smj-Milchfett

smj ist eine Flüssigkeit, die in medizinischen Texten von Rindern und einmal, in Eb 642, von „einer (Frau), die einen Knaben geboren hat“, vorkommt. Laut Eb 642 = H 111 entsteht es folgendermaßen: „Milch (...) werde stehen gelassen (...), damit/bis dessen smj entsteht“ (r ḫpr smj jr.j). Außerdem wird sie in diversen Produktlisten geführt: In einer Liste mit Lieferungen für den Tempel erscheint smj in pChester Beatty V, rto 8,11 nach zwei verschiedenen Sorten Olivenöl (bꜣq), frischem ꜥḏ-Fett und vor mrḥ.t-Öl/Fett genannt. In pAnastasi IV, rto 15,10 wird es in einer Liste mit Produkten für den Königsaufenthalt nach Honig, Olivenöl (dort nḥḥ), ꜥḏ-Fett der Gans und vor sfṯ-Öl genannt. In pHarris I, 15a3-9 und 63c,10-64a,1 erscheint es erneut nach Honig, drei Sorten von nḥḥ-Olivenöl, zwei Sorten von ꜥḏ-Fett, und in letzterer Stelle folgt auf smj noch sfṯ-Öl. Vergleichbare Kombinationen nennen noch drei weitere ramessidische Texte, in pTurin Cat. 1888, 1,1 dient es ferner dazu, Lampen auszuschmieren, s. die Zusammenstellung und Diskussion bei Koura, Öle, 199-201. (Im kurzen Flüssigkeiten/Fette-Abschnitt des Onomastikons des Amenemope fehlt sie, wie aber andere Milch-Termini auch. Der entsprechende Abschnitt des Ramesseumsonomastikon ist zu stark zerstört und lässt keine Aussage zu, ob smj oder andere Milchprodukte je genannt waren. Vgl. zu beidem Gardiner, AEO. In ptolemäischen Texten ist smj unbekannt, mdl. Mitteilung S. Caßor-Pfeiffer.)

Brugsch, Wb IV, 1227-1228, der nur das medizinische verwendete smj von pBerlin P 3038, und damit nur dasjenige vom Rind, kannte, vermutete darin eine Bezeichnung für Galle. Stern, in: Ebers, Papyros Ebers, Bd. 2, 39a legt sich apodiktisch, wenn auch sicher durch Eb 642 beeinflusst, auf „flos lactis“, d.h. „Rahm, Sahne“, fest. Dies übernimmt Brugsch dann auch in seinen Nachtragsbänden (konkret: Brugsch, Wb VII, 1059-1060): „Rahm, die fettesten Bestandtheile der Milch, Butter“. Piehl, Dictionnaire du Papyrus Harris no. 1, 80 reduziert dies wiederum auf „beurre“.

In den Bearbeitungen der medizinischen Texte hat sich Sterns „Sahne, Rahm“ lang gehalten, so pars pro toto bei Ebbell, Papyrus Ebers, 39: „fresh cream“. Dagegen wendet sich DrogWb, 439: „Aber Sahne aus Frauenmilch hergestellt ist schwer vorstellbar. Es handelt sich wohl eher um eine durch stehenlassen dick gewordene Milch.“ Dementsprechend schlägt es die Bedeutung „Dickmilch“ vor (d.h. eine Art der Sauermilch). Bestätigung hierin findet DrogWb im Rezept H 111, der Parallele von Eb 642, wo dem smj noch Salz zugegeben werden soll, „das den Gerinnungsvorgang beschleunigt“. Auch Guglielmi, in: LÄ V, 1984, 494, s.v. „Sauermilch“ lehnt die Bedeutungen „Sahne“ und „crème“ ab und sieht in smj, vergleichbar zum Drogenwörterbuch, das ägyptische Wort für „Sauermilch“. Die Zugabe von Salz, wie in H 111, bewirke ihr zufolge, dass „quantitativ mehr Eiweiß und Fett aus der Milch ausgeflockt werde“. Černý, Valley of the Kings, 45 mit Anm. 7 [non vidi, s. Grandet, Papyrus Harris I, Bd. 2, 81, Anm. 293] vermutet aufgrund der Verwendungsweise von smj darin eher das Wort für Butter, womit er Piehls alten Vorschlag wieder aufgreift. Diesem Vorschlag folgt auch Grandet, a.a.O., der diese Übersetzung aber immerhin mit Fragezeichen versieht (vgl. Bd. 1, S. 243). Koura, a.a.O. vergleicht das Wort mit hebräisch und akkadisch šmn und arabisch سمن (samn; so schon Brugsch, Wb VII), was sie als „gesalzene verdunstete Butter“ wiedergibt. Sie gibt aber zu bedenken, dass die Quellenlage keine Auskunft darüber erlaubt, ob die Ägypter sprachlich und sachlich überhaupt zwischen verschiedenen fetthaltigen Milchprodukten unterschieden. Zumindest Butter im heutigen (deutschen) Wortsinn ist allerdings auszuschließen, denn diese entsteht unter Zerschlagen des Rahms, dem Buttern, wohingegen laut Eb 642 smj allein dadurch entsteht, dass Milch stehengelassen wird. Jean/Loyrette, La mère, l’enfant et le lait, 156-157 übersetzen in ihrer Besprechung von Eb 642 smj konkret mit „surnageat“, einem biologischen Terminus technicus. Dabei handele es sich nicht einfach nur um Sauermilch, sondern um die unregelmäßigen Inselchen von leicht bläulich schimmernder Milchhaut, die sich auf der Milch bildet und abgeschöpft werden kann, „une forme intermédiaire de demi-vie courte d’un produit humain“. Ob aber die Ebers-Stelle wirklich eine derart präzise und semantisch eingeschränkte Übersetzung des Begriffes zulässt, ist fraglich. Es scheint wohl eher angebracht, mit Koura an ein allgemeineres „Milchfett“ zu denken.

Im Schlangenpapyrus, Brk § 72b, wird smjw schließlich einmal mit dem Tierfell statt dem Gefäß klassifiziert, s. Sauneron, Ophiologie, 98 (Sauneron folgt den Vorschlägen von DrobWb und LÄ und übersetzt „lait caillé“). Westendorf, Handbuch Medizin, 264, Anm. 370 überlegt, ob bei dieser Schreibung die Vorstellung „sauer“ eine Rolle gespielt haben könnte, da er dḥr: „Leder“ mit „Gerbsäure“ in Verbindung bringt und aufgrund dessen in der dḥr.t-Krankheit eine „Säure-Krankheit“ vermutet (a.a.O., 694, Anm. 521). Jedoch liegt es entgegen der Annahme einer derart komplexen Assoziationskette wohl viel näher anzunehmen, dass sich der Schreiber aufgrund des Wortes mjw: „Kater“ schlicht verschrieben habe.

 

Literatur:

– H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Bd. IV (Leipzig 1868).
– H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung und Folge den Wortschatz der Heiligen-und der Volks-Sprache und-Schrift der alten Ägypter. Nebst Erklärung der einzelnen Stämme und der davon abgeleiteten Formen unter Hinweis auf ihre Verwandtschaft mit den entsprechenden Wörtern des koptischen und der semitischen Idiome. Bd. VII (Leipzig 1882).
– J. Černý, The Valley of the Kings. Fragments d’un manuscrit inachevé, Bibliothèque d’étude 61 (Le Caire 1973).
– B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document (Copenhagen, London 1937).
– A.H. Gardiner, Ancient Egyptian Onomastica (Oxford 1947).
– P. Grandet, Le Papyrus Harris I (BM 9999), Bibliothèque d’étude 109 (Le Caire 1994).
– H. Grapow, H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959).
– W. Guglielmi, Sauermilch, in: W. Helck – W. Westendorf (Hrsg.), Lexikon der Ägyptologie. Bd. V. Pyramidenbau-Steingefäße (Wiesbaden 1984), 494-495.
– R.-A. Jean, A.-M. Loyrette, La mère, l’enfant et le lait en Egypte ancienne. Traditions médico-religieuses. Une étude de sénologie égyptienne (textes médicaux des papyrus Ramesseum nos III et IV), Collection KUBABA, Série Antiquité (Paris 2010).
– K. Piehl, Dictionnaire du Papyrus Harris no. 1, publié par S. Birch, d’après l’original du British Museum (Vienne 1882).
– S. Sauneron, Un traité égyptien d’ophiologie. Papyrus du Brooklyn Museum No. 47.218.48 et .85, Bibliothèque générale 11 (Le Caire 1989).
– L. Stern, Glossarium, in: G. Ebers (Hrsg.), Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzeneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schrift. Vol. 2 (Leipzig 1875), 1-63.
– W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I.36 (Leiden 1999).

Dr. Lutz Popko