Horusstele Brooklyn Museum 60.73

Metadaten

Wissensbereiche
Aufbewahrungsort
Nordamerika » U.S.A. » (Städte A-Ch) » Brooklyn (NY) » The Brooklyn Museum

Inventarnummer: 60.73

Erwerbsgeschichte

Im Jahr 1960 mit Finanzmitteln des Charles Edwin Wilbour Fund angekauft.

Herkunft
(unbekannt)

Vielleicht aus Heliopolis, weil sie möglicherweise aus derselben Werkstatt wie eine Horusstele in Mailand stammt, die zwar in Italien gefunden, aber für einen Herrn Anch-Mnevis gemacht wurde, dessen Name Beziehungen zu Heliopolis vermuten lassen (Gasse 2012, 345, 347348).

Datierung
(Absolute Datierung: Jahrhunderte) » (Jahrhunderte v.Chr.) » 3. Jhdt. v.Chr.

Die Datierung erfolgt implizit nach stilistischen Kriterien und nach der textgeschichtlichen Untersuchung der eingravierten Texte. Jacquet-Gordon gibt als Datierung „tentatively assigned to the early Ptolemaic Period (third century B.C.)“ an, ohne dies im Einzelnen zu begründen (Jacquet-Gordon 19651966, 54). Bianchi 1988, 204 datiert die Horusstele später als die Metternichstele (Nektanebos II.) in die Ptolemäerzeit oder konkreter ins 3. Jh. v. Chr. (so auch schon Karig 1976: „ptolemäische Zeit, 3. Jahrhundert v. Chr.“). Er verweist zwar auf die Ausarbeitung des Körpers des Horuskindes, spricht jedoch in diesem Zusammenhang nicht explizit von einem stilistischen Datierungskriterium. Ob die schematischere Ausarbeitung des Körpers im Vergleich zum Horuskörper auf der Metternichstele als Kriterium für eine spätere Datierung gültig ist? Gutekunst 1995 übernimmt die Datierung von Jacquet-Gordon als „Frühptolemäisch“, aber auch als „(Früh?)ptol“ (1995, 66 bzw. 284). Textgeschichtlich passt die vorhandene Version des Horusstelentextes B (es ist die „Paris-Rechts-Version“, die ab seiner „Mittelphase“ = 26.28. Dyn. belegt ist) in seine „Hochphase“, die mit der spätdynastischen und frühptolemäischen Zeit bzw. mit der Zeit „ca. 400250/200?“ übereinstimmt. Sternberg-el Hotabi datiert die Stele nach typologischen Kriterien in ihre „Frühe Hochphase“, d.h. ca. 380280 v. Chr. (30. Dynastie und Anfang der Ptolemäerzeit) (Sternberg-el Hotabi 1999, II, 72) oder mehr konkret in die frühe Ptolemäerzeit (1999 I, 110), aber begründet dies nicht im Einzelnen (für Sternberg-el Hotabi ist „Anfang der Ptolemäerzeit“ = „Frühe Ptolemäerzeit“, für andere ist „Frühe Ptolemäerzeit“ = „3. Jh. v. Chr.“). Der einzige Unterschied zu den Stücken ihrer „Mittleren Hochphase (ca. 280ca. 180 v. Chr.)“ liegt in der Tatsache, dass die Darstellungen auf der Rückseite nicht das Motiv des vierköpfigen Sonnengottes in der Sonnenscheibe enthält. Die Textversion von Horusstelentext C hat die größten Ähnlichkeiten mit der Version auf der Statue Tyszkiewicz, die meistens in die 30. Dynastie bis in die frühe Ptolemäerzeit datiert wird. Die Erwähnung von heiligen Tieren (Falken und Katzen) in den Horusstelensprüchen A und B weist auf eine redaktionelle Erneuerung dieser Texte hin, die im Rahmen von Kultmaßnahmen der 30. Dynastie erfolgt sein könnte.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Die Inschriften auf der Stele bestehen aus Beischriften zu den dargestellten Gottheiten und aus den Horusstelentexten A, B und C.

Horusstelentext A:
Ein von Thoth ausgesprochener Spruch zur „Verehrung“ des Horus, um ihn zu „verklären“. Thoth begrüßt den jugendlichen Horus und bittet ihn, dass er mit seiner Magie und seinen Zaubersprüchen kommen möge, um die gefährlichen Tiere in der Wüste, im Wasser und in den Höhlen abzuwehren und um das Gift im Patienten (einem Menschen, einem Falken, einer Katze, einem Stück Kleinvieh) zu beschwören. Er möge den Patienten wiederbeleben, damit Horus‘ Ansehen entstehe und er als Horus-Sched („der Retter“ oder „der Beschwörer“) angerufen werde.

Horusstelentext B:
Der sogenannte „Spruch B“ der Horusstelen und Heilstatuen hat zum Ziel, einen Reisenden auf dem Wasser zu schützen, insbesondere vor Krokodilen. Er fängt mit einer Anrufung des Zauberers an den Sonnengott/Schöpfergott an, der Thoth schicken möge, um das Krokodil Nehaher von ihm zu entfernen. Anschließend spricht der Zauberer/Beschwörer die gefährlichen Wassertiere und insbesondere das Krokodil Nehaher direkt und in imperativischer Form an. Sie sollen Osiris, der auf dem Fluss ist, nicht angreifen, oder ihnen werde das Gesicht umgedreht bzw. ihnen drohe die Vernichtung. Er sagt, dass eine Vierergruppe von Göttern Osiris sowie „den lebenden Falken“ beschütze. Zwei mythologische Passagen mit einem lauten Schrei in Heliopolis, in der ein Kater und der Abdu-Fisch eine Rolle spielen, und mit einem zweiten lauten Schrei in Nedit, wo Osiris ermordet wurde, werden eingeflochten, weil Re deshalb sehr wütend geworden sei und die Zerstückelung des Rebellen auf dem Wasser befohlen habe. Der Zauberer identifiziert sich auch noch mit Chnum und befiehlt dem Angreifer zurückzuweichen, sonst werde er zerstückelt.

Horusstelentext C:
Der Spruch setzt Horusstelenspruch B fort und ist ebenso hauptsächlich zum Schutz vor Krokodilen gedacht. Zunächst wird der Sonnengott, der aus der Unterwelt und dem Urwasser hervorgekommen ist, angesprochen, dass seine Barkenmannschaft zu ihm geeilt sei. Dann wird das Krokodil Maga aufgefordert, sich zurückzuziehen unter Androhung eines Übels, das in einem mythischen Ort Wadjwadj gegen das Krokodil gemacht werde. Dann wird erneut das Krokodil Maga aufgefordert, sich diesmal Osiris, der auf dem Wasser ist, nicht zu nähern, ansonsten werde das Krokodil geblendet und zurückgetrieben. Wenig später ist Maga gefallen und hat keine Macht über irgendwelche Pferde und weiteres Vieh, wenn es auf dem Wasser ist. Es folgen zwei unklare mythologische, auf Heliopolis bezogene Passagen mit einem lauten Schrei im Haus der Neith und einem Wehklagen des Katers wegen etwas, das Maga getan hat und das vom Schöpfergott nicht angeordnet worden war. Dem Rebellen (Maga) wird seine Zerstücklung und sein zweites Mal (die endgültige Vernichtung?) angedroht. Der Magier identifiziert sich anschließend mit den Göttern Chnum (der mit einer Botschaft von Sepa aus Heliopolis kommt) und Iniaf. Der Gott Ruti wird angerufen. An dieser Stelle hört der Text dieser Horusstele auf. In anderen Handschriften wird auch der Gott Mechentienirti angerufen. Ruti und Mechentienirti sollen ihre Aufmerksamkeit auf einen Zwerg aus Fayence, der ins Wasser gefallen sei, richten (in anderen Handschriften identifiziert sich der Magier mit dem Zwerg). Zwei weitere Krokodile namens Imeny und Senemra erscheinen im Text. Sie sollen sich vom Gott fernhalten, wenn dieser sich im Wasser reinige, und sich vor dem Gottesleib hüten, ansonsten drohe der Tod oder die Verschleppung.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Laut Sternberg-el Hotabi (1999, I, 116) waren die Stücke ihrer „Frühen Hochphase“ „überwiegend wohl als Stiftungen an die Tempel“ gedacht. Stelen dieser Zeit (Spätdynastisch oder Frühptolemäisch) sind nicht mehr als Grabbeigaben nachgewiesen. Auffällig ist, dass in dieser konkreten Version der Horusstelensprüche A und B einmalig (heilige) Falken und Katzen sowie „der lebende Falke“ als schutzbedürftig genannt werden. Ob diese Horusstele aus dem Bezirk eines heiligen Tieres im Tempel stammen könnte? Gutekunst 1995, 288 schließt nicht aus, dass ein „königlicher Schutzempfänger“ in Betracht zu ziehen sei, weil in Horusstelentext B „der lebende Falke“ schutzbedürftig ist und „der Falke“ eine Bezeichnung des Königs sein kann (Nektanebos II. hatte einen Kultnamen „der Falke“)

Material
Nicht Organisch » Stein » Steatit/Speckstein
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Stele » Horusstele / Horuscippus
Technische Daten

23,2 x 13,5 x 5,6 cm (Höhe x Breite x Dicke) (Sockelbereich 2,8 cm hoch). Frontal dargestellter, nackter Kindgott, der auf zwei antithetisch angeordneten Krokodilen steht. Er trägt einen Uräus und eine Jugendlocke. Er hält zwei Schlangen, einen Skorpion und eine Antilope in der rechten Hand, zwei weitere Schlangen, einen weiteren Skorpion und einen Löwen in der linken. Über seinem Kopf befindet sich ein Beskopf. Der Kindgott wird rechts von einem Falken auf einem Papyrusstängel, links von einer Nefertemstandarte (Lotusblüte und -stängel, mit einer Feder auf der Blume) eingerahmt. In den freien Flächen zu beiden Seiten des Kopfes und des Körpers sind zwei (namenlose) Götter in Hochrelief angebracht (ein Osiris und ein ithyphallischer Min oder Amun). Sechs weitere Gottheiten sind eingraviert und mit hieroglyphischen Beischriften versehen. Die Vorderseite des Sockels, die Unterseite, die beiden Schmalseiten und die Rückseite sind mit hieroglyphischen Texten versehen. Auf der Rückseite befindet sich oberhalb des Textfeldes in 16 Kolumnen noch ein Bildfeld mit einer Reihung von 15 Gottheiten. Horusstelentext A fängt auf der rechten Schmalseite an (Kol. 12) und setzt sich auf der Rückseite fort (Kol. 39). Anschließend steht auf der Rückseite Horusstelentext B (Kol. 918), der auf der linken Schmalseite endet (Kol. 1920). Dann folgt auf der linken Schmalseite Horusstelentext C (Kol. 20), der auf der Vorderseite des Sockels (Kol. 2123) sowie auf der Unterseite der Stele (Kol. 2439) weiterläuft und dort aus Platzmangel abbricht.

Schrift
Hieroglyphen

Sorgfältig eingeschnittene Hieroglyphen. Nur die Beischriften bei den Darstellungen auf der Rückseite sind teilweise stark abgerieben und nicht eindeutig identifizierbar.

Bearbeitungsgeschichte

Diese Horusstele wurde von Jacquet-Gordon im Jahr 1965/66 in Foto (Abb. 2 und 5 sind jedoch spiegelverkehrt!), Handkopie der Inschriften und Übersetzung publiziert. Gutekunst 1995 hat die Textversion des Horusstelentextes B in seinen textgeschichtlichen Studien eingebunden. Gasse 2004a-b berücksichtigt die Textversion des Horusstelentextes C in ihrer Bearbeitung dieses Spruchs. Die Beischriften zu den einzelnen magischen Figuren wurden noch nicht genauer studiert.

Editionen

- Jacquet Gorden 19651966H. Jacquet-Gordon, Two Stelae of Horus-on-the-crocodiles, in: The Brooklyn Museum Annual 7, 19651966, 53–64, hier: 53–64, Abb. 1–2, 5–6. 

Literatur zu den Metadaten

- Barbash 2013: Y. Barbash, in: E. Bleiberg  Y. Barbash  L. Bruno, Soulful Creatures: Animal Mummies in Ancient Egypt (Brooklyn 2013), 21 (Nr. 13).

- Bianchi et al. 1988: R. S. Bianchi et al. (Hrsg.), Cleopatra’s Egypt: Age of the Ptolemies (s.l. 1988), 204205 (Nr. 99), Taf. XXVI.

- Bianchi 1989: R. S. Bianchi, in: R. A. Fazzini  R. S. Bianchi  J. F. Romano  D. B. Spanel, Ancient Egyptian Art in the Brooklyn Museum (New York 1989), Nr. 88.

- Fazzini – Romano – Cody 1999:  R. A. Fazzini  J. F. Romano  M. E. Cody, Art for Eternity. Masterworks from Ancient Egypt (New York 1999), 142 (Nr. 89).

- Gasse 2004a: A. Gasse, Une stèle d'Horus sur les crocodiles. A propos du "Texte C" (Taf. VII-IX), in: Revue d'Égyptologie 55, 2004, 23–43, hier: 2337, Taf. VIIIX.

- Gasse 2004b: A. Gasse, Stèles d’Horus sur les crocodiles, Musée du Louvre. Département des antiquités égyptiennes. Catalogue (Paris 2004), 2425, 173.

- Gasse 2012: A. Gasse, L’enfant et les sortilèges. Remarques sur la diffusion tardive des „stèles d’Horus sur les crocodiles”, in: A. Gasse  F. Servajean  C. Thiers (Hrsg.), Et in Aegypto et ad Aegyptum. Recueil d’études dédiés à Jean-Claude Grenier, Cahiers de Égypte Nilothique et Méditerranéenne 5 (Montpellier 2012), Bd. 2, 345357.

- Gutekunst 1995: W. Gutekunst, Textgeschichtliche Studien zum Verjüngungsspruch (Text B) auf Horusstelen und Heilstatuen (Trier 1995), 66, 283–288, 332–333.

- Karig 1976: J. S. Karig, in: J. S. Karig – K.-T. Zauzich (Hrsg.), Ägyptische Kunst aus dem Brooklyn Museum, Berlin. Ägyptisches Museum der Staatlichen Museen Preussischer Kulturbesitz (Ausstellungskatalog, 4. September – 31. Oktober 1976) (Berlin 1976), Nr. 79. 

- Sternberg-el Hotabi 1999: H. Sternberg-el Hotabi, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen, 2 Bände, Ägyptologische Abhandlungen 62 (Wiesbaden 1999), Bd. 1: Textband, 107, 110, 262 (Abb. 58); Bd. II: Materialsammlung, 72.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Peter Dils
Autoren (Metadaten)
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Vorderseite (Textzeile A)

Bildregister1 (A.1A.8)

[rechts vom Kopf des Kindgottes: stehende Göttin mit unterägyptischer Krone und Papyruszepter, A.1] Neith, die Große, die Gottesmutter ... [hinter dem Osiris bzw. über dem Falken auf dem Papyrusstängel] ... Sais (?)
[links vom Kopf des Kindgottes: stehender, falkenköpfiger Gott mit Sonnenscheibe auf dem Kopf, Waszepter und Lebenszeichen in den Händen] ... ...
[links vom Kopf des Kindgottes: stehender, falkenköpfiger Gott mit Doppelkrone auf dem Kopf, Waszepter und Lebenszeichen in den Händen] Der Vorzügliche.
[rechts vom Oberschenkel des Kindgottes: stehender, menschenköpfiger Gott mit zwei Schlangen gekreuzt vor der Brust, A.5] Herr der Magie.
[rechts vom Unterschenkel des Kindgottes: stehender, widderköpfiger Gott mit Atefkrone auf dem Kopf, Papyrus(?)zepter und Lebenszeichen in den Händen] König.
[links vom Oberschenkel des Kindgottes: Nefertemsymbol mit zwei Menits, auf einem Schenkring] Nefer〈tem?〉.
[links vom Unterschenkel des Kindgottes: stehender, ityphallischer Gott mit Doppelfederkrone und rückwärts erhobenem Arm mit Wedel; dahinter Minkapelle] Min, der von Koptos, Horus, 〈mit erhobenem〉 Arm (?), ...?...

1 7 eingravierte Götterdarstellungen, davon 6 mit Beischriften.

Rückseite (Textzeile B)

Bildregister1 (B.1B.16)

[1. Gottheit: stehender, ibisköpfiger Gott mit Mondscheibe und -sichel auf dem Kopf; er hält ein Udjatauge (?) und eine Schreibpalette/Buchrolle, B.1] Thoth, der Herr von Hermopolis.
[2. Gottheit: stehende Göttin mit Löwen(?)kopf und Sonnenscheibe auf dem Kopf; sie hält Papyrusszepter und Lebenszeichen] ...?... der Götter.
[3. Gottheit: Zwerg mit Udjatauge auf dem Kopf] [keine Beischrift]
[4. Gottheit: Gott mit Vierfederkrone, der eine Schlange (?) speert] (Onuris/Schu) ... in (?) Apophis.
[5. Gottheit (mittig): aufgerichtete Kobra, B.5] ... ?
[6. Gottheit (oben): menschenköpfig, B.6] ... ?
[7. Gottheit (oben): menschenköpfig] Geb.
[8. Gottheit (oben): menschenköpfig] Hu.
[9. Gottheit (oben): menschenköpfig] Sia.
[10. Gottheit (unten): krokodilsköpfig, B.10] Sobek.
[11. Gottheit (unten): krokodilsköpfig] Tjenenet.
[12. Gottheit (unten): krokodilsköpfig] ... ?
[13. Gottheit (unten): ibis(?)köpfig] ... ?
[14 Gottheit: stehender, ityphallischer Gott mit Doppelfederkrone und rückwärts erhobenem Arm mit Wedel] Min.
[15. Gottheit: stehende Mumie mit Skarabäus auf dem Kopf, B.15] Chepri.
[16. Gottheit: Falke mit Doppelkrone, auf dem Rücken einer Antilope stehend] Horus, Herr von Hebenu, ... ..., mächtig an Kraft.

1 16 Gottheiten, von rechts nach links angeordnet. Die Gottheiten 6 bis 12 sind hockend in zwei Registern angeordnet, davor eine Kobra als Gottheit 5.

Rechte Schmalseite und Rückseite

Horusstelentext A (1–9) = Metternichstele Spruch 10

[rechte Schmalseite, 1] Sei gegrüßt, du Gott, Sohn eines Gottes. Sei gegrüßt, du Erbe, Sohn eines Erben. Sei gegrüßt, du Stier, Sohn eines Stieres, den die göttliche Kuh geboren hat. Sei gegrüßt, du Horus, der aus Osiris hervorgegangen ist, den Isis, die Göttliche/Göttin, geboren hat.
Besprich1 für mich mit/in deinem Namen! Rezitiere für mich mit/aus deiner Magie! Besprich für mich mit deinen (wirksamen) Zaubersprüchen! Beschwöre für mich mit deinen Beschwörungen, die ich (= Thoth) für dich (= Horus) ersonnen habe!2
Es sind deine kunstfertigen (Zauber)formeln in meinem (= des Thoth) Mund, die dein (Groß)vater Geb dir anvertraut hat, die deine (Groß)mutter Nut dir gegeben hat, die dich [Rückseite] der Vorsteher von Letopolis unterrichtet hat, um deinen zꜣ-Schutz zu bereiten, um deine mk.t-Protektion/Sicherheit zu wiederholen, um das Maul von jedem giftigen Gewürm zu verschließen, das in der Luft (wörtl.: im Himmel) ist, 〈das auf dem Land ist,〉 das im Wasser ist, um die Menschen wiederzubeleben, um die Götter zufriedenzustellen, um Re mit deinen Lobpreisungen/Gebeten zu verklären.
Komm zu mir (= dem Patienten)! Beeile dich, beeile dich, heute (wörtl.: an diesem Tag), so wie (wenn) du das Steuerruder in der Gottesbarke hantiert hast (oder: so wie es für dich derjenige tut, der im Gottesschiff rudert).
[5] Mögest du für mich alle Löwen auf dem Wüstenplateau abwehren, jedes Krokodil im Fluss, alle beißenden Schlangenmäuler in ihren Höhlen. Mögest du sie mir (ungefährlich) machen wie Kieselsteine im Gebirge, wie Gefäßscherben von Töpferwaren entlang der Straße. Mögest du für mich dieses pulsierende Gift (hier) beschwören, das in jedem Glied eines jeden Menschen, eines jeden Falken, einer jeden Katze, eines jeden Pavians (?)3 ist, 〈der〉 von Gift befallen ist.
Hüte dich, dass deine Worte deswegen (oder: seinetwegen, d.h. des Gifts) lächerlich gemacht (oder: weggelacht) werden.
Siehe, du sollst gegen es (das Gift) vorgehen, du sollst gegen es (Zauberworte) sprechen (oder: dein Wort ist gegen es)! Siehe, dein Name ist heute dort. Lass für mich dein Ansehen mittels deiner Magie entstehen! Erhöhe (es) für mich mit deinen (wirksamen) Zaubersprüchen, um den, der eine beengte Kehle hat, wiederzubeleben.
(Dann) wird dir Lobpreis durch die Untertanen gegeben werden. (Dann) wird Maat in deiner Gestalt verehrt werden. (Dann) wird ein Gott von deiner Art angerufen werden.
Siehe, man ruft heute mit dir (d.h. mit/in deinem Namen): „Ich bin Horus, der Beschwörer!“

1 J. F. Quack, [Review:] H. Sternberg-el Hotabi, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen, 2 Bände, Ägyptologische Abhandlungen 62 (Wiesbaden 1999) in: Orientalische Literaturzeitung 97, 2002, 713–729, hier: 718 möchte mit Imperativen übersetzen: „Rezitiere für mich...“. Er gibt dafür zwei Argumente: Er meint (1), dass die Übersetzung „ich rezitiere“ „sachlich wenig plausibel“ sei, denn „weshalb sollte ein Magier dem Gott nur erzählen, daß er zurechtkommt?“. Er verweist (2) auf die chronologisch in der Ramessidenzeit anzusetzende Horusstele CG 9403. Der Zauberer wünscht also vom angesprochenen Gott „... mögest du mittels deiner Zaubersprüche (be)sprechen“. R. K. Ritner, The mechanics of ancient Egyptian magical practice, Studies in Ancient Oriental Civilization 54 (Chicago 1993), 32, Anm. 144 hat eine ähnliche Formulierung in der ebenfalls frühen Variante von Spruch A im ramessidischen Papyrus Wien Inv. 3925, Z.9 erkannt: „May you create [your] prestige [by means of?] your magic, may you perfect spells.“ (vgl. auch Ritner 1993, 144: „Create for me your prestige by means of your magic.“). Mit Quack wäre ein Wunschsatz der 2. Person Singular in einen Imperativ mit Dativ umgewandelt worden. Tatsächlich stehen auf dem ramessidischen Papyrus Wien Inv. 3925, Z. 3–4 an entsprechender Stelle zwei (oder drei?) Imperative. Der Imperativ steht ebenfalls auf der Horusstele des Benitehhor vom Anfang der 26. Dynastie (H. Altenmüller, Der Sockel einer Horusstele des Vorstehers der Wab-Priester der Sachmet Benitehhor, in: Studien zur altägyptischen Kultur 22, 1995, 1–20, hier: 3).

2 Jacquet-Gordon 1965–1966, 59 übersetzt: „I have conjured with your spells which you created.“ Ihre Übersetzung basiert jedoch vielleicht auf einem Mischtext (vgl. weiter unten: „which your mothers Mut and Isis remitted to you“, wo allerdings „die deine Mutter Nut dir gegegeben hat“ steht).

3 Entweder ꜥw.t: „Kleinvieh“, das auch als Bezeichnung für die heiligen Tiere wie Falke und Katze verwendet wird, oder eine Verschreibung für jꜥnw: „Pavian“ (letzteres bei Jacquet-Gordon 1965–1966). Aus der Auflistung von Gutekunst 1995, 136 (Phrase 6.43.c2) geht nicht hervor, ob jꜥnj: „Pavian“ öfters belegt ist (vielleicht nur diese Quelle?).

Rückseite und linke Schmalseite

Horusstelentext B (9–20) = Metternichtstele Spruch 5 = Torso Wien ÄS 40 Spruch 1

Oh alter Mann, der sich [10] zu seiner Zeit verjüngt, (oh) Greis, der als Jugendlicher agiert (wörtl.: den Jugendlichen spielt), mögest du veranlassen, dass Thoth zu mir 〈auf〉 meine Stimme hin kommt, damit er für mich das Wildgesicht (Neha-her) vertreibt.
Osiris ist auf dem Wasser; das Horusauge ist bei ihm. Der große Flügelskarabäus steht mit gespreizten Flügeln (schützend) über ihm.
Erhebt nicht eure Gesichter, (ihr) Wasserbewohner, bis Osiris an euch vorbeigegangen sein wird!
(Denn) seht, er ist auf dem Weg nach Busiris. Seine Hand ist stark gegen {sie} 〈euch〉.1
Versperrt wurde euer Maul, blockiert/verstopft wurde euer Schlund!
Zurück mit dir, (du) Rebell!
Erhebe nicht dein Gesicht gegen Osiris auf der Sandbank, um die Neunheit von Babylon zu betrachten!
Die Herren des Wassers2 und der Unterwelt stehen bereit, dich zu bestrafen.
Ihr Wildgesichter, ihr solltet nicht gegen Osiris (in feindlicher Absicht) vorgehen (wörtl.: kommen), wenn er auf dem Wasser ist. Ihr solltet (euch) (um die Längsachse) drehen und (euch) auf euren Rücken legen.3
Euer Maul wurde von Re persönlich verschlossen. Euer Schlund wurde von Sachmet verstopft/blockiert. Euer Gemetzel wurde von Thoth angerichtet. Euere Augen wurden von Heka geblendet.
Diese {drei} 〈vier〉 großen Götter, [15] die den Schutz des Osiris bereiten, sie sind es, die heute den Schutz des lebenden Falken bereiten.
Eine heftig schreiende Stimme (oder: der Lärm eines heftigen Geschreis) ist im Haus-der-Neith; ein großes Gejammer ist im Mund des Katers (oder: der Katze).
Die Götter sagen „Was ist los? Was ist los?“ bezüglich (?) des Abdu-Fisches bei seiner Geburt.
Halte meinetwegen deine Schritte zurück, du Rebell! (Denn) ich bin Chnum, der Herr von Herwer.
Hüte dich! Wiederhole nicht deine Verletzung (oder: dein Leid) ein zweites Mal, wegen dessen, was was du getan hast, in Anwesenheit der Großen Neunheit! Wende dich doch von mir ab! (Denn) ich bin ein Gott, der Sohn eines Gottes, den eine Göttin geboren hat.
Hui!
Oh Re! Bekanntlich hast du keine (so) heftig schreiende Stimme (mehr) gehört seit dem Abend auf jenem Ufer von Nedit. Ein tiefes Schweigen ist bei jedem Gott und jeder Göttin. Die großen Götter sind in Klage wegen des Übels, das du angerichtet hast, (du) Rebell, der Böses getan hat.
Siehe, Re tobt vor Wut deswegen. Er hat befohlen, dass deine Zerstückelung durchgeführt wird.
Zurück mit dir, (du) Rebell!
Hui, [20] hui!

1 Für diesen selten bezeugten Satz siehe Gutekunst 1995, 113 (Phrase 5.2) und 175.

2 Gutekunst 1995, 115 (Phrase 9.3) und 189 listet keinen Beleg mit dem Wort mw„Wasser“ auf, obwohl er diese Horusstele aus Brooklyn ansonsten berücksichtigt.

3 Jacquet-Gordon 1965–1966, 63 geht von zwei Imperativen aus: „Turn yourselves upside down. Place yourselves on your backs.“

Linke Schmalseite, Sockelvorderseite, Unterseite

Horusstelentext C (2039)

Oh (Du), der aus der Unterwelt gekommen ist, der im (oder: aus dem) Nun aufgegangen ist, der die Beiden Länder mit seinen zwei Augen erhellt: Siehe, deine Schiffsmannschaft ist herbeigeeilt.1 Deine Barke ist in Freude. Dein Feind ist gefallen/gefällt. Es gibt kein Begrüßen/Schützen (?) dessen, der deine Titulatur (wörtl.: deinen großen Namen) nicht kennt.2
Nimm meinetwegen dein Voranschreiten zurück, (oh) Maga! Behindere meinetwegen dein Voranschreiten, (oh) Feind!, so sagt man zu dir in Wadjwadj3.
Dein Gesicht wurde geblendet. Dein Voranschreiten wurden behindert. Weiche! Hüte dich doch, (du) Maga, vor Osiris!4
Richte dich doch auf, (du) Heliopolitaner! Du hast die Rebellen gefällt.
Zurück! Du wirst keine Macht haben über irgendwelche Menschen, irgendwelche Pferde, irgendwelches Kleinvieh, [25] irgendwelches Großvieh, das auf dem Fluss ist.
Eine laut klagende Stimme ist 〈im〉 Haus/Tempel der Neith.
Ein großes Wehklagen (kommt) aus dem Maul des Katers (oder: der Katze) wegen dessen, was du getan hast, (oh) Maga, Sohn des Seth.
[30] Es ist nicht etwas, das 〈von〉 dem, der-es/sich-gemacht-hat (= dem Schöpfergott?), angeordnet worden ist.
Sobek, der Große, der gegen dich vorgegangen/herausgekommen ist5, er hat deine Zerstückelung vorgenommen.
Hüte (dich)! Deine beiden 〈Unter〉schenkel sind (jetzt) verkürzt (?).6 Du (?) hast gegen dich {innerhalb eines Males} 〈in einem zweiten Fall〉 gehandelt (?).7 Gegen dich geschieht dieses, was du gegen dich angerichtet hast. Weiche doch vor mir zurück! Du sollst dich von mir entfernen/fernhalten!8 [35] (Denn) Ich bin Chnum, der Herr von Herwer/Hutweret.
Mit einer Botschaft (oder: einem Auftrag) von Sepa bin ich aus Heliopolis gekommen.
Ich bin Ini-af / Der,-der-seinen-Arm-holt.
Oh Ruti 〈...〉

1 Es gibt keinen Grund, um mit Jacquet-Gordon 1965–1966 und Gasse 2004b als: „Behold, you have landed!“ bzw. „Vois, tu es arrivé.“ zu übersetzen. In einem Teil der Textversionen eilt die Mannschaft zur Barke, in anderen Versionen fängt ein neuer Satz an mit: „Deine Barke ist in Freude.“

2 Jacquet-Gordon 1965–1966, 63 übersetzt: „There is not one who greets [you], who ignores your great name“, was eine Ergänzung voraussetzt. Gasse 2004b, 24 hat: „Personne ne te protège, (du fait qu’on) ignore ton nom.“ Der Satz hat mehrere redaktionelle Veränderungen im Laufe der Zeit erfahren.

3 Die Lesung Wꜣḏwꜣḏ: „Wadjwadj“ wird von weiteren Textvertretern bestätigt (z.B. Horusstele Turin Suppl. 18356, Horusstele Museum of Seized Antiquities, Heilstatue Tyszkiewicz). Jacquet-Gordon 1965–1966 und Gasse 2004b lesen vielleicht wḏḏ.t: „etwas, was befohlen worden ist“: „It is spoken to you as an order!“ bzw. „On te dit cela comme un ordre.“

4 Auf der Statue Tyszkiewicz ist der Satz sogar noch erweitert: „Hüte dich meinetwegen (?) doch, Maga, vor Osiris!“

5 Jacquet-Gordon 1965–1966, 64 geht von einem Imperativ aus: „Come forth, that he may cause your chastisement, to cut off your legs.“ Vgl. Gasse 2004b, 25: „Viens donc, qu’il fasse que tu sois châtié et que tes jambes soient coupées.“

6 Eine schwierige Stelle, die im Laufe der Zeit redaktionell mehrfach umgeändert wurde. Jacquet-Gordon 1965–1966, 64 übersetzt: „(Come forth, that he may cause your chastisement,) to cut off your legs.“ Die engsten Parallelen bieten die Statue Tyszkiewicz sowie die Horusstele der Sammlung Gandur. Siehe Gasse 2004a, 28 und 31, Anm. ak: „Prends garde que tes pattes ne soient raccourcies.“ Eine Auflistung von (zu kurz wiedergegebenen) Parallelen für diese Sätze bei J. Berlandini, Un monument magique du „Quatrième prophète d’Amon“ Nakhtefmout, in: Y. Koenig (Hrsg.), La magie en Égypte: à la recherche d’une définition. Actes du colloque organisé par le musée du Louvre les 29 et 30 septembre 2000 (Paris 2002), 83–148, hier: 146, Abb. 19. 

7 Auch hier bieten die Statue Tyszkiewicz sowie die Horusstele der Sammlung Gandur die engsten Parallelen: „Tu as agi, toi, une seconde fois (...)“.

8 Auf der Horusstele Gandur fehlt dieser Satz.