Horusstele Louvre E 20008

Metadaten

Wissensbereiche
Aufbewahrungsort
Europa » Frankreich » (Städte M-P) » Paris » Musée du Louvre

Inventarnummer: E 20008 (Musée du Louvre)

Inventarnummer (ehemals): MG 2509 (Musée Guimet)

Digitaler Katalog
Erwerbsgeschichte

Ehemals im Musée Guimet (Inv. MG 2509). Im Jahr 1948 an das Musée du Louvre übertragen.

Herkunft
(unbekannt)
Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Spätzeit » 30. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Griechisch-Römische Zeit » Hellenistische Zeit » Ptolemäerzeit

Ziegler 1982, 311 setzt die Stele in das 6. bis 4. Jh. v. Chr., ohne dies weiter zu begründen. Gasse 2004, 86 datiert die Stele in die 30. Dynastie oder am Anfang der Ptolemäerzeit, ebenfalls ohne dies weiter zu begründen. Auf der Homepage Louvre findet sich „380/30 (XXXe dynastie; époque ptolémaïque“ und wird allgemein „attribution d’après style“ als Begründung angegeben (siehe z.B. die pummelige Gestaltung des Rumpfes des Kindes). Sternberg-el Hotabi 1999 äußert sich nicht zur Datierung. Die von ihr gesammelten Datierungskriterien erlauben es nicht, das Objekt eindeutig einer ihrer objekttypologischen Phasen zuzuweisen (frontal dargestellter Kindgott ohne Halskragen; Vignetten und Götterregister fehlen; die Besmaske ragt nicht über den Stelenrand hinaus; Falken- und Nefertemstandarte fehlen; sicherlich ihre „Hochphase“, d.h. 30. Dynastie bis Ende Ptolemäerzeit). Gutekunst 1995 kennt die Stele nicht, konnte sie also nicht in seiner textgeschichtlichen Forschung von Spruch B auswerten. Textgeschichtlich passt die vorhandene Version des Horusstelenspruchs B (es ist die „Paris-Rechts-Version“, die ab der „Mittelphase“ von Gutekunst = 26.28. Dyn. belegt ist) in seine „Hochphase“, die mit der spätdynastischen und frühptolemäischen Zeit bzw. mit der Zeit „ca. 400250/200?“ übereinstimmt.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Die komplette Rückseite wird von Spruch B in der Langfassung eingenommen (24 Zeilen). Spruch A in der Langfassung fängt auf der linken Schmalseite an (4 Kol.), wird auf der rechten Schmalseite fortgesetzt (4 Kol.) und endet auf der Vorderseite um das Horuskind herum (8 Kol.). Auf dem Sockel (Vorderseite und Unterseite) findet sich schließlich ein Spruch zur Abwehr der Apophis-Schlange (8 Zeilen), der u.a. auch von der Metternichstele und dem Socle Béhague bekannt ist.

Horusstelentext A (A.1–A.4, B.5–B.8 und C.1–C.8):
Ein von Thoth ausgesprochener Spruch zur „Verehrung“ des Horus, um ihn zu „verklären“. Thoth begrüßt den jugendlichen Horus und bittet ihn, dass er mit seiner Magie und seinen Zaubersprüchen kommen möge, um die gefährlichen Tiere in der Wüste, im Wasser und in den Höhlen abzuwehren und um das Gift im Patienten zu beschwören. Er möge den Patienten wiederbeleben, damit Horus’ Ansehen entstehe und er als Horus-Sched („der Retter“ oder „der Beschwörer“) angerufen werde.

Horusstelentext B (D.1–D.24):
Der sogenannte „Spruch B“ der Horusstelen und Heilstatuen hat zum Ziel, einen Reisenden auf dem Wasser zu schützen, insbesondere vor Krokodilen. Er fängt mit einer Anrufung an den Sonnengott/Schöpfergott an, der Osiris, der auf dem Wasser ist, beschützen möge. Anschließend spricht der Zauberer/Beschwörer die gefährlichen Wassertiere und insbesondere das Krokodil Nehaher direkt und in imperativischer Form an. Sie sollen Osiris nicht angreifen, oder ihnen werde das Gesicht umgedreht bzw. ihnen drohe die Vernichtung. Er sagt, dass eine Vierergruppe von Göttern (Re, Sachmet, Thoth, Heka) Osiris und den Reisenden beschützt. Der Zauberer identifiziert sich anschließend mit Chnum und befiehlt dem Angreifer zurückzuweichen, sonst werde er zerstückelt . Zwei mythologische Passagen mit einem lauten Schrei in Heliopolis, in der ein Kater und der Abdu-Fisch eine Rolle spielen, und mit einem zweiten lauten Schrei in Nedit, wo Osiris ermordet wurde, werden eingeflochten, weil Re deshalb sehr wütend geworden sei und die Zerstückelung des Rebellen auf dem Wasser befohlen habe. Die Wut des Re fehlt aus Platzmangel auf der hiesigen Horusstele.

Spruch zur Abwehr des Apophis (E.1–E.2 und F.1–F.6):
Ein Spruch zur Abwehr des Apophis bzw. Schutz des Sonnengottes vor der Apophisschlange. Apophis sei aufgetaucht und ein anonymer Zauberer zwinge die Schlange in direkter Rede und befehlendem Ton, zurückzuweichen. Apophis wird als „Windung der Gedärme“ und „Nabelschnur des Re“ angesprochen, der keine Arme und keine Beine habe. Die Flamme des Sonnengottes sei im Gesicht des Apophis, ihm hafte der Geruch der Hinrichtungsstätte an.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Das Gesicht des Horuskindes sowie die Vorderseite des Sockels sind durch Reibung glatt und unförmig geworden. Die Stele muss daher oft berührt geworden sein.

Material
Nicht Organisch » Stein » Serpentin, Nicht Organisch » Stein » Steatit/Speckstein, Nicht Organisch » Stein » Diorit
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Stele » Horusstele / Horuscippus
Technische Daten

Höhe 18,8 cm; Breite 8,6 cm; Dicke 5,8 cm. Oben abgerundete Stele mit einem nackten, frontal dargestellten Kindgott in Hochrelief. Das Kind hat eine Jugendlocke und steht auf zwei Krokodilen. Es hält einen Skorpion und einen Löwen in der rechten Hand, zwei Schlangen und eine Antilope in der linken. Über dem Kopf des Kindes findet sich die Besmaske. Die Vorderseite (überall um den Kindgott herum), die Rückseite, die beiden Schmalseiten, die Vorderseite des Sockels und die Unterseite des Sockels sind mit hieroglyphischen Textkolumnen versehen, insgesamt 40 Zeilen und Kolumnen.
Laut der Homepage des Louvre handelt es sich beim Material um Diorit. Gasse 2004, 86 gibt hingegen Serpentinit an, während Ziegler 1982 und Sternberg-el Hotabi von Diorit sprechen. 

Schrift
Hieroglyphen

Eingraviert. Die Eingravierung ist von mäßiger Qualität und auf den Schmalseiten und dem Sockel teilweise abgerieben. Nur wenn man die Spruchtexte kennt, lassen sich die meisten Hieroglyphen identifizieren. Die Textkolumnen auf den beiden Schmalseiten und auf der Vorderseite sind retrograd angeordnet.

Bearbeitungsgeschichte

Die Horusstele wurde im Jahr 2004 von A. Gasse beschrieben und mit Fotos und Zeichnungen zugänglich gemacht. Quack 2018 hat einige Korrekturen zum Spruch gegen Apophis geliefert. Gutekunst 1995 und Sternberg-el Hotabi 1999 behandeln diese Stele nicht, weil auf die Publikation von Gasse 2004 gewartet wird.

Editionen

- Gasse 2004: A. Gasse, Les Stèles d’Horus sur les crocodiles, Musée du Louvre. Département des antiquités égyptiennes. Catalogue (Paris 2004), 86–95 (Nr. 17).

Literatur zu den Metadaten

- Étienne 1998: M. Étienne, Les Dieux de l'Égypte (Paris 1998), 16.

- Gutekunst 1995: W. Gutekunst, Textgeschichtliche Studien zum Verjüngungsspruch (Text B) auf Horusstelen und Heilstatuen (Trier 1995).

- Quack 2018: J. F. Quack, Eine magische Stele aus dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe (Inv. H 1049), Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 58 (Heidelberg 2018), 79–80 mit Anm. 175.

- Sternberg-el Hotabi 1999: H. Sternberg-el Hotabi, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen, 2 Bände, Ägyptologische Abhandlungen 62 (Wiesbaden 1999), Bd. 2: Materialsammlung, 79.

- Ziegler 1982: C. Ziegler, in: B. André-Leicknam C. Ziegler (Hrsg.), Naissance de l’écriture. Cunéiformes et hiéroglyphes (Paris 1982), 311 (Nr. 267).

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Online-Ressourcen
Autoren
Dr. Peter Dils
Autoren (Metadaten)
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Schmalseiten und Vorderseite (Textzeilen A–C)

Horusstelenspruch A (A.1–A.4, B.5–B.8 und C.1–C.8)

[A.1] Sei gegrüßt, Gott, Sohn eines Gottes. Sei gegrüßt, Erbe, Sohn eines Erben. Sei gegrüßt, Stier, Sohn eines Stieres, den die göttliche Kuh geboren hat. Sei gegrüßt, Horus, der aus Osiris hervorgegangen ist, den Isis, die Göttliche/Göttin, geboren hat.
Besprich für mich mit deinem Mund (?)! Rezitiere für mich mit deiner Magie! Besprich für mich mit deinem Gesprochenen, das wirkungsmächtig ist mit deinen (wirksamen) Zaubersprüchen! Beschwöre für mich mit deinen Rezitationen, die du ausgedacht (wörtl.: geschaffen) hast!
Das sind deine kunstfertigen Produkte aus deinem Mund, die dein (Groß)vater Geb dir anvertraut hat, die deine (Groß)mutter Nut dir gegeben hat, die dein Bruder, der Vorsteher von Letopolis, gelehrt hat, [B.5] um deinen Allgemeinschutz (zꜣ) zu bereiten, um deinen Zauberschutz (mkw.t) zu wiederholen, um das Maul von jedem Kriechtier, das im Himmel, auf Erde (oder) im Wasser ist, zu verschließen, um alle Menschen wieder[zubeleben], um die Götter zufriedenzustellen, um Re mit deiner Huldigung zu beleben.
Komme zu mir, schnell, schnell, an diesen Tagen, so wie (wenn) du mit dem Steuerruder im Gottesschiff hantierst.
Mögest du abwehren jeden Löwen in der Wüste, jedes beißende (Schlangen)Maul in seiner Höhle, jede männliche Schlange, jede weibliche Schlange, jedes (giftige) Kriechtier, das mit seinem Maul beißt oder mit seinem Stachel sticht. Mögest du sie machen wie Kieselsteine auf dem Plateau, wie eine Topfscherbe eines Kruges auf/entlang [C.1] der Straße.
Mögest du dieses (hier vorliegende) aufgesprungene/pulsierende (?) Gift beschwören, das in jedem (?) Glied (des Patienten) ist.
Hüte dich, dass deine Worte deswegen (oder: seinetwegen, d.h. des Gifts) lächerlich gemacht werden.
Siehe, dein Name ist heute dort.
Lass dein Ansehen mit (deiner) Magie entstehen, indem es erhöht ist [C.5] mittels deiner wirksamen Zaubersprüche, den mit einer beengten Kehle wiederzubeleben.
Dann wird dir Lobpreis gegeben werden 〈durch〉 die Untertanen. Dann wird Maat gepriesen werden in deinem Wesen. Dann wird ein Gott deiner Art aufgeweckt1 werden an diesen Tagen (?) (mit den Worten) „Ich bin Horus, der Beschwörer/Retter!“

1 nhs.〈t〉w: „aufgeweckt werden“ anstelle von njs: „rufen“ in den Textparallelen.

Rückseite (Textzeile D)

Horusstelenspruch B1 (D.1–D.23)

[D.1] Oh alter Mann, der sich zu seiner Zeit verjüngt, (oh) Greis, der als Jugendlicher agiert (wörtl.: den Jugendlichen spielt), mögest du veranlassen, dass Thoth zu mir auf meine Stimme hin kommt, damit er für mich das Wildgesicht (Neha-her) vertreibt.
Osiris ist auf dem Wasser; das Horusauge ist bei ihm.
Der große Flügelskarabäus steht mit gespreizten Flügeln (schützend) über ihm.
[D.5] Erhebt nicht eure Gesichter, (ihr) Wasserbewohner, bis Osiris an euch vorbeigegangen sein wird!
(Denn) siehe, er ist auf dem Weg nach Busiris (und) seine Hand ist siegreich gegen euch.
Versperrt wurde euer Maul, blockiert/verstopft wurde euer Schlund!
Zurück mit dir, (du) Rebell! Erhebe nicht dein Gesicht gegen Osiris!
Re ist auf der Sandbank (?), um die Neunheit von Babylon zu sehen (d.h. zu besuchen?), die Herren der Unterwelt stehen bereit, [D.10] dich abzuschlachten.
Das Wildgesicht (Neha-her) kann nicht (?) gegen Osiris vorgehen2, wenn 〈er〉 (= Osiris) auf dem Wasser ist, (oder) ihr werdet umgedreht werden, indem ihr auf euren Rücken gestellt werdet.
Euer Maul wurde von Re persönlich verschlossen; euer Schlund wurde von Sachmet verstopft/versperrt; euer Gemetzel wurde von Thoth angerichtet; eure Augen wurden von Heka geblendet.
Diese Vierzahl an großen Göttern, [D.15] die den Schutz des Osiris bereiten, sie sind es, die den Schutz ihres Horusauges (??) bereiten heute (wörtl.: an diesem Tag).
Eine heftig klagende Stimme ist im Haus-der-Neith, ein großes Gejammer ist im Mund des Katers (oder: der Katze).
Die Götter sagen: „Was ist los? Was ist los?“ bezüglich (?) des Abdu-Fisches, als er geboren wird (oder: bei seiner Geburt).
Entferne dein Voranschreiten von mir (oder: meinetwegen), (du) Rebell!
(Denn) ich bin Chnum, der Herr von Herwer.
Hüte dich davor, dass du die Verletzung (oder: das Leid) [D.20] ein zweites Mal wiederholst, wegen dessen, was du getan hast in Anwesenheit der Großen Neunheit! Wende dich doch von mir ab!
(Denn) ich bin ein Gott und der Sohn eines Gottes, den Isis, die Göttliche, geboren hat.
Oh Re, bekanntlich hast du keine (so) heftig klagende Stimme (mehr) gehört seit dem Abend auf jenem Ufer von Nedit.
Schweigen ist bei (oder im Mund von) jedem Gott und jeder Göttin.
Die Götter sind in einem Gejammer wegen dieses Übels, dass du bösartig (?) angerichtet hast.
Rebell, du hast Böses angerichtet vor (?) [...]

1 Der Anfang des Textes findet sich in Horusstelen aus der 22. Dynastie, eingebaut in Horusstelenspruch C (u.a. Horusstele Edfu, Paris AF 12690; Horusstele Kairo Museum of Seized Antiquities; Sockel Turin Suppl. 18356). Der älteste vollständige Text stammt aus der Saitenzeit (CG 9431bis). Der Text wurde später in einer Komposition im Papyrus Bremner-Rhind Kol. 29.16–32.3 mit dem Titel „Das geheime Buch zum Niederwerfen des Apophis“ integriert. Lustman setzt für diese Komposition (ihr Text L5) eine Datierung/Abfassung in der 20. Dynastie an (J. Lustman, Étude grammaticale du papyrus Bremner-Rhind (Paris 1999), 345–347). J. F. Quack, Apopis, Nabelschnur des Re, in: Studien zur altägyptischen Kultur 34 (2006), 377–379, hier: 379 kann sich für das Motiv von Apophis als Nabelschnur des Re einen Ursprung bis ins Neue Reich vorstellen. Quack 2018, 68–73 stellt für eine andere Feindvernichtungskomposition auf dem Papyrus Bremner-Rhind (Kol. 23.17–24.21: „Das erste Buch zum Niederwerfen des Apophis“) die Datierung von Lustmann infrage und möchte für den betreffenden Text eine ältere Datierung sogar bis ins Alte Reich nicht ausschließen.
Der Spruch ist in traditionellem Mittelägyptisch verfasst , anders als auf der Metternichstele gibt es keine Spuren post-klassischer Orthographie.

2 Geringfügig abweichend von Gutekunst 1995, 116 (Phrase 10.11.e).

Sockel (Textzeilen E–F)

Spruch zur Abwehr des Apophis (E.1–E.2 und F.1–F.6) (= Metternichstele Spruch 1; Socle Béhague Spruch 6)

[E.1] Zurück, du, mit (?) (deinem) Kopf, (oh) Apophis, jene (schlangenförmige) Windung der Ein[geweide, der ohne] seinen Arme ist und der ohne seinen Beine ist!
Nicht gibt es [deinen] Körper, in/aus dem du [entstanden bist]!
Lang ist [sein] Schwanz vorn in [seiner Höhle].
[Jene Nabelschnur, weiche zurück vor Re!]
Dein Kopf wurde abgehackt, [deine] Zerhackung/Zerstückelung wurde vollzogen.
[F.1] [... ... ...]
[Du wirst dein Gesicht nicht (mehr) erheben können.]
(Denn) der große Gott hat [Macht]1 über dich. 〈Seine〉 Fackel (d.h. die des Uräus des Re) ist in deinem Gesicht; [seine] Flamme ist in deinem Ba; (und) der Geruch seiner (d.h. des Re) Hinrichtungsstätte haftet an deinem Fleisch.
Deine Gestalt ist gefallen 〈in〉 der Zerhackung/Zerstückelung (oder: 〈mit〉 dem šꜥd-Hackmesser) des Großen Gottes.
[F.5] Selkis hat dich bezaubert, ihre Magie hat deine Kraft abgelenkt2.
Bleib stehen! [Bleib stehen!] Weiche du doch zurück vor ihrer Magie!

1 Lesung nach Quack 2018.

2 In den übrigen Textparallelen steht: sie hat deine Kraft abgelenkt.“