Kopf bis Fuß aufgezählt (vgl. Walker, Anatom. Term., 308–341). Dies gilt auch für die Versprechen zum Körperschutz, wie die große Liste in diesem Text (T2, Vso. 7–58) zeigt. Edwards (HPBM IV, Bd. 1, 65 [39]) vermutet daher einen Fehler des Schreibers, der an dieser Stelle eventuell ḏꜣḏꜣ mit der Körperteilbezeichnung (pr-)ḏꜣj(.t) (Wb 1, 518.10) verwechselt haben könnte. Hierbei handelt es sich um die Bezeichnung eines inneren Organs von Menschen und Tieren, das nicht näher bestimmt werden kann (vgl. Gardiner, AEO II, 244*; Vos, Apis Embalming Ritual, 302). Im vorliegenden Text ist dieses Organ im Rahmen der Versprechen zum Körperschutz zwischen Milz und Armen(?) sowie weiteren inneren Organen in Zeile Vso. 38 erwähnt. (Es ist unklar, ob hier eine Verschreibung, eine unbekannte Bezeichnung oder eine Wiederholung vorliegt, s. den Kommentar zum Lemma (pr)-ḏꜣj(.t) (TLA-Lemma 60910). Die Bezeichnung kommt darüber hinaus im Rahmen der Körperschutzversprechen in vier weiteren OAD (pLondon BM EA 10308 (L3), B 62; pLondon BM EA 10587 (L6), Rto. 33; pTurin Cat. 1983 (T1), Vso. 88 u. 89–90; pBerlin ÄMP 10462 (B1), Rto. 88) vor.
Das hier vorliegende Versprechen gehört allerdings in die Kategorie von Sprüchen, die Schutz vor Leid an unterschiedlichen Körperteilen thematisieren. Diese Versprechen können die Körperschutzversprechen ergänzen. Parallelen aus vier weiteren Oracular Amuletic Decrees (pLondon BM EA 10251 (L2), Vso. 35–42; pParis Louvre E 8083 (P2), Vso. 9–12; pParis BN 182 (P4), 74–75; pLondon BM EA 10899 (C2), Rto. 31–38) liegen uns hierfür vor. P4 ist aufgrund des Erhaltungszustands nicht als Vergleich geeignet, die drei anderen Texte weisen aber in ihrer Struktur eine gewisse Ähnlichkeit auf. So beginnen alle mit ḏꜣḏꜣ „Kopf“, dann folgen in L2 und C2 jeweils eine Gruppe von inneren Organen, auf die eine Gruppe Sinnesorgane sowie am Ende noch weitere Körperteile, wie z.B. „Rücken“ folgen (die Folge in P2 ist kurz und beinhaltet lediglich Kopf, Zunge und Auge). Offenbar liegen in diesen Listen also andere Ordnungskriterien zugrunde.
Es stellt sich nun die Frage, ob der Schreiber hier eigentlich ein weiteres inneres Organ hinzufügen wollte, bei dem es sich eventuell um das bisher nicht eindeutig identifizierte (pr-)ḏꜣj(.t)-Organ handeln könnte, und stattdessen ḏꜣḏꜣ „Kopf“ geschrieben hat; möglicherweise aufgrund der Tatsache, dass die parallelen Texte stets mit dem Kopf beginnen. Das nicht sicher zu identifizierende Organ (pr-)ḏꜣj(.t) ist jedoch in den Parallelen nicht belegt.
Daher erscheint es wahrscheinlicher, dass der Schreiber ḏꜣḏꜣ zu Beginn vergessen und, nachdem er dies bemerkt hat, den Begriff an der nächstfolgenden Stelle eingefügt hat. Die aufgelisteten Körperteile gehen über das, was in den Parallelen genannt ist, hinaus. Sinnesorgane sind im hier bearbeiteten Versprechen gar nicht genannt, aber wir finden weitere Versprechen zum Schutz vor Leid an Körperteilen, die vor allem den Kopfbereich betreffen, weiter unten im Text (s. T2, Vso. 68–73). Auch dort gibt es Ungereimtheiten in Bezug auf die Reihenfolge bzw. die Bestimmung der genannten Körperteile. Die Stelle im hier kommentierten Versprechen ist also nicht eindeutig. Da unser Text T2 gerade in Bezug auf den Körperschutz eine von den anderen Texten deutlich abweichende Ausführlichkeit zeigt, und auch in den Versprechen des Körperschutzes Wiederholungen und Ungenauigkeiten in der Reihenfolge zu beobachten sind, sowie in Anbetracht der Parallelen dieses Versprechens, halte ich eine Verstellung der Reihenfolge wahrscheinlicher als die von Edwards angenommene Verschreibung.

20 šnn jr(.t)wj/〈nn〉 jrr.y=w: Der letzte Abschnitt dieses Versprechens erfordert einen Kommentar, da die Schreibung uneindeutig und eventuell korrupt ist. An der Lesung von šnn besteht kein Zweifel. Die Schreibung deckt sich mit den vorausgehenden Erwähnungen des Begriffs in diesem Versprechen. Und auch die Zeichen des zweiten Begriffs sind zweifelsfrei erkennbar: Nach dem doppelt gesetzten Auge (D4) folgen w-Schlaufe (Z7) und darunter die zwei kleinen schrägen Striche (Z4) sowie ein Pluralklassifikator (Z2A). Es liegt also nahe, hier jr(.t)wj „die beiden Augen“ (Wb 1, 106.6) zu lesen und anzunehmen, dass der Pluralklassifikator am Ende fehlerhaft noch zusätzlich gesetzt worden ist. Inhaltlich wirkt die Erwähnung der Augen an dieser letzten Position nach den Beinen allerdings deplatziert und fehlerhaft. Hinzu kommt, dass die Schreibung mit doppelt gesetztem Auge ohne t in den Oracular Amuletic Decrees sonst nicht belegt ist. In medizinischen Texten ist die Schreibung aber durchaus geläufig (vgl. MedWb, 68) und auch sonst gelegentlich bezeugt (s. Meeks 78.0414 u. 79.0287; Lesko, Dictionary I, 46; Grässler, Konzepte des Auges, 38 mit Verweis auf Zöller-Engelhardt, Sprachwandel, 28 [128]). Wir finden weitere Versprechen zum Schutz vor Leid an Körperteilen, die vor allem den Kopfbereich betreffen, weiter unten im Text (s. Vso. 68–73), doch sind dort die Augen nicht erwähnt. Dies könnte als Argument für die Lesung jr(.t)wj „die beiden Augen“ gewertet werden, zumal im hier vorliegenden Versprechen mit der Position von ḏꜣḏꜣ vermutlich bereits eine weitere Verstellung der Reihenfolge zu beobachten ist (s. den vorausgehenden Kommentar), insofern könnte man dies auch für diesen letzten Teil des Versprechens annehmen.
Edwards (HPBM IV, 65 [43]) geht einen anderen Weg: Er verweist auf den letzten Abschnitt eines Versprechens im pTurin Cat. 1983 (T1), Vso. 14–16: j[w]⸢=n⸣ (r) šdi̯ =s[t] r ꜥ(,w) nb n(.j) bṯ.j r sni̯ nb n(.j) bṯ.j r mḥr nb nn jri̯.y „⸢Wir⸣ werden s[ie] bewahren vor jeglicher Einwirkung der (schwerwiegenden) bṯ.w-Krankheit, vor jedem Durchmachen der (schwerwiegenden) bṯ.w-Krankheit (und) vor jeder Krankheit, die man nicht behandeln kann“. Er fasst die Gruppe nach šnn als Form des Verbums jri̯ (jri̯.w=w) auf und übersetzt „an ailment which is remediable“, nicht ohne zu bemerken, dass „the negative ʻwhich cannot be treated’ would be more natural“ (ebd.). Die Schreibung mit dem doppelt gesetzten Auge für jri̯ muss dann allerdings als Fehler für Auge (D4) + r (D21) gewertet werden, was in den Oracular Amuletic Decrees sonst nicht bezeugt ist und überhaupt sehr ungewöhnlich wäre. Möglicherweise hatte der Schreiber dieses Papyrus oder vermutlich eher derjenige einer verwendeten Vorlage tatsächlich einen ähnlichen Passus wie in T1 im Sinn, doch dadurch, dass im hier vorliegenden Versprechen šnn „Krankheit, Leid“ (Wb 4, 515.3–9) an Stelle des älteren Ausdrucks mḥr „Krankheit“ (Wb 2, 96.1–5) verwendet wurde, könnte er durcheinander gekommen sein. Durch das vorausgehende šnn wäre es leicht erklärbar, dass die Negation nn fehlerhaft ausgelassen wurde. Die nachfolgende Verbform hat ohne die Negation keinen guten Sinn und könnte deshalb in jr(.t)wj umgewandelt worden sein, zumal da sich das Schriftbild (D21 statt D4) kaum unterscheidet und die Lautgestalt beider Ausdrücke sich vermutlich auch sehr ähnlich war.
Beide Lesungen sind nicht unproblematisch, somit bleibt die Stelle uneindeutig. Doch ich würde im Falle der Edwards‘schen Lösung so weit gehen, eine Haplographie durch das vorausgehende šnn anzunehmen und entsprechend die Negation zu ergänzen, damit der Sinn der Parallele erhalten bleibt.

Wir werden sie schützen vor jeder Einwirkung von Messerdämonen (und) jeder Einwirkung von Wanderdämonen (und) jeder Einwirkung von jedem Gott, der angreift.

Wir werden sie schützen vor jedem Unheil (und) vor Bitterkeit.

rto. 80Wir werden sie retten aus der Hand der Sterne des Himmels, die angreifen. Wir werden sie retten aus der Hand der Sterne des Himmels, die umherziehen. Wir werden sie retten ⸢aus der Hand von⸣ Amun, Mut, Chons, Pa-Re, Ptah, Bastet (sowie) jedem Gott (und) jeder Göttin, die (furchtbare) bꜣw-Macht (auf)nehmen, wenn rto. 85sie nicht zufrieden sind. Wir werden sie unversehrt sein lassen in deren (der Götter) Hand. Wir werden sie bewahrt sein lassen vor deren (der Götter) Vergehen. Wir werden sie (die Götter) beruhigen21 für sie. Wir werden sie (die Götter) ruhig sein lassen für sie. Wir werden sie (die Götter) ihre Bitten erhören lassen. Wir werden sie (die Götter) “ja“ sagen lassen zu ihren Gebeten. rto. 90Wir werden Lobpreis für sie veranlassen vor Amun, Mut (und) Chons, damit sie wachsen kann ohne einen Einschnitt/ ohne Einschränkung (wörtl.: (und) sie nicht getrennt/abgeschnitten sein wird).22

Wir werden sie schützen ⸢vor⸣ der ꜥršn-Hautkrankheit (aus) Libyen (und) vor der ꜥršn-Hautkrankheit aus Kusch.

Wir werden Amun, Mut rto. 95(und) Chons in allen ihren Namen beruhigen für sie.

Gesprochen hat Month, derjenige, der auf dem hohen Sitz (= der im Sanktuar) ist: (und) gesprochen hat Chons, derjenige, der inmitten des Südlichen Heliopolis ist, (also) die großen Götter von Himmel und Erde: Wir werden Buiruharchons, deren Mutter Djedchons (ist), rto. 100(und) die (diejenige ist), die man die Tochter von Amunchau nennt, unsere Dienerin23 (und) unser Zögling.

Wir werden sie schützen vor jedem Nähern einer Schlange. Wir werden sie schützen vor jedem Nähern eines Ziegenbocks.24 Wir werden sie schützen vor jedem bösen ꜥḏn-Krankheitsdämon (und) vor rto. 105jedem bösen Wesen.

Wir werden sie schützen vor der ḥmk.t-Krankheit, vor Hautflechte (und) vor Kopfekzem (?).

Wir werden sie behüten am Mittag. Wir werden sie bewachen bei Nacht. Wir werden veranlassen, dass sie lebt. Wir werden veranlassen, dass sie gesund bleibt. Wir werden veranlassen, dass rto. 110Kraft wächst in allen ihren Gliedern vom Kopf bis zu ihren Fußsohlen. Wir werden Amun zu ihr bringen zu seiner Zeit.

Wir werden ihren Bauch mit männlichen Kindern (und) weiblichen Kindern füllen.25 Wir werden sie schützen vor einer Horus-Geburt (= Frühgeburt?),26 vor einer Risikogeburt (?)27 rto. 115(und) vor einer Zwillingsgeburt.28 Wir werden sie schützen vor jeder (Art von) Tod (und) vor jeder Krankheit beim Gebären.

Wir werden sie schützen vor der Krankheit eines Tages, vor der Krankheit der 2 Tage, vor der Krankheit der 3 Tage, vor der Krankheit der 4 Tage (und) vor der Krankheit der 5 Tage.

Wir werden sie schützen vor der Einwirkung eines männlichen wr-Geistes rto. 120(und) vor der Einwirkung eines weiblichen wr.t-Geistes. Wir werden sie retten aus der Hand ihres eigenen wr.t-Geistes.

21 shꜣr.t=w: Hier könnte auch jw=tn (r) shr.t jb=w „Wir werden ihre Herzen beruhigen“ gelesen werden, da dem Herz (F34) noch ein Semogrammstrich (Z1) sowie der Götterklassifikator folgt, der den Bezug zum vorangehenden Versprechen deutlich macht. Allerdings findet sich in Rto. 94–95 folgender Satz: jw=n (r) shꜣr.t n=sst Jmn Mw.t Ḫns.w m rn=w nb, in dem die Funktion der gleichen Gruppe (F 34-Z1-G7) bei shꜣr.t als Klassifikator eindeutig ist.

22 jw=st (ḥr) rd j(w) bn jw=st šꜥd: Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 66 [53]) übersetzt hier “she will flourish unceasingly” und weist auf die Problematik hin, dass šꜥd als transitives Verbum normalerweise im Infinitiv verwendet wird. Ein Infinitiv macht an dieser Stelle allerdings inhaltlich keinen Sinn, da das Subjekt im negierten Umstandssatz ebenso wie im vorhergehenden affirmativen Umstandssatz deutlich mit „=st“ angegeben ist und sich daher auf die Amulett-Trägerin beziehen muss. Daher ist nur an ein Pseudopartizip zu denken, das bei transitiven Verben eine Handlung auch als vergangen bzw. abgeschlossen charakterisieren kann, s. Junge, Näg. Gr., 120; Satzinger, Late Egyptian Language, 93–94.
Eine direkte Parallele zu diesem Versprechen ist in den anderen Texten nicht belegt, aber interessant erscheint in diesem Zusammehang ein Versprechen aus dem pLondon BM 10251 (L2), Rto. 89–90: jw=j (r) ḏi̯.t n=sst ḥz=st (m)-ḥr ⸢J⸣[mn] Mw.t Ḫns.w jw mn šꜥ=f „Ich werde ihren Lobpreis veranlassen vor Amun, Mut und Chons, ohne Unterbrechung (wörtl: wobei es sein (des Lobpreises) Abschneiden/Abtrennen nicht gibt)“. Die Konstruktion im Umstandssatz ist durch den Ausdruck der Nichtexistenz eine gänzlich andere, aber zumindest teilen die beiden Aussagen die Tatsache, dass der Hauptsatz sich um Lobpreis vor den Göttern Amun, Mut und Chons handelt, wobei in einem Nebensatz offenbar der Umstand eines Nicht-Aufhörens bzw. Nicht-Unterbrechens jeweils durch šꜥ bzw. šꜥd „schneiden/abtrennen“ (Wb 4, 415.13–416.10 bzw. 422.3–17) ausgedrückt ist, was eine für beide Verben ungewöhnlich Verwendung ist. Die Variante von L2 macht inhaltlich und auch syntaktisch keine Probleme, so dass man in ihr die ursprüngliche Variante vermuten könnte. In der hier im vorliegenden Text vorkommenden Variante wäre demnach die Aussage möglicherweise durch den Einschub jw=st (ḥr) rd „damit sie wachsen kann“ irgendwie durcheinandergekommen.

23 bꜣk.j: Der Schreiber unterscheidet in diesem Text bei der Klassifizierung des Begriffs bꜣk.t „Dienerin“ (Wb 1, 430.5–10) nicht sehr sorgfältig von bꜣk „Diener“ (Wb 1, 429.6–430.3) und bꜣk „Arbeit“ (Wb 1, 427.13–428.15). Zwei Belegen, in denen bꜣk.t richtig mit der sitzenden Frau (B1) klassifiziert ist (Rto. 5; Vso. 6), stehen zwei weitere gegenüber, in denen er einmal (Rto. 101) bꜣk.t mit dem sitzenden Mann (A1) und ein anderes Mal (Vso. 64) mit Buchrolle (Y1) und schlagendem Mann (A24) klassifiziert. Auch bei der Klassifizierung des Ausdrucks „Diener und Dienerinnen“, der im Text zweimal belegt ist (Vso. 108–9 u. 111), schreibt er nicht sorgfältig: Der Pluralklassifikator fehlt in beiden Belegstellen bei bꜣk.wt und auch im zweiten Beleg beim vorausgehenden bꜣk.w. In beiden Fällen klassifiziert er die männlichen Diener zusätzlich zum sitzenden und schlagenden Mann (A1 und A24) mit der Buchrolle (Y1), die an sich nur bei dem Begriff „Arbeit“ Sinn macht. Im Papyrus BM 10083 (L1), der für die gleiche Besitzerin aufgesetzt wurde und eventuell vom gleichen Schreiber stammt, sind alle Schreibungen der entsprechenden Ausdrücke (bꜣk.t: Vso. x+21 u. 59; bꜣk.w bꜣk.wt: Vso. x+66) vorbildlich.

24 ꜥꜣ~rw∼jw: Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 66 [60]) vermutet eine Schreibung von jꜥr.t „Uräus“, da er aufgrund der Parallelität mit dem vorhergehenden Satz in dem erwähnten Tier eine Schlangenart vermutet. Allerdings ist es äußerst selten, dass jꜥr.t ohne die Endung .t geschrieben wird und da im vorangehenden Satz ḥfꜣw mit der Schlange (I14) klassifiziert ist, würde man dies auch hier erwarten. Daher ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Tier um einen ꜥr „Ziegenbock“ (Wb 1, 208.10; Lesko, Dictionary I, 82) handeln dürfte. Der Parallelität der Sätze steht diese Auffassung nicht entgegen, da man einen Ziegenbock ebenfalls als potenziell agressives, gefährliches Tier einschätzen kann.

25 ẖrd.w: Lesung ẖrd für das sitzende Kind A17 nach phonetisch geschriebenen Parallelen dieses Versprechens in pLouvre E 25354 (P3), Rto. 69–70 und pBerlin 10462 (B1), Rto. 47.

26 msw(.t) Ḥr.w: Der Begriff msw.t Ḥr.w „Geburt des Horus“ (Wb 2, 141.9) bezeichnet generell den 2. Schalttag der Epagomenen als Geburtstag des Gottes Horus. Hier ist der Begriff aber sicher in einer anderen Bedeutung gemeint, da es sich um die Aufzählung von tendenziell gefährlichen bzw. risikoreichen Geburts-Situationen handelt. Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 66 [67]) geht hierbei davon aus, dass es sich um die Geburt einer Halbwaise handeln dürfte, bei der der Vater (wie Osiris) zum Zeitpunkt der Geburt bereits verstorben war (vgl. Faulkner, in: JEA 54, 1968, 40–44; Griffith, in: JEA 56, 1970, 194–195; Guiter, in: BIFAO 101, 2001, 235; Donnat, in: RdE 63, 2012, 93; Arnette, in BIFAO 117, 2017, 47), wobei er in der „Geburt des Amun“ bzw. einer „Amuns-Geburt“ msw(.t) Jmn (belegt in pParis Louvre E 25354 (P3), 72–76: Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 86, Bd. 2, pl. 33; vgl. Donnat, in: RdE 63, 2012, 93) die der Horus-Geburt entgegenstehende positive Situation vermutet.
Da sich der Verlust des Vaters eher negativ auf die Kindheit auswirken dürfte und nicht auf den Geburtsvorgang als solchen, gehen einige Forscher davon aus, dass mit diesem Beleg eventuell auf eine späte oder aber wahrscheinlicher auf eine Frühgeburt (des Horus) hingewiesen sein könnte (s. Forgeau, Horus-fils-d’Isis, 347–348; Donnat, in: RdE 36, 2012, 93–94, zu Frühgeburt allgemein, 90–93; Arnette, Regressus ad uterum, 103–104). Eine Beschreibung des Horus als Frühgeborener kennen wir aus der Überlieferung von Plutarch (Isis und Osiris, 19, 358D, s. Arnette, Regressus ad uterum, 104), doch gibt es nur wenige und nicht sehr eindeutige Hinweise, um diesen Teil des Mythos in der altägyptischen Tradition zu verorten, wie beispielsweise im Papyrus Boulaq 6 (rto. III, 1–8: Koenig, Papyrus Boulaq 6, 34–39; Forgeau, Horus-fils-d’Isis, 347; Arnette, Regressus ad uterum, 103) und in der vorliegenden Textstelle (vgl. Forgeau, Horus-fils-d’Isis, 347–348; Donnat, in: RdE 63, 2012, 93–94; Arnette, Regressus ad uterum, 104). Ohne weiterführende Hinweise ist es schwierig, im Begriff „Horus-Geburt“ einen terminus technicus für eine Frühgeburt zu erkennen. Es kann aus der vorliegenden Textstelle lediglich erschlossen werden, dass eine so bezeichnete Geburt als Risiko für Mutter und Kind eingeschätzt wurde, ohne jedoch die Ursachen für dieses Risiko sicher bestimmen zu können.

27 msw(.t) ḏꜣ.t: Aus dem Kontext geht eindeutig hervor, dass mit dem Begriff msw.t ḏꜣ.t um die Beschreibung einer risikoreichen bzw. problematischen Geburtssituation handeln muss. Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 66 [68]) verbindet den Begriff mit dem Wort ḏꜣy.t „Widergesetzlichkeit, Übertretung, Übel“ (Wb 5, 518.3–18) und fasst die Stelle daher als Beschreibung einer Fehlgeburt oder als Geburt eines missgebildeten Fötus auf. Der Begriff wird im Kontext zusammen mit msw.t Ḥrw der „Geburt eines Horus“ und msw.t ḥtrj „Geburt von Zwillingen genannt. Die Parallelität der Begriffe deutet darauf hin, dass ḏꜣ.t sich auf den Fötus beziehen sollte. Somit wäre Edwards‘ Idee der Geburt eines anormalen Fötus der Vorzug zu geben. Begriffe, die auf die Wurzel ḏꜣi̯ zurückgehen, werden auch in anderen medizinischen Zusammenhängen benutzt (s. MedWb, 993–994). Geht man von der Grundbedeutung „kreuzen, sich (feindlich) in den Weg stellen“ (Wb 5, 514.4–515.4) aus, so könnte der Begriff eine Komplikation der Geburt durch eine Steißlage des Fötus beschreiben. Dazu müsste man davon ausgehen, dass der Begriff „Widersacher“ als „Einer, der sich in den Weg stellt“ bzw. „Einer, der sich quer stellt“ also „quer liegt“ aufzufassen wäre. Da allerdings weitere Belege des Begriffs msw.t ḏꜣ.t nicht bekannt sind, ist es schwer, sich hier auf eine präzise Bedeutung festzulegen.

28 msw(.t) ḥtrj: Die Geburt von Zwillingen birgt auch heutezutage noch Risiken, so ist es gut nachvollziehbar, dass auch in dem hier vorliegenden Kontext einer Aufzählung von Risiko-Geburten dieses Beispiel genannt wird. Die Geburt von Zwillingen wird ebenfalls in einem weiteren Amulettdekret, dem Papyrus IFAO H 40 (B, x+4) genannt, s. Koenig, in: BIFAO 118, 2018, 236. Dort ist die Situation noch präzisiert durch den Zusatz ḫꜥr wꜥ „Wobei einer (von den Zwillingen) wütet bzw. wütend ist“, was zusätzlich auf Komplikationen während der Geburt hindeutet, s. Arnette, in: BIFAO 117, 2017, 48–49. Es handelt sich bei diesen beiden Belegen um die frühesten Bezeugungen des Begriffs ḥtr in der Bedeutung „Zwilling“ (Wb 3, 199.6–7), s. Koenig, in: BIFAO 117, 2017, 236 [22].
Auch im Papyrus IFAO H40 scheint es sich um eine Aufzählung verschiedener Geburtssituationen zu handeln, doch ist der Kontext nicht sehr gut erhalten und weitere Parallelen zum hier besprochenen Text liegen nicht vor. Allgemein zu Zwillingen im Alten Ägypten s. Arnette, in: BIFAO, 117, 2017, 29–75, mit Hinweisen auf ältere Untersuchungen.

Verso

vso. 1Gesprochen hat Junit, die inmitten des Südlichen Heliopolis ist; (und) gesprochen hat Month, der Oberste auf dem großen Thron; (und) gesprochen haben Chons, der inmitten des Südlichen Heliopolis ist, (und) die erhabenen Götter im Himmel, (auf) der Erde (und in) der Unterwelt:

Wir werden Buiruharchons, deren vso. 5Mutter Djedchons ist, unsere Dienerin (und) unseren Zögling beschützen. Wir werden ihren Kopf gesund erhalten. Wir werden ihr rechtes Auge (und) ihr linkes Auge gesund erhalten. Wir werden ihre beiden Nasenflügel (wörtl. die zwei Blätter ihrer Nase) gesund erhalten. Wir werden ihren Hinterkopf gesund vso. 10erhalten. Wir werden jede stn-Zahnleiste (?) ihres Kopfes gesund erhalten. Wir werden die ((Zunge))1 ihres Mundes gesund erhalten. Wir werden ihren jbḥ-Zahn gesund erhalten. Wir werden ihren nḏḥ.t-(Eck-)Zahn gesund erhalten. Wir werden ihre Lippe(n) gesund erhalten. Wir werden das ṯꜣz.t-Gebiss2 ihres Mundes gesund erhalten.

Wir werden ihren Nacken/Hals gesund erhalten. Wir werden ihre Halswirbel vso. 15gesund erhalten. Wir werden ihre Kehle gesund erhalten. Wir werden ihre rechte Schulter (und) ihre linke Schulter gesund erhalten. Wir werden ihren rechten Oberarm (und) ihren linken Oberarm gesund erhalten. Wir werden ihren rechten (Unter-)Arm (und) ihren linken (Unter-)Arm gesund erhalten. Wir werden ihre vso. 20rechte Hand (und) ihre linke Hand gesund erhalten. Wir werden ihre(n) rechte(n) Hand(rücken) (?) und ihre(n) linke(n) Hand(rücken) gesund erhalten.3 Wir werden ihre rechte Handfläche4 und deren 5 Finger gesund erhalten. Wir werden ihre linke Handfläche und deren 5 Finger gesund erhalten. Wir vso. 25werden {ich werde gesund erhalten} ihren rechten Unterarm (und) ihren linken Unterarm gesund erhalten.5 Wir werden ihre rechte Achselhöhle (und) ihre linke Achselhöhle gesund erhalten.

Wir werden ihre rechte Brust (und) ihre linke Brust gesund erhalten. Wir werden ihr ḥꜣ.tj-Herz gesund vso. 30erhalten.6 Wir werden ihre rechte Seite (und) ihre linke Seite gesund erhalten. Wir werden ihren Rücken gesund erhalten. Wir werden die Wirbel ihres Rückens gesund erhalten. Wir werden ihre Rippen gesund erhalten. Wir werden ihren Bauch gesund erhalten. vso. 35Wir werden ihre Eingeweide gesund erhalten. Wir werden ihr ḥꜣ.tj-Herz gesund erhalten. Wir werden ihre Milz gesund erhalten. Wir werden ihr pr-ḏꜣ.t-Organ gesund erhalten. Wir werden ihren rechten Arm und ihren linken Arm gesund erhalten.7 Wir vso. 40werden ihre Leber gesund erhalten. Wir werden ihre Eingeweide gesund erhalten.8 Wir werden ihr rꜥm-Organ gesund erhalten. Wir werden ihre sḫnw-Organe (=Nierenfett/Bauchspeicheldrüse/Schilddrüse?) gesund erhalten. Wir werden ihre ṯrs.t-Körperteile gesund erhalten. Wir werden ihr qbḥ-Körperteil (=Sehne?)9 vso. 45gesund erhalten. Wir werden die Gefäße ihrer Hand gesund erhalten.10 Wir werden die Gefäße ihres Rückens gesund erhalten. Wir werden ihr Rektum gesund erhalten. Wir werden ihre Unterleibsregion gesund erhalten. Wir werden ihre Vulva gesund erhalten.

Wir werden ihren rechten vso. 50Oberschenkel und ihren linken Oberschenkel gesund erhalten. Wir werden ihr rechtes Knie (und) ihr linkes Knie gesund erhalten. Wir werden ihren rechten Unterschenkel (und) ihren linken Unterschenkel gesund erhalten. Wir werden ihre rechte Ferse (und) ihre linke vso. 55Ferse gesund erhalten. Wir werden ihre rechte Fußsohle (und) ihre linke Fußsohle gesund erhalten. Wir werden ihre 10 Zehen (wörtl. Finger) ihrer beiden Füße gesund erhalten.

Gesprochen hat Junit, die inmitten des Südlichen Heliopolis (ist); (und) gesprochen hat Chons, vso. 60der auf dem hohen Thron ist; (und) gesprochen hat Chons, der inmitten des Südlichen Heliopolis ist, (also) die erhabenen Götter, die Ältesten, die zuerst entstanden sind:

Wir werden Buiruharchons, deren Mutter Djedchons (ist), unsere Dienerin (und) unseren Zögling beschützen. Wir vso. 65werden sie beschützen vor (Schadens-)Zauber eines Syrers, vor (Schadens-)Zauber eines Nubiers, vor (Schadens-)Zauber eines Pyd-Libyers (und) vor (Schadens-)Zauber von Menschen aus Ägypten.

Wir werden sie beschützen vor Leid an den beiden Brüsten/Wangen. Wir werden sie beschützen vor Leid an den Beinen (?), vso. 70vor Leid an den Fingern (?), vor Leid am Ohr vor Leid an der Nase, vor Leid an der Zunge, vor Leid am Hals, vor Leid am jbḥ-Zahn, vor Leid am nḏḥ.t-(Eck-)Zahn (und) vor Leid am Mund. Wir werden ihre 2 Irisbereiche ihre(r) Auge(n) gesund erhalten. Wir vso. 75werden die 2 „Arme“ ihre(r) Auge(n) (= Oberlider?) gesund erhalten. Wir werden ihre beiden (Augen-)Brauen gesund erhalten. Wir werden ihre Haare gesund erhalten.

Wir werden sie vor dem Tod im Geburtshaus beschützen. Wir werden sie vor dem Ungeheuer (?) des Geburtshauses beschützen. Wir werden sie vso. 80retten aus der Hand der Götter, die die Menschen in der Nacht ... (?), wobei er (?) seinen Kopf (?) macht. Wir werden sie retten aus der Hand der Götter, die eine Handlung vollziehen, wobei es keine Handlung geben wird (?). Wir werden sie retten aus der Hand der Götter, die einen vso. 85wr.t-Geist schaffen (wörtl. machen) gegen den Menschen.

Wir werden sie retten aus der Hand von Chons, dem jugendlich Existierenden, (und) Chons, dem Pläneschmieder, diesen beiden Pavianen im Chonstempel. Wir werden Thot veranlassen, für sie mit seinem (eigenen) Finger eine lange Lebenszeit aufzuschreiben. Wir werden sie beschützen vso. 90vor jedem bösen Blick (wörtl. Auge) (und) vor jedem bösen (Sicht-)Omen.

Wir werden sie vor der Zunge der Menschen, der schlimmsten Giftschlange (überhaupt) beschützen (wörtl. der Schlange, schlimm an Gift).

Wir werden sie behüten am Mittag. Wir werden sie bewachen bei Nacht. Wir vso. 95werden für sie sorgen zu jeder Zeit.

Wir werden für sie ein Schutz(amulett) machen, um den Körper zu schützen.

Wir werden sie beschützen in jedem Sanktuar (?), in das sie eintreten sollte. Wir werden für sie einen Reisegefährten machen an allen Plätzen, zu denen sie gehen wird.

Wir vso. 100werden sie beschützen vor jedem (göttlichen) Frevler (und) jeder (göttlichen) Frevler(in) (sowie) vor einem Widersacher (und) einer Widersacherin. Wir werden sie beschützen vor einem Toten (und) einer Toten.

Wir werden sie unversehrt sein lassen in der Hand von Amun, Mut (und) Chons. Wir werden sie (Amun, Mut und Chons) beruhigen für sie.

vso. 105Wir werden sie schützen vor (dem Fall), dass sie als Ersatz eines anderen ausgeliefert (wörtl. gegeben) wird. Wir werden einen anderen als Ersatz ausliefern an ihrer statt.

Wir werden sie Vieh, Kleinvieh, Diener, Dienerin(nen), Gerste (und) Emmer besitzen lassen. Wir werden [ihr Haus] anfüllen vso. 110[mit] Kupfer, mit Gerste (und) Emmer (sowie) mit Dienern (und) Dienerinnen.

Es haben die Götter gesprochen:

Es sprachen diejenigen, nämlich die erhabenen Götter, die Ältesten, die zuerst entstanden sind. Was jedes Versprechen angeht, das auf diesem Orakel(papyrus) ist, und ferner die, die vso. 115man vergessen hat darauf zu notieren (wörtl. zu machen): Wir werden sie gut machen 〈für〉 Buiruhar〈chons〉, deren Mutter Djedchons (ist). Niemals soll das, was aus ihrem Mund hervorkommt (das, was sie sagt) abgelehnt/aufgehoben werden. Niemals soll das, was {ich} 〈wir〉 sagen, verdreht werden vom Himmel bis zur Erde (und) der Unterwelt.

1 ((ns{t}={s})): Der Schreiber hat ns „Zunge“ (Wb 2, 320.8–17) oberhalb der Zeile ergänzt. Der Tintenfluss deutet darauf hin, dass ihm der Fehler vermutlich erst nach Beenden des Satzes aufgefallen ist. Er schreibt ns in einer neuägyptischen Variante mit einem zusätzlichen t und fügt auch noch ein s an. Hier hat er wohl eher routinemäßig an ein folgendes Suffixpronomen gedacht, was an dieser Stelle allerdings keinen Sinn macht, da das Wort hier im Status constructus stehen muss. Vielleicht bricht er deshalb vor Beendigung des Suffixes ab.

2 ṯz.ty: Der Begriff ṯz.t an dieser Stelle zeigt eine Schreibung, die man gewöhnlich bei dem Wort für “Wirbelknochen/Wirbelsäule“ (Wb 5, 400.10–13; MedWb 968; Walker, Anatom. Term., 278) erwartet (klassifiziert mit dem Fleischstück F 51), doch die Stellung innerhalb der Aufzählung sowie der unmittelbare Kontext zeigen, dass es sich um das Wort für „Zahn/Gebiss“ (Wb 5, 409.9–12; Walker, Anatom. Term., 278) handeln muss (Bardinet, Dents et mâchoires, 19), das normalerweise mit dem Elefantenzahn (F 18) klassifiziert wird, wie eine Übersicht zur Orthographie des Lexems bei Bardinet (Dents et mâchoires, 25–26) zeigt.
Edwards (HPBM 4, Bd. 1 69 [9]) übersetzt daher übertragend mit „ligament“, da er den Begriff „Wirbel“ vermeiden möchte, aber dem hier bezeichneten Körperteil am Mund eine ähnliche verbindende Funktion wie der Wirbelsäule zuordnet. Er schließt allerdings nicht aus, dass es sich auch um einen weiteren Begriff für „Zahn/Gebiss“ handeln könnte, der fehlerhaft in der Reihenfolge hinter die Lippen geraten sein könnte. Das Wort für „Wirbel“ ist in dem hier vorliegenden Text zusätzlich in eindeutigem Kontext zweimal belegt (Vso. 14: ṯz.t nḥb.t „Halswirbel“; Vso. 32: nꜣ ṯz.ty n(.t) ꜣ.tj „die Wirbel des Rückens“). Die zweite Textstelle entspricht sowohl in der Konstruktion als auch in der Orthographie genau unserer Textstelle (nꜣ ṯz.ty n(.t) rʾ). Gleichwohl unterscheidet der Schreiber sauber zwischen „Wirbeln des Mundes“ und „Wirbeln des Rückens“. Es liegt also nahe, an dieser Stelle von der Bedeutung „Zahn“ auszugehen.
Edwards (ebd.) schlägt für diesen Fall in Unterscheidung von jbḥ und nḏḥ.t, die im Text zuvor genannt sind, eine Bezeichnung der Backenzähne vor (ebd.). Diese Ansicht vertritt auch Walker (Anatom. Term., 278). Bardinet (Dents et mârchoires, 47–48) hingegen sieht in jbḥ das generische Wort für Zahn und in ṯz.t einen Kollektiv-Begriff mit der Bedeutung „Gebiss“, während sich der Begriff nḏḥ.t spezifisch auf Fang- bzw. Eckzähne von Tieren bezieht, und nur in magisch assimilierendem Kontext auch übertragen auf Menschen bezogen sein kann. Das quasi „inflationäre“ Vorkommen aller drei Begriffe in diesem Text bezeichnet er als „saturation lexicale (lexikalische Übersättigung)“ und führt dies auf das Bedürfnis zurück, in den Oracular Amuletic Decrees einen größtmöglichen Schutz zu gewährleisten, indem alle Möglichkeiten in jedwedem Detail bezeichnet und genannt werden.
Nun stellt sich noch die Frage, warum ṯz.t innerhalb der Aufzählung nicht direkt auf die beiden anderen Begriffe folgt. Dies könnte einfach mit einer Unachtsamkeit des Schreibers erklärt werden. Doch besser greift eine Erklärung, die mit der Genese dieser im Vergleich zu den anderen Orakeldekretamuletten äußerst umfangreichen Liste von Körperschutzversprechen zusammenhängen könnte. Denn in verschiedenen Listen, in denen Körperteile zusammenfasst werden, wie beispielsweise in Gliedervergottungen oder anderen magischen Schutztexten, folgt ṯz.t oftmals den Lippen sp.tj (pVatikan Inv. 38573, Rto. III, 4: Bardinet, Dents et mâchoires, 70 [D1]; Walker, Anatom. Term., 323 [07]; Gasse, Aegyptiaca Gregoriana I, 20 [5], Taf. 7–8; Stegbauer, Papyrus Vatikan Inv. 38573; pLeiden I 348, Rto. II,3: Bardinet, Dents et mâchoires, 16–17 [D7] gegen Walker (Anatom. Term., 318 [13]), der hier nḥḏ.t rekonstruiert; pLouvre I 3079, Kol. 110, 33: Bardinet, Dents et mâchoires, 17 [D8]) oder dem Mund (pBerlin 3027, Rto. II, 10: Bardinet, Dents et mâchoires, 16 [D6]; Walker, Anatom. Term., 303 [09]; Yamazaki, Zaubersprüche für Mutter und Kind, 18–19). Die Liste im vorliegenden Text geht offenbar auf eine Zusammenstellung zurück, die auf unterschiedlichste Körperteil-Listen zurückgegriffen hat. Das würde auch die speziell in diesem Text gelegentlich auftretenden Inkonsequenzen und Wiederholungen (z. B. in Vso. 36) erklären.

3 qḏ.t: Mit dem Begriff qḏ.t „Hand“ (Lesko, Dictionary 4, 28) liegt uns einer der frühesten hieratischen Belege für diese Bezeichnung der Hand vor. Eine Übersicht über die seltenen hieroglyphischen und hieratischen Belege bietet Černý, in BIFAO 57, 1958, 12 [10]; vgl. Quack, in SAK 23, 1996, 328 [c]. Im Demotischen wird die Bezeichnung geläufiger, (s. CDD G, 78–79), und mit Koptischem ϭⲓϫ „Hand“ (Crum, Dict. 839b; KHWb 472; Černý, CED, 340; Vycichl, Dict. étym., 350b) liegt uns die Standardbezeichnung für die Hand vor. Ebenso wie viele andere seltene Bezeichnungen von Körperteilen ist dieser Beleg im vorliegenden Text der einzige innerhalb der Oracular Amuletic Decrees und bestätigt noch einmal die Besonderheit dieses Papyrus im Hinblick auf die Ausführlichkeit und den Detailreichtum der Versprechen zum Körperschutz. Mit ḏr.t, qḏ.t und kꜣp liegen uns hier drei Bezeichnungen der Hand in Folge vor, deren Unterscheidung voneinander schwer fällt. Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 69 [14]) überlegt, ob mit qḏ.t spezifisch der Handrücken gemeint sein könnte, wenn man ḏr.t als Bezeichnung der ganzen Hand und kꜣp als Bezeichnung der Handfläche auffasst (vgl. hierzu den folgenden Kommentar). In den späteren Bezeugungen des Wortes kann allerdings keine Einschränkung der Bedeutung auf den Bereich des Handrückens festgestellt werden. Offenbar können wir hier die erste Phase einer Bedeutungsverschiebung fassen, so dass es nicht zwingend notwendig sein muss, die Bedeutung zu differenzieren. Ein ähnliches Phänomen liegt in diesem Text bei der Aufzählung der Zähne vor (s. den entsprechenden Kommentar zu Vso. 13). Auch hier können wir also mit drei Bezeichnungen der Hand ein quasi „inflationäres“ Vorkommen der Begrifflichkeiten fassen, das Bardinet (Dents et mârchoires, 47–48) als „saturation lexicale (lexikalische Übersättigung)“ bezeichnet hat und das er auf das Bedürfnis zurückführt, in den Oracular Amuletic Decrees einen größtmöglichen Schutz zu gewährleisten, indem alle Möglichkeiten in jedwedem Detail bezeichnet und genannt werden.

4 kꜣp: Der Begriff kp (Wb 5, 118, 11–12; 119.1) ist ein semitisches Lehnwort, das die Handfläche bzw. die Fußsohle bezeichnet (Hoch, Sem. Words, 317–318 [457]). Der Begriff findet eine Fortsetzung in demotischem qpe (CDD Q, 8–9) und koptischem ϭⲟⲡ (Crum, Dict. 824b; KHWB, 462; Černý, CED, 334; Vycichl, Dict. étym., 344b), das allerdings in erster Linie für die Bezeichnung der Fußsohle gebraucht wird. Walker (Anatom. Term., 51–52) hingegen sieht in kꜣp einen generischen Begriff, der die Spitzen der Extremitäten bezeichnet. Seine Argumentation stützt sich aber in erster Linie auf die ägyptischen Belege und lässt eine Untersuchung der semitischen Wurzel außen vor.
Außer im hier vorliegenden Text ist der Begriff in den Oracular Amuletic Decrees noch im pLondon 10587 (L6, Rto. 41–42) belegt. Dort wird zwischen kp rd.wj und kp ḏr.t unterschieden. Klassifiziert ist der Begriff in allen Fällen, gleichgültig ob Hand oder Fuß angesprochen sind, mit der Hand (D 46) und dem Fleischstück (F 51).

5 Dieses Versprechen kommt an dieser Stelle ein zweites Mal vor, nachdem es bereits innerhalb der Liste an einer anatomisch nachvollziehbaren Position (T2, Vso. 18–19) aufgeführt worden ist. Da auch innerhalb des Satzes der Beginn fehlerhaft wiederholt wurde, liegt es nahe, hier einen Fehler des Schreibers zu vermuten.

6 Dieses Versprechen kommt hier offenbar fehlerhaft ein zweites Mal vor, nachdem es bereits in Z. 29–30 erwähnt ist. Die Schreibung von ḥꜣ.tj unterscheidet sich nicht. Ob der Schreiber an dieser Stelle eigentlich ein anderes Organ erwähnen wollte, das er dann versehentlich durch ḥꜣ.tj ersetzt hat, oder ob das Versprechen zusätzlich nochmals aufgenommen wurde, weil beispielsweise der Schreiber diese außergewöhnlich lange Liste aus verschiedenen Vorlagen zusammengestellt hat, ist nicht zu entscheiden.

7 gꜣb(.t): Der Begriff gbꜣ (Wb 5, 163.4–12; Walker, Anatom. Term., 277) bezeichnet den Arm. Die Position dieses Versprechens hier im Kontext von inneren Organen bzw. dem Bauchbereich ist unpassend, nachdem im Vorfeld (Vso. 16–26) bereits Arme und Hände ausführlich mit mehreren Bereichen der Extremitäten aufgeführt worden sind, vgl. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 70 [24]. Der Begriff gbꜣ wurde dort allerdings nicht erwähnt. Möglicherweise ist der Schreiber mit der Reihenfolge durcheinandergekommen, oder er hat den Begriff quasi „nachgeschoben“. Ähnlich verhält es sich mit dem Versprechen, die „Gefäße der Hand“ (mt⸢y⸣ n(.w) ḏr.t) gesund zu erhalten, das zwischen dem qbḥ-Körperteil und den Gefäßen des Rückens (T2, Vso. 46) erwähnt wird.
Andererseits könnte es auch sein, dass der Schreiber an eine andere Bezeichnung gedacht hat und die Begriffe verwechselt haben könnte. In dieser Hinsicht könnte man an qꜣb.t „Brustkorb“ (Wb 5, 11.2–8) denken. Die Schreibung ist allerdings in jeder Hinsicht eindeutig, alle Zeichen sind unmissverständlich erkennbar und das Wort ist mit dem Arm (D 42) und dem Fleischstück (F 51) klassifiziert.
Ebenfalls nicht ausgeschlossen ist, dass der Begriff hier in seiner Grundbedeutung „Blatt“ (Wb 5, 154.7–10) gebraucht ist und eine Spezialbedeutung vorliegt, die uns unbekannt ist, ähnlich wie gꜣb.tj „Wimper“ (Wb 5, 154.11) oder auch gꜣbw.t n(.t) šrj.t „Nasenflügel“ (Wb 4, 523.7/Wb 5, 154.6), der in Vso. 9 erwähnt wird.
Außer im vorliegenden Text ist die Bezeichnung gꜣb.t „Arm“ nur noch in einem anderen Oracular Amuletic Decree (pBerlin ÄMP 10462 (B1), Rto. 78–79) erwähnt.

8 Dieses Versprechen kommt hier offenbar fehlerhaft ein zweites Mal vor, nachdem es bereits in Z. 35 erwähnt ist. Die Schreibung von jm.j-ẖ.t ist dieselbe, allerdings hat der Schreiber hier an dieser Stelle offenbar zunächst nur den bestimmten Artikel im Plural nꜣ geschrieben und dann zum Possessivartikel ergänzt, was dazu geführt hat, dass vor dem Doppelschilfblatt der Pluralklassifikator Z2 geschrieben ist. Ob das darauf hindeutet, dass der Schreiber eigentlich an einen anderen Begriff gedacht hat, ist nicht feststellbar.

9 qbḥ: Der Begriff qbḥ (Wb 5, 26.1–2; AEO 2, 255*; Walker, Anatom. Term., 277), bezeichnet ein nicht sicher zu bestimmendes Körperteil. Die Bezeichnung ist u.a. im Onomastikon des Amenemope [607] belegt und folgt dort ebenso wie im vorliegenden Papyrus nach dem Begriff ṯrs.t. Dann folgt dort eine Aufzählung von unterschiedlich zubereitetem Fleisch (AEO 2, 255*; Walker, Anatom. Term., 277). Naheliegend wäre es, den Begriff mit demot. qbḥ „Band, Sehne“ (Erichsen, Glossar, 535; CDD Q, 24) zu verbinden, das seine Fortsetzung im kopt. ⲕⲟⲃϩ (Crum, 100a; KHWB 57; Černý, CED, 53; Vycichl, Dict. étym., 72b) findet, was Edwards (HPBM, Bd. 1, 70 [29]) ebenfalls vorschlägt. Dass im hier vorliegenden Papyrus nachfolgend Gefäße verschiedener Körperteile in der Liste folgen, unterstützt diese Annahme. Die Tatsache, dass der Begriff zumeist im Singular steht und gelegentlich mit dem Bein (D 56) klassifiziert ist (Wb 5, 26.1–2), lässt vermuten, dass es sich um eine bestimmte Sehne handeln könnte und dass diese sich im Bereich der unteren Extremitäten befindet. Das könnte eventuell auf die Achillessehne hindeuten.

10 Die Position dieses Versprechens ist hinterfragbar, da im Vorfeld (Vso. 16–26) bereits Arme und Hände ausführlich mit mehreren Bereichen der Extremitäten aufgeführt worden sind, vgl. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 70 [24] und im weiteren Verlauf der Gesundversprechen zusätzlich auch noch gbꜣ-Arme (Vso. 38–39) erwähnt sind. Es ist zu vermuten, dass der Schreiber die Gefäße von einzelnen Körperteilen als einen eigenen Bereich verstanden hat, und daher dieses Versprechen sowie das folgende, das die Gefäße des Rückens aufführt, an dieser Stelle aufgelistet hat.