qꜣb-mꜣꜥ „gerader Darm“
qꜣb-mꜣꜥ: Nur in Eb 191 und dem Parallelrezept Eb 194 genannt. L. Stern, Glossarium, in: G. Ebers (Hrsg.), Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzeneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schrift. Vol. 2 (Leipzig 1875), 1–63, hier 21b vermutet hier einen Beleg von mꜣꜥ in der Bedeutung „offen sein, sich zeigen u.ä.“ („patere, patefacere, praebere, efficere“); vgl. zu dieser angenommenen Grundbedeutung von mꜣꜥ: „richtig sein, richtig machen“ H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Bd. II (Leipzig 1868), 574. Ob Stern hier wirklich an einen „offenen Darm“ dachte, ist mangels einer Übersetzung unklar.
Die von Brugsch übernommene Grundbedeutung ist inzwischen obsolet, die Grundbedeutung von mꜣꜥ ist eher „wahr sein, richtig sein“ (Wb-Vormanuskript, Blatt 7440). G. Takács, Etymological Dictionary of Egyptian. Vol. 3. m-, Handbuch der Orientalistik I.48.3 (Leiden 2008), 46 meint die „original idea“ der Wortfamilie mꜣꜥ durch „to (be) direct(ed) in the right direction“ zusammenfassen zu können. Von der Grundbedeutung „richtig, wahr“ ausgehend, übersetzen H. Joachim, Papyros Ebers. Das älteste Buch über Heilkunde (Berlin 1890), 41 („wirkliche[r] Darmkanal“) und B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document (Copenhagen, London 1937), 48 („the real intestine (rectum?)“). Ebbels Präzisierung auf „rectum“ geht vielleicht auf Wb 5, 9.18 zurück, wo qꜣb-mꜣꜥ apodiktisch mit „Mastdarm (rectum)“ übersetzt ist – ob dies wiederum auf dieselbe Grundbedeutung „richtiger Darm“ zurückgeht (vgl. H. Grapow, Anatomie und Physiologie, Grundriß der Medizin der alten Ägypter I (Berlin 1954), 80) oder auf die Idee, hier den „geraden Darm“ zu haben (so H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Zweite Hälfte (h–ḏ), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.2 (Berlin 1962), 877; dies würde dem intestinum rectum entsprechen), ist unklar. Ähnlich verkürzt sind dann G. Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne de l’époque pharaonique (Paris 1956), 129 („rectum“) sowie H. von Deines – H. Grapow – W. Westendorf, Übersetzung der medizinischen Texte, Grundriß der Medizin der alten Ägypter IV.1 (Berlin 1958), 89, W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I.36 (Leiden 1999), 579 und S. Radestock, Prinzipien der ägyptischen Medizin. Medizinische Lehrtexte der Papyri Ebers und Smith. Eine wissenschaftstheoretische Annäherung, Wahrnehmungen und Spuren Altägyptens 4 (Würzburg 2015), 139 (jeweils „Mastdarm“). T. Bardinet, Les papyrus médicaux de l’Égypte pharaonique, Penser le médecine (Paris 1995), 277 scheint das Wort übergangen zu haben, denn er übersetzt nur „les intestines“. Wenn man mit J.H. Walker, Studies in Ancient Egyptian Anatomical Terminology, Australian Centre for Egyptology. Studies 4 (Warminster 1996), 221–245 annimmt, dass pḥ.wyt das Rektum ist, kann qꜣb-mꜣꜥ allerdings nicht dasselbe meinen, weil Eb 191 = 194 dann tautologisch wäre. Walker selbst diskutiert dieses Rezept nicht. Etwas anders ist die Übersetzung von B. Lalanne – G. Métra, Le texte médical du Papyrus Ebers. Transcription hiéroglyphique, translittération, traduction, glossaire et index, Langues et cultures anciennes 28 (Bruxelles 2017), 79, die in mꜣꜥ einen Einschub sehen: „dans les intestines, en vérité, jusqu’à l’anus“. Als Einschub wirkt mꜣꜥ etwas unmotiviert, es fragt sich aber tatsächlich, ob es wirklich ein Attribut zu qꜣb sein muss. Sollte es ein Stativ sein, etwa von „führen“, der parallel zu hꜣi̯.y zu interpretieren ist: „hinabgestiegen zum Darm und geführt zum Rektum“? Dies würde auch den Wechsel der Präposition erklären: r pḥ.wyt in Eb 191, n pḥ.wyt in Eb 194, denn mꜣꜥ kann beide Präpositionen nach sich ziehen. Als Gegenargument müsste man allerdings geltend machen, dass mꜣꜥ: „führen, leiten“ sonst in den medizinischen Texten nicht belegt ist, außer höchstens in der ganz unsicheren Stelle Eb 873d.
Dr. Lutz Popko