Oracular Amuletic Decree B (Papyrus Berlin 10462)
Übersetzung und Kommentar
Oracular Amuletic Decree B (Papyrus Berlin 10462)
Recto
[...] [rto x+1] [...]1 [NN, deren Mutter Rua]iw2 [ist] (?), meine ⸢Dienerin⸣, ⸢mein⸣[en Zögling (?)]3. [Ich werde ih]r Fl[eisch] (?) [gesund erhalten (und) ihr Skelett] (?).4 Ich werde [ihren Mund] öffnen, [um zu essen und] ⸢um⸣ zu trinken. [Ich werde sie essen] [rto x+5] [lassen, um zu leben]. [Ich werde] sie ⸢trinken⸣ lassen, [um gesund zu bleiben]. [Ich werde] ⸢jeden⸣ [T]raum (wörtl. Schlaf), den ein anderer oder [eine andere] [für]⸢sie⸣ sie[ht], ebenfalls [gut machen (wörtl. zu etwas Gutem machen)]. Ich werde [sie vor der bꜣ.w-Macht von]5 Amun, Mut und Chons bewahren, die (?) [...] [rto x+10] [...]. Ich werde ⸢sie⸣ (Amun, Mut und Chons) beruhigen [für sie].
[Ich werde sie] vor Lepra, vor Blindheit/Augenverletzung (und) [vor dem Wirken des Udjat-Auges (?)] bewahren.
[Ich] werde sie vor dem Einstürzen [einer Mauer] (und) vor Zerstörung (durch) ein [Unwetter] ⸢bewahren⸣.6 Ich werde sie [rto x+15] [auf dem] Uferdamm beschützen (und auf) den Gespannen, auf [die sie steigen (?)]7 wird. Ich werde (nach) [ihr] sehen. [Ich] werde sie [behü]ten. Ich werde sie [bei allen Arten des Reisens]8 beschützen, die sie ausführen (wörtl. machen) wird.
[Wir werden sie] aus der Hand von Sopdu-Horus im Ost[en] (und) [aus der Hand von Sopdu-Horus] im Westen [retten], den Vorstehern der Messer[dämonen] [rto x+20] [der] Neunhei[t].9 Ich werde sie ⸢aus⸣ [der Hand der sieben Sterne d]es Großen Wagens (wörtl. Vorderschenkels) retten, die [vom Himmel] fallen [und] Menschen [nieder]strecken.10 Ich werde [sie aus der Hand] der Götter (der Bücher) vom Jahresanfang retten, aus der Hand [rto x+25] [der Götter] (der Bücher) [vom] Jahres[ende] (und) 〈aus〉 der Hand [der] Götter (vom Buch) „Das, was [im Jahr ist]“. [Ich werde] sie 〈aus〉 der Hand ((der)) Götter von Behe[det]11 [rett]en […angreif]en.
1 Textverlust: Nach Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 113) dürften etwa 3 bis 4 Zeilen Text fehlen. Aus der Formulierung der Versprechen geht hervor, dass nur ein orakelgebender Gott genannt war, und zwar Amenemope, wie aus Zeile x+96 eindeutig hervorgeht. Darüber hinaus fehlen Name und der größte Teil der Filiation der Orakelbesitzerin.
2 [Rua]iw ([___]jw): In der erhaltenen „Adress-Zeile“ auf der Rückseite wird der Name der Mutter als Rʾ-wꜣ-jw angegeben. Der Name ist dort mit dem sitzenden Kind (A17) geschrieben, was Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 113) zu der Lesung des Names als Rʾ-wꜣ-jw-šrj veranlasste. Mit Verweis auf de Meulenaere (in: Trabajos de Egiptologia/Papers on Ancient Egypt (TdE) 2, 2003, 113–116), der die Funktion und Lesung des Zeichens A17 in Personennamen untersucht hat, ist für den hier vorliegenden Namen aber anzunehmen, dass das Zeichen A17 in diesem Fall nicht gelesen werden darf, sondern als Klassifikator aufzufassen ist (ebd., 115 [2.]). Dies wird unterstützt durch die ersten drei Zeichen in der ersten erhaltenen Zeile des Papyrus: Hier sehen wir recht deutlich jw (M17-Z7) gefolgt von dem Wurfholz (T14). Das Wurfholz wird auch zur Klassifikation von ausländischen, z.B. libyschen Namen verwendet (Colin, Les Libyens en Egypte, 58). Insofern hätten wir hier an der passenden Stelle im Formular vermutlich das Ende des Namens der Mutter, der auf dem Verso in der erhaltenen Adress-Zeile mit Rʾ-wꜣ-jw angegeben ist. Es könnte sich gut um einen ausländischen Namen handeln, wobei mir bisher kein weiterer Beleg dieses Namens bekannt ist.
3 [Zögling (?)] ([⸮sḫpr?]): Mutmaßliche Ergänzung nach dem üblichen Formular, das generell in den Oracular Amuletic Decrees zur Vorstellung des/r Besitzers/in des Amulettpapyrus verwendet wird, vgl. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 113, [3].
4 Die Schutzformel von Fleisch und Skelett steht für gewöhnlich zu Beginn der Versprechen direkt nach der Vorstellung des/r Orakelbesitzers/in. Die Ergänzung von Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 113 [4]) orientiert sich an den Parallelen unter Einbeziehung des zur Verfügung stehenden Platzes. Sie passt sehr gut zu den erhaltenen Spuren, doch da lediglich Reste von maximal sechs Zeichen erhalten sind, kann man diese Rekonstruktion nicht als hundertprozentig gesichert annehmen.
5 Ergänzung: Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 113–114 [10]) schlägt überzeugend als Ergänzung r bꜣ.w vor mit Verweis auf pTurin Cat. 1985 (T3), rto 69–73. Wie das Versprechen endet, ist nicht ganz klar. Ausgehend von dem n, das noch erkennbar ist, könnte hier ebenso wie in T3 als Abschluss des Versprechens nꜣ nṯr.w ꜥꜣ.w p.t tꜣ „die großen Götter von Himmel und Erde“ gestanden haben, s. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 113 [10]. Es könnten aber auch weitere Götter folgen, wie ebenfalls in T3 (Pre, Ptah, Jah, Thot, Osiris, Min und Isis von Koptos) oder in pLondon BM EA 10083 (L1), rto x+32–34, wo Amenemope, Month und Maat genannt sind.
6 Ergänzung nach pLondon BM EA 10083 (L1), rto x+7–9, s. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 114 [14]. Am Ende von Zeile x+13 sind Reste eines Zeichens zu erkennen, die Edwards (HPBM 4, Bd. 2, pl. XLVA) als q (N29) deutet, doch vermute ich, dass es sich eher um einen Hausgrundriss (O1) handeln dürfte, entsprechend der Schreibung dieses Wortes im pLondon BM EA 10308 (L3), A x+5–6. Zu Beginn von Zeile x+14 ist ausreichend Platz für qrj und einen vorausgehenden Genitiv.
7 Ergänzung nach pLondon BM EA 10251 (L2), rto x+58–59 (Kombination von ḥtr „Gespann“ und ꜥḏt „Uferdamm“) und pLouvre E 8083 (P2), vso 6–9 (Spezifizierung durch Relativsatz), s. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 114 [17]. Das Verbum ṯzi̯ (Wb 5, 405.1–407.15), hier intransitiv gebraucht (Wb 5, 406.15–407.15), ist durch die erhaltenen Klassifikatoren (U40-D56-D54) recht eindeutig bestimmt. Die Paralelle schreibt wṯz (Edwards, HPBM 4, Bd. 2, pl. XXXIA), doch zeigen Formulierung sowie die verwendeten Personalpronomen, dass der Schreiber ṯzi̯ im Sinn hatte.
8 Ergänzung: Vgl. pLouvre E 8083 (P2), vso x+3–5.
9 Vgl. pLondon BM EA 10308 (L3), B, 22 und pKairo CG 58035 (C1), I. 39–41 Rekonstruktion nach pTurin Cat. 1984 (T2), rto 49 (Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 114 [18]). Durch die Wiederholung im Satz kann man hier durch die Rekonstruktion einen guten Eindruck gewinnen, wieviel vom rechten Rand des Papyrus verloren gegangen ist. Wenn man davon ausgeht, dass der Schreiber die Orthographie der Wörter nicht variiert hat, was innerhalb eines Satzes in den OAD kaum belegt ist, dann ergibt sich für die zu ergänzende Phrase m-ḏr.t Spd-Ḥr ein Platzbedarf von 2,3 cm. Man sieht, dass die Zeile x+20 etwas enger geschrieben ist als die Vorangehende, daher käme man auch mit ca. 2 cm aus. Die ursprüngliche Breite des Papyrus würde demnach bei etwa 6,5 bis 7 cm liegen.
10 Ergänzung nach pLondon BM EA 10083 (L1), rto 12–16 (Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 114 [19–20]). Hier sind zwei Versprechen miteinander vermischt worden: der Schutz vor den sieben Sternen des Großen Wagens und der Schutz vor Meteoriten (Sterne, die vom Himmel fallen). In L1 werden beide Gefahren genannt, formuliert in zwei einzelnen Versprechen, die im Text direkt aufeinanderfolgen.
11 ((der)) Götter von Behe[det] (((nꜣ)) nṯr.w ⸢⸮Bḥd⸣[.t?]): Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 114 [27]) schlägt vor, Bḥd.t zu lesen, was gut zu den erkennbaren Zeichenresten passt, die sich als Stoßzahn F18 über der Hand D46 identifizieren lassen. Im pTurin Cat. 1985 (T3), rto 46–47 ist ein Versprechen zum Schutz vor den Göttern des Ackerlandes von Behedet (Edfu) (nꜣ nṯr.w tꜣ št.t Bḥd.t) erhalten, s. LGG IV, 546a. Womöglich hatte also der Schreiber diese Göttergruppe im Sinn, jedoch tꜣ št.t ausgelassen. Dass er bereits den bestimmten Artikel vor nṯr.w ausgelassen und über die Zeile gesetzt hat, würde dazu passen, dass er bei diesem Versprechen offenbar etwas unkonzentriert war.
