tjꜥm-Pflanze
tjꜥm: Eine unbekannte Pflanze; in der Regel mit dem allgemeinen Pflanzenklassifikator geschrieben, zwei Mal auch mit dem Rohstoffklassifikator N33. Bislang ist sie nur aus den medizinischen Texten bekannt und wird dort meist in Einnehmemitteln verwendet, ein paar Mal auch in Salbmitteln und Verbänden, einmal in einem Zäpfchen.
L. Stern, Glossarium, in: G. Ebers (Hrsg.), Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzeneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schrift. Vol. 2 (Leipzig 1875), 1–63, hier 50a verweist mit Fragezeichen auf einen von F. Chabas, Ordre de réparer une barque, in: S. Birch, et al. (Hrsg.), Mélanges égyptologiques. Vol. III.2 3 (2) (Chalon-sur-Saône 1873), 94–102, hier 100 genannten tjmw-Baum, der in pAnastasi IV, 8,2 vorkommt. Diesen hat Gardiner jedoch in A.H. Gardiner, Late-Egyptian Miscellanies, Bibliotheca Aegyptiaca 7 (Bruxelles 1937), 42a, Anm. 16a zum jꜣm-Baum emendiert, so dass er als zusätzlicher (und außermedizinischer) Beleg für die tjꜥm-Pflanze wegfällt. Auch der wiederum von Chabas genannte, weitere Beleg (P. Le Page Renouf, Miscellanea II, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 5, 1867, 32–33, 41–43, 52–54, hier 33), demzufolge dieser Baum ein Öllieferant war, ist zu streichen. Denn der bei Le Page Renouf genannte Baum ist dgm und nicht „Tam“ (d.h. tm) zu lesen. Sterns Vorschlag, in Chabas’ tjmw einen Nussbaum zu sehen, beruht einzig auf diesem vermeintlichen, nunmehr obsoleten zweiten Beleg.
Für den tjꜥm-Baum der medizinischen Texte gibt es keinen Identifizierungsvorschlag. H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung und Folge den Wortschatz der Heiligen- und der Volks-Sprache und -Schrift der alten Ägypter. Nebst Erklärung der einzelnen Stämme und der davon abgeleiteten Formen unter Hinweis auf ihre Verwandtschaft mit den entsprechenden Wörtern des koptischen und der semitischen Idiome. Bd. VII (Leipzig 1882), 1346 vergleicht mit hebräisch טְעֵם (d.h. „Wohlgeschmack“, W. Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, 14. Auflage (Leipzig 1905), 249? Dachte Brugsch an eine gut schmeckende Pflanze?). Bislang wurde kein Identifikationsvorschlag unterbreitet.
Ein möglicher Ansatz ergibt sich vielleicht aus dem Brooklyner Schlangenpapyrus: S. Sauneron, Un traité égyptien d’ophiologie. Papyrus du Brooklyn Museum No. 47.218.48 et .85, Bibliothèque générale 11 (Le Caire 1989), 152–153, Anm. 8 deutet den Namen der im § 22 dieses Papyrus genannten tjꜥm-Schlange als Verkürzung aus tj-n.t-ꜥꜣm und schlägt als Bedeutung vor: „Die von Asien“. Als Parallele für diese Wortbildung führt er die tj-n.t-ꜥꜣmw: „Asiatenkrankheit“ der medizinischen Texte auf. Als zusätzliches Argument dafür dient ihm, dass die tjꜥm-Schlange vor dem Schlangenklassifikator noch den Ersatzstrich für den Gefangenen zeigt. [Andererseits fehlt in diesem ꜥm das sonst für das Wort ꜥꜣm: „Asiat“ übliche Wurfholz.] Außerdem ist in § 18 des Brooklyner Schlangenpapyrus eine kꜣ-n-ꜥm-Schlange genannt, also ein weiterer Schlangenname, der mit ꜥm gebildet ist. Das erhärtet zumindest den Verdacht, dass dieses ꜥm ein eigenständiges Lexem ist.
Sollte man nun den Schlangennamen tjꜥm mit dem homographen Pflanzennamen in einen Zusammenhang bringen können? Falls ja, gäbe es zwei Möglichkeiten der Erklärung:
(1) Es handelt sich in beiden Fällen um eine parallele Wortbildung, also ein rein spachliches Phänomen: Es läge einmal eine Schlange „Die von Asien“, und einmal eine Pflanze „Die von Asien“ vor. Dafür könnte sprechen, dass die Pflanze auch in der Schreibung tjꜥꜣm belegt ist, was, als tj(-n.t)-ꜥꜣm aufgelöst, dem Konsonantenbestand von ꜥꜣm: „Asiat“ sogar noch näher kommt. Andererseits ist auch die Pflanze weder mit dem Wurfholz noch mit dem Ersatzstrich oder anderen signifikanten Klassifikatoren geschrieben, die eine solche Überlegung stützen könnten.
(2) Die zweite Möglichkeit wäre, dass das eine nach dem anderen benannt ist: die Pflanze nach der Schlange oder die Schlange nach der Pflanze (etwa, weil sie sich einen Lebensraum teilen oder aufgrund eines anderen Tertium comparationis). Hierfür ließe sich als denkbare Parallele die qꜣd.t-Pflanze anführen, für die W. Westendorf, Schlange und Schlangenkraut, in: M. Minas, et al. (Hrsg.), Aspekte spätägyptischer Kultur. Festschrift für Erich Winter zum 65. Geburtstag, Aegyptiaca Treverensia. Trierer Studien zum Griechisch-Römischen Ägypten 7 (Mainz 1994), 265–267 einen Zusammenhang mit der fast homographen qꜣdj-Schlange vermutet (Westendorf denkt in diesem Falle konkret an eine äußere Ähnlichkeit).
Dr. Lutz Popko