Horusstele Vatikan 37433
Übersetzung und Kommentar
Rückseite, rechte und linke Schmalseite
Horusstelentext A (1–17) = Metternichstele Spruch 10 = Torso Wien ÄS 40 Spruch 2
[Rückseite, 1] Sei gegrüßt, du Gott, Sohn eines Gottes. Sei gegrüßt, du Erbe, Sohn eines Erben. Sei gegrüßt, du Stier, Sohn eines Stieres, den die göttliche Kuh geboren hat. Sei gegrüßt, du Horus, der aus Osiris hervorgegangen ist, den Isis, die Göttliche/Göttin, geboren hat.
Ich (= Thot?) bespreche1 mit/in deinem Namen. Ich rezitiere mit/aus deiner Magie. Ich bespreche mit deinem Gesprochenem. 〈Ich〉 bin wirkungsmächtig (?) mit deinen Zaubersprüchen. Ich beschwöre mit den Beschwörungen, die du ersonnen hast.
Es sind deine (kunstfertigen) Formeln in [5] meinem Mund, die dein (Groß)vater Geb dir anvertraut hat, die deine (Groß)mutter Nut dir gemacht hat, die die Majestät des Vorstehers von Letopolis dich gelehrt hat2, um deinen zꜣ-Schutz zu bereiten, um deine mk.t-Protektion/Sicherheit zu wiederholen, um das Maul von jedem giftigen Gewürm zu verschließen, das in der Luft (wörtl.: im Himmel) ist, das auf dem Land ist, das im Wasser ist, um die Menschen wiederzubeleben, um die Götter zufriedenzustellen, um Re mit deinen Lobpreisungen/Gebeten zu verklären.
Komme zu NAME3! Beeile dich, beeile dich heute, so wie wenn du das Ruder in der Götterbarke bedienst.
Mögest du für sie (!)4 jeden Löwen in der Wüste (oder: auf dem Plateau), [10] jedes Krokodil im Fluss, jedes rʾ-Gewürm, das mit seinem Maul beißt oder 〈mit〉 seinem Schwanz sticht, abwehren. Mögest du sie (= die gefährlichen Tiere) für sie (!= die Gefährdeten) machen wie einen Kieselstein im Gebirge, wie die Tonscherbe eines Topfes (= eine Topfscherbe) auf/entlang der Straße. Mögest du dieses (hier vorliegende) aufgesprungene/pulsierende (?) Gift beschwören, das in jedem Glied des NAME ist.
Hüte dich, dass deine Worte deswegen (oder: seinetwegen, d.h. des Gifts) lächerlich gemacht (oder: weggelacht)5 werden.
Siehe, (wenn) es (= das Gift) gegen dich vorgeht, dann gehst du gegen es vor, dann sind deine (Zauber)worte gegen es. Siehe, dein Name ist heute bei mir.
Lass geschehen, dass das Ansehen [15] deiner Magie zu mir kommt, 〈für〉 mich mit deinen wirksamen Zaubersprüchen erhöht, um wiederzubeleben den, der in ihrem Maul ist (?)6, den, der eine beengte Kehle hat.
Möge [rechte Schmalseite] dir Lobpreis gegeben werden durch die Untertanen und (durch) jedermann. Möge Maat in deiner Gestalt (oder: deinem Wesen) gepriesen werden; möge ein Gott deiner Art (oder: ein Gott auf der gleichen Weise wie du) gerufen werden.
Siehe, man ruft heute [linke Schmalseite] mit (?) dir (oder: als du): „Ich bin Horus, der Retter/Beschwörer“, beim Bereiten des Schutzes von/für NAME für immer und ewig. Zweimal (d.h. zu wiederholen).
1 Entweder liegt viermal ein fehlerhaft geschriebener Imperativ vor oder es ist jedesmal eine Aussage in der 1. Person Singular zu lesen. In den meisten Handschriften findet sich: „ich habe gesprochen“ oder: „besprich für mich!“. J. F. Quack, [Review:] H. Sternberg-el Hotabi, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen, 2 Bände, Ägyptologische Abhandlungen 62 (Wiesbaden 1999) in: Orientalische Literaturzeitung 97, 2002, 713–729, hier: 718 möchte mit Imperativen übersetzen: „Rezitiere für mich...“. Er gibt dafür zwei Argumente: Er meint (1), dass die Übersetzung „ich rezitiere“ „sachlich wenig plausibel“ sei, denn „weshalb sollte ein Magier dem Gott nur erzählen, daß er zurechtkommt?“. Er verweist (2) auf die chronologisch in der Ramessidenzeit anzusetzende Horusstele CG 9403. Der Zauberer wünscht also vom angesprochenen Gott „... mögest du mittels deiner Zaubersprüche (be)sprechen“. R. K. Ritner, The mechanics of ancient Egyptian magical practice, Studies in Ancient Oriental Civilization 54 (Chicago 1993), 32, Anm. 144 hat eine ähnliche Formulierung in der ebenfalls frühen Variante von Spruch A im ramessidischen Papyrus Wien Inv. 3925, Z.9 erkannt: „May you create [your] prestige [by means of?] your magic, may you perfect spells.“ (vgl. auch Ritner 1993, 144: „Create for me your prestige by means of your magic.“). Mit Quack wäre ein Wunschsatz der 2. Person Singular in einen Imperativ mit Dativ umgewandelt worden. Tatsächlich stehen auf dem ramessidischen Papyrus Wien Inv. 3925, Z. 3–4 an entsprechender Stelle zwei (oder drei?) Imperative. Der Imperativ steht ebenfalls auf der Horusstele des Benitehhor vom Anfang der 26. Dynastie (H. Altenmüller, Der Sockel einer Horusstele des Vorstehers der Wab-Priester der Sachmet Benitehhor, in: Studien zur altägyptischen Kultur 22, 1995, 1–20, hier: 3).
2 Der Satz liegt in vielen unterschiedlichen Varianten vor. Für eine Auflistung siehe Gutekunst 1995, 130 (Nr. 4.4). Auf Horusstele CG 9401 steht: „die dich die Majestät des Vorstehers-von-Letopolis gelehrt hat“. Auf weiteren Horusstelen ist es leicht entstellt (Horusstele CG 9402, Horusstele CG 9405, Horusstele CG 9409). Auf der Statue des Djedhor steht: $sbꜣ n=k ḫr ḥm n.j Ḫntj-Ḫm$: „qui te fut enseigné auprès de la Majesté du Premier de Létopolis“ (E. Jelínková-Reymond, Les inscriptions de la statue guérisseuse de Djed-ḥer-le-Sauveur, Bibliothèque d’étude 23 (Le Caire 1956), 59). Die Version der Metternichstele könnte als: „die Majestät des Vorstehers von Letopolis hat dich belehrt“ emendiert werden. C. E. Sander-Hansen, Die Texte der Metternichstele, Analecta Aegyptiaca consilio Instituti Aegyptologici Hafniensis 7 (København 1956), 54 übersetzt nach Emendation zu: „den dich dein Bruder Ḫntj-ḫm gelehrt hat“.
3 Für andere Versionen siehe Gutekunst 1995, 132 (Nr. 6.11). Hier steht die Kartusche für rn: „Name“ und bedeutet, dass an dieser Stelle der Name des Begünstigten eingetragen werden muss. Auch an zwei späteren Stellen im Text findet sich rn in dieser Funktion.
4 Normalerweise steht hier „Mögest du für mich ...“, aber auch im nächsten Satz wird die 3. Person Plural verwendet.
5 G. Takács, Etymological dictionary of Egyptian. II. b-, p-, f-, Handbuch der Orientalistik I 48.2 (Leiden 2001), 564; J. Osing, [Review:] G. Takács, Etymological dictionary of Egyptian. II. b-, p-, f-, Handbuch der Orientalistik I 48.2 (Leiden 2001), in: Bibliotheca Orientalis 60, 2003, 551–569, hier: 568: „verlachen”; J. Osing, Das Grab des Nefersecheru in Zawyet Sulṭan, Archäologische Veröffentlichungen 88 (Mainz am Rhein 1992), 48, 53, Taf. 35 (Z. 22).
6 Für andere Versionen siehe Gutekunst 1995, 137–138 (Phrase 6.9).