Sockel der Heilstatue Chicago OIM 9379

Metadaten

Wissensbereiche
Aufbewahrungsort
Nordamerika » U.S.A. » (Städte A-Ch) » Chicago (IL) » Oriental Institute Museum

Inventarnummer: OIM 9379

Erwerbsgeschichte

„Presented by Art Inst[itute of Chicago] Oct. 16, 1917 (acc[essioned] May 1894)” (van de Walle 1972, 67, Anm. 4).

Herkunft
(unbekannt)
Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Spätzeit » 30. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Griechisch-Römische Zeit » Hellenistische Zeit » Argeaden ("Makedonierzeit")

Die Datierung basiert auf der Orthographie der Inschriften in Kombination mit ihrem Inhalt, die man auf Heilstatuen wie der des Djedher, des Anchhapi und der Statue Tyszkiewicz oder auf der Metternichstele antrifft (van de Walle 1972, 70). Zumindest die Heilstatue des Djedher datiert aus der Zeit von Philippus Arrhidaeus, die Metternichstele und die Heilstatue des Anchhapi aus der Zeit von Nektanebos II. Van de Walle 1972, 70 entscheidet sich für eine Datierung „des environs de la XXXe dynastie.“ Sternberg-el Hotabi 1999, II, 101 spricht von der „Frühen Hochphase“, d.h. die Zeit ca. 380 bis ca. 280 v. Chr.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Erhalten sind vier verschiedene magische Sprüche.

Der Text auf der Oberseite des Sockels ist bislang in vier Textzeugen überliefert und beschwört Gift. Es soll nicht gegen Horus oder einen menschlichen Patienten ausgestoßen werden. Des Weiteren wird die Hitze des Gifts aus dem Körper vertrieben, denn die Menschen holen Überschwemmungswasser, um das Herz des Patienten zu erquicken und zu beleben.

Der Text auf der Rückseite des Sockels findet sich normalerweise auf dem linken Arm der Heilstatuen und ist in mindestens sieben Textzeugen überliefert. Zunächst werden der Unterarm und die Finger der Ich-Person (d.h. des Magiers) mit denen von Gottheiten gleichgesetzt. Der Rest des Textes ist jedoch unklar. Das Gift des Re wird genannt und es soll auf den Boden ausfließen.

Der Text auf der linken Längsseite des Sockels hat vielleicht auf der Vorderseite angefangen. Ein Gott mit großer Macht wird angerufen. Er hat Macht über seine Feinde und gibt den verklärten Toten Lebenszeit. Er möge entsprechend das Gift im Patienten niederstrecken.

Auch der Text auf der rechten Längsseite des Sockels hat vielleicht auf der Vorderseite angefangen. Nach der Anfangslücke wird gesagt, dass Gift entstanden ist, weil Horus mit einer anderen Frau als seiner Ehefrau geschlafen hat, was für Aufruhr in seinem Haus und im Herzen seiner Frau sorgte. Nach einer weiteren Lücke wird Horus (?) aufgefordert, das Gift im Patienten niederzuwerfen, so dass Freude in das Haus des Gottes zurückkehre und Hathor (Ursprung des Giftes?) nicht länger wütend sei. Auch Bitjet, die Frau des Horus und vielleicht eine Hypostase der Hathor, werde dann wieder fröhlich.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Anzunehmen ist, dass diese ehemals recht große Statue in einem Tempel oder einer Kapelle aufgestellt war, wie es für die wenigen Horusstelen und Heilstatuen dieser Zeit, deren Herkunft bekannt ist, der Fall ist (Sternberg-el Hotabi 1999, Bd. I, 116). Sie standen auf einer Steinbasis mit einer Vertiefung, die als Wasserbehälter funktionierte. Diese Vorrichtung sowie manche Texte illustrieren, dass Wasser über die magischen Inschriften gegossen wurde, welches anschließend von dem Patienten, der von einem Skorpion gestochen oder einer Schlange gebissen worden war, getrunken, auf die Wunde aufgetragen oder ihm anderswie verabreicht wurde. Auch das Berühren der Statue konnte schon helfen (Kákosy 1999, 15–16).

Material
Nicht Organisch » Stein » Basalt
Objekttyp
Artefakt » Skulptur » Statue / Figur
Technische Daten

Sockel einer Standstatue, von dem nur die Füße teilweise erhalten sind. Der Sockel ist 10,1 cm hoch, 21,7 cm breit und aktuell noch 39,4 cm lang/tief. Die Höhe des Objekts inklusive Sockel und Füßen beträgt 16,5 cm. Die Vorderseite des Sockels ist weggebrochen. Nimmt man die Länge des hinteren Fußes, um den vorderen zu vervollständigen, ist die ursprüngliche Länge/Tiefe des Sockels auf 46 bis 49 cm zu rekonstruieren. Die Position der Füße sowie des nur noch ansatzweise zu erahnenden Stegs und des Rückenpfeilers hinter dem vorgestellten linken Bein ähneln dem Socle Béhague, der eine vollständig erhaltene Länge von 32,2 cm hat. Für den Socle Béhague wird eine Statue rekonstruiert, die ursprünglich mit einem Schendjit-Lendenschurz bekleidet war, eine Horusstele vor der Brust hielt (Klasens 1952, 2) und eine geschätzte Höhe von 81 cm erreichte (Altenmüller 1965, 11). Die Länge des hinteren Fußes des Sockels von Chicago beträgt in etwa 19 cm (nach einem Foto geschätzt), was bei einem Proportionskanon von 21,5 Quadraten eine rekonstruierte Höhe der Statue von ca. 1 m ergeben würde.

Hieroglyphische Inschriften sind auf der Oberseite des Sockels, auf den beiden Seitenflächen und auf der Rückseite erhalten. Es handelt sich um vier verschiedenen Texte; die der beiden Seitenflächen fingen vielleicht in der Mitte der verlorenen Vorderseite an.

Schrift
Hieroglyphen

Van de Walle (1972, 70) beschreibt die Epigraphik als „d’une grande correction. Les signes bien calibrés sont gravés dans le creux et sont groupés avec élégance en lignes ou en colonnes”.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch

Die Bezeichnung des Patienten als ẖr.j-dm.t und nicht als n.tj-ẖr-dm.t spricht vielleicht für eine relativ frühe Abfassungszeit der Sprüche, vor der Ramessidenzeit. Der Name der Horusfrau Bitjet ist auch als Tabitjet überliefert, vielleicht mit dem vorangestellten Artikel, der daher auf die Zeit des Neuägyptischen hinweisen könnte. Typische Orthographien der späten Phase der ägyptischen Kultur in den Texten des Sockels besagen nichts über die Abfassungszeit der Sprüche.

Bearbeitungsgeschichte

Herausgegeben durch Baudouin van de Walle im Jahr 1972 mit Photos, hieroglyphischer Umschrift, Übersetzung und Kommentar. Der Spruch mit der Horusfrau Tabitjet hat später noch das Interesse von Ritner (1998) und Rouffet (2019) geweckt.

Editionen

- van de Walle 1972: B. van de Walle, Une base de statue-guérisseuse avec une nouvelle mention de la déesse-scorpion Ta-Bithet, in: Journal of Near Eastern Studies 31, 1972, 67–82.

Literatur zu den Metadaten

- Altenmüller 1965: H. Altenmüller, Der „Socle Béhague“ und ein Statuentorso in Wien, in: Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden te Leiden 46, 1965, 10–33 und Taf. 2–3.

- Gutekunst 1995: W. Gutekunst, Textgeschichtliche Studien zum Verjüngungsspruch (Text B) auf Horusstelen und Heilstatuen (Trier 1995), 368.

- Kákosy 1999: L. Kákosy, Egyptian Healing Statues in Three Museums in Italy (Turin, Florence, Naples), Catalogo del Museo Egizio di Torino. Serie prima. Monumenti e testi 9 (Torino 1999).

- Klasens 1952: A. Klasens, A Magical Statue Base (Socle Behague) in the Museum of Antiquities at Leiden, Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 33 (Leiden 1952).

- Ritner 1998: R. K. Ritner, The Wives of Horus and the Philinna Papyrus (PGM XX), in: W. Clarysse – A. Schoors – H. Willems (Hrsg.), Egyptian Religion. The last thousand years. Part II. Studies Dedicated to the Memory of Jan Quaegebeur, Orientalia Lovaniensia Analecta 85 (Leuven 1998), 1027–1041, hier: 1039.

- Rouffet 2019: F. Rouffet, Recherches sur la déesse Tabitchet, in: M. Brose e.a. (Hrsg.), En détail – Philologie und Archäologie im Diskurs. Festschrift für Hans-Werner Fischer-Elfert 2, Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde. Beihefte 72 (2) (Berlin/Boston 2019), 1021–1039, hier: 1023 und 1034, Doc 5.

- Sternberg-el Hotabi 1999: H. Sternberg-el Hotabi, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen. Ein Beitrag zur Religionsgeschichte Ägyptens im 1. Jahrtausend v. Chr. Band II, Ägyptologische Abhandlungen 62 (Wiesbaden 1999), 100–101.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

 

Autoren
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Oberseite

Kühles Wasser für das Herz des Patienten

[oben, 1] [... ... ...] [Das Gift wird nicht gegen] Horus [ejakulieren/sich ergießen].
Das Gift wird nicht gegen den Patienten (wörtl.: einen mit einem (Schlangen)biss/(Skorpion)stich) ejakulieren/sich ergießen.
Nicht existieren die Knochen dessen, der ohne weichen (?) Knochen (?) ist.
Aufgerichtet wurde (?) der Wirbel (?) des Stachels (?), der voll mit Feuer ist.
Das Gift wird nicht gegen Horus ejakulieren/sich ergießen. Das Gift wird nicht gegen einen Patienten (wörtl.: einen mit einem (Schlangen)biss/(Skorpion)stich) ejakulieren/sich ergießen. Das Gift wird nicht ejakulieren/sich ergießen gegen [jene Menschen mit ihren Zaubersprüchen, die von/dank] ihrer [Magie leben], die auf den Uferbänken des Himmels sitzen, die die Überschwemmung aus seiner Höhle herausziehen, die [den großen Nun] holen, [um die Seienden und die Nicht]seienden [zu beleben].
Sie ziehen die Überschwemmung aus ihrer Höhle, (und) sie holen den [großen] Nun, [um das Herz dieses Mannes hier zu beleben, um sein jb-Herz auf seinen Platz und sein ḥꜣ.tj-Herz an seiner richtigen Stelle zu erheben, um] das Gift in seinem Körper zu löschen, um dessen Hitze zu kühlen, (um) dessen Flamme aus jedem Körperteil dieses Mannes zu vertreiben mit dem kühlen Wasser, das aus den beiden Doppelquelllöchern hervorgekommen ist.

Rückseite

Der Unterarm des Heh, die Finger des Re

[hinten, 1] Worte zu sprechen:
Mein Unterarm ist (der des Gottes) Heh, meine Finger sind (die des) Re.
(Wenn) die Flamme zur Höhle hinausgeht (oder: gegen die Höhle vorgeht),
wovon denn werden die Götter leben?
Siehe dein Haus! (oder: Geschützt ist dein Haus.)
Das Dach ist aus Gold, deine Höhle ist aus schönem Türkis1.
(Oh) Gift des Re und (Gift) dieses Mannes (?), das (?) in seinem Körper (?) ist (?): Los! Auf den Boden!

1 mfkꜣ,t nfr(.t): Im DZA findet sich kein Beleg für das Adjektiv nfr bei Türkis, nur mfkꜣ.t mꜣꜥ.t „echtes Türkis“ und mfkꜣ.t mꜣw(.t) / n-mꜣwt „neues Türkis“.

Linke Seite

Anrufung an einen vor Gift schützenden Gott

[links, 1] [(Oh Gott so und so1) ... ... ... der Furcht verbreitet (?)] im Haus, Angst2 im Bücherhaus; der groß in seiner Art inmitten der Götter ist; ein Herr der Kraft, tapfer/stark in der Nachtbarke; der das, was gering ist, zahlreich macht, und der das, was zahlreich ist, gering macht; der tut, was er möchte, ohne dass er zurückgewiesen wird; dessen Kultbild/Uräus (?) an der Spitze der Neunheit ist, um [... ... ...
... ... ...], der Macht über alle seine Feinde hat – er tötet sie nach seinem Belieben –; der Lebenszeit gibt der Menschheit3 und den Totengeistern; dessen Arm/Einfluss nicht abgewehrt werden kann.
Komme doch, damit du Macht über die Rebellen hast, damit du das/dieses böse Gift niederwirfst, das in jedem {Erscheinen}〈Glied〉 des Patienten (wörtl.: der unter einem Biss/Stich ist) ist.

1 Der Name des Gottes, der angerufen wird, ist nicht erhalten, aber van de Walle, 77 und 79, vermutet, dass es Horus-imi-schenut ist, weil mehrere Epitheta unseres Textes identisch sind mit oder Varianten zu Epitheta des Horus-imi-schenut auf Papyrus Leiden I 347.

2 pr snḏ: van de Walle, 79 mit Anm. (a) übersetzt „la maison de la crainte“. Er verweist auf eine Stelle in pLeiden I 347 (Kol. 3.4), wo nb snḏ m pr-mḏꜣ.t als Epitheton steht.

3 Statt des Wortes „Menschheit“ könnten die Hieroglyphen auch als ꜣḫ.w„Ach-Geister“ gelesen werden, aber es ist eher wahrscheinlich, dass sich das Epitheton auf die Lebenden und die Toten bezieht.

Rechte Seite

Beseitigung von Gift und Besänftigung der Horusfrau Bitjet

[rechts, 1] [... ... ...], was (?) dieses Gift gegen dich gemacht hat.
Siehe, es (das Gift) hat zu (oder: in Anwesenheit von) deiner Frau gesagt: „Ich bin zum Bett des Horus hinausgegangen, nachdem sein Herz nach mir mehr als nach dir verlangt hat.“
Sie hat einen Aufruhr in dein Haus gesetzt. (Es war) etwas Böses nach Meinung (oder: für das Herz) deiner Ehefrau.
Komme doch mit deiner Macht (?) in/als/über [... ... ...]1
[Mögest du vertreiben (o.ä.) dieses Gift, das in] jedem [Glied] des Patienten (wörtl.: der einen Biss/Stich hat) ist. Mögest du es (das Gift) niederwerfen, mögest du es zurückweisen, mögest du es spalten/öffnen/abführen2 wegen allem, was sie über dich gesagt hat. Möge (wieder) Jubel in deinem Haus entstehen, möge das Herz der Hathor sich freuen (oder: Freude gehört Hathor). Dass doch aufhöre ihre Wut, die gegen dich entstanden ist! Möge das Gift deiner Bosheit (?)3 sterben. Möge froh sein das Herz der Bitjet, der Goldenen, der Herrin, der Frau des Horus.

1 Rouffet 2019, 1023 hat zwei (!) Imperative: „Ne viens donc pas et n’ai de pouvoir sur aucun [...]“.

2
pḫꜣ: Ist belegt als ein Verb in der Behandlung von Kranken und kranken Körperteilen. Für die Bedeutung „abführen“ siehe H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII, 1–2 (Berlin 1961–1962), 283.

3 Ritner 1998, 1039 hat: „May the poison of the one who made your suffering die“.