Ostrakon Turin CGT 57163

Metadaten

Schlagwörter
Alternative Namen
Turin Suppl. 6645
Aufbewahrungsort
Europa » Italien » (Städte Q-Z) » Turin » Museo Egizio

Inventarnummer: 11254

Erwerbsgeschichte

Das Ostrakon wurde 1905 von Ernesto Schiaparelli während der Grabung in Deir el-Medineh gefunden und kam danach durch Fundteilung in das Turiner Museum.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer » Deir el-Medineh

Es wurde 1905 von Ernesto Schiaparelli in Deir el-Medineh gefunden. Der genaue Fundort in der Siedlung oder der Nekropole ist nicht dokumentiert.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 19. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

Wohl aufgrund des Fundortes datiert J. López das Ostrakon in die Ramessidenzeit (Lopez 1980, 29). Tausende hieratischer Aufschriften auf Ton- und Kalksteinscherben aus Deir el-Medineh stammen aus der Ramessidenzeit.

Textsorte
Rezept(e)
Inhalt

Es handelt sich um zwei medizinische Rezepte zur Behandlung einer nicht benannten Krankheit. Aufgrund dessen, dass ein Verband (Zeile 1) sowie die Anwendung durch das Salben von Bauch (Zeile 2) und Rippen (Zeile 4) genannt sind, könnte darauf geschlossen werden, dass es sich um eine äußere Anwendung im Bereich des Rumpfes handelt.

Material
Künstliche Materialien » Keramik
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Ostrakon
Technische Daten

Die Tonscherbe hat eine Höhe von 8,5 und eine Breite von 9,5 cm. Auf dem konvexen Recto befinden sich vier Zeilen Text. Die Leserichtung verläuft von rechts nach links und quer zur Achse des ursprünglichen Gefäßes. Die linke obere Ecke des Ostrakons ist abgebrochen, weshalb das Ende der 1. Zeile nicht erhalten ist. Ausgehend vom Text wäre es möglich, dass vom Beginn des Ostrakons etwas fehlt, d.h. das Stück auch oben abgebrochen wäre. Dies wird von López allerdings nicht erwähnt (Lopez 1980, 29) und anhand von Fotos ist dies nicht eindeutig feststellbar. Die 2. Zeile ist deutlich kürzer als die restlichen Zeilen, ein Indiz, dass anschließend ein neuer Absatz anfängt. Das konkave Verso ist nicht beschriftet.

Schrift
Hieratisch

Es existieren keine Rubra.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch
Bearbeitungsgeschichte

J. Lopez publizierte das Ostrakon mit Faksimile und hieroglyphischer Transliteration (Lopez 1980, 29, Taf. 74a–74).

Editionen

- López 1980: J. López, Ostraca ieratici N. 57093–57319. Catalogo del Museo Egizio di Torino. Serie Seconda - Collezioni III,2 (Milano 1980), 29, Taf. 74a–74.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Anke Ilona Blöbaum

Übersetzung und Kommentar

Ostrakon Turin CGT 57163

[1] Verband1: „Stechholz“ (und) Süßbier; werde [2] der Unterbauch2 damit gesalbt.

1 wt: Zu Beginn der ersten Zeile liest man deutlich wt „Verband“ bzw. die Verbform „werde verbunden“. Schwierigkeiten macht hier die Position zu Beginn des Textes. Geht man von der Verbform aus, so müsste man annehmen, dass noch vor der ersten erhaltenen Zeile Text verloren ist. In der Publikation gibt es allerdings keinen Hinweis darauf, dass das Ostrakon am Anfang nicht vollständig sein könnte, und auch Fotos des Ostrakons geben keinen weiteren Aufschluss. Zwar kann man in Höhe der ersten Zeile auf der linken Seite des Ostrakons eine frische Bruchstelle im Vergleich zu den anderen Brüchen feststellen, doch für den oberen Rand ist dies – zumindest auf den Fotos – nicht festzustellen. Viel lieber möchte man zu Beginn des Textes die Bezeichnung einer Droge lesen, doch sind die gut erkennbaren Zeichen nicht mit einer solchen in Verbindung zu bringen. Zwar ist auch gelegentlich Verbandsmaterial als Drogenbestandteil aufgeführt, doch dann wird die Bezeichnung ftt „Faserbausch o.ä.“ benutzt, s. H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962), 231 [§4]; Dils, in: BWL-Wortdiskussion. Als Handlungsanweisung erwartet man das „Verbinden“ erst nach dem Salben. Daher macht es hier mehr Sinn von dem Substantiv auszugehen, vor allem da beide Rezepte sehr kurz, eventuell sogar „stichpunktartig“ (vielleicht aus dem Gedächtnis heraus?) notiert wirken.
2 ẖr.j-ẖ.t: López (1980, Taf. 74a) transkribiert die erste Zeichengruppe zu Beginn der zweiten Zeile mn-n-t-N5 statt ẖr.j, hat also den Ausdruck m mn.t „täglich“ (Wb 2, 65.9–11) im Sinn. Folgt man dieser Lesung, muss am Ende der ersten Zeile m ergänzt werden. Die Position von m-mn.t vor statt hinter dem direkten Objekt von gs ist allerdings unerwartet, auch findet sich m-mn.t laut H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962) sonst nicht in den medizinischen Papyri als Verabreichungszeitraum. Dort ist die übliche Zeitangabe für „täglich“ rꜥw-nb, vgl. wrḥ jm rꜥw-nb (Eb 255; Eb 437 = H 24) und gs jm rꜥw-nb (pRamesseum V, Fall 3).
Eines der Zeichen als schlechten Vogel (G36) zu lesen, ist paläographisch nicht möglich, daher ist eine Lesung mn.t „Leiden; schmerzende Stelle“, für die die Kombination gs mn.t tatsächlich laut H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962), 367 mehrfach belegt ist (z.B. pEb 80.17: gs mn.t nb.t jm), ebenfalls schwierig. Eine Lesung „die schmerzende Stelle des Bauches werde gesalbt“ ist ebenfalls unsicher, weil die Genitivkonstruktion „schmerzende Stelle von Körperteil XY“ in H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962) nicht aufgelistet ist. Belegt sind mn.t z: „Das Leiden eines Mannes/Menschen“ (pEdwin Smith 1.5; pEbers 30.17), mn.t Wsjr, mn.t ḥr-nb, mn.t + Suffixpronomen: „sein/mein Leiden“ (pEdwin Smith 8.1; Chacheperreseneb; u.a.). Eventuell könnte man annehmen, dass es sich bei mn um ein Partizip „einer, der leidet“ handelt, im vorliegenden Fall also „einer, der am Bauch leidet“. Schwierigkeit macht hierbei, dass man in diesem Fall ein Suffix beim Objekt, also ẖ.t=f „an seinem Bauch“ erwarten würde.
Paläographisch möglich wäre ebenfalls eine Lesung ḫr.t im Sinne von „Sache“ (H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962), 666 bzw. 99–103), doch in Verbindung mit dem „Bauch“ kommt man hier ebenfalls nicht weiter.
Die vorliegenden Zeichen sind paläographisch ebenfalls mit einer Lesung von ẖr.j zu vereinbaren, s. A.-S. von Bomhard, Paléographie du Papyrus Wilbour. L’écriture hiératique cursive dans les papyri documentaires (Paris 1998), 64. Die Verbindung ẖr.j-ẖ.t „Unterbauch“ (H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962), 692) ist m.E. inhaltlich die überzeugendste Möglichkeit.

[3] Flint, ḏꜣ[…]3 1 (?) (und) Bier; werde [4] die Unterleibsregion4 (und) der Penis5 mit ihm (= dem Salbmittel) gesalbt.

3 ds ḏꜣ[__] ⸮1?: Medizinisch kommt zumeist der schwarze Flint (ds km) zur Verwendung, s. H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 580. Die folgende Zeichengruppe ist schwer zu identifizieren, aber mit einer Schreibung für km „schwarz“ lassen sich die Zeichen definitiv nicht in Verbindung bringen. Möglicherweise ist das direkt folgende Zeichen als Ligatur des Mineralkügelchens (N33) mit darunter stehenden Pluralstrichen aufzufassen (vgl. S. Wimmer, Hieratische Paläographie der nicht-literarischen Ostraka der 19. und 20. Dynastie. Teil 2: Tafeln, Ägypten und Altes Testament 28 (Wiesbaden 1995), 212), was an dieser Stelle darauf hindeuten könnte, dass es sich um zerkleinerten Flint bzw. Pulver handeln könnte.
Das folgende Zeichen rechts vor der Lücke könnte gut ḏꜣ (U28) gelesen werden. Dahinter sind noch Zeichenreste zu erkennen, die sich mit dem Geier G1 vereinbaren lassen. Zwei Pflanzen kommen als Ingredienz in Frage: eine bisher nicht identifizierte Pflanze ḏꜣs (H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 592–594) sowie Johannisbrot ḏꜣr.t (H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 586–592; zur Bedeutung „Johannisbrot“, s. Popko, Johannisbrot, in: Glossar). Beide Pflanzen wurden für Salben bzw. Verbände benutzt.
Der Strich nach der abgeriebenen Stelle könnte als Anzahl „eins“ aufgefasst werden. Ebenfalls möglich wäre, dass einer kurzen Bezeichnung einer Droge ein Verb der Zubereitung sowie die Präposition ḥr folgt. Dann gehörte der Strich zu ḥr und die schwach erkennbaren Zeichenreste vor dem Strich sind paläographisch gut mit ḥr zu verbinden. Der zur Verfügung stehende Platz ist allerdings sehr knapp, die Drogenbezeichnung dürfte nicht mehr als ein Quadrat ausmachen und als Handlungsanweisung käme am ehesten eine ideographische Schreibung von psi̯ „kochen“ (H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962), 292–297) oder nḏ „zermahlen“ (H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962), 493–496) in Frage. Möglicherweise kommt auch die gesamte Zeichengruppe nach ds und vor der Lücke für eine Handlungsanweisung in Frage. Durch die Zerstörung ist leider keine eindeutige Entscheidung möglich.
4 k⟨n⟩s: López (1980, Taf. 74a) notiert in seiner Transkription „sic“ über dem Korb (V31). Was er für fehlerhaft hält, ist allerdings nicht ersichtlich. Möglicherweise hat er für diese Stelle an ṯz.t „Wirbel“ (H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962), 968–969) gedacht, und eine fehlerhafte Schreibung für die Schlinge (V13) angenommen, so bei Stuhr (23.10.2018). Oder er denkt an eine Graphie für kns „Unterleibsregion“ (H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962), 907), ähnlich wie im pEdwin Smith (20.17): gs k⟨n⟩s jm. Inhaltlich ist diese Lesung vorzuziehen, vor allem, da die Handlungsanweisung „salben“ für den Wirbel nicht sehr viel Sinn ergibt und dementsprechend auch nicht belegt ist.
5 ḥnw: Lies den nw-Topf W24 gegen López (1980, Taf. 74a), der W22 transkribiert. Stuhr (23.10.2018) liest hier ḥn.w „Rippe“ (H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962), 606), doch dies ist stets als ḥn.w n.w qꜣb.t „Rippen der Brust“ belegt und ist nicht in Verbindung mit gs bezeugt. Passend zu ẖr.j-ẖ.t und kns und in Verbindung mit gs könnte man hier eher an eine Schreibung für ḥnn „Penis“ (H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962), 608) denken. Für die 19.– 20. Dynastie ist die Schreibung ḥnw bezeugt, s. DZA 26.973.600; L. H. Lesko (Hrsg.), A Dictionary of Late Egyptian II (Berkeley/Providence 1984), 121–122 (pChester Beatty I, 11.3, 11.7; pChester Beatty VIII, vs. 6.6; pTurin, Pleyte/Rossi 125; pGeneve MAH 15274, rto. 5.9; pD’Orbiney, rto. 7,9; pVatikan 19a 4,10–11). Allerdings fehlt im vorliegenden Ostrakon zusätzlich zu dem Fleischstück F51 ein spezifischer Klassifikator, üblicherweise Schilfrohr bzw. Knochen T19 oder der Phallus D52, vgl. hierzu pBM EA 10059, 4.2: ḥn gänzlich ohne Klassifikator geschrieben. Die auseinandergezogene Schreibung am Ende des Wortes ist mutmaßlich durch den Schreibuntergrund bedingt. In den beiden leer gelassenen Bereichen ist die Oberfläche der Scherbe so abgeplatzt und daher zu uneben, um darauf zu schreiben.