Ostrakon Leipzig ÄMUL 5251

Metadaten

Wissensbereiche
Alternative Namen
Interne Inventarnummer von Černý – Gardiner 1957: O. Leipzig 42
Aufbewahrungsort
Europa » Deutschland » (Städte H-M) » Leipzig » Ägyptisches Museum –Georg Steindorff–

Innventarnummer: ÄMUL 5251

Erwerbsgeschichte

G. Steindorff kaufte das Ostrakon zu einem unbekannten Zeitpunkt in Luxor an (Fischer-Elfert 2016, 27). Dies muss vor 1911 geschehen sein, da Steindorff das Ostrakon A. H. Gardiner zusammen mit 40 oder 41 weiteren Leipziger Ostraka in dessen Berliner Wohnung zur Bearbeitung zur Verfügung stellte, von wo aus dieser sie 1911 nach Leipzig zurücksendete. Für die Bearbeitung nummerierte Gardiner die Ostraka, die alle vermutlich noch nicht inventarisiert waren, intern als O. Leipzig 1–42 (Černý – Gardiner 1957, vi). 1939 verkaufte Steindorff das Ostrakon dann mit zahlreichen anderen Objekten dem Ägyptischen Museum der Universität Leipzig (Fischer-Elfert 2002, 21).

Nach dem Krieg gelangte das Ostrakon mit zahlreichen anderen Objekten des Museums in den Besitz der Sowjetunion, wo es die Nummer 802 erhielt und an einem unbekannten Ort gelagert wurde (Datenbank des Ägyptischen Museums Leipzig). 1958 gab die Regierung der UdSSR diese Objekte, und damit wohl auch ÄMUL 5251, zurück an das Ägyptische Museum der Universität Leipzig (Blumenthal 1981, 34), wo sich das Ostrakon bis heute befindet.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer

G. Steindorff kaufte das Ostrakon in Luxor (Fischer-Elfert 2016, 27), was für eine thebanische Provenienz sprechen könnte. A. H. Gardiner schreibt zudem, dass bis auf eine Ausnahme alle Ostraka, die er 1957 gemeinsam mit J. Černý publizierte, eine thebanische Herkunft haben (Černý – Gardiner 1957, v). Das würde also auch für die 29 von ihm publizierten bzw. 42 von ihm untersuchten Leipziger Ostraka zutreffen.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 19. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

A. H. Gardiner schreibt, dass alle Ostraka, die er 1957 gemeinsam mit Černý publizierte, zwischen der 18. und 20. Dynastie datieren (Černý – Gardiner 1957, v). Paläographisch gehört es eher in die 19. Dynastie (Fischer-Elfert 2016, 27).

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Auf dem Ostrakon ist eine Beschwörung gegen einen Dämon namens Sehaqeq angebracht. Dieser wird zunächst detailliert beschrieben und danach magisch gebannt, sodass er dem Patienten/Rezipienten nicht schaden kann. Zuletzt folgt ein Kolophon mit Rezitationsanweisungen.

Aus dem Ostrakon geht nicht direkt hervor, was Sehaqeq verursacht, allerdings ist aus Parallelen und Varianten zu ersehen, dass er wohl aus der Unterwelt kommend Alpträume verursachen kann (Fischer-Elfert 2016, 30). Zudem befindet am linken Rand des Ostrakons noch eine Darstellung des Dämons.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Das Loch in der oberen Mitte des Ostrakons, das, dem Schriftbild nach zu urteilen, vor der Beschriftung angebracht wurde, legt die Vermutung nahe, dass es ursprünglich aufgehängt wurde. Brunner-Traut 1956, 57 vermutet eine Anwendung als Amulett (d.h., um den Hals gehängt), wogegen allerdings die Größe von ca. 13 × 16 cm spricht. Fischer-Elfert 2002, 23 sieht daher eine solche Anbringung eher in der Nähe des Bettes oder anderweitig frei im Raum.

Material
Nicht Organisch » Stein » Kalkstein
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Ostrakon
Technische Daten

Das Ostrakon hat eine maximale Höhe von 13,3 cm und eine maximale Breite von 15,7 cm. Seine Dicke beträgt 1,1 cm. In der oberen Mitte befindet sich ein Loch von ca. 0,5 cm Durchmesser, dass vermutlich zum Aufhängen des Objekts diente. Bis auf wenige Beschädigungen an den Rändern ist der Text komplett erhalten, was bedeutet, dass es die heutige Form bereits zur Zeit seiner Beschriftung hatte. Vereinzelt ist leichter Abrieb zu erkennen. Auf dem Recto befinden sich acht Zeilen (die das Loch berücksichtigen, sodass es bereits vorher da gewesen sein muss) sowie eine Darstellung des beschriebenen Dämons, auf dem Verso 3 Zeilen.

Schrift
Hieratisch

Es wurde nur schwarze Tinte verwendet. Es ist kein Rubrum vorhanden und es wurden auch keine Verspunkte gesetzt.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch » spätes Mittelägyptisch mit neuägyptischen Einflüssen

Der Text verwendet die neuägyptischen Artikel p und nꜣ, die beide aber auch schon im fortgeschrittenen Mittelägyptisch verwendet werden.

Bearbeitungsgeschichte

Die Erstpublikation eines Fotos des Rectos sowie einer kurzen Beschreibung des Ostrakons erfolgte durch Brunner-Traut 1956. Ein Faksimile in Originalgröße beider Seiten (mit einer kurzen Beschreibung des Objekts) erschien ein Jahr später durch Černý – Gardiner 1957. Eine unveröffentlichte Lesung des Ostrakons stammt von Edwards 1968, der in seiner Bearbeitung einer Textparallele auf Papyrus BM EA 10731 in den Anmerkungen darauf referenziert. Eine hieroglyphische Transliteration in Synopse mit den Paralleltexten stammt von Kitchen (KRI IV), dem später die Übersetzung folgte (KRITA IV). Eine deutsche Übersetzung mit Abbildung des Rectos legte Fischer-Elfert 2002, vor; eine weitere, mit Fotographien beider Seiten, 2016. Eine Besprechung verschiedener Einzelprobleme dieses Ostrakons und seiner Parallelelen findet sich ferner in Fischer-Elfert 2015, 227–248.

Editionen

- Černý – Gardiner 1957: Černý – Gardiner, Hieratic Ostraca. Volume I (Oxford 1957), 1 und Taf. 3–3A.

- KRI IV: K. Kitchen, Ramesside Inscriptions, Historical and Biographical. Vol. IV, Monumenta Hannah Sheen dedicata 1 (Oxford 1982), 181–184.

- KRITA IV: K. Kitchen, Ramesside Inscriptions, Translated & Annotated: Translations. Volume IV. Merenptah & the Late Nineteenth Dynasty (Malden, MA, Oxford 2003).

Literatur zu den Metadaten

- Blumenthal 1981: E. Blumenthal, Altes Ägypten in Leipzig. Zur Geschichte des Ägyptischen Museums und des Ägyptologischen Instituts an der Universität Leipzig (Leipzig 1981).

- Brunner-Traut 1956: E. Brunner-Traut, Die altägyptischen Scherbenbilder (Bildostraka) der deutschen Museen und Sammlungen (Wiesbaden 1956).

- Černý – Gardiner 1957: J. Černý – A.H. Gardiner, Hieratic Ostraca. Volume I (Oxford 1957).

- Edwards 1968: I. E. S. Edwards, Ḳenḥikhopshef’s Prophylactic Charm, in: Journal of Egyptian Archaeology 54, 1968, 155–160.

- Fischer-Elfert 2002: H.-W. Fischer-Elfert, Der Nachtdämon, in: aMun. Magazin für die Freunde der Ägyptischen Museen 12, 2002, 20–23.

- Fischer-Elfert 2015: H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin 2015).

- Fischer-Elfert 2016: H.-W. Fischer-Elfert, „Lass keine Milde walden mit Nubien! Hüte dich vor seinen Einwohnern und seinen Magiern!“. Der nubische Dämon Sehaqeq, in: D. Raue (Hrsg.), Inschriften im Ägyptischen Museum –Georg Steindorff– der Universität Leipzig, Kleine Schriften des Ägyptischen Museums der Universität Leipzig 10 (Berlin 2016), 27–30.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Lutz Popko
Mitwirkende (Metadaten)
Billy Böhm, M.A.

Übersetzung und Kommentar

Beschwörung gegen Sehaqeq

[Rto. 1] Gegrüßt seist Du, Sehaqeq,
der (du) vom [Himmel zur Erde kam(s)t,
dessen Augen] an seiner Stirn1 sind,
dessen [Zunge] in seinem Hintern ist,
(d)er von den unteren Fladen2 (d.h. Exkremente) esse3,
[dessen] rechter [Arm] sein(e) Auge(n) überquert4,
(Unheil)bote der Sternenhaften/Unterweltlichen, die beobachten5, wie er (?) vom Le[hm]6 lebt,
[Herr des Ge]heimnisses am südlichen Himmel,
dessentwegen sich [Rto. 5] [einer in der Ne]k[ropole] fürchtet!
Nedjer-Sechmem [ist der Name deiner Mutter].
[Dschu]beschti ist der Name [deines Vaters].
[Wenn (?) du gegen NN], den NN geboren hat, [vorgehen solltest, werde ich gegen deinen Leichnam vorgehen.]7
Dein[e Arme] seien fern [Vso. 1] [von dir]!
Sie sollen mich [nicht befallen]!
Ich bin ihre Arme hinter dem Schrein.8
Zu sprechen über Flachs vom ... (?)9;
Werde zu einem Pfeil geformt [---] (?) gegen den (betroffenen) Mann, nachdem ihm der untere „Fladen“ (d.h. Exkremente) gegeben wurden [---]10.

1 db.t: So die Schreibung von oÄMUL 5251. pBM EA 10731 schreibt dagegen tbn, pAthen Nationalbibliothek Nr. 1826 dbn und oGardiner 300 db. H.-W. Fischer-Elfert – F. Hoffmann, Die magischen Texte von Papyrus Nr. 1826 der Nationalbibliothek Griechenlands, Ägyptologische Abhandlungen 77 (Wiesbaden 2020), 151 mit Anm. 631 gehen davon aus, dass die Schreibungen mit finalem n die korrekten sind und das Lemma tbn (Wb 5, 261.12–14, https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/170670, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 20.07.2023)) vorliegt. Mit Verweis auf pChester Beatty VII, vso. 1,7 (https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/sentence/IBUBd5AU5KgGOEkjlUwtSgZYsFI, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 20.6.2023)), wo tbn als nꜣ ꜥ jnḥ.wj n jr.tj=fj: „Regionen seiner Augenbrauen“ bezeichnet wird, legen sie sich konkret auf die Bedeutung „Stirn“ fest. Dagegen zitiert D. A. Werning, The Sound Values of the Signs Gardiner D1 (Head) und T8 (Dagger), in: Lingua Aegyptia 12, 2004, 183–204, hier: 198 diese Stelle als Bsp. (12) für ramessidische Schreibungen des Wortes dp: „Kopf“. Aufgrund des Kotextes muss aber eine spezifischere und zudem eine anatomisch eher unerwartete Region vorliegen: Genauso wie Sehaqeqs Augen an seinem d/tbn/.t sind, so ist seine Zunge in seinem Hintern. Dass die Augen schlicht am „Kopf“ des Dämons sind, scheint zu banal, um einer Erwähnung wert zu sein. Daher ist die Annahme, dass hier tbn: „Stirn“ o.ä. gemeint ist, plausibler. Einzig für oGardiner 300 könnte man zumindest spekulieren, ob der Schreiber doch eine anatomisch korrektere Beschreibung im Sinn hatte, da er auch die Beine des Sehaqeq am Hintern platzierte.

So auch die Parallele pBM EA 10731. Dagegen erweitert oGardiner 300 die Phrase zu: „der Fladen, der unter ihm ist“. pAthen, Nationalbibliothek Nr. 1826, x+7,13 variiert noch etwas: „Nahrung, worin das Bedürfnis der Menschen besteht“, s. Fischer-Elfert – Hoffmann 2020, 150–151 und https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/sentence/ICECMxO5DnNAEEeRtFYbaBCI7m4, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 20.07.2023); oGardiner 300 wurde hier auf Basis des Athener Papyrus emendiert. Gemeint ist in allen Fällen menschlicher Kot.

3 Zur prospektiven Bedeutung s. Fischer-Elfert 2015, 237.

4 [ḫpš=f] wnm.j m ḏꜣi̯ ḥr jr.t(j)=f: Ergänzungen und Emendationen nach den Parallelen, vgl. v.a. die synoptische Edition in KRI IV, 182.1–3 sowie zusätzlich dazu pAthen, Nationalbibliothek Nr. 1826. 
Das Leipziger Ostrakon schreibt nach dem Verb: „an seinen Augen“, der Athener Papyrus: „an seinem Oberarm“. Der Londoner Papyrus schreibt nur ḥr=f: sein(e)”, was aber wohl zu emendieren ist, und hier eher nach dem Leipziger als dem Athener Text. Denn die bildliche Darstellung des Sehaqeq auf dem Leipziger Ostrakon zeigt den Dämon in annähernder Menschengestalt mit einem vor dem Gesicht angewinkelten rechten Arm. Eine noch andere Armhaltung beschreibt oGardiner 300: „sein rechter Arm ist fern von ihm/kommt zu ihm (?) und der linke Arm ist ausgetreckt (o.ä.)“. 
Diskussionsbedürftig ist zudem die Übersetzung von ḏꜣi̯. Die Kombination mit ḫpš: "Arm" lässt zunächst an die ähnliche Verbindung ḏꜣi̯ ꜥ: „den Arm ausstrecken“ (Wb 5, 514.4–8) denken. Andererseits weist die Konstruktion mit der Präposition m vor dem Verb darauf hin, dass es eher als Bewegungsverb aufgefasst wurde. Daher könnte man auch vermuten, dass der Schreiber eher an das Verb ḏꜣi̯: „(einen Fluss u.ä.) überqueren“ (Wb 5, 511.Ende bis 512.18) gedacht hat. Angesichts der Armhaltung des Dämons in der Vignette des Leipziger Ostrakons, in der sein Arm das Gesicht bedeckt, lässt sich auch an die Konnotation „überqueren“ im Sinne von „zusetzen“, „blockieren“ denken, die das Verb ḏꜣi̯ in medizinischen Texten haben kann, speziell in den Lehrtexten Eb 198 und 205a, s. H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Zweite Hälfte (h-ḏ), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.2 (Berlin 1962), 993, s.v. ḏꜣj I.a.

5 wp.t (n) nꜣ Sbꜣ.w/Dwꜣ.tj.w dgi̯ (...): Eine unklare Phrase; auch hier weichen die Versionen wieder voneinander ab. Erneut liegen die Londoner und Leipziger Variante einander am nächsten. oGardiner 300 hat von der ganzen Sentenz nur wp.t=f stehen. Der Athener Papyrus enthält diese Sentenz gar nicht. J. F. Quack, Altägyptische Amulette und ihre Handhabung, Orientalische Religionen in der Antike 31 (Tübingen 2022), 136 deutet das wp.t als „Scheitel“ und beschreibt die Armhaltung als: „sein rechter Arm sei um gewendet [sic], sein linker über seinem Scheitel.“ Diese Interpretation funktioniert aber nur bei oGardiner 300.
Bei der Londoner und Leipziger Variante stellen sich folgende Fragen:
(1) Was bedeutet wp.t?
Auch wenn Edwards' und Kitchens Lösung unwahrscheinlich ist, sollte eine Auffassung von wp.t als wpi̯.t: "trennen, unterscheiden" nicht a priori ausgeschlossen werden; „Augen, die die Sternenhaften beurteilen“ (Partizip) oder „Augen, die von den Sternenhaften beurteilt werden“ (Relativform) ergäben zwar eine im Kleinen halbwegs sinnvolle Aussagen, aber was wäre der Sinn im größeren Kontext der vorliegenden Anrufung? Fischer-Elfert (persönl. Mitteilung) könnte sich auch die Bedeutung „öffnen“ vorstellen, dann als Relativform: „seine Augen, die die Sternenhaften öffnen/geöffnet haben“ i.S.v. dessen Augen/Sehkraft die Sternenhaften aktiviert haben (vgl. die Funktion des Öffnens der Sinnesorgane beim Mundöffnungsritual). Diese Option wäre im Leipziger Ostrakon möglich, ebenso in der Londoner Parallele. Der Athener Papyrus erlaubt eine solche Übersetzung nicht. Da jedoch dort auch die ganze Phrase ab wp.t fehlt und der Text erst mit den Namen von Sehaqeqs Eltern wieder einsetzt, könnte dort auch eine Neuinterpretation vorliegen. Was gegen die Deutung als Verb „öffnen“ auch in der Leipziger und Londoner Variante spricht, sind die laufenden Beinchen, mit denen das Wort im letzteren Text klassifiziert ist.
Auch J. Černý, A Community of Workmen at Thebes in the Ramesside Period, Bibliothèque d’étude 50 (Le Caire 1973), 336 scheint eine Interpretation als Verb vorzuziehen, ohne sich aber auf eine genaue Übersetzung festzulegen: „The stars .... when they see how he lives on repelling dirt [in the southern sky].“
Eine andere Lösung für wp.t wählt J. F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 101, Anm. 52, der es für eine Verschreibung für wp.w: „außer, sondern“ hält: „but (wpw) the stars see that he lives on dung, (...)“. Auch diese Option ist nicht ganz befriedigend, da der Grund für eine solche Einschränkung unklar ist.
Eine dritte Option bietet Fischer Elfert, der wp.t als Substantiv wpw.tj: „Bote“ auffasst. Für das Londoner Objekt schlägt er in Fischer-Elfert 2015, 242 vor: „der Sternenbote betrachtet (aus der Ferne)(?).“ Die Leipziger Variante übersetzt er in Fischer-Elfert 2016, 30: „Bote der Sterne ... (?)“.
(2) Was bedeutet dgi̯, und wie ist das Folgende anzuschließen?
dgi̯ ist ein Verb aus dem Bedeutungsfeld „sehen“, muss aber eine spezifischere Bedeutung besitzen, die es von den allgemeinen Verben mꜣꜣ und ptr abgrenzt. dgi̯ kann transitiv wie intransitiv verwendet werden. Meist wird Letzteres bevorzugt: Während Edwards wohl von einem fehlerhaft ausgefallenen Objektspronomen ausgeht (s. oben: „His face discerns (?) the stars beholding them (?).“, fast identisch Kitchen: „His eye/face ⸢discerns⸣ the stars, beholding (them).“), schließen Černý (s. oben „The stars .... when they see how he lives on repelling dirt (...)“) und Borghouts („but (wpw) the stars see that he lives on dung, (...)“.) einen Objektsatz an. Fischer-Elfert 2015, 237 und 242 scheint dagegen den intransitiven Gebrauch zu bevorzugen und übersetzt prospektivisch: „der Sternenbote betrachtet aus der Ferne(?).“, gefolgt von „Möge er sich von Tierscheiße ernähren.“
Folgt man Fischer-Elferts Vorschlag und nimmt wp.t als wpw.tj: „Bote“, gibt es für das anschließende Wort neben der üblichen Auffassung als sbꜣ.w: Sternenhafte“ auch die Option dwꜣ.tjw: Unterweltliche“. Erstere Lesung ist tatsächlich die wahrscheinlichere, und die Schreibung entspräche derjenigen von pChester Beatty IX, s. C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. VI. ẖ-s, Orientalia Lovaniensia Analecta 115 (Leuven 2002), 241c, Beleg [4]. Dessen ungeachtet ist die zweitere nicht ganz auszuschließen, für die bspw. im Amduat auch eine Schreibung ohne explizite tj-Markierung belegt ist, s. C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. VII. š-ḏ, Orientalia Lovaniensia Analecta 116 (Leuven 2002), 513c, Beleg [2]. Doch egal, ob der Bote von den Sternen oder der Unterwelt kommt, im vorliegenden Kontext ist sicherlich konkret ein Unheilbote gemeint. Man denke nur an die „Boten der Sachmet“, die die Pest bringen, oder die „Boten“, die Osiris im Mythos von Horus und Seth auf pChester Beatty I, 15.5 loszuschicken droht.

6 d[bn]: Ergänzt nach dem Londoner Papyrus. Edwards 1968, 159, Anm. m vermutet hierin das Wort von H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 577 = https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/178620, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 20.07.2023). Er verweist auf die Verwendung von „powdered animal dung“ in der Herstellung von Ziegeln und Keramik und scheint das Wort etymologisch mit hebräisch דמֶן und arabisch دـمـن zusammenzubringen, was beides „Dung“ bezeichnet (vgl. W. Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, 14. Auflage (Leipzig 1905), 148–149 und H. Wehr – J. M. Cowan, A Dictionary of Modern Written Arabic, 3rd edition (New York 1976), 293). Letzteres ist wohl weniger wahrscheinlich, weil eher eine innerägyptische Ableitung von dbn: „rund“ i.S.v. „Klumpen“ vorliegen dürfte. Aber eine übertragene Bedeutung „Dung, Mist“ bleibt durchaus denkbar.
Angesichts des klassifizierenden schlechten Pakets, mit dem das Wort in pBM EA 10731 geschrieben ist, ist vielleicht auch eine Lesung als tbn: „Knochenmark“ nicht ganz auszuschließen.

7 Approximative Ergänzung der Übersetzung nach den Parallelen. Die genaue Ergänzung des Satzanfangs ist unsicher: oGardiner 300 bietet: „Wenn du gegen mich vorgehst, (...)“, der Athener Papyrus, Zeile x+8.1–2 stellt dagegen eine Frage: „Bist du gekommen, um NN, den NN geboren hat, zu befallen?“, s. H.-W. Fischer-Elfert – F. Hoffmann, Die magischen Texte von Papyrus Nr. 1826 der Nationalbibliothek Griechenlands, Ägyptologische Abhandlungen 77 (Wiesbaden 2020), 150–152.

8 Zur Erklärung des Satzes s. Fischer-Elfert 2015, 239–241. Fischer-Elfert, a.a.O. sieht im „Schrein“ eine metaphorische Bezeichnung für den Kopf und vermutet die Beschreibung der Situation, dass der Magier mit seinen Händen den Kopf des Betroffenen umfasst, um ihn so vor dem Eindringen des Sehaqeq zu bewahren. Fischer-Elfert kann für die Metapher „Schrein“ = „Kopf“ lediglich die ähnliche Metapher „Schrein“ (der Zunge) = „Mundhöhle“ in einer Inschrift Ramses’ II. anführen. Vielleicht gehört hierher auch eine Passage aus dem Mythos von Horus und Seth, pChester Beatty I, rto 3,10, wo Baba Re-Harachte mittels der Aussage kꜣr=k šwi̯: „Dein Schrein ist leer“ beleidigt. Schon F. Junge, Die Erzählung vom Streit der Götter Horus und Seth um die Herrschaft, in: Anon. (Hrsg.), Weisheitstexte, Mythen und Epen. Mythen und Epen III (Gütersloh 1995), 930–950, hier: 938, Anm. a hatte vermutet, dass Re-Harachte hiermit als Hohlkopf betitelt würde, als einer, der nicht mehr alle Tassen im Schrank habe. Vgl. ferner die Gliedervergottung in pLeiden I 348, rto 1,5–2,9, wo der Schädel als ḥw.t-nṯr bezeichnet wird.

9 mḥꜥ n wḏ: Die Bedeutung des zweiten Bestandteils der Genitivverbindung ist unklar; die Parallelen helfen nicht weiter, da im Londoner Text nur mḥꜥ: "Flachs" allein genannt wird und der Athener Papyrus einen pḏ.t mḥꜥ: „Bogen aus Flachs“ nennt. Eine schlichte Verschreibung für das Adjektiv wꜣḏ: „frisch“, wie sie P. Eschweiler, Bildzauber im alten Ägypten. Die Verwendung von Bildern und Gegenständen in magischen Handlungen nach den Texten des Mittleren und Neuen Reiches, Orbis Biblicus et Orientalis 137 (Freiburg (Schweiz), Göttingen 1994), 69 vorschlägt, ist daher denkbar, aber dafür müsste man auch noch das n davor tilgen. Es gibt ein Wort wḏ, in dem V. Loret, Recherches sur plusieurs plantes connues des anciens Égyptiens (suite), in: Recueil de travaux relatifs à la philologie et à l’archéologie égyptiennes et assyriennes 16, 1894, 1–14 und 92–102, hier: 96–102 den Vorläufer des koptischen ⲃⲏⲧ (TLA lemma no. C547 (ⲃⲏⲧ) + TLA lemma no. C548 (ⲃⲏⲧ)) vermutet und das er daher als Palmblatt versteht. Dieser Deutung schließt sich bspw. J. J. Janssen, Commodity Prices from the Ramessid Period. An Economic Study of the Village of Necropolis Workmen at Thebes (Leiden 1975), 438 nach anfänglichem Zögern an, weil aus dem wḏ u.a. Schiffstaue gefertigt werden können, was eine alternative Interpretation als Schreibung für wꜣḏ: „Papyrus“ ausschließt. Ähnlich denkt auch G. Charpentier, Recueil de matériaux épigraphiques relatifs à la botanique de l’Égypte antique (Paris 1981), Nr. 366 an Palmfasern. 
Die Übersetzung ist tatsächlich problematisch, und es stellt sich die Frage, wie sich eine solche Verbindung wḏ >>> ⲃⲏⲧ zu der ebenfalls diskutierten Verbindung (demot.) byṱt >>> ⲃⲏⲧ (s. den Kommentar im TLA zu pBrooklyn 47.218.48+85 (Schlangenpapyrus), § 66a, Zeile 4,15) verhält.
Als weitere Alternative könnte noch überlegt werden, ob bei wḏ eigentlich gar keine Pflanzenbezeichnung vorliegt und der Pflanzenklassifikator nur versehentlich gesetzt wurde. Könnte man diese Passage mit pSallier IV, vso. 4,4 (Miscellanies) verbinden, wo über die Stadt Memphis gesagt wird, dass ihre Arme gebeugt seien unter – unter anderem – mḥꜥ n pꜣ wḏ: „Flachs von dem wḏ-Gewässer“ (https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/sentence/IBUBd8WboIpFX0AIvNdSRPgQqOw, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 20.07.2023))?

10 Es ist unsicher, ob am Ende von Zeile 2 etwas fehlt, s. Fischer-Elfert 2015, 238. In Fischer-Elfert 2016, 30 übersetzt er, als wäre die Zeile vollständig. Ob am Ende von Zeile 3 noch etwas fehlt, ist ebenso wenig sicher.