wꜣḏ n Sḫm.t „Papyrusamulett der Sachmet“

wꜣḏ n Sḫm.t: Da dieses Kompositum auf Horus bezogen ist, liegt es zunächst nahe, dass der Kopf der Verbindung, das Substantiv wꜣḏ, personifiziert ist. Daher hatten schon Erman/Grapow das Kompositum dem Lemma wꜣḏ: „Spross im Sinne von Sprössling = Sohn“ (Wb 1, 264.5-7; Lemma-ID 43540) zugeordnet, s. die darunter abgelegte Reiterkarte DZA 22.108.150 mit den Belegzetteln. So auch J.-C. Goyon, Sur une formule des rituels de conjuration des dangers de l’année. En marge du papyrus de Brooklyn 47.218.50. II, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 74, 1974, 75–83, hier 76 (mit älterer Literatur), der aber zusätzlich ein „jeu de mots et d’idées“ mit den Substantiven „Papyrus“ (Lemma-ID 43530) und „Papyrusamulett“ (Lemma-ID 43560) vermutet; hierfür verweist er u.a. auf H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Erste Hälfte (ꜣ-r), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.1 (Berlin 1961), 165, wo als Übersetzung dieses Kompositums „der Frische (= Sohn) der Sachmet“ angeboten wird, d.h. im Grunde noch eine weitere Bedeutungsnuance neben dem „Papyrus“ und dem „Papyrusamulett“, mit dem gespielt würde.

An anderer Stelle ist jedoch die Existenz eines eigenen Lemmas wꜣḏ: „Sprössling, Sohn“ generell angezweifelt worden, s. J. Yoyotte, Religion de l’Égypte ancienne, in: Annuaire, École Pratique des Hautes Études: Ve section – sciences religieuses 85, 1977, 193–201, hier 198–199, wo auf Ritualdarstellungen, in denen der König als „sceptre-ouadj de Sekhmet/Ouadjyt“ bezeichnet würde, sowie auf die Bezeichnung von „Horus auf seinem Papyrus“ verwiesen und damit implizit eine Interpretation als Papyrusszepter (d.h. eigentlich Wb 1, 264.1–2) suggeriert wird. Mit Verweis auf Yoyottes Beitrag gibt C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. II. ꜥ-b, Orientalia Lovaniensia Analecta 111 (Leuven 2002), 257c für das fragliche Kompositum die Bedeutung „Das Papyruszepter der Sachmet“ an.

Noch eine andere Nuance findet sich bei N. Flessa, „(Gott) schütze das Fleisch des Pharao“. Untersuchungen zum magischen Handbuch pWien AEG 8426, Corpus papyrorum Raineri 27 (München, Leipzig 2006), 17–21: Er hat in seiner Untersuchung dieses Kompositums die Existenz von wꜣḏ: „Sprössling, Sohn“ zwar nicht generell angezweifelt, wie Yoyotte, stellte aber fest, dass dieses Lemma erst ab der ptolemäischen Zeit belegt sei, wohingegen der älteste Beleg für das Kompositum wꜣḏ-n-Sḫm.t, der ihm bekannt war, aus dem medizinischen pEdwin Smith vom Ende der 2. Zwischenzeit / Anfang des Neuen Reiches stammt und damit lang vor dem Wort „Sprössling“ belegt ist.  (NB: Zwei diskussionsbedürftige frühere Belege, das ramessidenzeitliche oWilson 100, rto 4, und die Osorkon-II.-zeitliche Statue CG 42225 des Neb-netjeru (III), sind nicht völlig sicher und relativieren daher dieses Argument nur unter Einschränkungen.) Außerdem wies er darauf hin, dass das fragliche Wort im Kompositum wꜣḏ-n-Sḫm.t nie mit Personenklassifikator geschrieben ist (auch nicht in ptolemäischer Zeit), sondern immer mit Buchrolle oder Stein. Daher schlägt Flessa vor, wꜣḏ in dieser Verbindung eher als ein Abstraktum oder einen Gegenstand zu verstehen – konkret denkt er an „Grünstein“, d.h. Malachit oder Chrysokoll, oder an ein papyrussäulenartiges (wꜣḏ) Amulett. Für Letzteres führt er einen Beleg aus dem demotischen Mythos vom Sonnenauge an, demzufolge ein solches „Grünsteinamulett aus Fayence“ (wjt n tẖn, d.h. wohl ein papyrussäulenförmiges Amulett) zur Versöhnung bzw. Besänftigung (sḥtp) der Sachmet dient; und als „missing link“ zwischen Horus und dem Grünstein führt er wiederum an, dass Horus schon in den Pyramidentexten als „Herr des Grünsteins“ bezeichnet werden kann. (NB: Sein Beleg PT 662, laut dem Horus als „Grünstein, der aus der Göttin Wadjet hervorkommt“ bezeichnet würde, ist dagegen zu streichen, denn a.a.O. wird konkret der König und nicht der Gott Horus angesprochen.)

In seiner Übersetzung von pWien Aeg 8426 lässt er (S. 32) das Wort wꜣḏ unübersetzt; in dem kurzen (zusätzlichen) Kommentar zur Stelle auf S. 33–34 vermerkt er, dass der Klassifikator des Steins für das Amulett, den grünen Stein sowie eine Bezeichnung der Röhrenperle belegt sei, während die Buchrolle die Bedeutungen „grün sein/frisch sein/gedeihen“, das Epitheton „der Glückliche“ und eine Bezeichnung für rohes Fleisch klassifiziere. „(...) umso erfreulicher (...) für die Interpretation (...)“ des Kompositums hält er a.a.O. 39 den Umstand, dass es in diesem Papyrus in einer Anrufung vorkommt, die laut dem anschließenden Anwendungsvermerk über einem „wꜣḏ-Amulett aus [---]“ rezitiert werden solle. In dieser Formulierung scheint eine leichte persönliche Tendenz Richtung „Amulett“ durchzuschimmern. Eine solche Nuance „Amulett“ würde auch gut in pRamesseum XVII passen, dem nunmehr ältesten Beleg, wo gewünscht wird, dass Horus als „wꜣḏ der Sachmet“ den Leib des zu Schützenden umgeben solle; denn hier scheint es eine vergleichbare semantisch Mehrdeutigkeit zu besitzen und gleichzeitig Götterepitheton (da es sich auf Horus bezieht), Abstraktum (der Schutz, der den Betreffenden umgibt) und Amulettbezeichnung (als physische Realisierung des Schutzes) zu sein.

Dr. Lutz Popko