Horusstele Louvre E 20008
Übersetzung und Kommentar
Schmalseiten und Vorderseite (Textzeilen A–C)
Horusstelenspruch A (A.1–A.4, B.5–B.8 und C.1–C.8)
[A.1] Sei gegrüßt, Gott, Sohn eines Gottes. Sei gegrüßt, Erbe, Sohn eines Erben. Sei gegrüßt, Stier, Sohn eines Stieres, den die göttliche Kuh geboren hat. Sei gegrüßt, Horus, der aus Osiris hervorgegangen ist, den Isis, die Göttliche/Göttin, geboren hat.
Besprich für mich mit deinem Mund (?)! Rezitiere für mich mit deiner Magie! Besprich für mich mit deinem Gesprochenen, das wirkungsmächtig ist mit deinen (wirksamen) Zaubersprüchen! Beschwöre für mich mit deinen Rezitationen, die du ausgedacht (wörtl.: geschaffen) hast!
Das sind deine kunstfertigen Produkte aus deinem Mund, die dein (Groß)vater Geb dir anvertraut hat, die deine (Groß)mutter Nut dir gegeben hat, die dein Bruder, der Vorsteher von Letopolis, gelehrt hat, [B.5] um deinen Allgemeinschutz (zꜣ) zu bereiten, um deinen Zauberschutz (mkw.t) zu wiederholen, um das Maul von jedem Kriechtier, das im Himmel, auf Erde (oder) im Wasser ist, zu verschließen, um alle Menschen wieder[zubeleben], um die Götter zufriedenzustellen, um Re mit deiner Huldigung zu beleben.
Komme zu mir, schnell, schnell, an diesen Tagen, so wie (wenn) du mit dem Steuerruder im Gottesschiff hantierst.
Mögest du abwehren jeden Löwen in der Wüste, jedes beißende (Schlangen)Maul in seiner Höhle, jede männliche Schlange, jede weibliche Schlange, jedes (giftige) Kriechtier, das mit seinem Maul beißt oder mit seinem Stachel sticht. Mögest du sie machen wie Kieselsteine auf dem Plateau, wie eine Topfscherbe eines Kruges auf/entlang [C.1] der Straße.
Mögest du dieses (hier vorliegende) aufgesprungene/pulsierende (?) Gift beschwören, das in jedem (?) Glied (des Patienten) ist.
Hüte dich, dass deine Worte deswegen (oder: seinetwegen, d.h. des Gifts) lächerlich gemacht werden.
Siehe, dein Name ist heute dort.
Lass dein Ansehen mit (deiner) Magie entstehen, indem es erhöht ist [C.5] mittels deiner wirksamen Zaubersprüche, den mit einer beengten Kehle wiederzubeleben.
Dann wird dir Lobpreis gegeben werden 〈durch〉 die Untertanen. Dann wird Maat gepriesen werden in deinem Wesen. Dann wird ein Gott deiner Art aufgeweckt1 werden an diesen Tagen (?) (mit den Worten) „Ich bin Horus, der Beschwörer/Retter!“
1 nhs.〈t〉w: „aufgeweckt werden“ anstelle von njs: „rufen“ in den Textparallelen.
Rückseite (Textzeile D)
Horusstelenspruch B1 (D.1–D.23)
[D.1] Oh alter Mann, der sich zu seiner Zeit verjüngt, (oh) Greis, der als Jugendlicher agiert (wörtl.: den Jugendlichen spielt), mögest du veranlassen, dass Thoth zu mir auf meine Stimme hin kommt, damit er für mich das Wildgesicht (Neha-her) vertreibt.
Osiris ist auf dem Wasser; das Horusauge ist bei ihm.
Der große Flügelskarabäus steht mit gespreizten Flügeln (schützend) über ihm.
[D.5] Erhebt nicht eure Gesichter, (ihr) Wasserbewohner, bis Osiris an euch vorbeigegangen sein wird!
(Denn) siehe, er ist auf dem Weg nach Busiris (und) seine Hand ist siegreich gegen euch.
Versperrt wurde euer Maul, blockiert/verstopft wurde euer Schlund!
Zurück mit dir, (du) Rebell! Erhebe nicht dein Gesicht gegen Osiris!
Re ist auf der Sandbank (?), um die Neunheit von Babylon zu sehen (d.h. zu besuchen?), die Herren der Unterwelt stehen bereit, [D.10] dich abzuschlachten.
Das Wildgesicht (Neha-her) kann nicht (?) gegen Osiris vorgehen2, wenn 〈er〉 (= Osiris) auf dem Wasser ist, (oder) ihr werdet umgedreht werden, indem ihr auf euren Rücken gestellt werdet.
Euer Maul wurde von Re persönlich verschlossen; euer Schlund wurde von Sachmet verstopft/versperrt; euer Gemetzel wurde von Thoth angerichtet; eure Augen wurden von Heka geblendet.
Diese Vierzahl an großen Göttern, [D.15] die den Schutz des Osiris bereiten, sie sind es, die den Schutz ihres Horusauges (??) bereiten heute (wörtl.: an diesem Tag).
Eine heftig klagende Stimme ist im Haus-der-Neith, ein großes Gejammer ist im Mund des Katers (oder: der Katze).
Die Götter sagen: „Was ist los? Was ist los?“ bezüglich (?) des Abdu-Fisches, als er geboren wird (oder: bei seiner Geburt).
Entferne dein Voranschreiten von mir (oder: meinetwegen), (du) Rebell!
(Denn) ich bin Chnum, der Herr von Herwer.
Hüte dich davor, dass du die Verletzung (oder: das Leid) [D.20] ein zweites Mal wiederholst, wegen dessen, was du getan hast in Anwesenheit der Großen Neunheit! Wende dich doch von mir ab!
(Denn) ich bin ein Gott und der Sohn eines Gottes, den Isis, die Göttliche, geboren hat.
Oh Re, bekanntlich hast du keine (so) heftig klagende Stimme (mehr) gehört seit dem Abend auf jenem Ufer von Nedit.
Schweigen ist bei (oder im Mund von) jedem Gott und jeder Göttin.
Die Götter sind in einem Gejammer wegen dieses Übels, dass du bösartig (?) angerichtet hast.
Rebell, du hast Böses angerichtet vor (?) [...]
1 Der Anfang des Textes findet sich in Horusstelen aus der 22. Dynastie, eingebaut in Horusstelenspruch C (u.a. Horusstele Edfu, Paris AF 12690; Horusstele Kairo Museum of Seized Antiquities; Sockel Turin Suppl. 18356). Der älteste vollständige Text stammt aus der Saitenzeit (CG 9431bis). Der Text wurde später in einer Komposition im Papyrus Bremner-Rhind Kol. 29.16–32.3 mit dem Titel „Das geheime Buch zum Niederwerfen des Apophis“ integriert. Lustman setzt für diese Komposition (ihr Text L5) eine Datierung/Abfassung in der 20. Dynastie an (J. Lustman, Étude grammaticale du papyrus Bremner-Rhind (Paris 1999), 345–347). J. F. Quack, Apopis, Nabelschnur des Re, in: Studien zur altägyptischen Kultur 34 (2006), 377–379, hier: 379 kann sich für das Motiv von Apophis als Nabelschnur des Re einen Ursprung bis ins Neue Reich vorstellen. Quack 2018, 68–73 stellt für eine andere Feindvernichtungskomposition auf dem Papyrus Bremner-Rhind (Kol. 23.17–24.21: „Das erste Buch zum Niederwerfen des Apophis“) die Datierung von Lustmann infrage und möchte für den betreffenden Text eine ältere Datierung sogar bis ins Alte Reich nicht ausschließen.
Der Spruch ist in traditionellem Mittelägyptisch verfasst , anders als auf der Metternichstele gibt es keine Spuren post-klassischer Orthographie.
2 Geringfügig abweichend von Gutekunst 1995, 116 (Phrase 10.11.e).
Sockel (Textzeilen E–F)
Spruch zur Abwehr des Apophis (E.1–E.2 und F.1–F.6) (= Metternichstele Spruch 1; Socle Béhague Spruch 6)
[E.1] Zurück, du, mit (?) (deinem) Kopf, (oh) Apophis, jene (schlangenförmige) Windung der Ein[geweide, der ohne] seinen Arme ist und der ohne seinen Beine ist!
Nicht gibt es [deinen] Körper, in/aus dem du [entstanden bist]!
Lang ist [sein] Schwanz vorn in [seiner Höhle].
[Jene Nabelschnur, weiche zurück vor Re!]
Dein Kopf wurde abgehackt, [deine] Zerhackung/Zerstückelung wurde vollzogen.
[F.1] [... ... ...]
[Du wirst dein Gesicht nicht (mehr) erheben können.]
(Denn) der große Gott hat [Macht]1 über dich. 〈Seine〉 Fackel (d.h. die des Uräus des Re) ist in deinem Gesicht; [seine] Flamme ist in deinem Ba; (und) der Geruch seiner (d.h. des Re) Hinrichtungsstätte haftet an deinem Fleisch.
Deine Gestalt ist gefallen 〈in〉 der Zerhackung/Zerstückelung (oder: 〈mit〉 dem šꜥd-Hackmesser) des Großen Gottes.
[F.5] Selkis hat dich bezaubert, ihre Magie hat deine Kraft abgelenkt2.
Bleib stehen! [Bleib stehen!] Weiche du doch zurück vor ihrer Magie!
1 Lesung nach Quack 2018.
2 In den übrigen Textparallelen steht: „sie hat deine Kraft abgelenkt.“