tḥwꜣ-Pflanze

tḥwꜣ: Einige Male in den Late Egyptian Miscellanies neben ꜥršn: „Linsen“ als Inhalt von Lagerhäusern genannt – die Bedeutung von ꜥršn gilt aufgrund seines koptischen Derivats ⲁⲣϣⲓⲛ u.ä.: „Linse“ schon seit dem 19. Jh. als gesichert (vgl. H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung die gebräuchlichsten Wörter und Gruppen der heiligen und der Volks-Sprache und Schrift der alten Ägypter. Nebst deren Erklärung in französischer[,] deutscher und arabischer Sprache und Angabe ihrer Verwandtschaft mit den entsprechenden Wörtern des Koptischen und der semitischen Idiome. Bd. I (Leipzig 1867), 209). W.R. Dawson, Studies in the Egyptian Medical Texts-V, in: Journal of Egyptian Archaeology 21, 1935, 37–40, hier 38–39 schreibt, die tḥwꜣ oder tḥwj genannte Pflanze sei „usually identified with the Lentil“ – diese Identifizierung scheint aber bis dato nicht verschriftlicht worden zu sein: Wb 5, 323.1–3 unterlässt noch 1931 jeglichen Identifizierungsvorschlag; bezüglich der medizinischen Texte vermeidet noch B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document (Copenhagen, London 1937), passim eine Übersetzung; und auch die älteren Übersetzungen der Miscellanies, namentlich A. Erman, Die Literatur der Aegypter. Gedichte, Erzählungen und Lehrbücher aus dem 3. und 2. Jahrtausend v. Chr (Leipzig 1923), und A. Erman – H.O. Lange, Papyrus Lansing. Eine ägyptische Schulhandschrift der 20. Dynastie (København 1925), bieten keine Übersetzung dieser Pflanze. Dawson selbst distanziert sich auch gleich von dieser Übersetzung. Denn da in den Miscellanies, namentlich in pAnastasi IV, tḥwꜣ neben ꜥršn: „Linsen“ genannt sei, müsse tḥwꜣ etwas Anderes benennen, und Dawson denkt an eine Erbsenart, evtl. Pisum arvense oder Pisum sativum.

Die Identifikation mit der Erbse gilt seitdem als Communis opinio, findet sich jedenfalls bei H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 506–561; R.O. Faulkner, A Concise Dictionary of Middle Egyptian (Oxford 2002 (Repr. 1962)), 301; G. Charpentier, Recueil de matériaux épigraphiques relatifs à la botanique de l’Égypte antique (Paris 1981), 816, Nr. 1399; L. Manniche, An Ancient Egyptian Herbal, Second Impression (London 1993), 136; R. Hannig, Großes Handwörterbuch Ägyptisch - Deutsch (2800-950 v. Chr.). Die Sprache der Pharaonen (Marburger Edition), Kulturgeschichte der Antiken Welt 64, 4. Auflage (Mainz am Rhein 2006), 1009, Nr. {37362}–{37363} (immerhin durch Asterisk als nur vermutet gekennzeichnet).

Allerdings liefert Dawson selbst keinerlei Argument für diese Identifizierung, sondern sie scheint einzig vom Vorkommen von tḥwꜣ und ꜥršn in den Miscellanies und der von Dawson abgelehnten Übersetzung von tḥwꜣ als „Linse“ beeinflusst zu sein. K.R. Weeks, Rez. zu: William J. Darby, Paul Ghalioungui, Louis Grivetti, Food. The gift of Osiris, 2 vols. London; New York; San Francisco: Academic Press 1976, in: Journal of the American Research Center in Egypt 16, 1979, 185–189, hier 186–188 zweifelt diese Interpretation jedoch an: Erstens seien die von Dawson angeführten archäologischen Nachweise für Erbsen in Illahun nicht gesichert, und sie könnten auch aus römischen Schichten kommen. Zweitens sei das gemeinsame Vorkommen mit ꜥršn in den Miscellanies wenig aussagekräftig, denn nur in zwei Listen stünden beide Produkte direkt nebeneinander, wohingegen sie in zwei anderen durch šꜣ.w: „Koriander“ voneinander getrennt seien. Drittens sei die gelegentliche Klassifizierung mit dem Korn, Gardiner Sign-list N33, wenig aussagekräftig, weil dieser Klassifikator nur eine vage rundliche Form andeute, aber nicht zwangsläufig ein erbsenförmiges Objekt. (NB: Dieses Argument stammt allerdings von Weeks selbst; die Form des Klassifikators spielt zwar bei W.R. Dawson, Studies in the Egyptian Medical Texts-III, in: Journal of Egyptian Archaeology 20, 1934, 41–46, hier 41–44 für dessen Identifikation von ḏꜣr.t eine Rolle, nicht aber in JEA 21 bei tḥwꜣ, zumindest nicht explizit.) Weeks wundert sich außerdem, warum tḥwꜣ in den medizinischen Texten zwar oft genannt sei, aber nicht als Verdickungsmittel, wie dies von Erbsen in „modern folk medical treatments“ bekannt sei. In medizinischen Texten der griechisch-römischen Zeit und des Mittelalters [d.h. in demotischen und koptischen medizinischen Texten?] sei die Erbse schließlich gar nicht genannt, was implizieren würde, dass sie nach häufiger Verwendung in Ägypten zunächst komplett aus der Apotheke verschwunden wäre. Weeks selbst vermutet in tḥwꜣ eine Bezeichnung des Knoblauchs. Hierfür weist er auf die gelegentliche Austauschbarkeit sowie das gemeinsame Vorkommen von tḥwꜣ mit ḥḏ.w in medizinischen Texten hin, was darin zu begründen sei, dass beide Drogen ähnliche Substanzen beinhalten oder ähnliche Eigenschaften besäßen. Da er ḥḏ.w mit der Communis opinio als Zwiebeln interpretiert, vermutet er in tḥwꜣ eben den „Knoblauch“. L.H. Lesko – B. Switalski Lesko, A Dictionary of Late Egyptian. Vol. IV (Providence 1989), 95 bietet neben „peas(?)“ auch „garlic(?)“ mit Verweis auf Weeks.

Auch R. Germer, Untersuchung über Arzneimittelpflanzen im Alten Ägypten. Dissertation zur Erlangung der Würde des Doktors der Philosophie der Universität Hamburg (Universität Hamburg 1979), 228–229, R. Germer, Flora des pharaonischen Ägypten, Sonderschrift, Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Kairo 14 (Mainz 1985), 86 und R. Germer, Handbuch der altägyptischen Heilpflanzen, Philippika 21 (Wiesbaden 2008), 157 zweifelt Dawsons Interpretation wegen der Unsicherheit der Funde aus Illahun an. Einen Gegenvorschlag bietet sie nicht. Weeks’ Vorschlag diskutiert sie (in ihren beiden späteren Arbeiten) nicht.

Dr. Lutz Popko