Papyrus British Museum EA 10085+10105
Übersetzung und Kommentar
Sektion I
Beschwörung 11
[rt. x+1,1] […] Er [wird gehen], gesund für seine Mutter, wie [Horus] ging, [gesund für seine Mutter Is]is am Morgen, als er gebissen worden ist.2
1 Die Einteilung in Sektionen beruht auf Leitz 1999. Müller 2006 konnte wahrscheinlich machen, dass die Sektionen I und II eine zusammenhängende Reihe von Beschwörungen bilden, die durch das überlange Kolophon in rt. x+2,5–10 abgeschlossen werden.
2 Die Lesung und Übersetzung dieses Satzes erfolgt nach Müller 2006, 450–451. Es handelt sich, nach Roccati 2001, 194 um eine Abschlussformel magischer Sprüche gegen Bisse und Stiche (Parallelstellen: pTurin P & R 135,13–134,1 [= pTurin CGT 54001 vs. 2,13–3,1]; pTurin P & R 135,5 [= pTurin CGT 54001 vs. 2,5]; pGenf MAH 15274 rt. 5, 6–7). In der ersten erhaltenen Passage transliterierte Leitz 1999, Taf. 47 statt mw.t-Geier (Gardiner G14) den Arm mit Spitzbrot (D37) [Lesung daher: […] snb n di̯.t =f mj šm […]], und übersetzte S. 86: „[…] healthy by his giving like the going […].“, und die zweite erhaltene Passage: „praising on account of the bite.“.
Beschwörung 2
[Eine andere Beschwörung (?):]1
[Siehe (?),] Isis ist gekommen.
Das Land hüllt sich ein (?)2 für ihn wegen des Fluches.
Nicht wird sie zulassen, dass der Nordwind [stromaufwärts kommt], so dass die Nilflut nicht stromabwärts kommen kann.3
Sie lässt die Barke des [Re (?)] sich neigen, wegen der (zu geringen) Wasser(höhe) von eineinhalb Ellen4.
[Sie lässt] den Schiffer der Barke mit Erde / Dreck beschmiert sein.5
Die Neunheit [ste]ht (hilflos) da, ist eingekreist.
Ih[re] (= die Götter der Neunheit) [rt. x+1,5] Lederdollen (?)6 sind gelöst.
Man sagt also zu dir:
„(Deine) Mutter Isis ist bei dir!“
"Isis, deren Zauber [groß sind], ist die, die gekommen ist."
"Nein! Es ist kein (gewöhnlicher) Zauber, der in meinem Munde ist!"
"Es sind [vortreffliche (?)] Wort(e), die in ⟨meinem⟩ Munde sind."
"[Ich(?)] spreche [sie (?)] aus, während / sodass etwas für Horus geschieht, während der Feind des Re (= Apophis?) die Nacht damit zubringt, eine Rebellion durchzuführen."
1 Alle Ergänzungen in rt. x+1,2–7 folgen dem Vorschlag von Müller 2006, 451, 464.
2 tꜣ ḥr knm: Siehe Müller 2006, 451–452 Anm. b: Problematisch am Verb ist, dass es nur wenige Male in den Pyramidentexten belegt ist, was die Identifizierung und Übersetzung unsicher macht. Leitz 1999, 86 las hier „the land is in darkness (?)“ [= tꜣ ḥr knm(.t)], als eine mögliche Umschreibung für „the land is flooded“.
3 Nach Leitz 1999, 86 Anm. 4 (mit Verweis auf C. Leitz, Tagewählerei. Das Buch ḥꜣt nḥḥ pḥ.wy ḏt und verwandte Texte, Ägyptologische Abhandlungen 55 (Wiesbaden 1994), 17, 95–96, 132 und J. F. Borghouts, The ram as a protector and prophesier, in: Revue d’égyptologie 32, 1980, 33–46, hier: 41 Anm. 59) eine Anspielung auf die Ansicht, dass die Nilflut durch die Nordwinde (Passatwinde) hervorgerufen wurde, die das Nilwasser zurück in den Fluss trieben und so die Nilflut auslösten, eine These, die im 6. Jh. auch von Thales von Milet geäußert wurde [vgl. noch Herodot 2,20]; sowie mit Verweis auf die Textstelle pChesterBeatty 4 rt. 8,10–11, die diese Annahme bereits für die Ägypter bezeugt. Müller 2006, 452 zitiert noch weitere Belegstellen mit ähnlichem Wortlaut (pDeir el-Medine 1, vs. 3,4–5; pTurin P & R 136,11 [= pTurin CGT 54001 vs. 4,11]), und nennt als Belegsammlung B. H. Stricker, De overstroming van de Nijl, Mededelingen en Verhandelingen van het Vooraziatisch-Egyptisch Genootschap „Ex Oriente Lux“ 11 (Leiden 1956), 10–12.
4 Eine recht geringe Höhe von ca. 0,78 m, also eine Angabe des Wassermangels im Fluss; siehe Müller 2006, 452 Anm. d, nach S. J. Seidlmayer, Historische und moderne Nilstände. Untersuchungen zu den Pegelablesungen des Nils von der Frühzeit bis in die Gegenwart, ACHET A1, Berlin 2001; anders Leitz 1999, 86 Anm. 6: ca. 1,60 m über dem durchschnittlichen Feldhöhenniveau („field surface level“) und damit kein Niedrigstand (!).
5 Ein Trauergestus; siehe Müller 2006, 453–454 Anm. d mit Verweis auf B. Dominicus, Gesten und Gebärden in Darstellungen des Alten und Mittleren Reiches, Studien zur Archäologie und Geschichte Altägyptens 10 (Heidelberg 1994), 70 mit Anm. 434, mit Belegstellen pLansing 4, 4–5 (= LEM 103,5; Miscellanies) und pd’Orbiney 8,7 (= LES 18,5–7; Brüdermärchen).
6 Siehe Müller 2006, 454 Anm. f. Dieses Wort ist sonst nur noch einmal in Edfu belegt. Möglicherweise handelt es sich um die Dolle, einen Teil des Ruders, hier in lederner Gestalt (vgl. das Determinativ „Tierschwanz“; F27); nach A. M. Blackman – H. W. Fairman, The myth of Horus at Edfu, II. C. The triumph of Horus over his enemies - a sacred drama (concluded), in: Journal of Egyptian Archaeology 30, 1944, 5–22, hier: 7 Anm. e: „rowlocks“; N. Dürring, Materialien zum Schiffbau im Alten Ägypten, Abhandlungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo. Ägyptologische Reihe 11 (Berlin 1995), 84: vielleicht die „lederne Bindung des Steuerruders an die Haltepfosten“.
Sektion II
Beschwörung 3
[Eine andere Beschwörung]1 ⟨zum⟩ Abtöten von Gift:
Oh! Ah! Oh! Ah! Wehe! Wehe!
Der Himmel ist durchtrampelt, die Erde in Finsternis.
Neunheit, kommt zu mir!
Du Gift, das verhüllt gekommen ist, wirst / sollst gesehen (d.h. sichtbar) werden.
Du (Gift) bist gekommen, flutend wie der Nil [rt. x+1,10] und bedeckend wie die Regenwolken, nachdem (oder: so dass?) unser Körper ergriffen wurde.2
Sie (= die Giftstoffe)3 haben den Schlafenden4 gebissen.
[rt. x+2,1] Die Weihe (?) ist (die), die verweilte (?).5
Würden sie (= die Giftstoffe) doch durch sein6 Beschwören ausfließen (?), diese schlechten / kranken Flüssigkeiten, die im Körper desjenigen sind, der gebissen worden ist.
Eile doch [in] der Vollkommenheit seiner Mutter, wie Horus in der Vollkommenheit seiner Mutter geeilt ist.
Zu rezitieren über Rückständen (?) von süßem Bier, zum (?) Zufriedenstellen.
1 Parallelstelle für den Beginn des Spruches in rt. x+1,7–8: pChesterBeatty 7 rt. 7,7–8.
2 Hier wechselt der Text von der 3. in die 1./2. Person, es scheint eine direkte wörtliche Rede als Kommentar der Neunheit zur Sichtbarmachung des Giftes vorzuliegen. Daher wird dieser Satz hier als eigenständig geführt.
3 Scheint eine Vorwegnahme auf nn-n mw mr.w „die schlimmen Flüssigkeiten“ in Z. 2,1 zu sein!?
4 Eine Bezeichnung für Osiris auf dem Totenbett; siehe C. Leitz, Tagewählerei. Das Buch ḥꜣt nḥḥ pḥ.wy ḏt und verwandte Texte, Ägyptologische Abhandlungen 55 (Wiesbaden 1994), 34–36.
5 Lesung der Zeichen und der Wortlaut sind sehr unsicher; siehe Müller 2006, 457 Anm. h. Die „Weihe“ wäre in diesem Kontext, der auf Osiris anspielt, wohl mit Isis zu identifizieren.
6 Der Bezug des Suffixpronomens ist unklar. Nach Müller 2006, 457 Anm. i ist damit vermutlich der Benutzer der Beschwörung gemeint.
Beschwörung 4
[Eine andere (Beschwörung)]:1
[Du], der wütet, du (?) […] seine Nase:
Der vierte (?) Mann ist nicht gekommen aus dem Bösen eines Mannes, (sondern) aufgrund (?) des Momentums (?) des Findens (?).2
Man wird feststellen, dass es deine Sprüche (sind), die ihn vertreiben, ebenso dass die Ruinenhügel (?) aufgebrochen (?)3 sind.
Es sind die (betreffenden) Beschwörungen, denn was die Worte gegen dich4 betrifft, sie gehören [rt. x+2,5] Seth (und) der Nꜥw-Schlange (?)5, sie sind Sprüche des Horus.
1 Müller 2006, 458 setzt hier den Beginn eines neuen Spruches an, weil der Inhalt zu den vorangehenden Passagen sich auffällig ändert. Leitz 1999, 87 macht keine diesbezügliche Angabe und fährt mit dem vorangehenden Spruch fort.
2 Der Satz ist in vielerlei Hinsicht problematisch:
z mḥ-4: „Der vierte (?) Mann“: Leitz 1999, 87 mit Anm. 22 hat „without there being a man of four cubits“ mit Verweis auf pAnastasi I 23,8, wo dies als Charakteristikum der Shasu-Beduinen genannt wird. Müller 2006, 458 mit 459 Anm. c merkt an, dass mḥ mit der Bedeutung „Elle“ anders hätte geschrieben werden müssen, und zwar zusätzlich mit dem „Unterarm“ (D41/D42). Der Bezug ist ihm unklar, er nennt aber noch Belege für Vierergruppen in magischen Kontexten, z.B. „vier Balsamierer“ (pꜣ 4 wt; pMag Vatikan); „vier Edeldamen“ (tꜣ 4 šps.yt; pChesterBeatty 8 vs. 1,8+2,1; pChesterBeatty 9 vs. B 14,9–10).
⟨ḥr⟩-ḏꜣḏꜣ-n {j}ꜣ.t n gmi̯.t: „(sondern) aufgrund (?) des Momentums (?) des Findens (?)“: Nach Müller 2006, 460 Anm. d ist „die Stelle zumindest graphisch sehr eigen umgesetzt“, d.h. er geht von einer stark fehlerbehafteten Wiedergabe dessen aus, was ursprünglich gemeint war: so ergänzt er ḏꜣḏꜣ n zur Präposition ⟨ḥr⟩-ḏꜣdꜣ-n, nachfolgendes jꜣ.t wird zu ꜣ.t „Moment; Augenblick“ emendiert, beim Verb am Ende denkt er noch an eine eventuelle Lesung als gmgm „umherirren“, der zweite Teil des Verbs würde, weil dann am Ende von Z. 3 und zu Beginn von Z. 4 drei Mal hintereinander die Gruppe gm stünde, durch Haplographie ausgefallen sein. Leitz 1999, 87 hat die Stelle anderes aufgefasst. Den ersten Teil zieht er zum vorangehenden Satz: „[…] his nose, without there being a man of four cubits, comig forth from the evil of man.“ (fnḏ=f nn z mḥ-4 pri̯ m ḏw.t z). Den zweiten Teil interpretiert er als neuen Satz: „The head at (?) the back is found (?) …“ (ḏꜣḏꜣ n jꜣ.t n gmi̯.t). Die ganze nächste Zeile lässt er mangels Verständnis (Anm. 23: „remains obscure“) unübersetzt. Tatsächlich macht der erhaltene Text, so wie er dasteht, keinen Sinn! Hier wurde die Deutung Müllers übernommen.
3 Deutungen nach Müller 2006, 460 Anm. f, aber unsicher.
4 Bezieht sich auf die feindlichen Mächte, wohingegen die angesprochene Entität zu Beginn des Spruches (pꜣ n.tj nšni̯) eher Seth zu meinen scheint?!
5 So Müller 2006, 460 Anm. h, allerdings ohne Determinativ geschrieben, aber auch ohne eine Emendation der Stelle vornehmen zu müssen; trotzdem unsicher.
Kolophon
Es ist schön und in Frieden zu Ende gekommen, durch den Ka des Ersten Ausrufers seiner Majestät LHG Amenwahsu, des Schreibers [A]menemope, des Ersten Schreibers Jay, des Schreibers Amenemope, des Schreibers Mer-ipet, des Schreibers Merire, Sohn des Hat, des Schreibers Re-jay, des Schreibers Merire, Sohn des Hat, dessen Mutter Ta-ker-en-Chmunu (?) ist, des Schreibers Pa-secher-her-awifi, des Schreibers Re-ja, des Schreibers Re-ja, des Schreibers Merimaat, des Schreibers Chonsui, des Schreibers Hui, des Schreibers Sui Sohn des Hui, des Schreibers Nebwai, des Schreibers Nebnefer, des Schreibers Ramose, Sohn des Pendua, dessen Mutter Ta-[sh]a’a (?) ist, [des Schreibers] Pai-sen-neb, des Schreibers Pai, Sohn des Hui, dessen Mutter Iuy ist, [rt. x+2,10] des Schreibers Chonsu, des Schreibers Kasa, des Schreibers Hui, des Schreibers Merire, des Schreibers Merire, des Schreibers Paiu-senefer, (und) des Schreibers Chonsui.