Propolis

Ägyptisch ḥs n ꜥff (manchmal im direkten Genitiv ḥs ꜥff geschrieben): Scheinbar ein selbsterklärender Name, denn es heißt wörtlich: „Fliegenkot“. So wird diese Droge üblicherweise auch übersetzt. Die Identifikation von ꜥff als „Fliege“ ist durch die Korrelation des Wortes ꜥff in Belohnungen für Soldaten wie Ahmose Pennechbet (mit der Fliege als Klassifikator) mit archäologisch nachweisbaren fliegenförmigen Anhängern gesichert. Neben der Schreibung ꜥff gibt es, zumindest laut P. Lacau – G. Roquet, Études d’égyptologie II. Morphologie, Bibliothèque d’étude 60 (Le Caire 1972), 157, § 80, auch die Schreibung ꜥf (ohne Beleg – vgl. aber bspw. P. Wilson, A Ptolemaic Lexikon. A Lexicographical Study of the Texts in the Temple of Edfu, Orientalia Lovaniensia Analecta 78 (Leuven 1997), 152). Lacau vemutet in ꜥff ein mithilfe von Reduplikation des letzten Konsonanten gebildetes Diminutiv von ꜥf: „mouche“ vs. „petite mouche, moucheron“. Laut J. Osing, Die Nominalbildung des Ägyptischen, Sonderschrift, Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Kairo 3 (Mainz 1976), 176 und 683, Anm. 772 leitet sich ꜥff von einem (nur rekonstruierten) Verb ꜥff: „summen“ ab. Rein etymologisch läge also dasselbe Benennungsmotiv zugrunde wie beim deutschen „Brummer“ als Bezeichnung für große Insekten und hier besonders die Schmeißfliege. Wilson, a.a.O., 152 will dagegen das Substantiv vom Verb ꜥfi̯ < ꜥpi̯: „fliegen“ ableiten (vielleicht zurückgehend auf T. Bardinet, La mouche et l’abeille: L’utilisation de la propolis d’après les textes médicaux de l’Égypte pharaonique. Première partie: Vocabulaire, in: Göttinger Miszellen 170, 1999, 11–23, hier 20), ohne dass sie einen Beleg für diese graphisch abweichende Schreibung anführt.

Problematisch bei der Droge „Fliegenkot“ ist allerdings, dass sie sich nur schwerlich einsammeln lässt, noch dazu in verwertbarer Menge. Dieselbe Frage findet sich bereits auf DZA 21.714.330. Bardinet, a.a.O. 22–23 und ders., La mouche et l’abeille: L’utilisation de la propolis d’après les textes médicaux de l’Égypte pharaonique. Deuxième partie: Les emplois thérapeutiques, in: Göttinger Miszellen 171, 1999, 23–41, hier 23–36 versteht ꜥf(f) semantisch etwas breitgefasster als „mouche, abeille et différents insects“ und vermutet, dass es gelegentlich zur Bezeichnung der Biene verwendet wird, wenn aus sprachlichen Gründen die Standardbezeichnung für die Biene, bj.t, nicht verwendet werden soll. In dem vermeintlichen „Fliegenkot“, ḥs (n) ꜥff, vermutet er Propolis, und zwar sowohl „la matière brute“ als auch die zu Pulver zermahlene medizinische Ingredienz; in dem analog gebildeten „Fliegenblut“, snf n ꜥff, vermutet er eine Propolislösung. Diesem Vorschlag folgt T. Hofmann, Honig als „Specificum“: pEdwin Smith und die moderne Medizin. Ein Ausflug in den Cyberspace und eine Bibliographie, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 135, 2008, 40–49, hier 45, zumal Propolis nachweislich antibakterielle, antimykotische und ähnliche Eigenschaften besitzt, worauf auch schon Bardinet hinweist.

NB: Egal, ob man in ḥs (n) ꜥff „Fliegenkot“ oder „Bienenkot“ sieht: Es bleibt der einzig tierische ḥs-Kot unter den Drogennamen, der nicht von einem Wirbeltier stammt (sofern das nur einmal belegte und mit dem Vogel klassifizierte jdw-Tier nicht auch ein Insekt ist). Weitere Interpretationsmöglichkeiten sollten daher nicht ausgeschlossen werden:

  1. Auffälligerweise wird die ꜥff im Spruch zum Reinigen der ꜥff in pEdwin Smith, Vso. 19,14–18 als ꜣpd: „Vogel“ angesprochen (s. hier; Spruch 6; das betreffende Wort ist hier dem besseren Verständnis halber schon als „Insekt“ übersetzt). Das allein reicht jedoch nicht aus anzunehmen, dass es neben der ꜥff-Fliege auch einen ꜥff-Vogel gegeben hat, und dass in den medizinischen Texten dieser gemeint sei. Denn es gibt keinen einzigen sonstigen Beleg, in dem ꜥff einen Vogel bezeichnet; und konkret in den medizinischen Texten sei auf Eb 576 verweisen, wo sieben ꜥff-Tiere verarbeitet werden sollen, was auf eine gewisse Kleinheit hinweist. Die Bezeichnung der ꜥff als ꜣpd im pEdwin Smith wird wohl eher eine Bestätigung der Ansicht von O. Goldwasser, Prophets, Lovers and Giraffes. Wor(l)d Classification in Ancient Egypt. Classification and Categorization in Ancient Egypt 3, Göttinger Orientforschungen IV.38,3 (Wiesbaden 2002), 19 mit Anm. 52 und O. Goldwasser, The Determinative System as a Mirror of World Organization, in: Göttinger Miszellen 170, 1999, 49–68, hier 56 sein, wonach die ägyptische Tierkategorie ꜣpd Insekten, oder zumindest einige von ihnen, einschloss – eine Ansicht, die hauptsächlich auf der Klassifizierung von Insektennamen mit Vogelklassifikator beruhte (D. Meeks, De quelques ‚insectes‘ égyptiens. Entre lexique et paléographie, in: Z. A. Hawass – P. D. Manuelian – R. B. Hussein (Hrsg.), Perspectives on Ancient Egypt. Studies in Honor of Edward Brovarski, Supplément aux Annales du Service des Antiquités de l’Egypte 40 (Cairo 2010), 273–304, hier 296 vermutet dagegen in dieser Klassifizierung eine schlichte Vereinfachung der Schreibung, d.h. er geht von einem schreibtechnischen, keinem taxonomischen Hintergrund dafür aus; vgl. ferner D. Meeks, La hiérarchie des êtres vivants selon la conception êgyptienne, in: A. Gasse – F. Servajean – C. Thiers (Hrsg.), Et in Ægypto et ad Ægyptum. Recueil d’études dédiées à Jean-Claude Grenier 3, Cahiers „Égypte Nilotique et Méditerranéenne“ 5 (Montpellier 2012), 517–546, hier: 529–530, wonach mindestens der ḫprr-Käfer kein ꜣpd ist).
  2. Die häufige Verwendung von ḥs in Räuchermitteln lässt J. F. Quack, Methoden und Möglichkeiten der Erforschung der Medizin im Alten Ägypten, in: Medizinhistorisches Journal 38 (1), 2002, 3–15, hier 9 vermuten, dass es sich dabei um einen Tarnnamen für Aromastoffe handeln könnte. Besonders deutlich wird das in dem von Quack zitierten Begleitspruch zum Rezept H 85, in dem eine Weihrauchkugel als „Kot“ bezeichnet wird. Vergleichbares ist auch für „Fliegenkot“ nicht a priori auszuschließen – in dem Fall müsste nur geklärt werden, was konkret in Eb 782 mit dem „Fliegenkot, der an der Wand ist“ gemeint ist, weil das für ein aromatisches Harz ein unerwarteter Ort ist.

Dr. Lutz Popko