Doppelstatue Cairo JE 69771
Übersetzung und Kommentar
Spruch 1 gegen Skorpione
[li.1]Sprüche für das Beschwören des Skorpions: Herrin [des ...], Fellträgerin, die aus Heliopolis stammt, Tochter derer, die Hauben tragen.1 Ich will nicht auslassen2 die Sepertuenes-Seperenesta! Rezitiert doch für diesen kleinen Horus, damit er gesund zu seiner Mutter gehen wird mit dem Blut der [li.5]Tabitjet, nachdem Horus sie entjungfert hat am Abend! Verschließe das Maul aller Gifttiere, Tabitjet, Glanzgesichtige, Menet,3 Horusfrau! Horus soll leben, indem er gesund ist!
1 nmsy,t bezieht sich höchstwahrscheinlich auf den Nackenschild der Kobra (so auch Borghouts 1978, 109, Anm. 263).
2 Die Übersetzung von rdj mit "Auslassen" (wohl im Sinne von "vergessen zu erwähnen") kommt auch in gleicher Bedeutung in pLeiden I 348, rt. 1, 6 vor und kann deshalb als gesichert gelten. Drioton (S. 68) führt zusätzlich Sinuhe (B 291-292) an und übersetzt "je n'omets pas"; Borghouts (S. 73) "leave out", Ritner (S. 1033) "without my adding". LGG VI, 275 verzeichnet den Namen als Doppelname der Horusfrau.
3 Ritner sieht in mn.t nicht die löwenköpfige Göttin, sondern das Lemma mn.t (WCN 69750) "die und die, NN."
Spruch 2 gegen Skorpione
Weiterer Spruch: Als die beiden Weibchen den Horus gebaren bei den Wassern der Waret-Gefilde,1 brachte ich eine Lotusblüte von sieben Ellen, eine Lotusknospe von acht Ellen, um das Gift zu kühlen, das tobte. Komm heraus aus dem Körper des Gottes, der der [li.10]Körper des Gebissenen ist! Horus soll gesund sein wie gestern!
1 Die Waret ist ein Himmelsgefilde, das nach Krauss, ÄA 59 (1997), S. 130 keine konkrete astronomische Bedeutung hat.
Spruch 3 gegen eine Viper
[re.1]Sprüche für das Beschwören der Hornviper: Thot, der aus Schmun kommt, vereint die Götter, während ich meinen Mund wasche1 und Natron kaue, wobei ich mich unter die Neunheit mische. Während der Nacht habe ich in der Umarmung des Horus geruht, wobei ich alles hörte, was er sagte, indem eine Hornviper von einer Elle (Länge) in seiner Hand verborgen war, ein "Feind" (Schlangenart?) von 12 Ellen (Länge). [re.5]Siehe, ich bin ganz und gar im Sprechen gelehrt, seitdem Osiris lebte. Siehe, ich habe die Hornviper von einer Elle niedergeworfen dank (?) Horus, der mich unterrichtet hat in den Worten.
1 jꜥi̯ rʾ ist ein feststehender Ausdruck für das Frühstück. Mit Borghouts (1978) ist wohl das Suffixpron. 1.P.sg.c. zu ergänzen.
2 Alternativ könnte man m auch als neuägyptische Schreibung von jn auffassen: "Horus ist es, der mich in den Worten unterrichtet hat". So z.B. Borghouts (1978), 92.
Spruch 4 gegen eine Viper
Weiterer Spruch: Komm doch, komm doch, Neunheit! Komm doch auf meine Stimme! Ihr sollt diesen Elenden niederwerfen, den Feind des Horus, der den Krieger niedersinken läßt, wobei seine beiden Augen wässrig sind und sein Herz matt ist. [re.10]Komm doch zu mir, "o die zu der ich rufe",1 Horusfrau! Ich bin der Arzt, der einen Gott besänftigen2 kann!
1 jꜣ ꜥš=j: Ich weiche hier von der Übersetzung Borghouts (1978) ab, der bei jꜣ einen neuen Satz anfangen läßt, und folge Roeder (1961), S. 155.
2 ḥtp nṯr: Die Reihenfolge der Wörter ist nṯr ḥtp. Zu Lesung und Übersetzung vgl. Drioton, 74, Anm. (d) und Gardiner: Hieratic Papyri in the British Museum, Third Series, Chester Beatty Gift, London 1935, I, 56, Anm. 7.
Spruch 5
[rü.1][... ... ...]1 Herrin [... ... ...] [... ... ...] ich ...?2... [... ... ...] Ziehe vorbei, ziehe vorbei, Horus, ziehe vorbei, ziehe vorbei, wie [... ... ...] [... ... ... die] [rü.5]schmerzhafte [Flüssigkeit], die im Leib dessen ist, der gebissen ist [von] [... ... ...] Horus soll leben,3 indem er gesund ist für seine Mutter Isis!
1 Man erwartet, dass der Spruch mit rʾ oder ky rʾ o.ä. anfängt, wie die übrigen Sprüche auf der Statue. Vielleicht ist Z. 1 nicht die ursprünglich erste Zeile.
2 Aufgrund der vorangehenden Zerstörung ist die grammatikalische Struktur unklar (Präsens I mit tw=j oder, wie Drioton, 74 Anm. (a) annimmt, ein tw-Passiv (sḏm.tw=j)). Auch die Bedeutung von šnꜥ,tj muß offen bleiben. Daher lasse ich den Satz unübersetzt.
3 [ꜥnḫ Ḥrw] snb n mw.t=f Ꜣs.t: Ergänzung gemäß Drioton, der auf ꜥnḫ Ḥrw snb in Spruch 1, Z. links 7 verweist: ꜥnḫ Ḥrw snb. Aber vgl. Spruch 1, links 4 ḥn=f snb n mw.t=f und Spruch 9, Rückseite 28 jmi̯ jwt zꜣ=j Ḥrw n mw.t=f.
Spruch 6 zum Schutz des Leibes
Spruch zum Schutz des Leibes vor jeder bissigen Schlange1 [... ...] [Sein Schutz] ist der Schutz des Himmels. Sein Schutz ist der Schutz der Erde. Sein Schutz ist [der Schutz des Re im Himmel.] [Wahrlich, er hat] den Schenkel [gegessen.] Wahrlich, er hat das Fleischsstück zurückgewiesen. Wahrlich, er hat die Feste der [Uto] verkündet, [bevor die Menschen geboren waren, bevor] die Götter [gezeugt waren], bevor Schlangen aus der Erde entstanden waren, bevor für die Bas von Heliopolis geschaffen wurde. Als Horus lief er, [als Seth rannte er], als Upuaut [streckte er] [rü.10]seine beiden Beine aus. Als jener ist er eingetreten. Als jener ist er herausgekommen. Er ist Horus-Biti. Der Schutz [seines Leibes (?)]2 ist der Schutz des Himmels; sein Schutz ist der Schutz der Erde vor jedem Schlangenmännchen, jedem Schlangenweibchen, jedem weiblichen und jedem männlichen Gifttier, vor jedem Untoten und jeder Untoten südlich, nördlich, westlich, östlich.
1 Parallele zu pRamesseum X, 1,1–2,2 (Ende 12./Anfang 13. Dynastie), pRamesseum XVI, 8a,x+4–8b,7 (Ende 12./Anfang 13. Dynastie) und zur magischen Stele Kairo JE 37508 (Spätzeit, https://www.ifao.egnet.net/bases/cachette/ck451): siehe die Textsynopse bei Altenmüller, in: GM 33, 1979, 7-12. Die unten stehenden Ergänzungen basieren auf die Textsynopse.
2 mk.t [ḥꜥw=f]: Die Ergänzung der Lücke erfordert mehr als nur das Suffixpronomen =f, weil mk.t im Status constructus geschrieben ist (vgl. die Schreibungen in Z. 7). ḥꜥw=f könnte die Lücke gerade ausfüllen.
Spruch 7
Ein anderer Spruch für das Versiegeln des Mauls eines jeglichen Schlangenmännchens und eines jeglichen Schlangenweibchens:1 Der König von Ober- und Unterägypten, User-Maat-Ra, geliebt von Amun, ist ein Löwe, der das Firmament erleuchtet 〈mit〉 seiner Kraft. Er ist Schesem, der löwengestaltige. [Re] panzert[e seine beiden Arme] gegen den, der auf sein Gesicht niederfällt! O, der in seinem Loch ist, beiße nicht den Sohn des Re Ramses, Herrscher von On! Er ist (doch) Re! Stich ihn nicht! Er ist (doch) Chepri! Speie (wörtl. bringe) nicht die [rü.15][Flamme au]f deinem Mund gegen ihn! Er ist (doch) Heh! Er ist der Ewige, der Große! Seine Gestalt existiert als jeder Gott! Er ist der Löwe, der sich selbst beschützen kann! Er ist der [große] Gott, der [um] seinen Bruder [kämpft]! Wer ihn beißen will: Er wird nicht leben! Wer ihn angreifen wird: Dessen Kopf wird (sich) nicht mehr erheben! Denn er ist ein Löwe, der die Götter und die Gespenster vertreibt. Er schlug alle [Schlangenmännchen] und alle Schlangenweibchen, die mit ihren Mäulern beißen könnten oder mit ihren Schwänzen stechen könnten heute oder in diesem Monat oder in diesem Jahr und seinem Epagomenen.3
1 Parallele auf pBrooklyn 47.218.138, Kol. x+15.10-15 (ältere Zählung Kol. x+13, 9-15). Hier wird der Spruch im Ritual zum Schutz des Bettes eingesetzt.
2 m pḥ.tj=f: Zur Übersetzung vgl. J.-C. Goyon, JEA 57, 1971, 155 Anm. 8. Er schlägt vor, in der w-Schleife auf der Statue eine Verschreibung aus dem Hieratischen für m zu sehen, einer Idee, der ich hier folge. Die spätzeitliche Parallele P. Brooklyn 47.218.138, Kol. x+13,9-15 läßt pḥ.tj aus.
3 Zur Formel ẖr.t=s jsṯ vgl. Quack, in: CNI Publ. 30 (2006), S. 149; außerdem Vernus, in EU 9, 1996, S. 184 Anm. 233-236. Gemeint sind die Epagomenen, die nach ägyptischer Auffassung außerhalb der 12 Monate des Jahres lagen.
Spruch 8
Weiterer Spruch:1 Du sollst viermal ausspeien, Apep, Feind des Re, der einen Anschlag plante, der Böses ausheckte2 gegen den in seiner Kapelle! Du bist vernichtet,3 Rebell! Auf dein Gesicht sollst du fallen! Dein Gesicht ist geblendet! Von deinem Platz sollst du weichen! Verstopft sind deine Pfade! Versperrt sind deine Wege! In deinem gestrigen Zustand gehst du in die Knie! Deine Kraft existiert nicht, dein Herz schlägt langsam, dein Leib ist in Erstarrung. Du bist verstümmelt: [rü.20]Es ist unmöglich, dass du herauskommst! Du bist denen anbefohlen, die in den Richtstätten sind, den Henkern, die ihre Messer wetzen, damit sie deinen Kopf zerlegen, damit sie deinen Nacken abschneiden, damit sie dich wieder und wieder (hin)richten, damit sie dich auf das Feuer werfen, damit sie dich zur Flamme entfernen im Augenblick ihrer Macht, damit sie deinen Leib verzehrt, damit sie deine Knochen frißt, damit du zu Asche wirst, während Chnum deine Kinder ergreift, dein Leib ein Brandopfer ist und deine Erben nicht entstehen können in diesem Land! Apep, Feind des Re! Weil Horus der Ältere dich vernichtet hat, wirst du weder schwängern, noch wird man für dich schwanger! Weder wirst du zeugen, noch wird man dir gebären, weil du als ein Brandopfer aufgespießt wirst,4 das deinen Ba vernichtet, so dass er nicht auf der Erde umherstreifen kann, so dass du nicht herumziehen kannst auf den Wolken, so dass du nicht gesehen wirst, so dass du nicht erblickt wirst, weil du vernichtet bist, weil es deinen Schatten nicht mehr gibt! Apep, Feind des Re! Du sollst ausspucken, Rebell! Du wirst nicht erinnert, nachdem deine Abwehr gemacht5 und auf deinen Namen gespuckt wurde, nachdem Re dich mit Unheil geschlagen hat, nachdem Isis dich gefesselt hat, nachdem Nephthys dich festgebunden hat! Die Zaubersprüche des Thot vernichten dich! Dein Ba [rü.25]ist nicht unter den Bas, dein Leichnam ist nicht vor den Leichnamen, nachdem die Flamme dich verzehrte, nachdem das Feuer dich fraß, nachdem die Glut sich an dir befriedigte.6 Apep, Feind des Re! Re jubelt, Atum ist in Freude, Horus des Älteren Herz ist entzückt: Der Götterfeind ist vergangen, 〈er〉 existiert überhaupt nicht, weder im Himmel noch auf Erden gibt es seinen Schatten! Apep, Feind des Re, du sollst ausspeien, denn du bist vernichtet, Apep!
1 Parallele in pBremner-Rhind, 26, 11-20. Dort hat der Text eine Überschrift mḏꜣ.t n.t sḥmi̯ ꜥꜣpp ḫft.j wr jri̯.w m tr n.j dwꜣw: "Buch (mit dem Ritual) zum Vertreiben von Apophis, den großen Feind, durchgeführt zur Zeit des Morgens."
2 Zum Sprachtabu wꜣi̯ r vgl. J.F. Quack, Ein altägyptisches Sprachtabu,, in: LingAeg 3 (1993), 59-79, bes. Bsp 47 (S. 72). Dagegen aber D. Franke, Das Entfernen eines Sprachtabus. Nochmals zur Konstruktion wꜣj r, in: GM 165 (1998), der wꜣi̯ r hier als"Böses aushecken" wiedergibt, und dem ich hier folge. Eine Verbalform mit kꜣ, wie sie Drioton (1939) und Borghouts (1978) ansetzten, scheidet aus grammatikalischen Gründen aus, da kꜣ als Partikel immer ein sḏm=f nach sich zieht.
3 Alte nfr-sw-Konstruktion.
4 zbj-n(.j)-sḏ.t bedeutet Brandopfer. Die Tötungsart šsr impliziert wohl ein "aufspießen" (mit einem Pfeil) (vgl. WB 4, 547.7).
5 Zur Übersetzung von ḏrj vgl. ONB, 600-601: "deine Abwehr, Beseitigung ist vollbracht" (Osing versteht ḏrj als einen Infinitiv).
6 Zu den Bezeichnungen für Feuer vgl. Cannuyer, Rercherches sur l'onomasiologie du feu en Ancien Egyptien, in: ZÄS 117, 1990, 103-111.
Spruch 9 gegen eine Viper
Sprüche der Beschwörungen der Hornviper: Du sollst ausspeien, Schwarzgesicht, Blindauge, Weißäugiger, der sich windend bewegt, o Übel, das aus den Schenkeln der Isis herauskam,1 das den Sohn Horus gebissen hat! Komm auf die Erde und dein Gift mit dir! Veranlasse, dass der Sohn2 Horus zu seiner Mutter kommt!
1 qsn pri̯ m mn.tj Ꜣs.t: Stegbauer 2015, 223 und Anm. 125 denkt an eine Bezeichnung für das Menstruationsblut, eventuell für das Deflorationsblut oder auch die Nachgeburt.
Vielleicht ist es die Nabelschnur (vgl. J.F. Quack, Apopis, Nabelschnur des Re, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 34, 2006, 377–379 und J.F. Quack, Die Geburt eines Gottes? Papyrus Berlin 15765a, in: Rune Nyord & Kim Ryholt (Hrsg.), Lotus and Laurel. Studies on Egyptian Language and Religion in Honour of Paul John Frandsen, CNI Publications 39, Copenhagen 2015, 317-328 und Taf. 6-7).
2 Drioton, in: ASAE 39, 1939, 82 und 83 Anm. (f) erkennt an beiden Stellen zꜣ=j und nimmt an, dass Re-Harachte und nicht Osiris spricht.
Spruch 10
Weiterer Spruch: Tritt nicht ein in die Schultern, nage nicht am Nacken, bemächtige dich nicht der Augen 〈am〉 Spähposten des Königs von Ober- und Unterägypten, Usermaatre-meri-Amun.