jdg-Tuch
jdg: Dass es ein Kleidungsstück ist, ergibt sich aus dem Klassifikator, der Schnur mit den Enden nach oben, und den verschiedenen Kontexten: Im pHarris I erscheint es in Aufzählungen von Kleidungsstücken; es ist oft aus šmꜥ nfr: „gutem dünnen Leinen“ gefertigt, und im Liebeslied oCairo CG 25218 + oDeM 1266 scheint es Teil des „Leinenzeugs“ (?; ꜥ sšr?) zu sein, das der Wäscher vom bꜣq-Öl reinigt. Der Umstand, dass es oft aus „gutem dünnen Leinen“ ist, sowie mehrere Abrechnungen zeigen, dass es ein relativ teures Stoffstück war, vgl. J. J. Janssen, Commodity Prices from the Ramessid Period. An Economic Study of the Village of Necropolis Workmen at Thebes (Leiden 1975), 282–284.
W. Spiegelberg, Eine neue Sammlung von Liebesliedern, in: Anon. (Hrsg.), Aegyptiaca. Festschrift für Georg Ebers zum 1. März 1897 (Leipzig 1897), 117–121, hier 121, Anm. VIII und G. Jéquier, Matériaux pour servir à l’établissement d’un dictionnaire d’archéologie égyptienne, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 19, 1922, 1–271, hier 54 leiten es von dgꜣ: „bedecken“ ab; Spiegelberg verweist zudem auf koptisch ⲧⲱϭ und schreibt zum Kairener Liebeslied: „Da das natürliche und künstliche Haar stets von Salben [der Salbkegel, L.P.] triefte, so musste dieses Tuch gewiss oft zu dem Wäscher wandern.“ Auf S. 119 übersetzt Spiegelberg das Wort vorsichtig (kursiv gesetzt!) mit „Kopftuch“. Diese Bedeutung übernimmt W.M. Müller, Die Liebespoesie der alten Ägypter (Leipzig 1899), 43 (darauf bezieht sich sein „Gut Sp[iegelberg].“ in der zugehörigen Anm. 15, vgl. S. 41). J. J. Janssen, A Twentieth-Dynasty Account Papyrus (Pap. Turin No. Cat. 1907/8), in: Journal of Egyptian Archaeology 52, 1966, 81–94, hier 85, Anm. j wiederum verweist auf Müller und „can think of no better explanation of this passage“. Kopftücher tragen aber nur auf der einen Seite die Königin und Göttinnen, wenn sie als Klagefrauen auftreten, und auf der anderen Seite Dienerinnen (vgl. Chr. Müller, LÄ III, 1980, 693–694, s.v. „Kopftuch“), die sich aber sicherlich kein Tuch aus „gutem dünnen Leinen“ leisten konnten. Daher stellt sich die Frage, ob man jdg in dem Kairener Liebeslied und/oder in pTurin CGT 54051 wirklich mit „Kopftuch“ übersetzen kann. Borghouts übersetzt in pTurin CGT 54051 nur mit „bands“, Roccati mit „vesti“ und Koleva-Ivanov mit „vêtements“. An der Übersetzung „Kopftuch“ zweifelt auch E. Edel, GAD.TÙGmak-la-lu gleich 𓇋𓀁𓂧𓎼𓄿𓋳 jdg, etwa „Mantel, Umhang“, in: E. Akurgal, et al. (Hrsg.), Hittite and other Anatolian and Near Eastern Studies in Honour of Sedat Alp, Anadolu Medeniyetlerini Araştırma ve Tanıtma Vakfı yayınları 1 (Ankara 1992), 127–135, hier 127–135, obwohl er im Prinzip den Erklärungs- und Etymologisierungsvorschlägen von Müller (d.h. Spiegelberg) und Jéquier folgt. Denn in RAD 25,4–5 (Diskussion bei Edel, ebd.) wird ein jdg nḏs genannt, und ein „kleines Kopftuch“ ergibt als Kleidungsstück wenig Sinn. Das jdg taucht oft zusammen mit mss.t, der Tunika, auf, und zwar immer in dieser Reihenfolge jdg + mss.t. Da sie in diesen Nennungen stets in derselben Qualität und oft in derselben Menge genannt sind, vermutet Edel darin zueinander passende Kleidungsstücke; und da er die Reihenfolge „oben – unten“ voraussetzt und das jdg daher etwas sein muss, was man über oder oberhalb des mss.t trägt, erwägt er darin einen Mantel oder Umhang. Das jdg nḏs wäre dann vielleicht ein „kurzer Mantel“. (NB: In der Reihenfolge jdg mss.t möchte er das Äquivalent zum keilschriftlichen GAD.TÚGma-ak-lalu GADTÚG.GÚ.È der babylonischen Kleiderlisten Ramses’ II. sehen.)
In pTurin CGT 54051 Verso 5,14 wird allerdings, wenn auch in unklarem Zusammenhang, ein jdg der Göttin Anat genannt, deren Ikonographie sich nicht durch Mäntel oder Umhänge auszeichnet, sondern umgekehrt gerade durch partielle oder gänzliche Nacktheit. Immerhin gibt es Darstellungen, in denen sie einen freien Oberkörper, aber einen Rock o.ä. trägt. Zur Kleidung der Anat vgl. I. Cornelius, The Many Faces of the Goddess. The Iconography of the Syro-Palestinian Goddesses Anat, Astarte, Qedeshet, and Asherah c. 1500-1000 BCE, Orbis Biblicus et Orientalis 204 (Freiburg (Schweiz), Göttingen 2004), spez. 74–75. Sollte man also vielleicht gerade umgekehrt zu Edel bei jdg mss.t die Reihenfolge „unten – oben“ ansetzen können? Dann wäre jdg u.U. ein Tuch, das man zu einem Rock oder Schurz formen könnte (oder je nach Größe auch zu einem Mantel), und die mss.t eine Tunika, die man über dem Rock/Schurz trägt – dass mss(.t) generell eine Tunika oder ein Hemd bezeichnet, dürfte außer Frage stehen, man vgl. nur die Umschreibung für „Panzerhemden“ durch mss-n-ꜥḥꜣ in Texten Thutmosis’ III. und Amenhoteps II. Auch die Stelle im Kairener Liebeslied spricht nicht gegen eine Übertragung von jdg mit „Tuch“. Denn nach dem Turiner Baumgartenlied (pTurin Cat. 1966), Zeile 1,3 sind [die Liebenden(?)] trunken vor Wein und befeuchtet/eingetaucht in bꜣq-Öl (s. die Übersetzung im TLA), so dass prinzipiell auch andere Kleidungsstücke als nur ein Kopftuch oder eine Perücke von diesem Öl gereinigt werden mussten.
Dr. Lutz Popko