Ostrakon Gardiner 300

Metadaten

Wissensbereiche
Alternative Namen
ANAsh.Mus.H.O.300 H.O. 1, 91,1
Aufbewahrungsort
Europa » Großbritannien » (Städte O-S) » Oxford » Ashmolean Museum

Keine Angabe.

Erwerbsgeschichte

Die genauen Fund- und Erwerbsumstände des Ostrakons sind nicht bekannt. Gardiner schreibt lediglich, dass die Anfänge („foundation“) seiner Ostrakasammlung auf seinen zweiten Ägyptenaufenthalt im Jahr 1907 zurückgehen, als man noch für wenig Geld gute Ostraka bei Händlern in Luxor kaufen konnte (Černý – Gardiner 1957, v). Während er seine Sammlung zunächst bei sich zu Hause aufbewahrte (erst in Berlin, dann in London), lagerte er sie während des Zweiten Weltkriegs im Keller des Ashmolean Museums aus, dem er sie später als Gegenleistung schenkte (a.a.O., v und vii).

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben

Gardiner schreibt, dass alle in Černý – Gardiner 1957 publizierten Ostraka aus dem thebanischen Raum stammen würden; außerdem deutet er an, dass er sie bei einem Händler in Luxor gekauft hat (Černý – Gardiner 1957, v). Für eine thebanische Provenienz sprechen auch das Material Kalkstein, die Zeichnung eines Amun-Kopfes auf der Rückseite und dass auch die Parallele oÄMUL 5451 aus Luxor stammt (zu Letzterem s. die Angabe bei Fischer-Elfert 2016, 27).

Sollte der in Zeile 4 genannte Kai-Dscheret mit dem gleichnamigen Fischer oder dem gleichnamigen Wächter identisch sein, könnte man die Herkunft vielleicht sogar noch weiter auf den Deir el-Medineh oder Medinet Habu eingrenzen (s. Gabler 2018, 251 und 483).

Datierung
(Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich

Laut Gardiner stammen alle in Černý – Gardiner 1957 publizierten Ostraka aus der 18.–20. Dynastie (a.a.O., v). Die beiden Parallelen Ostrakon Leipzig ÄMUL 5251 und Papyrus BM EA 10731 werden aus paläographischen (das Leipziger Ostrakon, Fischer-Elfert 2016,  27) oder genealogischen Gründen (der Londoner Papyrus, Černý 2001, 331 mit 335–336) in die 19. Dynastie datiert.

Sollte der in Zeile 4 genannte Kai-Dscheret mit dem gleichnamigen Fischer oder dem gleichnamigen Wächter identisch sein, gehört das Ostrakon in die späte 20. Dynastie und ist damit die jüngste der drei Parallelen (zum Fischer Kai-Dscheret Gabler 2018, 247, 254 und 662: Zeit Ramses’ IX.–XI.; zum Wächter Kai-Dscheret Černý 2001, 157: Zeit Ramses’ III.–XI.).

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Auf dem Ostrakon ist eine Beschwörung gegen einen Dämon namens Sehaqeq angebracht. Dieser wird zunächst detailliert beschrieben und danach magisch gebannt, damit er dem Nutznießer nicht schaden kann. Letzterer wird namentlich genannt (Kai-Dscheret); seine Filiation wird zwar mit „geboren von“ eingeleitet, aber anstelle des zu erwartenden Namens seiner findet sich hier eine leer gelassene Stelle. Kai-Dscheret wird außerdem mit Horus gleichgesetzt, wodurch eine Schädigung des Kai-Dscheret mit derjenigen des Horus gleichkäme und eine vom Gott Mahes ausgehende Bestrafung nach sich zieht, was u.a. Zerstückelung, Auslöschung des Namens und Verhinderung seiner Beweglichkeit v.a. in Richtung auf die osirianischen Stätten Busiris und Abydos.

Im Gegensatz zu den Parallelen folgt keine Rezitationsanweisung.

Aus dem Ostrakon geht nicht direkt hervor, was Sehaqeq verursacht, allerdings ist aus den Parallelen zu ersehen, dass er wohl aus der Unterwelt kommend Alpträume verursachen kann.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Das Ostrakon Leipzig ÄMUL 5451 mit einer Parallele zum Spruch von Ostrakon Gardiner 300 weist ein Loch in der oberen Mitte auf, das vielleicht zur Befestigung diente. Aufgrund seiner Größe war es aber als Amulett ungeeignet, sondern war vielleicht irgendwo im Schlafbereich angebracht. Gleiches wäre zunächst auch für Ostrakon Gardiner 300 zutreffen, das ebenfalls zu groß für ein Amulett ist und im Gegensatz zum Leipziger Stück überhaupt keine Löcher oder andere Befestigungshilfen aufweist. Auch der individuelle Name des Nutznießers in Zeile 4 deutet auf eine tatsächliche praktische Nutzung hin. Zwar ist die Filiation unvollständig, weil der Name der Mutter fehlt und dafür nur ein Freiraum gelassen wurde. Aber der Name des Nutznießers ist im selben Duktus und derselben blassen Tusche eingetragen, scheint also kein sekundärer Zusatz zu sein.

Die roten Verspunkte lassen das Ostrakon dagegen wie eine Schreibübung wirken. An einigen wenigen Stellen weisen dunklere Tusche und verwischte Tuschenreste auf nachträgliche Korrekturen hin.

Definitiv nachträglich sind die beiden Skizzen auf der Rückseite: Rechts neben dem Text ist der Kopf des Amun mit der für ihn typischen Doppelfederkrone zu erkennen, deren obere Hälfte allerdings nicht mehr auf das Ostrakon passte. Unter dem Text, ihm gegenüber um 90° im Uhrzeigersinn gedreht, befindet sich die Darstellung einer stehenden Frau, allerdings ohne Arme und Kopf. Da die Schulterlinie durchgezogen wurde, ohne im Bereich des Halses unterbrochen zu sein, waren Hals und Kopf aber vielleicht auch gar nicht beabsichtigt. Ein Bezug zum Text ist nicht erkennbar, vielmehr wir ein Schreiber oder Zeichner den freien Raum nachträglich für Zeichenübungen genutzt haben.

Material
Nicht Organisch » Stein » Kalkstein
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Ostrakon
Technische Daten

Das Kalksteinostrakon hat heute eine maximale Breite von 20,5 cm und eine maximale Höhe von 13,3 cm sowie eine grob rechteckige Form mit abgerundeten Ecken. Es ist auf dem Recto (Seitenbenennung aufgrund des fortlaufenden Textes) mit elf und dem Verso mit zwei Zeilen beschriftet. Das Ostrakon wurde bei der Beschriftung über die vertikale Achse gedreht, d.h. die Oberkante der Vorderseite ist auch die Oberkante der Rückseite. Nur für die zweite Skizze auf der Rückseite (s. bei Verwendungskontext) wurde das Ostrakon noch einmal um 90° im Uhrzeigersinn gedreht.

Das Ostrakon ist fast komplett erhalten. Nur an der unteren rechten Ecke der Vorderseite gibt es eine kleine Beschädigung, die die Lesung der 10. und 11. Zeile etwas beeinträchtigt.

Schrift
Hieratisch

Die Handschrift ist „neat“ und eher klein (Černý – Gardiner 1957, 24); sie weist kaum Ligaturen auf. Der Text ist durchgängig schwarz; zusätzlich finden sich rote Gliederungspunkte (s. Černý – Gardiner 1957, Taf. 91).

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch » spätes Mittelägyptisch mit neuägyptischen Einflüssen

Die v.a. am Anfang verwendeten grammatischen Konstruktionen wirken eher mittelägyptisch, sind aber auch im frühen Neuägyptischen nicht grundsätzlich unmöglich. Die Verwendung der augmentlosen Relativform snḏ ist eher typisch für Mittelägyptisch. Im hinteren Teil des Textes, vielleicht nicht zufällig in den Passagen, die in den Parallelen fehlen, finden sich vermehrt Neuägyptizismen: das Personalpronomen mntf, der neuägyptische Konjunktiv, die Negationspartikel bn sowie ein präfigiertes j:sḏm.tw=f.

Bearbeitungsgeschichte

Das Ostrakon wurde von J. Černý und A. H. Gardiner in den Hieratic Ostraca mit knapper Beschreibung und hieroglyphischer Transliteration publiziert (Černý – Gardiner 1957, 24 und Taf. 91). Auf ein Faksimile der Vorderseite hat Gardiner verzichtet; einzig die drei Zeilen der Rückseite sind faksimiliert, sicher um eine Schriftprobe zu geben.

Edwards 1968, edierte die Parallele auf pBM EA 10731 und zog dabei auch oGardiner 300 immer wieder heran. Ebenso Fischer-Elfert 2002, 21–22 und Fischer-Elfert 2016, 30 in seinen Bearbeitungen der Leipziger Parallele. Eine ausführlichere Kommentierung zum Dämon Sehaqeq auch unter Heranziehung der Informationen aus oGardiner 300 findet sich zudem in Fischer-Elfert 2015, 230–248.

Eine synoptische hieroglyphische Transliteration von oGardiner und seinen Parallelen findet sich in Kitchen 1982, 181–184, eine Übersetzung in Kitchen 2003, 133. Eine Übersetzung von oGardiner 300 unter Berücksichtigung der Parallelen steht auch bei Borghouts 1978, 17-18 und 101, Nr. 22.

Editionen

- Černý – Gardiner 1957: J. Černý – A. H. Gardiner, Hieratic Ostraca. Volume I (Oxford 1957), 24, Taf. 91 (Nr. 1).

- K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions. Historical and Biographical IV (Oxford 1982), 181–184.

- K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions. Translated & Annotated. Translations Volume IV. Merenptah & the Late Nineteenth Dynasty (Oxford 2003), 133.

Literatur zu den Metadaten

- Borghouts 1978: J. F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978).

- Černý 2001: J. Černý, A Community of Workmen at Thebes in the Ramesside Period, Bibliothèque d’étude 50 (Le Caire 2001).

- Černý – Gardiner 1957: J. Černý – A. H. Gardiner, Hieratic Ostraca. Volume I (Oxford 1957).

- Edwards 1968: I. E. S. Edwards, Ḳenḥikhopshef’s Prophylactic Charm, in: Journal of Egyptian Archaeology 54, 1968, 155-160.

- Fischer-Elfert 2002: H.-W. Fischer-Elfert, Der Nachtdämon, in: aMun. Magazin für die Freunde der Ägyptischen Museen 12, 2002, 20-23.

- Fischer-Elfert 2015: H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin 2015).

- Fischer-Elfert 2016: H.-W. Fischer-Elfert, „Lass keine Milde walden mit Nubien! Hüte dich vor seinen Einwohnern und seinen Magiern!“. Der nubische Dämon Sehaqeq, in: D. Raue (Hrsg.), Inschriften im Ägyptischen Museum –Georg Steindorff– der Universität Leipzig, Kleine Schriften des Ägyptischen Museums der Universität Leipzig 10 (Berlin 2016), 27-30.

- Gabler 2018: K. Gabler, Who’s who around Deir el-Medina. Untersuchungen zur Organisation, Prosopographie und Entwicklung des Versorgungspersonals für die Arbeitersiedlung und das Tal der Könige, Egyptologische Uitgaven 31 (Leuven 2018).

- Kitchen 1982: K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions, Historical and Biographical. Vol. IV, Monumenta Hannah Sheen dedicata 1 (Oxford 1982).

- Kitchen 2003: K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions, Translated & Annotated: Translations. Volume IV. Merenptah & the Late Nineteenth Dynasty (Malden, MA, Oxford 2003).

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Lutz Popko
Mitwirkende (Metadaten)
Billy Böhm, M.A.

Übersetzung und Kommentar

Beschwörung gegen Sehaqeq

[Rto. 1] Zurück, Du, Sehaqeq,
der (du) vom Himmel kam(s)t,
dessen Augen an seiner Stirn(?)1 sind,
dessen Beine an seinem Hintern sind,
(d)er von dem ‚Fladen‘2 esse3, der zu den 〈menschlichen〉 Bedürfnissen gehört (d.h. Exkremente),
dessen rechter Arm fern von ihm ist4,
〈dessen〉 linker Arm seinen Scheitel5 überquert,
dessentwegen sich die Götter in der Nekropole fürchten!
Dein Arm wird (zurück)geschlagen.
Zurück, du! Wende dich bloß um!
Dein Schritt wird gehemmt.
Dein Mund werde verschlossen.
Deine Zunge werde durch Atum im Fürstenhaus6, den, der in Heliopolis ist, abgeschnitten.
Du sollst Kai-Dscheret, den [---] geboren hat, [Rto. 5] weder nachts noch tags noch zu irgendeiner Zeit befallen!
(Denn) er ist Horus, Sohn der Isis, der Erbe von Osiris Wennefer.
Wenn du ihn wieder befallen solltest, wirst du Mahes, dem Sohn der Bastet, ausgehändigt, und er wird sich in dein Fleisch und deine Haut eingraben7 in Gegenwart der Herren von Heliopolis.
Du 〈wirst〉 (schon?) bei (deiner) Ankunft aus dem Himmel gebändigt/zerstückelt werden, Sehaq〈eq〉.
Deine Augen sind in deinem Hinterkopf.
Deine Zunge ist ..., was gegen dich ist (???).
Du mögest vom ‚Fladen‘ essen, der unter Dir ist (d.h. Exkremente).
Hetscha-Simimi ist der Name deiner Mutter.
Tutubesched ist der Name deines Vaters.
Wenn du über mich kommen solltest, (egal, ob) aus Westen, Osten, Norden (oder) Süden, werden die Götter [Rto. 10] (deinen) rechten Arm [niederschlagen (?)]8, der deine Schulter überquert.
Dein Name wird getilgt, um deinen Leichnam niederzuhalten, [um(?)] deine Ba-Seele [herauszuzerren(?)9], um dir einen Schandnamen zu verpassen.
Du wirst nicht nordwärts nach Busiris10 fahren.
Du wirst nicht südwärts [Vso. 1] nach Abydos fahren.
Dir wird Wasser (aus) Pisse von ...11 libiert.
〈Du〉 wirst durch meine Worte zerstückelt werden, o du Feind des Horus und des Osiris!

1 tb: So die Schreibung von oGardiner 300. pBM EA 10731 schreibt dagegen tbn, pAthen Nationalbibliothek Nr. 1826 schreibt dbn und oLeipzig ÄMUL 5251 db.t. H.-W. Fischer-Elfert – F. Hoffmann, Die magischen Texte von Papyrus Nr. 1826 der Nationalbibliothek Griechenlands, Ägyptologische Abhandlungen 77 (Wiesbaden 2020), 151 mit Anm. 631 geht davon aus, dass die Schreibungen mit finalem n die korrekten sind und das Lemma tbn (Wb 5, 261.12–14, https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/170670, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 31.07.2023)) vorliegt. Mit Verweis auf pChester Beatty VII vso. 1,7 (https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/sentence/IBUBd5AU5KgGOEkjlUwtSgZYsFI, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 20.6.2023)), wo tbn als nꜣ ꜥ jnḥ.wj n jr.tj=fj: „Regionen seiner Augenbrauen“ bezeichnet wird, legt er sich konkret auf die Bedeutung „Stirn“ fest. Dagegen zitiert D. A. Werning, The Sound Values of the Signs Gardiner D1 (Head) und T8 (Dagger), in: Lingua Aegyptia 12, 2004, 183–204, hier: 198 diese Stelle als Bsp. (12) für ramessidische Schreibungen des Wortes dp: „Kopf“. Aufgrund des Kotextes muss auf jeden Fall eine anatomisch unerwartete Region vorliegen – genauso wie Sehaqeqs Augen an seinem d/tbn/.t sind, so ist seine Zunge in seinem Hintern. Dass die Augen schlicht am „Kopf“ des Dämons sind, scheint jedoch so banal, dass es kaum einer Erwähnung wert wäre. Daher ist die Annahme, dass hier tbn: „Stirn“ o.ä. gemeint ist, plausibler. Einzig für oGardiner 300 könnte man zumindest spekulieren, ob der Schreiber doch eine anatomisch korrektere Beschreibung im Sinn hatte, da er auch die Beine des Sehaqeq am Hintern platzierte.

2 Ergänzung nach pAthen, Nationalbibliothek Nr. 1826, x+7,13, das allerdings schreibt: "Nahrung, worin das Bedürfnis der Menschen besteht", s. H.-W. Fischer-Elfert – F. Hoffmann, Die magischen Texte von Papyrus Nr. 1826 der Nationalbibliothek Griechenlands, Ägyptologische Abhandlungen 77 (Wiesbaden 2020), 150–151 und https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/sentence/ICECMxO5DnNAEEeRtFYbaBCI7m4, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 31.07.2023). Die Parallelen auf oLeipzig ÄMUL 5251 und pBM EA 10731 schreiben statt der Relativkonstruktion ein viel schlichteres: „unterer Fladen“. Gemeint ist in allen Fällen menschlicher Kot.

3 Zur prospektiven Bedeutung s. H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin 2015), 237.

4 ḏꜣi̯: Die Kombination mit ḫpš: „Arm“ lässt zunächst an die ähnliche Verbindung ḏꜣi̯ ꜥ: „den Arm ausstrecken“ (Wb 5, 514.4–8) denken. Andererseits weist die Konstruktion mit der Präposition m vor dem Verb darauf hin, dass es eher als Bewegungsverb aufgefasst wurde. Daher könnte man auch vermuten, dass der Schreiber eher an das Verb ḏꜣi̯: „(einen Fluss u.ä.) überqueren“ (Wb 5, 511.Ende bis 512.18) gedacht hat. Angesichts der Armhaltung des Dämons in der Vignette des Leipziger Ostrakons, in der sein Arm das Gesicht bedeckt, lässt sich auch an die Konnotation „überqueren“ im Sinne von „zusetzen“, „blockieren“ denken, die das Verb ḏꜣi̯ in medizinischen Texten haben kann, speziell in den Lehrtexten Eb 198 und 205a, s. H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Zweite Hälfte (h–ḏ), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.2 (Berlin 1962), 993, s.v. ḏꜣj I.a.

5 Zu den abweichenden und in der genauen Bedeutung unklaren Formulierungen der Parallelen oLeipzig ÄMUL 5251 und pBM EA 10731 s. die dortigen Kommentare.

6 Das Fürstenhaus von Heliopolis ist auch der Ort, an dem das Göttergericht abgehalten wird. Wird hier auf einen göttlichen Gerichtsprozess gegen Sehaqeq angespielt? (Hinweis Fischer-Elfert).

7 brbr: Bedeutung unsicher. S. Sauneron, Deux pages d’un texte littéraire inédit. Papyrus Deir el-Médineh 39, in: J. Vercoutter (Hrsg.), Livre du centenaire. 1880–1980, Mémoires publiés par les membres de la Mission Archéologique Française au Caire 104 (Le Caire 1980), 135–141, hier: 137, n. a erwägt eine Verbindung dieses Wortes mit dem Wort bb aus dem ramessidenzeitlichen pDeM 39 (https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/sentence/IBUBdyWYNkaFT09ap7ADfbvLaK4, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 31.07.2023)) sowie mit dem demotischen bbꜣ: „Jagd u.ä.“ (W. Erichsen, Demotisches Glossar (Kopenhagen 1954), 115, https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/d1701, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 31.08.2023)) und brbr: „jagen“ o.ä. (W. Erichsen, Demotisches Glossar (Kopenhagen 1954), 119, https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/d1746, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 31.07.2023)) und gibt als Bedeutung „pénétrer“. Den Konjunktiv von oGardiner 300 übersetzt er entsprechend: „Et il pénétrera dans ta chair à travers ta peau.“ Verleichbar auch J. F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 18 („burrow into“) zurückgehen. KRITA IV, 133 übersetzt dagegen kommentarlos „deliver“.
Für weitere denkbare und unmögliche Kognate s. L. Popko, From What? to How? Ancient Egyptian Technical Languages as an Understudied Field of Research, in: A. Bovo (Hrsg.), La trasmissione del sapere medico. Linguaggi e idee dai papiri ad oggi, Papyrotheke. Studi e Testi di Papirologia e Cultura Scrittoria Antica 9 (Parma 2022), 50–92, hier: Taf. 4–5.
Kitchen fasst koordinierend auf: „your flesh and your skin“, Sauneron und Borghouts dagegen direktiv: „into your flesh through your skin“.

8 Zur Ergänzung des hinteren Satzteils vgl. den Vorschlag von H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin 2015), 234–235, der am Anfang von Zeile 10 auf Basis von rto. 3 die Ergänzung zu: „[abschneiden(?)]“ vorschlägt. H. Satzinger, Neuägyptische Studien. Die Partikel ir. Das Tempussystem, Beihefte zur Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 6 (Wien 1976), 63 (die Referenz HO XLI, 1 ist zu HO XCI, 1 zu korrigieren) erwägt dagegen: „(...) sollen alle Götter deine Rechte bezwingen (?).“

9 J. F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 18 setzt die Behandung von Leichnam und Ba-Seele parallel und ergänzt in der Lücke am Anfang von Zeile 11 vorschlagsweise „[to the cutting up (?) of] your ba.“ H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin 2015), 234–236 beginnt dagegen mit Zeile 11 ein neues Verspaar und schlägt vor: „Dein Ba wird [herausgezerrt] (...)“. Die Ergänzung des Verbs erfolgt dabei auf Basis der phraseologisch ähnlichen Passage pChester Beatty VIII, vso. 5,5-6.

10 Lesung des Ortsnamens mit J. F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 18 und H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin 2015), 234, wohingegen KRITA IV, 133 die Schreibung so nimmt, wie sie dasteht, und daher „Mendes“ übersetzt.

11 ṯrr: Unbekannt, weder von J. E. Hoch, Semitic Words in Egyptian Texts of the New Kingdom and Third Intermediate Period (Princeton, NJ 1994), noch dessen Rezensenten besprochen. H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin 2015), 234–235 fragt sich, ob die Haarlocke, mit der das Wort klassifiziert ist, ein Schreibfehler für das Rind ist und damit eine neue Rinderbezeichnung vorliegt. Er verweist dazu auf die Ähnlichkeit beider Zeichen im Neuhieratischen (G. Möller, Hieratische Paläographie. Die ägyptische Buchschrift in ihrer Entwicklung von der fünften Dynastie bis zur römischen Kaiserzeit. Bd. 2. Von der Zeit Thutmosis’ III. bis zum Ende der einundzwanzigsten Dynastie, 2 (Osnabrück 1965 (= 1927)), Nr. 81 und 142), wertet diese Emendation aber als „sehr unsicher“.