Realgar
Ägyptisch ꜣw.t-jb: „Herzensfreude“:
In den medizinischen Rezepten nur einmal, in Eb 325, erwähnt. L. Stern, Glossarium, in: G. Ebers (Hrsg.), Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzeneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schrift. Vol. 2 (Leipzig 1875), 1–63, hier 13a, der das erste Zeichen noch fu liest (wie auch H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Bd. II (Leipzig 1868), 540), gibt als wörtliche Übersetzung anime solatium, d.h. „Beruhigung des Geistes/Verstandes“, unterlässt aber einen Identifikationsvorschlag und bleibt bei einem allgemeinen n[omen] granorum quorundam: „eine Art von (Samen)körnern“. Mit dieser allgemeinen Bedeutung ist es verwendet in der Übersetzung von H. Joachim, Papyros Ebers. Das älteste Buch über Heilkunde (Berlin 1890), 79 (als „fut-ȧb-Korn“; übernommen von C. P. Bryan, The Papyrus Ebers (London 1930), 52 als „fut-ab-grain“) und wurde aufgenommen bei H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung und Folge den Wortschatz der heiligen- und der Volks-Sprache und -Schrift der alten Ägypter. Nebst deren Erklärung der einzelnen Stämme und der davon abgeleiteten Formen unter Hinweis auf ihre Verwandtschaft mit den entsprechenden Wörtern des Koptischen und der semitischen Idiome. Bd. VI (Leipzig 1881), 516 (dort mit der Lesung āu.t-ȧb, d.h. ꜥw.t-jb). Auch für H. L. E. Lüring, Die über die medicinischen Kenntnisse der alten Ägypter berichtenden Papyri verglichen mit den medicinischen Schriften griechischer und römischer Autoren (Leipzig 1888), 29 ist die Droge noch unidentifiziert – in Anm. 1 vermutet er aber in mnj, das in Eb 325 unmittelbar auf ꜣw.t-jb folgt, ein aromatisches Harz (s. den Kommentar dort), und „vielleicht hat die erstere [d.h. ꜣw.t-jb] eine ähnliche Bedeutung“. G. Daressy, Une inscription d’Achmoun et la géographie du nome libyque, in: Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 16, 1916, 221–246, hier 233 verweist auf das Vorkommen von ꜣw.t-jb in einer Opferliste aus der 30. Dynastie (a.a.O., 223, Nr. III.12, und 225, Nr. VII.3). In Nr. VII.3 wird ꜣw.t-jb mit einem Wort qny gleichgesetzt, das Daressy dort und 233 mit „beurre“ übersetzt (er wird vielleicht an das Wort qnw aus pBoulaq 3 gedacht haben, das H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. ... . Bd. VII (Leipzig 1882), 1255 als eigenes Lemma mit der Bedeutung „Butter“ aufgenommen hat, und das DZA 50.160.630 als „Fett“ versteht; zu einer neuen Bearbeitung dieser Stelle s. S. Töpfer, Das Balsamierungsritual. Eine (Neu-)Edition der Textkomposition Balsamierungsritual (pBoulaq 3, pLouvre 5158, pDurham 1983.11 + pSt. Petersburg 18128), Studien zur spätägyptischen Religion 13 (Wiesbaden 2015), 178, pBoulaq 3, x+9,8–9). Daher vermutet Daressy in ꜣw.t-jb ein Produkt, das zusammen mit Öl oder Fett in Brandopfern Anwendung findet, und er erwägt die Bedeutung Salz oder ein „encens spécial“; in seinen Übersetzungen von III.12 und VII.3 legt er sich konkret auf die Option „sel(?) au-ab“ fest. Wenn Wb 1, 5.1 diese Droge mit „Art Myrrhe o.ä.“ übersetzt, wird das wohl auf Daressys Erwägungen zurückgehen; zumindest bilden Daressys Listen zwei der nur vier Wb-Belege für dieses Sublemma.
Etwas apodiktisch schlägt B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document (Copenhagen, London 1937), 131 die Übersetzung „realgar or orpiment“ vor. Einen Grund dafür gibt er nicht an. Man kann allenfalls spekulieren, ob die Aufnahme von pChester Beatty V, Vso., 8,13 durch das Berliner Wb-Team als Beleg für ꜣw.t-jb (DZA 20.030.650) Ebbell zumindest in die Richtung Pigment gelenkt hat. Denn dort erscheint diese Substanz – wenn auch in unvollständiger/fehlerhafter(?) Schreibung als ꜣw – in einer Pigmentliste (NB: A. H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 1. Text (London 1935), 49 gibt das Wort in der Übersetzung der Stelle nur als ꜣw wieder und ohne Übersetzung, hat also nicht zu ꜣw.t-jb ergänzt). In derselben Liste erscheint auch qnj(.t), mit dem ꜣw.t-jb in Daressys Opferliste gleichgesetzt wird, und das schon Brugsch, Wb VII, 1254 als gelbe Farbe erkannt hat).
Eine auf explizit geäußerten Argumenten basierende Festlegung auf die Bedeutung Realgar findet sich allerdings erst bei E. Iversen, Some Ancient Egyptian Paints and Pigments. A Lexicographical Study, Det Kongelige Danske Videnskabernes Selskab. Historisk-filologiske Meddelelser 34.4 (København 1955), 39–42: Dieser weist darauf hin, dass ꜣw.t-jb in Opferlisten üblicherweise zusammen mit Farben und Pigmenten genannt wird und demzufolge wohl auch ein Pigment ist (zu weiteren Belegen in Pigmentlisten vgl. auch J. R. Harris, Lexicographical Studies in Ancient Egyptian Minerals, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Institut für Orientforschung. Veröffentlichungen 54 (Berlin 1961), 142), und dass es immer im Zusammenhang mit qnj.t genannt wird, einmal sogar als eine Art qnj.t bezeichnet wird (d.i. Daressys Beleg VII.3). Letzteres identifizierte Iversen, a.a.O., 34–39 mit Orpiment; hauptsächlich, weil es den Belegen nach als gelbe Farbe verwendet wurde und laut A. Lucas, Ancient Egyptian Materials (London, New York 1926), 144–145 für Ägypten nur gelber Ocker und Orpiment als Lieferanten gelber Farbe belegt seien. Da gelber Ocker als stj bezeichnet würde, so Iversen, bleibt für qnj.t nach dem Ausschlussprinzip nur Orpiment übrig. Dass qnj.t und ꜣw.t-jb immer gemeinsam vorkommen und einmal sogar miteinander identifiziert werden, erinnert ihn an die häufige gemeinsame Nennung von Orpiment und Realgar (resp. ἀρσενικόν und σανδαράχη) in griechischen und lateinischen Quellen. Nach Harris, a.a.O., 142 sind auch im Koptischen Orpiment und Realgar als miteinander verwandt verstanden worden, da Realgar sowohl als ⲥⲁⲛⲧⲁⲣⲁⲭⲏⲥ: „Sandarak“ als auch als ⲁⲥⲥⲉⲣⲛⲏϩ ⲉⲧⲧⲟⲣϣ̄ und ⲁⲥⲥⲉⲣⲛⲏϩ ⲛ̄ⲕⲟⲕⲟⲥ: „rotes Arsenikon“ bezeichnet wurde. Die Verwendung in einem Inhalationsmittel gegen Husten in Eb 325 erinnert Iversen ferner spezifisch an eine Passage bei Dioskurides, in der σανδαράχη gegen Husten verwendet wird. Insgesamt schließt sich Harris den Argumenten von Iversen an. Er warnt aber davor, ꜣw.t-jb mit „Sandarak“ zu übersetzen, weil das Sandarak der griechischen und, davon abgeleitet, der mittelalterlichen Texte neben Realgar möglicherweise auch andere rote Mineralien bezeichnen kann. Er präferiert eine konkrete Übersetzung mit „Realgar“.
NB: Seine Warnung hat Einfluss auf Iversens Vergleich der Anwendung von ꜣw.t-jb im pEbers mit derjenigen von σανδαράχη im Rezept des Dioskurides; die anderen Argumente von Iversen und Harris bleiben aber davon unberührt.
Vor dem Hintergrund, dass Realgar giftig ist, erscheint die ägyptische Benennung als ꜣw.t-jb: „Herzensfreude“ im Übrigen anmerkenswert (vgl. auch das deutsche Synonym „Rauschrot“; vgl. allerdings Lucas, a.a.O., 145, laut dem das natürliche Mineral nicht giftig sei und wohl dieses in Ägypten als Pigment verwendet worden sei).
Dr. Lutz Popko