Papyrus Ramesseum XI
Übersetzung und Kommentar
Fragment A
[---] [A,1] [---] auf die Dachterrasse des Allherrn.
Ich fand Re stehend und Ptah sitzend vor.1
[---] die Sache NN, indem sie/er/es entstanden ist.
Da fragte mich Ptah:
„Bei mir erfragst du es?
[---] das schöne Kleinvieh, das den Göttern gleich ist (d.h. die Menschen).2
Wenn sie eine Rede halten (oder: Wenn sie ja sagen), dann ist es der Fall, [dass ---] ...(?).
Dieser Spruch werde gesprochen, wenn eine Last [---].3
[We]nn sie [---] sagen [---]; [A,5] [---] wenn sie [---] sagen [---] Dinge von [---].3
[---] Sache ... (?) [---]
[---] auf dem Weg (?) [---]
1 ꜥḥꜥ ḥmsi̯: P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 85 verweist auf J. Zandee, Sargtexte, Spruch 80 (Coffin Texts II 27d–43), in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 101, 1974, 62–79, hier 71, Kommentar zu 33g, demzufolge diese beiden Verben komplementäre Begriffe sind, die die Gesamtheit menschlicher Handlung umschreiben.
2 Lesung der Zeichenreste nach einem Vorschlag von Quack (E-Mail vom 16.08.2022). P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 332 und 84–86 rekonstruiert das halbzerstörte Zeichen nach der Zahl dagegen vorsichtig als ꜣb und denkt an das Substantiv ꜣb.w: „Wunsch“, D. Meeks, Année lexicographique. Tome 1. 1977 (Paris 1980), 78.0019 („deux excellents [an]imaux [font parvenir (?)] les [souhaits] aux dieux“). Unter Hinweis auf eine persönliche Mitteilung von H.-W. Fischer-Elfert erwägt er, in den beiden Stück Kleinvieh heilige Tiere, insbesondere den Mnevis-Stier (wegen der Nennung von Re) und den Apis-Stier (wegen Ptah) zu sehen und erwägt hier eine Anspielung auf Orakel, verweist aber darauf, dass diese Art Orakel erst ab dem Neuen Reich belegt sei. Außerdem würde der Terminus ꜥw.t ihm zufolge eher auf „Kleinvieh“ hinweisen, zu dem keine Rinder zählen. Das ist zwar tatsächlich oft der Fall, aber nicht immer, und die Bedeutung „Rinder“ ist nicht ganz ausgeschlossen: In der neuägyptischen Erzählung des pd’Orbiney wird damit die Rinderherde des Anubis mit diesem Terminus bezeichnet. S. die Diskussion hier.
3 Ergänzung der Zeichenreste weitestgehend nach Quack, basierend auf seiner Autopsie des Originals (E-Mail vom 16.08.2022). Es bleibt unklar, wie viel am Anfang der Zeilen zerstört ist; zudem ist es denkbar, dass in der kleinen Lücke am Ende von A,4 noch ein kurzes Wort oder der Beginn eines Wortes Platz gefunden hätte. Die Lücke nach dem ḏd=sn von Zeile A,5 könnte ein oder zwei Wörter enthalten haben; unter Falschfarbenfiltern lässt sich auf dem Foto des BM am Ende der Lücke ein sitzender Mann mit Hand am Mund erkennen.
Sechs unpublizierte Fragmente
[--- --- ---]1
1 Im Frame 1 sind neben dem Fragment A noch sechs weitere kleine Fragmente untergebracht; nicht abgebildet bei Gardiner, aber bei Meyrat. Die beiden größten, mittleren zeigen Reste dreier Zeilen, wobei die jeweils oberste rubriziert ist. Auch das zweite von rechts enthält rote Tintenreste. Die Fragmente sind zu klein, um ihnen Sinn abzugewinnen. Auf dem dritten von rechts ist in der mittleren der drei Zeilen das Wort wn: „öffnen“ zu erkennen. Auf dem daneben ist das senkrechte Zeichen wohl ein Götterklassifikator, so dass man dort „Gott [NN] zu (r)“ lesen kann.
Fragment B
[B,1]1 Meine jb-Herz ist dir [zugewandt(?)]2, (mein) ḥꜣ.tj-Herz ist dir (zugewandt?)2 wie das jb-Herz des Horus seinem Auge, (das) des Seth seinen Hoden, (das) der Hathor ihrer Locke, [---](?) (und das) des Thot seinem Oberarm.3
Siehe, ich will mein [jb-Herz] herbeibringen, gefesselt von der (Pflanze namens) ‚Sehne des Phönix‘4.
Eine Flamme ist an [meiner] rechten Seite.
Ich setzte / Gesetzt wurde mir [---] eine Flamme in dein jb-Herz, eine Flamme in [dein] ḥꜣ.tj-Herz, usw.
Mögest (du) zu mir kommen, nachdem du den Ort erreicht hast, an dem sich [mein] Herz befindet [---] eil[ig(?)][---] im Haus hinter (?) [---] usw. mit ihr.
[Dieser Spruch werde] gesprochen [---] [B,5] [---]; sie wird [---], was sie gebracht hat [---].5
1 Es ist unsicher, ob links noch etwas fehlt, da das Fragment rechts direkt mit den ersten Zeichen einsetzt und kein Rest eines Kolumnenrandes mehr erhalten ist (besser zu erkennen bei A.H. Gardiner, The Ramesseum Papyri. Plates (Oxford 1955), Taf. 44 als auf dem neuen Foto von P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 333, weil jetzt der rechte Rand des Fragments unter der Verklebung der Verglasung liegt). Gardiner, a.a.O., 14 geht davon aus, dass rechts nichts mehr fehlt, und übersetzt Zeile 1 und den Anfang von Zeile 2 mit: „My heart (i.e. my desire) is for thee, my breast is [for thee] like the heart of Horus for his eye, (of) Seth for his testicles, (of) Ḥatḥōr for her lock(s), (and of) Thoth for his elbow.” Dieser Übersetzung folgen bspw. G. Posener, La légende de la tresse d’Hathor, in: L.H. Lesko (Hrsg.), Egyptological Studies in Honor of Richard A. Parker. Presented on the Occasion of his 78th Birthday December 10, 1983 (Hanover, London 1986), 111–117, hier 111, W. Wettengel, Die Erzählung von den beiden Brüdern. Der Papyrus d’Orbiney und die Königsideologie der Ramessiden, Orbis Biblicus et Orientalis 195 (Freiburg, Schweiz, Göttingen 2003), 134, A. Velasco Pírez, Un acercamiento a la simbología del peinado en el antiguo Egipto, in: Antesteria: debates de historia antigua 1, 2012, 289–303, hier 293, M. Massiera, La tresse d’Héliopolis, in: A. Gasse – F. Servajean – C. Thiers (Hrsg.), Et in Ægypto et ad Ægyptum. Recueil d’études dédiées à Jean-Claude Grenier. III 3, Cahiers „Égypte Nilotique et Méditerranéenne“ 5.3 (Montpellier 2012), 489–498, hier 495–496 und B. Mathieu, Seth polymorphe. Le rival, le vaincu, l’auxiliaire, in: Égypte Nilotique et Méditerranéenne 4, 2011, 137–158, hier 149, jeweils mit Verweis auf die thematische Verknüpfung der Hathor mit einer Locke oder Haarsträhne.
Meyrat, a.a.O., und 84–85 deutet dagegen die Möglichkeit an, dass rechts noch etwas vom Fragment fehlt. Sollte das der Fall sein, müsste es sich um eine ganze Wortsequenz #GN n Körperteil =f/s# handeln.
2 jb=j n=ṯ: Vgl. rḏi̯ jb n: „das Herz zuwenden zu“ (Wb 1, 60.9); etwas stärker noch G. Posener, La légende de la tresse d’Hathor, in: L.H. Lesko (Hrsg.), Egyptological Studies in Honor of Richard A. Parker. Presented on the Occasion of his 78th Birthday December 10, 1983 (Hanover, London 1986), 111-117, hier 111, Anm., 2: „C’est-à-dire ‚je te désire, j’ai besoin de toi, j’aspire à t’avoir‘“.
Es liegt wohl nicht die idiomatische Phrase für „sich etwas wünschen“ vor, denn diese lautet jb r, nicht jb n, vgl. Wb 1, 60.12–13.
3 Zum inhaltlichen Bezug zwischen den Göttern und den Körperteilen s. Posener, a.a.O., 111–117 und Meyrat, a.a.O., 86–87. In allen Fällen werden Schäden bzw. Verletzungen angesprochen, die die Götter davongetragen haben, weswegen sie sich die Wiederherstellung dieser Körperteile herbeisehnen. Am deutlichsten ist das beim Auge des Horus und den Hoden des Seth, die nach verschiedenen Versionen des Horus-und-Seth-Mythos vom jeweils anderen herausgerissen werden. Weniger klar ist das mit der Schulter oder dem Oberarm des Thot; aber in jedem Fall sind diese drei Götter und Körperteile schon in den Pyramidentexten, in PT 327 (Pyr. § 535a–c) miteinander kombiniert, wobei im Fall von Thot der ꜥ: „Arm“ statt qꜥḥ: „Oberarm, Schulter“ genannt wird. Aufgrund dessen dürfte auch hier ein Mythem oder Hylem vorliegen, das auf einen Verlust oder eine Verletzung des Armes des Thot hinweist. Nach J.F. Quack, Das Pavianshaar und die Taten des Thot (pBrooklyn 47.218.48+85 3,1–6), in: Studien zur Altägyptischen Kultur 23, 1996, 305–333, hier 326–328 dürfte „auch diese Verwundung im Rahmen des Konfliktes zwischen Horus und Seth“ stattgefunden haben; er zitiert eine entsprechende Passage aus dem späten pJumilhac, 16,23–17,6, in der von einer konkret der späte pJumilhac spricht von einer Verstümmelung des Arms (gḏ) des Thot. In pRamesseum XI tritt nun noch die Locke der Hathor hinzu; schon Posener nimmt an, dass es demzufolge auch eine mythologische Episode gegeben habe, in der der Hathor eine Locke herausgerissen wurde. Anklänge hieran sieht er in der Ruderepisode des pWestcar, in der einer Ruderin des Snofru ein fischförmiger Haarschmuck ins Wasser fällt, und in der neuägyptischen Erzählung des pd’Orbiney, in der das Meer eine Locke von Batas Frau, die ihrerseits als Tochter des Re–Harachte bezeichnet wird, fortträgt. Aus diesen beiden Episoden schließt er, dass in der vermuteten mythologischen Episode um Hathor das Meer oder ein damit verbundenes Element die Locke herausreißt. Meyrat, a.a.O., überlegt, ob das Krokodil oder genauer: der Gott Sobek gemeint sein könne, der in pRamesseum VIII, 13,7 als ḥnsk.tj: „Bezopfter“ genannt sei und in den Sobekhymnen des pRamesseum VI, Kol. 15 als ḥnsk.tj mri̯=f ḫnp als ein „Bezopfter, indem er das Rauben liebt“. Sobek bzw. das Krokodil als dessen Tier sei zwar, so Meyrat, nicht mit dem Meer verbunden, aber immerhin mit dem Wasser im Allgemeinen.
4 r(w)ḏ-n-bnw: Eine noch nicht identifizierte Pflanze, die auch andernorts als Materia magica Anwendung findet, s. I. Guermeur, À propos d’un passage du papyrus médico-magique de Brooklyn 47.218.2 (x+III,9 – x+IV,2), in: I. Guermeur – C. Zivie-Coche (Hrsg.), „Parcourir l’éternité“. Hommages à Jean Yoyotte. Tome 1 1, Bibliothèque de l’École des hautes études, Sciences historiques et philologiques 156.1 (Turnhout 2012), 541-555, hier 550-551 (Hinweis Quack). Gardiner und Meyrat hatten statt bn.w die bn.t-Harfe gelesen.
5 Ergänzungsvorschläge Quack (E-Mail vom 16.08.2022).