ḥdb „(Un-)Fall, Schaden, Störung“
ḥdb/ḥtp: In den Oracular Amuletic Decrees ist in zwei unterschiedlichen Kontexten ein Substantiv ḥdb/ḥdp/ḥtp gebraucht, das zweifelsohne in allen Belegen auf die Wurzel √ḥdb „[niederwerfen]“ (WCN 872804); Satzinger/Stefanović, ERL, 67 [RID 0000580]) zurückzuführen ist. Zum einen findet sich der Begriff im Bereich der Gesunderhaltungsversprechen zur Bezeichnung eines Schadens oder einer Störung an den Augen (pLondon BM EA 10321 (L5), Rto. x+52–53/OAD, vs. 52–53; pTurin Cat. 1983 (T1), Vso. 54–55) und am Sprechapparat (pLondon BM EA 10083 (L1), Rto. x+69–70), und zum anderen dient er zur Bezeichnung eines Unglücks bzw. eines Unfalls im Kontext derjenigen Sprüche, die Schutz im Rahmen von Reiseunternehmungen versprechen (pNew York MMA 10.53 (NY), Rto. 53–54; pChicago OIM E252622A-D (Ch), 52–54; pBerlin 3059 (B2), 35–36). An diesen Stellen ist der Begriff auf ḥtr „Gespann“ (Wb 3, 199.8–10; WCN 111800), mrkbt „Streitwagen“ (Wb 2, 113.4; Hoch, Sem. Words, no. 189; WCN 73010) und jmw „Schiff“ (Wb 1, 78.8–10; WCN 25990) bezogen. In welchem Bedeutungsspektrum man sich ganz grundsätzlich bewegt, verdeutlicht das Verbum ḥdb „niederwerfen, daliegen, anhalten“ (Wb 1, 78.8–10; WCN 112200).
Ein Substantiv ḥdb ist in medizinischen Texten belegt (Wb 3, 205.19; WCN 112220). Dort wird es als „Verhaltung“ (ein krankheitsbedingtes Nichtausscheiden des Harns) aufgefasst, s. MedWb 641. Die beiden Belege in L5 und T1 beziehen sich auf eine Störung des Auges, die ebenfalls – wie auch das Sprechen in T1 – mit einem Anhalten im Sinne einer Funktionsstörung in Einklang zu bringen wären. Fischer-Elfert (Anmerkung vom 20.08.2019) verweist in diesem Zusammenhang auf Parallelen in der altorientalischen Medizin. Möglicherweise liegt hier ein ähnliches Phänomen vor, wie es in einem neuassyrischen Rezept zur Lösung von Schadenszauber (VAT 13776, Vso. 16) belegt ist, und das von Schwemer (KAL II, 114) mit „Mundlähmung“ übersetzt wurde. Er beschreibt dies folgendermaßen: „Eine bestimmte Form der Behexung, die sich nicht nur als Aphasie im engeren Sinne, sondern auch in der Unfähigkeit, seine Interessen etwa bei Hofe oder vor Gericht eloquent durchzusetzen, manifestierte.“ (Schwemer, in: TUAT NF 5, 2010, 130). In Bezug auf die Augen könnte man entsprechende an eine Einschränkung der Beweglichkeit denken, wie sie beispielsweise bei einer Lähmung des Augenmuskels hervorgerufen werden kann. Ursache für eine solche Lähmung können Durchblutungsstörungen im Gehirn, Verletzungen oder Tumorerkrankungen sein.
Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 8 [56]) erscheint diese Zuordnung allerdings nicht passend, vor allem, weil das Wort in allen drei Texten (L1, L5 und T1) mit dem schlagenden Mann (A24) klassifiziert ist, weshalb er für diese Versprechen „confusion, upset“ vorschlägt. Der Einwand von Edwards ist durchaus berechtigt, zumal der Begriff medizinisch stets auf Harn bezogen ist, als Plural angegeben ist, sowie mit der schlechten Pustel (Aa1) oder dem schlechten Vogel (G37) klassifiziert wird (medWb 641). Darüber hinaus sollte man meiner Meinung nach alle Belege insgesamt, also auch die aus dem Kontext der Gefährlichkeit von Reisen (NY, Ch, B2) in der Zusammenschau beurteilen. Die Schreibungen variieren, doch in der Übersicht zeigt sich, dass wir es hier in allen Texten mit demselben Begriff zu tun haben dürften:
(1) L1: ḥdb klassifiziert mit Kreuz und schlagendem Mann (Z9 - A24)
L5: ḥdb klassifiziert mit Kreuz und schlagendem Mann (Z9 - A24)
T1: ḥdb klassifiziert mit Kreuz und schlagendem Mann (Z9 - A24)
(2) NY: ḥtb klassifiziert mit Kreuz und schlagendem Mann (Z9 - A24)
mit schlagendem Arm (D40)
mit Kreuz und schlagendem Arm (Z9 - D40)
Ch: ḥtp klassifiziert mit Finger und schlagendem Arm (D51 - D40) 3x
B2: ḥdb klassifiziert mit Punkt und schlechtem Vogel (Ff100 - G37) 2x
Hier zeigt sich nun auch der Grund, warum Edwards die Begriffe in den beiden Kontexten getrennt voneinander behandelt hat. In Bezug auf die Reisegefahren waren ihm lediglich die Texte NY und Ch bekannt, die beide einen Lautbestand ḥtp schreiben. So verweist er auf demot. ḥtp „Fall, Untergang“ (EDG 341), und überlegt, ob eine Metathese von ḥpt „embrace“ (Wb 3, 71.14–15; WCN 104220) im Sinne von „(harmful) circumstance“ vorliegen könnte (Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 105 [35]). Der Text B2 zeigt aber nun eindeutig, auch wenn die Schreibung hinsichtlich der Klassifizierung besonders ist, dass wir es hier tatsächlich mit einem Substantiv ḥdb/ḥtp zu tun haben. Insofern war der Verweis auf das Demotische tatsächlich richtig, wenn auch die Idee einer Metathese zu verwerfen ist. Im Demotischen haben wir nämlich ein Substantiv ḥtp „Fall, Untergang, Schaden, Mangel“ (EDG 341; CDD Ḥ, 306; WCN d4334), dem die Wurzel √ḥdb „[niederwerfen]“ zugrunde liegt und das sich im koptischen ϩⲟⲧⲡ „Fall“ (KoptHWb 570; Crum, Dict. 725b; Černý, CED, 302; Vycichl, Dict. étym., 316a) fortsetzt.
Diese Zusammenstellung zeigt m.E., dass wir es bei den Belegen in den OAD mit dem Vorläufer zum demot. ḥtp mit der Bedeutung „(Un-)Fall, Schaden, Störung“ zu tun haben dürften, bei dem die Schreibungsvarianten den Übergang im historischen Lautwandel bzw. dialektale Unterschiede repräsentieren. Auch außerhalb der OAD ist ḥdb (klassifiziert mit dem Fallenden und dem schlagenden Arm A15 – D40) in der Bedeutung „Unglück“ o.ä. bezeugt, s. hierzu pBerlin 10497.19: Sabek, in: ZÄS 129, 2002, 78; https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/sentence/IBUBdQcQ9MnPUEIau1zylnKJmlY, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 27.01.2025).
Dr. Anke Ilona Blöbaum