ẖr/ẖt-Teile (?)

ẖr: Nur in den medizinischen Texten und dort nur in Mitteln gegen Würmer genannt (außer Eb 99, wo es in einem Mittel gegen ꜥꜣꜥ gebraucht wird). Es ist mit Euter mit Schwanz (Gardiner Sign-list F32) über einem r (?) (s. im Folgenden) geschrieben und nur mit dem Ersatzstrich klassifiziert, was auf einen ursprünglich schwierig zu schreibenden Klassifikator hindeuten mag. Die Droge ist als Teil der Seyal-Akazie (ꜥr.w), der Schirmakazie (ksb.t), der Dorn-/Nilakazie (šnḏ.t) und des bislang nicht identifizierten bḫb-Baumes genannt.

Zur Lesung

Wreszinski liest das Zeichen unter F32 noch als t (W. Wreszinski, Der Papyrus Ebers. Umschrift, Übersetzung und Kommentar, Die Medizin der alten Ägypter 3 (Leipzig 1913), 16 und passim; W. Wreszinski, Der grosse medizinische Papyrus des Berliner Museums (Pap. Berlin 3038). In Facsimile und Umschrift mit Übersetzung, Kommentar und Glossar, Die Medizin der alten Ägypter 1 (Leipzig 1909), 1 und 131). Auch Stern hatte wohl noch t gelesen: Er gibt die Verbindung in Eb 99 = pEbers 24,15 als χert wieder, d.h. ẖrt, s. L. Stern, Glossarium, in: G. Ebers (Hrsg.), Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzeneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schrift. Vol. 2 (Leipzig 1875), 1–63, hier 46a, s.v. šénṭet, d.h. šnḏ.t, und 62b, s.v. χert. Stern interpretierte dieses Wort demzufolge als Schreibvariante eben dieses Drogennamens χert, der heute sd.w (H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 469) gelesen wird, auch wenn er die abweichende Schreibung dort nicht notiert. Dass Stern drei Konsonanten ansetzt, nämlich χ, r und t, wird im Falle des hier diskutierten Wortes daran liegen, dass Gardiner F32, das Euter mit Schwanz, im 19. Jh. mitunter als Zweikonsonantenzeichen für (scil.: heutiges) ẖr angesehen wurde; vgl. andeutungsweise schon H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Bd. III (Leipzig 1868), 1120 und explizit, wenn auch zeitlich erst nach Sterns Glossar, H. Brugsch, Über den Lautwerth des Zeichens 𓆞 χr, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 19, 1881, 25–41, hier 40 und H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung und Folge den Wortschatz der heiligen- und der Volks-Sprache und -Schrift der alten Ägypter. Nebst deren Erklärung der einzelnen Stämme und der davon abgeleiteten Formen unter Hinweis auf ihre Verwandtschaft mit den entsprechenden Wörtern des Koptischen und der semitischen Idiome. Bd. VI (Leipzig 1881), 959. Das bedeutet, dass Stern das Euter mit Schwanz als ẖr verstanden hat und das Zeichen darunter, wie später Wreszinski, als t. Auch auf DZA 28.248.030 (= Bln 5) findet sich noch die Option, t zu lesen. Insgesamt hat Wb sich aber dann für die Lesung r, also insgesamt ẖr, entschieden, s. Wb 3, 385.13 und H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 415, die seitdem üblich ist. Das Hieratische des pEbers lässt beide Lesungen zu, ẖr und ẖt. Das Hieratische des pBerlin P 3038 ist nicht ganz eindeutig. In Bln 5 = Zeile 1,4 (W. Wreszinski, Der grosse medizinische Papyrus des Berliner Museums (Pap. Berlin 3038). In Facsimile und Umschrift mit Übersetzung, Kommentar und Glossar, Die Medizin der alten Ägypter 1 (Leipzig 1909), Taf. 1) steht es direkt neben ẖ.t: „Körper, Leib, Bauch“, und dort hat man den Eindruck, als unterscheide sich die Schreibung, denn während das eindeutige t von ẖ.t: „Körper“ einen Abstrich nach unten hat, fehlt der Drogenbezeichnung dieser Abstrich, so dass man denken könnte, es sind wirklich zwei verschiedene Zeichen; allerdings sieht die Zeichenform des eindeutigen ẖ.t: „Körper“ in Kol. 14,1 und 14,4 (Wreszinski, a.a.O., Taf. 14) der Schreibung des Drogennamens sehr ähnlich. Sollte man doch ẖr lesen müssen, ist die Schreibung zumindest hervorhebenswert, weil Wörter mit dieser Konsonantenfolge meist mit dem Zweikonsonantenzeichen ẖr geschrieben werden.

Zur Bedeutung

- Stern, der eben χert las und darin eine Graphie für das heutige sd.w sah, erwog „fibra arboris?“. Das dürfte allein aus dem Klassifikator von sd.w geraten sein, sofern er sich nicht von demotisch ḫrṱ (W. Erichsen, Demotisches Glossar (Kopenhagen 1954), 367) hat inspirieren lassen, das H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Bd. III (Leipzig 1868), 1132 mit derselben Transkription χert und der Übersetzung „fascia“ nennt. Diese Lesung und Bedeutung übernimmt auch H. Joachim, Papyros Ebers. Das älteste Buch über Heilkunde (Berlin 1890), 125 zumindest für Eb 99; die anderen vier Stellen, Eb 54, 57, 59, 72, übersetzt er unkommentiert mit „das Innere“ (S. 11, 12, 15).

– H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung und Folge den Wortschatz der heiligen- und der Volks-Sprache und -Schrift der alten Ägypter. Nebst deren Erklärung der einzelnen Stämme und der davon abgeleiteten Formen unter Hinweis auf ihre Verwandtschaft mit den entsprechenden Wörtern des Koptischen und der semitischen Idiome. Bd. VI (Leipzig 1881), 964 nennt zwar Sterns Vorschlag „fibra arboris“, verbindet das Wort aber eher mit ẖrd: ‚Sprössling (einer jungen Pflanze)‘, also eigentlich dem Wort ẖrd: „Kind“.

- Die Wb-Transkription ẖr findet sich dann in den nachfolgenden Bearbeitungen ab B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document (Copenhagen, London 1937), 36 und passim, ohne dass ein Vorschlag zur Bedeutung gemacht werden konnte.

- Falls man zur Lesung ẖt oder ẖ.t zurückkehrt, ließe sich diskutieren, ob ein Zusammenhang mit dem Wort ẖ.tj von Wb 3, 359.7 besteht. Dieses ist mit einer Schnur klassifiziert und in Tb 155 und 156 als Teil der Sykomore (nh.t) erwähnt. Es ist etwas, woran man ein Amulett hängen kann und dieses Gebilde kann um den Hals einer Person gehängt werden. Wb vermutet daher „Bast“ – diese Bedeutung erinnert an Sterns Vermutung „fibra arboris“, wenn auch sicherlich nur rein zufällig. W. Helck, Materialien zur Wirtschaftsgeschichte des Neuen Reiches (Teil V). III. Eigentum und Besitz an verschiedenen Dingen des täglichen Lebens. Kapitel AI - AL: Einzelbetrachtungen von Lebensmitteln und Materialien, Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Mainz): Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse 1964.4 (Mainz, Wiesbaden 1965), 309 (917) verweist auch noch auf Matten aus ẖt auf oKairo CG 25619, Vso. 3. J. J. Janssen, Commodity Prices from the Ramessid Period. An Economic Study of the Village of Necropolis Workmen at Thebes (Leiden 1975), 140 vermutet in diesem letzterem ẖt, für das er weitere Stellen im Zusammenhang mit Körben nennt, keine Materialangabe, sondern eine besondere Herstellungsart – v.a. weil es einmal als Qualität eines dꜣj.w-Gewandes genannt wird, es aber in Ägypten keine Gewänder aus „bark“ gäbe (wobei dieses Argument leicht missverständlich formuliert ist, weil Wb nicht die Rinde, sondern nur deren Bast vorschlägt, aber auch daraus wird in Ägypten keine Kleidung angefertigt; zu einigen wenigen denkbaren Bastfasern in Textilien s. G. Vogelsang-Eastwood, Textiles, in: P. T. Nicholson – I. Shaw (Hrsg.), Ancient Egyptian Materials and Technology (Cambridge 2000), 268–298, hier 269). Janssen, a.a.O., Anm. 47 hält es aber für denkbar, dass eine Erwähnung von ẖ.t (mit Holzklassifikator) in oMichaelides 6 (= oLA County Museum M.80.203.190), Verso 4 (H. Goedicke – E.F. Wente, Ostraka Michaelides (Wiesbaden 1962), Taf. 57) diesem ẖ.tj des Wb entspreche, zumal es dort einem Eintrag von nh(.t) folgt. Aber er hält es auch für möglich, dass hier eine „abbreviated form“ des ẖr der medizinischen Texte vorliegen könnte, stellt also einen möglichen Zusammenhang zwischen beiden Lemmata her.

- Unter der Prämisse, ẖt oder ẖ.t zu lesen, gibt es noch eine weitere Möglichkeit: In den Jahreszeitenreliefs des Niuserre findet sich eine Sumpfpflanze abgebildet, die ẖt überschrieben ist, s. E. Edel, Zu den Inschriften auf den Jahreszeitenreliefs der „Weltkammer“ aus dem Sonnenheiligtum des Niuserre. [I. Teil], Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen: Philologisch-Historische Klasse 1961 (1961), Abb. 13 und S. 252–253. Eine Identifizierung der Pflanze schlägt Edel nicht vor; auffällig ist jedoch die Form der Pflanze: Lange, senkrechte Stiele, auf deren gesamter Länge und dicht an dicht Blätter nach links und rechts abstehen. Sollte die Identifizierung der drei Bäume, die in den medizinischen Texten ẖr/ẖt-Teile besitzen, als Akazienarten korrekt sein, ist es verführerisch, deren Fiederblätter mit der Sumpfpflanze des Jahreszeitenreliefs zu vergleichen und in dem ẖt/ẖ.t der medizinischen Texte eben eine Bezeichnung für diese Art Blatt zu sehen; d.h. die Sumpfpflanze wäre dann sozusagen die „Fiederblättrige“. Gegenargument gegen eine solche Deutung wäre, dass in Eb 99 neben dem ẖt/ẖ.t der Dornakazie und der Seyal-Akazie auch ḏrḏ-Blätter verwendet werden sollen. Das könnte man u.U. damit erklären, dass ḏrḏ vielleicht konkret die einzelnen Blättchen meinte und ẖt/ẖ.t eben das Fiederblatt als Ganzes, aber dennoch würde die separate Nennung der einzelnen Blättchen verwundern, da sie doch eigentlich in der Nennung der Fiederblätter mit eingeschlossen wären.

Dr. Lutz Popko