Papyrus Turin CGT 54051

Metadaten

Alternative Namen
ID der Turiner Datenbank / Turin Database ID: 103551 Papyrus Turin 1993 Papyrus Turin Cat. 1993 TM 755034 (Recto) TM 755035 (Verso)
Aufbewahrungsort
Europa » Italien » (Städte Q-Z) » Turin » Museo Egizio
Digitaler Katalog
Erwerbsgeschichte

Die genaue Herkunft und Erwerbsgeschichte ist unbekannt. Die Papyrusdatenbank des Museo Egizio gibt fragend 1824 als Erwerbsdatum an und vermutet, dass der Papyrus Teil der Sammlung Drovetti war, die nach Verhandlungen in den Jahren 1822–1824 im Januar 1824 im Auftrag des Großherzogs der Toskana, Ferdinand III., und unter Bewilligung von König Carlo Felice Giuseppe Maria (1821 bis 1831 König von Sardinien) für das Museo Egizio gekauft wurde (zu den Erwerbsumständen s. Ministero della pubblica istruzione 1880, XII–XIII und Botti 1921, 131–132). Im Katalog der Sammlung Drovetti, soweit publiziert in Ministero della pubblica istruzione 1880, 206–292 (hier Abschnitt „Papirus et Manuscrits“ auf Seite 206–210) findet sich kein Papyrus, dessen Länge mit der von Fabretti 1882, 260 gegebenen Länge von 1,54 m (noch ohne das zusätzliche, von Botti gefundene Fragment, s. bei der Bearbeitungsgeschichte) übereinstimmt. Aber das erlaubt keine sichere Aussage, denn der Papyrus Turin 1993 besteht aus mehreren, wenn auch direkt joinenden, Einzelfragmenten, die vielleicht auch nur als Einzelfragmente katalogisiert waren, so dass die wenigen Angaben in Drovettis Katalog (meist nur Maße) nicht zu einer Identifizierung ausreichen.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer » Deir el-Medineh

Die Datenbank des Museo Egizio gibt fragend Deir el-Medineh als Fundort an. Das dürfte auf der Annahme beruhen, der Papyrus sei Teil der Sammlung Drovetti. Drovetti hat zwar keine Angaben über die Herkunft der von ihm gekauften Objekte gemacht; Botti 1921, 148–149 vermutet jedoch, dass diese Papyri aus Deir el-Medineh stammen, weil viele der literarischen Papyri administrative Notizen auf der Rückseite haben und daher aus der lokalen thebanischen Verwaltung stammen würden. Konkret auf Deir el-Medineh würden zudem weitere Objekte, wie eine Statue der Königin Ahmes-Nefertari und ein Uschebti eines „Dieners vom Platz der Wahrheit“ (d.i. Deir el-Medineh), hinweisen, die ebenfalls Teil der Sammlung Drovetti waren (s. ebd., 129–130). Für eine Herkunft der Sammlung Drovetti aus dem thebanischen Raum und hier speziell der Gegend von Deir el-Medineh sprechen sich auch Roccati 2011, 11 und Demarée 1993, 101 aus.
Röpke 2018, 162, Anm. 206 und 236–237 weist dagegen darauf hin, dass einige paläographische Eigenheiten speziell von pTurin CGT 54051 eher für eine unterägyptische Handschrift sprächen; für Details verweist er auf den Abschnitt zur Paläographie seines „Dokumentes 38“ (die List der Isis), das sich aber in der Vorabversion seiner Arbeit (vgl. ebd. iii) (noch?) nicht findet. Ganz konkret erwägt er sogar, den Papyrus dem memphitischen Schreiber Inena zuzuweisen bzw. darin „die Abschrift einer weiteren Arbeit“ dieses Schreibers zu sehen, weil die falsche Bildung des Konjunktivs mit der überflüssigen Präposition ḥr, wie er in Verso 3,8 vorkommt, in 16 der insgesamt 18 von Winand herangezogenen Belegen diesem Schreiber anzulasten seien (Röpke, 236–237 mit Verweis auf Winand 1992, 471, § 738; die von Winand nicht spezifizierten früheren und späteren Belege, die zudem aus dem thebanischen Raum stammen, sind vielleicht pChester Beatty I und II sowie pDeM 39; ihnen wäre noch der Brief oBM EA 5627 unbekannter Provenienz hinzuzufügen). Röpke gesteht aber ein, dass seine paläographischen sowie dieses grammatische Indiz allein nicht aussagekräftig genug seien und die vielen inhaltlichen Parallelen aus Deir el-Medineh wiederum für eine oberägyptische Provenienz sprächen.

Datierung
(Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

Die Datierung beruht auf paläographischen Kriterien: Laut Roccati 2011, 252–253 haben einige wenige hieratische Zeichen Formen der 19. Dynastie; das Gros der von ihm zur Datierung herangezogenen Formen findet aber Entsprechungen in der 20. bis sogar 21. Dynastie. Infolgedessen spricht er sich für eine Datierung in die 2. Hälfte der 20. Dynastie aus.
Westendorf 1999, 72 gibt dagegen für den Turiner Papyrus – ohne Begründung – die 19. Dynastie als Entstehungszeit an.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Der Papyrus Turin CGT 54051 enthält auf Vorder- und Rückseite eine Reihe von magischen Sprüchen gegen Skorpionstiche und Schlangenbisse. Der Mittelteil der Vorderseite wird von einem Text eingenommen, der sich selbst als „Sprüche [sic! Plural] zur Abwehr des Giftes vom Uranfang, die gegen es entstanden sind, die um seine Natur wissen“ bezeichnet und der in der ägyptologischen Literatur als Mythos oder Geschichte von Isis und Re bezeichnet wird. Obwohl es sich de facto um einen magischen Spruch gegen Skorpionstiche handelt, nimmt die Historiola, d.h. der mythologische Hintergrund des Spruches und Begründung seiner Wirksamkeit, fast die gesamte Länge des Spruches ein und erzählt, wie Isis den Sonnengott Re heimlich vergiftet, damit er ihr seinen geheimen Namen nennt, weil sie ihn mit diesem Wissen zu heilen verspricht. Während Isis Re wohl tatsächlich dazu bringen kann, ihr den Namen zu verraten – immerhin heilt sie Re, wie versprochen – erfährt der Leser des Papyrus ihn nicht. Motivisch ähnlich ist ein Spruch auf der 2. und 3. Kolumne der Rückseite, wo Horus versucht, den Namen des Thot zu erfahren (der hier übrigens als Bruder des Horus erscheint!). Im Unterschied zum Mythos von Isis und Re gibt es in diesem Spruch aber keinen Hinweis, dass Horus versucht hat, Thot zu überlisten, und die Vergiftung des Thot selbst verursacht hat.
Inhaltlich hervorhebenswert ist noch ein Spruch in der 4. Kolumne der Rückseite, der gegen eine Uräusschlange gerichtet ist. Der Uräusschlange wohnt zwar prinzipiell eine Gefährlichkeit inne, handelt es sich doch bei ihr taxonomisch gesprochen um eine Kobra; doch verbanden die Alten Ägypter mit ihr üblicherweise eine übelabwehrende Gefährlichkeit. Im Turiner Papyrus erscheint sie dagegen als dem Menschen gefährliche Schlange, gegen die man ebenso vorgehen kann wie gegen einen Skorpion.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Über den Verwendungskontext lässt sich nichts sagen. Strukturell handelt es sich um eine thematisch gebundene Sammelhandschrift von magischen Sprüchen gegen Skorpione und Schlangen. Sie ist in einer literarischen Handschrift geschrieben, und die Vorderseite ist mit Verspunkten versehen, wie es oft bei Literaturwerken der Fall war. Die letzte Kolumne des Versos endet mit einem Kolophon, also einem Schlussvermerk, wie es vorrangig für „literarische“ Texte der Fall ist (bedauerlicherweise bricht der Papyrus an der Stelle ab, an der man den Namen des Schreibers erwarten könnte). Das alles zeigt, dass der Papyrus kein Gebrauchstext war, sondern vielleicht eher für eine „Privatbibliothek“ angefertigt wurde. Die Handschrift der Rückseite unterscheidet sich etwas von derjenigen der Vorderseite – ob das auf verschiedene Schreiber hindeutet oder nur unterschiedliche Tagesformen desselben Schreibers, müsste von Experten für Paläographie entschieden werden. Jedenfalls passen die Texte von Vorder- und Rückseite thematisch zusammen.
Zu einzelnen Sprüchen gibt es Parallelen auf Ostraka (vgl. die Auflistungen bei Westendorf 1999, 72 und Roccati 2011, 16), die vielleicht tatsächlich praktische Verwendung gefunden hatten. Allerdings heißt das weder, dass pTurin CGT 54051 die Vorlage war, aus der diese Sprüche extrahiert wurden, noch umgekehrt, dass der Papyrus mithilfe dieser Ostraka zusammengestellt worden wäre. Gerade die Wiederverwendung einiger Passagen auf spätzeitlichen Heilerstatuen zeigt, dass es sich vielmehr um verbreitete und gut bekannte Sprüche gehandelt hat.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schriftrolle
Technische Daten

Der Papyrus ist am Anfang und Ende abgebrochen, aber über die gesamte Kolumnenhöhe erhalten und auch sonst in relativ gutem Zustand. Der mittlere Teil ist bis auf wenige kleine Löcher komplett erhalten. Physisch besteht er aus mehreren Einzelfragmenten, die aber direkt aneinanderpassen. Im aktuellen Zustand ist er 163 cm lang und 19–19,5 cm hoch (Roccati 2011, 16). Er ist auf der Vorder- und Rückseite beschrieben; der Papyrus ist dafür über die Schmalseite gedreht worden, d.h. die Ausrichtung des Textes auf Vorder- und Rückseite ist identisch.
Am Anfang der Vorderseite ist zumindest eine Kolumne verloren; ob noch mehr, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Die letzte erhaltene Versokolumne, die sich auf der Rückseite der ersten erhaltenen Rectokolumne befindet, hat weniger Zeilen als die anderen auf dem Verso und an ihrem Ende steht ein Kolophon. Sie war also tatsächlich die letzte des Textes. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass sie auch das Ende des Papyrus markiert: Auch andere magische Papyri sind auf dem Verso nicht komplett vollgeschrieben; auf pTurin CGT 54053 ist bspw. ein großer Teil des Versos freigeblieben und sekundär für Notizen verwendet worden. Daher ist nicht völlig auszuschließen, dass am Anfang des Rectos mehr als nur eine Kolumne fehlte.
Auch am Ende des Rectos könnten theoretisch noch Kolumnen fehlen. Roccati 2011, 74 u.ö. zählt aber die erste Versokolumne als Kol. 1 und suggeriert damit, dass hier nur die rechte Hälfte der Kolumne fehlt, ergo: das Recto links fast vollständig erhalten und die letzte erhaltene Rectokolumne auch original die letzte Rectokolumne ist.
Nach den Angaben der Turiner Papyrusdatenbank sind 9 Klebungen erkennbar; die meisten im Abstand von etwa 115–120 mm, einige aber auch im doppelten Abstand von etwa 225-240 mm.
Die Kolumnen der Vorderseite enthalten jeweils 14 Zeilen; die Kolumnen der Rückseite 13, abgesehen von Kol. 5 mit 14 und Kol. 6 mit nur noch 12 Zeilen.

Schrift
Hieratisch

Die Leserichtung verläuft von rechts nach links. Der Text enthält einige Rubra und auf der Vorderseite Verspunkte.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch, Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch

Der Recto-Text ist mittelägyptisch mit einigen neuägyptischen grammatischen Konstruktionen (v.a. neuägyptische Possessivpronomina). Der Text auf dem Verso ist Neuägyptisch (für beides s. schon Borghouts 1987, 262).

Bearbeitungsgeschichte

Der Papyrus ist erstmals und fast vollständig, d.h. soweit erhalten, bei Pleyte – Rossi 1869, Bd. 1, 44–45, 114–115, 170–191; Bd. 2, Taf. 31, 77 und 131–138 mit Faksimile und partieller Übersetzung publiziert worden. Obwohl die Fragmente über verschiedene Tafeln verteilt sind, haben Pleyte und Rossi bereits erkannt, dass sie zu demselben Papyrus gehören, s. Bd. 1, 114 und 170. Diesem Papyrus gab Fabretti 1882, 260 die Nummer 1993, unter der er seitdem regelmäßig zitiert wird. Im Jahr 1905 konnte A. Gardiner den Papyrus im Rahmen seiner Arbeiten für das Altägyptische Wörterbuch kollationieren; seine hieroglyphische Transliteration und Übersetzung sind im Digitalen Zettelarchiv einsehbar (Nr. 50.142.710–50.143.860). G. Botti konnte noch ein weiteres Turiner Papyrusfragment der letzten erhaltenen Recto-Kolumne zuordnen (vgl. Roccati 2011, 14). Borghouts wiederum (vgl. Borghouts 1978, 123) hat erkannt, dass die erste Zeile der ersten Recto-Kolumne seine Parallele im Ostrakon Strasbourg BNU H. 111 hat.
A. Massart hatte eine Edition geplant, zu der er aber krankheitsbedingt nicht mehr gekommen war (Borghouts 1987, 257). Später plante A. Roccati eine Edition zusammen mit J. Borghouts, wobei Roccati die Transliteration ins Hieroglyphische und Borghouts die Übersetzung und den Kommentar liefern wollten (Borghouts, ebd., 260). Zu dieser Edition ist es aber nie gekommen, und letztendlich ist sie in dieser Form durch den Tod von Borghouts im Jahr 2018 gänzlich verunmöglicht worden. Eine rezente Gesamtpublikation aller Fragmente mit technischen Daten, Paläographie, hieroglyphischer Transliteration (nach originaler Anordnung sowie synoptisch mit Parallelen) und Übersetzung findet sich bei Roccati 2011, 14, 16–17, 67–79, 125–157, 165–170, 198–203.

Vor allem der magische Spruch gegen Skorpione von Recto 2,11–5,5 hat auch schon zuvor immer wieder Aufmerksamkeit erfahren, hauptsächlich deswegen, weil seine Historiola, d.h. die mythologische Einbettung des Spruches und Begründung seiner Wirksamkeit, fast die gesamte Länge des Spruches einnimmt und davon berichtet, wie Isis den Sonnengott Re überlistet, um ihr seinen geheimen Namen zu nennen. Dieser Spruch ist schon von Lefébure 1883 neu, und erstmals ins Französische, übersetzt sowie inhaltlich besprochen worden. Seitdem ist dieser Spruch oft isoliert vom restlichen Papyrus übersetzt (Roeder 1923, 138–141, Wilson 1955, 12–14, Piankoff 1964, 56–59, Bresciani 1999 (= 1969), 239–242, Bresciani 2001 (= 1974), 66–69, Borghouts 1978, 51–55, Nr. 84, Brunner-Traut 1990, 149–155, 313–314) und als „Mythos von Isis und Re“ o.ä. behandelt worden (vgl. explizit die beiden Übersetzungen von Bresciani, wo er im Abschnitt „Miti“ und nicht in den Abschnitten zu „Testi Magici“ steht, oder die Übersetzung von Brunner-Traut, die die eigentliche Anwendungsanweisung weglässt).
Die Standardreferenz von jüngeren Untersuchungen dieser Historiola ist, nicht ohne Grund, die Übersetzung von Borghouts, die jüngste und fundierteste Einzelübersetzung dieses Spruches. Allerdings hat sie den Nachteil einer falschen Zeilenzählung: Als Borghouts im Rahmen seiner Promotion Papyrus Leiden I 348 bearbeitete, erhielt er zum Abgleich mit anderen magischen Texten von seinem früheren Lehrer A. Klasens Fotos von den Turiner Papyri, die bei Pleyte – Rossi 1869, Bd. 2 den Tafeln 31, 77, 118–125 und 131–138 entsprachen (s. dazu und zum folgenden Borghouts 1971, XIII mit Anm. 1). Während die Tafeln 118–125 eigentlich Papyrus Turin Cat. 1995+1996 bilden, ordnete Borghouts alle Tafeln dem Papyrus Turin 1993 dergestalt zu, dass die Vorderseite von Turin 1993 an die erhaltenen Kolumnen von 1995+1996 anschließt. (Demzufolge bildet auf der Rückseite der eigentliche Papyrus Turin 1993 die vordere Hälfte einer Rolle, deren hintere Hälfte von 1995+1996 eingenommen wird.) Daraus ergab sich eine Kolumnenzählung wie in der hier verlinkten Tabelle. Dieses „provisional arrangement“ wird allein auf Basis der erwähnten Fotos erfolgt sein, denn die Möglichkeit, seine Transkription am Original zu prüfen, datiert Borghouts selbst auf seinen Besuch in Turin 1982 (Borghouts 1987, 260). Unsicher ist, wieso A. Massart ihm diese Rekonstruktion bestätigte, obwohl er laut Borghouts zu diesem Zeitpunkt an einer Publikation des Textes arbeitete. In Borghouts 1978 hat er die Kolumnenzählung partiell revidiert, dadurch aber den Eindruck vom Layout des Gesamttextes erschwert. So hat er fast alle Kolumnen als Verso-Kolumnen aufgenommen. Da aber dadurch die Bezeichnung Verso 7, 8 und 9 jeweils zwei Mal vergeben wird, für je zwei verschiedene Kolumnen, erhält man den Eindruck, dass diese Neuzählung nur ein Versehen bei der Erstellung des Quellenverzeichnisses war und kein echter Vorschlag zu einem Neuarrangement. Unerklärbar bleibt seine unterschiedliche Benennung von Pleyte – Rossi, Taf. 131 als recto 6 (für Text-Nr. 103; noch der früheren Nummerierung entsprechend), verso 6 (bei Nr. 84; mit der generellen Umbenennung aller Kolumnen in „verso 00“ konform gehend) sowie recto 1 (bei Nr. 104; vermutlich tatsächlich ein Vorschlag zum Neuarrangement, da er das v.a. anhand der neu entdeckten Parallelen übersetzt, die deutlich machen, dass Taf. 131 nicht auf 125 folgen kann). In seinem Vorbericht zur Arbeit an den Turiner magischen Papyri konnte er seinen Irrtum revidieren und erstellte eine Skizze mit der tatsächlichen Anordnung der einzelnen Kolumnen unter Nutzung der Tafelnummern von Pleyte – Rossi. Eine (erneute) Umnummerierung der Kolumnen schlug er nicht vor, sie ergibt sich aber implizit aus seiner Skizze und stimmt mit den später von Roccati 2011 verwendeten Kolumnennummern überein. NB: Diese Skizze ist bei Borghouts als Fig. 1 abgedruckt, allerdings (versehentlich?) so, dass sowohl bei pTurin Cat. 1995+1996 als auch bei pTurin Cat. 1993 das Verso des Papyrus über dem Recto angeordnet ist.

Die falsche Zuordnung von Sprüchen von pTurin Cat. 1995+1996 = pTurin CGT 54050, namentlich der Liste von Todesarten (Borghouts, Text-Nr. 9), zu pTurin Cat. 1993 = pTurin CGT 54051 hat zur Folge, dass bei expliziten Verweisen auf pTurin Cat. 1993 innerhalb der ägyptologischen Literatur gegebenenfalls zu prüfen ist, ob nicht eigentlich pTurin Cat. 1995+1996 gemeint ist.

Editionen

- Pleyte – Rossi 1869: W. Pleyte – F. Rossi, Papyrus de Turin (Leiden 1869), Bd. 1, 44–45, 114–115, 170–191; Bd. 2, Taf. 31, 77 und 131–138.

- Roccati 2011: A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 14, 16–17, 67–79, 125–157, 165–170, 198–203.

Literatur zu den Metadaten

- Borghouts 1971: J. F. Borghouts, The Magical Texts of Papyrus Leiden I 348, Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 51 (Leiden 1971).

- Borghouts 1978: J. F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978).

- Borghouts 1987: J. F. Borghouts, The Edition of Magical Papyri in Turin. A Progress Report, in: A. Roccati – A. Siliotti (Hrsg.), La magia in Egitto ai tempi dei faraoni: atti, convegno internazionale di studi, Milano, 29–31 ottobre 1985 (Verona 1987), 257–269.

- Botti 1921: G. Botti, La collezione Drovetti e i papiri del R. Museo Egizio di Torino, in: Rendiconti della Reale Accademia dei Lincei, classe di scienze morali, storiche e filologiche: serie quinta 30 (11–12), 1921, 128–135, 143–149.

- Bresciani 1999: E. Bresciani, Letteratura e poesia dell’antico Egitto. Cultura e società attraverso is testi (Torino 1999 (= 1969)).

- Bresciani 2001: E. Bresciani, Testi religiosi dell’antico Egitto (Milano 2001 (= 1974)).

- Brunner-Traut 1990: E. Brunner-Traut, Altägyptische Märchen. Mythen und andere volkstümliche Erzählungen (München 1990).

- Demarée 1993: R. J. Demarée, Recent Work on the Administrative Papyri in the Museo Egizio, in: Anonymous (Hrsg.), Sesto Congresso internazionale di egittologia. Atti (Torino 1993), 101–105.

- Fabretti 1882: A. Fabretti, Regio Museo di Torino. Antichità egizie, Catalogo generale dei musei di antichità e degli oggetti d’arte raccolti nelle gallerie e biblioteche del Regno 1.1 (Torino 1882).

- Lefébure 1883: E. Lefébure, Un chapitre de la chronique solaire, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 21, 1883, 27–33.

- Ministero della pubblica istruzione 1880: Ministero della pubblica istruzione (Hrsg.), Documenti inedití per servire alla storia dei musei d’Italia. Bd. 3. (Firenze/Roma 1880).

- Piankoff 1964: A. Piankoff, The Litany of Re, Bollingen Series 40 (4) (New York 1964).

- Pleyte – Rossi 1869: W. Pleyte – F. Rossi, Papyrus de Turin (Leiden 1869).

- Roccati 2011: A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011).

- Roeder 1923: G. Roeder, Urkunden zur Religion des Alten Ägypten, Religiöse Stimmen der Völker 4 (Jena 1923).

- Röpke 2018: F. Röpke, Mythologische Erzählungen in den Heiltexten. Band I (a). Allgemeiner Teil und Textsammlung (Heidelberg 2018).

- Westendorf 1999: W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I.36 (Leiden 1999).

- Wilson 1955: J. A. Wilson, Egyptian Myths, Tales and Mortuary Texts, in: J. B. Pritchard (Hrsg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament (Princeton, NJ 1955), 3–36.

- Winand 1992: J. Winand, Études de néo-égyptien. 1. La morphologie verbale, Aegyptiaca Leodiensia 2 (Liège 1992).

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Lutz Popko

Übersetzung und Kommentar

Recto

Recto 1,x–2,1: Horus als Arzt

= oStrasbourg BNU H. 111; pDeM 41; oDeM 1687 Vso.; pWilbour 47.218.138, x+5,1 – x+6,9

[Rto. 1,1] [---]1
[Rto. 1,14] [Der Zauber des Horus heilt seine Krankheit ---]2, [Rto. 2,1] was ich tue (?).
Der Zauber des Horus beruhigt die Machtvolle (Flamme) (und) rettet vor der Krankheit(?) [---]3.4

1 Der Vergleich mit oStrasbourg BNU H. 111 zeigt, dass vor der ersten erhaltenen Kolumne von pTurin CGT 54051 Recto wenigstens eine Kolumne gefehlt hat, vgl. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 16. Die Überschneidung der beiden Texte ist schon erkannt von J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 123. Gegebenenfalls fehlte sogar noch mehr, denn in pWilbour 47.218.138, Kolumne x+5 stehen über der Zeile, mit der oStrasbourg BNH H. 111 einsetzt (≈ pWilbour 47.218.138, x+5,13), noch mindestens drei weitere Zeilen, die zum selben Text gehören müssen; und wenn man Goyons Paragrapheneinteilung glauben will, gehören auch noch die neun Zeilen darüber zu diesem Text, so dass dieser Abschnitt in diesem Papyrus über eineinhalb Kolumnen läuft (wenn auch teilweise stichisch geschrieben) und dreigeteilte „Formules d’Horus“ bilden (vgl. J.-C. Goyon, Le recueil de prophylaxie contre les agressions des animaux venimeux du Musée de Brooklyn. Papyrus Wilbour 47.218.138, Studien zur spätägyptischen Religion 5 (Wiesbaden 2012), 31–35; allerdings übt J.F. Quack, Rez. zu: Goyon, Jean-Claude 2012. Le recueil de prophylaxie contre les agressions des animaux venimeux du Musée de Brooklyn: papyrus Wilbour 47.218.138. Studien zur spätägyptischen Religion 5. Wiesbaden: Harrassowitz, in: Die Welt des Orients 43 (2), 2013, 256–272, hier 257 Kritik an Goyons Paragrapheneinteilung).

2 Ergänzung nach den Parallelen oStrasbourg BNU H. 111 und pWilbour 47.218.138, x+6,1. Da alle erhaltenen Recto-Kolumnen von pTurin CGT 54051 14 Zeilen haben, ist anzunehmen, dass auch in der ersten Kolumne die letzte Zeile die vierzehnte war. Das jri̯.y=j ist nur in pTurin CGT 54051 erhalten. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 75, Nr. 103 lässt es unübersetzt. oDeM 1687 hat nḥm statt ssnb, s. J.-C. Goyon, Le recueil de prophylaxie contre les agressions des animaux venimeux du Musée de Brooklyn. Papyrus Wilbour 47.218.138, Studien zur spätägyptischen Religion 5 (Wiesbaden 2012), 156.

3 Wovor der Zauber des Horus „rettet“ (nḥm), ist unsicher; die Parallele oStrasbourg BNU H. 111 bricht inmitten von nḥm ab. W. Pleyte – F. Rossi, Papyrus de Turin (Leiden 1869), Bd. 1, 170 lesen t’ai: „méchant“, d.h. ḏꜣ.yw: „Widersacher“ (für die Entsprechung der Transkription vgl. etwa E.A.W. Budge, First Steps in Egyptian. A Book for Beginners (London 1895), 320). Gardiner, DZA 50.142.710 transkribiert ḫꜣy, ohne Übersetzungsvorschlag. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 75, Nr. 103 denkt an ḫꜣ.yt: „disease“. Dem folgen B. Mathieu, Hieratische Ostraca, in: Orientalistische Literaturzeitung 95 (3), 2000, 245–256, hier 248 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 68, 128.197 und 165.197 (beide sogar pluralisch: „des maladies“ bzw. „dai mali cattivi“). Hinter dem daran anschließenden Wort, von dem nur das b relativ sicher identifizierbar ist, vermutet Borghouts, ebd., „evil“, d.h. das Adjektiv bjn.t. Dieselbe Vermutung setzt Roccati, ebd. auch in seiner Transliteration um: Er gibt ein b, die Rispe mit Fragezeichen und ein n mit Fragezeichen unter und vor der Zerstörung an. Auf dem aktuellen Turiner Foto sind hinter dem b aber zwei senkrechte Striche zu erkennen (so auch schon W. Pleyte – F. Rossi, Papyrus de Turin (Leiden 1869), Bd. 2, Taf. 131), nicht nur einer, was die Lesung als bjn.t eigentlich ausschließt. Mathieu hat es komplett ausgelassen. pWilbour 47.218.138, x+6,1 scheint die Kleiderbezeichnung tꜣ.w zu bieten (J.-C. Goyon, Le recueil de prophylaxie contre les agressions des animaux venimeux du Musée de Brooklyn. Papyrus Wilbour 47.218.138, Studien zur spätägyptischen Religion 5 (Wiesbaden 2012), 34 und Taf. 6), die aber an dieser Stelle keinen Sinn ergibt, und die Goyon, ebd., 35 mit Anm. 1 daher, sicher zurecht, zur tꜣ.w-Hitze emendiert. Da auf diesem Papyrus der Anfang des Wortes zerstört ist, wären zwar theoretisch auch andere Ergänzungen denkbar – die ggf. ebenfalls zu emendieren wären –, wie etwa die ḥtꜣ.w-Erscheinung, aber eine Hitzeeinwirkung ist vor dem Hintergrund der Skorpionstiche und Schlangenbisse die plausibelste Lösung. Goyon erwähnt an dieser Stelle noch, dass Kákosy auf der magischen Statue Turin 18536, linke Seite, Kol. 9 die Formel ḥkꜣ.w n Ḥr.w r=k: „der Zauber des Horus sei gegen dich“ anfügen würde. Doch gehört diese Passage auf der Turiner Statue an eine andere Stelle, die in pTurin CGT 54051 der Schlussformel in Zeile 2,6 entspricht und in Goyons Text noch ans Ende des anschließenden Paragraphen gesetzt werden müsste; s. L. Kákosy, Egyptian Healing Statues in Three Museums in Italy (Turin, Florence, Naples), Catalogo del Museo Egizio di Torino, serie prima - monumenti e testi 9 (Torino 1999), 163–164. Diese Statue hilft daher nicht bei der Ergänzung der vorliegenden Passage.

4 pWilbour 47.218.138 lässt diesem Satz noch acht weitere, stichisch geschriebene Zeilen mit mdw.t Ḥr.w: „Worten des Horus“ folgen, bevor es mit dem folgenden Text einsetzt, s. Goyon, ebd., 34–35 und Taf. 6.

Recto 2,1–2,8: Schutzamulett gegen Schlangengift

= pWilbour 47.218.138, x+6,10–13; pVatikan 38573 (neu) = 19a (alt) = 36 (alt), B II, 3–4; Stele Cairo JE 47280, 2–4; Metternich-Stele, N II, 5–7, pGeneva MAH 15274, Rto. 6,9; Statue Cairo JE 86115, Sockel, linke Seite; Statuenbasis Turin 18536; Cairo CG 9413 bis; Cairo CG 9430

Recto 2,1-2 auch = oStrasbourg BNU H. 111, pDeM 41

Fortsetzung von Recto 1,1–2,1: Während pTurin CGT 54051 und pTurin CGT 54052 den Beginn rubrizieren, fahren oStrasbourg BNU H. 111 und pDeM 41 ohne gesonderte Hervorhebung fort, als würden sie das als nur einen einzigen Text auffassen.

[Fließe aus]1, Gift!“ – Sieben Mal (zu wiederholen).
„Horus hat dich beschworen, er hat dich bestraft; er hat ⟨dich⟩ bespien.
⟨Du⟩ sollst nicht nach oben aufsteigen, (sondern) nach unten herabtreten.
Du sollst schwach sein (und) nicht stark!
[Elend]2 (und) nicht kämpferisch sollst du sein!
Du sollst blind sein (und) du sollst nicht sehen (können)!
Du sollst mit gesenktem Kopf / umgekehrt laufen (und) dein Gesicht nicht heben (können)!
Du sollst zurückweichen {lassen} (?)3, (und) du sollst deinen Weg nicht finden!
⟨Du⟩ sollst darniederliegen,4 (und) nicht froh sollst du sein!
Du sollst sterben [und nicht leben.]5
Du sollst fehlgehen (und) deinen Blick nicht öffnen (können) durch das, was Horus gesagt hat, der wirksam an Zauberkraft ist! Das Gift, das jubiliert hatte und dessentwegen das Herz der Menge betrübt war, das hat Horus mit seiner Zauberkraft getötet.6 Wer darniederlag, freut sich (jetzt). Steh du auf, o der (du) [Rto. 2,5] (wie tot) daliegst7! Horus hat dich dem Leben überwiesen! Wer als Getragener8 daherkam, kommt jetzt selbst heraus. Horus hat seinen Biss unschädlich gemacht (wörtl.: gefällt).9 Jedermann (wörtl.: jedes Auge), der Re in der Ferne wahrgenommen10 hat, stimmt (dankendes?) Gotteslob an ⟨für⟩ (Horus,) dem Sohn des Osiris!11 Wende dich um, bṯ.w-Schlange12, deren Gift, das in allen Körperteilen von NN, den NN geboren hat, ist, beschworen13 wurde! Siehe, die Zauberkraft des Horus ist siegreich über dich! Fließe aus, Gift! Komm zutage (wörtl.: auf den Boden)!“14 (Diese) Worte sind zu sprechen über einem göttlichen Falken (mit) einer Doppelfederkrone auf seinem Kopf, der aus Tamariske(nholz)15 angefertigt (und) mit Farbe bemalt wurde (?)16, indem er belebt (wörtl.: indem sein Mund geöffnet)17 und ihm Brot und Bier sowie Weihrauch auf der Flamme geopfert wurde, und der vor dem von irgendwelchen „Maulschlangen“18 Gebissenen platziert wurde, als etwas, was du vom Anfang ⟨bis zum⟩ Ende ausgesprochen ha(ben wir)st.
Eine Abwehr des Giftes (ist das), wirklich vortrefflich!19

1 Ergänzung nach den Parallelen, vgl. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 128.197.

2 Zur Ergänzung vgl. die Parallelen, A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 129.200. Nach der Lücke sind eine Rispe, die gekreuzten Striche (Gardiner Sign-list Z9) und der „schlechte Vogel“ erhalten. An der Abbruchkante, direkt vor der Rispe, sind ein senkrechter Strich und in der unteren Hälfte der Rest eines senkrechten Striches erhalten, die wohl zur ersten Rispe gehören (deren leicht diagonaler Querstrich in dem Fall etwas weit links angesetzt gewesen war).

3 Auch die Parallele auf pVatikan 38573 schreibt sḫtḫt, die Stelentexte haben einfaches ḫtḫt. Tatsächlich ist das Simplex einfacher zu übersetzen, und eine intransitive Bedeutung ist für sḫtḫt nicht belegt. Andererseits sollte man den Fakt, dass zwei Texte dezidiert sḫtḫt schreiben, nicht außer Acht lassen.

4 Die exakte Bedeutung von nqm ist unsicher. J. Černý, Papyrus hiératiques de Deir el-Médineh. Tome I. Nos I-XVII, Documents de fouilles de l’Institut français d’archéologie orientale 8 (Le Caire 1978), 6–7, Anm. j will als Bedeutung „être couché inconscient à la suite d’une maladie“ festmachen, s. dazu die Wortdiskussion in der BWL. Darauf geht D. Meeks, Année lexicographique. Égypte ancienne. Tome 2. 1978 (Paris 1981), 78.2254 zurück, der als Bedeutung angibt: „être couché, inconscient (à la suite d’une maladie)“ und damit in zwei Bedeutungen auftrennt. Tatsächlich steht es hier als Antonym zum wnf, einer positiven Eigenschaft des Herzens, was „frohlocken, sich freuen“ o.ä. heißt. In diesem Kontext scheint Černýs Bedeutung nicht ganz zu passen; es wäre verführerisch, hier als Bedeutung „depressiv“ anzusetzen, wenn damit nicht ein bestimmtes Krankheitsbild evoziert werden würde, das nicht zwangsläufig gemeint ist.
5 So pVatikan 38573, A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 131.203.

6 J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 76 übersetzt: „The poison was in joy while the heart of many was afflicted on account of it.“ Aber wenn man wn als Präteritalkonverter betrachtet, der den gesamten Satz in die Vergangenheit setzt, wäre dann nicht wn tꜣ mtw.t ḥꜥi̯.tj zu erwarten? Die hier gewählte Segmentierung folgt Gardiner, DZA 22.002.530.
Lexas Wiedergabe dieses und des nächsten Satzes lässt sich nicht grammatisch erklären: „Hor détruisit à l’aide de ses formules magiques le poison qui poussait des cris de joie et causait du chagrin aux cœurs des foules, et ceux qui étaint affligés se réjouissent.“ (F. Lexa, La magie dans l’Égypte antique de l’Ancien Empire jusqu’à l’époque copte. Bd. 2. Les textes magiques (Paris 1925), 52). Es wäre allenfalls denkbar, dass er tꜣ mtw.t (...) jb n ꜥšꜣ.t als vorangestelltes Objekt (Schenkel’sche Rang-IV-Erweiterung) eines Hauptsatzes smꜣ sw Ḥr.w m ḥkꜣ.y=f interpretierte. Allerdings wäre es in einem solchen Fall nicht möglich, wn.w nqm.w ḥr ršrš als eine einfache Fortsetzung dieses vorangestellten Objekts zu betrachten.

7 nmꜥ meint den Kontexten und dem Klassifikator zufolge „daliegen, schlafen“. Jedoch scheint im vorliegenden Fall noch eine stärkere Nuance mitzuschwingen. In der vorliegenden Passage, in der mit Antonymen gearbeitet wird, bedeutet die Aufhebung des mit nmꜥ bezeichneten Zustandes, dass man am Ende (wieder) lebendig ist, vgl. den folgenden Satz. Laut den Sonnenhymnen der Amarnazeit sind die Menschen nmꜥ, wenn Aton untergeht, und im späten Papyrus des Imhotep, Sohn des Pschentohe (pNew York MMA 35.9.21), 9,1 wird der Zustand des Osiris mit nmꜥ wiedergegeben (s. die Belege im TLA). Diese drei Kontexte deuten darauf hin, dass mit nmꜥ ein todesähnlicher Schlaf gemeint ist.
In der Parallele der vorliegenden Stelle wird auf der Metternichstele das Verb nqm verwendet, das ein krankheitsbedingtes Darniederliegen bezeichnen kann. J. Černý, Papyrus hiératiques de Deir el-Médineh. Tome I. Nos I-XVII, Documents de fouilles de l’Institut français d’archéologie orientale 8 (Le Caire 1978), 6–7, Anm. j geht daher davon aus, dass auch nmꜥ eine ähnliche Bedeutung haben kann.
J.E. Hoch, Semitic Words in Egyptian Texts of the New Kingdom and Third Intermediate Period (Princeton, NJ 1994), 186, Nr. 250 kennt auch ein Nomen nmꜥ.t, das er mit einfachem „sleep“ übersetzt. Er führt dazu eine Stelle aus pDeM I vso. auf, wo steht: wnn=f m nmꜥ.t ꜥꜣ.t mj s mwt.ṱ: „He is in a deep sleep, like a man who is dead.“ Diese Stelle scheint daher zunächst geeignet, für nmꜥ eine Bedeutung als „im Todesschlaf sein“ (eben: in einem Zustand zu sein, der einem toten Mann ähnelt) zu bestätigen. Allerdings ist dieses Substantiv vermutlich ein Ghostword: Es ist genau diese Stelle, die Černý, a.a.O. diskutiert, und in der tatsächlich nqm.t steht. Černý erwägt zwar, es zu nmꜥ.t zu emendieren, nimmt er davon Abstand, weil es das als feminines Substantiv sonst nicht gibt.

8 jwh: Ein seit dem Neuen Reich belegtes Verb, das ganz allgemein „tragen“, „hochheben“ o.ä. zu heißen scheint. Das Objekt ist unspezifisch und kann auch Getreide oder allgemein Gaben bezeichnen. Worin der genaue Unterschied zum Standardverb fꜣi̯ ist, ist unklar. Hier ist es ganz wörtlich zu verstehen und bezieht sich auf den Patienten, der sich nicht ohne fremde Hilfe fortbewegen kann.

9 Die Stele Cairo JdE 47280 bietet offenbar eine Partizipialkonstruktion: sḫr Ḥr.w [ps]ḥ sw: „Horus hat den gefällt/niedergeworfen, der ihn (nämlich den betrübt Darniederliegenden) gebissen hat.“ Die Metternichstele lässt Horus aus dem Spiel und schließt den Satz an den vorigen an: Der Darniederliegende kommt selbst, ḥr sḫr sby.w psḥ: „den bissigen Aufrührer (?) fällend/niederwerfend“.

10 gmḥ ist ein bewusstes Wahrnehmen in der Ferne, vgl. L. Depuydt, Die „Verben des Sehens“. Semantische Grundzüge am Beispiel des Ägyptischen, in: Orientalia 57, 1988, 1–13, hier 12, H. Goedicke, The Protocol of Neferyt (The Prophecy of Neferti) (Baltimore, London 1977), 137, J. Winand, Champ sémantique et structure en égyptien ancien, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 13, 1986, 293–314, hier 301. M. Brose, Das Wurzelerweiterungsaffix im Ägyptischen (und im Afroasiatischen), in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 144 (2), 2017, 149–172, hier 158 vermutet in diesem Verb „die Handlung, die dem Finden (scil. gmi̯, L.P.) vorausgeht“. Wenn allerdings Sethos I. im Millionenjahrhaus Ramses’ I. in Abydos sagt, dass er die Gestalt des Horus erblickt (gmḥ) bei der Suche (ḥr ḥḥi̯) nach dem Leib des Großen Gottes (KRI I, 114.3–4, s. die Bearbeitung von S. Grallert im TLA), dann bezeichnet gmḥ darin nicht die Voraussetzung, sondern die Folge oder zumindest Begleiterscheinung des Suchens.

11 dwꜣ nṯr zꜣ Wsjr: Das Verb könnte hier wörtlich als „preisen“ verstanden werden, oder es könnte die Verbindung dwꜣ nṯr: „jemandem danken” (Wb 5, 428.1–3) vorliegen: Im gegebenen Kontext ist beides möglich und vielleicht sogar beides intendiert: Wen Horus wieder gesund gemacht hat (s. den vorigen Satz) und wer daher das Tageslicht wiedersieht, der wird vermutlich Horus preisen, um ihm zu danken. In beiden Fällen wäre das syntaktische Verhältnis von nṯr zu zꜣ Wsjr zu klären:
(1) Die satzsyntaktisch einfachste Lösung wäre es, zꜣ Wsjr als Apposition zu nṯr aufzufassen: „den Gott, (nämlich) den Sohn des Osiris, preisen“. Semantisch würde sich dabei aber die Frage nach der Funktion des nṯr stellen. Da es unspezifisch ist, würde für diese Aussage dwꜣ zꜣ Wsjr allein genügen. Eine asyndetische Koordination „den Gott und den Sohn des Osiris preisen“ ergibt inhaltlich noch weniger Sinn, weil nicht klar wäre, wer der nṯr ist.
(2) Die Verbindung dwꜣ nṯr kann auch idiomatisch für „Gotteslob anstimmen“ oder einfacher „verehren, preisen“ o.ä. stehen, s. Wb 5, 428.2. In dem Fall ist das nṯr auf semantischer Ebene notwendiger Bestandteil des Idioms und auf syntaktischer Ebene direktes Objekt von dwꜣ. In einer solchen Verbindung steht noch mehr in Zweifel, dass zꜣ Wsjr eine Apposition zu nṯr sein kann, andererseits kann es auch kein zweites direktes Objekt sein, weil Verben mit zwei direkten Objekten „hardly exist in Egyptian“ (A.H. Gardiner, Egyptian Grammar Being an Introduction to the Study of Hieroglyphs, 3rd, rev. edition (Oxford 1957 (Repr. 2001)), § 84). Laut E. Graefe, Bemerkungen zu zwei Titeln der Spätzeit, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 3, 1975, 75–84, hier 78–79 ist in solchen Fällen das vermeintliche nṯr nur ein Klassifikator von dwꜣ, der seinen Ursprung in der häufigen Kollokation dwꜣ nṯr hat. Es wäre daher zu überlegen, ob man in Anlehnung daran in pTurin CGT 54051 lesen könnte: dwꜣNṮR zꜣ Wsjr: „den Sohn des Osiris verehren“. Dagegen spricht jedoch Folgendes: Die von Graefe besprochenen Fälle stammen aus hieroglyphischen Texten, in denen nṯr nur abgekürzt mit Fahnenmast oder allenfalls mit Fahnenmast und Strich geschrieben ist. In pTurin CGT 54051 stehen Fahnenmast und Falke auf Standarte. Zumindest im Demotischen kann diese Gruppe als Klassifikator verwendet werden (P.W. Pestman, Jeux de déterminatifs en démotique, in: Revue d’égyptologie 25, 1973, 21–34, hier 31–32). Aber ob das auch schon im ramessidischen Hieratisch möglich ist und diese Gruppe tatsächlich als hieratisches Pendant zu Graefes hieroglyphischen Beispielen gesehen werden kann, bliebe zu prüfen.
(3) Man könnte erwägen, ob aufgrund des Zeilenwechsel die Präposition n ausgefallen ist und eigentlich dwꜣ nṯr ⟨n⟩ zꜣ Wsjr: „Gotteslob anstimmen ⟨für⟩ den Sohn des Osiris“. Diese Bildung wäre regulär (Wb 5, 428.4 = Graefe, ebd., 78, Bsp. 18), erfordert aber eben einen Eingriff in den Text.
Dieselben drei Möglichkeiten wären zu diskutieren bei der erweiterte Bedeutung dwꜣ nṯr = „danken“. Hierbei wäre Möglichkeit (1) noch unsicherer, weil wie bei (2) zu klären wäre, ob bei der festen Verbindung dwꜣ nṯr = „danken“ das nṯr überhaupt noch durch eine Apposition spezifiziert werden kann; und bezüglich Möglichkeit (2) ist zusätzlich darauf hinzuweisen, dass Graefe die Möglichkeit, dass das vermeintliche nṯr in Wirklichkeit Klassifikator ist, nur für solche Beispiele durchspricht, in denen dwꜣ die Basisbedeutung „preisen, verehren“ besitzt. Ob sie auch für die Bedeutung „danken“ gilt, muss noch geprüft werden. Daher scheint auch für die erweiterte Bedeutung die Möglichkeit (3) die beste Lösung zu sein, denn auch in dem Fall wäre die Bildung mit Präposition regulär (Wb 5, 428.1–3).

12 bṯ.w ist trotz der Schreibung mit t maskulin, wie das Pronomen =k im folgenden Satz zeigt: Wäre bṯ.w in diesem Text feminin, müsste im folgenden Satz mtw.t=t stehen. Die Bezeichnung leitet sich von dem Verb bṯ ab, das seiner Klassifizierung mit laufenden Beinchen und seinen Kontexten nach ein Verb der Bewegung ist. V.a. die medizinischen Texte zeigen, dass es sich um eine gerichtete Bewegung handelt: „weglaufen“ > „meiden“ o.ä. Vgl. das Magenbuch des pEbers, wo in den Rezepten Eb 200a, 205c und 206a von heilbaren Krankheiten gesagt wird: ꜥq r=f m bṯ sw: „Tritt gegen sie an (wörtl.: Dring in sie ein)! Meide sie nicht!“ Neben der lexikalisch wohl von diesem Verb abgeleiteten bṯ.w-Schlange gibt es auch eine bṯ.w-Krankheitserscheinung, die ebenfalls mit der Schlange klassifiziert und vielleicht als schlangengestaltiger Dämon gedacht ist, vgl. H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Erste Hälfte (-r), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.1 (Berlin 1961), 254–255. Die von MedWb gegebene Bedeutung „einer, vor dem man davonläuft“ oder „einer, der man aus dem Weg gehen sollte“ liegt zunächst nahe, ist aber weder als aktives noch als passives Partizip eines Verbs „davonlaufen“ erklärbar.
(1) Die bṯ.w-Schlange kommt im Brooklyner Schlangenpapyrus, § 80b vor, vgl. S. Sauneron, Un traité égyptien d’ophiologie. Papyrus du Brooklyn Museum No. 47.218.48 et .85, Bibliothèque générale 11 (Le Caire 1989), 108–109 und 163. Darin wird deren Sonderform (?) „ohne Ohren“ (jw.tj / nn ꜥnḫ.wj=f) als Synonym für die ḥnp-Schlange genannt. Aufgrund der Erwähnung „unebener“ (nḥꜣ) Augen erwägt Sauneron (ebd., 153 und 163) für ḥnp eine Identifizierung mit Tarbophis obtusus – „mais c’est une simple supposition“. Weiter, als dass sie eine Viperart sein könnte, will sich Sauneron nicht einschränken. Nach § 23 ist diese Schlangenart „komplett weiß“ (daneben gibt es auch noch eine „rote“ Art), und ihr Biss verursacht neuntägiges Fieber. Falls sich der Patient übergibt, kann der Biss auch tödlich sein, aber zunächst empfiehlt der Text zuversichtlich: wḫꜣ n=s ḥmw.t-rʾ: „Versuche daran (deine) Kunst!“ Nach C. Leitz, Die Schlangennamen in den ägyptischen und griechischen Giftbüchern, Akademie der Wissenschaften und der Literatur: Abhandlungen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Klasse 6 (Stuttgart 1997), 42–45 könnte es sich bei dieser Schlange um die Europäische Katzennatter handeln.
(2) Dass die bṯ.w-Krankheit unheilbar ist, wie MedWb angibt, ergibt sich scheinbar aus der Stelle Eb 205a, wo steht: m ꜥq r=f bṯ.w pw. MedWb interpretiert das als Gegenstück zu ꜥq r=f m bṯ sw und gibt die Bedeutung: „gehe nicht gegen sie [sc. die Krankheit] vor, es handelt sich um einen Krankheitsdämonen, vor dem man davonlaufen sollte“. MedWb gesteht aber richtig ein, dass Eb 205a direkt anschließend die Anweisung gibt, dagegen mit wirksamen Mitteln anzutreten; und tatsächlich vermittelt der folgende Text, dass diese Krankheit heilbar ist. Die von MedWb genannte Stelle ist daher für die Bedeutung von bṯ.w problematisch, und andere Übersetzungsmöglichkeiten von Eb 205a sind ebenfalls möglich, vgl. dazu die Diskussion zur Stelle im TLA. Vor diesem Hintergrund wäre erneut zu untersuchen, ob die Stellen in den Fällen 5 und 13 des Gynäkologischen Papyrus Kahun tatsächlich „hoffnungslose“ Fälle sind, oder ob bṯ.w nicht auch dort eine andere, weniger dramatische Bedeutung hat. Allein ausgehend von pEbers und pEdwin Smith, sieht B. Ebbell, Alt-ägyptische Bezeichnungen für Krankheiten und Symptome, Skrifter utgitt av Det Norske Videnskaps-Akademi i Oslo. II. Hist.-Filos. Klasse 1938 (Oslo 1938), 19–20 den schlangenförmigen Klassifikator der bṯ.w-Krankheit als Indikator dafür, dass ein Wurm gemeint sei, und er tippt auf Anchylostomum duodentale (= Ancylostoma duodenale) und bei der von diesem Wurm verursachten Krankheit auf „Ägyptische Chlorose“. Diese Interpretation ist von MedWb zu Recht abgelehnt worden, weil sie nicht zu den beiden Fällen des pKahun passt.

13 šdi̯: Gardiner, DZA 20.477.920 denkt an das Verb „beschwören“ (Wb 4, 564.12–16), J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 76 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 165.207–208 an šdi̯: „herausnehmen; entfernen“ (Wb 4, 561.6–23). Die Klassifizierung mit dem Mann mit Hand am Mund spricht für Gardiners Lösung, kann Borghouts’ und Roccatis Lösung aber nicht gänzlich ausschließen, da es immer wieder zu Interferenzen zwischen beiden Verben gekommen ist und an dieser Stelle vielleicht auch eine Zweideutigkeit geplant gewesen sein könnte.
Syntaktisch entscheidet sich Gardiner („dein Gift wird bezaubert“) für ein passives sḏm=f; oder seine Übersetzung ist eine freiere Wiedergabe eines Adjektivalsatzes, zumal ein passives prospektives sḏm=f eigentlich šdi̯.tw mtw.t=k lauten müsste. Borghouts denkt an einen Imperativ („draw out“), was jegliche Zweideutigkeit von šdi̯ ausschließt und nur das Verb „herausnehmen; entfernen“ zulässt, also gerade das, was streng nach dem Klassifikator geurteilt nicht dasteht. Seine Lösung ist vermutlich beeinflusst durch die Metternichstele, auf der šdi̯=k tꜣ mtw.t=k steht: „Du sollst ... dein Gift!“ (Roccati, ebd., 132.207–208). Roccati entscheidet sich für einen Adjektivalsatz („É tolto il tuo veleno“).
Allen drei gemeinsam ist, dass sie, vermutlich aufgrund der Parallele auf der Metternichstele, mit šdi̯ einen neuen Satz beginnen. Dass hier, abweichend von diesen drei Bearbeitungen, eine Partizipialkonstruktion angeboten wird, ist in der Setzung der Verspunkte begründet, die suggeriert, dass ꜥn tj bṯ(.w) šdi̯.w mtw.t=k enger zusammen gehört. Die Version der Metternichstele steht dem nicht entgegen, sondern könnte eine Reanalyse der Stelle sein.

14 Der Satz ist nachträglich hinter den vorigen in das Interkolumnium geschrieben.

15 Für die vorliegende Stelle mag interessant sein, dass Tb 101 nach pKairo CG 51189 (Totenbuch des Juja) laut seiner Nachschrift über einem Leinenamulett gesprochen werden soll, das mit Tusche aus Tamariskenruß und Myrrhe beschrieben und dem Verstorbenen um den Hals gelegt werden soll.

16 zẖꜣ.w m qdw(.t): Vgl. Wb 5, 81.9: „mit Bildern bemalt (von den Wänden des Grabes u.ä.), bemalt (von einem Sarge u.ä.)“. Die genaue Bedeutung dieser Verbindung in pTurin CGT 54051 ist unsicher. Gardiner, DZA 30.439.530 schlägt vor: „mit einer Zeichnung geschrieben“. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 76 denkt an: „painted in outline“. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 165.211–212 bietet: „(o) disegnato“. Das Verb zẖꜣ.w kann prinzipiell sowohl „schreiben“ als auch „malen“ bedeuten, lässt also keine Entscheidung zu. Die Übersetzung hängt damit an der Bedeutung (1) von qdw(.t) und (2) derjenigen der Präposition:
(1) Das Substantiv qdw.t wird allgemein als „Umrisszeichnung“ verstanden, s. Wb 5, 81.2 (zusammenhängend mit qdi̯: „umgeben“, Wb 5, 78.1–8); und der zẖꜣ.w-qdw.t als „Umrisszeichner, Vorzeichner“. Für diese Bedeutung von qdw.t spricht u.a. der Grabplan von Ramses IV., wo die Verbindung zẖꜣ.w m qdw.t gefolgt wird von ṯꜣi̯ m mḏꜣ.t mḥ m ḏr.ww: „bearbeitet mit dem Meißel, gefüllt mit Farbe“ (etwa DZA 30.439.540). Diese Reihung scheint eine Abfolge von Arbeiten auszudrücken: Vorzeichnen der Umrisslinien, Herausarbeiten der Reliefkanten, Bemalung. Dem vergleichbar, wird in der Erzählung des Sinuhe dessen Grab am Ende von den Steinmetzen eingemessen, von den Vorzeichnern mit Zeichnungen/Inschriften versehen und dann von Bildhauern ausgearbeitet (A.H. Gardiner, Notes on the Story of Sinuhe (Paris 1916), 113–115). Andererseits arbeiten die zẖꜣ.w-qdw.t auch mit Farben (DZA 30.439.710); und wenn auf oPetrie 16 ein Holzsarg zẖꜣ.w m qdw(.t) ist, dann ist vielleicht „bemalt“ gemeint; so auch die Ansicht von Wb 5, 81.9.
(2) Gardiners Interpretation der Stelle ist nicht eindeutig. Ob er „beschrieben“ statt „geschrieben“ meinte? Dann hätte er die Präposition instrumental aufgefasst: „beschrieben mithilfe von Zeichnungen“. Oder meint er „Zeichnung“ hier als biologischen Fachausdruck für die typische Musterung und Färbung eines Tieres, eben die „Zeichnung“, die ein Falke normalerweise hat? Dann wäre das m vielleicht eher komitativ zu verstehen: „geschrieben/gezeichnet (scil.: nicht nur in Umrisslinien, sondern) inklusive der für Falken typischen Musterung“. Auch Borghouts’ Auffassung der Präposition ist nicht ganz klar. Er übersetzt die vorige Anweisung als „made of tamarisk-wood“, geht also von einem dreidimensionalen Objekt aus. Als solches kann es aber unmöglich „im Umriss“ bemalt sein, denn wo sollten diese Umrisse entlanglaufen? Oder meint er mit „outline“ eine „Linienzeichnung“, die natürlich auch auf einem dreidimensionalen Objekt angebracht werden kann? Roccati übersetzt zẖꜣ.w mit „disegnato“, vgl. die oben genannte Verwendung in Bezug auf den Holzsarg. Ob man in diesem Fall die Präposition identifizierend zu verstehen hat: *„aufgezeichnet als Zeichnung“ o.ä.? Da er sich somit darauf festlegt, dass zẖꜣ.w m qdw.t eine zweidimensionale Zeichnung meint, muss er ein „(o)“, d.h. ein „(oder)“, ergänzen: Der Falke soll seiner Interpretation zufolge also entweder dreidimensional aus Tamariskenholz gefertigt oder zweidimensional auf einen Textträger aufgemalt werden.

17 wpi̯ rʾ=f: Sic, es steht : „Mund“, nicht fnḏ: „Nase > Schnabel“, wie J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 76 angibt. Die Parallele pTurin CGT 54052 Recto ist an dieser Stelle zerstört. Während Borghouts in der Konstruktion noch eine weitere Beschreibung der herzustellenden Statuette vermutet und den Satz danach enden lässt, beginnen Gardiner, DZA 25.794.180 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 165.211–212, umgekehrt zu Borghouts, hiermit einen neuen Satz und verbinden sie dadurch mit dem anschließend genannten Opfer. Letzteres wird eher zutreffen, da die Ägypter Falken nicht mit geöffnetem Schnabel abbildeten – im Rundbild noch weniger als im Flachbild – und daher kaum eine Beschreibung der Statuette vorliegt. Man wird den Satz aber wohl auch nicht wörtlich nehmen können, sondern als Anspielung auf das Mundöffnungsritual, das auch Speise- und Weihrauchopfer einschließt. Daher wird hier in der wörtlichen Übersetzung auch mit „Mund“ und nicht dem anatomisch korrekteren „Schnabel“ wiedergegeben.

18 „Maulschlange“ ist nur ein Versuch, die ägyptische Bezeichnung zu übersetzen. Im Brooklyner Schlangentext kommt jedenfalls keine -Schlange vor, nur eine rʾ-bḏḏ-Schlange, die aber aufgrund der Zerstörungen der Stelle nicht identifiziert werden kann, s. C. Leitz, Die Schlangennamen in den ägyptischen und griechischen Giftbüchern, Akademie der Wissenschaften und der Literatur: Abhandlungen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Klasse 6 (Stuttgart 1997), 139. Es liegt vielleicht nur eine poetische Bezeichnung und statt eines taxonomischen Terminus technicus vor.

19 Ein kleiner Zeichenrest am Rand der anschließenden Lücke könnte der Rest eines Verspunktes sein.

Recto 2,8–11: Begleitspruch zur Herstellung eines Knotenamuletts gegen Skorpiongift

Spruch [zum]1 Verknoten, Binden und Abhalten eines Giftes: „So, wie die Binde gebunden wurde, so wurde das Gift umkleidet(?). So, wie der Knoten geknotet wurde, so wurde das Gift abgehalten. Mit seiner Zauberkraft hat Horus es (d.h. das Gift) vertrieben. Fließe aus, Gift! Komm zutage (wörtl.: auf den Boden), ohne in irgendwelchen Körperteilen von NN, [Rto. 2,10] den NN geboren hat, zu kreisen!2 Siehe, Horus umgibt ihn als Schutz des Lebens (wörtl.: Siehe, Horus ist der Schutz des Lebens hinter ihm / um ihn herum)! Seine Worte sind wirksam und stark in mir3. (O) mt.w-Stränge meines Körpers, wenn eure Münd(ungen) aufgehen, sollt ihr den unheilvollen Ausfluss (oder: den Ausfluss des dḥr.t-Krankheitsphänomens)4 nicht empfangen, der aus dem Mund des Skorpionfeindes5 des Horus, kommt! (O) Gift, komm zutage (wörtl.: auf den Boden)! Fließe aus, Skorpiongift!“ Dieser Spruch soll beim Verknoten der Binden gesprochen werden.

1 Ergänzung nach der Parallele pTurin CGT 54052 Recto, vgl. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 133.213. Das Wort ist in der Parallele aus unbekanntem Grund mit der Heuschrecke, Gardiner Sign-list L4, geschrieben, die in enigmatischen Texten und später in ptolemäischen Texten den Lautwert r haben kann, s. H. Grapow, Studien zu den thebanischen Königsgräbern, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 72, 1936, 12–39, hier 24 und D. Kurth, Einführung ins Ptolemäische. Eine Grammatik mit Zeichenliste und Übungsstücken. Teil 1 (Hützel 2007), 298, Nr. 10.11 und 300, Anm. 43. In pTurin CGT 54051 wird vermutlich regulär mit dem Mund geschrieben gewesen sein, denn in pTurin CGT 54052 nimmt die Gruppe rʾ n fast zwei Schreibquadrate ein, und obwohl für pTurin CGT 54051 ein Vergleichsmaßstab fehlt und unklar ist, wie breit dessen Schreiber die Heuschrecke geschrieben hätte, spricht die geringe Größe der Lücke eher für die reguläre Schreibung. In jedem Falle ist am Rand der Lücke vor ṯs noch ein kleiner Zeichenrest am unteren Zeilenrand erhalten, der zum Logogrammstrich passen würde.

2 Die Parallele oDeM 1046, Recto 5–8 erweitert die Passage zu: šp mtw.t mj ḥr tꜣ nn pḫpḫ tꜣ mtw.t mj ḥr tꜣ nn ptpt m ꜥ.wt nb(.t) n mn msi̯ mn[.t]: „Fließe aus, Gift! Komm heraus auf den Boden, ohne umherzukreisen! O Gift, komm heraus auf den Boden, ohne zu ... (?) in irgendwelchen Körperteilen von NN, den NN geboren hat!“ (NB: Die Bedeutung von ptpt ist unklar: Es ist mit der Feuerpfanne, Gardiner Sign-list Q7, klassifiziert und daher nicht ptpt: „niedertreten“, Wb 1, 563.9–16, vgl. Website IFAO.)

3 jm=j: Vgl. Gardiner, DZA 50.142.740, der in dem Suffixpronomen zunächst eine sitzende Frau ohne diakritischen Punkt vermutet, es dann aber mit Verweis auf „Zettel 10“ (= ebd., weiter unten) als jm=j: „in mir“ belassen will. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 165.218 geht von der sitzenden Frau aus: „di te“. Die Parallele pChester Beatty XI, Rto. 1,1, die an dieser Stelle einsetzt, scheint contra Roccati, ebd., 134.218 eher einen sitzenden Mann zu haben; es wäre am Original zu prüfen, ob der schwarze Tintenrest an der Abbruchkante darüber ein etwas verrutschter diakritischer Punkt ist oder nicht eher zu dem m gehört und nur durch eine abgeplatzte Faser wie ein eigenes Zeichen wirkt. Für beides ließe sich eine Erklärung finden:
(a) Bleibt man bei dem sitzenden Mann, liegt entweder ein Instrumentalis („durch mich“) vor – dann würde der Magier von sich selbst in der 1. Person Sg. sprechen, der stellvertretend für Horus die Beschwörung durchführt – oder eine Lokalbestimmung („in mir“) – auch dann könnte sich das Pronomen auf den Magier beziehen, der die Worte des Horus quasi aufnimmt, um sie anzuwenden, oder auf den Patienten, in dem sie letztendlich wirksam werden. Das Letztere ist zunächst ungewöhnlich, weil damit der Patient selbst zur Rede kommt, und das, nachdem der Satz zuvor noch mit der 3. Person Sg. auf ihn Bezug nimmt. Jedoch spricht auch der folgende Satz für diese Lösung.
(b) Liest man die sitzende Frau, würde ein Suffixpronomen der 2. Person Sg. feminin vorliegen. Dann wäre das Gift angesprochen, in dem die Worte des Horus letztendlich Wirkung zeitigen. In dem Fall wäre zu überlegen, ob eine Anspielung auf die juristische Bedeutung von mdwi̯ im Sinne von „prozessieren“ vorliegt (mdl. Mitteilung Fischer-Elfert). Jedoch meint die Kollokation mdwi̯ m eher „litigate about“, während das hier eher zu erwartende „litigate against“ eher mdwi̯ m-dj oder – unsicher – mdwi̯ jrm lautet, vgl. A.G. McDowell, Jurisdiction in the Workmen’s Community of Deir el-Medîna, Egyptologische Uitgaven 5 (Leiden 1990), 20–21.

4 rḏw n{.t} dḥrj: Das Substantiv dḥr ist hier mit dem „schlechten Paket“ und dem „schlechten Vogel“ klassifiziert. Im Wb ist diese Schreibung dem Lemma dḥr.t: „Bitternis“, Wb 5, 483.5–10, zugeordnet (DZA 31.448.940), dem auch das dḥr.t-Phänomen der medizinischen Texte zugeordnet wurde. Unklar ist, ob man in dem Beleg von pTurin CGT 54051 Recto denselben medizinischen Terminus vermuten kann – in dem Fall würde die Stelle den, oder zumindest einen möglichen, Verursacher dieses Phänomens aufzeigen –, oder ob hier die allgemeine Bedeutung „Böses, Unheil“ vorliegt, was man syntaktisch dann am ehesten als Genitivus qualitatis auffassen könnte.

5 ḫrw.y ist hier mit einem Skorpion klassifiziert. Da es keine solche Bezeichnung für den Skorpion als Tier gibt und auch der Konstruktion nach das normale Wort für „Feind“ vorliegt (vgl. Wb 3, 325.21), wird man in der Klassifizierung am ehesten einen sogenannten Referentenklassifikator im Sinne von E.-S. Lincke – F. Kammerzell, Egyptian Classifiers at the Interface of Lexical Semantics and Pragmatics, in: J. Winand – S. Polis – E. Grossman (Hrsg.), Lexical Semantics in Ancient Egyptian, Lingua Aegyptia, Studia Monographica 9 (Hamburg 2012), 55–112, hier 91–95 sehen können: Der Spruch ist gegen den „Feind“ des Horus gerichtet, der sich in diesem Fall konkret in einem Skorpion manifestiert.

Recto 2,11–5,5: Spruch gegen Skorpiongift mit Legende von Isis und Re

Übersetzung: Katharina Stegbauer; Kommentare: Lutz Popko

Überschrift

Sprüche zur Abwehr des Giftes vom Uranfang, die gegen es entstanden sind, die seine Natur kennen,1 denn wirkmächtig ist der Gott, in dem es ist (und) aus dem es hervorging: Rezitation durch Selqet:
Ein Spruch für den göttlichsten Gott (oder: Ein Spruch des göttlichsten Gottes), der aus sich selbst entstand, den Schöpfer des Himmels und der Erde, von Wasser und Atem des Lebensfeuers, von Göttern und Menschen, Klein- und Großvieh (oder: von Wild- und Haustieren?), von Gewürm2, Geflügel und Fischen.3

1 rḫ m qmꜣ=st: Nach rḫ scheint ein Verspunkt gestanden zu haben, den der Schreiber anscheinend nachträglich zu tilgen versucht hat. Vgl. dazu Gardiner, DZA 50.142.750 und Papyrusdatenbank Turin.

2 ḏdf.t als Oberbegriff für „Gewürm“ findet sich auch im Großen Sonnenhymnus von Amarna. Im Hymnus des pBoulaq 17 wird diese Position mehr oder weniger vom noch immer nicht identifizierten ꜥpnn.t-Tier vertreten (vgl. M.M. Luiselli, Der Amun-Re Hymnus des P. Boulaq 17 (P. Kairo CG 58038), Kleine ägyptische Texte 14 (Wiesbaden 2004), 24); im Schöpfungshymnus von Hibis vom ḥrr.t-Gewürm (D. Klotz, Adoration of the Ram. Five Hymns to Amun-Re from Hibis Temple, Yale Egyptological Studies 6 (New Haven, CT, London 2006), 149–150 und 297, Taf. 9). Der Brooklyner Schlangenpapyrus fasst die aufgelisteten Schlangen (+ das darunter mit eingeschlossene Chamäleon) in Zeile 2,16 unter dem Begriff ḥfꜣ.w zusammen. Im Tebtynis-Onomastikon ist die Überschrift der entsprechenden Tierkategorie leider zerstört.
NB: A.H. Gardiner, Ancient Egyptian Onomastica. Vol. II (Oxford 1947), 69*, Anm. 1 überlegt angesichts des häufigen Vorkommens des Konsonanten f in Schlangennamen, ob dies ein onomatopoetisches Element ist und ob ḏdf.t eine substantivierte Partizipialphrase gewesen sein könnte: „which says fff“, gibt aber zu, dass das sehr spekulativ sei. J. Osing, Die Nominalbildung des Ägyptischen, Sonderschrift, Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Kairo 3 (Mainz 1976), 138 leitet die Bezeichnung dagegen von dem Verb ḏdf: „sich sträuben, schaudern“ (Wb 5, 634.4-6) her. Als möglichen Benennungsgrund erwägt K. Stegbauer, Magie als Waffe gegen Schlangen in der ägyptischen Bronzezeit (Borsdorf 2015 [= 2. Auflage 2019]), 93-94: (1) die Art der Fortbewegung (d.h. ähnlich wie bei ḥfꜣ.w, dem „Kriechtier“(?)), (2) die Möglichkeit, dass das Gift dieser Tiere u.a. ein Zittern hervorrufen kann, (3) die möglicherweise durch den Anblick des Tieres allein hervorgerufene, wohl angeborene, Angst, oder (4) eine Kombination aus den drei vorherigen Gründen.

3 Die generelle Hierarchisierung der Tierwelt und damit die Reihenfolge in derartigen Aufzählungen scheint nicht kanonisiert gewesen zu sein, abgesehen von der Reihenfolge in der Opferformel, in der stets die Reihenfolge #Rinder und Vögel# vorherrscht. Der Große Sonnenhymnus aus Amarna im Grab des Eje nennt in Zeile 4–6 zuerst „jedes Raub-/Wildtier“ (? vielleicht eher so als „jeder Löwe“; jedenfalls hat mꜣj auch im Tebtynis-Onomastikon die generische Bedeutung „Raubtier“, vgl. J. Osing, The Carlsberg Papyri 2. Hieratische Papyri aus Tebtunis I, CNI Publications 17 (Copenhagen 1998), 121), dann die ḏdf.t-Kriechtiere, die Menschen, das jꜣw.t-Vieh, Pflanzen, Vögel, ꜥw.t-Vieh, „Flugtiere“ (pꜣy.t-ḫnn.t: „was auffliegt und landet“) und Fische. Im pBoulaq 17, 6,3–7 ist Amun-Re derjenige, der die Pflanzen schafft und Tiere belebt (oder die Pflanzen, die die Tiere leben lassen?); das, wovon die Fische leben; die Vögel; Nachwuchs der (wurmartigen?) ꜥpnn.t-Tiere; das, wovon Mücken, Würmer und Flöhe leben; den Bedarf der Mäuse; die Vögel (vgl. M.M. Luiselli, Der Amun-Re Hymnus des P. Boulaq 17 (P. Kairo CG 58038), Kleine ägyptische Texte 14 (Wiesbaden 2004), 23–24). Im Schöpfungshymnus aus Hibis, Kol. 15–16 werden ꜥw.t und mnmn.t, Vögel, Fische und ḥrr(.t)-Gewürm/Schlangen genannt (D. Klotz, Adoration of the Ram. Five Hymns to Amun-Re from Hibis Temple, Yale Egyptological Studies 6 (New Haven, CT, London 2006), 149–150 und 297, Taf. 9).
Auch lexikographische Listen sind in diesem Punkt wenig einheitlich: Das nur in Fragmenten erhaltene Ramesseumsonomastikon aus dem Mittleren Reich listet in dem Abschnitt zu Tieren zunächst Vögel, dann Fische, dann erneut Vögel auf, und dann erst – einige wenige – „Säugetiere“ im weitesten Sinne, vgl. A.H. Gardiner, Ancient Egyptian Onomastica. Vol. III (Oxford 1947), Taf. 1–2. Das übergeordnete Ordnungsprinzip ist, nicht zuletzt aufgrund des fehlenden Anfangs, unklar; bezüglich des Abschnitts von Pflanzen und Mineralien vermutet T. Pommerening, Heilkundliche Texte aus dem Alten Ägypten: Vorschläge zur Kommentierung und Übersetzung, in: A. Imhausen – T. Pommerening (Hrsg.), Translating Writings of Early Scholars in the Ancient Near East, Egypt, Greece and Rome. Methodological Aspects with Examples, Beiträge zur Altertumskunde 344 (Berlin, Boston 2016), 175–279, hier 157–158, dass sie eine Liste von [Heilmitteln aus Unterägypten] darstellen könnte. Auch die „Fragments of another similar papyrus?“ (Gardiner, ebd., Taf. 21) könnten u.U. erst Vögel und dann „Säugetiere“ genannt haben, sofern die Anordnung der Fragmente in der Publikation nicht nur von derjenigen des Ramesseumsonomastikons inspiriert ist; hier bliebe es am – aktuell nicht lokalisierbaren – Original zu prüfen, ob es für diese Anordnung der Fragmente auch interne Kriterien, allem voran in Form der Faserstruktur des Papyrus, gibt.
Das Onomastikon des Amenemope enthält keine Auflistung von Tieren. Aber es endet abrupt und könnte daher Tiere im hinteren, heute nicht überlieferten Teil genannt haben: Die Ordnungs- und Auswahlkriterien bedürfen noch weiterer Studien. Gardiner konnte ein „arrangement from highest to lowest“ sowie „from general to particular“ ausmachen; die Städte Ägyptens sind von Süden nach Norden geordnet (s. A.H. Gardiner, Ancient Egyptian Onomastica. Vol. I (Oxford 1947), 38); die Körperteile sind ferner, wenn auch nicht ausschließlich, a capite ad calcem sortiert. Speziell bezüglich der „Berufsbezeichnungen“ kann P. Grandet, The „Chapter on Hierarchy“ in Amenope's Onomasticon (# 67–125), in: S. Kubisch – U. Rummel (Hrsg.), The Ramesside Period in Egypt. Studies into Cultural and Historical Processes of the 19th and 20th Dynasties, Sonderschrift, Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Kairo 41 (Berlin, Boston 2018), 127–137, hier 129 auch eine „progression by level“ sowie eine „functional multiplicity“ ausmachen, d.h. dass innerhalb der Hierarchie auch gelegentlich Personen „of equivalent level of seniority“ nebeneinander genannt werden, statt in jedem Teilbereich der Verwaltung zunächst die Hierarchie von oben nach unten zu verfolgen, sowie dass ein Amt mehrfach genannt werden kann, wenn es mehrfache Funktionen hat. Als Auswahlprinzip stellt Grandet ferner ein Prinzip der „elliptic(al) enumeration“ fest, demzufolge pars pro toto ein Einzeltitel für eine ganze Gruppe von Trägern dieses Titels stehen kann (wie der „Königssohn“ für alle königlichen Nachkommen) (Grandet, ebd., 128). Über diese von Gardiner und Grandet gemachten Beobachtungen hinaus lässt sich auch die Struktur nach Assoziationsketten feststellen: Das Onomastikon des Amenemope beginnt mit Bezeichnungen für Himmel, Erde, Gewässer u.ä., geht über zu Berufen, hierarchischen Ordnungen und Personengruppen. Dann kommen die Städte Ägyptens, gefolgt von Bezeichnungen für verschiedene Typen von Land, und diese wiederum gefolgt von landwirtschaftlichen Produkten, Getränken und Fleischstücken, bevor sie endet. Das Onomastikon beginnt also mit Elementen des Kosmos und der Natur, geht über zum Menschen, der ja Teil dieses Kosmos ist und gleichzeitig eine Scharnierfunktion zur „Kultur“ ist, fährt fort mit kulturell, gesellschaftlich und politisch definierten Entitäten, nämlich verschiedenen Personengruppen (darin eingebettet ist die Liste mit Völkern, die auffälligerweise etwa nach Truppenbefehlshabern, Infanterie und der Streitwagentruppe (Nr. 234–237) mit verschiedenen libyschen Gruppen (Nr. 238–241) beginnt, was sich wohl über die Anwesenheit von Libyern im ägyptischen Heer dieser Zeit begründet und damit ebenfalls über eine Assoziationskette eingebunden war); als Manifestation von Kultur und Gesellschaft schließen sich die Städte Ägyptens an, auf die dann Typen von Land folgen sowie deren Erzeugnisse. Es wäre daher denkbar, dass über eine weitere Assoziationskette an die Fleischstücke ursprünglich eine Auflistung von Tierarten angeschlossen war, die aber nicht mehr aufgeschrieben wurde.
Im Tebtynis-Onomastikon gibt es die Gruppen Vierfüßler der Kategorie [hide and tail], Krokodile, Schlangen + Würmer, Ungeziefer (wörtl.: „Was vom Himmel in die Pflanzen fällt“), Vögel, Fische, Schildkröten, J. Osing, The Carlsberg Papyri 2. Hieratische Papyri aus Tebtunis I, CNI Publications 17 (Copenhagen 1998), 121–140. In den mittelalterlichen koptischen Scalae gibt es u.a. die Reihenfolgen: Säugetiere (wild und domestiziert), Vögel, Fische + andere im Wasser lebende Tiere, Reptilien + Insekten; oder: Vögel, Säugetiere (wild + domestiziert), Reptilien + Insekten sowie (getrennt durch Flora und Mineralien) Fische; oder, verteilt über verschiedene lexikologische Gruppen: Vögel, Fische, Reptilien + Insekten; oder: im Wasser lebende Tiere, Säugetiere (wild + domestiziert), Vögel, Reptilien, Insekten + Amphibien; vgl. A. Sidarus, Les lexiques onomasiologiques gréco-copto-arabes du Moyen Âge et leurs origines anciennes, in: M. Görg – R. Schulz (Hrsg.), Lingua restituta Orientalis. Festgabe für Julius Assfalg, Ägypten und Altes Testament 20 (Wiesbaden 1990), 348–359, hier 313–352, A.F. Khouzam, La langue Égyptienne au moyen âge. Le manuscrit Copte 44 de Paris de la Bibliothèque Nationale de France. Vol. IIa. Folios 47v–86v. Répertoires et Annexes (Paris 2006), 30–42.

1. Strophe

Die Herrschaft1 über Götter und Menschen war eine Einheit2 für einen Zeitraum von ⟨vielen⟩3 Jahren. Der mit vielen Namen: Es gibt keinen, der jenen kennt, es gibt keinen, der diesen kennt.4 Nun aber war Isis eine Frau von Verstand, ihr Herz war listiger als Millionen von Menschen, [Rto. 3,1] ihre Sprüche gewählter als Millionen von Göttern, berechnender war sie als Millionen von Geistern. (Für sie) gab es nichts, was sie nicht wusste über Himmel und Erde wie (für) Re, der den Bedarf der Erde schafft. Die Göttin, sie sann in ihrem Herzen nach, um den Namen des edlen Gottes herauszufinden. Nun trat Re jeden Tag an der Spitze der Mannschaft ein, wenn sie auf dem Thron der beiden Horizonte verweilte. Pause.

1 J.A. Wilson, Egyptian Myths, Tales and Mortuary Texts, in: J.B. Pritchard (Hrsg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, 2nd ed. (Princeton, NJ 1955), 3–36, hier 12 liest nsw: „König“ statt nsw.yt und sieht hierin und in den folgenden syntaktischen Einheiten weitere Epitheta des Re: „the king of men and gods at one time, (for whom) the limits (go) beyond years, abounding in names, unkown to that (god) and unknown to this (god)“ („(for whom) the limits (go) beyond years“ kennzeichnet er als unsicher, vgl. Einleitung von ANET, S.  XVI).

2 nsw.yt r(m)ṯ.w nṯr.w m (j)ḫ.t wꜥ.t: Dieselbe Wortfolge steht am Beginn des Buches von der Himmelskuh (Version Sethos’ I.): [ḫpr swt wbn Rꜥ] nṯr ḫpr-ḏ{d}⟨s⟩=f m-ḫt wnn=f m nsw.yt r(m)ṯ.w nṯr.w m (j)ḫ,t {wꜥ.tj} ⟨wꜥ.t⟩, E. Hornung, Der ägyptische Mythos von der Himmelskuh. Eine Ätiologie des Unvollkommenen, Orbis Biblicus et Orientalis 46 (Freiburg Schweiz, Göttingen 1982), 1.

3 ꜥšꜣ.wt: Ergänzung nach den Parallelen, vgl. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 136.224–225. pChester Beatty IX und oPetrie 7 scheinen trotz partieller Zerstörungen und eines tlw. abweichenden Wortlautes für die Ergänzung eines ꜥšꜣ.wt zu sprechen; und dafür spricht nicht zuletzt auch der semantische Kotext.

4 Auf oDeM 1263 beginnt dieser Satz mit: nn rḫ=tw rn=f jw=f jri̯=f ḫpr.w ꜥšꜣ.w jw=f nḫb [rn.w rꜥ-nb] m ꜥšꜣ rn.w (Ergänzung der Lücke nach pChester Beatty IX, s. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 136.225 und J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 51): „Man kannte seinen Namen nicht. Er konnte viele Formen annehmen, wobei er [täglich 〈seine〉 Namen] festlegte als einer mit vielen Namen.“ Die Abweichung von pTurin CGT 54051 lässt sich möglicherweise als Aberratio oculi erklären.

2. Strophe

Der göttliche Greis, ihm sabberte1 der Mund und er vergoss seinen Glutspeichel(?)2 zur Erde, ⟨er⟩ spuckte ihn aus, indem er auf den Erdboden triefte. Mit ihrer Hand wischte Isis ihn auf, zusammen mit der Erde, die an ihr war. Zu einem edlen Gifttier formte sie ihn. Nach Art einer Nadel(?)3 machte sie ⟨es⟩. Es bewegte sich nicht, obwohl es bei ihrem Anblick lebendig wurde, als sie ⟨es auf⟩ eine Kreuzung (?; wörtl.: eine Vereinigung des Weges(?))4 warf, die der große Gott passieren musste, so dass sein Herz verweilen konnte in seinen [Rto. 3,5] beiden Ländern. Pause.

1 nw: Nur hier belegt; die Bedeutung ist aus dem Kontext erraten. Wb 2, 220.4 schreibt: „vgl. nw[A17A]“, womit wohl das ebenfalls nur von einer Stelle, aus der Erzählung des Sinuhe, bekannte nw: „schwach sein“ o.ä. (als Zustand der Arme), Wb 2, 217.13 gemeint ist.

2 nbj(.t): Die Bedeutung „Speichel“ o.ä. ergibt sich aus dem Kontext: Es kommt wohl aus dem Mund des Gottes, und er spuckt es auf die Erde. Wb 2, 244.16 nennt nur diesen einen Beleg; der einzige Beleg für das scheinbar zur selben Wortfamilie gehörende Verb nbi̯, Wb 2, 244.15, beruht auf einer Fehllesung und ist daher zu streichen, s. H. Junker – E. Winter, Philä-Publikation II. Das Geburtshaus des Tempels der Isis in Philä. Mit Zeichnungen von Dr. Otto Daum, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Denkschriften der Philosophisch-Historischen Klasse. Denkschriften - Sonderband (Graz 1965), 207, Anm. 7 zu Zeile 19. Damit ist nbj(.t) ein Hapax legomenon, ist aber vielleicht auch keines: Es dürfte sich wohl eher nur um eine Sonderbedeutung von nbj.t: „Flamme“, Wb 2, 244.11–13, handeln. Denn das Wortende wirkt zunächst, als stünde der spuckende Mund, Gardiner Sign-list D26, über Pluralstrichen(?), gefolgt von einem n(?) über dem anschließenden Suffixpronomen. So haben jedenfalls Gardiner, DZA 50.142.760, J. Černý, Notebook. MSS 17.153 (unpubliziert), und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 69 die hieratische Gruppe transliteriert. Allerdings hat schon Gardiner vermutet, dass eine Verschreibung vorliegen könnte; er gibt eine hieratische Alternative, die aus dem vermeintlichen n ursprüngliche Pluralstriche und aus dem scheinbaren Mund über Pluralstrichen Mund über t macht – vielleicht, denn er gibt keine Hieroglyphen. Jedenfalls erhält er so ein feminines nbj.t, das die Antwort auf die von ihm selbst gestellte Frage wäre, wieso im Folgenden mit femininen Personalpronomina darauf Bezug genommen würde. Trotz der Zweifel an der exakten Transliteration des Hieratischen fand das Wort als maskulines nbj (nur mit spuckendem Mund unter Weglassung der zweifelhaften Hieratogramme klassifiziert!) Einzug in Wb 2, 244.16. Tatsächlich fragt sich, ob man nicht Gardiner folgen und eine Verschreibung des Klassifikators (Determinativ_pTurin_CGT_54051__rto._3_3.png) annehmen sollte – aber nicht etwa aus spuckendem Mund über t, weil dann die Endung unter = hinter dem Klassifikator stünde, sondern aus der hieratischen Feuerpfanne, die der fraglichen Zeichengruppe sehr ähnlich sein kann, vgl. die fast identische hieratische Form dieses Klassifikators in ḫ.t: „Feuer“ am Ende von Zeile 3,5 (Determinativ_pTurin_CGT_54051__rto._3_5.png). Schreibungen von nbj.t ohne t sind belegt und haben sogar zur Aufnahme eines separaten maskulinen Wortes nbj in Wb 2, 244.7–9 geführt, von dem laut Wb 2, 244,11–13 einige Belege wohl nur für nbj(.t) stehen. Was hier aus Res Mund tropft, ist also nicht normaler Speichel, sondern Feuer. Das heißt, der Speichel des Re besitzt einen geradezu lavaartigen Charakter.
Zu Feuer im Mund vgl. auch die Epitheta nbj-m-rʾ=f (C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. IV. nbt-h, Orientalia Lovaniensia Analecta 113 (Leuven 2002), 194a als Bezeichnung einer Schlange (Hinweis S. Schweitzer) und nbj.t-m-rʾ=s (195c-196a) als Bezeichnung des Giftes (= A. Klasens, A Magical Statue Base (Socle Béhague) in the Museum of Antiquities at Leiden, in: Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 33, 1952, i-xi, 1-112, hier 43 und 61, Zeile h 27, vgl. auch die nbj.t m rʾ=j: „Flamme in meinem Mund“, Zeile h 2, Klasens, a.a.O., 40 und 60; im Kommentar auf S. 103 verweist Klasens dafür auf die feuerspuckende Schlange im Amduat, 12. Stunde sowie den Verweis auf das Gift durch nbj(.t) n rʾ im vorliegenden Papyrus, Zeile 4,14-5,1, s. den Kommentar dort).
Die Parallele pChester Beatty IX ist an dieser Stelle zerstört, so dass sich diese Hypothese nicht an ihr prüfen lässt.

3 ḥty(.t): Bedeutung unsicher. (1) Gardiner, DZA 50.142.760 vermutete hierin das Wort für „Kehle“, konnte dem Satz dann aber keinen rechten Sinn abgewinnen: „Sie machte sie in der Form einer Kehle (so?)“. Trotzdem folgt dem A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 165.231–232: „(...), e fece la forma della gola“. (2) Wb 3, 181.16 nimmt die Stelle zwar unter dem Lemma ḥty.t: „Kehle“ auf, vergleicht es aber mit koptisch ϩⲧⲏ: „Lanze“ und versieht den Turiner Beleg mit der Bemerkung „von einem spitzen Gegenstand (Nadel?)“. Dieser Zusammenhang findet sich auch bei W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 2. Auflage (Heidelberg 2008), 393 und W. Vycichl, Dictionnaire étymologique de la langue copte (Leuven 1983), 315. Auf dieser Gleichung basiert auch die Übersetzung von J.A. Wilson, Egyptian Myths, Tales and Mortuary Texts, in: J.B. Pritchard (Hrsg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, 2nd ed. (Princeton, NJ 1955), 3–36, hier 13: „she made it in the form of a sharp point“ („sharp point“ durch die Kursivierung als unsicher markiert, s. ANET XVI) und J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 52: „(...) and gave it a pointed shape (ḥty)“. (3) Auf DZA 27.430.750 findet sich die Idee, qꜣj als Fehler für gꜣw zu verstehen, d.h. wohl gꜣw ḥty.t zu lesen, vgl. Wb 5, 151.8–12. Das passt allerdings nicht, da diese Konstruktion eine Limitation wäre („eng an Kehle“); das „edle Gewürm“ soll aber nicht eng an Kehle, d.h. in (Atem)not sein, sondern diese höchstens verursachen.

4 ⟨ḥr⟩ zmꜣ.w wꜣ.t: So nach dem Hieratischen zu lesen. Die Parallele hat ḥr zmꜣ.tj: „auf den Weg“, A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 137.232–233.

3. Strophe

Der edle Gott, er erschien draußen, mit den Göttern aus dem Palast, er lebe, sei heil und gesund, hinter ihm, und erging sich wie jeden Tag, als es ⟨ihn⟩ stach,1 das edle Gifttier, das lebende Feuer, das aus ihm selbst hervorgekommen war, wobei es ⟨ihn⟩ zwischen (?) den Koniferen stach2. Der göttlichste Gott, er öffnete seinen Mund, und die Stimme seiner Majestät, er lebe, sei heil und gesund, erreichte den Himmel.
Seine Neunheit sagte: „Was ist das, was ist das?“ Seine Götter riefen: „Wer, wer?“
Er (aber) fand keine Worte, um darauf zu antworten. Was seine Lippen angeht: ⟨Sie⟩ zitterten, alle seine Glieder bebten! Das Gift, es ergriff seinen Körper, wie die Flut um sich greift! Pause.

1 ḫwn=st ⟨sw⟩: Ob wnḫ alternativ auch intransitiv aufgefasst werden könnte: „es stieß zu, das edle Gifttier“? Dann hätte man eine Emendation weniger.

2 dr: Gegen Gardiners explizite Bemerkung „nicht dr!“ (DZA 50.142.770) sieht das Hieratische auf dem aktuellen Turiner Foto doch ein wenig wie dr aus; dem dn, das er mit Verweis auf „[Pleyte/Rossi] 133,2“ = Recto 4,2 nennt, kann er weder hier noch dort (DZA 50.142.820) einen Sinn abgewinnen. Später sind diese beiden Stellen jedoch als Belege für dn: „abschneiden, verstümmeln, töten“ (Wb 5, 463.7–11) abgelegt worden (DZA 31.422.500 und DZA 31.422.510, beide unter der Reiterkarte „Verschiedenes“). J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 52 erwägt: „it (even) raged (? dn)“. Hat er an dasselbe Verb gedacht und es nur freier übersetzt? J.A. Wilson, Egyptian Myths, Tales and Mortuary Texts, in: J.B. Pritchard (Hrsg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, 2nd ed. (Princeton, NJ 1955), 3–36, hier 13 vermutet: „it vanished among the grass (durch die Kursivierung als unsicher markiert, ANET, XVI), schreibt aber in Anm. 2, dass der Teilsatz vermutlich korrupt sei. Es sei darauf hingewiesen, dass dr mit reflexivem Pronomen auch „sich entfernen“ bedeuten kann, Wb 5, 473.4–7. J. Černý, Notebook. MSS 17.153 (unpubliziert), transliteriert rn, aber es gibt kein Wort rn, das an dieser Stelle passen könnte.

4. Strophe

Der große Gott, er riss sich zusammen und rief nach seinem Gefolge: „Kommt doch zu mir, die aus meinem Leib entstanden sind, Götter, die aus mir hervorgingen! Lasst mich euch sein Wesen zu erkennen geben, denn mich hat etwas Schmerzhaftes gestochen! Mein Herz erkannte es ⟨nicht⟩, meine Augen sahen es nicht, meine Hand erschuf es nicht! ⟨Ich⟩ erkenne es nicht wieder in dem, was auch immer ich geschaffen habe.1 Ich kann keinen damit vergleichbaren Schmerz empfinden! Es gibt nichts Schmerzhafteres [Rto. 3,10] als es!“ Pause.

1 Übersetzungsvorschlag Fischer-Elfert (mdl. Mitteilung).

5. Strophe

„(Dabei) bin ich der Älteste, der Sohn des Ältesten, das Gotteswasser, aus Gott entstanden! Ich bin der Große, der Sohn des Großen, ⟨mein⟩ Vater erdachte sich ⟨meinen⟩ Namen! Ich bin der Vielnamige und Vielgestaltige! Mein Wesen ist in jedem Gott! Man nennt (mich) Atum und Horus-Hekenu1! Mein Vater und meine Mutter nannten mir meinen Namen. (Aber) er ist in (meinem) Leib vor meinen Kindern nach meinem Willen verborgen, damit nicht die Macht irgendeines Zauberers oder irgendeiner Zauberin gegen mich (?) entsteht. Als ich nach draußen gekommen war, um zu betrachten, was ich geschaffen hatte, und während (ich) die beiden Länder, die ich erschaffen hatte, durchstreifte, stach2 mich etwas, das ich nicht kannte. Es ist weder Feuer, noch ist es Wasser, aber mein Herz ist unter Glut und mein Körper zittert. Alle (meine) Glieder sind unter dem, was die Kälte hervorbringt.“ Pause.

1 Aller Wahrscheinlichkeit nach sind hier zwei Götternamen gemeint, die koordinierend nebeneinanderstehen, und nicht nur einer, vgl. den Kommentar zur Nachschrift, Recto 5,3–4.

2 {m} ḏdm ⟨wj⟩: So letztlich schon die Vermutung von Gardiner, DZA 50.142.810, vgl. auch J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 53. Die Parallele oQueen’s College scheint ḏd{r}b (so Gardiner, ebd.) oder ḏd{d}b (so A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 140.248): „töten“ zu haben.

6. Strophe

„Lasst mir die Götterkinder holen, mit wirkungsvollen Worten, die ihre Formeln kennen; ihre Klugheit, sie erreicht den Himmel.“
[Rto. 4,1] Als aber die Gotteskinder kamen, war ein jeder von ihnen (nur) in seiner Trauer1. Mit ihren Zaubersprüchen (dagegen) kam Isis. Ihr Ausspruch ist Lebensodem, ihr Vers vertreibt die Leiden, ihre Rezitation belebt die Atemlosen! Sie sprach: „Was ist, was ist, göttlicher Vater? Welches Gifttier ist es, das Schwäche in dich füllte(?)? Eines deiner Kinder, das sein Haupt gegen dich erhebt? So will ⟨ich⟩ es niederwerfen mit machtvoller Zauberei. Ich werde veranlassen, dass es zurückweicht, um deine Strahlen zu sehen.“ Pause.

1 j(ꜣ)kb: So mit Gardiner, DZA 50.142.820. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 53 liest ẖr jꜥb=f, scheint aber trotzdem an j(ꜣ)kb zu denken, wenn er „with his hair tousled“ übersetzt. Auch A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 70 und 140.251 transliteriert jꜥb, übersetzt aber mit „corno magico“ (166.251, vgl. auch 177), scheint darin also eine Variante von ꜥb: „Horn“ gesehen zu haben.

7. Strophe

Der heilige Gott, er öffnete seinen Mund: „Ich bin einer, der auf dem Weg ging und über Berg und Tal spazierte. Als mein Herz zu betrachten wünschte, was ich erschaffen hatte, stach (etwas) auf mich ein in Form (?) eines Gifttieres, ohne (dass ich) es (ge)sehen (habe). Es ist weder Feuer, noch ist es Wasser, aber mir wurde kälter als Wasser, heißer als Flammen!1 [Rto. 4,5] Alle meine Glieder sind schweißgebadet. Ich zittere, mein Auge findet keinen Halt. Ich kann nicht sehen. Der Himmel, (er) regnet2 in mein Gesicht  (wie) in der Sommerzeit (?).“ Da sprach Isis zu Re: „Sag mir deinen Namen, o mein göttlicher Vater! Ein Mann wird leben, wenn man mit seinem Namen rezitiert.“ „Ich bin der Schöpfer des Himmels und der Erde, der das Gebirge aufrichtete, der erschuf, was darauf ist.3 Ich bin der Schöpfer des Wassers, so dass Mehet-Weret entstehen konnte, der den Stier für die Kuh schuf, so dass die sexuelle Fortpflanzung entstehen konnte. Ich bin der Schöpfer des Himmels, der die Horizonte verborgen hat, nachdem ich die Bas der Götter in ihn gegeben habe. Ich bin der, wenn er seine Augen öffnet, entsteht die Helligkeit, wenn er seine Augen schließt, entsteht Dunkelheit, auf dessen Befehl hin der Nil flutet. Kein Gott kann seinen Namen kennen! Ich bin der, der die Stunden erschafft und die Tage zum Entstehen bringt. Ich bin der, der die Neujahrsfeste ⟨erschafft⟩ (oder: der die Jahre eröffnet) (und) der die Jahreszeiten4 hervorbringt.5 Ich bin der, der das lebende Feuer erschafft, um [Rto. 4,10] die Arbeit an den Kultstätten6 entstehen zu lassen. Ich bin Chepri am Morgen, Re in seinem Zenit, Atum, der am Abend ist!“ Aber das Gift wurde nicht behindert in seinem Lauf, und dem großen Gott wurde nicht besser. Da sprach Isis zu Re: „Dein Name ist ... (?)7 nicht unter denen, die du mir genannt hast. Du soll(te)st ihn mir sagen, damit das Gift herauskommt! Ein Mann wird leben, wenn man seinen Namen nennt!“ Das Gift, es brannte stechend, wobei es mächtiger war als Feuer, als Flammen. Da sprach die Majestät des Re: „Leih mir dein Ohr (wörtl.: gib mir deine beiden Ohren), meine Tochter Isis, damit mein Name aus meinem Leib in deinen Leib übergehe, denn die Göttlichste unter den Göttern hat ihn verborgen, der angesehen ist in der Barke der Millionen. Wenn ein Moment der Unbeherrschtheit auftritt (?),8 sag ihn meinem Ururenkel Horus, nachdem du ihn mit einem göttlichen Schwur gebunden hast, den der Gott bei seinen Augen leisten soll.“ Der große Gott, er offenbarte seinen Namen der Isis, der Zaubermächtigen. „Du sollst ausfließen, Skorpiongift, verlasse den Re, Horusauge, verlasse den Gott! Aus dem Glutspeichel [Rto. 5,1] des Mundes Gebildeter (?)9: Ich bin deine Schöpferin!10 Ich bin es, die dich aussandte! Komm auf die Erde, mächtiges Gift! Siehe, der große Gott offenbarte seinen Namen! Re, er soll leben! Gift, sei tot!11 NN., Sohn der NN., lebt! Gift, sei tot, gemäß dem Ausspruch der Isis, der Großen, der Herrin der Götter, die Re [bei] seinem eigenen Namen kennt!“

1 In Recto 3,13 sagt Re: nn ḫ.t js pw nn mw js pw jb=j ẖr tꜣ.w ḥꜥ.w=j jsdd: „Es ist weder Feuer, noch ist es Wasser, aber mein Herz ist unter Glut und mein Körper zittert.“ Während der vordere Teil mit dem hiesigen Satz übereinstimmt, liegt im hinteren Teil ein Chiasmus vor: Hitze und Zittern (vor Kälte?) dort, Kühle und Hitze hier.

2 p.t ḥwi̯ ḥr ḥr=j: Die Parallele pChester Beatty XI hat p.t ḥwi̯=st ḥr=j (mit ḥwi̯ ohne Wasserlinien, als hieße es „schlagen“): „Der Himmel, er schlägt/fließt auf mich“. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 107, Anm. 202 erklärt diese Sätze mit: „As if the seasonal characteristics were inverted“. Denkbar wäre aber vielleicht auch, dass ihm der Himmel sozusagen Schweiß aufs Gesicht schickt wie im (heißen) Sommer.

3 Interessanterweise findet kein expliziter Sprecherwechsel statt. Ob dies einen magischen Hintergrund hat, insofern als auf diese Weise zumindest etwas verschleiert werden soll, dass hier Namen des Re aufgezählt werden? Dieselbe Art von Dialog ohne expliziten Sprecherwechsel findet sich in Verso 2,6–3,6, wo Horus versucht, an Thots Namen zu gelangen.

4 jtr.w: Den Klassifikatoren nach steht das Wort „Fluss“ da. So belassen es auch Gardiner, DZA 50.142.840. und J.A. Wilson, Egyptian Myths, Tales and Mortuary Texts, in: J.B. Pritchard (Hrsg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, 2nd ed. (Princeton, NJ 1955), 3–36, hier 13. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 54 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 166.265–266 emendieren dagegen zu einem Wort „Jahreszeit“.

5 Zu diesen Emendationen s. auch schon mit demselben Ergebnis G. Posener, Notes de transcription, in: Revue d’égyptologie 28, 1976, 146–148, hier 147–148: „Je suis celui qui a divisé l’année et créé les saisons.“

6 kꜣ.t ꜥḥꜥ.w(t): Gardiner, DZA 50.142.840 schreibt zu dem Hieratogramm nach der Buchrolle und Pluralstrichen: „kaum ꜥḥꜥ[,] siehe unten“ (womit er sicher die Schreibung von ꜥḥꜥ.y: „Lebenszeit“ im folgenden Satz meint). Allerdings sind die Schreibungen nicht so verschieden, dass man eine Lesung ꜥḥꜥ wirklich ausschließen könnte. Und letztendlich kann Gardiner weder eine sinnvollere Transkription noch eine Übersetzung anbieten. So transliteriert dann auch J. Černý, Notebook. MSS 17.153 (unpubliziert), ꜥḥꜥ und weist die Stelle als „facs[imiled]“ aus. J.A. Wilson, Egyptian Myths, Tales and Mortuary Texts, in: J.B. Pritchard (Hrsg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, 2nd ed. (Princeton, NJ 1955), 3–36, hier 13 erwägt das Wort „palace“, dachte also vielleicht an ḥw.t-ꜥꜣ oder ꜥḥ. Allerdings wird beides im Hieratischen anders geschrieben, s. G. Möller, Hieratische Paläographie. Die ägyptische Buchschrift in ihrer Entwicklung von der fünften Dynastie bis zur römischen Kaiserzeit. Bd. 2. Von der Zeit Thutmosis’ III. bis zum Ende der einundzwanzigsten Dynastie, 2 (Osnabrück 1965 (= 1927)), Nr. 346 und 348. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 54 und 107, Anm. 205 liest kꜣ.wt-pr: „homework“ und überlegt: „Is homework (?) made possible by the availability of fire (for lighting purposes, etc.)?“ A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 70 und 142.266 liest das fragliche Zeichen als Mann mit Korb auf dem Kopf (Gardiner A9) und damit als Klassifikator für kꜣ.wt; die Buchrolle über Pluralstrichen hat er in seiner Transkription dagegen ausgelassen. Er übersetzt nur „i lavori“ (166.265–266). Doch ist zum einen das fragliche Hieratogramm diesem sitzenden Mann im Neuhieratischen im Allgemeinen (vgl. G. Möller, Hieratische Paläographie. Die ägyptische Buchschrift in ihrer Entwicklung von der fünften Dynastie bis zur römischen Kaiserzeit. Bd. 2. Von der Zeit Thutmosis’ III. bis zum Ende der einundzwanzigsten Dynastie, 2 (Osnabrück 1965 (= 1927)), Nr. 42) und in diesem Papyrus im Besonderen (Roccati, ebd., 198) nicht sonderlich ähnlich, und zudem wäre der Mann eher vor als hinter der Buchrolle zu erwarten (DZA 30.533.770). Somit ist eine Lesung als ꜥḥꜥ und damit eine Interpretation als Graphie für (m)ꜥḥꜥ.t: „Kultstätte, Grab“ am wahrscheinlichsten.

7 jpw ist mit den gekreuzten Stäben (Gardiner Z9) und dem „schlechten Vogel“ (Gardiner G37) klassifiziert, als wäre es etwas Negatives. Dem Kontext nach übt Isis hier Nachdruck, den Namen zu verraten, den Re bislang nicht preisgegeben hat. Nur ist unsicher, was jpw heißt:
(1) Pleyte, in W. Pleyte – F. Rossi, Papyrus de Turin (Leiden 1869), Bd. 1, 180 sah hierin einen Schreibfehler für jg.w und vermutete eine Variante zu Brugschs jq = ꜣq (dazu H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebräuchlichsten Wörter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Ägypter. Nebst deren Erklärung in französischer[,] deutscher und arabischer Sprache und Angabe ihrer Verwandtschaft mit den entsprechenden Wörtern des Koptischen und der semitischen Idiome. Bd. I (Leipzig 1867), 128–129 [zu jq] und 17 [zu ꜣq: „verlieren; Verlust“]; heute als „zugrunde gehen, umkommen“ verstanden, Wb 1, 21.11–20). Den fraglichen Satz übersetzt Pleyte, ebd., 176 und 178 mit: „ton nom n’est pas perdu, sur ce que tu as dit à moi, dis (encore) cela à moi et le venin sortira.“
(2) E. Lefébure, Un chapitre de la chronique solaire, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 21, 1883, 27–33, hier 30 übersetzte „ce n’est pas ton nom l’enumeration que tu m’as faite“, dachte also an jp: „berechnen, zählen; erkennen“ (Wb 1, 66.1–20). Dem folgten G. Roeder, Urkunden zur Religion des Alten Ägypten, Religiöse Stimmen der Völker 4, 4. Tausend (Jena 1923), 141 („Dein (wirklicher) Name ist nicht aufgezählt unter dem, was du mir gesagt hast.“) und E. Bresciani, Letteratura e poesia dell’antico Egitto. Cultura e società attraverso is testi (Torino 1999 (= 1969)), 241 = E. Bresciani, Testi religiosi dell’antico Egitto (Milano 2001 (= 1974)), 68 („Non è il tuo nome l’enumerazione che mi hai fatto.“). Auch J. Černý, Notebook. MSS 17.153 (unpubliziert), schrieb über dieses Wort einen Verweis auf koptisch ⲱⲡ, das wiederum auf jp zurückgeht (s. W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 2. Auflage (Heidelberg 2008), 293).
(3) Gardiner, DZA 50.142.850 vermutete, dass es sich nur um eine ungewöhnliche Graphie des Demonstrativpronomens pw handelt, und er übersetzte: „Nicht ist dein Name unter den [sic; gemeint ist: dem,] das du mir gesagt hast.“ Das sah er später durch die Parallele pChester Beatty XI bestätigt, wo in Rto. 3,7 steht: nn rn=k js ⸮p[w]? ⸢m⸣ nw ḏd=k n=j (A.H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 2. Plates (London 1935), Taf. 65). (NB: In diesem pw-Satz würde die Position des Prädikats von einer Adverbialphrase m nw/nꜣ ḏd=k n=j eingenommen. Zumindest im zweigliedrigen pw-Satz ist das möglich, vgl. W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift (Tübingen 2012), 145, Anmerkung 2.) Das jp.w von pTurin CGT 54051 erklärte er infolgedessen für „meaningless“, A.H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 1. Text (London 1935), 118. Dem folgen J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 54 („so your name was not among those you mentioned to me“); J.A. Wilson, Egyptian Myths, Tales and Mortuary Texts, in: J.B. Pritchard (Hrsg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, 2nd ed. (Princeton, NJ 1955), 3–36, hier 13 („Thy name is not really among these“); A. Piankoff, The Litany of Re. Egyptian Religious Texts and Representations 4, Bollingen Series 40 (4) (New York 1964), 59 („Thy name is not among those that thou has told me.“; seine Übersetzung hängt wesentlich an der von Wilson, s. S. 56, Anm. 56). Auch A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 166.267–269 („non è certo il tuo nome quel che mi hai detto“) bietet eine Variante davon.
Der Vorschlag von Pleyte ist im Kontext wenig passend, zumal mit dem aktuellen Bedeutungsansatz von ꜣq, und daher wenig wahrscheinlich. Lefébures Ansatz ist vielversprechend, aber wird dadurch problematisch, dass jp normalerweise nicht mit dem schlechten Vogel klassifiziert wird und auch die vorliegende Stelle eine solche individuelle Ausnahmeschreibung nicht erklären würde. Gardiners Ansatz einer Emendation wäre die einfachste Lösung; allerdings ist fraglich, ob sie auch zutreffend ist. Denn man müsste in dem Fall nicht nur das fehlende s von js einfügen, sondern müsste auch hier die merkwürdige Klassifizierung von pw mit schlechtem Vogel erklären. Ob hier doch eine echte Alternative vorliegt, in der der Schreiber an ein Verb(?) jp.w dachte (jp.w.png), auch wenn ein solches bislang unbekannt ist? Da dieses unbekannt bleibt, kann auch nichts über die mögliche syntaktische Einbettung gesagt werden. Infrage kämen ein attributiver Gebrauch zu rn=k (das ergäbe einen negierten Adverbialsatz) oder ein prädikativer, d.h. stativischer Gebrauch – für einige wenige Fälle einer Konstruktion nn NP sḏm(.w) s. A.H. Gardiner, Egyptian Grammar Being an Introduction to the Study of Hieroglyphs, 3rd, rev. edition (Oxford 1957 (Repr. 2001)), § 334 und J.P. Allen, Middle Egyptian. An Introduction to the Language and Culture of Hieroglyphs (Cambridge, New York 2000), § 17.15.

8 Die Variante pChester Beatty IX schreibt jr ḫpr ⸢zp⸣ dp.j n pri̯ [m] jb=j, vgl. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 143.271–272. (Von der Präposition m ist nichts erhalten, aber A.H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 2, Plates (London 1935), Taf. 65 schreibt in der zugehörigen Anmerkung, dass Lücke zu schmal für das n.t der Turiner Version sei.) In dieser Variante ist also zp dp.j Subjekt eines verbalen ḫpr; Gardiner, a.a.O., Bd. 1. Text, 118 schlägt vor: „If once it has gone forth (lit. ‚if there has happened a first time of going forth‘) from my heart, (then) tell it to ⟨thy⟩ son Horus, after thou hast cautioned (?) him with an oath by God and hast placed (?) God in his eyes.“ Analog dazu kann man in pTurin CGT 54051 das mj tilgen. Eine Hinzufügung des dp.j nach zp ist möglich, aber vielleicht nicht zwingend notwendig. Ob eine Konstruktion wie in der Lehre des Ptahhotep, pPrisse 11,3, § D346 vorliegt: jr ḫpr zp.w n ḥs.wt (...): „Wenn Gunstbezeugungen stattfinden (...)“ (P. Dils, in: TLA)?
Eher frei und nicht mit dem originalen Wortlaut vereinbar ist F. Lexa, La magie dans l’Égypte antique de l’Ancien Empire jusqu’à l’époque copte. Bd. 2. Les textes magiques (Paris 1925), 48: „Lorsque le moment survint où Re ouvrit son cœur, [Eset] dit à son fils Hor: (...)“.

9 nbi̯: Die Lesung und Interpretation des Halskragens, Gardiner Sign-list S12, ist schwierig. Vier Vorschläge sind zu diskutieren:
(1) Gardiner, DZA 50.142.860 hielt den Halskragen für einen Teil der Schreibung von nbj: „Flamme“, versah die Übersetzung aber noch mit Fragezeichen: „Flammen des Mundes (?)“. Diese vermeintliche Schreibung ist auch auf den Schreibungszettel von nbj: „Flamme“ gewandert (DZA 24.982.270), hat es aber nicht als Variantenschreibung ins Wörterbuch (Wb 2, 244.7–9, 11–13) geschafft. Dessen ungeachtet wird er seitdem meist als Teil der Graphie für nbj: „Flamme“ gehalten. Diese Schreibung wäre aber ungewöhnlich – nicht nur wird die Wortfamilie um nbi̯: „brennen“ nicht mit dem Halskragen geschrieben, auch wäre die vollständige Komplementierung unerwartet, denn nbj steht noch einmal in Einkonsonantenzeichen dahinter.
(2) Sind nbw und nbj vielleicht eher als zwei Wörter zu verstehen? A. Piankoff, The Litany of Re. Egyptian Religious Texts and Representations 4, Bollingen Series 40 (4) (New York 1964), 59 übersetzt mit: „(thou) creator of burning (pain)“. Ob er an das Verb nbi̯: „vergolden; bilden, herstellen, schaffen“ (Wb 2, 241.9–29) oder an die Götterbezeichnung nb.w: „Bildner“ (Wb 2, 242.1; zu weiteren Epitheta mit nbi̯ vgl. C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. IV. nbt-h, Orientalia Lovaniensia Analecta 113 (Leuven 2002), 186a–191c) dachte? Hierfür ist zwar eigentlich der Halskragen mit Bein, Gardiner Sign-list S13 = G. Möller, Hieratische Paläographie. Die ägyptische Buchschrift in ihrer Entwicklung von der fünften Dynastie bis zur römischen Kaiserzeit. Bd. 2. Von der Zeit Thutmosis’ III. bis zum Ende der einundzwanzigsten Dynastie, 2 (Osnabrück 1965 (= 1927)), Nr. 419B, statt des einfachen Halskragens erforderlich (nur mit dem Halskagen ist der nb.w-sbꜣ.w in der Spätzeit in Hibis geschrieben, DZA 24.979.870, wobei dieser Beleg von C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. IV. nbt-h, Orientalia Lovaniensia Analecta 113 (Leuven 2002), 80b mit nbw: „Gold“ verbunden wird), oder man erwartet wenigstens noch ein komplementierendes b (+ Klassifikatoren), doch könnte deren Fehlen bspw. als Aberratio oculi wegen des folgenden nbj erklärt werden. Setzt man das Wort nbi̯ an, lässt sich nicht endgültig festlegen, ob ein aktives Partizip („der, der bildet“) oder das davon abgeleitete Epitheton nb.w: „Bildner“ gemeint ist (so offenbar Piankoff), oder eine (Clèresche) Relativform nbi̯(.w) („das, was ... gebildet hat“) oder passives Partizip im erweiterten Gebrauch nbi̯(.y) („das von ... gebildete“). Hilfreich für diese Entscheidung kann eine Diskussion des anschließenden nbj sein. In der Regel wird hierin das normale und in diesem Text mehrfach auftretende Wort für „Feuer“ gesehen. Auch Piankoffs Übersetzung als „burning (pain)“ ist letztlich dieses Wort. Dagegen hat J. Černý, Notebook. MSS 17.153 (unpubliziert), in dem Klassifikator einen Fehler für die Ligatur aus spuckendem Mund und Pluralstrichen vermutet, ergo: in diesem nbj eigentlich einen weiteren Beleg für das Wort nbj: „Speichel“ von Recto 3,4 gesehen. Dieses dürfte jedoch ein Ghostword sein, bzw. eine Sonderbedeutung von nbj.t: „Flamme“ (s. den Kommentar zur Stelle), was Černýs Idee aber nicht problematischer, sondern im Gegenteil plausibler macht: Versteht man nbj hier wieder als „Glutspeichel“ o.ä. wie in Rto. 3,4 und interpretiert man das davorstehende nbi̯ als passives Partizip, erhält man ein „vom/aus dem Glutspeichel des Mundes (scil. des Re) Gebildetes“, als dessen Schöpferin sich Isis zu erkennen gibt und das, da es ein Vokativ ist, parallel zum wḥꜥ.w: „Skorpion“ und dem „(scil.: brennenden?, vgl. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 107, Anm. 206) Horusauge“ steht. Die Identifizierung des Skorpions als ein ‚von Isis aus dem Speichel des Mundes geschaffenes Gebilde‘ spiegelt damit den Beginn des Mythos, in dem Isis aus dem Speichel des Re ein Gifttier (dort: ḏdf.t) formt (dort: qd).
(3) Eine Deutung von nbw als Adjektiv „golden“, das noch zu nṯr gehört („der goldene Gott“ – oder, wenn auch noch in der Annahme, dass es zu nbj: „Flamme“ oder nbi̯: „brennen“ gehört, J.A. Wilson, Egyptian Myths, Tales and Mortuary Texts, in: J.B. Pritchard (Hrsg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, 2nd ed. (Princeton, NJ 1955), 3–36, hier 13: „the burning god“) wäre zwar als weitere Alternative denkbar, aber aufgrund des Verspunktes nach nṯr weniger wahrscheinlich.
(4) Eher frei und daher nur der Vollständigkeit halber genannt sei die Übersetzung von G. Roeder, Urkunden zur Religion des Alten Ägypten, Religiöse Stimmen der Völker 4, 4. Tausend (Jena 1923), 141: „Komm aus dem Gott heraus, erscheine aus seinem Munde!“ Diese freiere Übersetzung findet sich wieder bei E. Bresciani, Letteratura e poesia dell’antico Egitto. Cultura e società attraverso is testi (Torino 1999 (= 1969)), 241 und E. Bresciani, Testi religiosi dell’antico Egitto (Milano 2001 (= 1974)), 68–69 (an beiden Stellen: „(...) esci dal dio, risplendi fuori dalla sua bocca!“).

10 Die Parallele pChester Beatty XI ist von dem nṯr des vorigen Satzes bis zum [h]ꜣb des nächsten Satzes zerstört (A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 143.274) und lässt daher keinen Vergleich zu.

11 Durch die letzten Zeichen der Zeilen dieser Kolumne verläuft eine Bruchkante über die gesamte Kolumnenhöhe. Mindestens seit der Edition von Pleyte/Rossi sind die beiden Fragmente so zusammengeklebt, als würden sie direkt joinen (vgl. W. Pleyte – F. Rossi, Papyrus de Turin (Leiden 1869), Bd. 2, Taf. 31 und noch das aktuelle Turiner Foto von 2019). Das ist jedoch nicht möglich und mindestens in der oberen Kolumnenhälfte muss zwischen dem rechten Fragment mit dem hinteren Drittel von Kolumne 5 sowie dem Fragment mit den letzten Zeichen jeder Zeile sowie der anschließenden Kolumne 6 ein kleiner Zwischenraum sein, wie nicht nur die Wortreste der ersten Zeilen, sondern auch der Faserverlauf zeigen. Dieser Umstand ist bereits von Gardiner erkannt worden, der in Zeile 5,1 auf DZA 50.142.860 eine kleine Lücke markiert und darüber mt.tı͗, d.h. m(w)t.tj, schreibt. Dieser Ergänzung folgen alle Bearbeiter.

Nachschrift

Zu rezitieren über einem Bild des Atum und des Horus-Hekenu, einem Bild der Isis und einem Bild des Horus.1 Werde auf die Hand des Gebissenen gezeichnet und vom Patienten abgeleckt. Werde ebenso auf eine Binde aus feinem Leinen gemalt, werde dem Gebissenen an seinen Hals gegeben. Das Heilkraut2 ist Skorpionkraut3. Werde in/mit Bier oder Wein zermahlen. Werde von dem von einem Skorpion Gestochenen getrunken. Das bewirkt die Vernichtung des Giftes, wirklich vorzüglich, millionenfach erprobt!

1 Zeile 4–6 wird im vorderen Teil von einer kleinen Vignette eingenommen, die noch ein wenig ins Interkolumnium zwischen Kolumne 4 und 5 hineinragt und zweifellos zu diesem Text gehört. Sie zeigt drei sitzende und eine stehende Gottheit. Von rechts nach links sieht man einen sitzenden menschenköpfigen Gott mit Doppelkrone, einen sitzenden falkenköpfigen Gott mit Doppelkrone, eine sitzende menschenköpfige Göttin mit Thronsitz auf dem Kopf und einen stehenden falkenköpfigen Gott mit Doppelkrone und Was-Zepter. Diese Götter wird man mit den im Begleitspruch genannten korrelieren dürfen, v.a. bei Isis liegt das auf der Hand. Aus diesem Grund wird man annehmen können, dass im Begleitspruch nicht drei Götter (Atum-Horus-Hekenu, Isis und Horus) genannt werden, sondern vier (vgl. auch schon P. Eschweiler, Bildzauber im alten Ägypten. Die Verwendung von Bildern und Gegenständen in magischen Handlungen nach den Texten des Mittleren und Neuen Reiches, Orbis Biblicus et Orientalis 137 (Freiburg (Schweiz), Göttingen 1994), 42): Der menschenköpfige Gott mit Doppelkrone wird Atum sein, der falkenköpfige sitzende mit Doppelkrone ist Horus-Hekenu, dahinter sitzt Isis und ihr folgt, stehend, Horus.

2 Obwohl schon W. Pleyte – F. Rossi, Papyrus de Turin (Leiden 1869), Bd. 1, 114 in sm.w das Wort für Pflanzen erkannt haben, ist dieser Satz in älteren und davon abhängigen jüngeren Abhandlungen anders übersetzt worden: „C’est un remede efficace.“ (E. Lefébure, Un chapitre de la chronique solaire, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 21, 1883, 27–33, hier 31); „Es ist ein wirksames Heilmittel.“ (G. Roeder, Urkunden zur Religion des Alten Ägypten, Religiöse Stimmen der Völker 4, 4. Tausend (Jena 1923), 141); „È un rimedio efficace“ (E. Bresciani, Letteratura e poesia dell’antico Egitto. Cultura e società attraverso is testi (Torino 1999 (= 1969)), 242; E. Bresciani, Testi religiosi dell’antico Egitto (Milano 2001 (= 1974)), 69). Die genaue Basis dieser Übersetzung ist unklar. Ob Lefébure, auf den sie wohl zurückgeht, im hinteren Satzteil sšr-mꜣꜥ statt sm.w wḥꜥ.t gelesen hat (der Pflanzenstängel M2 als Beutel V33 und das Boot P4 als Sichel mit Sockel U4/5 verlesen)? Auffällig ist jedoch, dass alle diese Übersetzungen das in der folgenden Zeile tatsächlich dastehende sšr-mꜣꜥ anders übersetzen.
Noch etwas anders ist die Übersetzung „It is the way of caring for a scorpion poison“ (J.A. Wilson, Egyptian Myths, Tales and Mortuary Texts, in: J.B. Pritchard (Hrsg.), Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, 2nd ed. (Princeton, NJ 1955), 3–36, hier 14; durch die Kursivierung als unsicher markiert, s. ebd., XVI); „It is a way of dealing with a scorpion poison.“ (A. Piankoff, The Litany of Re. Egyptian Religious Texts and Representations 4, Bollingen Series 40 (4) (New York 1964), 59; seine Übersetzung ist wesentlich von der von Wilson abhängig, s. S. 56, Anm. 56). Wilson hat richtig wḥꜥ.w als Schreibung für den Skorpion bzw. das Skorpiongift erkannt. Das zweimalige sm.w hat er als „way of“ und als „dealing with“ übersetzt – ob er an eine Verschreibung von sm: „Beschäftigung, Tat“ (Wb 4, 120.14–18) dachte? Eine mögliche vergleichbare Verschreibung von sm: „Beschäftigung“ zu sm.w: „Pflanze“ könnte im Beredten Bauern, Version B1 (pBerlin P 3023 + pAmherst I), Zeile (neu) 164 = (alt) 133 vorkommen, vgl. DZA 29.186.400; aber aufgrund der Parallelen sind Zweifel angebracht, ob nicht vielleicht doch sm.w: „Pflanzen“ hier richtig ist, s. den Kommentar von P. Dils im TLA. Der Beredte Bauer ist von Wilson ebd. 407–410 übersetzt, aber die betreffende Passage ausgelassen worden, so dass es nicht möglich ist, diese Hypothese anhand seiner Übersetzung dieser Passage zu verifizieren.
Jüngere Übersetzungen gehen davon aus, dass sm.w: „Pflanzen, Kraut, Gemüse“ zu lesen ist: „The herb is ‚scorpion’s‘ herb“ (J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 5); „L’erba è l’erba dello scorpione (= la erythraea spicata)“ (A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 167.279). Angesichts der Tatsache, dass bislang von keinem Kraut die Rede war, fragt sich, ob das pw wirklich nur die Kopula eines dreigliedrigen pw-Satzes ist, wie diese beiden Übersetzungen suggerieren, oder ob es hier ein echtes Demonstrativpronomen ist und eigentlich ein unmarkierter Substantivalsatz („Dieses Kraut ist ‚Skorpionkraut‘.“) oder eine vordere Erweiterung des folgenden Satzes („Dieses Kraut, das ‚Skorpionkraut‘: (...)“) vorliegt. Könnte dann diese Stelle darauf hindeuten, dass mit diesem Satz diese Pflanze überreicht wird?

3 sm.w wḥꜥ.w: J. Černý, Notebook. MSS 17.153 (unpubliziert), notiert darüber einen Verweis auf W.E. Crum, A Coptic Dictionary (Oxford 1939), 509a, laut dem im Manuskript Paris, Bibliothèque Nationale 43, Zeile 245 eine Pflanze ⲥⲓⲙ ⲡⲟⲩⲟⲟϩⲉ vorkommt, die Ahmed Issa, Dictionnaire des noms des plantes en latin, français, anglais et arabe, Le Caire 1930, 78 [non vidi] mit arabisch حشيش العقرب und lateinisch Erythraea spicata gleichsetzt (so auch A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 167.279). Erythraea spicata ist eine vom 18.–20. Jh. verwendete Bezeichnung für Linnaeus’ Gentiana spicata und ist aktuell entweder unter der Bezeichnung Schenkia spicata bekannt, vgl. G. Mansion, A new classification of the polyphyletic genus Centaurium Hill (Chironiinae, Gentianaceae): description of the New World endemic Zeltnera, and reinstatement of Gyrandra Griseb. and Schenkia Griseb., in: Taxon 53 (3), 2004, 719–740, hier spez. 719 und 726, oder unter der Bezeichnungn Centaurium spicatum (Euro+Med PlantBase; Zugriff: 14.03.2019), eine Pflanze der Gattung „Tausendgüldenkraut“ (Mittelmeer- und Alpenflora; Zugriff 14.03.2019). Wie zuverlässig die moderne Gleichsetzung von Issas/Crums Erythraea spicata mit einer Kategorie moderner Taxonomie ist, und wie zuverlässig die Identizierung von koptisch ⲥⲓⲙ ⲡⲟⲩⲟⲟϩⲉ mit einer der beiden von Issa gegebenen Bezeichnungen ist (die arabische ist nur die wörtliche Übersetzung des Koptischen), ist unklar. Keine der hier genannten Bezeichnungen findet sich bei R. Germer, Flora des pharaonischen Ägypten, Sonderschrift, Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Kairo 14 (Mainz 1985), oder L. Keimer, Die Gartenpflanzen im alten Ägypten. Ägyptologische Studien (Hamburg, Berlin 1924).
R.K. Ritner, The Mechanics of Ancient Egyptian Magical Practice, Studies in Ancient Oriental Civilization 54, 4th edition (Chicago 2008), 95, Anm. 466 vergleicht es mit der σκορπιοειδής genannten Pflanze von Dioskurides, De Materia Medica IV 192 = 195, die H.G. Liddell – R. Scott – H.S. Jones, A Greek-English Lexicon. Revised and augmented throughout (Oxford 1940), 1614-1614 als Scorpiurus sulcata identifiziert.

Recto 5,5–5,12: Spruch zur Hinderung von Gift

= pChester Beatty XI, Rto. 4,2–8; pWilbour 47.218.138, x+8,2–9; oPetrie 35; Socle Béhague (Leiden, RMO F 1950/8.2 (+Wien, KhM ÄOS 40)), Kol. g2–10 (Spruch V); Statue Moskau, SPMFA I.1a.5319, linke Seite, mittlere Register, 112–6 (neu) = 129–133 (alt) (Nr. 7 (neu) = 6 (alt)); Isisstatuette London, Privatsammlung Katz, Sockel, 1–15; Horusstele BM EA 36250; Skaraboid BM EA 35403

[Rto. 5,5] Ein anderer1 Spruch: „Ich bin Isis, die Herrin von Chemmis, wirksam an Worten am ‚Geheimen Ort‘ (scil.: an dem Osiris begraben liegt), die Geb mit seiner Zaubermacht versehen hat, um Schutz bezüglich des Horus auszuüben.2 [Ich werde] das Maul allen Gewürms [verschließ]en3 und alles reißende (wörtl.: sich bemächtigende) Raubtier, (das heißt) das Raubtier / die Löwen4 in der Wüste, die Krokodile auf dem Fluss (und) alle bissigen ‚Maulschlangen‘ in ihren Höhlen, zurücktreiben. Ich werde das Gift im Augenblick seines Wirkens5 abwehren. Das Feuer (des Giftes) wird sich abwenden aufgrund dessen, was ich sage. Ich werde den bedrängten Nasen Atemluft geben durch die Macht meines Ausspruchs. Höret, ihr mt.w-Stränge des Körpers, auf das, was Geb, der Fürst der Götter, angeordnet hat! Kommt heraus, ihr krankmachenden Säfte/Flüssigkeiten,6 die (ihr) in jedem Glied von NN, den NN geboren hat, seid! O Gift, [Rto. 5,10] steige ⟨nicht⟩7 nach oben, (sondern) falle herab! (Ihr) mt.w-Stränge, erbrecht, was in euch ist, gemäß dem,8 was Isis, die Große, die Herrin von Chemmis, gesagt hat, die dem, der im [Horizont]9 ist, Leben spendet!“ (Diese) Worte sind zu sprechen 〈über〉 einem Bild der Isis, das auf eine Binde aus feinem Leinen gemalt wurde. Sw.t-Binse10 werde hineingegeben,11 die obere Seite davon werde ge... (?)12.
Das sind wahrhaftig (wirksame) Hinderniss[e]13 (?) des Giftes, die die im Besitz eines Skorpionbeschwörers sind und an jedem Ort, (Hindernisse der?) Herrin von Chemmis und Horusfrau14.

1 Das ky ist schwarz, um den Beginn des Spruches vom vorigen abzuheben, der mit einem Rubrum endet.

2 jri̯.t zꜣ r Ḥr.w: Sic. Die Konstruktion mit der Präposition r ist ungewöhnlich, das Wb kennt nur diese Stelle als Beleg (vgl. DZA 28.542.000 und DZA 28.542.010). Die Parallele pChester Beatty XI hat jri̯.t zꜣ Ḥrw, der Socle Béhague jri̯ zꜣ n Ḥr.w, s. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 145.283.
Auf der Metternichstele, M109–110, bekommt Horus selbst Zauberkraft (ḥmw.t-rʾ) von Geb übertragen, C.E. Sander-Hansen, Die Texte der Metternichstele, Analecta Aegyptiaca 7 (København 1956), 51–53.

3 Ergänzungen und Korrekturen nach den Parallelen, vgl. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 145.283–285. ḫtmw muss in pTurin CGT 54501 ausgeschrieben gewesen sein, denn am Ende von Zeile 5,6 ist noch die w-Schleife erhalten, und die beiden erkennbaren Zeichenreste an der Abbruchkante davor dürften zum hieratischen m gehört haben, so dass in der Lücke und t zu ergänzen sind.

4 mꜣj.w ist beide Male gleich geschrieben. Im ersten Fall (im Folgenden mꜣj.w(1)) steht es satzsyntaktisch parallel zu ḏdf.t: „Gewürm“ und wird daher vielleicht eher der Oberbegriff für „Wildtiere“ oder „Raubtiere“ als konkret der „Löwe“ sein. Die Frage ist, wie sich die zweite Nennung von mꜣj.w (im Folgenden mꜣj.w(2)) zur ersten verhält. Dieses ist wiederum parallel zu mzḥ konstruiert: mꜣj.w(2) und mzḥ ist gemeinsam, dass sie nicht von einem Verb abhängen, dafür eine adverbiale Erweiterung des Ortes haben (ḥr mr.w bzw. ḥr jtr.w), und dass ihnen der Quantifikator nb fehlt (zu Letzterem ist allerdings einschränkend zu sagen, dass der Socle Béhague auch hinter diesen beiden Wörtern nb schreibt, und auch oPetrie 35 hat mꜣj.w nb mzḥ [---]). Allein ausgehend von pTurin CGT 54051 Recto, könnte man überlegen, ob mꜣj.w(2) konkret den Löwen meint und zusammen mit dem folgenden Krokodil eine Apposition zu mꜣj.w(1) darstellt: „alles aggressive mꜣj.w-Wildtier, (d.h.) der mꜣj.w-Löwe in der Wüste und das mzḥ-Krokodil im Fluss“. Alternativ könnte man erwägen, dass auch mꜣj.w(2) allgemeiner ein Wildtier statt konkret den Löwen meint, wenn auch dieses Mal eingeschränkt auf das „Wildtier in der Wüste“. In diesem Fall würde sich am Verhältnis der beiden mꜣj.ws zueinander wenig ändern: Wieder könnte man mꜣj.w(1) als den Oberbegriff verstehen und mꜣj.w(2) und mzḥ diesem untergeordnet: „alles aggressive mꜣj.w-Wildtier, (d.h.) das mꜣj.w-Wildtier in der Wüste und das mzḥ-Krokodil im Fluss“. In dem Fall müsste man davon ausgehen, dass auch mzḥ neben der konkreten Bezeichnung „Krokodil“ ein Oberbegriff parallel zu mꜣj.w(2) sein kann. Das ist zumindest in viel späterer Zeit durchaus möglich, vgl. das römerzeitliche Tebtynis-Onomastikon, in dem die Gruppe der Krokodilsbezeichnungen im Hieratischen zwar unter dem Begriff ḫnt.j zusammengefasst, in einer demotischen Glosse aber als msḥ bezeichnet wird, J. Osing, The Carlsberg Papyri 2. Hieratische Papyri aus Tebtunis I, CNI Publications 17 (Copenhagen 1998), 121. Interessant ist hierbei, dass in pTurin CGT 54051 die Krokodile nicht nur den „Wildtieren“ (mꜣj.w(2)) parallel zur Seite gestellt werden, was seine Parallele in der Abfolge der Tierbezeichnungen im Tebtynis-Onomastikon findet, sondern dass, anders als im Tebtynis-Onomastikon, beide Kategorien zusätzlich einer übergeordneten Kategorie mꜣj.w(1) untergeordnet wären.
Die darüber hinausgehende Frage ist, in welchem Verhältnis diese Bezeichnungen zum folgenden stehen. Dieses teilt mit der Ebene ḏdf.t + mꜣj.w(1) den Umstand, dass es vom Quantifikator nb gefolgt wird, und mit der Ebene mꜣj.w(2) + mzḥ den Umstand, dass es nicht von einem Verb abhängt, aber eine lokale Erweiterung hat (ḥr ṯpḥ.t=sn). Eigentlich erwartet man nicht, dass es parallel zur Gruppe mꜣj.w(2) + mzḥ steht und dem mꜣj.w(1) untergeordnet ist. Denn während „Wildtiere der Wüste“ und Krokodile immerhin die Gemeinsamkeit haben, Beine zu besitzen, scheint doch das Äußere der Schlangen als dermaßen unterschiedlich, dass kaum vorstellbar ist, dass sie ebenfalls als Teil der Kategorie mꜣj.w(1) aufgefasst worden wären.
Der Vergleich mit den Parallelen macht es aber dann doch wieder wahrscheinlich, dass es auf derselben Ebene steht, denn soweit erhalten, ist pTurin CGT 54051 die einzige Version, die mꜣj.w(1) überhaupt enthält:
(1) A.H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 2. Plates (London 1935), Taf. 65 hat es auch für pChester Beatty XI, Rto. 4,3–4 ergänzt, aber wohl eben nur auf Basis von pTurin; ebenso J.-C. Goyon, Le recueil de prophylaxie contre les agressions des animaux venimeux du Musée de Brooklyn. Papyrus Wilbour 47.218.138, Studien zur spätägyptischen Religion 5 (Wiesbaden 2012), Taf. 8 für pWilbour 47.218.138, x+8,3–4. Es bliebe in beiden Fällen zu überprüfen, ob der Platz nicht auch für eine kürzere Version ausreichen würde.
(2) Der Socle Béhague, Kol. g3–4 (A. Klasens, A Magical Statue Base (Socle Béhague) in the Museum of Antiquities at Leiden, in: Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 33, 1952, i–xi, 1–112, hier 35), die Statue Moskau, SMPFA I.1a.5319, Kol. 113–114 (M.V. Panov, Надписи на целителъной статуе Хорхебе, Египетские тексты 2 (Novosibirsk 2014), 50) und die Horusstele BM EA 36250, Zeile 7–8 (Panov, ebd., 49) schreiben: r sḫtḫt (Var. Moskau: (r) sḫti̯) mꜣj(.w) nb ḥr mr.w mzḥ(.w) nb ḥr jtr.w rʾ(.w) nb psḥ m rʾ=sn (Var. Moskau: psḥ m tpḥ.t=sn): „(und) werde alles Raubtier / alle Löwen in der Wüste, alle Krokodile auf dem Fluss und alle ‚Maulschlangen‘, die mit ihrem Maul beißen (Var.: alle bissigen ‚Maulschlange‘ in ihren Höhlen), zurücktreiben“ (Socle Béhague und die Londoner Horusstele fügen dem sḫtḫt noch ein n=f bei: „für ihn“). Es wäre zu überlegen, ob auch das stark fragmentierte oPetrie 35, auf dem nur noch [mꜣ]j.w nb ḥr mr.w mzḥ.w erhalten ist, zu dieser Gruppe gehört.
(3) Die Isis-Statuette der Privatsammlung Katz, Kol. 4–7 (O. Perdu, L’Isis de Ptahirdis retrouvée, in: Revue d’égyptologie 64, 2013, 93–133, hier 105; Panov, a.a.O., 48), fügt dem mꜣj nb (scil.: mꜣj(2)) noch ein sḫm hinzu, das in in pTurin CGT 54051 schon hinter mꜣj(1) steht, genauer gesagt steht dort: mꜣj nb m sḫm. Perdu, 105 und 107, Anm. g schließt das als Adverbiale an sḫtḫt an: „à repousser tous les lions de force dans le désert“. Als weitere Abweichung fügt dieser Text ein jri̯ r vor mzḥ ein und setzt damit „das Maul allen Gewürms“, „alles Raubtier der Wüste“ und „alle Krokodile auf dem Fluss sowie alle bissigen Maulschlangen in ihren Höhlen“ syntaktisch parallel: jw=j r ḫtm rʾ n ḏdf.t nb (r) ḫtḫt mꜣj(.w) nb m sḫm ḥr mr.w (r) jri̯ r mzḥ.w ḥr jtr.w rʾ(.w) nb psḥ m tpḥ.t=sn.
(NB: Der Skaraboid London BM EA 35403 setzt erst später ein und enthält die vordere Hälfte dieses Spruches gar nicht.)
(5) Ein weiteres Argument für die syntaktische und damit quasi taxonomische Parallelisierung von mꜣj(2), mzḥ und ist das Vorkommen derselben Aufzählung in Spruch X der Metternichstele (= Daressys Text „A“), M116–118, wo mꜣj(.w) nb ḥr mr(.w) mzḥ.w nb ḥr jtr(.w) rʾ(.w) nb psḥ m tpḥ(.t)=sn: „alles Raubtier / alle Löwen in der Wüste, alle Krokodile auf dem Fluss und alle bissigen ‚Maulschlangen‘ in ihren Höhlen“ „abgewehrt“ (ḫsf) werden sollen, vgl. C.E. Sander-Hansen, Die Texte der Metternichstele, Analecta Aegyptiaca 7 (København 1956), 52–53, und zu Parallelen G. Daressy, Catalogue général des antiquités égyptiennes du Musée du Caire. Nos 9401-9449. Textes et dessins magiques (Le Caire 1903), 62, Index IV. Hierher gehört auch das von Goyon, a.a.O., 169–171 als weitere Parallele zum hier diskutierten Satz aufgelistete Objekt „Guimet/Louvre 50008“, bei dem es sich um die Horusstele Louvre E 20008 handeln wird (s. zu ihr A. Gasse, Les stèles d’Horus sur les crocodiles (Paris 2004), 86–95, Nr. 17 mit Fotos, Umzeichnung und Literatur); jedenfalls ist dort die fragliche Passage auf der rechten Seite (Gasse, a.a.O., Foto S. 87, Umzeichnung Abb. 61 und 62, 2. Kolumne) mit demselben Fehler {g}⟨p⟩sḥ zu sehen (Gasse liest das Hieroglyphische sogar gsjw, also zusätzlich j statt ), den Goyon wiedergibt.

5 ꜣ.t: Für einen Zusammenhang von ꜣ.t: „striking power“ und ꜣ.t: „moment“ sowie einer möglichen Grundbedeutung „readiness to strike“ s. A.H. Gardiner, The First Two Pages of the Wörterbuch, in: Journal of Egyptian Archaeology 34, 1948, 12–18, hier 13–15.

6 nꜣ mw mḥr.w: So die Lesung mit A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 146.288. Der Socle Béhague hat nn mw ⸢mḥr⸣, vgl. auch A. Klasens, A Magical Statue Base (Socle Béhague) in the Museum of Antiquities at Leiden, in: Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 33, 1952, i–xi, 1–112, hier 36 und Taf. 5.

7 Ergänzung der Negation basierend auf dem Socle Béhague, Kolumne g8, wo nn ṯsi̯=t steht, s. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 146.289 und A. Klasens, A Magical Statue Base (Socle Béhague) in the Museum of Antiquities at Leiden, in: Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 33, 1952, i–xi, 1–112, hier 37. Als Ergänzung für den Turiner Text wird hier aber der negative Imperativ m vorgeschlagen statt nn, weil Letzteres zusätzlich eine Ergänzung eines Suffixpronomens, also zweier statt nur einer Emendation, erfordern würde. Weder Gardiner, DZA 50.142.880 („O Gift, steige zum Himmel (oder) falle hinunter“, offenbar liest er r p.t statt r-ḥr.j) noch Roccati, ebd., 164.289–290 („O veleno! Sali su, scendi giù.“) ergänzen eine Negativpartikel. Die Parallelen oPetrie 35 und pChester Beatty XI sind an dieser Stelle zerstört, so dass keine endgültige Entscheidung zu treffen ist, ob die affirmative Version von pTurin CGT 54051 oder die negative Version dem Socle Béhague die korrekte Version ist. Allerdings begegnet die Anweisung, nicht hinaufzusteigen, auch auf der Metternichstele, M4 und M59, s. den Kommentar zu M59 bei Klasens, ebd., 77; und die Stelle von M4 ist eine Parallele zu pTurin CGT 54051 Recto 2,2, also einem anderen Spruch der hier vorliegenden Spruchsammlung: nn ṯsi̯.y⟨=t⟩ r-ḥr(.j) ptpt⟨=t⟩ ⟨r-⟩ẖr.j, so dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die negierte Version die korrekte ist. Dies ergibt auch mehr Sinn, denn Krankheiten können „sich erheben“ und eine „Anhäufung“ bilden (H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Zweite Hälfte (h-), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.2 (Berlin 1962), 970, s.v. ṯsj und ṯs.w), und ein häufiges Ziel medizinischer Behandlungen ist es, Krankheiten zum „Herabsteigen“ (hꜣi̯) zu bringen (H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Zweite Hälfte (h-), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.2 (Berlin 1962), 560, s.v. hꜣj I.a). Daher wäre es sinnvoll dafür zu sorgen, dass sich das Gift gar nicht erst erhebt.

8 Ergänzung der Präposition m nach den Parallelen, vgl. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 147.290 und s. auch unten, Rto. 6,5. Roccati, ebd., 167.289–290 sieht dagegen die Version von pTurin CGT 54051 als korrekt an und übersetzt den hinteren Teil als unabhängigen Satz und Redeeinleitung des folgenden Satzes: „Ha detto Isis (...): (...)“. So auch schon Gardiner, DZA 50.142.880 („Isis (...) spricht: (...)“). Da der gesamte Spruch wörtliche Rede der Isis ist und nicht einmal am Beginn eine Redeeinleitung steht, wäre es jedoch verwunderlich, wenn diese Rede ausgerechnet vor dem letzten Satz durch eine Redeeinleitung unterbrochen würde, die nur den vorherigen Redner wieder aufgreift. Rein satzsyntaktisch kann sich m ḏd.n nur an den vorigen Satz anschließen. Inhaltlich dürfte es sich aber wohl auf die gesamte vorangehende Rede der Isis beziehen; dieser Zusatz soll daher wohl ähnlich wie die Nichtidentifikationsformel verdeutlichen, dass das Vorangehende samt allen Aufforderungen und eventuellen Drohungen eine wörtliche Rede der Göttin ist, die der Magier hier nur rezitiert, s. O. Perdu, L’Isis de Ptahirdis retrouvée, in: Revue d’égyptologie 64, 2013, 93–133, hier 110, Anm. z.

9 [ꜣḫ.t]: Ergänzung nach dem Socle Béhague, s. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 147.291.

10 w nsw Lesung unsicher; in der nur noch in Fragmenten erhaltenen Parallele pChester Beatty XI, Rto. 4,7 (A.H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 2. Plates (London 1935), Taf. 65) sind nach rḏi̯ noch eine w-Schleife und ein t (also vielleicht ein =tw) sowie einen senkrechten Strich erhalten, bevor der Papyrus abbricht.
Der erste Wortteil sieht aus wie eine Schreibung für w: „Bezirk, Gebiet“ (Wb 1, 243.1–7), und mangels Alternativen wurde die Stelle auch diesem Lemma als Beleg zugeordnet (DZA 22.042.790). Der hintere Wortbestandteil ähnelt den Schreibungen für nsw: „König“ und wurde so auch von Gardiner, DZA 50.142.880, J. Černý, Notebook. MSS 17.153 (unpubliziert), und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 71 transliteriert; die Lesung ist allerdings nicht zweifelsfrei, weswegen Roccati zu Recht Fragezeichen setzt. Das Wort ist mit dem Pflanzenstängel klassifiziert, so dass eine Pflanzenbezeichnung vorliegt. Möglicherweise liegt nur eine Graphie der sw.t-Binse vor; ähnliche bis identische Schreibungen finden sich in den Late Egyptian Miscellanies, pAnastasi IV, Rto. 8,12 (A.H. Gardiner, Late-Egyptian Miscellanies, Bibliotheca Aegyptiaca 7 (Bruxelles 1937), 43,16; NB: diese Stelle ist für K. Sethe, Das Wort für König von Oberägypten, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 49, 1911, 15–34, hier 20–21 ein Beleg für die Lesung des so geschriebenen Königstitels als sw.t) = pLansing, Rto. 11,6 (A.H. Gardiner, Late-Egyptian Miscellanies, Bibliotheca Aegyptiaca 7 (Bruxelles 1937), 110,5) = oTurin CGT 57106, Rto. 2 (J. López, Ostraca ieratici. N. 57093 – 57319, Catalogo del Museo Egizio di Torino, serie seconda - collezioni III.2 (Milano 1980), Taf. 55+55a). Auch in der nicht identischen, aber ähnlichen Warenliste des pChester Beatty V, Rto. 8,4 findet sich diese Schreibung. Letztere Stelle übersetzt A.H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 1. Text (London 1935), 49 unkommentiert, wenn auch mit Fragenzeichen, als „reed (?)“, d.h. geht von der sw.t-Binse aus. Auch R.A. Caminos, Late-Egyptian Miscellanies, Brown Egyptological Studies 1 (London 1954), 166, Anm. zu Anast. IV, 8,12 vermutet hierin eine Schreibung für sw.t: „reed (?)“, findet es aber „strange, however, that the same faulty writing should recur“ in pLansing und pChester Beatty V. Während die Güterlisten von pAnastasi IV und pLansing (sowie oTurin CGT 57106) identisch sind (auch in der Schreibung: sw-t:n-M2-Z3A) und demzufolge theoretisch auf ein und dieselbe, fehlerhafte Vorlage zurückgehen könnten, ist die Liste von pChester Beatty eine andere (auch graphisch: sw-t:n-i-i-w-M2-Z3A) und stellt daher tatsächlich einen echten zweiten Beleg für diese Schreibung dar. Schließlich kommt diese Pflanze noch ein weiteres Mal auf pChester Beatty XI in einem anderen magischen Spruch vor, nämlich in Fragment E, Rto. 3 (A.H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 2. Plates (London 1935), Taf. 66): Dort soll der Spruch über der nsw-Pflanze (geschrieben wie in pAnastasi IV und Parallelen) gesprochen werden, die zu sieben Knoten gedreht wurde. In diesem Fall hat A.H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 1. Text (London 1935), 119 die fragliche Bezeichnung mit „rushes“ übersetzt. Vermutlich hatte er aber ebenfalls sw.t im Sinn; und dass er es nicht, wie in pChester Beatty V, mit „reeds“ übersetzte, dürfte vielleicht nur daran liegen, dass er dort die Übersetzung „rushes“ für das auf nsw folgende šw.w: „Heu, Binsengras“ verwendet hatte. Jedenfalls hat G. Charpentier, Recueil de matériaux épigraphiques relatifs à la botanique de l’Égypte antique (Paris 1981), Nr. 921 all diese Schreibungen als Belege für die sw.t-Binse aufgefasst.
Vor diesem Hintergrund dürfte man vermutlich auch das nsw von pTurin CGT 54051 als Graphie der sw.t-Binse verstehen können. Ebenso auch F. Röpke, Mythologische Erzählungen in den Heiltexten. Band I (a). Allgemeiner Teil und Textsammlung (Heidelberg 2018), 229, Anm. 95. Möglicherweise ist der senkrechte Strich, der in dessen Parallele pChester Beatty XI an der Abbruchkante noch erhalten ist, der Rest der sw-Binse, so dass dort rḏi̯.tw/rḏi̯=tw ⸢nsw⸣ m-ẖnw=f gestanden hat. Sollte ähnliches auch in der Vorlage von pTurin CGT 54051 gestanden haben? Hat der Schreiber vielleicht das hieratische =tw hinter rḏi zu einem hieratischen Wachtelküken verlesen und dem rḏi̯ dann erneut eine w-Schleife hinzugefügt? Und hat er dann zur Erklärung des scheinbar neuen Wortes w – aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen – vermeint, den w-Bezirk vor sich zu haben, und hat daher die entsprechende Klassifizierung hinzugefügt?
Die Parallele pWilbour 47.218.138, x+8,8 bestätigt jedenfalls, dass eine Lesung sw.t sehr wahrscheinlich ist, denn dort steht mꜣt.t n.t sw.t, J.-C. Goyon, Le recueil de prophylaxie contre les agressions des animaux venimeux du Musée de Brooklyn. Papyrus Wilbour 47.218.138, Studien zur spätägyptischen Religion 5 (Wiesbaden 2012), 47–48 und Taf. 8. Dieselbe Pflanzenbezeichnung kommt mehrfach auch im magischen pBudapest 51.1961 vor; das einzige, was man dort über sie erfährt, ist, dass sie wohl fasriger Natur ist, weil sie sich zu Knoten drehen lässt, und vielleicht auch, dass man damit Feuer anzünden kann. L. Kákosy, Ein magischer Papyrus des Kunsthistorischen Museums in Budapest, in: Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae 19, 1971, 159–177, hier 164, Anm. v = in: L. Kákosy, Selected Papers (1956-73), Studia Aegyptiaca 7 (Budapest 1981), 244, Anm., v bespricht verschiedene Möglichkeiten der Identifizierung im pBudapest und kommt zu dem Ergebnis, dass es (1) entweder eine Verschreibung für mꜣ.t{t} n.t sw.t und damit ein weiterer Beleg für den bislang nur einmal, im Rezept Eb 270, genannten Pflanzenteil mꜣ.t sw.t: „Halm der sw.t-Binse“ (H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 211–212) ist; oder (2) dass die Lesung mꜣt.t: „Sellerie“ korrekt ist, dann aber sw.t nicht die sw.t-Binse sein kann, sondern etwas anderes bezeichnen muss. Goyon, a.a.O., 48 entscheidet sich im Grunde für Kákosys erste Option und verweist auf mꜣt.t n jdḥ in Edfou VI, 29.9, wo sich mꜣt.t also auf Papyrus und nicht Schilf beziehe und dort die „inflorescences de la touffe de papyrus“ bezeichne. Dementsprechend übersetzt er auf S. 47 das mꜣt.t n.t sw.t des pWilbour mit „des inflorescences de roseau“. Allerdings bezeichnet jdḥ nicht den Papyrus, sondern die Papyrusmarschen, also das Sumpfgebiet des Deltas (P. Wilson, A Ptolemaic Lexikon. A Lexicographical Study of the Texts in the Temple of Edfu, Orientalia Lovaniensia Analecta 78 (Leuven 1997), 128–129), und die angeführte Stelle spricht nicht gegen die übliche Auffassung – im Gegenteil sieht D. Kurth, et al., Edfou VI, Die Inschriften des Tempels von Edfu: Abteilung I Übersetzungen 3 (Gladbeck 2014), 50, Anm. 3 in dieser Stelle sogar eine Bestätigung der Identifizierung von mꜣt.t mit Sellerie, weil dieser „auch im Sumpf wächst“.

11 rḏi̯ ... m-ẖnw: Worin die Pflanze getan werden soll, ist unsicher. Am wahrscheinlichsten ist die Leinenbinde gemeint; pChester Beatty XI hat m-ẖnw=f, was sich auf stp beziehen wird. Der Arbeitsschritt des Zusammenlegens oder -rollens der Binde wird (als selbstverständlich?) ausgefallen sein.

12 šnr: Syllabisch geschrieben und mit gekreuzten Stäben und schlagendem Arm klassifiziert, ein Hapax legomenon. Weder bei J.E. Hoch, Semitic Words in Egyptian Texts of the New Kingdom and Third Intermediate Period (Princeton, NJ 1994), noch bei F. Breyer, Ägypten und Anatolien. Politische, kulturelle und sprachliche Kontakte zwischen dem Niltal und Kleinasien im 2. Jahrtausend v. Chr, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Denkschriften der Gesamtakademie [63] (Wien 2010), aufgenommen, d.h. von dem einen nicht als semitisch, von dem anderen nicht als anatolisch eingestuft, sofern sie es nicht übersehen haben. Es muss eine Handlung bezeichnen, die sich auf das obere Ende der zuvor genannten und ebenfalls unidentifizierbaren Pflanze bezieht oder auf die Binde aus feinem Leinen. Gardiner überlegt: „Ob: etwas zudecken?“ (DZA 30.181.350). Wb 4, 516.1 verweist auf šr, womit wohl das šꜣrw geschriebene und wie šnr klassifizierte Wort von Wb 4, 522.10 gemeint ist, wobei man in dem Fall auch an šrj: „versperren“ (Wb 4, 527.12–17) denken könnte. Oder kann man es mit ḫnr: „einsperren“ (Wb 3, 296.1–7) zusammenbringen? F. Röpke, Mythologische Erzählungen in den Heiltexten. Band I (a). Allgemeiner Teil und Textsammlung (Heidelberg 2018), 227–228 sieht hierin einen neuägyptischen Beleg für das im Mittleren Reich, etwa im magischen pTurin CGT 54003 in einer Amulettherstellung, belegten Wort šꜣr, das laut J. Osing, Die Nominalbildung des Ägyptischen, Sonderschrift, Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Kairo 3 (Mainz 1976), 236 und 805, Anm. 1034 zum koptischen ϣⲟⲗ: „Bündel“ zu stellen und daher mit „zusammenbinden“ zu übersetzen ist. Allerdings ist dieses Verb in den Sargtexten mit dem Stoffstreifen Gardiner S28 klassifiziert (s. R. van der Molen, A Hieroglyphic Dictionary of Egyptian Coffin Texts, Probleme der Ägyptologie 15 (Leiden 2000), 602); und ob in pTurin CGT 54003 wirklich dasselbe Verb vorliegt, ist unsicher, da der Klassifikator durch eine Lücke im Papyrus verloren ist. Daher bleiben auch Zweifel an einer Gleichsetzung von šꜣr mit dem šnr von pTurin CGT 54051, auch wenn sie lautliche gut möglich ist und eine Übersetzung „zusammenbinden“ denkbar wäre. J.F. Quack, Rez. zu: Goyon, Jean-Claude 2012. Le recueil de prophylaxie contre les agressions des animaux venimeux du Musée de Brooklyn: papyrus Wilbour 47.218.138. Studien zur spätägyptischen Religion 5. Wiesbaden: Harrassowitz, in: Die Welt des Orients 43 (2), 2013, 256–272, hier 263, Kommentar zu x+VIII,8 schlägt vor, dieses Wort mit demotisch šl: „rund sein“ zu verbinden.

13 šnꜥ[.w]: Hinter den Klassifikatoren befindet sich, gegen die aktuelle Montage, eine kleinere Lücke im Papyrus, s. den Kommentar zu Zeile 5,1. Gardiner, DZA 50.143.710 überlegt, ob man darin den Artikel tꜣ für das anschließende mtw.t ergänzen könnte. Hier wird dagegen vorgeschlagen, darin Pluralstriche von šnꜥ.w zu ergänzen, so dass sich der Plural von wnn.w hierauf beziehen kann.

14 Wie die beiden Epitetha „Herrin von Chemmis und Horusfrau“ an den Satz anzuschließen sind, ist unsicher. Üblicherweise ist mit der Frau des Horus die Göttin Selqet oder generell ein Skorpion gemeint, s. bspw. A.H. Gardiner, Professional Magicians in Ancient Egypt, in: Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 39, 1917, 31–44, hier 40–41, A. Klasens, A Magical Statue Base (Socle Béhague) in the Museum of Antiquities at Leiden, in: Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 33, 1952, 1–112, hier 105, Kommentar zu h13 oder F. von Känel, Les prêtres-ouâb de Sekhmet et les conjurateurs de Serket, Bibliothèque de l’École des hautes études, Sciences historiques et philologiques 87 (Paris 1984), 284. Unter dieser Voraussetzung hat bereits Gardiner, a.a.O., 41, beide Epitetha dieses Textes als Apposition zu diesem Gottesnamen im Titel ḫrp-Srq.t: „Leiter der Selqet“ (oben freier als „Skorpionbeschwörer“ übersetzt) aufgefasst. So ist wohl auch die Übersetzung von F. Rouffet, À la recherche du magicien égyptien, in: Bulletin de la Société Française d’Égyptologie 191–192, 2015, 60–69, hier 63 zu verstehen. Ebenso wohl auch die Übersetzungen von A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011),  167.294 („in ogni luogo della signora di Khemmi, la moglie di Horo“) und O. Perdu, L’Isis de Ptahirdis retrouvée, in: Revue d’égyptologie 64, 2013, 93–133, hier 123 („c’est vraiment un moyen de repousser le venin, grâce au conjurateur de Selkis, loin de tout lieu (où se trouve ?) la maîtresse de Chemmis, l’épouse d’Horus.“), die die Epitetha an bw nb„jeder Ort“ anschließen, wobei die Übersetzung des Letzteren eine leichte Ambivalenz zeigen könnte.
Tatsächlich suggeriert die Einleitung des folgenden Spruches, auch in Kombination mit der Einleitung des hiesigen Spruches, dass die Epitheta auch auf Isis bezogen sein könnten. Zu Isis als Skorpiongöttin s. etwa J.-C. Goyon, Hededyt: Isis-Scorpion et Isis au scorpion. En marge du papyrus de Brooklyn 47.218.50 - III, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 78 (2), 1978, 439–458 und R. Ritner, The Wives of Horus and the Philinna Papyrus (PGM XX), in: W. Clarysse – A. Schoors – H. Willems (Hrsg.), Egyptian Religion: The Last Thousand Years. Studies Dedicated to the Memory of Jan Quaegebeur. Part II (Leuven 1998), 1027–1041, hier 1037–1038).
Möglicherweise ist eine solche Ambivalenz im vorliegenden Spruch tatsächlich beabsichtigt, ist doch Isis auch im vorherigen Spruch gleichzeitig Urheberin und Heilerin des Leidens.

Recto 5,12–6,14: Begleitspruch zu einer „Messerbehandlung“(?) gegen Schlangen- oder Skorpiongift

= pChester Beatty XI, Rto. 4,8–12[+x?]

Ein anderer Spruch: Die Herrin von Chemmis, die Horusfrau, die Zaubermächtige und Machtvolle, die mit wirksamer Rede, mit geschicktem Ausspruch und vollkommener Zauberkraft, die täglich ihren1 Horus beschützt, (diejenige,) der der Große Gott eine Gabe(?) verlieh in Form des Beherrschens ihrer Zaubermacht(?), um das Maul allen Gewürms2 zu verschließen, das im Himmel und auf der Erde ist (und) das im Wasser ist:
Sie möge angerufen (?, wörtl.: erinnernd erwähnt) werden, wenn man die nꜥw-Schlangen vertreibt (?)3 und die Skorpione [Rto. 6,1] beim Stachel packt [---] er(?) es, Hindernis(?)4 [---]. [---] die/das ⟨...⟩ (?) herbeibrachte (oder: herbeieilen ließ; oder: zuwandte) (???) zu mir an diesem Abend.5
Es hindert das Gift [---] klein ... es sehen.6 Der von großer Kraft (d.h. Seth) ist abgewehrt (?) [---] ihr Gang (???).7 Abschneiden [---] ihn. In seiner großen Barke habe ich Re gesehen (?). Seine Feind[e] sind gefallen unter [---] [--- NN, den N]N [geboren hat], [Rto. 6,5] gemäß dem, was die Herrin von Chemmis, die Horusfrau, sagte. [Dieser] Spr[uch] werde gesprochen [---] Messerbehandlung(?)8. So, wie du dieses zerschnitten hast, Horus, so hat Isis dieses ge... (?)9 [---] sie (?) es. Dieser Feuerstein10 hier: Das ist (etwas), was Horus ⟨aus⟩ dem Gebirge herbeigebracht hat. (?) [---] zu ihr, an diesem Tag jedes Schlangenmännchens und (jeden) [Schla]ngeweibchens (?)11. Als es hell wurde (?), heute (???) [---] über seine Leben, Heil und Gesundheit (betreffende) Angelegenheit hinaus (?), als sein Schutz dieses [---] in jedem Glied von NN war, den [NN] geboren hat. [---] Messerbehandlung (???)12 [---]. [Rto. 6,10] Der Gebissene/Gestochene werde beräuchert.
Die Groß[e(?) _(?)] möge das Große (Feuer) davon/dadurch(?) abwehren. Die Machtvolle möge [das Gift]13 abwehren. Komm zutage (wörtl.: auf den Boden) [---] NN, den NN geboren hat!14 Siehe, [---]15 Feuer zum Feuer (???). Die Flamme ist geschürt [---] zum (???) Gluthauch [---]. All (ihr) Körperteile, speit aus, was in [euch] ist!16 [---] ihr/euch/euer [---],17 die/der das Gift aufnimmt [---]18 zu(?)19 [---]. Ich brachte / Bring zu mir [---] Sache/Angelegenheit den Ausfluss, der aus dem Gott (???)20 herauskam [---] für ihn (???)21 Anubis als (?) Hüter des Geheimnisses und [---], und etwas, das aus den Fingern herauskam [---] das Horusauge, das Lebende (Feuer), um euch [---], um abzuschneiden / zu beseitigen [---], um überquellen zu lassen (?) alle Gliedmaßen22 von NN, den NN geboren hat [---].23

1 Ḥrw=st: So auch die Parallele. Dass die Parallele dieselbe Konstruktion vorweist, macht eine Ergänzung zu Ḥrw ⟨zꜣ⟩=st: „Horus, ihr ⟨Sohn⟩” (oder welche Affiliation auch auch immer: F. von Känel, Les prêtres-ouâb de Sekhmet et les conjurateurs de Serket, Bibliothèque de l’École des hautes études, Sciences historiques et philologiques 87 (Paris 1984), 284 vermutet hinter der „Horusfrau“ die Göttin Selket; die Bezeichnung als „Herrin von Chemmis“ spricht für Isis), weniger wahrscheinlich, zumal man in einem solchen Fall den Eigennamen auch nachgestellt (*zꜣ=st Ḥrw) erwarten würde.

2 ḏdf.t: Da das sich darauf beziehende Nisbe-Adjektiv jm.j beide Male mit Pluralstrichen versehen ist, wird man in diesem Beleg die Pluralstriche bei ḏdf.t wohl ebenfalls als Anzeiger eines grammatischen Plurals verstehen können und nicht als Klassifikator eines Kollektivums. Dass in der Übersetzung dennoch der deutsche Kollektivbegriff „Gewürm“ verwendet wurde, ist nur dem Versuch geschuldet, einen Begriff zu verwenden, der ebenso wie der ägyptische sowohl Schlangen als auch Würmer umfasst.

3 {ꜥ}⟨n⟩š: Das Wort ist mit dem schlagenden Arm klassifiziert und scheint daher nicht das Verb ꜥš: „rufen“ zu sein. Das wäre auch inhaltlich unerwartet, da man üblicherweise eher höhere Wesen um Beistand ruft (Wb 1, 227.8), und ꜥš auch nicht im Sinne von „anrufen, beschwören“ verwendet wird – hierfür würde man eher šni̯ erwarten. Dessen ungeachtet übersetzt A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 167.297–298: „(...) si chiama il rettile“. Gardiner, DZA 50.143.710 lässt das Verb ohne Übersetzung. Ob eine Verschreibung für : „verdrängen, vertreiben“ (Wb 2, 337.13–338.3) vorliegt? Dieses ist zwar üblicherweise mit den laufenden Beinchen klassifiziert, aber im magischen pVatikan 38573 (neu) = 19a (alt) = 36 (alt) (19. Dynastie), Recto 1,7 auch mit den gekreuzten Stäben und dem schlagenden Arm, s. DZA 25.303.880 und A. Gasse, Les papyrus hiératiques et hiéroglyphiques du Museo Gregoriano Egizio, Aegyptiaca gregoriana 1 (Città del Vaticano 1993), Taf. 7. Dort wird es verwendet, um zu sagen, dass Schlangengift vertrieben werden soll wie der Ausfluss der Nase, was die Wahrscheinlichkeit, dass in pTurin CGT 54051 dieses Wort vorliegt, noch erhöht. Allerdings ist einzuwenden, dass auch in pChester Beatty XI, Rto. 4,10 an der Abbruchkante noch ein -Arm erkennbar zu sein scheint, A.H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 2. Plates (London 1935), Taf. 65.

4 šnꜥ: Ob mit Zeile 5,4–5 vergleichbar? Aber vergleiche auch die folgende Zeile.

5 Das Ende von Zeile 6,1 ist verloren; am Beginn von 6,2 ist eine Zeichengruppe erhalten, die Gardiner, DZA 50.143.710 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 72 als Riegel mit Schnur, Gardiner Sign-list V2, über den laufenden Beinchen transliterieren. Während Gardiner keinen Übersetzungsvorschlag angibt, denkt Roccati an das Verb sṯꜣ und übersetzt mit „è introdotto“ (vgl. Roccati, ebd., 167.299–300 und 189). Bei einer Transliteration als V2 kommt tatsächlich außer sṯꜣ allenfalls nur noch ꜣs: „eilen; eilen lassen“ infrage. Eine weitere Option wäre es, das Hieratogramm über den laufenden Beinchen als Darm, Gardiner F46–49, statt als Riegel mit Schnur zu lesen; zum Hieratischen vgl. G. Möller, Hieratische Paläographie. Die ägyptische Buchschrift in ihrer Entwicklung von der fünften Dynastie bis zur römischen Kaiserzeit. Bd. 2. Von der Zeit Thutmosis’ III. bis zum Ende der einundzwanzigsten Dynastie, 2 (Osnabrück 1965 (= 1927)), Nr. 526. In dem Fall käme evtl. das Verb wḏb: „umwenden; zuwenden“ infrage; für pẖr: „umwenden“ wäre die Schreibung ohne komplementierendes r dagegen wohl zu kurz (vgl. aber die einmalige hieratische, ramessidenzeitliche Schreibung ohne Komplement laut Schreibungszettel DZA 23.464.470 – der Beleg müsste geprüft werden).
Die Stelle wird weiter verkompliziert durch die nachfolgenden beiden Zeichen: Gardiner hat das obere nur mit einem Fragezeichen versehen und nicht transliteriert, Roccati hat es als t gelesen. Das untere ist relativ sicher ein n. Das lässt eigentlich nur eine Interpretation als feminine Relativform sḏm.t.n zu. Allerdings folgt danach keine nominale Form, die als Subjekt dienen könnte, sondern nur zwei adverbiale Formen: n=j sowie m mšr.w pn. Muss hier emendiert werden? Nur in welche Richtung? Die Parallele auf pChester Beatty XI, Recto 4 ist an dieser Stelle noch stärker zerstört, aber immerhin sind die Reste von n=j und m m[šr.w] erhalten, s. Roccati, ebd., 148.300 und Website British Museum. Das lässt zwei Schlüsse zu: (1) Eine Tilgung des n über dem Suffixpronomen und damit eine Lesung als [___].t.n{n}=j erscheint weniger wahrscheinlich, da es beide Male ausgeschrieben ist. (2) Die Hinzufügung eines nominalen Subjekts nach n=j (entsprechend der Regel, dass ein pronominales indirektes Objekt vor einem nominalen Subjekt steht) ist aus demselben Grund unwahrscheinlich, weil beide Male die Adverbiale m mšr.w eindeutig direkt auf n=j folgt. Andere Emendationen, wie bspw. die Tilgung des ersten n (d.h. [___].{n}n=j) oder die Hinzufügung eines pronominalen Subjekts ([___].n⟨=...⟩ n=j) können dagegen nicht ausgeschlossen werden. Da allerdings die Ergänzung des Verbs unsicher ist, verbietet sich auch jeder sichere Vorschlag zur Notwendigkeit und Art einer Emendation.

6 Syntax aufgrund der Zerstörung völlig unklar.

7 Syntax aufgrund der Zerstörung unklar. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 148.301 ergänzt zu wr pḥ.tj ḫsf [st m] šmi̯=st und übersetzt auf S. 164.301–302 mit: „il grande di forza la respinge nella sua marcia“. Diese Ergänzung ist allerdings unsicher, zumal die Zeichenreste nach der Spindel wohl nicht allein der klassifizierende schlagende Mann waren, wie Roccati ergänzte. Gardiner, DZA 50.143.720 gibt bspw. den schlagenden Mann über n an.

8 ḏw-ꜥ: Mit den Bergen und einem Logogrammstrich sowie einem Messer geschrieben und von Gardiner als Beleg für das ḏw-Messer(?) aufgenommen, DZA 31.590.450. Auf dem aktuellen Turiner Foto ist darüber hinaus im freien Raum links über dem Messer eine zusätzliche horizontale, rote Zeichenspur zu erkennen, die weder von Gardiner, DZA 50.143.720 noch von A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 72 wiedergegeben ist, die aber eine der Ursachen für die am Ende undeutbare Wiedergabe des Klassifikators bei W. Pleyte – F. Rossi, Papyrus de Turin (Leiden 1869), Bd. 2, Taf. 31 sein dürfte. Könnte es sich bei dieser Zeichenspur um nachgetragene Pluralstriche handeln? Oder soll es ein nachgetragener Arm sein, so dass das Wort ḏw-ꜥ: „Messerbehandlung“(?) vorliegt? Zeile 6,9 spricht für Letzteres, s. den Kommentar dort. Bei ḏw-ꜥ handelt es sich um eine seltene, wohl vorrangig medizinische, Bezeichnung für ein Schneidwerk oder einen Schneidvorgang, s. die Diskussion im TLA zum Rezept Eb 876c = pEbers, 109,14–15.

9 ___.ṱ: Durch dieses Wort läuft ein Riss, der die großen Fragmente des ursprünglichen pTurin Cat. 1993 von dem erst später identifizierten Anschlussstück trennt. Aktuell (2019) sind die beiden Fragmente so montiert, als würden sie direkt aneinander anschließen. Die folgende Zeile und das Verso machen aber wahrscheinlich, dass sie wenigstens von einer schmalen Lücke voneinander getrennt waren. Gardiner, DZA 50.143.720 hat das Hieratische am Ende des ursprünglichen pTurin Cat. 1993 = Pleyte/Rossi, Taf. 31, noch mangels des Anschlussfragments, als nn: „nicht“ interpretiert. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 72 transliteriert dagegen dd.tw. Weitere Lesealternativen wären ds oder dn. Allerdings lässt sich keine sinnvolle Ergänzung anbieten – für ein zweites ds: „zerschneiden“ fehlen jedenfalls die Klassifikatoren; und auch bei der hier postulierten Annahme, dass es es zwischen den Fragmenten eigentlich eine schmale Lücke gibt, kann diese kaum groß genug gewesen sein, um die Klassifikatoren aufzunehmen. Infolge dieser Unklarheiten muss auch die genaue Bedeutung des tw offenbleiben.

10 ds ist mit Messer und Steinblock klassifiziert und damit voraussichtlich der „Feuerstein“. Es ist aber nicht ganz ausgeschlossen, dass konkreter das (Feuerstein-)Messer gemeint ist, das seit dem Neuen Reich ebenso klassifiziert sein kann (DZA 31.452.990).

11 ḥfꜣ.wt: Lesung unsicher. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 72 transliteriert die Zeichenreste als fast ganz in der Zerstörung stehendes , ein erhaltenes f über einem t und dahinter den Schlagenklassifikator. Das passt aber nicht ganz zu den Zeichenresten, v.a. lassen sich der waagerechte Strich über dem t und der beinahe senkrechte Strich dahinter, der fast im rechten Winkel auf den waagerechten zuläuft, schwerlich als f lesen. Ob man Roccatis t, den senkrechten Strich dahinter sowie den Teil des waagerechten Striches direkt über dem senkrechten (d.h. der Teil des waagerechten Striches links von der Bruchkante des Papyrus) eigentlich als Rest des ꜣw lesen kann? Vgl. die Schreibung von ḥfꜣ.w unmittelbar davor. Dann wäre u.U. [ḥf]ꜣ.w(t) zu transliterieren. Allerdings bliebe dann noch der Teil des waagerechten Striches über dem ꜣw, rechts von der Bruchkante, zu erklären. Das f kann er nicht sein, denn dieses ist vor dem ꜣw und nicht darüber zu erwarten. Auch hat man auf dem aktuellen Turiner Foto den Eindruck, rechts den Anfang des Striches zu sehen; er geht also nach rechts nicht weiter und kann damit nicht der Schwanz einer Hornviper sein. Dass er links über die Bruchkante hinweg scheinbar in den waagerechten Strich übergeht, der hier als oberer linker Haken von ꜣw postuliert wird, ist dagegen vielleicht weniger problematisch. Denn auf dem Verso gewinnt man den Eindruck, dass diese beiden Fragmente nicht direkt aneinanderpassen, sondern durch eine schmale Lücke voneinander getrennt waren.

12 ḏw-ꜥ: Über dem klassifizierenden Messer ist der Papyrus zerstört. Am Wortende ist aber auf dem aktuellen Turiner Foto noch ein kleiner Haken zu erkennen, der sich zu einem Arm über dem Messer ergänzen ließe; auch würden Größe und Position des Messers die Ergänzung eines relativ schmalen horizontalen Zeichens darüber erlauben bzw. sogar erfordern. Damit läge hier nicht das Wort ḏw vor, sondern ḏw-ꜥ: „Messerbehandlung“(?).
Die Ergänzung des Satzanfangs ist unsicher. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 72 transliteriert die Zeichen vor ḏw-ꜥ als ḏi̯ r und übersetzt auf S. 167: „posto al ferito“, wobei er das ḏi̯ mit einem Fragezeichen versieht. Obwohl die Zeichenreste Roccatis ḏi̯ r tatsächlich sehr ähnlich sehen, ist diese Lesung unwahrscheinlich. Denn auch wenn der genaue Kontext des Satzes schwer zu durchschauen ist, ist es unerwartet, dass etwas an das Messer gegeben werden soll. Viel idiomatischer ist der umgekehrte Fall, dass nämlich das Messer an etwas anderes gegeben werden soll. Sollte zudem wirklich das Wort ḏw-ꜥ statt des einfachen ḏw vorliegen, und sollte Ersteres wirklich eine „Messerbehandlung“ sein, also ein Nomen actionis, ist die Lesung der Reste davor als ḏi̯ r noch weniger wahrscheinlich.
Unklar ist auch der rote, etwas sublineare Punkt davor, direkt an der Bruchkante des Papyrus. Dieser ist im Vergleich zu den übrigen zu hoch, um der Verspunkt der Zeile darunter zu sein, auch wenn genau an dieser Stelle einer erwartet wird, und muss daher der Rest eines Zeichens oder Wortes vor Roccatis ḏi̯ r sein. Bei der aktuellen Montage der Fragmente könnte hier kaum eine sinnvolle Ergänzung angeboten werden. Allerdings zeigen die folgenden Zeilen, dass die Fragmente nicht direkt aneinander passen, und die letzte Zeile im Besonderen spricht dafür, dass die Lücke etwa zwei Quadrate länger gewesen sein muss. Eine Ergänzung kann jedoch trotzdem nicht vorgeschlagen werden.

13 Ergänzung nach A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 72. Der Klassifikator von mtw.t ist noch erhalten. Bei ḫsf sind aber statt der vorwärts laufenden Beinchen die rückwärts laufenden zu lesen.

14 Ob es sich um einen oder zwei Sätze handelt, kann aufgrund der Lücke nicht sicher gesagt werden.

15 A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 167 interpretiert das erste Wort als mkw.t: „Schutz“ und übersetzt, als gäbe es keine Lücke: „Protezione fuoco da fuoco“. Die vor der Lücke erhaltene w-Schleife kann jedoch nicht mehr zu mkw.t gehören, sondern muss bereits das nächste einleiten. Unklar ist allerdings, um welches Wort es sich gehandelt hat, zumal es angesichts der Lücke auch sehr kurz gewesen sein muss. Vom nächsten Zeichen sind noch eine rechtwinklige Ecke und der Ansatz eines Querstriches(?) erhalten; es steht allerdings leicht geneigt und ist nicht direkt vertikal ausgerichtet. Obwohl die Form relativ signifikant erscheint und die Auswahl von infrage kommenden Zeichen gering ist – die Form erinnert noch am ehesten an ein š –, kann keine sinnvolle Ergänzung angeboten werden. Es ist zudem auch möglich, dass die ersten Zeichen nach der Lücke gar nicht ḫ.t zu lesen sind, sondern eigentlich das Ende des fraglichen Wortes bilden; die Bruchkante läuft genau durch die Einkonsonantenzeichen, so dass sich vielleicht nur zufällig die Form ḫ.t ergeben hat.

16 Übersetzung und Ergänzung mit Gardiner, DZA 50.143.720 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 167. Vgl. dieselbe Anweisung an die mt.w-Stränge in Recto 5,10. Bei dieser Ergänzung ist das n unter dem nb entweder zu streichen oder es ist ein Indikator dafür, dass danach mn msi̯.n mn.t: „(des) NN, den NN geboren hat“ ausgefallen ist.

17 [__]m=tn: Die Zeichenreste nach der Lücke sind nicht sicher zu deuten. Das Zeichen unmittelbar vor =tn ist mit A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 72 am wahrscheinlichsten als die negierenden Arme, Gardiner D35, zu lesen, die Klassifikator sein müssen. Das Zeichen davor ist ein hieratisches m, so dass eigentlich nur Wörter wie ḫm: „nicht wissen“ (und davon abgeleitete) sowie tm: „nicht tun“ infrage kommen. Roccati liest das Zeichen davor als , versieht es aber zu Recht mit einem Fragezeichen, denn es sieht diesem eigentlich nicht ähnlich. Einem tm sieht es aber ebenso wenig ähnlich. Für die diagonalen Zeichenreste davor macht Roccati keinen Vorschlag. Das Folgende könnte dagegen dafür sprechen, dass eigentlich ein Substantiv vorliegt, doch ist auch da die Übersetzung wegen der Zerstörungen unsicher.

18 mtw.t [___]: Die letzte Zeile der Kolumne zeigt, dass die beiden Papyrusfragmente, deren Bruchkante durch den hinteren Teil von mtw.t läuft, im Gegensatz zur aktuellen Montage durch mindestens zwei Schreibquadrate voneinander getrennt gewesen sein müssen. Infolgedessen können die Zeichenreste hinter der Bruchkante contra A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 72 nicht zum Klassifikator von mtw.t gehören, und die Form der Zeichenreste passt auch nicht dazu, vgl. die Schreibung von mtw.t bspw. in Rto. 6,2 . Vielmehr hat der Klassifikator von mtw.t komplett in der Lücke gestanden und darin etwa ein Schreibquadrat eingenommen. Daher ist auch nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, dass statt mtw.t: „Gift“ auch mt.w{t}: „mt.w-Strang“ zu lesen ist, vgl. die Schreibung mit überflüssiger Ligatur aus w-Schleife und t in Rto. 2,10 (partiell zerstört, aber noch weit genug erhalten, um diese Lesung abzusichern, vgl. auch Gardiner, DZA 50.142.740).
Das syntaktische Verhältnis von šzp und mtw.t ist unsicher. Vgl. die wenigen Belege in Wb 4, 533.8, die allerdings negativ sind: Die Körperteile sollen gerade kein Gift empfangen, vgl. ebenfalls Rto. 2,10. Daher wird für die vorliegende Stelle eine Relativform vorgeschlagen, so dass also von etwas die Rede ist, das das Gift aufgenommen hat. Dies würde dafür sprechen, dass das vorangehende, partiell zerstörte Wort eben das ist, was das Gift aufgenommen hat, syntaktisch gesehen also ein Nomen.
Das Wort, zu dem die Zeichenreste nach der Bruchkante eigentlich gehören, kann nicht identifiziert werden. Möglicherweise handelt es sich schlicht um die Buchrolle über Pluralstrichen, vgl. direkt in der Zeile darunter die sehr ähnliche Gruppe bei sštꜣ.w. Wenn die Rekonstruktion der Lücke der letzten Zeile korrekt ist, muss hier das zu ergänzende Wort allerdings sehr kurz gewesen sein, da nur ein Schreibquadrat zur Verfügung steht. Ob es schlicht (j)ḫ.t: „Angelegenheit, Sache“ ist?

19 ⸢⸮n__?⸣: Das Wort ist durch ein Loch im Papyrus, das durch die Zeilenmitte läuft, partiell zerstört. Es sind fast nur Zeichenreste in der oberen Zeilenhälfte und am unteren Zeilenrand erhalten. Vor dem Verspunkt steht in der oberen Hälfte ein Zeichen, das noch weit genug erhalten ist, um es als Auge zu identifizieren. Die genaue Form ist aber diskutabel. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 72 transliteriert das Auge mit Lidstrich (Gardiner D6), darüber ein t sowie darunter ein t (das relativ weit nach rechts gerückt ist, als ob es eher davor als darunter steht) und eine waagerechte Linie. Möglicherweise gehört aber all das zu einem einzigen Zeichen: Roccatis vermeintliches t über dem Auge wird eher der durchgezogene Lidstrich sein, vgl. etwa die Form in Rto. 2,2 . Und was er als waagerechte Linie und t unter dem Auge wiedergab, könnte unter Umständen als kursive Form dreier Tränen interpretiert werden, die aus dem Auge fließen, womit sich insgesamt das Zeichen D9A bzw. noch eher D143 ergibt.
Dieses Zeichen spricht für einen Vertreter der Wortfamilie rm: „weinen“, und Roccati hat auch den Zeichenrest davor am oberen Teil als ein m interpretiert und mit dem noch halb vorhandenen r das Wort rm.(y)t: „pianto“ gelesen. Allerdings hat er das m zu Recht mit einem Fragezeichen versehen. Denn auf dem Turiner Foto ist unter der Zeile ein schlaufenförmiger Zeichenrest erhalten, der zu einem Zeichen zwischen dem vermeintlichen m und dem Klassifikator oder einem Zeichen unter dem vermeintlichen m gehören muss oder zusammen mit dem vermeintlichen m ein gemeinsames, ganz anderes Zeichen bildet – leider erlaubt die Zerstörung in der Mitte der Zeile keine endgültige Interpretation.
Auch die Interpretation der drei Linien davor ist unsicher. Roccati hat sie als Präposition n und darunter das r vom rm.(y)t verstanden. Der Form nach fragt sich aber, ob man nicht auch umgekehrt r über n (oder r über ) lesen könnte.

20 pri̯ m nṯr: Lesung mit Gardiner, DZA 50.143.720 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 72 und 167. Sie ist allerdings unsicher, denn die Kollokation rḏw pri̯ m nṯr anstelle von rḏw pri̯ m GN scheint ansonsten nur in den Pyramidentexten, PT 436, vorzukommen, wo konkret steht: rḏw pri̯ m nṯr ḥwꜣꜣ.t pri̯.t m Wsjr: „der Ausfluss, der aus dem Gott herauskommt, das Faulige, das aus Osiris herauskommt“. Wenn die Lesung der letzten erhaltenen Zeichen dieser Zeile als pri̯ m ḏbꜥ.w korrekt ist, fragt sich, ob das scheinbar klare nṯr-Zeichen am Anfang der Zeile vielleicht nur ein verderbtes qs: „Knochen“ ist (rḏw pri̯ m qs: „der Ausfluss, der aus den Knochen herauskam“) oder der Anfang der verderbten Zehen (rḏw pri̯ m sꜣḥ[.w] (...) (j)ḫ,t pri̯ m ḏbꜥ.w: „der Ausfluss, der aus den Zehen herauskam (...) und etwas, das aus den Fingern herauskam“).

21 [---] n=f Jnp.w: A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 72 und 167 ergänzt zu [m]n[t]f Jnp.w: „Egli è Anubi“. Das nach dem nächsten Verspunkt stehende ḥnꜥ (j)ḫ.t pri̯ m ḏbꜥ.w liest sich allerdings trotz aller Lückenhaftigkeit nicht wie die Fortsetzung eines Satzes „Er ist Anubis“. Sofern das also kein Einschub ist, muss die Lücke zu etwas Anderem ergänzt werden als zu mntf. Die notwendige Ergänzung muss allerdings sehr kurz gewesen sein; ein Vorschlag kann nicht angeboten werden.

22 ṯtf [ḥ]ꜥ.w: Ergänzung mit Roccati; sie liegt recht nahe, vgl. die ḥꜥ.w nb n mn msi̯.n mn.t in 6,9. Die Ergänzung zeigt allerdings an, dass die beiden Fragmente unmöglich direkt aneinander passen können. Der sublineare Abstrich hinter der Bruchkante kann daher nicht der Schwanz der Schlange von ṯtf sein, wie durch die aktuelle Montage suggeriert wird, sondern muss das klassifizierende Fleischstück von ḥꜥ.t sein, wie Roccati richtig angibt. Da in der Lücke das , die rechte Hälfte der Gruppe -ꜥ.t sowie die Klassifikatoren von ṯtf gestanden haben müssen, muss sie wenigstens zwei Quadrate breit sein.

23 Mit diesem Satz enden die erhaltenen Fragmente. Ob es weitere Kolumnen gab, ist unklar; A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 16–17 äußert keine Vermutungen dazu. Da er aber S. 74 die erste erhaltene Verso-Kolumne als „pag[ina] 1“ bezeichnet, suggeriert er, dass die letzte erhaltene Recto-Kolumne auch ursprünglich die letzte war.

Verso

Verso 1,1–1,9: Spruch gegen Schlangen- oder Skorpiongift

[Vso. 1,1] [---] [NN, den] NN [geboren hat] ??? in/mit/bei der [---] ???1 [---], während ich die Herrin bin [---]. Gib/Veranlasse [Vso. 1,5] [---]! [---] des/hin zu (?) der [---] auf ihren Arm(en) (?) [---], während sein Gesicht [---] ihn(?) die Barke des Re auf/an/bei [---].

1 Auf partiell zerstörte, senkrechte und über die gesamte Zeilenhöhe gehende Zeichenreste folgt ein Hieratogramm, das dem sitzenden Kind ähnelt (Gardiner A17 oder A17A). Darauf folgt ein senkrechtes Zeichen, das ein sein könnte, dafür in der unteren Hälfte aber etwas zu schräg steht. Oder ist es zusammen mit dem folgenden, schleifenförmigen Zeichenrest in der unteren Zeilenhälfte als hieratischer Baum zu lesen? Die letzte Gruppe hat A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 74 als w-Schleife und t transliteriert. Nach dem aktuellen Turiner Foto besteht sie aber aus drei kleinen Zeichen übereinander und nicht nur zwei, und sie erinnert dadurch an eine hieratische 6 oder die kursive Form eines hieratischen p oder des Fremdlandzeichens, die aber sonst in diesem Papyrus nicht vorkommen.

Verso 1,9–2,1: Spruch gegen Schlangen- und Skorpiongift

Ein anderer (Spruch): (?)1 Kleiner2 [---] [komm(?)] nach vorn, ...(?)3 [Vso. 1,10] [---]4 [---] [im] Inneren ihres Bauches. [---] runzlig/befleckt (?); sie ist getragen (?)5 [---]
[---] bewachen ... leben(?) ... beleben(?) ... [---] jedes Glied von NN, den NN geboren hat. Der Skorpion ist oberhalb von6 [---] (???). [---] ich habe [...], damit ihr das Gift seht. Umwunden7 ist die ...-Schlange, [Vso. 2,1] [---] sie, sagend: „Ich bin der Diener des Horus8, der dich gerettet (oder: beschworen)9 hat!“ Ein Schutz des Horus ist d(ies)er Schutz.

1 A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 74 transliteriert ḏd, und tatsächlich sehen die Zeichenreste an der Abbruchkante wie der Schwanz der Kobra und der linke Teil der Hand aus. Auf dem aktuellen Turiner Foto scheint der vermeintliche Schwanz aber am Ende eine kleine Verdickung aufzuweisen. Sollte es vielleicht ein sehr flüchtig geschriebenes k sein? Vgl. zum Winkel, den dieser Zeichenrest hat, das k.t von Vso. 2,6, auch wenn dort der Korb selbst ausgeprägter und das Zeichen somit klar als k erkennbar ist.

2 šrj(.t): Im folgenden Spruch ist damit eindeutig der feminine ḏꜣr.t-Skorpion angesprochen, weswegen hier auch das feminine šrj.t und nicht das maskuline šrj vorliegen wird. Die Übersetzung verbleibt nur deswegen im Maskulinum, weil im Deutschen der Skorpion grammatisch maskulin ist.

3 Falls das vor diesem Satz stehende Rubrum wirklich k.t zu lesen ist, könnte man mit Vso. 2,1 vergleichen: k.t šrj(.t) zp-2 pri̯ tj m-ḥr: „Ein anderer (Spruch): Kleiner, Kleiner! Komm nach oben!“ Der Zeichenrest nach šrj(.t) gehört evtl. zu derselben Ligatur wie in 2,1, die Gardiner und Roccati als zp-2 wiedergeben. Der Zeichenrest vor dem tj würde gut zu den laufenden Beinchen von pri̯ (oder einem anderen Bewegungsverb) passen. Wozu der kleine, geschwungene Zeichenrest auf dem kleinen Fragment davor gehört, der zwischen den Zeilen 1,8 und 1,9 steht und der Form und Position wegen nicht zu einem pri̯ passt, müsste in jedem Fall am Original geprüft werden.
Die letzte Zeile von Rto. 6 sowie die vorletzte Zeile von Vso. 1 zeigen, dass in dieser Kolumne die Lücke etwa zwei Quadrate länger war, als die aktuelle Montage der Fragmente suggiert. Dies ist bei Rekonstruktionen zu berücksichtigen.

4 Das jm am Ende der Zeile wird vielleicht nicht das Adverb jm: „darin“ o.ä. sein, weil dieses im Hieratischen eher mit der m-Eule als der Rippe geschrieben ist; möglicherweise liegt nur der Beginn eines Wortes vor, dessen Ende aufgrund des Zeilenwechsels verloren ist.

5 Aufgrund der Zerstörungen ist die Syntax unklar.

6 Übersetzung unsicher. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 74 gibt nach dem Wort ḏꜣr.t nur die Himmelshieroglyphe an. Das aktuelle Turiner Foto zeigt jedoch vor diesem Hieratogramm, nahezu daran klebend und daher wohl von Roccati übersehen, noch Zeichenreste, die vermutlich nicht mehr zur Schreibung von ḏꜣr.t gehören. Denn die senkrechten Striche, die im hinteren, partiell zerstörten Teil von ḏꜣr.t zu erkennen sind, sind schon der Strich zur syllabischen Gruppe rw, die beiden Rispen und der Tierfellklassifikator. Daher ist das Wort schon komplett und der Strich, der an der Himmelshieroglyphe hängt, gehört nicht mehr dazu. Er wird auch nicht der zusätzliche Logogrammstrich sein, mit dem ḏꜣr.t in Vso. 2,2 geschrieben ist, denn er geht etwas unter die Zeile. Daher fragt sich, ob hier nicht m-ḥr vorliegt, wie deutlicher geschrieben in Vso. 2,1. Während dort wohl das Adverb m-ḥr(.t) gemeint ist, könnte man hier eher an die zusammengesetzte Präposition denken, da sich der Satz sonst nicht sinnvoll übersetzen lässt. Zwar ist die Lücke vor ḏꜣr.t größer als in der Montage angegeben (s. auch den Kommentar zu Vso. 1,9), aber ein adverbieller Gebrauch von m-ḥr erfordert am ehesten ein Verb vor ḏꜣr.t („Der Skorpion [tut etw. / möge etw. tun] nach oben hin“ / „[Tue etwas], Skorpion, nach oben hin!“, vgl. die Aufforderung in 2,1, nach oben zu kommen), aber dazu müsste die Lücke länger sein, als sich aufgrund des Recto-Textes absichern lässt.
Ist die Interpretation von m-ḥr als Adverbiale korrekt, kann das am Zeilenende stehende hꜣ nicht zum Verb hꜣi̯ gehören.

7 ꜥfn: Die Bedeutung des Verbs ist relativ klar: Das davon abgeleitete Substantiv ꜥfn.t bezeichnet eine Kopfbedeckung. S. Birch, Dictionary of Hieroglyphics, in: C.C.J.v. Bunsen (Hrsg.), Egypt’s Place in Universal History. An Historical Investigation in Five Books. Vol. 5. Problems and Key: The Complete Hieroglyphic Dictionary and Grammar, a Comparison of Egyptian and Semitic Roots, the Book of the Dead, and a Select Chrestomathy of Historical Hieroglyphical Texts. With Additions by Samuel Birch, 2nd ed. (London 1867), 335–586, hier 362 gibt als Übersetzung kommentarlos, aber sicher inspiriert von den gegebenen Klassifikatoren (einer Perücke, einem Beutel, einer Schnur sowie dem Stoffstreifen): „cap“. H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebräuchlichsten Wörter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Ägypter. Nebst deren Erklärung in französischer[,] deutscher und arabischer Sprache und Angabe ihrer Verwandtschaft mit den entsprechenden Wörtern des Koptischen und der semitischen Idiome. Bd. I (Leipzig 1867), 184 sieht als ursprüngliche Bedeutung „die Haartracht“ und „dann allgemein jede Hülle, welche einen Körpertheil bedeckt“. Die genannten Klassifikatoren wie auch die Möglichkeit, ꜥfn.t abnehmen zu können (Tb 149), sprechen aber dafür, dass künstliche Kopfbedeckungen gemeint sind, wohingegen es keinen eindeutigen Fall gibt, der für die Bedeutung „(scil.: natürliche) Haartracht“ spricht. Der einzige Grenzfall mag hier die Erzählung von der Geburt der ersten Könige der 5. Dynastie auf dem pWestcar sein, in der die Neugeborenen dahingehend beschrieben werden, dass ihre Glieder aus Gold und ihr ꜥfn.t aus Lapislazuli sei. Diese Beschreibung passt zu derjenigen der Götter mit Knochen aus Silber, Fleisch/Haut aus Gold und Haaren aus Lapislazuli (vgl. etwa die Beschreibung des Re im Mythos von der Himmelskuh), womit die göttliche Natur der Kinder unterstrichen werden soll. Da sie aber eben als zukünftige Könige präsentiert werden, wird mit ꜥfn.t gleichzeitig oder vielleicht sogar noch eher auf das blaue Königskopftuch angespielt gewesen sein. Daher ist auch dieser Fall nicht geeignet, eine ursprüngliche Bedeutung „Haartracht“ festzumachen. Dementsprechend findet sich im Wb 1, 183.4 nur die Bedeutung „Kopftuch“.
Die Bedeutung des dem zugrunde liegenden Verbs (Birch und Brugsch noch unbekannt?) ist in Wb 1, 183.1–3 mit „umhüllen; verhüllt sein; bes[onders] von den verbundenen Augen“ angegeben; von letzterer, metaphorischer Bedeutung dürfte das Substantiv ꜥfnw: „Blindheit“ abgeleitet sein (R. Hannig, Großes Handwörterbuch Ägyptisch - Deutsch (2800-950 v. Chr.). Die Sprache der Pharaonen (Marburger Edition), Kulturgeschichte der Antiken Welt 64, 4. Auflage (Mainz am Rhein 2006), 151, Nr. {5134}; aufgrund noch unpublizierter Belegangabe noch nicht verifizierbar). Die Grundbedeutung (?) „verhüllen“ meint nicht nur ein Verhüllen, um sich zu bedecken, sich zu verstecken oder zu schützen, sondern auch ein Verhüllen im Sinne eines Einkreisens zum Zweck der Schadensbegrenzung (so auch schon P. Vernus, Omina calendériques et comptabilité d’offrandes sur une tablette hiératique de la XVIIIe dynastie, in: Revue d’égyptologie 33, 1981, 89–124, hier 93–94, Anm. d). Das zeigt sich spezifisch an der Passage in pTurin CGT 54053 Vso. 4,3, wo ein Skorpion angerufen wird mit ꜥfn tj ḏꜣr.t ṯꜣi̯.y tw: „du bist umhüllt, Skorpion, du bist gefasst!“
Inhaltlich ist die Bedeutung von ꜥfn eher progressiv als resultativ, d.h. die vom Wb gegebene zweite Bedeutung „verhüllt sein“ bezieht sich auf Belege, in denen das Verb passivisch verwendet wird; sie ergibt sich aus dem Wechsel der Diathese (aktiv „umhüllen“ > passiv „umhüllt werden > verhüllt sein“) und ist keine generelle Variante der Wortbedeutung.

8 Der bꜣk n Ḥr.w: „Diener des Horus“ kommt noch einmal in pLeiden I 343+345, Rto. 10,11 und Vso. 16,1 vor, wo er zum Begriff šn.w: „Beschwörer“ parallel gesetzt wird, vgl. den TLA und S. Beck, Sāmānu. Ein vorderasiatischer Dämon in Ägypten, Ägypten und Altes Testament 83 (Münster 2015), 147–148. Von diesen Stellen abgesehen, bezeichnet bꜣk in Verbindung mit dem Gottesnamen allgemein eher einen Verehrer der entsprechenden Gottheit (Wb 1, 429.18–430.3) und hat in der Ramessidenzeit eher eine „diminutiv-stratifizierende“ Bedeutung bekommen, vgl. T. Hofmann, Zur sozialen Bedeutung zweier Begriffe für «Diener». bꜣk und ḥm. Untersucht an Quellen vom Alten Reich bis zur Ramessidenzeit, Aegyptiaca Helvetica 18 (Basel 2005), 243–244.

9 šdi̯.w scheint nach der Klassifizierung mit Buchrolle und schlagendem Mann zunächst das Verb „nehmen, bewahren, retten“ (Wb 4, 560.8–563.9) zu sein; vgl. speziell zu diesem Kontext den vergleichbaren Satz jnk Ḥr.w šd.y: „Ich bin Horus, der Retter“ in einer Beschwörung im magischen pHarris 501 = pBM EA 10042, Rto. 8,1 (DZA 30.289.850). So übersetzen auch Gardiner, DZA 50.143.720 („Ich bin der Diener des Horus, der dich rettet“) und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 168 („perché io sono il servo di Horo, che ti salva“) den Satz von pTurin CGT 54053. Allerdings endet der direkt anschließende Spruch in Zeile 2,3 mit einem offenbar parallel konstruierten ḏdḥ.w tw zꜣ Ḥr.w ⸢zꜣ⸣: „(...), der dich einsperrt. Ein Schutz des Horus ist d(ies)er Schutz.“ In diesem Fall ist das Bezugswort von tw und damit das affizierte Objekt von ḏdḥ die beschworene Entität. Vergleichbares könnte nun in 2,1 auch bei šdi̯ tw vorliegen, so dass vielleicht eher das Verb „lesen, rezitieren; beschwören“ (Wb 4, 563.Ende–564.16) gemeint ist.

Verso 2,1–2,3: Spruch gegen einen Skorpion

Ein anderer (Spruch): Kleiner1, Kleiner, komm du von der Decke2 herab! [Skor]pion, komm du heraus aus dem Fundament3! Feuer [---]4 gegen sie, um Feuer an den großen, gedeihenden (?, oder: festen)5 Baum6 zu legen. Halte du ein! (Denn) ich bin Horus7, der nach Thot schaut8, der dich einsperrt9. Ein Schutz des Horus ist [d(ies)er Schutz].

1 šrj(.t): Gardiner, DZA 50.143.720 gibt zwischen k.t und šrj(.t) eine kurze Lücke und übersetzt „[Die] Kleine(?)“, als würde er in der Lücke den Artikel tꜣ ergänzen. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 75 und 168 ergänzt darin, wohl analog zum Spruchanfang in Verso 2,3, ein ꜥḥꜥ: „Levati, piccolo“. Wenn die Papyrusfragmente an dieser Stelle aber so aneinanderpassen, wie sie derzeit montiert sind, ist die Lücke von dem šrj(.t) allein bereits ausgefüllt, vgl. das šrj(.t) in Verso 1,9.

2 m ḥr: Die Himmelshieroglyphe am Ende der Zeile muss ḥr, also entweder ḥr.t: „Himmel“, ḥr.w: „Oberseite > Dach“ (Wb 3, 142.14) oder ḥr.t: „Dach“ (Wb 3, 144.18) sein oder eine abgekürzte Schreibung für p.t: „Himmel“ in metaphorischer Bedeutung (vgl. Wb 1, 491.10: „‘Himmel‘ als Bez[eichnung] der Kapellendecke u.ä.“). Zwischen diesen beiden Übersetzungen changieren auch die beiden Übersetzungen von Gardiner, DZA 50.143.720 („Decke“) und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 168 („cielo“). Inhaltlich scheint hier Gardiners Übersetzung passender: Sie würde einen Skorpion meinen, der von der Zimmerdecke herabfällt, wohingegen Roccatis Übersetzung nur im übertragenen Sinne gemeint sein kann.
Die Adverbiale m-ḥrw (was eine Übersetzung „nach oben herauskommen“ denkbar erscheinen ließe) ist dagegen nicht möglich. Denn m-ḥrw bedeutet (lokal) „oberhalb von“, Wb 3, 142.15, vgl. 143.11. Die in Wb 3, 143.10 für m-ḥr.t gegebene direktive Bedeutung „von oben? nach oben?“ ist zu streichen, denn die beiden darunter abgelegten Belege aus pEbers 102, 14–15 (Eb 855y) sind viel eher m-rw.tj zu lesen, s. H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Erste Hälfte (-r), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.1 (Berlin 1961), 526. Auch n-ḥr.t: „nach oben“ (Wb 3, 143.9) – unter der Annahme, hier läge eine neuägyptische Schreibung von m für n vor – ist unwahrscheinlich. Sie hätte zwar die von pri̯ geforderte direktive Bedeutung, doch ist dafür pri̯ r-ḥrw idiomatischer, Wb 1, 520.18.

3 snṯ.t meint konkret das Fundament eines Bauwerkes (Wb 4, 179.10, vgl. Wb 4, 178.16–19; F. Monnier, Vocabulaire d’architecture égyptienne, Précisions 2 (Bruxelles 2013), 235); die unter Wb 4, 179.12 angegebene allgemeinere Bedeutung „Fußboden“ basiert allein auf der vorliegenden Stelle, wo es dem unspezifischen Terminus ḥrw gegenübersteht.

4 Gardiner, DZA 50.143.720 liest den Satzanfang: „[Ich bringe??] Feuer“. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 74 und 168 ergänzt in der Lücke explizit rḏi̯.t und übersetzt: „al quale è stato posto fuoco“. Beide Ergänzungsvorschläge beruhen sicher auf Vso. 4,5 und v.a. auf 5,6, wo der Anfang des Spruches fast identisch ist und der hierzu parallele Satz lautet: r rḏi̯ ḫ.t r tꜣ šn.w(t) ꜥꜣ.t: „um Feuer an den großen Baum zu legen“. Die Zeichenreste hinter der Abbruchkante, speziell der Bogen vor dem t, passen aber nicht zu rḏi̯.t.

5 rd: Gardiner, DZA 50.143.720 übersetzt mit „gedeihend“, A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 168 mit „che cresce“. Beide gehen also von dem Verb rd: „wachsen“ aus. Es fragt sich aber, ob das wirklich ein inhaltlich sinnvolles Attribut zu einem Baum ist, der – zumal wenn er auch noch ꜥꜣ: „groß“ ist – in jedem Fall „gewachsen“ sein muss. Ist es ein Partizip Aktiv, dass also ein Baum gemeint ist, der (noch) wächst, obwohl er (schon) groß ist, der also noch nicht tot ist? Vielleicht liegt eher das Adjektiv rwḏ: „fest“ vor, dessen Schreibung mit der von rd immer wieder wechseln konnte. Als Parallele zu einem „wachsenden/gewachsenen Baum“ könnte man sonst allenfalls noch das gjw rd, das „gewachsene gjw-Gras“ des medizinischen pBerlin P 3038, Rezept Bln 84 anführen, bei dem aber H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Erste Hälfte (-r), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.1 (Berlin 1961), 535, Anm. 1 wohl aus demselben Grund erwägt, dass eigentlich gjw rwḏ gemeint sein könnte.

6 šn scheint eine allgemeine Bezeichnung für „Baum“ zu sein. Gelegentlich erscheint es in Aufzählungen neben smw, das dann nichtverholzte Pflanzen bezeichnen dürfte. Die feminine Form šn.t, deutlich an Endung und femininem Artikel zu erkennen, scheint den Belegen nach eine Eigenheit von pTurin CGT 54051 zu sein; ein Beleg wie die Stele zur 1. Hethitischen Hochzeit Ramses’ II, Zeile 14 (s. TLA), wo šn nb.t steht, ist angesichts der Inkonsequenz des Quantifikators nb, der auch oft bei maskulinen Substantiven ein quadratfüllendes t bekommen und umgekehrt oft bei femininen Substantiven gerade ohne t geschrieben sein kann, kein zweifelsfreier Beleg außerhalb dieses Papyrus.
Neben diesem šn.t des pTurin CGT 54051 gibt es noch ein anderes feminines Derivat von šn, nämlich šn.wy(t), das wohl im koptischen ϣⲛⲏ weiterlebt, Wb 4, 499.6 und W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 2. Auflage (Heidelberg 2008), 316. Dieses šn.wy(t) ist ein Kollektivum zu šn und bezeichnet die Plantage, wohl die Obstplantage oder den Obstgarten, da es im pHarris I, aus dem die einzigen neuägyptischen Belege kommen, neben kꜣm.w, dem „Weingarten“, genannt ist – dieselbe Kollokation von kꜣm.w und šn.t findet sich auch gelegentlich in demotischen Urkunden, etwa in pLouvre N 2409, Zeile 2, pKairo T 24/11/62/2 + 24/11/62/3, Zeile ZS, 9 oder pBM EA 10398, Zeile 2, s. die Belege im TLA. Das Wort šn.t des pTurin CGT 54051 ist jedoch ein davon zu unterscheidendes Wort und nicht nur eine Schreibvariante davon. Für eine Gleichsetzung spricht zwar, dass es trotz singularischem Artikel ebenfalls mit Pluralstrichen geschrieben ist, als wäre es ein Kollektivum; dagegen spricht allerdings, dass in Vso. 5,5 der Gott Re darunter sitzt (ḥmsi̯ ẖr=st), was von einem Baum gesagt werden kann, aber nicht von einer Plantage. Ein weiteres Gegenargument gegen diese Gleichsetzung ist, dass šn.t, im Gegensatz zum šn.wy(t) des pHarris I, nicht mit dem Haus klassifiziert ist, obwohl man das notfalls als Idiosynkrasie des Schreibers von pTurin CGT 54051 hätte erklären können.

7 Ḥr.w: Ergänzung des Gottesnamens mit A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 168. Die Zeichenreste vor und nach der Lücke passen gut zum Horusfalken und dem Gott auf Standarte, vgl. die Schreibung in Vso. 2,1.

8 nw(ꜣ): Das Hieratische ist nach dem aktuellen Turiner Foto eher so zu lesen als Gardiners und Roccatis qd (DZA 50.143.730 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 75 und 168). Zwar wäre der mythologische Hintergrund eines auf Thot blickenden Horus zu diskutieren; aber die Übersetzung scheint zumindest semantisch sinnvoller als „Horus, che dorme verso Thot“. Sollte man vielleicht zu nwi̯ r: „sorgen für“ (Wb 2, 220.14) emendieren oder unter Streichung von r an die Bedeutung nwꜣ: „bewachen“(?) (Wb 2, 221.20) denken können?
Möglichweise wird, unabhängig ob emendiert oder unemendiert, auf denselben Mythos angespielt wie weiter unten, wo Horus und Thot als Geschwister erscheinen und Horus Thot rettet.

9 ḏdḥ tw: Ob Thot oder Horus derjenige ist, der das Gift einsperrt, ob also ḏdḥ parallel zu nw(ꜣ) steht oder ein Attribut zu Ḏḥw.tj ist, bleibt zu diskutieren. Hier wird Ersteres angenommen: Der Rezitator, d.h. der Magier, identifiziert sich mit Horus und behindert in dieser Rolle das Gift.

Verso 2,3–2,6: Spruch gegen einen Skorpion

Ein anderer (Spruch): Halte ein, halte ein, die (du) 7 Wirbel an deinem (wörtl.: ihrem) Rücken ha(s)t (oder: die, deren Rücken aus 7 Wirbeln besteht). Es ist Horus, der sie geknotet hat; es ist [---],die sie aufgefädelt hat. (Du,) die du (wörtl.: sie) in den Pflanzen des Feldes lebst: Isis vollzieht deinen Schutz(zauber) (d.h. den Schutz vor dir). Du wirst nicht mit deinem Maul beißen (können), (denn) ich bin Re. [Vso. 2,5] Du wirst dein Gift nicht gegen mich werfen1 (können), (denn) ich bin Atum. Komm heraus [---]2 Menge, Skorpion! Horus wird seine Hand an deinen Schwanz legen, (und) du wirst ihn nicht aufstellen können. Der Lebende (?) wird auf deinen Scheitel treten, nachdem er alle ... (?)3 zerstreut hat.

1 ḫꜣꜥ: „werfen“ wird sicher metaphorisch gemeint sein. Denn die folgenden Sätze zeigen, dass in diesem Spruch eher ein Skorpion angesprochen wird, nicht etwa eine Speikobra, wie man bei einer wörtlichen Auffassung von ḫꜣꜥ denken könnte.

2 Übersetzung unsicher. Durch pri̯: „Komm heraus“ verläuft der Bruch zwischen zwei Papyrusfragmenten, die anders als in der derzeitigen Montage nicht direkt aneinander anschließen. In Zeile Vso. 2,1 muss die Lücke groß genug sein, um den vorderen, größeren Teil des Horusfalken aufzunehmen sowie eventuell noch des sitzenden Mannes von jnk, sofern dort damit geschrieben (die Schreibung mit oder ohne schwankt auf dem Verso). In Verso 2,5 sind in der Lücke der Rest des komplementierenden r sowie die laufenden Beinchen von pri̯ zu ergänzen sowie der kleine Rest, der vom Beginn des ꜥšꜣ fehlt. Abgesehen davon könnte u.U. noch ein wenig Platz für ein kurzes Wort, bspw. eine Präposition, gewesen sein. Weiterhin ist zu notieren, dass von dem nb.t in der Zeile darunter zwei diagonale Linien nach rechts oben weglaufen und in der Lücke verschwinden. Da solche Linien eigentlich eher zum ḥb-Gefäß gehören als zum nb-Korb, wäre zu überlegen, ob sie nicht eher zu einem Wort oder Wortteil zwischen dem pri̯ und ꜥšꜣ.t in der hiesigen Zeile gehören.
A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 168 geht dagegen davon aus, dass nichts fehlt, und nimmt die Stelle als Einleitung eines Konditionalgefüges (da kein jr vorhanden ist, also vielleicht im Sinne einer Schenkel’schen Rang-V-Erweiterung?): „se esce una turba di scorpioni“.

3 [___] nb.t: Gardiner, DZA 50.143.730 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 75 lesen beide ꜥ.t nb.t: „alle Körperteile“. Diese Lesung ist allerdings fraglich. Zum einen ist die Lücke größer, als die aktuelle Montage suggeriert: In der Zeile darüber müssen mindestens das Wortende von pri̯ und der Beginn von ꜥšꜣ hineinpassen, so dass sie wenigstens ein Schreibquadrat groß ist. Wohl aus diesem Grund hat Gardiner auch in seiner Übersetzung zwischen „alle“ und „Glieder“ mehrere Punkte gesetzt. Zum zweiten ist das erste Zeichen nicht, wie man von einem hieratischen erwarten würde, in einem Schwung mit einem Anstrich von links oben, einer anschließenden waagerechten Linie und einem Abstrich nach rechts unten geschrieben. Auf dem aktuellen Turiner Foto wirkt es eher so, als wäre der kleine senkrechte Strich links neu angesetzt. Und zum dritten sind vor dem nb.t noch Zeichenreste erhalten, die nicht zu ꜥ.wt passen, weswegen Roccati zu Recht noch eine Schraffur angegeben hat. Könnte eigentlich jr.t-nb.t: „jedes Auge, jedermann“ zu lesen sein? Vgl. die Schreibung in Rto. 2,5. Doch auch das lässt sich nicht sinnvoll übersetzen.

Verso 2,6–3,6: Spruch gegen Schlangen- oder Skorpiongift

= pTurin CGT 54067 Recto, x+3–x+8

Ein anderer (Spruch): Horus war mit seiner goldenen Barke übergesetzt, (und) sein Bruder war bei ihm, Thot war sein [Name].1 Da stieß der eine(?) einen Ruf aus mit den Worten(?):2 „Komm zu mir, Horus! Ich bin gebissen/gestochen worden.“3
(Horus:) „Nenne mir deinen Namen, damit man für dich rezitiere! (Denn) man wird für einen Patienten (wörtl.: Mann) mit seinem [Namen]4 rezitieren (können).“5
Der große Gott (sagte?) über sein Wesen:6 „Ich bin das Gestern, ich bin das Heute, (und) ich bin das Morgen, bevor es gekommen ist.“
(Horus:) „Nein! Du bist nicht das Gestern, du bist nicht [das] Heute, (und) du bist nicht das Morgen, bevor es gekommen ist. Nenne mir deinen Namen, damit man für dich rezitiere! (Denn) man wird für einen Patienten (wörtl.: Mann) ⟨mit⟩ seinem Namen rezitieren (können).“
Der große Gott (sagte?) ⟨über⟩ sein Wesen:7 [Vso. 2,10] „Ich bin ein Köcher(?)8 voll mit Pfeilen, ein Krug(?)9 voll mit Unheil.“10
(Horus:) „Nein! Du bist kein Köcher voll mit Pfeilen, [kein] Krug(?) voll mit Unheil. Nenne (mir) deinen Namen, damit man für dich rezitiere! (Denn) man wird für einen Patienten (wörtl.: Mann) mit seinem Namen rezitieren (können).“
Der große Gott (sagte?) ⟨über⟩ sein Wesen: „Ich bin ein Mann von Millionen Ellen (Größe), um dessen Wesen man nicht weiß.“
(Horus:) „Nein! Du bist kein Mann von Millionen Ellen (Größe), dessen Wesen man nicht kennt. Nenne [mir] deinen [Namen], damit man dich rezitiere! (Denn) man wird für einen Patienten (wörtl.: Mann) mit seinem Namen rezitieren (können).“
Der große Gott (sagte?) ⟨über⟩ sein Wesen: „Ich bin eine Tenne, fest wie Erz,11 [Vso. 3,1] die kein weibliches Rind12 (je) betreten hat.“
(Horus:) „Nein! Du bist keine Tenne, fest wie Erz, die kein weibliches Rind (je) betreten hat. Nenne mir deinen Namen, damit man für dich rezitiere! (Denn) man wird für einen Patienten (wörtl.: Mann) mit seinem Namen rezitieren (können).“
Der große Gott (sagte?) ⟨über⟩ sein Wesen: „Ich bin ein Gefäß für Milch, gemolken13 aus dem Euter der Bastet.“
(Horus:) „Nein! Du bist kein Gefäß für Milch, gemolken aus dem Euter der Bastet. Nenne mir deinen Namen, damit man für dich rezitiere! (Denn) man wird für einen Patienten (wörtl.: Mann) mit seinem Namen rezitieren (können).“
Der große Gott (sagte?) über sein Wesen: „Ich bin ein Mann von Millionen Ellen (Größe),14 ‚Schlechter Tag‘15 ist sein Name. Was den Tag des Gebärens oder des Schwanger-Werdens (oder: den Tag des Niederkommens einer Schwangeren) angeht: (Gott) ... (?)16 wird nicht geboren werden, bevor (?) die Sykomoren [Vso. 3,5] Feigen17 tragen.“18
Der, der gebissen/gestochen wurde, möge aufstehen, indem er gesund ist für seine Mutter, so wie Horus aufstand, indem er gesund war für seine Mutter Isis in der Nacht, da er gebissen/gestochen wurde. Ein Schutz des Horus ist d(ies)er Schutz.19

1 Zum verwandtschaftlichen Verhältnis von Horus und Thot s. die Diskussion bei M.A. Stadler, Weiser und Wesir. Studien zu Vorkommen, Rolle und Wesen des Gottes Thot im ägyptischen Totenbuch, Orientalische Religionen in der Antike 1 (Tübingen 2009), 147–152. Er diskutiert dort verschiedene Zeugnisse, die auf Thot als Sohn des Horus hinweisen könnten. Interessant ist hier die Stelle CT 74, in der Horus und Thot als sꜣ.wj: „Söhne“ des Osiris bezeichnet werden. Stadler, ebd., 149 zweifelt daran, dass dort sꜣ.wj als Apposition der beiden zuvor genannten Götternamen zu verstehen sei, doch zusammen mit der vorliegenden Passage in pTurin CGT 54051, Vso. 2,6–7 wird man dennoch annehmen können, dass es auch mythologische Traditionen gab, die aus Horus und Thot Söhne des Osiris und damit Brüder machten.
Wenn J.F. Borghouts, The Edition of Magical Papyri in Turin. A Progress Report, in: A. Roccati – A. Siliotti (Hrsg.), La magia in Egitto ai tempi dei faraoni: atti, convegno internazionale di studi, Milano, 29-31 ottobre 1985 (Verona 1987), 257–269, hier 261 und 264 einen magischen Spruch auf pTurin Cat. 1993 erwähnt, in dem Nemti und Horus in einem Boot erwähnt werden, meint er genau diesen Spruch. Die hieratische Schreibung spricht jedoch deutlich für eine Lesung Ḏḥw.tj und nicht Nmtj.

2 Die Zeichen nach wꜥ sind nicht eindeutig zu lesen:
Gardiner, DZA 50.143.740 gibt unmittelbar nach der Gruppe aus Harpune, Arm und Strich ein halbes zerstörtes Quadrat, dann einen sitzenden Mann, dann wieder eine Zerstörung und dann ein tlw. in einer Zerstörung liegendes r an, das er aber mit Fragezeichen versieht. Daneben schrieb er: „so dachte ich lesen zu können: man erwartet swtḫ [analog zum Zeilenanfang, den er noch nicht ergänzen konnte und wo er aufgrund der Bezeichnung als „Bruder des Horus“ in der vorigen Zeile an Seth dachte, L.P.] oder wꜥ n kjj [imsn]“. Das Letztere bildet dann auch die Grundlage seiner Hilfsübersetzung: „Da rief der einer [sic] zum anderen: (...)“.
J. Černý, Notebook. MSS 17.153 (unpubliziert), transliteriert die fraglichen Zeichen als sn: „Bruder“ sowie Schilfblatt und r. Alles setzt er in Schraffur.
Dasselbe liest auch A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), setzt aber nur noch das Schilfblatt (auf S. 75) bzw. nur noch das r (auf S. 150) in Schraffur; auf S. 150 setzt er zudem vor sn und vor jr jeweils ein Fragezeichen. Auf S. 168 übersetzt er das sn mit, wohingegen er das jr anscheinend tilgt: „Un fratello chiame (l’altro): (...)“. Das Zeichen unmittelbar nach wꜥ sieht allerdings dem sn in der Zeile darüber nicht sehr ähnlich.
J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 74 übersetzt: „Then the one called, saying: (...)“. Hat er das letzte Zeichen des Satzes vielleicht als Rest eines ḏd anstelle von Gardiners und Roccatis r gelesen? Könnte man dies zusammen mit dem senkrechten Strich davor (Roccatis Schilfblatt) vielleicht als sehr flüchtiges m-ḏd lesen? Zudem bildet möglicherweise das, was Roccati als sn las, zusammen mit dem wꜥ eigentlich das Wort wꜥ.tj: „einziger, einzigartiger“. Das könnte auch die Basis für Borghouts’ „the one“ gewesen sein.

3 Trotz der fehlenden Redeeinleitungen und expliziten Sprecherwechsel in diesem Spruch zeigen diese beiden Sätze, dass Horus den heilenden Part und Thot den des Patienten übernimmt. Das steht im Gegensatz zur sonst üblichen Rolle des Thot, der wr-ḥkꜣ.w: „Groß/bedeutend an Magie“ und Leiter des Arztes ist und umgekehrt zur hiesigen Situation auch den jungen Horus heilt. Vgl. zu dieser Rolle P. Boylan, Thoth, the Hermes of Egypt. A Study of Some Aspects of Theological Thought in Ancient Egypt (London 1922), 124–135.
Aus dem Spruch geht nicht hervor, ob er gegen Schlangenbisse oder Skorpionstiche gerichtet war, so dass als Übersetzung für das Verb pzḥ sowohl „gebissen“ als auch „gestochen“ infrage kommt. Möglicherweise ist das absichtlich nicht präzisiert worden, um dem Spruch ein möglichst breites Anwendungsspektrum zu gewähren. Auch wenn ein paar Mal gesagt wird, dass etwas „mit seinem Munde/Maul beißt“, bedeutet das Verb pzḥ ursprünglich vielleicht eher „bohren (mit einer spitzen Sache)“, weshalb es hauptsächlich Tieren mit spitzen Zähnen, wie eben Schlangen, und seltener Löwen oder Krokodilen zugesprochen wird. Ein solcher semantische Schwerpunkt könnte erklären, weshalb es auch für Skorpion- und Insektenstiche verwendet werden konnte: auch das erfolgte mit einer spitzen Sache, nämlich dem Stachel. Für diese Grundbedeutung würden auch die von G. Takács, Etymological Dictionary of Egyptian. Vol. 2. b-, p-, f-, Handbuch der Orientalistik I.48.2 (Leiden 2001), 508 aufgelisteten möglichen Kognaten sprechen.

4 [rn]=f: Diese schon von Gardiner vermutete und von allen Bearbeitern übernommene Ergänzung wird durch die Parallele pTurin CGT 54067 bestätigt. Dort fehlt allerdings das ḥr davor.

5 Die genaue Konsequenz des Beschwörens findet sich auf dem Recto, Zeile 4,6: ꜥnḫ s šdi̯=tw ḥr rn=k: „Ein Mann wird leben, wenn man mit seinem Namen rezitiert/eine Beschwörung ausspricht.“

6 Übersetzung unsicher. Gardiner, DZA 50.143.740 übersetzte komparativisch, an die wörtliche Rede angehängt: „O Gott grösser als seine Farbe (?)“. Sein Fragezeichen zeigt an, dass er den Satz offenbar nicht richtig einordnen konnte. Griffiths’ und Borghouts’ Interpretationen sind obsolet: Sie folgten weitgehend Gardiners Übersetzung (J.G. Griffiths, The Conflict of Horus and Seth from Egyptian and Classical Sources. A Study in Ancient Mythology, Liverpool Monographs in Archaeology and Oriental Studies (Liverpool 1960), 51: „a god is greater than his reputation“ [für die Bedeutung „reputation“ für jwn s. den Verweis auf Paheri IX, 27–28 in Griffiths, ebd., Anm. 3]; J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 74: „oh god greater than his appearance“). Da sie wie Gardiner den Zeilenbeginn noch nicht kannten und daher nicht wussten, dass mit dem „Bruder“ des Horus in diesem Text Thot und nicht Seth gemeint ist, vermuteten sie in dieser vermeintlichen Anrede des Horus an Seth „a subtle flattery“ (Griffiths, ebd., Anm. 3; Borghouts, ebd., 110, Anm. 264). Mit der Ergänzung des Namens Thot kann diese Interpretation nicht mehr aufrecht erhalten werden. Hier wird daher im Wesentlichen A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 168 gefolgt, der nṯr ꜥꜣ als Anzeige des Subjektswechsels verstand. Nicht gefolgt wird ihm allerdings darin, r jwn=f als Schreibung für j.n=f zu interpretieren (die Stellen sind unter diesem Lemma aufgelistet im Wortindex auf S. 177) und mit „Il dio grande disse: (...)“ zu übersetzen. Vgl. hierzu bspw. die Schreibung von j.n=f als j.wn=f in J. Černý, Late Ramesside Letters, Bibliotheca Aegyptiaca 9 (Bruxelles 1939), 57,16 und 58,7 sowie eventuell auf pMoskau 127 = pPuschkin I, б, 127, Zeile 3,9 laut J.F. Quack, Ein neuer Versuch zum Moskauer literarischen Brief, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 128, 2001, 167–181, hier 176 mit Anm. 89. Eine solche Interpretation würde zwar das fehlende r in den folgenden, parallelen Sätzen erklären – umgekehrt müsste man dann aber eine Begründung dafür finden, warum das r hier dasteht. Außerdem wäre die Schreibung jwn=f dann systematisch für den Text, nicht nur diesen konkreten Textzeugen, denn auch die Parallele pTurin CGT 54057 Rto. x+6 schreibt das eine Mal, wo diese Phrase erhalten ist, jwn=f, s. Roccati, ebd., 450.305 und Papyrusdatenbank Turin. Nicht nur das, sondern auch Syntax und Kotext lassen an Roccatis Interpretation zweifeln: (1) Es bliebe zu prüfen, ob das Verb j bzw. jn (zur Frage, ob ein oder zwei Verben vorliegen, ob man also j.n=f oder jn=f lesen müsste, s. W. Schenkel, ı͗n-/= „sagt“ < ı͗(.ı͗) ı͗n- „sagt(e), nämlich“, in: Lingua Aegyptia 25, 2017, 231–279) überhaupt in der Konstruktion NN sḏm.n=f belegt ist – die Konstruktion NN sḏm(.w) jn=f ist als ungrammatisch ohnehin auszuschließen. Ein möglicher positiver Beleg steht vielleicht in Verso 4,8 (s. dort): Gb j.n=f sw: „Geb, er sagte es“. Jedoch müsste dort zunächst der Kotext geklärt werden. (2) Normalerweise beendet dieses Verb eine Rede und leitet sie nicht ein; der bislang einzige, allerdings nicht unzweifelhafte Beleg für redeeinleitendes j.n=f steht in der Reise des Wenamun, Zeile 2,25, vgl. die Diskussion zur Stelle im TLA.

7 Vgl. Vso. 2,8. In den mit der Rede des Horus einsetzenden Parallelen oDeM 1436 und pChester Beatty VII ist dieser Satz ausgelassen, s. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 150.308.

8 šq: Sonst nur noch einmal auf einem Ostrakon im Rahmen einer Abrechnung belegt. Die Bedeutung ergibt sich nur aus dem Kontext des pTurin CGT 54051 Verso: Es muss ein Gegenstand sein, der Pfeile aufnehmen kann und der dem Klassifikator nach aus Holz ist oder hölzerne Bestandteile hat.

9 qb.t: Lesung als feminines Wort schon bei Gardiner, DZA 50.143.740. Diese Lesung wird dadurch bestätigt, dass in der folgenden Zeile, wo Horus denselben Satz negiert, das hier nur ergänzte mḥ[.tj] komplett erhalten ist; und diese Stativform zeigt, dass das Bezugswort feminin ist. Im Demotischen ist das Wort dann regulär feminin, s. W. Erichsen, Demotisches Glossar (Kopenhagen 1954), 534.
Die partiell zerstörte Gruppe nach den Phonogrammen q und b gibt Gardiner, DZA 70.143.740 als Krug wieder, setzt aber ein Fragezeichen darüber und schreibt darunter: „Sieht nicht wie [Gardiner W22/24] aus; sicher nicht Zettel 60 [gemeint ist der DZA 50.143.750, L.P.]; doch wohl so zu denken: ḳb-Gefäss ist femininum.“ Das Wort aus der Erwiderung des Horus auf der folgenden Zeile transliteriert er dann auf 50.143.750 als q+b sowie t (mit einem „so“ versehen) und einem viereckigen Klassifikator, wohl dem Stein Gardiner O39. Dass er die hieratische Gruppe ebenfalls auf den Zettel schreibt, zeigt aber, dass er sich bei dieser Transliteration nicht sicher war. Das Wort ist dann im Wörterbuch als Beleg für qby: „Krug“ abgelegt worden und die Stelle auf dem Schreibungszettel DZA 30.328.660 angegeben; dort sind die Klassifikatoren aber hieratisch gelassen. In der Deutung als Beleg für „Krug“ sind ihm sowohl Borghouts als auch Roccati gefolgt; Roccati gibt die Gruppe nach den Phonogrammen in beiden Fällen als t über O39 wieder. Allerdings sieht der Klassifikator auch im zweiten Fall, wo er komplett erhalten ist, dem Stein wenig ähnlich. Ob man ihn zusammen mit dem Punkt darüber, den Gardiner und Roccati als t interpretierten, entgegen Gardiners Einwand doch als Krug, konkret als Krug mit Stopfen, Gardiner W22, liest? So scheint das Wort in oDeM 1436, Zeile 6 klassifiziert gewesen zu sein, wo die Phonogramme zwar zerstört sind, der Klassifikator aber noch an der Abbruchkante vor mḥ (dort anscheinend maskulin!) erkennbar ist, vgl. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 151.310 und das Foto auf der Website des IFAO. Denn mit dem Stein ist das Wort qby sonst nie klassifiziert. Die zumindest theoretisch denkbare Alternative, das Wort als Schreibung für qb.yt: „Fundament“ zu sehen (J.R. Harris, Lexicographical Studies in Ancient Egyptian Minerals, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Institut für Orientforschung. Veröffentlichungen 54 (Berlin 1961), 29, P. Wilson, A Ptolemaic Lexikon. A Lexicographical Study of the Texts in the Temple of Edfu, Orientalia Lovaniensia Analecta 78 (Leuven 1997), 1051), das tatsächlich feminin ist und mit einem Stein klassifiziert, ist semantisch wenig wahrscheinlich. Denn ein Krug, gefüllt mit Unheil, ist als Metapher gut denkbar (vgl. die Büchse, eig. den Pithos, der Pandora) – aber was sollte ein Fundament, gefüllt mit Unheil, sein?

10 Dasselbe sagt der – leider nicht mehr mit Namen erhaltene – Gott auf oDeM 1436 (Sic. Nicht oDeM 1438, wie J.F. Borghouts, The Edition of Magical Papyri in Turin. A Progress Report, in: A. Roccati – A. Siliotti (Hrsg.), La magia in Egitto ai tempi dei faraoni: atti, convegno internazionale di studi, Milano, 29-31 ottobre 1985 (Verona 1987), 257–269, hier 264 und 269, Anm. 15 schreibt) und fügt dem noch vorher an: „Ich bin der Löwe (rw), ich bin das Löwenpaar (rw.tj), ich bin der Phönix, der von selbst entsteht, ein Mann von [Millionen], dessen Wesen (jwn.w=f) man nicht kennt.“ (vgl. G. Posener, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el Médineh. Tome III (fasc. 1). Nos. 1267-1409, Documents de fouilles de l’Institut français d’archéologie orientale 20 ([Le Caire] 1977), Taf. 23). Und nur diesen ersten Teil sagt wiederum Re von sich in pChester Beatty VII Recto 5,4.

11 F. Lexa, La magie dans l’Égypte antique de l’Ancien Empire jusqu’à l’époque copte. Bd. 2. Les textes magiques (Paris 1925), 51 übersetzt ḫt.w ḏrj.w mit „géant dur“ (und den folgenden Satz dann mit „devant lequel s’enfuit la vache“). Ob er nḫt statt ḫt.w gelesen (oder so emendiert) hat und, vielleicht inspiriert durch einen scheinbar riesenhaften nḫt.w im magischen pHarris 501, IX, 2, diesen nḫt eben als „géant“ interpretierte? Teile des magischen pHarris, wenn auch nicht diese Passage, sind übersetzt ebd., 35–44; zum vermeintlich riesenhaften Charakter dieses nḫt.w vgl. G. Vittmann, „Riesen“ und riesenhafte Wesen in der Vorstellung der Ägypter, Veröffentlichungen der Institute für Afrikanistik und Ägyptologie der Universität Wien 71 (Wien 1995), 3–7.

12 jḥ s.t-ḥm.t: Sic! Es steht nicht jḥ.t: „Kuh“, sondern „weibliches Rind“. Für die Verwendung von s.t-ḥm.t als Marker des biologischen Femininums vgl. die kurze Notiz von R.O. Faulkner, Ḥm.t „Woman“ as a Feminine Suffix, in: Journal of Egyptian Archaeology 58, 1972, 300 mit einem Beleg für ms.w wr.w s.t-ḥm.t in Urk. IV 1305,7.

13 hrj ist ein relativ seltenes Verb, das schon in altägyptischen und mittelägyptischen Gräbern in Darstellungen von Melkszenen vorkommt (A.M. Moussa – H. Altenmüller, Das Grab des Nianchchnum und Chnumhotep, Archäologische Veröffentlichungen, Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Kairo 21 (Mainz 1977), 154, W. Guglielmi, Reden, Rufe und Lieder auf altägyptischen Darstellungen der Landwirtschaft, Viehzucht, des Fisch- und Vogelfangs vom Mittleren Reich bis zur Spätzeit, Tübinger Ägyptologische Beiträge 1 (Bonn 1973), 108–109). In den Grabszenen ist, ebenso wie in pTurin CGT 54051, Vso. 3,2–3, die Milch das semantische Objekt des Verbs, in der Erzählung von Horus und Seth auf pChester Beatty I, Rto. 7,7 ist es eine Gazelle.

14 Diesen und die folgenden beiden Sätze zitiert H. te Velde, Seth, God of Confusion. A Study of his Role in Egyptian Mythology and Religion, Probleme der Ägyptologie 6 (Leiden 1967), 29, noch unter der Annahme, dass Seth der Sprecher ist und nicht Thot.

15 Offenbar keine Anspielung auf die Tagewählkalender, wie man zunächst denken könnte, denn bjn kommt dort nur als Attribut zu allgemeinem (j)ḫ.t: „Sache“ vor, aber nicht als Attribut zu schlechten Tagen – diese sind vielmehr ꜥḥꜣ: „gefährlich“.

16 Die Lesung des Gottesnamens ist unklar und das hieratische Zeichen zwischen dem Doppelschilfblatt und dem Falken auf Standarte ist nicht identifizierbar. Aufgrund seiner Position kommt eigentlich nur eine w-Schleife infrage; die Form wäre aber sehr merkwürdig. Mit Doppelschilfblatt kann eigentlich kein Gottesname beginnen. Ob also etwas ausgefallen ist? Oder sollte eine merkwürdige Variante der Schreibung J für Thot vorliegen?

17 kꜣy.w: Vielleicht besser so zu lesen als kꜣb.w (Gardiner, DZA 50.143.760) oder kꜣḏꜣ.w (so A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 76), was beides Hapax legomena wären. kꜣy als Bezeichnung für Früchte, spezifisch auch diejenigen der Sykomore, sind auch anderweitig belegt. Lexas Übersetzung „ombre“ (F. Lexa, La magie dans l’Égypte antique de l’Ancien Empire jusqu’à l’époque copte. Bd. 2. Les textes magiques (Paris 1925), 52) dürfte rein geraten sein.

18 Ob ein Sprichwort oder eine Anspielung darauf vorliegt?

19 So mit Gardiner, DZA 50.143.760. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 75 versteht dagegen Ḥr.w zꜣ als Inversion ehrenhalber und übersetzt: „The protection (sꜣw) is a protection of Horus!“ A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 168.323–324 trennt die Satzteile wie Gardiner, scheint aber am Ende ein Suffixpronomen der 1. Person Singular zu ergänzen: „La protezione di Horo è la mia protezione.“

Verso 3,6–10: Spruch gegen einen Skorpionstich(?)

= pTurin CGT 54067 Recto x+3,1–5, oDeM 1048, 1–6

Ein anderer (Spruch):
Horus wurde gestochen,1 Horus, der [arm]e (Tropf) (?)2, wurde gestochen. Horus wurde gestochen, Horus wurde gestochen am südlichen Himmel und am nördlichen Himmel.
[Vso. 3,7] (Gib) mir Luft, (gib) mir Luft, o Hirte3! (Gib) mir Luft, o Hirte! Ein Geschrei wird ertönen (wörtl.: herauskommen) ⟨wegen⟩(?) der kranken Flüssigkeiten, die sich in seinem Körper verteilen.4 Strecke [Vso. 3,8] deine rechte Hand und deine linke Hand aus, und mache 7 Knoten und lege sie vor das Gift!5 Falls [Vso. 3,9] das Gift die 7 Knoten passieren (sollte), die Horus in seinem Körper gemacht hat, werde ich die Sonne nicht aufgehen lassen ⟨über⟩ dem Erdboden,6 werde ich die Überschwemmung nicht über den Uferdamm fließen lassen,7 [Vso. 3,10] (sondern) werde ich Feuer in Busiris legen und werde ich Osiris verbrennen!

1 Auf pLeiden I 349, I,9–10 findet sich die fast identische Satzfolge psḥ(.w) Ḥr.w psḥ(.w) Ḥr.w pꜣ [__]ḥ.wA1?:Z2 psḥ(.w) Ḥr.w psḥ Ḥr.w (...): „Horus wurde gestochen, Horus, der [---] wurde gestochen. Horus wurde gestochen, Horus wurde gestochen (...)“ in einem magischen Spruch gegen einen Skorpion(stich). S. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 153.324–325 und A. de Buck – B.H. Stricker, Teksten tegen schorpioenen naar Pap. I 349, in: Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 21, 1940, 53–62, hier 57 und die unnumerierte Tafel. Danach fährt der Text aber anders fort.

2 nmḥ: Ergänzung mit J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 69. Auf pLeiden I 349 ist der Beginn des Wortes zerstört. Die Klassifikatoren geben A. de Buck – B.H. Stricker, Teksten tegen schorpioenen naar Pap. I 349, in: Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 21, 1940, 53–62, hier 57 als sitzenden Mann über Pluralstrichen wieder. Auf ihrer unnummerierten Tafel sind davor noch zwei hieratische Zeichen erhalten, von denen das hintere eine w-Schleife (so auch de Buck/Stricker und Roccati) und das davor vielleicht der -Docht sein könnte. Im Fall des pTurin CGT 54051 vermutet F. Röpke, Mythologische Erzählungen in den Heiltexten. Band I (a). Allgemeiner Teil und Textsammlung (Heidelberg 2018), 216 als Klassifikator nicht den Pflanzenstängel, wie Gardiner und Roccati wiedergeben, sondern „wegen einer hieratischen Grundähnlichkeit“ ein „(missglücktes) ‚sitzendes Kind mit Hand am Mund‘“ (Gardiner A17).
Borghouts übersetzt nmḥ mit „orphan“, was aber im Grunde nur bedingt zutrifft, da die Mutter des Horus noch lebt, auch wenn sie in diesem konkreten Spruch nicht erscheint. Es wäre daher zu erwägen, dass dieses Wort hier Horus nicht rechtlich, sondern sozial charakterisiert. Zu dieser Nuance von nmḥ vgl. bspw. M. Römer, Gottes- und Priesterherrschaft in Ägypten am Ende des Neuen Reiches. Ein religionsgeschichtliches Phänomen und seine Grundlagen, Ägypten und Altes Testament 21 (Wiesbaden 1994), 414–415.

3 Mit dem „Hirten“ wird eine Gottheit gemeint sein. So auch E. Koleva-Ivanov, L’image du pâtre (mnjw/nr) dans les textes magiques du Nouvel Empire, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 106, 2006, 171–181, hier 176–177, die Amun oder Horus selbst für denkbar hält, der damit gleichzeitig Patient und Heiler wäre. Für letzteren Aspekt verweist sie auf Verso 2,6–3,6, was aber revidiert werden muss, weil nach der Edition von Roccati in diesem Spruch Horus mit Thot spricht und nicht mit seinem Alter Ego. F. Röpke, Mythologische Erzählungen in den Heiltexten. Band I (a). Allgemeiner Teil und Textsammlung (Heidelberg 2018), 214 vermutet Re.

4 m ḥꜥ=f: Die Parallele auf oDeM 1048, Zeile 2 schreibt stattdessen: m ꜥ.t nb.t n mn msi̯.n(?) mn.t(?): „in allen Körperteilen von NN, den NN geboren hat(?)“. Vgl. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 153.326 und Website des IFAO.

5 Die Parallele auf oDeM 1048 scheint verderbt zu sein: Sie schließt dies an den vorigen Satz an, schreibt aber bis zum ersten Konjunktiv: ḥnꜥ tꜣy=k ꜣwi̯.ṱ=k m tꜣy=k [---] | jri̯.t 7 ṯs.t: „und dein ⟨...⟩(?) dich ausstrecken mit deiner [---] mache 7 Knoten“.

6 nn ḏi̯=j wbn šw: Die Parallele auf oDeM 1048 schreibt nur: nn wbn šw: „die Sonne wird/soll nicht aufgehen“, A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 154.328–329 und Website des IFAO.

7 nn ḏi̯=j ḥwi̯ ḥꜥp(j) ḥr mr.y(t): Die Parallele auf oDeM 1048 schreibt stattdessen: nn jw=tw r ḏi̯.t ḥwi̯ ḥꜥpj: „Man wird die Überschwemmung nicht fließen lassen.“ Vgl. ebd.

Verso 3,10–4,1: Spruch gegen einen Skorpionstich

= oDeM 1048, 6–8

Ein anderer (Spruch):1
Falle ab, falle ab, o Skorpion, der (du) unter dem Baum hervorgekommen bist, indem [Vso. 3,11] dein (wörtl.: sein) Stachel aufgestellt ist, (o du,) der (du) den Hirten in der Dunkelheit stich(s)t – er liegt da (und) für ihn wurde nicht rezitiert. Für ihn werde rezitiert2 mit ḥdb-Flüssigkeit3 [Vso. 3,12] und Bier, wie für jeden tapferen Krieger.4 Die 7 Kinder des Re (d.h. die Hathoren) geben beständig Wehgeschrei5 von sich. Sie sollen [Vso. 3,13] 7 Knoten anfertigen an ihren 7 jdg-Tüchern6, und sie sollen(?) das Gesicht des Gestochenen schlagen. Möge er gesund für seine Mutter aufstehen, wie Horus gesund für seine Mutter [Vso. 4,1] Isis aufstand in der Nacht, da er gestochen wurde!
Ein Schutz des Horus ist d(ies)er Schutz.

1 oDeM 1048 lässt das aus und schließt damit diesen Spruch unmittelbar an den vorigen an, A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 154.330.

2 šdi̯ n=f: Interessanterweise ist šdi̯ hier anders klassifiziert als im vorigen Satz: hier mit Buchrolle und schlagendem Mann, im vorigen Satz mit sitzendem Mann mit Hand am Mund. Wohl daher vermutete Gardiner, DZA 50.143.780, dass die beiden hintereinander stehenden šdi̯ n=f nur zwei Textvarianten sind, die stehengeblieben sind. Die übrigen Bearbeiter gehen dagegen davon aus, dass beide šdi̯s zu lesen sind und dass beide Male dasselbe Verb vorliegt: J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 77 sieht hierin die Erwiderung auf die Frage des vorigen Satzes: „(Was no reciting done (šdı͗) for him?) Reciting was done for him“. E. Koleva-Ivanov, L’image du pâtre (mnjw/nr) dans les textes magiques du Nouvel Empire, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 106, 2006, 171–181, hier 177 denkt eher an einen Imperativ: „Récite (des conjurations) pour lui“. Ähnlich iussivisch A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169.332–333: „Salverà per lui“. Ungewöhnlich ist ferner die Anknüpfung mit der Präposition m. Die Kollokation šdi̯ m bedeutet gewöhnlich „lesen in (einem Buch), lesen auf (einer Stele)“. Die Bedeutung „(einen Spruch) rezitieren über (einem magischen Hilfsmittel)“ erfordert dagegen die Präposition ḥr. Es dürfte daher wohl eine verkürzte Anweisung vorliegen: „Für ihn werde rezitiert (und ... gemacht) mit ḥdb-Getränk und Bier“. Stattdessen šdi̯ m hier als „lesen in (Getränken)“ zu übersetzen und an eine Form der Lekanomantik oder eher noch *Zythomantik, einer Deutung von Erscheinungen in Bier, zu denken, ist jedenfalls kaum möglich, da nichts in diesem Spruch auf Divination hindeutet.

3 Die Interpretation wird durch das Hapax legomenon ḥdb erschwert. Dem Klassifikator nach, dem Gefäß W22, könnte es eine Flüssigkeit sein oder, da dem Wort die zusätzlichen Pluralstriche von Flüssigkeiten (vgl. etwa das folgende ḥ(n)q.t) fehlen, ein Gefäß. Doch ist Letzteres weniger wahrscheinlich, da die Kombination „[Gefäß] ḥr (= ‚mit‘) [Gefäßinhalt]“ nicht belegt ist. Das schließt die Übersetzung von F. Lexa, La magie dans l’Égypte antique de l’Ancien Empire jusqu’à l’époque copte. Bd. 2. Les textes magiques (Paris 1925), 49: „Conjure pour lui la cruche avec le bière“ aus, für die man zudem die Präposition vor ḥdb tilgen müsste. Eine Identifizierung von ḥdb ist nicht möglich. Dieselbe Wurzel weist einzig ḥdb: „niederwerfen“ auf. Wenn die Flüssigkeit damit verbunden werden kann, ist es vielleicht ein besonders starkes Getränk, das einen umwirft. Ein „Absacker“ wird es allerdings kaum sein. Ein Zusammenhang mit ḥdb: „niederwerfen“ ist aber ohnehin rein geraten, so dass sich jegliche darauf aufbauende Interpretation verbietet; das Hieratische ließe sich auch ḥrb lesen, wofür gar keine andere Wurzel zum Vergleich herangezogen werden kann.

4 mj ꜥḥꜣ.w nb qnj: Gardiner, DZA 50.143.780 vermutet: „Vielleicht war es Sitte für die Soldaten eine Beschwörung zu machen[,] ehe sie sich im Lager hinlegten?“ Laut J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 100, Anm. 1 ist ꜥḥꜣ.w allerdings „A denomination of the heroic conjurer or sufferer.“

5 F. Lexa, La magie dans l’Égypte antique de l’Ancien Empire jusqu’à l’époque copte. Bd. 2. Les textes magiques (Paris 1925), 49 übersetzt jm.w mit „protection“. Das würde zwar besser in den Kontext passen, aber es gibt kein Wort jm.w (o.ä.): „Schutz“.

6 jdg: Die Lesung ist gesichert u.a. durch Belege im pHarris I, wo das Wort sowohl in dieser Kurzschreibung als auch in Pleneschreibung erscheint. Dass es ein Kleidungsstück ist, ergibt sich aus dem Klassifikator, der Schnur mit den Enden nach oben, und den verschiedenen Kontexten: Im pHarris I erscheint es in Aufzählungen von Kleidungsstücken; es ist oft aus šmꜥ nfr: „gutem dünnen Leinen“ gefertigt, und im Liebeslied oCairo CG 25218 + oDeM 1266 scheint es Teil des „Leinenzeugs“ (?; ꜥ sšr?) zu sein, das der Wäscher vom bꜣq-Öl reinigt. Der Umstand, dass es oft aus „gutem dünnen Leinen“ ist, sowie mehrere Abrechnungen zeigen, dass es ein relativ teures Stoffstück war, vgl. J.J. Janssen, Commodity Prices from the Ramessid Period. An Economic Study of the Village of Necropolis Workmen at Thebes (Leiden 1975), 282–284. W. Spiegelberg, Eine neue Sammlung von Liebesliedern, in: Anonymous (Hrsg.), Aegyptiaca. Festschrift für Georg Ebers zum 1. März 1897 (Leipzig 1897), 117–121, hier 121, Anm. VIII und G. Jéquier, Matériaux pour servir à l’établissement d’un dictionnaire d’archéologie égyptienne, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 19, 1922, 1–271, hier 54 leiten es von dgꜣ: „bedecken“ ab; Spiegelberg verweist zudem auf koptisch ⲧⲱϭ und schreibt zum Kairener Liebeslied: „Da das natürliche und künstliche Haar stets von Salben [der Salbkegel, L.P.] triefte, so musste dieses Tuch gewiss oft zu dem Wäscher wandern.“ Auf S. 119 übersetzt Spiegelberg das Wort vorsichtig (kursiv gesetzt!) mit „Kopftuch“. Diese Bedeutung übernimmt W.M. Müller, Die Liebespoesie der alten Ägypter (Leipzig 1899), 43 (darauf bezieht sich sein „Gut Sp[iegelberg].“ in der zugehörigen Anm. 15, vgl. S. 41). J.J. Janssen, A Twentieth-Dynasty Account Papyrus (Pap. Turin No. Cat. 1907/8), in: Journal of Egyptian Archaeology 52, 1966, 81–94, hier 85, Anm. j wiederum verweist auf Müller und „can think of no better explanation of this passage“. Kopftücher tragen aber nur auf der einen Seite die Königin und Göttinnen, wenn sie als Klagefrauen auftreten, und auf der anderen Seite Dienerinnen (vgl. Chr. Müller, LÄ III, 1980, 693–694, s.v. „Kopftuch“), die sich aber sicherlich kein Tuch aus „gutem dünnen Leinen“ leisten konnten. Daher stellt sich die Frage, ob man jdg in dem Kairener Liebeslied und/oder in pTurin CGT 54051 wirklich mit „Kopftuch“ übersetzen kann. Borghouts übersetzt in pTurin CGT 54051 nur mit „bands“, Roccati mit „vesti“ und Koleva-Ivanov mit „vêtements“. An der Übersetzung „Kopftuch“ zweifelt auch E. Edel, GAD.TÙGmak-la-lu gleich jdg.png jdg, etwa „Mantel, Umhang“, in: E. Akurgal et al. (Hrsg.), Hittite and other Anatolian and Near Eastern Studies in Honour of Sedat Alp, Anadolu Medeniyetlerini Araştırma ve Tanıtma Vakfı yayınları 1 (Ankara 1992), 127–135, obwohl er im Prinzip den Erklärungs- und Etymologisierungsvorschlägen von Müller (d.h. Spiegelberg) und Jéquier folgt. Denn in RAD 25,4–5 (Diskussion bei Edel, ebd.) wird ein jdg nḏs genannt, und ein „kleines Kopftuch“ ergibt als Kleidungsstück wenig Sinn. Das jdg taucht oft zusammen mit mss.t, der Tunika, auf, und zwar immer in dieser Reihenfolge jdg + mss.t. Da sie in diesen Nennungen stets in derselben Qualität genannt sind und oft in derselben Menge, vermutet Edel darin zueinander passende Kleidungsstücke; und da er die Reihenfolge „oben – unten“ voraussetzt und das jdg daher etwas sein muss, was man über oder oberhalb des mss.t trägt, erwägt er darin einen Mantel oder Umhang. Das jdg nḏs wäre dann vielleicht ein „kurzer Mantel“. (NB: In der Reihenfolge jdg mss.t möchte er das Äquivalent zum keilschriftlichen GAD.TÚGma-ak-lalu GADTÚG.GÚ.È der babylonischen Kleiderlisten Ramses’ II. sehen.) In pTurin CGT 54051 Verso 5,14 wird allerdings, wenn auch in unklarem Zusammenhang, ein jdg der Göttin Anat genannt, deren Ikonographie sich nicht durch Mäntel oder Umhänge auszeichnet, sondern umgekehrt gerade durch partielle oder teilweise Nacktheit. Immerhin gibt es Darstellungen, in denen sie einen freien Oberkörper, aber einen Rock o.ä. trägt. Zur Kleidung der Anat vgl. I. Cornelius, The Many Faces of the Goddess. The Iconography of the Syro-Palestinian Goddesses Anat, Astarte, Qedeshet, and Asherah c. 1500-1000 BCE, Orbis Biblicus et Orientalis 204 (Freiburg (Schweiz), Göttingen 2004), spez. 74–75. Sollte man also vielleicht gerade umgekehrt zu Edel bei jdg mss.t die Reihenfolge „unten – oben“ ansetzen können? Dann wäre jdg u.U. ein Tuch, das man zu einem Rock oder Schurz formen könnte (oder je nach Größe auch zu einem Mantel), und die mss.t eine Tunika, die man über dem Rock/Schurz trägt. Auch die Stelle im Kairener Liebeslied spricht nicht dagegen. Denn nach dem Turiner Baumgartenlied (pTurin Cat. 1966), Zeile 1,3 sind [die Liebenden(?)] trunken vor Wein und befeuchtet/eingetaucht in bꜣq-Öl (s. die Übersetzung im TLA), so dass prinzipiell auch andere Kleidungsstücke als nur ein Kopftuch oder eine Perücke von diesem Öl gereinigt werden mussten.

Verso 4,1–4: Spruch gegen einen Skorpionstich

= oL 328

Ein anderer (Spruch):
(O) Kleine, Kleine,1 (du) Schwester der Schlange, (o du) Skorpion, (du) Schwester des Apophis, [Vso. 4,2] die (du) auf dem ... (?)2 Weg sitzt, wartend auf den (oder: eilend zu dem)3, der in der Dunkelheit kommt, der in der Dunkelheit kommt! Der, der kommt, er möge auftreten [Vso. 4,3] mit Fersen (wörtl.: mit seinen Fersen) wie Erz, seine Fußspitzen sei(e)n (scil.: hartes) Afrikanisches Ebenholz4, seine Fußspitzen sei(e)n die sieben Falken,5 die am Bug der Barke des Re sind! Du bist umwunden, Skorpion! [Vso. 4,4] Du bist gepackt! Ich bin Horus, der handelt. Es ist Min, der dich gefunden hat.

1 šr.t zp-2: Die Verdopplung mithilfe von zp-2 ist typisch für Anrufungen, weshalb šr.t hier mit Gardiner, DZA 50.143.790 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169.336 als Vokativ aufgefasst wird und nicht, mit J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 78, als Subjekt eines Substantivalsatzes.

2 pšn.w: Unbekannt, möglicherweise ein Hapax legomenon. Klassifiziert ist es mit dem Kanal Gardiner N23 und dem senkrechten Strich, aber es ist unsicher, ob das der Klassifikator von pšn allein oder eines Kompositums mṯn.w-pšn.w ist. Gardiner hat keinen Vorschlag für pšn; Borghouts vermutet für mṯn.w-pšn.w „a cross-roads“, ebenso Roccati: „crocevia“. Beide bringen daher pšn mit dem gleichradikaligen Verb „spalten, teilen“ (Wb 1, 560.3–7) zusammen; in dem Fall wäre pšn.w Partizip oder Stativ, und die Klassifikatoren wären definitiv diejenigen eines Kompositums.

3 sjn n: Es gibt zwei infrage kommende Verben: das Verb sjni̯: „warten“ (Wb 4, 38.4–8) und das gleichradikalige und gleich klassifizierte Verb sjn mit der konträren Bedeutung: „eilen“ (Wb 4, 38.9–39.9). Gardiner, DZA 50.143.790 hatte den Satzteil zunächst mit dem zweiten Verb übersetzt: „und eilst zu dem[,] welcher in der Nacht kommt“. In seiner Besprechung der Bedeutung „warten“ hat er die Stelle allerdings dem Verb sjni̯: „warten“ zugeordnet (A.H. Gardiner, „To wait for“ in Egyptian, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 49, 1911, 100–102, hier 100). Eine Begründung dafür liefert er nicht; man könnte einzig erwägen, dass ihn die Parallelität zu dem voranstehenden ḥmsi̯.tj sowie die Tatsache, dass es für sjn n: „eilen zu“ (Wb 4, 38.11) nur sehr wenig Belege gibt, dazu veranlasst hat. So wird die Stelle dann in Wb 4, 38.6 dem Verb „warten auf“ zugeordnet (DZA 28.932.050; dort ist das ursprüngliche „eilst zu“ durchgestrichen und mit „wartest auf“ überschrieben). Ebenso J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 78: „lying in wait for (...)“. Erst A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169.337–339 denkt wieder an „eilen“: „colui che viene movendosi“. Tatsächlich spricht nur wenig dagegen, hier „eilen zu“ anzusetzen – es wäre an Zoologen zu überprüfen, ob dieser Satzteil nicht vielleicht den Moment anspricht, in dem ein Skorpion Drohverhalten zeigt. Auch die Konstruktion mithilfe von ḥr + Infinitiv gegenüber dem stativischen ḥmsi̯.tj könnte auf eine progressivere Nuance hindeuten, als ein „warten auf“ hätte.
NB: W. Westendorf, Eilen und Warten, in: Göttinger Miszellen 46, 1981, 27–31, hier 27–28 verbindet beide Wörter miteinander und verweist auf einen ähnlichen Fall im Deutschen, wo „zögern“ ursprünglich ein Verb der Bewegung gewesen sei und ein wiederholtes hin- und herziehen meinte; vgl. auch das Grimm’sche Wörterbuch, s.v. „zögern“: „ohne Zweck hin- und herziehen“.

4 hb⟨n⟩.w: So schon eine Idee von Gardiner, DZA 50.143.790 (gefolgt von J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 78), auch wenn die Stelle im Wb unter den Belegen für hb: „Pflug“ landete. Als solches übersetzt es auch A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169.338–339. Prinzipiell auszuschließen ist diese Idee nicht; in dem Fall würde wohl das Bild eines quasi den Weg pflügenden Fußes evoziert, der allein durch die Erschütterung die Skorpione schon von weitem verscheucht. Allerdings ist hb: „Pflug“ sonst nie mit dem Ast klassifiziert.

5 pꜣ 7 bjk: Zu den sieben Falken vgl. weitere Stellen bei M. Rochholz, Schöpfung, Feindvernichtung, Regeneration. Untersuchung zum Symbolgehalt der machtgeladenen Zahl 7 im alten Ägypten, Ägypten und Altes Testament 56 (Wiesbaden 2002), 103. Diese Körperteilvergottung soll zweifellos apotropäischen Charakter haben.

Verso 4,4–9: Spruch gegen Schlangen- oder Skorpiongift

≈ oBerlin P. 14208 Recto (+ Verso?)

Ein anderer (Spruch):
Zahn ⟨gegen⟩ Zahn,1 während Re das Gift bewachte, als [Vso. 4,5] Re seinen (d.h. des Giftes) Namen {schärfte} ⟨nannte⟩2, während Isis dasaß und während Nephthys vor ihm (d.h. vor Re) stand. Die vereinten(?) Zauberutensilien(?) sind ins Feuer geworfen zu den großen Bäumen [Vso. 4,6] des großen Gottes.3 Ihr Götter, verweilt, nachdem ich ihm die Hand gereicht habe (und) nachdem ihm der Gott die Hand gereicht hat, obwohl (???) die Opferspeisen ein Geringes sind, (je nachdem) wie (???) sich die zb.w-Hölzer und [Vso. 4,7] sꜣw-Balken neigen, (und) entsprechend dem Geschrei (wörtl.: dem Schreien), das Horus und Seth in der Nacht ihres Kampfes ausstießen! (???)4 Die Barke des Re landet an, [Vso. 4,8] wobei Thot auf ihr (oder: (an) ihrem Bug) steht. Geb, er sagte es (???). Oje, oje (???).5
Nicht ich bin es, der es sagte. Nicht ich bin es, der es wiederholte. Selqet ist es, die es sagte. Sie ist es, [Vso. 4,9] die es wiederholte.

1 jbḥ.t jbḥ.t: Zur Übersetzung „Zahn ⟨gegen⟩ Zahn“ vgl. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 78 und 103, Anm. 88: Er vermutet, dass hier ein magisches Utensil (in dem Fall ein Zahn) gegen eine Krankheit oder einen Dämon (in dem Fall der Biss eines Skorpions oder einer Schlange) zur Anwendung gebracht werden soll. Dass hier konkret ein „Zahn“ als magisches Utensil angewendet werden soll, bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass man diesen Spruch auf einen Schlangenbiss eingrenzen kann. Denn terminologisch unterschieden die Ägypter nicht immer zwischen dem Biss einer Schlange und dem Stich eines Skorpions: Beides konnte als psḥ bezeichnet werden. Übersetzung wie Interpretation werden bestätigt durch den Spruch pChester Beatty VII Rto. 7,5–7 (Hinweis J. Raffel), der in 7,5 beginnt mit rʾ r rʾ jbḥ r jbḥ Rꜥ.w ⸢zꜣw⸣ mtw.t: „Ein Spruch gegen das Maul, Zahn gegen Zahn, Re bewacht das Gift (oder: Re ist ein Wächter des Giftes)“. Der Spruch von pChester Beatty VII ist explizit gegen einen wḥꜥ.t-Skorpion bzw. dessen Gift gedacht. Fast genauso steht im Brooklyner Schlangenbuch, pBrooklyn 47.218.48 + 85, Zeile 2,19 (§ 41): rʾ (r) rʾ jbḥ.t r jbḥ {Rꜥ} jn ⟨Rꜥ⟩ zꜣw mtw.t (...): „une bouche (vaut contre une autre) bouche, une dent contre (d’autres) dents! C’est Rê que veille contre le venin (...)“, S. Sauneron, Un traité égyptien d’ophiologie. Papyrus du Brooklyn Museum No. 47.218.48 et .85, Bibliothèque générale 11 (Le Caire 1989), 58–59. In der zugehörigen Anmerkung (5) auf S. 58 merkt er an, dass die Übersetzung unsicher sei und von „des variantes du Nouvel Empire“ inspiriert sei. Mit diesen Varianten (Plural!) meint er den in der vorherigen Anmerkung (4) genannten pChester Beatty VII sowie vielleicht den nicht explizit genannten pTurin CGT 54051; die ebenfalls in dieser Anmerkung als Inspiration genannte Stele aus Kopenhagen (A 764 = Æ. I. N. 974) enthält diese Passage nicht.

2 dm: Emendation des Verbs mit Gardiner, DZA 50.143.790 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169.341. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 78–79 scheint dagegen dm nicht emendiert zu haben, kann aber keine Übersetzung anbieten. Vielmehr vermutet er in m-ḏr eine Schreibung für den negativen kausativen Imperativ m-ḏi̯ (dazu A. Erman, Neuaegyptische Grammatik, 2. Auflage (Leipzig 1933), § 790) und in der Phrase m-ḏr dm Rꜥ den Namen des Giftes (rn=st), den er parenthetisch in den Satz einfügt: „(...) – ‚Do not let him ... Rēꜥ‘ is its name – (...)“.

3 r nꜣ šn.wt ꜥꜣ.t n nṯr ꜥꜣ: Was damit gemeint ist, ist unklar. Ob ein heiliger Hain bei einem Tempel, der als Lokalität für diese magische Praxis dienen sollte? In jedem Falle zieht der Fakt, dass die ḥkꜣ.w dort in das Feuer gegeben werden, nach sich, dass diese eine physische Realität gehabt haben müssen. Es kann also nicht das Abstraktum „Magie, Zauberkraft“ damit gemeint sein. Vermutlich sind also konkrete magische Utensilien gemeint; J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 110, Anm. 271 denkt an einen Skorpion aus Ton, wie er im verwandten Spruch des pChester Beatty VII, Rto. 7,5–7 (darauf bezieht sich Borghouts’ „next spell“ = seine Nr. 113) erwähnt wird. Zum Verbrennen von magischen Figuren vgl. bspw. R.K. Ritner, The Mechanics of Ancient Egyptian Magical Practice, Studies in Ancient Oriental Civilization 54, 4th edition (Chicago 2008), 150 oder 158 mit weiterer Literatur. Auch ein Amulett oder ein Schriftstück sind nicht undenkbar. Zum Verbrennen von Schriftstücken als magische Praxis s. Ritner, ebd., 108 mit einem Zitat aus dem demotischen ersten Setna-Roman, wonach ein Zauberspruch auf einem neuen Papyrus niedergeschrieben, dieser dann verbrannt, die Asche in Wasser aufgelöst und dieses dann getrunken wird. Könnte die Stelle ein früher Beleg für die Bedeutung „Zauberbuch“ sein, das dann später – vielleicht aus einer Umdeutung der Schreibung von ḥkꜣ.w: „Zauber“ mit dem Löwenhinterteil auf Standarte (s. dazu Ritner, ebd. 25 mit Lit.) entstanden – als pḥ.wj-kꜣ.t (Wb 3, 176.34) belegt ist? Wenn in den Admonitions des Ipuwer, pLeiden I 377 Recto, 6,6, geklagt wird, dass die „geheimen Stätten und Sanktuare offengelegt sind und die ḥkꜣ.w offengelegt sind“ (sḥꜣ.w s.t-štꜣ.t wn.t jw-ms ḥkꜣ.w sḥꜣ.w) und dadurch šm- und sḫn-Zaubersprüche unwirksam gemacht wurden, weil sie jedermann zugänglich sind, könnte auch dort schon dem ḥkꜣ.w u.U. eine physische Realität zu eigen sein.
Unsicher ist ferner die Bedeutung des direkt an ḥkꜣ.w anschließenden dmdm.yt. Wb 5, 456.16 hat es als eigenes, aber in seiner Bedeutung „unklares Wort“ aufgenommen. Es wird aber wohl nur eine Schreibung für dmḏ vorliegen. Für dieses sind Schreibungen dmd belegt, und für das Götterepitheton dmḏ gibt es auch Schreibungen dmdm, was gut zur Schreibung von pTurin CGT 54051 passt. Wenn es das Verb „zusammenfügen, vereinen“ ist, kommen aufgrund der Wortstellung und der Endung nur ein Stativ oder ein passives Partizip infrage: Zu der Endung Doppelschilfblatt, t und Buchrolle für einen Stativ 3. Pers. Sg. Mask. (!) und Fem. vgl. J. Winand, Études de néo-égyptien. 1. La morphologie verbale, Aegyptiaca Leodiensia 2 (Liège 1992), 145–146 (allerdings nur Belege der 19. Dynastie); für Passivpartizip s. Winand, ebd., 369–370, §§ 586–588. Für diese Endung mit zusätzlichen Pluralstrichen führt Winand allerdings keine Beispiele auf; nimmt man sie ernst – und die Bedeutung des Verbs „vereinen“ impliziert, dass sein Patiens, in dem Fall das Bezugswort ḥkꜣ.w, Plural sein muss –, ist ein Stativ eher auszuschließen. Denn zumindest in Winands Corpus gibt es keinen Beleg für Doppelschilfblatt, t und Buchrolle als Pluralendung, so dass die hiesige Schreibung mit Doppelschilfblatt, t über Buchrolle und Pluralstrichen, mehr Übereinstimmung mit den von ihm aufgeführten Partizipendungen als mit den Stativendungen hat. Was genau man sich unter diesen „vereinten Zauberutensilien“(?) vorzustellen hat, bliebe zu diskutieren. Unsicher ist, woran J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 79 dachte, wenn er dmdm mit „pounded (together)“ übersetzt. Ob er an eine Schreibung von tmtm: „(Heilmittel) zerquetschen“ (Wb 5, 309.7–8) dachte? Dieses Verb ist aber mit dem schlagenden Mann klassifiziert; die graphische Differenz zwischen beiden Wörtern ist etwas zu groß. Als Alternative wäre allenfalls noch zu überlegen, ob dmdm.yt nicht ein Partizip vom Verb „vereinen“ ist, sondern das Substantiv dmḏ.t: „(medizinische) Sammelhandschrift“ (Wb 5, 462.9), das dann dem ḥkꜣ.w syntaktisch parallel zu setzen wäre. Dieses ist meist mit dem Band oder Seil Gardiner V12 klassifiziert, hat aber zumindest einmal, im Liebeslied Nr. 37 (pChester Beatty I Verso, Zeile C 4,10), ebenfalls aus der 20. Dynastie, die Endung Doppelschilfblatt, t über Buchrolle und Pluralstriche, also dieselbe Endung wie das dmdm.yt des pTurin CGT 54051. Damit hätte man „Zauberutensilien und eine Sammelhandschrift“, die dem Feuer übergeben werden. Das würde inhaltlich wieder in die Richtung weisen, dass auch Schriftstücke verbrannt werden. Gegen diese Interpretation spricht allerdings, dass ḥkꜣ.w mit einem Artikel versehen ist, dmdm.yt dagegen nicht, und das spricht eher dafür, nꜣ ḥkꜣ.w dmdm.yt als eine einzige Nominalphrase zu verstehen.

4 Die Aussage der Nebensätze ist unklar. Mit dem „ihm“, dem die Hand (helfend?) gereicht wird, wird wohl der Gebissene gemeint sein. Was mit den sich neigenden Hölzern gemeint ist, ist unklar:
(1) hnn mit reflexivem Pronomen bedeutet „sich auf jmd./etw. verlassen“ (Wb 2, 494.15–16), d.h. wörtlich wohl „sich auf jmd./etw. stützen“. Doch worauf sollten sich die genannten Hölzer verlassen können und was ist mit ihnen gemeint, dass sie überhaupt personifiziert als Subjekt des Satzes erscheinen können? (Es sei zumindest angemerkt, dass in der Rangstreitfabel von Kopf und Leib auf der Turiner Schreibtafel Cat. 6238 = CGT 58004 sich einer von beiden, Leib oder Kopf (die Bezüge sind diskutabel, vgl. den Kommentar im TLA), als zꜣ.w des ganzen „Hauses“ (pr) bezeichnet, auf das sich alle Körperteile „verlassen“ (rhn) könnten.) Selbst wenn man vor den Hölzern eine Präposition, am ehesten ein ḥr, ergänzt und die Hölzer damit zum Objekt des Sich-Verlassens macht („wie er [= der Patient?] sich ⟨auf⟩ die zb.w-Hölzer und zꜣw-Balken verlässt“), wäre unklar, worauf hier angespielt wird. F. Röpke, Mythologische Erzählungen in den Heiltexten. Band I (a). Allgemeiner Teil und Textsammlung (Heidelberg 2018), 233, Anm. 123 vermutet, dass gemeint ist, die Hölzer würden sich „(gegenseitig?) stützen“ i.S.v. „ineinandergreifen“, ohne dass das die generelle Aussage wesentlich erhellen würde.
(2) hnn kann die Bedeutung „etw. schwer belasten“ haben (Wb 2, 494.12–13, R.A. Caminos, Late-Egyptian Miscellanies, Brown Egyptological Studies 1 (London 1954), 46). Doch spricht hier das zusätzlich stehende enklitische Pronomen gegen diese Bedeutung. Zudem macht auch diese Bedeutung nicht klarer, welche Holzteile hiervon betroffen sein sollten. Sicherlich kaum die Bestandteile eines Opfertisches, da die zuvor erwähnten Opfer gerade „ein Geringes“ (m nḏs) sind und kaum einen Opfertisch zum „biegen“ (o.ä.) bringen könnten.
(3) Das Verb hnn ist auch ein Terminus technicus im Orakelwesen, wo es die (zustimmende) Vorwärtsbewegung der Priester meint, die bei Festprozessionen die Prozessionsbarke mit dem befragten Gott tragen; zur genauen Bedeutung von hnn in diesem Kontext s. J. Černý, Egyptian Oracles, in: R. A. Parker (Hrsg.), A Saite Oracle Papyrus from Thebes in the Brooklyn Museum (Papyrus Brooklyn 47.218.3), Brown Egyptological Studies 4 (Providence 1962), 35–48, hier 44. Daher ist es verführerisch zu überlegen, ob hier eine Anspielung auf diese Praxis vorliegt und gemeint ist, dass sich der Umfang der Opferspeisen für Gott X danach richtet, wie das Orakel ausgefallen ist, ob sich die Priester mit der Prozessionsbarke also vorwärts bewegt haben oder nicht. In diesem Fall könnte man die Anspielungen auch auf den Imperativ smn ausweiten, der eine Ablehnung bezeichnen kann, Černý, ebd., 43. Dass mancher Ägypter diesbezüglich durchaus pragmatisch vorging, zeigt bspw. der Fall des Amunemwia auf dem ramessidischen pBM EA 10335, der sich an mehrere Götter wandte, weil er mit der Entscheidung des ersten Orakels nicht zufrieden war, vgl. A. von Lieven, Divination in Ägypten, in: Altorientalische Forschungen 26 (1), 1999, 77–126, hier 81–82. Jedenfalls kann zꜣw auch die Beplankung eines Schiffes oder andere Schiffsteile meinen (N. Dürring, Materialien zum Schiffbau im Alten Ägypten, Abhandlungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo, Ägyptologische Reihe 11 (Berlin 1995), 54); es ist also nicht auszuschließen, dass hier in verschlüsselter Form die Prozessionsbarke gemeint ist. Das Substantiv zb.w ist nur selten belegt. Was genau damit bezeichnet wird, ist nicht ganz klar. Es kommt noch weitere Male zusammen mit zꜣw vor, ohne dass sich aus den Kontexten herleiten ließe, was die beiden Begriffe dann jeweils meinen. zb.w scheint zumindest (auch?) Bauholz bezeichnen zu können, jedenfalls etwas, was in der Lehre des Cheti von einem Zimmermann verlegt (swꜣḥ) wird. Im Schiffsbau ist es allerdings bislang nicht belegt. Es wäre in dem Fall allenfalls noch denkbar und verführerisch, hierin die Trageholme der Prozessionsbarke zu sehen. Doch werden diese üblicherweise nbꜣ genannt, C. Karlshausen, L’iconographie de la barque processionnelle divine en Égypte au Nouvel Empire, Orientalia Lovaniensia Analecta 182 (Leuven 2009), 285–287. Daher ist auch die Möglichkeit (3) nicht eindeutig beweisbar. Letzten Endes spricht auch hiergegen das reflexive Pronomen, das auch bei dieser Bedeutung überflüssig wäre.

5 hꜣhꜣ: Mit dem sitzenden Mann mit Hand am Mund klassifiziert; nur in pTurin CGT 54051, Vso. 4,8 belegt. Der Kontext ist nicht klar. Ob zusammenhängend mit dem sonst nur in ptolemäischen Texten belegten hh: „klagen“, Wb 2, 502.9?

Verso 4,9–12: Spruch gegen eine gefährliche Uräus(!)schlange

≈ oNash 14 (= oBM EA 6540), oGardiner 30 Recto

Ein anderer (Spruch):
Der „Beißende“, (das ist eigentlich) gar kein Beißender. Fließe über,1 Gewürm! Falle hin,2 (o) Kobra3, o (du) Feindin des (Amun-)Widders, des Sohnes [Vso. 4,10] des Schafes, ⟨von⟩ der Art des Seth,4 des Hüters des Geheimnisses, Abkömmling des Min, Abkömmling des Geb, des Vaters der Götter! Nehmt Platz, weil ihr hören sollt, was [Vso. 4,11] der Widder, der Sohn des Schafes, sagt, der für(?)5 das Wasser steht, das flussabwärts fließt, und der für(?)5 den Nordwind steht, der flussaufwärts (weht): „Wenn [Vso. 4,12] die Sonne aufgeht, wird das Udjatauge gegen dich sein!“ (Das ist) sein wirklich echter Name.

1 Das erste Wort ist nicht klar zu lesen: Gardiner, DZA 50.143.810 sowie A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 77 und 156.348 gehen von einer Ligatur für snf: „Blut“ aus. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 92 liest stf: „dripping liquid“. Eine weitere Lösung bietet J.F. Borghouts, The Ram as a Protector and Prophesier, in: Revue d’égyptologie 32, 1980, 33–46, hier 33 mit Anm. 4, wo er wiederum stf transliteriert, es aber verbal als Imperativ von stf „überfließen“ (Wb 4, 342.5–6) versteht: „Spit out“. Unter dieser Prämisse wäre es sogar überlegenswert, srf zu lesen und ein falsch klassifiziertes srf: „sich niederlassen“ (Wb 4, 197.5) anzusetzen: „Lasse dich nieder“, das man parallel zu dem hꜣi̯.y des folgenden Satzes verstehen könnte, wenn dies nicht einen Eingriff in den Text bedeuten würde.
Die Parallele oNash 14 ist hier nicht erhalten und fährt auch anders fort, so dass sie für einen Abgleich der Lesung nicht zur Verfügung steht.

2 hꜣi̯.y: Als Imperativ vermutlich schon gedeutet von Gardiner, DZA 50.143.810; und dann explizit auch mit jꜥr.t als folgendem Vokativ bei J.F. Borghouts, The Ram as a Protector and Prophesier, in: Revue d’égyptologie 32, 1980, 33–46, hier 33. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 92 hat es dagegen stativisch als Prädikat eines Satzes stf ḏdf.t hꜣi̯.y („The dripping liquid (stf) of the reptile (ḏdft) has fallen down!“) interpretiert; A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169.348–349 indikativisch als Prädikat eines Satzes hꜣi̯.y jꜥr.t („scende l’ureo“). Bei der hier favorisierten Deutung von stf als Imperativ bietet sich auch für hꜣi̯.y eine imperativische Deutung an; beide Sätze wären dann parallel aufzufassen. In dem Fall enthält die Aufforderung mehrere Nuancen: Rein vordergründig dürfte gemeint sein, dass die Kobra sich beruhigt und aus ihrer Drohstellung heraus wieder zu Boden sinkt. Gleichzeitig ist hꜣi̯ auch ein Terminus technicus der medizinischen Texte und kann dort das Abgehen von Krankheitsstoffen aus dem Körper bezeichnen (H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Zweite Hälfte (h-), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.2 (Berlin 1962), 560). Möglicherweise liegt also hier zusätzlich dieselbe Doppeldeutigkeit #Zugrundegehen des giftigen Tieres ~ Ausfließen des Giftes# vor, die deutlicher, weil bereits lexikalisch ambivalent, in manchen Skorpionsprüchen vorkommt, wo der Befehl šp=t wḥꜥ.t sowohl „Du sollst zugrundegehen, Skorpion!“ als auch „Du sollst ausfließen, Skorpiongift!“ bedeuten kann. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass sich die Schlangenbezeichnung von jꜥr: „aufsteigen“ ableitet, die jꜥr.t also „die Aufgerichtete“ ist. Sie zum hꜣi̯, zum Herabsteigen/Fallen, zu bringen, würde also bereits rein wortsemantisch ihr Wesen und damit die Grundlage ihrer Existenz aufheben.

3 jꜥr.t ist in der Regel positiv konnotiert: Es ist der Uräus oder eine Feinde abwehrende Schlange in Unterweltstexten. Von dieser letzteren Funktion leitet J.F. Borghouts, The Ram as a Protector and Prophesier, in: Revue d’égyptologie 32, 1980, 33–46, hier 33, Anm. 5 aber auch eine potenziell schadenbringende Rolle der jꜥr.t ab und verweist als konkretes Bsp. auf den, wenn auch recht späten, Text Edfou III 68,12, wo jꜥr.t (als weitere Bezeichnung der pḏ.tyw-Schlangen, vgl. A.M. Blackman – H.W. Fairman, The Significance of the Ceremony ḥwt bḥsw in the Temple of Horus at Edfu, in: Journal of Egyptian Archaeology 35, 1949, 99–112, hier 105) als gefährliche Schlange auf dem Feld erscheint (mit derselben vereinzelten Stelle auch genannt von P. Wilson, A Ptolemaic Lexikon. A Lexicographical Study of the Texts in the Temple of Edfu, Orientalia Lovaniensia Analecta 78 (Leuven 1997), 45).

4 ⟨n⟩ j(w)n.w Stẖ: Mit der „Art“ oder dem „Wesen“ des Seth wird wohl auf die positive, Übel abwehrende Rolle des Seth als Gegner der Chaosschlange Apophis angespielt, vgl. ebd., 37. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169.349–350 hat in jwn.w dagegen eine Verschreibung für j.n: „sagte“ verstanden und leitet damit einen neuen Satz ein: „Dice Seth“ (vgl. explizit den Wortindex 177; diese Stelle aufgenommen bei j.n(.f)). Die auf Seth folgenden Epitheta bezieht er infolgedessen auf Seth und nicht, wie Borghouts, auf den Widder (und über diesen auf Amun).

5 ꜥḥꜥ n: Gardiner, DZA 50.143.810 sieht hierin Belege für die Bedeutung ꜥḥꜥ n: „warten auf etw.“ (Wb 1, 220.5), was aber an dieser Stelle wenig Sinn ergibt. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 92 vermutet „stand up to“. Zu Belegen für diese Bedeutung s. J.F. Borghouts, The Ram as a Protector and Prophesier, in: Revue d’égyptologie 32, 1980, 33–46, hier 41, Anm. 60. Ebd., 41 hält er diese Übersetzung noch für denkbar, favorisiert aber eher die Bedeutung „to show obeisance to“ (Wb 1, 218.11), „to be a manifestation of“ (vgl. vielleicht Wb 1, 219.1) und denkt, dass damit auf die göttliche Natur hinter den genannten Naturphänomenen angespielt wird. Entsprechend übersetzt er auf S. 35 mit „stand up for“. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169.352 folgt Borghouts’ älterer Idee und übersetzt „si oppone“.

Verso 4,12–5,4: Spruch gegen Schlangen- oder Skorpiongift

Ein anderer (Spruch):
Juble, ... (?)1! Man möge vorbeigehen an dir (d.h. dem Skorpion), beladen [Vso. 4,13] mit Falken(amuletten)(?), indem ich {verborgen bin vor(?)} ⟨„geschmückt“ bin mit⟩ (???) Göttern – Seth ist in meiner rechten Hand, Horus ist in (meiner) linken Hand, Nephthys ist in (meiner) Umarmung. Ihr Götter, handelt für mich! (Oder: Ihr Götter(bilder), die für mich hergestellt wurden:) Macht auf! (???)2 [Vso. 5,1] Ich bin einer von euch. Ich bin der Bote des Thot, der gekommen ist, um Leben, Heil und Gesundheit (oder: Schutz) herbeizubringen [---] das Siegel des Horus, das in meiner Hand ist. Was die Nacht angeht, [Vso. 5,2] als die Frau des Horus gebissen/gestochen wurde (oder: als die Frau des Horus dich stach)3: Ich werde die Überschwemmung nicht über den Uferdamm fließen lassen, ich werde die Sonne nicht über dem Erdboden aufgehen lassen, ich werde die Saat nicht aufgehen lassen, [Vso. 5,3] ich werde nicht zulassen, dass man Fladenbrot herstellt, ich werde nicht zulassen, dass ds-Krüge (scil.: mit Bier)4 gebraut werden für die 365 Götter, die die Nacht hungrig verbringen und den Tag hungrig verbringen – (wie?) die Nacht, [Vso. 5,4] als Osiris bestattet wurde, (ist es)5.
Ein Schutz des Horus ist d(ies)er Schutz.

1 grqr: Beide Zeichengruppen sind jeweils mit dem sitzenden Mann mit Hand am Mund klassifiziert. Dadurch wirkt die erste, als wäre sie ein syllabisch geschriebenes Wort aus der Wortfamilie gr: „schweigen“. Bei der zweiten Gruppe ist unklar, ob es sich um ein Wort derselben Wortfamilie handelt, das nicht nur ebenfalls syllabisch geschrieben wurde, sondern zudem mit q statt g (ein spätes Bsp. dafür ist notiert auf dem Schreibungszettel DZA 30.666.730), oder ob es doch ein anderes Wort ist. Im Letzteren Fall wäre es ein Hapax legomenon. Neben einer Interpretation als zwei Wörter ist es auch denkbar, dass nur ein Wort grqr vorliegt, dessen erste oder dessen beide Silben mit einem Wort der Wortfamilie gr geschrieben wurden.
(1) Gardiner, DZA 50.143.810 setzt für alles zwischen k.t und snn Auslassungspunkte und schreibt nur in Klammern „(Name des Skorpions)“, worüber er noch ein Fragezeichen setzt. Da er eben nur Punkte setzt, bleibt offen, ob er ein oder zwei Wörter liest. Diese Unsicherheit findet sich auch auf DZA 30.687.410, wo beide Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. Vielleicht nur aus pragmatischen Gründen fiel am Ende die Entscheidung auf zwei Wörter, so dass das erste Wort, gr, in Wb 5, 181.3 als „belegt N[eu]ä[gyptisch] in der Verbindung gr qr“ aufgenommen wurde. F. Lexa, La magie dans l’Égypte antique de l’Ancien Empire jusqu’à l’époque copte. Bd. 2. Les textes magiques (Paris 1925), 49 rät: „des cris d’allégresse et de joie“.
(2) J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 80 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169 lesen hier nur ein Wort. Während Borghouts es mit „chattering (one)“ übersetzt und als Bezeichnung des Magiers versteht (vgl. ebd. 110, Anm. 273), lässt es Roccati völlig unübersetzt: „Ger-ker“. Wie Borghouts zu seiner Übersetzung kommt, ist unklar, da gr gerade „schweigen“ und nicht „reden“ heißt. Will man nicht unterstellen, dass sich Borghouts von einer völlig veralteten Übersetzung von gr als „reden“ hat leiten lassen (s. dazu P. Dils, „Nous ne sommes tous que des écoliers en fait d’hiéroglyphes.“. Die Bedeutungsfindung des ägyptischen Wortschatzes am Beispiel der Lehre für Kagemni, in: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 11, 2013, 28–66, hier 44, 48 und 55), kann man überlegen, ob er darin eine Antiphrasis sah. F. Röpke, Mythologische Erzählungen in den Heiltexten. Band I (a). Allgemeiner Teil und Textsammlung (Heidelberg 2018), 359 vermutet, dass Borghouts „eine deskriptive Selbstbezeichnung des gleichermaßen ‚(laut) schreienden‘ (n:hm) wie ‚(leise) murmelnden(?)‘ (grqr) Beschwörers” im Sinn gehabt habe. Borghouts’ „chatter“ bedeutet aber kein „murmeln“. Auf Borghouts geht dann D. Meeks, Année lexicographique. Égypte ancienne. Tome 2. 1978 (Paris 1981), 78.4464: „Bavard(?)“ zurück, während Röpke, 358–359 an einen Zusammenhang mit dem qrqr-Vogel des pChester Beatty IV, Vso. 8,15 und dem grgr-Vogel des Tebtynis-Onomastikons, Q,18 herstellt.

2 Die syntaktische Analyse ist unsicher. Ist es ein Aufruf an die zuvor genannten Götter, für den Betroffenen zu handeln? Oder werden hier nicht die Götter selbst, sondern konkret die Götterbilder angesprochen, die für den Betroffenen hergestellt wurden (mdl. Mitteilung Fischer-Elfert)?
Gardiner, DZA 43.143.810 übersetzt den Satz als Verbalsatz mit Rang-IV-Erweiterung: „Die Götter machen für mich ...“. Für das abschließende wn hatte er keine Erklärung, sondern lässt die Übersetzung offen. J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 80 und 110, Anm. 274 emendiert wn zu wꜣ.t: „Weg“ und übersetzt: „Oh gods, make way for me!“ Dem folgt F. Röpke, Mythologische Erzählungen in den Heiltexten. Band I (a). Allgemeiner Teil und Textsammlung (Heidelberg 2018), 358. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169 übersetzt wie Gardiner, vermutet aber eine periphrastische Konstruktion: „gli dei fanno per me l’aprire“.
Völlig frei und nicht mit dem originalen Wortlaut vereinbar ist F. Lexa, La magie dans l’Égypte antique de l’Ancien Empire jusqu’à l’époque copte. Bd. 2. Les textes magiques (Paris 1925), 49: „Dieux, ne comettez pas de péché contre moi!“

3 Es stellt sich aber die Frage, wie das psḥ(.)tw tꜣ ḥm.t-Ḥr.w zu verstehen ist. Eine Nacht des Zubeißens/Zustechens wird auch in Verso ,4 und 4,1 erwähnt, und am Ende des vorliegenden Satzes wird die „Nacht, als Osiris bestattet wurde“ genannt. In allen Fällen liegt eine eher passivische Aussage vor: Das auf das Verb folgenden Nomen bzw. Pronomen wird gebissen bzw. bestattet. Diese Parallelität suggeriert auch hier eine passivische Aussage: die Frau des Horus wird gebissen. Wie diese Aussage in den Kontext einzubinden ist, bliebe zu klären. Die Alternative wäre eine aktivische Aussage, in der das tw kein Passivinfix, sondern enklitisches Personalpronomen ist. Dann wäre psḥ kein passives sḏm.tw=f mit nominalem Subjekt, parallel zu qrs.tw Wsjr, sondern ein aktives sḏm=f mit nominalem Subjekt und vorangerückten, weil enklitischem, Objekt. Diese Interpretation wäre inhaltlich logischer, weil dann die Frau des Horus als Skorpion den Patienten sticht. Unerwartet wäre dagegen die direkte Anrede des Patienten.

4 ꜥtḫ, das „Auspressen“ oder „Durchseihen“ der Maische, steht hier für den Prozess des Bierbrauens, so wie ds, der Bierkrug, für den Inhalt, das Bier steht. Da beide Begriffe, ꜥtḫ und ds, zusammen keine idiomatische Wendung wiedergeben, liegt eine doppelte Synekdoche vor: Pars pro toto („auspressen“ für „brauen“) und Behälter für Inhalt.

5 „die Nacht, als Osiris bestattet wurde“: Die Zeitangabe kann sich syntaktisch eigentlich fast nur auf den letzten Satz beziehen: „ich werde nicht zulassen, dass man Fladenbrot herstellt, ich werde nicht zulassen, dass ds-Krüge (scil.: mit Bier) gebraut werden für die 365 Götter, die die Nacht hungrig verbringen und den Tag hungrig verbringen.“ Das Problem ist nur, dass dies satzsemantisch zu keinem befriedigenden Ergebnis führt. Zur Option steht
(a) ein Bezug auf den Hauptsatz: „Ich werde in der Nacht, da Osiris bestattet wird, nicht zulassen, dass ...“;
(b) ein Bezug zum Objektsatz: „Ich werde nicht zulassen, dass in der Nacht, da Osiris bestattet wurde, Bier gebraut wird ...“;
(c) ein Bezug zum Relativsatz: „Ich werde nicht zulassen, dass für die Götter, die in der Nacht, da Osiris bestattet wurde, tags und nachts hungern.“
Die Optionen (a) und (b), die beide letztlich auf dieselbe Aussage hinauslaufen, sind eher unwahrscheinlich, denn das Brauen von Bier und demzufolge auch ein Verbot des Brauens von Bier sind Prozesse, die kaum nachts stattfinden. Doch auch Option (c) scheint textlogisch auszuscheiden. Denn wie können die Götter in einer konkreten Nacht „tags und nachts“ hungern? Eine Lösung wäre entweder die Annahme, dass „die Nacht, als Osiris bestattet wurde“ eine Festbezeichnung ist, die auch den lichten Tag einschließt, oder dass die Verben wršu̯ und sḏr nicht „den Tag zubringen“ bzw. „die Nacht zubringen“ heißt, sondern „wach sein“ und „schlafen/daliegen“. Ersteres würde es tatsächlich ermöglichen, den Tag und die Nacht (scil.: des Festes) hungrig zuzubringen. Letzteres wäre ebenfalls möglich, weil man natürlich in einer Nacht wach sein (v.a., wenn man hungrig ist) und schlafen kann. Jedoch ist eine Festbezeichnung „die Nacht, als Osiris bestattet wurde“ bislang nicht belegt, und bei wršu̯ scheint den Belegen zufolge doch die Nuance „den Tag zubringen“ vorzuliegen, v.a. wenn es mit sḏr kombiniert wird.
Aus diesem Grund wurde in einer früheren Version dieser Bearbeitung im TLA, Korpus-Ausgabe 17, vorgeschlagen, die Temporalangabe auf die gesamte Götterdrohung zu beziehen (angezweifelt von J.F. Quack, E-Mail vom 06.06.2023) und sie so zu interpretieren, dass diese damit zusätzliches Gewicht erhalten haben könnte, weil gedroht würde, die kosmische Ordnung just in einer so wichtigen Nacht zu beenden: „Ich werde in der Nacht, in der Osiris bestattet wurde, die Überschwemmung nicht über den Uferdamm fließen lassen, ich werde die Sonne nicht über dem Erdboden aufgehen lassen, ich werde die Saat nicht aufgehen lassen, ich werde nicht zulassen, dass man Fladenbrot herstellt, ich werde nicht zulassen, dass ds-Krüge (scil.: mit Bier) gebraut werden für die 365 Götter, die die Nacht hungrig verbringen und den Tag hungrig verbringen.“
Als letzte Option könnte vielleicht erwogen werden, in „die Nacht, als Osiris bestattet wurde“ gar keine Temporalangabe zum vorangegangenen Satz zu sehen, sondern eine syntaktisch neue Einheit, vielleicht als eingliedriger Nominalsatz aufzufassen, die sozusagen die Folge der Götterdrohung beschreibt: „(scil.: Wie?) die Nacht, da Osiris bestattet wird, (ist es)“. Die Bestattung des Osiris markiert das Ende einer Periode, in der prinzipiell die kosmische Ordnung bedroht ist. Erst am Folgetag wird diese Bedrohung mit der Krönung des Horus und der Bestätigung des Erbes beendet. Bis dahin, d.h. bis zur Krönung des Horus, dauert das Interregnum des Seth an, vgl. dazu  etwa C. Leitz, Tagewählerei. Das Buch ḥꜣt nḥḥ pḥ.wy ḏt und verwandte Texte, Ägyptologische Abhandlungen 55 (Wiesbaden 1994), 62-63, 170-172, 232-234. Der Kalendertag IV. Achet 19, an dem im pJumilhac die Bestattung des Osiris beginnt, ist in den ramessidischen Tagewählkalendern als „gefährlich“ bzw. „ungewiss“ markiert, Leitz, a.a.O., 170; vergleichbar der Tag II. Peret 6, an dem laut denselben Tagewählkalendern der Djed-Pfeiler aufgerichtet wird, was für die endgültige Bestattung des Osiris steht, vgl. Leitz, a.a.O., 62 mit 232.

Verso 5,4–6: Spruch gegen einen Skorpionstich

Ein anderer (Spruch): Halt ein, halt ein, Skorpion, der du unter dem Fundament hervorgekommen bist, der du von unten hervorgekommen bist, um Feuer zu legen an [Vso. 5,5] den großen Baum, unter dem Re sitzt! Falls ⟨du⟩ stichst, bin ich Osiris. Falls ich (scil.: von dir) erbeutet werde, bin ich Horus. Ich bin der Mond, der [Vso. 5,6] aus Heliopolis hervorgekommen ist ⟨gegen⟩ den Feind. Was (dich) Skorpion angeht, (o) dieser Feind: Ein erzener Berg ist das, was vor dir (liegen soll), den du nicht passieren kannst! Ein Schutz des Horus ist d(ies)er Schutz.

Verso 5,6–6,4: Spruch gegen Schlangen- oder Skorpiongift

Ein anderer (Spruch):

[Vso. 5,7] Spruch für das Innehalten des Giftes, um zu verhindern, dass es (Barrieren) überschreitet (?)1, (um zu) verhindern, dass es (sich) ausbreitet, um zu verhindern, dass das Gift in den Körperteilen von [Vso. 5,8] NN, den NN geboren hat, verbleibt (wörtl.: Stillstand macht?):
„(Es) kommt (???) gegen (?) das Innehalten des Giftes, nachdem ich vorbeigeschritten war als Horus, indem ich gegürtet(?)2 bin als/wie Isis. Mein Mund ist rein wie (der des) Horus. Mein Finger [Vso. 5,9] ist der (des) Ibis des Thot. Der Gluthauch meines Mundes ist der des Anubis.3 Halt ein, halt ein, du Gift, Fieberhitze (?)4 des Horus! Ich (werde) veranlassen, dass du innehältst im Mund des Beißenden(?)! [Vso. 5,10] Ich (werde) dich binden. Ich (werde?) dich sagen lassen: ‚Fließe aus(?)5 wie Sabber(?)6!‘ Halte ein, halte ein, dieser Feind (da), dieser Feind (da)! Wenn du das Gift [Vso. 5,11] auf NN, den NN geboren hat, wirfst, sollst du ... (?)7.”

Spruch für den Speichel, den Seth mit seiner Hand auf den Hintern dessen legt, der angegangen wurde(?):8
„Wütet man gegen(?) die Götterneunheit, [Vso. 5,12] findet man (sich gegenüber) den 7 Hathoren und den Herren des Feuers (wieder), die aus ihren Wohnsitzen herauskommen.9 Ich werde herauskommen, indem ich rein bin. Ich werde dich packe. Ich werde [Vso. 5,13] dich an der Einstichstelle(?)10 der Alten11 binden, an der Einstichstelle(?)10 des Kindes12, an der Einstichstelle(?)10 der Kleinen11. Ich werde dich binden. O Gift, du wirst nicht mit ihm kopulieren können13 am Saum(?)14 des [Vso. 5,14] jdg-Tuches der Anat und am ... (?)15 des dꜣj.w-Gewandes der Anat. Ich werde 〈zum〉 Diener des [Hauro]n16 eilen. Ich werde ihn innehalten lassen [Vso. 6,1] [---] sein [---] in/an/auf [---] im Mund [---]

[---] [Vso. 6,2] [---] [für den Sko]rpion und für die Schlange entsprechend etwas von den Qehe〈q〉17 Formuliertes:18 (Mein?) Leib ist an/auf/mit hr19 [---] [Vso. 6,3] [Das Gift] kommt von selbst heraus (?), ohne dass man für sie rezitieren (muss).“

Worte zu sprechen:
„Die Ba-Seele des Re [---] [Vso. 6,4] der Schlag einer Axt(?)20 auf den Kopf eines Mannes (d.h. des Patienten?).“

1 : Unsicher, welches Lemma vorliegt: Gardiner, DZA 50.143.830 übersetzt es mit „überschreiten“, denkt also an zni̯: „vorbeigehen“ (Wb 3, 454.14–456.13) bzw. : „vorbeigehen“ (Wb 3, 483.2). Dem folgt A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169 mit „passi“. Gemeint wäre dann, dass das Gift ein Apotropaicum, wie etwa ein Knotenamulett, nicht passieren soll (vgl. den Spruch in Vso. 7,8–9), oder dass ihm mittels Magie ein anderes Hindernis in den Weg gestellt werden soll, wie der im vorigen Spruch erwähnte „erzene Berg“.

2 bnd: Obwohl partiell zerstört, ist die Lesung relativ sicher. Das in diesem Satz entworfene Bild ist unklar; vermutlich sollte der Gebissene die Zauberkraft der Isis nutzen können. Man könnte überlegen, ob eine Anspielung auf den Isisknoten vorliegt.

3 jri̯.t Jnp.w: Vermutlich weniger „fa Anubi“ (A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169), was wohl nur ein Gott kann, sondern „Anubis sein“ entsprechend der Bedeutung „etw. sein“, Wb 1, 109.26–28 (so auch Gardiner, DZA 50.143.840) oder „der (scil.: Hauch) des Anubis sein“.

4 Mit der „Fieberhitze des Horus“ dürfte auf den mythischen Präzedenzfall des kranken und von Isis geheilten Horus angespielt werden, mit dem sich der Gebissene identifizieren soll.

5 gꜥw ist ein Hapax legomenon. Sowohl Gardiner, DZA 51.143.840 als auch A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 78 transliterieren den Klassifikator als Feuerpfanne, Gardiner Q7. Während Gardiner die Stelle unübersetzt lässt, vermutet Roccati, ebd., 169 hierin ein Wort für „il bruciore (?)“, das Brennen, was aber vermutlich nur von dem Klassifikator geleitet ist. Ob hier das Gegenteil von Rto. 3,3 vorliegt, wo eine Lesung der Feuerpfanne statt des üblicherweise angesetzten spuckenden Mundes vorgeschlagen wurde, und man in 5,10 eben den spuckenden Mund statt Gardiners und Roccatis Feuerpfanne liest? Dann könnte u.U. eine, wenn auch sehr ungewöhnliche, Graphie für qꜣꜥ: „ausspeien“ vorliegen. Für eine Schreibung von qꜣꜥ ohne Aleph vgl. immerhin Rto. 6,11. Dazu würde auch das folgende bꜣy passen. Allerdings bliebe dann die syntaktische Einbettung zu klären. Die hier gebotene Übersetzung als Imperativ versucht einzig, den dastehenden Wörtern einen in sich kohärenten Sinn abzugewinnen – gegen diese Übersetzung ist aber einzuwenden, dass mit dem „dich“ der Skorpion angesprochen wird, wohingegen die Aufforderung, auszufließen, eher an den Skorpion bzw. dessen Gift zu richten statt ihm in den Mund zu legen ist.

6 bꜣy: Mit dem Getreidekorn und den Pluralstrichen geschrieben, als würde die Frucht oder das Malz von Wb 1, 417.9–10 gemeint sein. Aufgrund des Textes „Sammlung von Verboten“, speziell der Version von oPetrie 11, wurde im Wb angenommen, dass diese bꜣy-Frucht einen bitteren Geschmack habe (s. die Diskussion zur Stelle im TLA). Darauf wird auch Roccatis Übersetzung als „l’assenzio“ zurückgehen (A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 169). W.A. Ward, The Four Egyptian Homographic Roots B-ꜣ. Etymological and Egypto-Semitic Studies, Studia Pohl. Series Maior 6 (Rome 1978), 95–96, § 183–184 widerspricht aber dieser Deutung von oPetrie 11: Es ist an der Stelle davon die Rede, dass man in seiner Jugend nicht mit seiner Kraft prahlen solle, weil man eines Tages mit bꜣy auf seinen Lippen gefunden wird. Daher geht Ward davon aus, dass das dortige bꜣy von der Wurzel bꜣ: „ausgießen“ abgeleitet sei und den Sabber bezeichne. Diese Bedeutung würde auch in pTurin CGT 54051, Vso. 5,10 gut passen, sofern man das dort davor stehende gꜥw tatsächlich als Schreibung für qꜣꜥ: „ausspeien“ interpretieren kann.

7 Das letzte Wort des Satzes ist unklar. Der Klassifikator ist nach dem aktuellen Turiner Foto keineswegs die laufenden Beinchen, wie Gardiner, DZA 50.143.840 liest, sondern eher der schlagende Mann (so auch schon bei W. Pleyte – F. Rossi, Papyrus de Turin (Leiden 1869), Bd. 2, Taf. 137 zu erkennen). Daher wird kaum das Wort wḏi̯: „aussenden, abreisen“ vorliegen (so A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 170: „andrai“); aber ein Vorschlag kann nicht angeboten werden.

8 Übersetzung unsicher. Gardiner, DZA 50.143.840 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 170 tilgen die Präposition ḥr vor ḏr.t und verstehen ḏr.t=f als direktes Objekt von wꜣḥ: „Stḫ legt seine Hand auf dem [sic] Hinterteil“ bzw. „Seth metterà la sua mano sul tergo“. Hier wird stattdessen versucht, ohne Tilgung auszukommen. Dazu wird wꜣḥ als Relativform interpretiert, weil es transitiv ist und ein direktes Objekt erfordert, und bei einer Deutung als Relativform kann die andernfalls unbesetzte Objektsstelle von pgs eingenommen werden. Der „Speichel“ wird hier ein Euphemismus für das Gift sein, und die „Hand“ des Seth dürfte für den Giftstachel des Skorpions stehen. Dass als Ort der Applizierung ausgerechnet der „Hintern“ erwähnt wird, mutet zunächst merkwürdig an. Man fühlt sich aber an die Episode von der (versuchten) Vergewaltigung des Horus durch Seth im pChester Beatty I erinnert, so dass hier in verklausulierter Form erneut eine Gleichsetzung des Betroffenen mit Horus angedacht sein könnte. Andererseits könnte es auch ganz banal ein Spruch sein, dessen „Zielgruppe“ konkret Personen sind, die, etwa beim Stuhlgang, konkret in den Hintern gestochen wurden.

9 Ob mit den „Herren des Feuers, die aus ihren Wohnsitzen herauskommen“, die Skorpione gemeint sind?

10 Im Original steht : „Mund, Öffnung“. J.F. Quack, Anat und der Diener des Hauron, in: H. Neumann, et al. (Hrsg.), Rituale und Magie in Ugarit. Praxis, Kontexte und Bedeutung, Orientalische Religionen in der Antike 47 (Tübingen 2022), 161–172, hier 164 übersetzt kommentarlos mit „Wunde“. In den medizinischen Texten kann dieses Wort zwar auch die Öffnung einer Wunde meinen, ist dort aber immer die rʾ n wbn.w und nicht allein, s. H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Erste Hälfte (ꜣ-r), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.1 (Berlin 1961), 513–514, s.v. rꜣ III.b.1. An drei Stellen des pEbers könnte es alleinstehend die Einstichstelle eines Dorns meinen (MedWb. a.a.O., III.c), was sich gut auf die Einstichstelle eines Skorpionstiches übertragen ließe. Zwei der drei Stellen sind aber nachträglich vom Schreiber korrigiert, so dass dieser Gebrauch nicht sicher ist.

11 Im Ägyptischen stehen jꜣ(w) und šrj. Beide Wörter sind mit der sitzenden Frau klassifiziert. Gardiner versieht die erste Schreibung auf DZA 50.143.840 mit einem „so“ und übersetzt beide Wörter maskulin als „des Greises“ und „des Jünglings“. So auch A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 170: „un vecchio“ und „un piccolo“ sowie Quack, a.a.O. 164: „eines Alten“ und „eines Jungen“. Das feminine Wort šrj(.t) bezeichnet jedoch an mehreren Stellen des Papyrus den Skorpion, so dass man Gleiches auch hier annehmen kann. Bei dieser Intepretation wäre der weibliche Klassifikator von šrj ernst zu nehmen. Gleichts darf man dann auch für jꜣ(w) annehmen, wer auch immer mit der „Alten“ gemeint ist – in späterer Zeit bezieht es sich in Edfu einige wenige Male auf Wadjet (C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd I. ꜣ- y, Orientalia Lovaniensia Analecta 110 (Leuven 2002), 100b-c), so dass man verführt ist anzunehmen, es im Turiner Papyrus auf eine Schlange zu beziehen.

12 Die zwischen jꜣ(w.t) und šrj(.t) stehende Personenbezeichnung ist logographisch mit dem dem sitzenden Kind geschrieben. Die nächstliegende Lesung ist ẖrd, so auch Quack, a.a.O. Auch dieses Wort wird bislang maskulin aufgefasst. In Zeile 3,12 werden die sieben Hathoren als tꜣ 7 ẖrd.w(t) n Pꜣ-Rꜥw bezeichnet. Wenn man jedoch in šrj(.t) eine Bezeichnung des Skorpions vermutet und in jꜣ(w.t) analog dazu eine Schlange, sollte sich auch ẖrd oder ẖrd(.t) auf ein gefährliches Tier beziehen, ohne dass hier ein Vorschlag gemacht werden kann.
Die Übersetzung von Quack, a.a.O. vermittelt dagegen den Eindruck, als liest er den Spruch als breit anwendbares Mittel für jung und alt.

13 Lesung der Zeichenreste nach bn als nk=t sw mit J.F. Quack, a.a.O., 164.

14 Aufgrund der syllabischen Schreibung könnte šdd potenziell ein Fremdwort, auch wenn es eine kleine Auswahl an genuin ägyptischen Wörtern gibt, die gelegentlich mithilfe einer syllabischen Schreibung verfremdet(?) werden konnten (wie bspw. das nfr.w-Leinen im Liebeslied auf oCairo CG 25218 + oDeM 1266, Zeile 20). Der Klassifikator, eine Schnur mit den Enden nach oben, sowie der Umstand, dass es in einer Genitivkonstruktion als Nomen regens des „jdg-Tuches der Anat“ gebraucht wird, zeigen an, dass es sich um ein Kleidungsstück oder einen Bestandteil eines Kleidungsstückes handeln muss. Möglicherweise kann šdd mit dem demotischen štt (ebenfalls mit Schnur mit Enden nach oben klassifiziert): „Saum“ und dem koptischen ϣⲧⲁϯ: „Saum, Rand, Kante“ (W. Erichsen, Demotisches Glossar (Kopenhagen 1954), 530; W. Vycichl, Dictionnaire étymologique de la langue copte (Leuven 1983), 273b; W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 2. Auflage (Heidelberg 2008), 333) verbunden werden, so jetzt auch J.F. Quack, a.a.O., 164. Die Verbindung dieses demotischen und koptischen Susbtantivs mit der Wortfamilie sḫt: „weben“ (Vycichl, ebd., Westendorf, ebd.) wäre dann zu überdenken.
Roccati hatte a.a.O., 170 m šdd n jdg, vielleicht allein aus dem Kontext heraus, mit „nelle pieghe (?) del fazoletto“ übersetzt. Im Wortindex auf S. 189 gibt er für šdd die Bedeutung „veste“.

15 sḏ.w n dꜣjw: Auch hier ist das erste Kleidungsstück (?) unsicher. Gardiner vermutet in der ersten hieratischen Gruppe die Sichel über den Bergen, kann aber keine Übersetzung anbieten. Roccati transliteriert als Gans über Bergen und vermutet eine Schreibung für das sḏ.w-Gewand (vgl. S. 170: „il grambiule“; und die Stelle ist auf S. 189 als Beleg für sḏw: „veste“ abgelegt). Prinzipiell ist sein Vorschlag besser als derjenige von Gardiner. Solche Schreibungen sind bereits von J.J. Janssen, Commodity Prices from the Ramessid Period. An Economic Study of the Village of Necropolis Workmen at Thebes (Leiden 1975), 272–273 und J.J. Janssen, Daily Dress at Deir el-Medîna. Words for Clothing, GHP Egyptology 8 (London 2008), 46–47 (Hinweis Fischer-Elfert) diskutiert worden. Janssen tendiert dazu, dieses Wort zꜣḏww mit dem sḏ.w-Kleidungsstück zu identifizieren; weist aber auf oIFAO 362, Zeile 5 hin, wo sḏ.w und zꜣḏ.w nebeneinander genannt sind, so dass man zumindest in diesem Text von verschiedenen Wörtern ausgehen würde.
Die Identität von sḏ.w ist schwer auszumachen. J.J. Janssen, Commodity Prices from the Ramessid Period. An Economic Study of the Village of Necropolis Workmen at Thebes (Leiden 1975), 273–274 vermutet darin einen Lendenschurz: Er verbindet das Wort mit dem sd-Kleidungsstück und dieses wiederum mit dem Wort sd: „Schwanz“, und das „does not seem a bad description of the loincloth, (...) particularly when the tip is not drawn between the legs and tucked in in front but it is left hanging down loose at the back“ (S. 274). Auch dass sich in den Late Ramesside Miscellanies auf pAnastasi IV 3,1 = pKoller 3,2 der Schreiberschüler pdr-Stoffstreifen an den Hintern bindet aus dem Wunsch heraus, einen sḏ.w zu tragen, spricht für ein Kleidungsstück der unteren Körperhälfte. Andererseits sprechen die tlw. hohen Preise dagegen, dass mit sḏ.w ein einfacher Schurz gemeint ist. Und es gibt verschiedene Kollokationen, die ebenfalls gegen eine solche Ausschließlichkeit sprechen: Janssen nennt in beiden Arbeiten sḏ.w n pḥ.wj, sḏ.w n ḥꜣ.t, sḏ.w n ḏr.t, sḏ.w ḥr und sḏ.w qd.t, also sḏ.w für die hintere und vordere Körperpartie(?), für die Hand, für das Gesicht und für qd.t (unklare Bedeutung; W. Helck, Eine Zahlungsquittung, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 111, 1984, 6–10, hier 7 vermutet das Wort für „Schlaf“, aber die anderen Verbindungen würden eher eine Körperpartie erwarten lassen). In Daily Dress, 47 vermutet Janssen, dass sḏ.w in diesen Verbindungen schlicht „cloth“ heißen könnte. Die Erwähnung von sḏ.w in der Joppegeschichte ist nach Janssen, Prices, 274 wegen der Lücken wenig hilfreich, und seine Nennung als Kleidungsstück der Trk-Leute in pKoller hilft ebenso wenig, weil man nicht weiß, wie diese gekleidet waren. Im von Janssen nicht genannten pDeM 39, der ramessidenzeitlichen Erzählung von Herischef und Meryre, steht in Verso 1: [---]=f ḥr ꜥfn tꜣ s.t-ḥm.t m pꜣy =f sḏ.ww r tm.t ḏi̯.t ptr [---]: „[---] er ließ ihn die Frau mit seinem Gewand einhüllen, um zu verhindern, dass [NN sie (?)] sieht [---]“ (s. im TLA). Der Text ist stark zerstört und lässt wenig Schlüsse zu. Aber immerhin könnte der erhaltene Satzfetzen darauf hinweisen, dass sḏ.w an dieser Stelle ein größeres Stoffstück ist.
Problematisch in pTurin CGT 54051 ist ferner die Verbindung mit dꜣj.w. Zwar sind sḏ.w und dꜣj.w häufig zusammen genannt, aber immer mit dꜣj.w an erster Stelle, und nicht in einem genitivischen Verhältnis.

16 Dem Klassifikator nach muss die Lücke zu einem Götternamen ergänzt werden. H.-W. Fischer-Elfert (mdl. Mitteilung) schlägt [Ḥwrw]n: „Hauron“ vor. So jetzt auch Quack, a.a.O., 164.

17 Bei den Qeheq handelt es sich um ein nur selten belegtes libysches Ethnonym, vgl. dazu A.H. Gardiner, Ancient Egyptian Onomastica. Vol. I (Oxford 1947), 123*, Nr. 242. Bei den von Gardiner erwähnten Turiner Texten (Plural!) handelt es sich vermutlich nur um einen einzigen, nämlich pTurin CGT 54030, vgl. zu diesem A. Roccati, Alien speech. Some Remarks on the Language of the Kehek, in: P. Kousoulis – N. Lazaridis (Hrsg.), Proceedings of the Tenth International Congress of Egyptologists: University of the Aegean, Rhodes. 22-29 May 2008 2, Orientalia Lovaniensia Analecta 241 (Leuven 2015), 1531–1535, hier 1531–1535 (versehentlich pTurin CGT 50030 genannt) und auf dieser Website. Dieser Papyrus ist identisch mit dem von Schiaparelli auf dem 12. Internationalen Orientalistenkongress im Jahr 1899 vorgestellten Papyrus mit Kriegsgesängen („chants de guerres“) der Qeheq (vgl. dazu E. Schiaparelli, Les papyrus égyptiens de Turin, in: Revue égyptologique 9, 1900, 106–107; diskutiert ferner von G. Botti, Manuscrits libyens découverts par M. Schiaparelli dans le Musée de Turin, in: Bulletin de l’Institut Égyptien, troisième série 10, 1899, 161–169), den schon O. Bates, The Eastern Libyans. An Essay (London 1914), 76, Anm. 2 und später auch R.K. Ritner, The Libyan Anarchy. Inscriptions from Egypt’s Third Intermediate Period, Writings from the Ancient World 21 (Atlanta, Leiden 2009), 79, Anm. 1 vermissten. Zur Gleichsetzung von pTurin CGT 54030 mit Schiaparellis Papyrus s. Roccati, ebd., 1531; sie wird dadurch bestätigt, dass laut Schiaparelli die Zeilen mit dem „nom ethnique Taromata“ (Kursivierung i.O.) enden würden: Das findet sich wieder in Roccatis Transliteration von pTurin CGT 54030 (in heutiger Transkription ṯrmt bzw. ṯꜣ~rʾ~mꜥ~tj~).
Die Verwendung von nichtägyptischen Wörtern oder ganzen Sequenzen ist auch aus anderen magischen Kontexten bekannt, etwa aus dem London Medical Papyrus, in dem die „Sprache von Kreta“, d.h. wohl minoisch, verwendet wird, oder im magischen Papyrus Harris 501 mit semitischen Elementen, und erwähnt seien auch griechische und andere Wörter in demotischen Texten. Vgl. dazu u.a. R.K. Ritner, The Mechanics of Ancient Egyptian Magical Practice, Studies in Ancient Oriental Civilization 54, 4th edition (Chicago 2008), 243 mit Anm. 1130 und 1131. Auch die Sprache der Qeheq auf pTurin CGT 54030 ist wohl primär aus magischen (heilenden) Gründen aufgeschrieben, denn die eine von Roccati publizierte Kolumne enthält laut der ägyptischen Überschrift einen „Spruch gegen Schlangen“. Einen kurzen spätramessidischen Text in einer vermutlich nubischen Sprache (rʾ n Nsk) publizierte R.J. Demarée – P. Usick – B. Leach, The Bankes Late Ramesside Papyri, British Museum Research Publication 155 (London 2006), 27–28 und Taf. 27–28, und vielleicht ist es kein Zufall, dass der Schreiber Thutmose für die Niederschrift einen Brief wiederverwendet hat, in dem er sich über seinen Gesundheitszustand beklagt.

18 Der noch erhaltene Satzrest lässt an einen neuen Spruch denken, und ein leicht verrutschtes Fragment gegen Ende von Zeile 6,1 enthält rote Zeichenreste, vielleicht die kurze Überschrift dazu. Die genaue Position und Ausrichtung dieses Fragments müsste jedoch am Original überprüft werden, denn genau an dieser Stelle befindet sich auch ein Rubrum auf dem Recto. Es ist daher zunächst nicht auszuschließen, dass das Fragment eigentlich gedreht werden müsste und die roten Zeichenreste zum Rubrum auf dem Recto gehören.

19 Gardiner, DZA 50.143.850 vermutet hierin die im vorigen Satz angekündigten Fremdworte, bzw. nur eines, denn in A.H. Gardiner, Ancient Egyptian Onomastica. Vol. I (Oxford 1947), 123*, Nr. 242 spricht er mit Verweis auf diese Passage von „a single Ḳeheḳ word“. Möglicherweise bezieht er diese Eingrenzung auch nur auf das letzte erhaltene Wort dieser Zeile, das syllabisch geschrieben und bislang nicht belegt ist. Man könnte allenfalls an ein durch syllabische Schreibung verfremdetes hru̯: „zufrieden sein“ (Wb 2, 496.6–467.20) denken, doch lässt eben die dezidierte Erwähnung der Qeheq im vorigen Satz den Schluss zu, dass hier ein echtes Fremdwort (oder der Beginn einer ganzen, bis auf dieses Wort heute zerstörten Sequenz) vorliegt. Auch A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 170 identifiziert den Satzbeginn als rein ägyptisch: „il ventre su (?)“. Unsicher ist, ob das Fremdwort ein Substantiv oder ein Verb (und damit ein Infinitiv in einem Präsenz I) ist.

20 bšꜣ: Der ṯꜣ.y bšꜣ, der „Träger des bšꜣ-Werkzeuges“, wird oft zusammen mit Steinmetzen u.ä. Berufen genannt, was dafür spricht, dass mit bšꜣ ein Werkzeug zur Steinbearbeitung gemeint ist. Ähnlich A.H. Gardiner, Ancient Egyptian Onomastica. Vol. I (Oxford 1947), 69*, Nr. 169 mit dem Argument, dass bšꜣ mit dem Stein klassifiziert sei, was es von dem mit dem Erzstück klassifizierten mḏꜣ.t-Meißel unterscheide. Die Passage in pCGT 54051, Verso 6,4 spricht Gardiner zufolge dafür, dass es „more for chipping than for cutting“ gebraucht werde. Dieser Schluss scheint aber angesicht der Zerstörungen für recht weitreichend. Über die genaue Form des Werkzeugs lässt sich nur wenig sagen. Wenn in der Historiola eines anderen magischen Textes, in pChester Beatty VII, Verso 2,3, gesagt wird, dass Seth die Göttin Anat „gefickt“ (nk) habe, nachdem er sie mit einem bšꜣ geöffnet hatte, liegt ein phallusförmiges Werkzeug nahe. Dies wird einer der Hauptgründe sein, warum Gardiner, 50.143.850 die Stelle in pTurin CGT 54051 mit „Meißel“ übersetzt (so auch für pChester Beatty VII, s. DZA 22.933.100) und warum in Wb 1, 478, 12 für bšꜣ die Bedeutung „Meißel“ gegeben ist. J.E. Hoch, Semitic Words in Egyptian Texts of the New Kingdom and Third Intermediate Period (Princeton, NJ 1994), 110–111, Nr. 138 (der von ihm zitierte Beleg P.Turin (P + R) 138,4 ist die vorliegende Stelle pTurin CGT 54051, Verso 6,4; seine in Anm. 81 gegebenen Inventarnummern und die auf S. 111 gegebene Transkription und Übersetzung sind entsprechend zu korrigieren) fragt sich, ob das koptische ϥⲱⲥⲓ: „Meißel“ ein spätes Derivat sein könnte, tendiert aber eher zur Bedeutung „Axt“. Denn in pLeiden I 343+345, Recto 12,8 (= Verso 3,7) wird eine „Herrin der bšꜣ-Objekte” genannt; dieses Epitheton spricht dafür, dass bšꜣ in diesem Kontext eine Waffe ist. In Verso 2,5 ist bšꜣ ferner etwas, womit man „zuschlagen“ (ḥwi̯) kann. Aufgrund dieser Belege überlegt Hoch, ob das Wort mit der semitischen Wurzel pʾš: „axe, hatchet, hoe“ und mit akkadisch pāšu: „axe“ zu verbinden sei. Die „Herrin der bšꜣ-Objekte“ könnte sich vielleicht auf die Göttin Anat beziehen, vgl. rezent zu dieser Stelle S. Beck, Sāmānu. Ein vorderasiatischer Dämon in Ägypten, Ägypten und Altes Testament 83 (Münster 2015), 104, 107 und den Kommentar zur Zeile 7 der synoptischen Übersetzung auf S. 108. Sollte wirklich Anat gemeint sein, würde eine Übersetzung als Axt gut passen, da Anat mit einer solchen Waffe dargestellt wird. Andererseits gibt es auch Darstellungen mit einem Speer (zu beidem I. Cornelius, The Many Faces of the Goddess. The Iconography of the Syro-Palestinian Goddesses Anat, Astarte, Qedeshet, and Asherah c. 1500-1000 BCE, Orbis Biblicus et Orientalis 204 (Freiburg (Schweiz), Göttingen 2004), 75), was sich vielleicht eher mit der Form vereinbaren lässt, die pChester Beatty VII suggeriert. Jedoch meinen das Verb ḥwi̯ des pChester Beatty VII ebenso wie das Nomen zḫ.t des pTurin CGT 54051 eher ein „Schlagen” als ein „Stechen”, was bezüglich bšꜣ eher für eine Hiebwaffe spricht.

Verso 6,4–9: Spruch gegen Schlangen- oder Skorpiongift

Ein anderer (Spruch): „Halte ein, halte ein! O (du) Gift, ich werde sagen, werde sagen, werde sagen [---] [Wenn du nicht]1 [Vso. 6,5] innehältst, um auf die Worte zu hören, werde ich den Berg des Westens in den Osten stoßen, [werde ich (?) ...], [Vso. 6,6] damit (?) sie aufhören, werde ich veranlassen, dass ein Mädchen das Gesicht seiner Mutter schlägt, werde ich veranlassen, dass [---] sitzt [---], [werde ich] [Vso. 6,7] Herischef den Abenen-Vogel essen lassen, werde ich Anubis ins Innere von [---] eintreten lassen.“ [---] [Vso. 6,8] ... (?) für einen Mann (?)2, und du sollst ...(?)3 an/auf seine Schläfe(?)4 legen, und du sollst ihn Bier(?)5 trinken lassen [---]6
„[---] [Vso. 6,9] des Re. Ich bin Horus, der sie ausführt.“ Werde sieben Mal gesprochen.

1 Ergänzung basierend auf dem Übersetzungsvorschlag von Gardiner, DZA 50.143.850.

2 Der Beginn der Zeile ist partiell zerstört, und das, was noch vorhanden ist, ist unklar. Die letzte Gruppe vor dem mtw=k könnte die Schreibung von n s: „für einen Mann“ sein, vgl. die Schreibung dieser Gruppe in Vso. 2,11. Damit läge hier der Rest einer Anweisung vor, ein Heilmittel oder ein Amulett für den Gebissenen herzustellen, was sich auch durch das Folgende stützen lässt. Das Wort davor ist nicht identifizierbar. Das letzte Zeichen könnte eine hieratische Buchrolle, das Kanalzeichen N23 oder ein flüchtig geschriebener Krug sein. Wenn hier tatsächlich die Anweisung vorliegt, etwas für einen Patienten herzustellen, dürfte das Wort am wahrscheinlichsten eine Bezeichnung für ein Amulett oder ein (anderes) Heilmittel sein: „[Werde gemacht / Stelle her] xy für (scil.: den gebissenen) Mann.“

3 ḏi̯.t _pšw.t: Der Beginn des Wortes nach ḏi̯.t ist nicht identifizierbar. Es handelt sich im Wesentlichen um zwei längere horizontale, leicht schräge Striche. Der untere geht unter die Schreiblinie und erinnert dadurch an ein =f, so dass sich ein ḏi̯.t=f ergäbe. Damit wäre allerdings die Objektsposition von ḏi̯.t besetzt, wodurch fraglich wird, welche syntaktische Position das anschließende Wort eingenommen haben sollte. Denn dieses ist mit der Schnur mit den Enden nach oben (Gardiner V6) klassifiziert und daher höchstwahrscheinlich ein Substantiv und prädestiniert für die Objektsposition von ḏi̯.t. Im vorliegenden Kontext könnte ein Verband oder ein Leinenamulett gemeint sein.

4 mꜣꜥ.ṱ: Gardiner, DZA 50.143.860 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 79 und 170 lesen ẖnw=f: „Inneres“. Allerdings sieht erstens der Tierbalg in Vso. 5,12 anders aus, zweitens würde der klassifizierende Hausgrundriss fehlen, und drittens wäre die Kollokation mit ḥr anstelle von m oder r ungewöhnlich. Das Hieratische ließe sich u.U. auch als Sichel mit Sockel (Gardiner U4/5) lesen, wodurch sich die Lesung mꜣꜥ ergäbe. Könnte vielleicht das Wort mꜣꜥ: „Schläfe“ vorliegen, an die das Amulett gelegt werden soll? Sind die beiden Striche danach t und w-Schleife, so dass das Wort ohne Klassifikator geschrieben wäre? Oder handelt es sich um ein nicht exakt ausgeführtes Fleischstück plus ein fehlerhaft nachgestelltes w oder reines Füllzeichen?

5 zwr [---]: Das Objekt von zwr ist partiell zerstört; aber die Zeichenreste könnten zu ḥ(n)q.t passen (Vorschlag Fischer-Elfert).

6 Übersetzung unsicher. Der Vorschlag, dass es sich um einen neuen Satz handelt, ist rein tentativ und beruht darauf, dass die ganze Zeile im Gegensatz zur vorigen und folgenden rot geschrieben ist.

Verso 6,9–10: Magischer Spruch

Ein anderer Spruch: Halte du ein! O [---] [Vso. 6,10] der/den Gott, (du) Morgen, ...(?)1. Werde sieben Mal gesprochen.

1 šfnw: Ein Hapax legomenon; mit dem „schlechten Paket“, Gardiner Aa2, über Pluralstrichen geschrieben. Ob nur eine Fehlschreibung für ein Wort der Wortfamilie šf̯: „anschwellen“?

Verso 6,10–11: Spruch gegen Skorpiongift

Ein anderer Spruch: Der Abscheu vor dem Skorpion (?) [---] (oder: Das Unheil des Skorpions (?) [---]) [---] [Vso. 6,11] gelegt (?) für (?) einen Mann.

Verso 6,11–12: Magischer Spruch

Ein anderer Spruch: „Wasser, das aus dem / als1 Blut eines weiblichen Rindes hervorkommt, während die Mutter [---] [Vso. 6,12] [wie] Horus [---] für seine Mutter Isis.“2
Werde vier Mal gesprochen.

1 pri̯ m: Gardiner, DZA 50.143.860 übersetzt es direktiv: „Wasser[,] das vom Blut einer Kuh (?) hervorkommt“, A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 170 identifizierend: „Acqua che esce come sangue di una vacca femmina“. Rinderblut kommt in den medizinischen Texten nicht sehr häufig vor (vgl. H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 444–448). Beides ist praktisch denkbar: Da Blut im Normalfall relativ schnell gerinnt, könnte mit „Wasser/Flüssigkeit, das/die aus dem Blut hervorkommt“ noch nicht geronnenes Blut meinen, das sich in ansonsten schon geronnenem Blut befindet. Mit „Wasser, das als Blut hervorkommt“ könnten Libationsspenden oder Wasser aus dem Ritual vom Zerschlagen der Roten Töpfe gemeint sein. Denn Letzteres geschah zusammen mit der Opferung von Rindern, „and, although this is never said in so many words in Egyptian texts, it is quite possible that the water streaming from the jars represents the blood (dšrw (...)) flowing out of the bull when its throat has been cut“ (J. van Dijk, LÄ VI, 1986, s.v. „Zerbrechen der roten Töpfe“, 1389–1396, hier 1393 mit Verweis auf H.A.J. Kees, Farbensymbolik in ägyptischen religiösen Texten, in: Nachrichten von der Akademie der Wissenschaften in Göttingen: Philologisch-Historische Klasse 11, 1943, 413–479, hier 462 [non vidi]). Zu betonen ist, dass hier dezidiert Blut eines weiblichen Rindes verwendet werden soll.

2 Den Nachsatz ergänzt Gardiner zu: „Horus ist [gesund] für seine Mutter Isis“, womit er auf Formulierungen wie in Vso. 3,13–4,1 anspielt: ꜥḥꜥ=f snb(.w) n mw.t=f mj ꜥḥꜥ Ḥr.w snb(.w) n mw.t=f ꜣs.t: „Möge er gesund für seine Mutter aufstehen, wie Horus gesund für seine Mutter Isis aufstand“. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 170 erwägt dagegen: „(come fece ?) Horo per sua madre Isi“.

Verso 6,12: Kolophon

Es ist gut und zufriedenstellend (zum Ende) gekommen [---](?)1.

1 Nach dem ḥtp sind noch ein paar Zeichenreste erhalten, die Gardiner, DZA 50.143.860 und A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 79 als =f wiedergeben, und tatsächlich sehen sie stark nach der hieratischen Hornviper aus. Allerdings ergibt ein Suffixpronomen an dieser Stelle keinen Sinn, und es fragt sich, ob sie nicht vielleicht eher die Reste eines etwas zu schwungvoll geschriebenen jn: „durch [den Schreiber NN]“ sein könnten: Der schräge Strich, der in Gardiners und Roccatis Transliteration den Kopf der Viper bildet, könnte auch ein etwas tief gesetzter Schrägstrich der Rispe sein. Eine winzige, eher senkrechte Verfärbung an der Abbruchkante über dem vermeintlichen Vorderteil der Hornviper, von Gardiner und Roccati übersehen oder nicht als Zeichenrest identifiziert, könnte der letzte Rest des senkrechten Striches der Rispe sein. Der vermeintliche Schwanz der Hornviper wäre dann alternativ als n des jn zu interpretieren; und ein kleiner Zeichenrest hinter dem vermeintlichen =f, direkt an der Abbruchkante der Kolumne, könnte zum Beginn des Schreibertitels oder -namens gehören. Andererseits ist auch über dem vermeintlichen Schwanz der Hornviper, dem n der hier angebotenen Alternativlesung, eine schwarze Verfärbung erkennbar, die weder zu einem =f noch zu einem jn gehören kann.