twn-Pflanze

twn: Eine unbekannte Pflanze. L. Stern, Glossarium, in: G. Ebers (Hrsg.), Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzeneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schrift. Vol. 2 (Leipzig 1875), 1–63, hier 49a vergleicht es mit dem tjwn-Baum aus dem Grab des Ineni, TT 81, und der koptischen Pflanzenbezeichnung ϣⲉⲛⲑⲓⲛⲟⲛ, die er (in Anlehnung an G. Parthey, Vocabularium coptico-latinum et latino-copticum e Peyroni et Tattami lexicis. Accedunt elenchus episcopatuum Aegypti; index Aegypti geographicus coptico-latinus; index Aegypti geographicus latino-copticus; vocabula Aegyptia a scriptoribus Graecis explicata; vocabula Aegyptia a scriptoribus Latinis explicata (Berolini 1844), 199?) mit lignum spinosum: „stacheliges Holz“ wiedergibt. Peyron selbst gibt für ⲑⲉⲓⲛⲟⲛ dieBedeutung Ebenus (A. Peyron, Lexicon copticum. Editio iterata ad editionis principis examplum. Accedunt auctaria ex ephemeridi aegyptiaca berolinensi exerpta (Berolini 1896 (=1835)), 53, mit Verweis auf A. Kircher, Lingua aegyptiaca restituta. Opus tripartitum. Quo linguæ coptæ sive idiomatis illius primæui Ægyptiorum pharaonici, vetustate temporum pæne collapsi, ex abstrusis Arabum monumentis, plena instauratio continetur. Cui adnectitur supplementum earum rerum, quæ in Prodromo copto, & opere hoc tripartito, vel omissa, vel obscurius tradita sunt, noua, & peregrina eruditione contextum, ad instauratæ linguæ usum, speciminis loco declarandum (Romæ 1643), 175) und für ϣⲉⲛⲑⲉⲓⲛⲟⲛdie Übersetzung „lignum platani Indicae“. (Unsicher, welcher Baum gemeint. Das von Peyron gegebene arabische ﺞﺎﺳ bezeichnet den Teakbaum, s. bspw. hier.) Für das Kompositum ϣⲉⲛⲑⲓⲛⲟⲛ verweist Peyron auf Kircher, a.a.O., 379, der dort Lignum Sethinu angibt, für Sethinus aber als Entsprechung wiederum ﺞﺎﺳ, den Teakbaum.Außerdem verweist Peyron für ϣⲉⲛⲑⲉⲓⲛⲟⲛ aufgriechisches ξύλον θύϊνον (Offenbarungdes Johannes, 18:12, eines der Güter der Kaufleute Babylons, die im Zuge von dessen Untergang niemand mehr kaufen will). Das Adjektiv θύϊνος istlaut H.G. Liddell – R. Scott, An Intermediate Greek-English Lexicon (Oxford 1889), 370 „of the tree θυία“, fürden sie ebd. angeben: „an African tree with scented wood, a kind of juniper or cedar“. In H. G. Liddell – R. Scott – H. S. Jones, A Greek-English Lexicon. Revised and augmented throughout (Oxford 1940), 808 grenzen sie die Bedeutung von θυία auf Juniperus foetidissima, den „Stinkenden Wacholder“, ein. Ebenda geben sie allerdings für θύϊνος eineandere Bedeutung, nämlich „of the tree θύον“,und dieser ist laut ebd., 811, „thyine-wood, citron-wood, Callitris quadrivalvis“. Letzteres findet sich dann auch als lateinische Entsprechung der Bibelstelle in der Vulgata: lignum thyinum. Das Lateinische thyinum meint laut C. T. Lewis – C. Short, Harper’s Latin Dictionary. A New Latin Dictionary Founded on the Translation of Freund’s Latin-German Lexicon (New York, Cincinnati 1907), 1870 „made of the citrus-tree“. Aus der Bibelstelle machen die Luther-Bibel lediglich „wohlriechende Hölzer“ und die King-James-Bibel „Thyine wood”, laut Merriam Webster „the fragrant and ornamental wood of the sandarac tree“. Wenn nun koptisches ϣⲉⲛⲑⲉⲓⲛⲟⲛ nur griechisches ξύλον θύϊνον wiedergibt,was recht wahrscheinlich sein dürfte, dann ist das koptische ⲑⲉⲓⲛⲟⲛ wohlnur ein Lehnwort und eine Verbindung mit älterem twn ausgeschlossen. Auch wenn es doch ein genuin koptisches Wort wäre, ist aufgrund des eine Verbindung mit twn nicht unproblematisch.

H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung und Folge den Wortschatz der Heiligen- und der Volks-Sprache und -Schrift der alten Ägypter. Nebst Erklärung der einzelnen Stämme und der davon abgeleiteten Formen unter Hinweis auf ihre Verwandtschaft mit den entsprechenden Wörtern des koptischen und der semitischen Idiome. Bd. VII (Leipzig 1882), 1347 verbindet das tjwn des Ineni dagegen mit hebräisch תְּאֵנָה, der Gemeinen Feige. Die Gleichsetzung der twn-Pflanze (mit Pflanzenklassifikator) und der tjwn-Pflanze (mit Baumklassifikator) wird meist akzeptiert, nicht jedoch die Identifikation mit der Gemeinen Feige. B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document (Copenhagen, London 1937), 133 gibt, ohne jegliche Erklärung (ob inspiriert durch den Klassifikator der Pyramidentextbelege, der einem Akazienzweig ähnelt?), die Bedeutung Acacia seyal. R. Germer, Untersuchung über Arzneimittelpflanzen im Alten Ägypten. Dissertation zur Erlangung der Würde des Doktors der Philosophie der Universität Hamburg (Universität Hamburg 1979), 212–213 hält diese Identifizierung für denkbar, u.a. ebenfalls wegen dieser Klassifikation. Das Rind, mit dem die Pflanze oft zusätzlich klassifiziert wird, hält sie für einen Hinweis darauf, dass die twn-Pflanze eine Futterpflanze sein könnte (contra Germer könnte dieser Klassifikator aber vielleicht eher auf einen Zusammenhang mit der Wortfamilie ṯwn: „zustoßen“ hinweisen, die mit dieser Hieroglyphe klassifiziert wird); und sie verweist dazu auf Darstellungen in Gräbern, in denen Ziegen Akazienblätter fressen. Der Anwendungsbereich in der Medizin würde gut zu einer gerbstoffhaltigen Pflanze wie der Akazie passen. Dawons, in: J. W. B. Barns, Five Ramesseum Papyri (Oxford 1956), 31 kann Ebbells Deutung weder bestätigen noch ablehnen und erwähnt, dass V. Loret, La flore pharaonique d’après les documents hiéroglyphiques et les spécimens découverts dans les tombes, 2., erweiterte Auflage (Paris 1892), Nr. 143 den ꜥš-Baum mit Acacia seyal gleichgesetzt habe (womit er impliziert, dass er diese Möglichkeit für twn eher ausschließt). Er verweist aber ebenfalls darauf, dass die Klassifizierung von twn in den Pyramidentexten zu Akazien passen könnte. W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I.36 (Leiden 1999), 510 folgt Ebbell, Germer und Dawson, schreibt aber in den Übersetzungen vorsichtig „ṯwn-Pflanze (Akazienart ?)“.

V. Loret, Le signe hiéroglyphique nn (jonc des marais), in: S.R.K. Glanville (Hrsg.), Studies Presented to F. Ll. Griffith (London 1932), 304–309, hier 307 geht, wie die meisten Ägyptologen, davon aus, dass tjwn und twn dieselbe Pflanze bezeichnet. Die unterschiedliche Klassifizierung mit Baum resp. allgemeinem Pflanzenklassifikator nimmt er zum Anlass, hierin ein strauchartiges, tlw. verholztes Gewächs zu sehen, „peut-être le Ceruana pratensis Forsk.“.

Von diesen Vorschlägen abgesehen, wird die Pflanze meist als unidentifiziert betrachtet, so etwa bei G. Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne de l’époque pharaonique (Paris 1956), 162, Anm. 7, G. Charpentier, Recueil de matériaux épigraphiques relatifs à la botanique de l’Égypte antique (Paris 1981), § 1362 oder H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 562–564. N. Baum, Arbres et arbustes de l’Égypte ancienne. La liste de la tombe thébaine d’Ineni (no. 81), Orientalia Lovaniensia Analecta 31 (Leuven 1988), 176–179 hält die Möglichkeit offen, dass das tjwn aus dem Grab des Ineni und das dwn ptolemäischer Texte, das ebenfalls mit einem Baum klassifiziert wird, dasselbe Wort sind und einen Baum bezeichnen, der von twn zu differenzieren ist. Sie hält es aber für ebenso denkbar, dass tjwn, twn und dwn dieselbe Pflanze bezeichnen; wie Loret sieht sie in letzterem Fall die unterschiedliche Klassifizierung als Hinweis, dass wohl eine teilweise verholzte, strauchartige Pflanze gemeint sein könnte. Einen Identifikationsvorschlag unterbreitet sie nicht.

Dr. Lutz Popko