ꜥmm „Gehirn (?)“

ꜥmm: L. Stern, Glossarium, in: G. Ebers (Hrsg.), Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzeneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schrift. Vol. 2 (Leipzig 1875), 1–63, hier 9a denkt an einen Teil des Darmtraktes („intestinum quoddam“). G.A. Reisner, The Hearst Medical Papyrus. Hieratic Text in 17 Facsimile Plates in Collotype with Introduction and Vocabulary, University of California publications in Egyptian archaeology 1 (Leipzig 1905), 18 vermutet „roe (?)“, „eggs (?)“; diese Vorschläge werden ohne Begründung geliefert. W. Wreszinski, Der Londoner medizinische Papyrus (Brit. Museum Nr. 10059) und der Papyrus Hearst. In Transkription, Übersetzung und Kommentar, Die Medizin der alten Ägypter 2 (Leipzig 1912), 118 denkt an „Gehirn“ und zieht hierfür Eb 128 heran; sein Hauptargument ist daher sicher die Bemerkung, dass es im Kopf des Welses zu finden sei. É. Chassinat, Un papyrus médical copte, Mémoires publiés par les membres de la Mission Archéologique Française au Caire 32 (Le Caire 1921), 214–215 sieht in ꜥmm, wie Wreszinski, eine Bezeichnung für das Gehirn.

In Eb 427 ist vom ꜥmm eines ꜥpnn.t-Tieres die Rede. In diesem Tier vermutet Chassinat, a.a.O., eine Bezeichnung für den Fischotter, in Eb 427 ein Rezept gegen Trichiasis und vergleicht daraufhin die Droge ꜥmm n ꜥpnn.t mit dem ⲁⲛⲅⲉⲫⲁⲣⲟⲥ ⲛ̄̄ⲟⲩϩⲟⲣ ⲙⲟⲟⲩ, dem „Gehirn des Otters“ des von ihm besprochenen koptischen Rezeptes. W.R. Dawson, Studies in the Egyptian Medical Texts [I], in: Journal of Egyptian Archaeology 18 (3/4), 1932, 150–154, hier: 150–151, hat die Bedeutung „Gehirn“ für ꜥmm wieder abgelehnt: Seiner Ansicht nach spricht die angeführte Lokalisierung eher gegen das Gehirn, weil in dem Fall nicht explizit geschrieben werden müsste, dass es im Kopf zu finden sei. Er vermutet eher kleinere kalkhaltige oder kieselartige Objekte, die alle von den Ägyptern mit ein und demselben Terminus belegt seien: Im Fall des Fisches vermutet er Otholiten, im Fall von ꜥmm von Enten eher die Kiesel im Magen; hinter ꜥgg.t vermutet er eine Nacktschnecke und in deren ꜥmm rudimentäre Gehäuse, die manche Nacktschneckenarten noch, eingewachsen in ihren Mantel, besitzen. Da es nicht mit der Beschreibung von Menschen verbunden wird, schließt er ein allgemeines „Gehirn“ aus. E. Iversen, Some Remarks on the Terms [D36-G17-G17-H8] and [G1-M17-S29-Aa2], in: Journal of Egyptian Archaeology 33, 1947, 47–51, hier: 47–51 schließt sich wieder Wreszinskis Identifikation mit dem „Gehirn“ an: Chassinat habe überzeugend gezeigt, dass ꜥmm dem koptischen ⲁⲛⲅⲉⲫⲁⲣⲟⲥ entspreche, pgg.t sei keine Schnecke, sondern ein Frosch oder eine Kröte (was die Erklärung ihrer ꜥmm als rudimentäre Gehäuse obsolet macht) und es komme in den Sargtexten auch von einem Menschen vor. H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 96 widerspricht wiederum Iversen, weil sich die von ihm erwähnte Sargtextstelle in Wirklichkeit auf einen Vogel bezieht und in einem Kontext mit qꜣb: „Darm“ steht. Als Bedeutung wird im DrogWb daher etwas zurückhaltender nur vorgeschlagen: „ein Körperteil eines Tieres“. R. van der Molen, A Hieroglyphic Dictionary of Egyptian Coffin Texts, Probleme der Ägyptologie 15 (Leiden 2000), 72 schließt sich ohne Diskussion des Begriffes Iversen an, ebenso T. Bardinet, Les papyrus médicaux de l’Égypte pharaonique, Penser le médecine (Paris 1995), 268 in seiner Übersetzung des Rezeptes. W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I.36 (Leiden 1999), 496 empfindet die Verbindung von ꜥmm mit Eingeweiden dagegen als wenig problematisch und verweist auf eine ähnliche Bedeutungsspanne von ꜣjs: „Windungen“, die ebenfalls einerseits für das Gehirn, andererseits für Gedärm verwendet wird.

Dawsons Einwand, dass ein Gehirn selbstverständlich im Kopf ist und eine entsprechende Glossierung überflüssig scheint, hat eine gewisse Berechtigung. Andererseits ist die Präposition jm.wtj auffällig, die eben nicht nur ein semantisch breites „in“, sondern spezifischer ein „zwischen (zwei Dingen)“ bzw. ein „inmitten“ bezeichnet, was an seiner Erklärung von ꜥmm als Otholiten zweifeln lässt.

Dr. Lutz Popko