Oracular Amuletic Decree C2 (Papyrus London BM EA 10899)

Metadaten

Wissensbereiche
Schlagwörter
Alternative Namen
OAD C2 TM 381012
Aufbewahrungsort
Europa » Großbritannien » (Städte K-N) » London » British Museum
Erwerbsgeschichte

Als Edwards den Papyrus edierte, befand er sich noch in Kairo im Besitz von Georges Anastase Michaelidis, der ihn 1938 angekauft hatte (Edwards 1960a, 99). Daher ist er unter der Sigle C2 in die Edition aufgenommen worden (Edwards 1960a, 99–101; Bd. 2, pl. 39–40). Nach dem Tod von Michaelidis im Jahr 1973 wurde seine umfangreiche Sammlung veräußert. Der Papyrus C2 (eine Sammlungsnummer nach Michaelidis ist nicht bekannt) wurde 1977 vom Auktionshaus B A Seaby Ltd in London für das British Museum angekauft. Der Papyrus befindet sich dort unter der Museumsnummer BM EA 10899 (Zugriff 25.11.2025).

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben

Die genaue Herkunft des Papyrus ist nicht bekannt. Edwards (1960a, xiii) geht von einer Herkunft des Oracular Amuletic Decrees aus der thebanischen Region aus, die er vor allem an den im Text genannten orakelgebenden Göttern festmacht. In diesem Text sind mehr als 8 Götter als Geber des Orakels genannt. Erhalten sind die Folgenden: Amun, [Herr des Thrones Beider Länder (?)], [der zu dem kommt], der ihn ruft; Month, der Herr von Theben; Chons, der auf dem hohen Thron ist; Mut, die Große, die auf dem hohen Thron ist; Chons, der die Krone trägt; Isis, [...]; und Bastet. Auch wenn sich durch die Epitheta nicht alle Götter eindeutig zuordnen lassen, ist ein Schwerpunkt auf dem thebanischen Raum durchaus zu erkennen. Die Personennamen der Orakelbesitzerin und ihrer Eltern geben keinen Hinweis auf lokale Traditionen.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 21. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 22.–23. Dynastie

Edwards (1960, xiii–xiv) geht von einer Datierung des gesamten Korpus der Amulettpapyri mit Orakeldekreten in die 22./23. Dynastie aus. Ein einziger Text (L7: pBM EA 10730) liefert einen Hinweis auf die Datierung, denn er ist für einen Prinzen und zukünftigen General in der Armee eines Königs Osorkon geschrieben, bei dem es sich nach Edwards (1960, xiv) und Ritner (2009, 74) vermutlich um Osorkon I. handeln dürfte, während Jacquet-Gordon (1960, 175, n. 5; Ead., 1963, 32) und ihr folgend Verhoeven (2001, 13) von Osorkon II. ausgehen. Diese Datierung basiert auf Textparallelen im Text auf einer Statue aus Tanis (Kairo CG 1040 + CG 881 + Philadelphia E 16159: s. Jacquet-Gordon, 1960, 23), die ursprünglich für Sethos I. angefertigt und für Osorkon II. wiederverwendet und neu beschriftet wurde (Sourouzian 2010, 97–105). Der Text L7 wäre also in die 22. Dynastie, oder für den Fall, dass es sich ungeachtet der Parallelen doch um einen späteren Osorkon handeln würde, spätestens in die 23. Dynastie zu datieren. Nach Koenig (1987, 31) ist aufgrund der Paläographie sowie spezifischer Schreibungen mindestens für einen Teil der Texte, den hier bearbeiteten miteingeschlossen, eine Datierung in die 21. Dynastie anzunehmen.

Textsorte
Oracular Amuletic Decree
Inhalt

Die orakelgebenden Götter (erhalten sind: Amun, [Herr des Thrones Beider Länder (?)], [der zu dem kommt], der ihn ruft; Month, der Herr von Theben; Chons, der auf dem hohen Thron ist; Mut, die Große, die auf dem hohen Thron ist; Chons, der die Krone trägt; Isis, [...]; und Bastet) versprechen der Besitzerin des Amuletts, Tarenu, Tochter von Nestahepet und Chonsrenu, Schutz vor unterschiedlichen Gefahren und Bedrohungen sowie die Gesunderhaltung ihres Körpers. Die Beschreibung des Körpers in seinen Einzelteilen sowie die Aufzählung der Gefahren und Bedrohungen generiert sich aus einem standardisierten Katalog, der allen Texten des Korpus zugrundeliegt, s. Grams 2017, 55–100.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Amulettpapyri wie der hier vorliegende Text wurden aufgerollt in einem kleinen Behälter, der aus Leder, Holz oder Metall gearbeitet sein konnte (vgl. Ray 1972, 151–153; Bourriau/Ray 1975, 257–258), um den Hals getragen und diente somit als Apotropaion (vgl. hierzu Roß 2019, 40–44). Die Amulette wurden vermutlich in erster Linie für Kinder hergestellt (vgl. Roß 2019, 26–36; Adderley 2015, 193; Edwards 1960, xvi), wobei es Hinweise darauf gibt, dass es sich um Säuglinge oder sehr junge Kinder gehandelt haben könnte (Roß, ebd.). Wilfong (2013, 295–300) geht davon aus, dass die Länge des beschrifteten Papyrusstreifens mit der Größe des Kindes korreliert werden kann. Mittlerweile ist auch ein Orakeldekret für eine schwangere Frau belegt (pIFAO H40: Koenig 2018, 233–239), doch ist der Text leider nur fragmentarisch erhalten, so dass keine Rückschlüsse auf die ursprüngliche Länge des Dokumentes erzielt werden können.

Die Texte sind generell als Götterrede konzipiert, die durch die Phrase „Göttername + ḏd“ eingeleitet wird. Im Text L1 (pBM EA 10083) ist an den Stellen, wo man ḏd „sagen“ erwartet, jeweils etwas Platz frei gelassen. Edwards (1960, xvii) geht davon aus, dass die Lücken erst, nachdem der Papyrus den Göttern vorgelegt worden ist, ausgefüllt wurden, und erst durch diesen Akt die Wirksamkeit gewährleistet war. Somit wäre der Text L1 niemals wirksam gemacht worden und folglich wohl auch nicht getragen worden. Die Tatsache, dass uns für die gleiche Besitzerin mit dem Papyrus Turin Cat. 1984 (OAD, T2) ein weiterer Papyrus vorliegt, in dem sich keine Lücken befinden, eine entsprechende „Validierung“ also stattgefunden haben muss, unterstützt diese These. Aus welchen Gründen der Text L1 (pBM EA 10083) offenbar ausgemustert wurde, ist allerdings unklar.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schreibblatt
Technische Daten

Der Text war beim Ankauf zusammengerollt und in ein 10 x 6,5 cm großes Stück Leinen eingewickelt. In seiner Länge von 47 cm und einer Breite von 6,5 cm ist er annähernd komplett erhalten, lediglich vom Beginn des Textes und im oberen Teil an beiden Seiten sind vermutlich eher kleine Teile verloren. Der Papyrus war auf beiden Seiten beschriftet, doch ist die Schrift auf dem Verso stark abgerieben bzw. komplett verloren, sodass nur geringe Teile des Textes vom Verso rekonstruiert werden können.

Der Text beginnt auf der Seite, auf der die Fasern vertikal liegen (also dem papyrologisch definierten „Verso“), und somit ist der tatsächliche Beginn des Textes nicht erhalten. Die zweite Seite, also das Recto, beginnt ebenso wie Text T2 (pTurin Cat. 1984) (zufällig) mit der Einführung der Götter und der Vorstellung des Amulettbesitzers, die an dieser Stelle wiederholt werden. Das Ende des Textes mit der zu erwartenden Schlussformel ist verloren. Edwards verwendet die Bezeichnungen „Recto“ und „Verso“ immer bezogen auf den Text, was zur Folge hat, dass die Ungereimtheiten, die sich durch seine falsche Zuweisung des Textbeginns ergeben, nicht sehr klar erkennbar sind.

Festzuhalten ist folglich, dass auch der hier vorliegende Text auf dem Verso beginnt und auf dem Recto fortgesetzt wird, und zwar, nachdem der Schreiber den Papyrusstreifen über die Längsseite gedreht hat, sodass der Textbeginn auf der Rückseite auf dem Textbeginn der Vorderseite zu liegen kommt. Zur Herstellung eines solchen Amulettpapyrus musste eine Papyrusrolle oder ein Teil einer Rolle der Länge nach in schmale Streifen geschnitten werden.

Schrift
Hieratisch

Der Text ist in einem gut lesbaren, leicht kursiven Späthieratisch geschrieben, s. Edwards 1960, xiv, 1; vgl. Verhoeven 2001, 13.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch

Die im Text verwendete Sprache ist nach Orthographie und Grammatik eindeutig dem Neuägyptischen zuzuordnen. Indizien sind z.B. die Schreibung der Suffixpronomen sowie der Gebrauch des Possessivartikels oder der Periphrase mit jri̯. Zudem ist im Futur III die Präposition r nicht geschrieben, vgl. zur Morphologie der Verben in den OAD die zitierten Beispiele bei Winand 1992, 536–537.

Bearbeitungsgeschichte

Im Jahr 1960 legte Edwards die editio princeps von insgesamt 21 Papyri vor (HPBM 4), darunter auch der hier bearbeitete Papyrus BM EA 10899. Er bezeichnete die Textgruppe als „Oracular Amuletic Decrees“ (OAD). Unser Text ist dort mit der Sigle C2 aufgenommen, da er sich zum Zeitpunkt der Bearbeitung noch in Kairo in der Sammlung Michaelidis befand (1960a, 99–101, 1960b, pl. XXXIX–XL).

Verschiedene Studien widmeten sich dem Korpus der Oracular Amuletic Decrees unter diversen Gesichtspunkten, wobei Textsegmente der gesamten Gruppe bearbeitet und zitiert werden, s. Lucarelli 2009, 231–239; Wilfong 2013, 295–300; Austin 2014, 39–41; Adderley 2015, 191–227; Grams 2017, 2017, 55–100; Roß 2019.

Editionen

- Edwards 1960a: I. E. S. Edwards, Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series. Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom. I. Text (London 1960), 99–101.

- Edwards 1960b: I. E. S. Edwards, Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series. Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom. II. Plates (London 1960), Taf. 39–40.

Literatur zu den Metadaten

- Adderley 2015: N. J. Adderley, Personal Religion in the Libyan Period in Egypt (Saarbrücken 2015), 191–218.

- Austin 2014: A. Austin, Contending with Illness in Ancient Egypt (Los Angeles 2014) (24.10.2019).

- Bourriau - Ray 1975: J. D. Bourriau - J. Ray, Two Further Decree-Cases of ŠꜢḳ, in: Journal of Egyptian Archaeology 61, 1975, 257–258.

- Bierbrier 2012: M. L. Bierbrier, Who was Who in Egyptology, 4. Auflage (London 2012), 553.

- Grams 2017: A. Grams, Der Gefahrenkatalog in den Oracular Amuletic Decrees, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 46, 2017, 55–100.

- Jacquet-Gordon 1963: H. J. Jacquet-Gordon, [Review:] I. E. S. Edwards, Hieratic Papyri in the British Museum. Fourth Series. Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom, 2 Bände (London 1960), in: Bibliotheca Orientalis 20, 1963, 31–33.

- Jacquet-Gordon 1979: H. Jacquet-Gordon, Deux graffiti de l’époque libyenne sur le toit du temple de Khonsou à Karnak, in: Anonymous (Hrsg.), Hommages à la mémoire de Serge Sauneron 1927-1976. I. Égypte pharaonique, Bibliothèque d’Étude 81 (Caire 1979), 167–183, Taf 27–29.

- Koenig 1987: Y. Koenig, Notes de transcription, in: Cahiers de Recherches de l’Institut de Papyrologie et d’Égyptologie de Lille 9, 1987, 31–32.

- Koenig 2018: Y. Koenig, Un nouveau décret amulettique oraculaire: Pap. IFAO H 40, Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 118, 2018, 233–239.

- Lucarelli 2009: R. Lucarelli, Popular Beliefs in Demons in the Libyan Period: The Evidence of the Oracular Amuletic Decrees, in: G. P. F. Broekman - R. J. Demarée – O. E. Kaper (Hrsg.), The Libyan Period in Egypt. Historical and Cultural Studies into the 21st – 24th Dynasties: Proceedings of a Conference at Leiden University, 25-27 October 2007, Egyptologische Uitgaven 23 (Leuven 2009), 231–239.

- Ray 1972: J. Ray, Two Inscribed Objects in the Fitzwilliam Museum, Cambridge, in: Journal of Egyptian Archaeology 58, 1972, 247–253.

- Ritner 2009: R. K. Ritner, The Libyan Anarchy. Inscriptions from Egypt’s Third Intermediate Period (Atlanta 2009), 74.

- Roß 2019: A. Roß, Der Schutz von Kindern im alten Ägypten. Die religiösen und soziokulturellen Aspekte der Oracular Amuletic Decrees (Göttingen 2019).

- Sourouzian 2010: H. Sourouzian, Seti I, not Osorkon II. A new join to the statue from Tanis, CG 1040 in the Cairo Museum, in: O. El-Aguizy – M. S. Ali (Hrsg.), Echoes of Eternity. Studies presented to Gaballa Aly Gaballa, Philippika 35 (Wiesbaden 2010), 96–105.

- Verhoeven 2001: U. Verhoeven, Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift, Orientalia Lovaniensia Analecta 99 (Leuven 2001), 13.

- Wilfong 2013: T. G. Wilfong, The Oracular Amuletic Decrees: A Question of length, in: Journal of Egyptian Archaeology 99, 2013, 295–300.

- Winand 1992: J. Winand, Études de néo-égyptien 1. La morphologie verbale, Aegyptiaca Leodiensia 2 (Liège 1992).

Autoren
Dr. Anke Ilona Blöbaum
Autoren (Metadaten)
Dr. Anke Ilona Blöbaum

Übersetzung und Kommentar

Oracular Amuletic Decree C2 (Papyrus London BM EA 10899)

Recto

[rto 1] ⸢Es hat⸣ GN (?)1 ⸢(in göttlicher Weise) gesprochen⸣, [...]; (und) ⸢es hat⸣ Amun ⸢(in göttlicher Weise) gesprochen⸣, [...]2, [der zu dem kommt], der ihn ⸢ruft⸣3; (und) es hat Month (in göttlicher Weise) gesprochen, der ⸢Herr⸣ von Theben; (und) es hat Chons (in göttlicher Weise) gesprochen [rto 5], derjenige, der auf dem hohen Thron4 ist; (und) es hat Mut, die Große, (in göttlicher Weise) gesprochen, diejenige, die auf dem hohen Thron ist; (und) es hat Chons (in göttlicher Weise) gesprochen, der die Krone trägt5; (und) es hat Isis (in göttlicher Weise) gesprochen, [...]; (und) es hat Bastet [(in göttlicher Weise) gesprochen]; es haben die großen Götter (in göttlicher Weise) gesprochen, die Ältesten, die zuerst entstanden sind:

[rto 10] Ich6 werde Tairennu beschützen, diese Tochter der Nesutaihapi, diejenige, die man auch Tascheri[...] nennt, [Tochter von ?/geboren dem]7 Chonsrennu8 [...] (?)9.

Ich werde sie vor Tod (?) bewahren [rto 15], vor Krankheit, vor Anklage/Verleumdung, vor Verbrechen, vor den Wanderdämonen (?)10, vor den Messerdämonen (?)11, vor einem (göttlichen) Angreifer (und) einer (göttlichen) Angreiferin.

〈Ich〉 werde sie beschützen (und) ihr [rto 20] Fleisch und ihr Skelett gesund erhalten.12 Ich werde sie behüten, wobei sie beschützt ist.13

1 Von der – mit großer Wahrscheinlichkeit – ersten Zeile des Textes ist nur ein kleiner Rest erhalten. Die Zeile beginnt ebenso wie die darauffolgende mit dem die Göttervorstellung einführenden ḏd. Am rechten Rand ist noch ein kleiner Rest der Gruppe zu sehen. Bei der folgenden Gruppe, die am rechten Rand und oben nicht vollständig erhalten ist, muss es sich um einen Götternamen halten, was der folgende, gut lesbare Götterklassifikator bestätigt. Edwards (HPBM 4, Bd.1, 99 [1]; Bd. 2, pl. 39A) liest „Min“ (R118) an dieser Stelle, doch kann ich die erkennbaren Reste in keiner Weise mit einer Schreibung der Min-Standarte zusammenbringen. Leider kann ich aber keine Alternative anbieten. Die folgenden Götter finden die beste Überschneidung mit der Gruppe, die im Text pParis Louvre E 3234 (P1) genannt wird. Doch besteht dort die Gruppe lediglich aus fünf Göttern, die wir hier bis auf Chons, das Kind ebenfalls genannt haben. Eine Lesung Ḫns.w pꜣ ẖrd ist für die Gruppe in der vorliegenden Zeile allerdings ebenfalls ausgeschlossen. Möglicherweise ist dieser Gott in der letzten Zeile auf dem Verso genannt, doch die Stelle ist nicht vollständig erhalten und die Lesung nicht sicher. Da die folgende Zeile ebenfalls mit ḏd beginnt, ist in Zeile 1 mindestens ein Epitheton des genannten Gottes zu erwarten. Doch ist vom Rest der Zeile nicht mehr als ein winziger Rest des ersten Zeichens erhalten. Eine Rekonstruktion ist daher nicht möglich.

2 [...]: Im Anschluss an den Namen ist an das Epitheton nb-ns.t-tꜣ.wj „Herr des Thrones Beider Länder“ zu denken, vgl. pTurin Cat. 1983 (T1), rto 4 und vso 38; pParis Louvre E 3234 (P1), rto 6. Die Spuren am rechten Rand passen zur Lesung ns.t tꜣ.wj (s. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 99 [2]). In den beiden Oracular Amuletic Decrees, in denen das Epitheton belegt ist, ist der Bestandteil nb ausgelassen. Insofern passen die Spuren im vorliegenden Fall zur Schreibung des Epithetons.

3 der ihn ⸢ruft⸣ ([___]-⸢ꜥš⸣-n=f): Ein zweites Epitheton folgt dem Namen des Amun. Die erhaltenen Reste zu Beginn von Zeile rto 3 verweisen auf ein Epitheton der Art jyi̯ n ꜥš n=f „Der zu dem kommt, der ihn ruft“, wie es zum Beispiel im Amunsdekret (pKairo CG 58033, Z. 27) belegt ist, s. LGG I, 118b–c; eine weitere Variante des Epithetons bei Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 99 [3].

4 hoher Thron (s.t-wr): „Hoher Thron“ mit Kuhlmann, Thron, 28–32.

5 der die Krone trägt (wṯs ḫꜥ(.w)): Dieses Epitheton (LGG II, 611c–612a) ist nur zwei Mal in den Oracular Amuletic Decrees belegt, und zwar jeweils für Chons im pParis Louvre E 3234 (P1), rto 3 und im pLondon BM EA 10899 (C2), rto 6–7; vgl. LGG II, 611c–612a.

6 Ich (=j): In diesem Text werden die in der Einführung genannten orakelgebenden Götter regelmäßig durch das Suffixpronomen der 1. Person Sg. (G7) repräsentiert, ebenso wie im Text pParis Louvre E 8083 (P2), s. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 99 [6].

7 [Tochter von ?/geboren dem] ([___]): Man erwartet irgendeine Angabe zur Filiation an dieser Stelle, wie zꜣ.t oder msi̯.tn Da der linke Rand des Textes nicht erhalten ist, ist keine konkrete Angabe möglich.

8 Chonsrennu (Ḫns.w-rnnw): Edwards liest diesen Namen, bei dem es sich vermutlich um den des Vaters handeln dürfte, Šdi̯-sw-rnn.wt (RPN I 331.11). Vergleicht man jedoch die erste Zeichengruppe des Names mit der Schreibung des Verbs šdi̯ in Zeile rto 14 sowie mit der Schreibung von Ḫns.w in Zeile 6, so ist eher an Ḫns.w als erstes Element in dem Namen zu denken. Eventuell könnte man an einen Namen Ḫns.w-(n)-rnnw „Chons ist ein Jüngling“ denken (vgl. RPN I 271.2: Ḫns.w-m-rnp und RPN I 222.19 [1]: Bꜣs.tt-rnn). Die Zeichenspuren am rechten Rand vor der Lücke sprechen ebenfalls für diese Lesung: Dort sieht man zwei Striche, die weit über die Zeile gehen und die recht gut zur ausladenden Schreibung des sitzenden Kinds (A17) passen würden, wie es in den Zeilen rto 10, 11 und 12 erhalten ist.

9 Beginn von Zeile 14: Edwards (HPBM 4, Bd. 2, pl. 39A) liest die erste Gruppe in Zeile 14 ḫpr (L1: 𓆣 über D21: 𓂋) schreibt aber in einer Anmerkung (HPBM 4, Bd. 1, 99 [10]), dass die Gruppe eigentlich eher aussieht wie r-f (D21: 𓂋 über I9: 𓆑), dem ich zustimmen würde. Man erwartet am Ende der Einführung der Orakelbesitzerin „meine/unsere Dienerin (bꜣk.t), meinen/unseren Zögling (sḫpr), doch ist der zur Verfügung stehende Platz am Ende von Zeile 13 und zu Beginn von Zeile 14 sehr knapp für beide Bezeichnungen inklusive Possessivartikel. Eventuell war nur eine der beiden Bezeichnungen geschrieben, oder aber mit diesem Satz liegt eine ganz andere, unbekannte Variante vor. Ich denke in erster Linie an eine unbekannte Variante, da ich die Zeichengruppe zu Beginn von Zeile 14 weder mit bꜣk.t noch mit sḫpr in Einklang bringen kann.

10 Wanderdämonen (?) (tmꜣm.w): Da mit dieser Schreibung kein in diesem Kontext sinnvoller Begriff in Verbindung gebracht werden kann, vermutet Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 99–100 [13]) einen Schreibfehler für šmꜣ.y „Wanderdämonen“ (Lemma-ID 881120; LGG VII, 78), vor allem da das folgende Wort vermutlich als ḫꜣ.tjw „Krankheits-/Messerdämonen“ (Lemma-ID 113640; Wb 3, 236.6–7; LGG V, 635–636) aufgefasst werden kann. In den Oracular Amuletic Decrees werden diese krankheitsbringenden Dämonen regelmäßig genannt. Sie werden für gewöhnlich paarweise aufgeführt mit den Messerdämonen an erster Position.

11 Messerdämonen (?) (ḫꜣ.⸮w?): Vermutlich sind hiermit die ḫꜣ.tjw „Krankheits-/Messerdämonen“ (Lemma-ID 113640; Wb 3, 236.6–7; LGG V, 635–636) gemeint, die in den Oracular Amuletic Decrees in vergleichbaren Versprechen häufig genannt sind, allerdings in der Regel in umgekehrter Reihenfolge. Zur Natur der ḫꜣy.tjw-Messerdämonen s. Fischer-Elfert, Magika Hieratika, 194–195; Sass, Slaughterers, Knife-bearers and Plague-bringers.

12 Bei diesem Satz scheint der Schreiber irgendwie durcheinander gekommen zu sein. Die Gesunderhaltungsformel von Fleisch und Skelett ist normalerweise ohne šdi̯ formuliert. Ich gehe davon aus, dass der Schreiber vermutlich zunächst ein anderes Versprechen im Sinn hatte, sich dann aber anders entschieden hat, und emendiere den Satzbeginn entsprechend der Standardversion des Versprechens von Fleisch und Knochen. Edwards hingegen fasst den Satz wörtlich auf und muss ihn an den vorhergehenden Satz anschließen: jw=st šdi̯(.tj) jw=st 〈s〉nb(.tj) 〈m〉 pꜣ[y]=st jw〈f〉 pꜣy=st qs „(...), wobei sie beschützt ist (und) gesund bleibt 〈an〉 ihrem Fleisch (und) ihrem Skelett“. Man könnte sich vorstellen, dass so eine Version entstanden sein könnte, weil der Schreiber möglicherweise das Versprechen zur Gesunderhaltung von Fleisch und Skelett, das oft direkt am Anfang genannt ist, vergessen hat, und dadurch versucht hat, es noch irgendwie in den ersten Satz zu bekommen. Andererseits finden sich auch Texte, die dieses Versprechen an anderer Stelle angeben. Es gehört auf jeden Fall zum Standardrepertoire der Oracular Amuletic Decrees. Kein anderer Text weist eine solche Variante oder auch nur eine ähnliche auf, und der vorliegende Text zeichnet sich generell durch eine große Zahl von Fehlern, Verwechslungen oder Auslassungen aus, daher gehe ich auch an dieser Stelle von einem Fehler des Schreibers aus.

13 Auch hier scheint der Schreiber wieder durcheinander gekommen zu sein, bzw. eine neue Variante geschaffen zu haben.

Ich werde 〈sie〉 essen lassen, um zu leben. Ich werde 〈sie〉 trinken 〈lassen〉, um gesund zu bleiben. Ich werde {sein} 〈ihr〉 Auge [rto 25] sehen lassen. Ich werde {sein} 〈ihr〉 Ohrenpaar hören lassen. Ich werde 〈ihren〉 Mund öffnen, um zu trinken. Ich [werde ihren Mund öffnen, um zu essen].14

[Ich werde (aktiv)] zwischen {ihm} 〈ihr〉 (und) jeder Krankheit (sowie) jedem ḫꜣ.t-Leiden15 stehen. Ich werde 〈sie〉 bewahren vor Kopfschmerzen, vor Schmerzen {deines} des Herzens, vor Schmerzen der Rückenwirbelsäule, vor Leberschmerzen, [rto 35] vor Milz〈schmerzen〉, vor Augenschmerzen, vor [...]schmerzen, vor Zungenschmerzen, (und) vor Rückenschmerzen.

[Ich] werde {ihn} 〈sie〉 vor dem Biss einer (Gift-)⸢Schl⸣ange beschützen, [rto 40] vor dem Stich eines Skorpions, vor dem Biss [vso 1] von einem ⸢Gifttier⸣ (?)16 (und) vor dem ⸢Biss⸣ jeder -Schlange, die beißt17.

14 Im letzten Drittel der Zeile 27 beginnt mit großer Wahrscheinlichkeit bereits der nächste Satz. Zumindest passen die minimalen Zeichenreste dort zu jw=j. Vermutlich hat der Schreiber etwas ausgelassen. Zu Beginn der Zeile passen die Spuren zu wn, im mittleren Teil der Zeile sind die Reste jedoch so unspezifisch, dass sich nicht klären lässt, wie genau der Satz lautet. Die Rekonstruktion stützt sich auf die in den OAD oft bezeugte Standardversion.

15 ḫꜣ.t-Leiden: Auch in diesem Versprechen zeigt der vorliegende Papyrus eine Variante zur Standardversion, die lediglich den Begriff mḥr „Krankheit“ (Lemma-ID 71810; Wb 2, 96.1–5; MedWb 378–382) nennt. Im vorliegenden Papyrus wird diesem Begriff die Bezeichnung ḫꜣ(.t) (Lemma-ID 113480; Wb 3, 224.6–11) zur Seite gestellt. Dieser Begriff wird im medizinischen Wörterbuch als generischer Krankheitsbegriff aufgefasst (MedWb 646–647). Györy sieht darin einen Sammelbegriff, der gefährliche Erkrankungen mit unterschiedlicher, schmerzhafter Symptomatik zusammenfasst, s. Győry, „Pestilence of the year“, 82. Der Klassifikator „Gefangener“ (A13) und der Götterklassifikator (G7) deuten darauf hin, dass hier die Schreibung durch die Orthographie der ḫꜣ.tjw-Krankheitsdämonen beeinflusst sein könnte, s. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 100 [20]. Es ist natürlich auch nicht auszuschließen, dass der Schreiber in der Tat die Dämonen gemeint haben könnte, die er vermutlich bereits in Zeile rto 17 in vergleichbarer Orthographie erwähnt hat. Aufgrund fehlender Parallelen kann hierüber keine präzise Aussage gemacht werden, doch sind die Dämonen zumeist und vor allem in den Oracular Amuletic Decrees als Kollektiv genannt, s. Lucarelli, in: Broekman/Demarée/Kaper, Libyan Period, 236–238, was im hier vorliegenden Fall durch den folgenden Allquantor nb nicht der Fall sein kann.

16 ⸢Gifttier⸣ (?) (⸢⸮ḏd⸣[f?].⸢tw⸣): Die ersten zwei Zeilen auf dem Verso sind nicht sehr gut erhalten. Insbesondere der Anfang der beiden Zeilen ist sehr schlecht erhalten. Im Kontext erwartet man den Begriff ḏdf.t „Gifttier“ (Lemma-ID 186250; Wb 5, 633.6–634.3) und ich denke, dass man die erkennbaren Reste mit einer Schreibung von ḏdf.t zufriedenstellend in Einklang bringen kann, wenn man annimmt, dass sich vor dem gut erkennbaren tw (X1-Z7) Reste der -Schlange (I10) über der Viper (I9) befinden und die in der Mitte zu erwartende Hand (D46) komplett zerstört ist.

17 -Schlange, die beißt (j ⸢pzḥ⸣ ⸮⸢rʾ⸣? nb n.tj (ḥr) ⸢p⸣zḥ): Anders als Edwards (HPBM 4, Bd. 1, 100 [27]; Bd. 2, pl. 40A) sehe ich nicht, dass am Ende von Zeile vso 1 bei der Schreibung für pzḥ noch Platz für den Mann mit der Hand am Mund (A2) ist. Das Zeichen ist hingegen gut mit dem senkrechten Strich zu Beginn von Zeile vso 2 zu identifizieren. Danach folgen mit größter Wahrscheinlichkeit nur zwei Zeichen, bzw. Zeichengruppen, wobei es deutlich ist, dass die Zeichen nicht sehr komplex sind und auch nicht unter die Zeile ragen. Die Reste sind jedoch zu unspezifisch, um konkrete Zeichen identifizieren zu können. Im Kontext erwartet man eine Schreibung für „Mund“ bzw. die -Schlange. In diesem Fall sollte es sich um das Letztere handeln, da als Klassifikator nach den beiden Gruppen deutlich eine Schlange zu sehen ist. Ich möchte hier also aufgrund der Parallelen -Schlange lesen, ohne konkrete Angaben zur Schreibung vor dem Klassifikator machen zu können.

Verso

[vso 3] [...].18 [vso 5] [...Ich werde sie] vor einem [...?...]-⸢wr.t⸣-Geist [bewahren], vor einem Tümpel-⸢wr.t⸣-Geist (und) vor einem Sumpf-⸢wr.t⸣-Geist.

Ich werde sie ⸢schützen⸣ von [vso 10] {seinem} 〈ihrem〉 Kopf bis zu {seinen} 〈ihren〉 beiden Fußsohlen.19

Es haben die großen Götter gesprochen, die Ältesten, ⸢die zuerst entstanden sind⸣. [...], das Kind (?)20.

18 Textverlust: Der Text ist bis auf sehr wenige unleserliche Reste in den Zeilen 3 bis 4 und ein bis zwei Quadrate zu Beginn von Zeile 5 vollständig verloren. Die Schrift ist großflächig abgeplatzt, so dass es keine Chance gibt, den verlorenen Text zu rekonstruieren. Es ist unklar, ob ein oder zwei Sätze verloren sind. Für mehr als zwei Sätze reicht der Platz nicht aus.

19 Auch dieses Versprechen zeigt im Vergleich zu den anderen Oracular Amuletic Decrees eine ungewöhnliche Variante. In der allgemeinen Formel zur Gesunderhaltung des Körpers von Kopf bis Fuß benutzt dieser Schreiber anstelle von snb das Verb šdi̯, s. Edwards, HPBM 4, Bd. 1, 100 [33]. Ähnlich ungewöhnlich hat er bereits in den Zeilen rto 19–20 formuliert, als er den Spruch zur Gesunderhaltung von Fleisch und Knochen durch jw=j (r) šdi̯=st eingeleitet hat. Anders als hier hat er dort das Verb snb nachgeschoben. Vielleicht ist ihm dort sein Fehler aufgefallen und hier nicht?

20 das Kind (?) (pꜣ-ẖrd): Edwards (HPBM 4, Bd. 2, pl. 40A) liest an dieser Stelle pꜣy. Die beiden ersten Zeichen (pꜣ) sind gut erkennbar, doch die folgenden Zeichen sind eindeutig nicht als Doppel-Schilfblatt zu identifizieren. Die Reste der Gruppe passen besser zu einer Lesung ẖrd (A17-G7): Im oberen Bereich des Zeichens sind Teile der Oberfläche abgeplatzt, so dass die Verbindung zwischen den beiden Zeichenresten von A17 unterbrochen ist, auch der zweite Arm ist nicht mehr erhalten (Ich danke Hannes Fischer-Elfert für diesen Hinweis zur Lesung). Es ist allerdings anzumerken, dass das Zeichen im Text in den Zeilen rto 11 und 12 in deutlich anderem Duktus geschrieben ist, allerdings hier im Kontext von Personennamen.
Vor der Gruppe zu Beginn der Zeile ist ebenfalls noch ein Rest von mindestens einem Zeichen zu erkennen, der allerdings nicht zu einer Lesung von Chons passt. Der Gottesname sollte daher in Zeile 13 zu erwarten sein, die jedoch vollständig zerstört ist. Der Anschluss zu Beginn von Zeile 14 bleibt unerklärlich, und in der Einführung der Götter zu Beginn des Textes ist Chons, das Kind, nicht aufgeführt.
Dies spricht eher gegen diese Lesung, doch möglicherweise ist dieser Gott zu Beginn des Textes zu rekonstruieren, da die erste Zeile fast vollständig verloren ist. Die zu Beginn des Textes genannte Göttergruppe findet die beste Überschneidung mit der Gruppe, die im Text pParis Louvre E 3234 (P1) genannt wird. Doch besteht dort die Gruppe lediglich aus fünf Göttern, die im vorliegenden Text bis auf Chons, das Kind, ebenfalls genannt sind. Dazu kommen drei weitere Götter sowie mindestens ein weiterer Gott, der in der ersten Zeile zu rekonstruieren ist. Die dort erhaltenen Zeichenspuren kann ich nicht deuten, doch passen sie nicht zu Ḫns.w-pꜣ-ẖrd, doch ist in der Zeile noch genügend Platz für die Nennung entweder eines Epithetons oder eines weiteren Götternamens.
Edwards (HPBM 4, Bd. 2, pl. 40A) liest am Ende von Zeile 14 ḥnꜥ, doch kann ich keinerlei Spuren von Textresten im weiteren Verlauf von Zeile 14 auf dem Foto erkennen. Nach der sichtbaren Gruppe ist die Oberfläche des Papyrus zunächst noch intakt, nur ganz am Ende der Zeile sind Fasern abgesplittert. Der Verlauf der Absplitterung ist auch auf dem Foto in HPBM 4 (Bd. 2, pl. 40) ganz gut zu erkennen, so dass ich mir nicht erklären kann, worauf Edwards seine Lesung stützt. Ähnliches gilt für die Zeichen, die er zu Beginn der folgenden Zeile 15 erkennen möchte. Auf dem aktuellen Museumsfoto kann ich nach Zeile 14 keinerlei weitere Spuren einer Beschriftung erkennen. So, wie ich es erkennen kann, liegt mit der Gruppe, die Edwards pꜣy liest, das Ende des Textes vor.