Papyrus Ramesseum XVI

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Papyrus London BM EA 10769 Papyrus Ramesseum 16 TM 380889
Aufbewahrungsort
Europa » Großbritannien » (Städte K-N) » London » British Museum

Inventarnummer: BM EA 10769

Erwerbsgeschichte

Der Papyrus wurde 1896 bei den von der British School of Archaeology in Egypt finanzierten und von W. M. Flinders Petrie und J. E. Quibell durchgeführten Grabungen im Ramesseum gefunden. 1956 wurde er zusammen mit einem größeren Konvolut der Ramesseumspapyri von der British School of Archaeology in Egypt und von A. H. Gardiner, dem die Bearbeitung übertragen worden war, an das British Museum in London gestiftet (ausführlich zur Erwerbungs- und Bearbeitungsgeschichte siehe u.a. Leach 2006, 225–227; Gardiner 1955, 1–6).

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer » Ramesseum

Der Papyrus wurde von J. E. Quibell im Jahre 1896 innerhalb des Ramesseums am Fuße eines bereits geplünderten Grabschachts gefunden (Quibell – Spiegelberg 1898, 3–4, Taf. 1–3; Parkinson 1991, XI–XIII, XXVI–XXVIII; Parkinson 2009, 139–140). Dieser Grabschacht gehört zu einer Nekropole aus der Zeit des Mittleren Reiches bis zum Anfang der 18. Dynastie (Leblanc 2005, 33–34; Nelson 2006, 115–117, 127; Parkinson 2009, 139–140), die in der 19. Dynastie durch den Totentempel („Millionenjahrhaus“) Ramses’ II. überbaut wurde. Der Schacht, in dem die Papyri gefunden wurden, liegt laut Quibell unter einem der Ziegelmagazine an der Nord-West-Ecke des Ramesseums (Parkinson 2009, 139–140), unter Magazin 5 auf dem Plan von Quibell (Quibell – Spiegelberg 1898, Taf. 1), nach heutiger Zählung STI.SA.08. Eine exakte Lokalisierung innerhalb dieses Magazins ist bislang nicht gelungen, da der Fundort auf dem Plan von Quibell nicht eindeutig verzeichnet ist und mehrere Schächte in Betracht kommen (eine vergebliche Suche bei Nelson 2006). Laut einer neu entdeckten Notiz von Newberry aus dem Jahr 1938, der bei der Auffindung der Papyri zugegen war, befand sich der Schacht im beschrifteten Korridor des Grabes des Sehetepibre (Porter – Moss 1964, 679), der unter den Magazinräumen 5–7 des Ramesseums nach dem Plan von Quibell läuft (Downing – Parkinson 2016), nach heutiger Zählung unter STI.TR bis STI.SA.08. Sollte dies zutreffen (Newberry widerspricht dezidiert Quibell [Quibell – Spiegelberg 1898, 3], der den Papyrus-Schacht nicht mit diesem Grab verbindet), kann der Schacht oder sein Inhalt schwer zum ursprünglichen Grab des Sehetepibre gehört haben, denn letzteres wird früher datiert als das Papyruskonvolut, d.h. der Priester (ḥm-nṯr) Sehetepibre kann nicht der ursprüngliche Eigentümer der Ramesseumspapyri gewesen sein (Downing – Parkinson 2016, 40–41). Eine neue archäologische Untersuchung des Grabes des Sehetepibre wäre erforderlich, um Klarheit zu bekommen.
Der Papyrus befand sich zusammen mit 23 weiteren Papyri und einem Bündel Schilfrohr in einer Holzkiste (Auflistung der Papyri bei Parkinson 2009, 151–153, Tab. 6.1) auf dem Boden des Schachtes. Die Papyri enthalten medizinische, medico-magische und magische Texte, aber auch literarische Texte (z.B. Beredter Bauer und Sinuhe), liturgische Texte (z.B. Dramatischer Ramesseumspapyrus und Sobek-Hymnus) sowie administrative Texte wie die Semna-Dispatches. Heute ist dieses Papyruskonvolut auf das British Museum in London und das Ägyptische Museum und Papyrussammlung in Berlin verteilt. Das Schilfrohrbündel, bei dem es sich um Rohmaterial für Schreiberbinsen handelt, wird im Manchester Museum aufbewahrt (Inv.-Nr. 1882). Der Verbleib des Holzkastens, der mit weißem Stuck überzogen und mit der Zeichnung eines Schakals dekoriert war (Quibell – Spiegelberg 1898, 1898, 3), ist unbekannt (z.B. Leach 2006, 225, Anm. 2). Hermann 1957, 113, Anm. 1 erwähnt eine Nachricht von Anthony J. Arkell, dem damaligen „honorary curator“ der Petrie Collection, dass dieser Kasten vermutlich mit den anderen Objekten von Flinders Petrie in der Sammlung des University College London liegen könnte: Flinders Petrie hatte im Jahr 1913 seine Sammlung dem University College London verkauft (Petrie Museum, 03.07.2020), und nachdem sie im 2. Weltkrieg ausgelagert worden war, widmete sich Arkell Anfang der 1950er Jahre dem Auspacken, Katalogisieren und Ausstellen der Objekte (s. Smith 1981, 146). Die Sammlung war daher Hermann noch nicht zugänglich (s. Hermann, a.a.O.) und die Verifizierung dieser Vermutung steht noch aus.
Weiterhin wurden verschiedene magische Gegenstände im Schacht gefunden. Ein Überblick der Fundsituation findet sich bei Geisen 2018, 2–7; eine Auflistung der von Quibell genannten Objekte mit ihren modernen Inventarnummern findet sich ferner auch schon bei Parkinson 1991, XII–XIII und Kemp – Merrillees 1980, 166.

Datierung
(Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Zweite Zwischenzeit » 13. Dynastie

Die Datierung des Papyrus basiert zum einen auf der Einordnung des archäologischen Fundkontextes, zum anderen auf text- bzw. konvolutinteren Überlegungen. Die Nekropole, in der das Konvolut gefunden wurde, kann in das Mittlere Reich und die frühe Zweite Zwischenzeit datiert werden (Leblanc 2005, 33–34; Nelson 2006, 115–116; Parkinson 2009, 71). Über die im Grabschacht gefundenen Objekte ist keine chronologische Eingrenzung möglich, da viele dieser Gegenstände in Bestattungen des späten Mittleren Reiches gut belegt sind, teils sogar bis in die frühe 18. Dynastie fortlaufen (Parkinson 2009, 143–145). Laut Geisen 2018, 7, 10–15 würden Streufunde in der Umgebung sowie die Grabfunde selbst in Kombination mit Informationen aus den Papyri für eine Datierung der Bestattung in die mittlere 13. Dynastie sprechen.
Die Papyri selbst sind unterschiedlichen Alters und erstrecken sich paläographisch (hieratisch) über einen Zeitraum von etwa einem Jahrhundert (Gardiner 1955, 1–2; Parkinson 2009, 149). Einen Terminus post quem für die Zusammenstellung des Konvoluts gibt der Papyrus Ramesseum VI (Sobek-Hymnus) mit der Nennung Amenemhets III. (12. Dynastie, ca. 1818–1773 v. Chr.) sowie das Onomastikon Papyrus Ramesseum D, das ein mit dem Namen Sesostris’ III. (ca. 1837–1818 v. Chr.) gebildetes Toponym aufweist. Die älteste Gruppe bilden mit R. B. Parkinson die kursiv-hieroglyphischen Texte aus der späten 12. Dynastie, zu denen bspw. Papyrus Ramesseum V gehört (Parkinson 2009, 149). Die jüngsten Texte gehören in die späte 13. Dynastie (bis ca. 1630 v. Chr.), da sie dem mathematischen Papyrus Rhind und dem Papyrus Boulaq 18 paläographisch aufgrund der runden Formen und stärkeren Verwendung von Ligaturen nahestehen, und Papyrus Ramesseum XVI ist vielleicht sogar der jüngste Vertreter dieser Gruppe (Parkinson 2009, 150 und 152). Gardiner 1955, 16 sieht hierin sogar Zeichenformen „characteristic of the Hyksos period and particularly conspicuous in the famous Carnarvon Tablet No. 1“, dessen Recto eine Kopie der 1. Kamose-Stele enthält. Damit könnte dieser Papyrus sogar ans Ende der 2. Zwischenzeit datieren und wäre ungefähr zeitgleich mit den großen medizinischen Handschriften pEbers, Edwin Smith und Hearst. Ganz so weit geht Parkinson allerdings nicht: Laut ihm sind die Handschriften dieser dritten Gruppe von Ramesseumspapyri älter als der mathematische Papyrus Rhind, der auf der Rückseite ein Datum aus dem 33. Regierungsjahr des vorletzten Hyksoskönigs Apopi enthält. Meyrat 2019, 107 mit Anm. 565 ist sogar noch zurückhaltender und weist auf vergleichbare Zeichenformen schon in Papyri aus Il-Lahun hin. Daher verortet er den Duktus von pRamesseum XVI in die 13. Dynastie. Aus inhaltlichen Gründen ist er aber zumindest jünger als Papyrus Ramesseum X. Denn Papyrus Ramesseum XVI enthält eine Parallele zu einem der Sprüche von Papyrus Ramesseum X, und Meyrat 2019, 83 geht davon aus, dass die Version von Papyrus Ramesseum X die ältere von beiden ist.

Textsorte
Inhalt

Papyrus Ramesseum XVI enthält auf der Vorderseite eine Sammlung magischer Sprüche. Einige wenige Fragmente vom Anfang enthalten auch Text auf der Rückseite, die zu stark zerstört sind, um ihren Inhalt zu erfassen; die wenigen Reste lassen jedoch ebenfalls magische Sprüche vermuten:
Der Beginn der Vorderseite ist zu stark zerstört, um die Ausrichtung der ersten Sprüche sicher zu bestimmen. In Fragment 5, Zeile x+4 fällt jedoch mit der „Beliebtheit“ ein wichtiges Stichwort, so dass man vermuten darf, hier einen oder mehrere Sprüche zum Erwerb von Gunst und Beliebtheit vorliegen zu haben, wie auch später im Papyrus. Sollte der Vorschlag von J. F. Quack, in Zeile 1,1 das Wort „Demagoge“ o.ä. zu lesen, korrekt sein, könnten auch noch konkreter Sprüche gegen Konkurrenten vorgelegen haben, wie sie sich auch auf Papyrus Ramesseum VIII finden. In diese Richtung deutet auch der Spruch in Kolumne 6–7, in dem vom „(Gegen-)Redner“ gesprochen wird, also einem Antagonisten des Betroffenen.
In Kolumne 8 wechselt der Text zunächst zum Subgenre der Sprüche gegen Schlangen. Eine Textparallele zu Papyrus Ramesseum X ermöglicht die Rekonstruktion des ersten Spruches dieses Inhalts. Es folgen weitere Sprüche gegen Schlangen, in denen diverse göttliche Entitäten teilweise angerufen werden (der Sohn der Uto), teilweise identifiziert sich der Sprechende mit ihnen (Ini-a-ef; Geb; Horus, der Vorderste von Leontopolis; der Falkengesichtige; Horus, das Kind; Anubis; Sopdu), teilweise werden sie als dämonische Widersacher beschworen (Seth; Djudju, d.h. Apophis). Einige Namen erscheinen sicherlich in positiven Kontexten (der Gott von Hefat (?); die blutrot gebärende Frau, d.h. wohl Isis oder Nephthys; Mafdet; Mehet-weret; Isis; Re; Atum) sind aber zu stark zerstört, um das konkrete Verhältnis zum Betroffenen oder zum Magier festzustellen.
In Kolumne 11 findet sich eine Parallele zu einem Pyramidentextspruch, der sich gegen Schlangen und (scil.: giftige) Hundertfüßer richtet. In Kolumne 13 steht ein Spruch gegen Schlangen und Skorpione, in dem die mitunter gefährliche srf.t-Hautentzündung genannt ist – möglichweise wurden Schlangen und Skorpione als Verursacher, oder zumindest als ein möglicher Verursacher, dieses Leidens gesehen.
An die Sprüche gegen Schlangen und andere giftige Tiere schließen sich in Kolumne 15 einige Sprüche gegen schlechte Träume an, wobei in den ersten von ihnen auch die Schwachsichtigkeit, also ein Augenleiden, eingebunden ist – für die Erhellung des genauen Zusammenhangs bedürfte es jedoch weiterer Untersuchungen. In Kolumne 21f. schließt sich ein Spruch gegen ein allgemeineres „Übel“ an, das sich im Gesicht des Betroffenen manifestiert. Doch auch dieses gehört wohl in den Kontext der Sprüche gegen schlechte Träume, denn in Zeile 23,1 ist noch der Satzrest(?) „in der Nacht vor ihnen fürchten“ erhalten (wohl als negativer Wunsch zu rekonstruieren, nämlich „Ich mich in dieser Nacht [nicht] vor ihnen fürchten.“). Mit „ihnen“ sind sicher die (dämonischen) Verursacher dieses Übels gemeint.
An diesen Spruch schließen sich in den Kolumnen 24–26 wenigstens zwei Sprüche zum Erwerb von Beliebtheit an, die ggf. der thematische Bogen zum Anfang des Textes bilden. Möglicherweise gehört auch der letzte Spruch der Vorderseite diesem Themenkreis an, wenn die Ergänzung der Wortreste am Ende von Zeile 26,6 zum Wort „Beliebtheit“ korrekt ist und man ihm Gewicht beimessen kann. Erneut identifiziert sich der Betroffene darin mit einigen Göttern, um dadurch, wie sie, unantastbar zu werden.
Die wenigen Satzreste auf der Rückseite sind, wie erwähnt, zu gering, um Aufschluss über den Inhalt zu geben. Die in Verso 2,a, Zeile x+5 „ab-/eingesperrte Wut“ dürfte diejenige des Seth sein. Angesichts der Texte auf der Vorderseite ist man verführt, hierin auch in einer zweiten Instanz das Wüten eines Gegners des Betroffenen zu sehen, aber das könnte eine Überinterpretation der Satzfetzen sein. Auf Fragment 4 ist jedenfalls noch der Biss eines Basenji-Hundes erwähnt, so dass auch mit Sprüchen gegen eher „profane“ Probleme zu rechnen ist.
Unter redaktionsgeschichtlichem Aspekt ist anmerkenswert, dass die Beschriftung des Rückseitentextes nicht unmittelbar auf diejenige des Vorderseitentextes erfolgte. Denn zum einen besteht die letzte Kolumne der Vorderseite aus nur zwei Zeilen, von denen die zweite nicht einmal vollgeschrieben war. Darunter und dahinter ist noch etwas Freiraum. Der Schreiber des Vorderseitentextes hatte demzufolge das Gefühl, mit Kolumne 29 am Ende seines Textes angekommen zu sein. Zum anderen steht der Text auf der Rückseite hinter den ersten Kolumnen der Vorderseite und nicht hinter den letzten; zudem steht er gegenüber der Vorderseite auf dem Kopf. Das heißt, dass der Schreiber nicht am Ende der Vorderseite angekommen war und die Rolle gewendet hätte, um den Rest auf er Rückseite zu schreiben. In einem solchen Fall hätte er die Rolle nämlich eher über die vertikale Achse gewendet, so dass der Beginn des Versotextes auf der Rückseite der letzten Kolumnen gestanden und dieselbe Ausrichtung wie diese gehabt hätte. Stattdessen muss er die Rolle nach Beschriftung der Vorderseite zusammengerollt haben; und erst danach hat er oder ein anderer Schreiber mit einer sehr ähnlichen Handschrift die Rolle noch einmal etwas aufgerollt und Text auf die Rückseite geschrieben.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Der Fundzusammenhang und die Herkunft aus einem gesicherten archäologischen Kontext erlauben eine detailliertere Betrachtung. Der Papyrus war Bestandteil eines Konvoluts von 24 Papyri und befand sich zusammen mit einem Bündel von 118 Schilfrohren (Schreibbinsen) von je ca. 40 cm Länge in einem Holzkasten. Auf diesem Kasten war das Zeichen eines Schakales zu erkennen, das als Schreibung für den Priestertitel ḥr.j-sštꜣ „Hüter des Geheimnisses“ gelesen werden kann. Es ist daher anzunehmen, dass der Besitzer ein Priester war (Parkinson 2009, 141; Parkinson 1991). Unter den weiteren im Grabschacht gefundenen Objekten befanden sich ein aus einem Kupfergemisch gefertigter Schlangenstab, der mit menschlichen Haaren umwickelt ist (Fitzwilliam Museum, Cambridge, E.63.1896), die Elfenbeinfigur eines Zwerges, der ein Kalb trägt (University of Pennsylvania, Museum of Archaeology and Anthropology, E.13405), sowie diverse magische Objekte im Manchester-Museum (Fayencefigur eines nackten Mädchens (Inv.-Nr. 1787), eine aus Elfenbein gefertigte Klapper (Inv.-Nr. 1796), eine Fayencefigur in Gestalt eines Pavians (Inv.-Nr. 1835) sowie ein Djed-Pfeiler-Amulett (Inv.-Nr. 1838) (Parkinson 2009, 141–145)). Diese Utensilien stellen nach A. H. Gardiner „the professional outfit of a magician and medical practitioner“ (Gardiner 1955, 1) dar. Dazu passt, dass die Mehrheit der Papyri (15 der 24 Papyri) medizinische, medico-magische oder magische Inhalte aufweisen. Der Inhaber war demnach vermutlich ein Arzt und Magier, der auch Priesterfunktionen innehatte, oder umgekehrt ein Priester, der auch als Magier und Arzt agierte (Gnirs 2009, 128–156; Morenz 1996, 144–146; Geisen 2018, 15–29, Meyrat 2019, 196–199).
Das differierende Alter der Papyri und die verschiedenen Arten von Texten (medizinisch/magisch, literarisch, liturgisch, administrativ) lassen vermuten, dass die Papyri über mehrere Generationen gesammelt und vererbt wurden, bis der letzte Eigentümer sie als Grabbeigabe erhielt (Parkinson 2009, 149). Die administrativen Angaben auf dem Verso von Papyrus Ramesseum III und Papyrus Ramesseum IV zeigen, dass eine sekundäre wirtschaftliche Nutzung dieser medizinischen Papyri vorliegt, was wiederum nahelegt, dass die Papyri – zumindest in Teilen – aus verschiedenen Quellen zusammengetragen wurden und die Identifizierung des letzten Inhabers als Arzt daher nicht zwingend notwendig ist.
Konkret für den Papyrus Ramesseum XVI ist auf das vereinzelte rote Zeichen im Interkolumnium vor Kolumne 19 hinzuweisen, dass hier als Schreibung für nfr: „Gut!“ gedeutet wird. Bei einer solchen Lesung ist es zu den nfr-Markierungen der medizinischen Ramesseumspapyri und v.a. des Papyrus Ebers zu stellen, die nach der Communis opinio das damit markierte Rezept (in pRamesseum XVI dann analog: den damit markierten Spruch) als besonders wirksam kennzeichnen. Das Zeichen wäre damit ein Hinweis auf eine wenigstens einmalige Nutzung des Papyrus als Vorlage für ein magisches Textamulett.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schriftrolle
Technische Daten

Der Papyrus ist, wie auch die anderen Ramesseumspapyri, aufgrund der Lagerung in der feuchten Umgebung des Grabschachts in einem schlechten und fragmentarischen Zustand (Leach 2006, 227). Laut Gardiner 1955, 15 wurde der Papyrus in Form einer zusammenhängenden Rolle gefunden, was sicherlich nicht auf die ersten Kolumnen zutrifft, von denen nur kleinere Fragmente erhalten sind. Von der Gestalt der Zerstörung ausgehend, war diese Rolle aller Wahrscheinlichkeit nach so aufgerollt, dass das Ende des Recto-Textes innen lag. Die Fragmente der ersten Kolumnen werden vermutlich zum Zeitpunkt der Auffindung nur lose auf der Rolle aufgelegen haben. Abgesehen von einigen kleineren Fragmenten vom Rollenanfang ist über die gesamte Länge der obere Seitenrand erhalten; der untere dagegen nirgends. Die vollständigeren Kolumnen enthalten acht, die Kolumnen 12, 13, 16, 18 und 19 sogar marginale Reste einer neunten Zeile. Vermutlich haben die Kolumnen nicht mehr als neun Zeilen enthalten. Damit ist es wahrscheinlich, dass der Papyrus ursprünglich ein Halbformat hatte; Parkinson 2009, 153 schätzt die ursprüngliche Höhe auf ungefähr 13 cm; erhalten sind davon noch 11–12 (Parkinson, a.a.O., Gardiner 1955, 15).

Schrift
Hieratisch

Der Text ist in waagerechten Zeilen geschrieben; wie im Hieratischen üblich, von rechts nach links. Zwischen Kolumne 7 und 8 sowie zwischen 21 und 22 finden sich zudem zwei kurze senkrechte Schriftblöcke. Auffällig beim ersten ist, dass der Spruchwechsel innerhalb des senkrechten Blocks stattfindet, nicht etwa mit oder hinter ihm. Der Layoutwechsel ist also nicht durch einen Wechsel der Quelle bedingt. Zwischen Kolumne 20 und 21 steht zudem eine vereinzelte senkrechte Zeile.
Farblich ist der Text schwarz gehalten; die Nachschrift der einzelnen Sprüche ist fast immer – aber nicht ausschließlich – rot geschrieben. Nur an einer Stelle kann mit Sicherheit auch ein rubrizierter Spruchbeginn ausgemacht werden, nämlich am Ende des erwähnten senkrechten Blocks zwischen Kolumne 7 und 8. In den ersten Kolumnen ist zudem drei Mal eine rote Pause- bzw. Textabschnittsendmarkierung erhalten (Zeilen 4,1, 11,4 und 12,3).

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch

Die erhaltenen Satzkonstruktionen sprechen für Mittelägyptisch.

Bearbeitungsgeschichte

Die Bearbeitung der Papyri sollte zunächst durch F. Ll. Griffith erfolgen, wurde dann aber an P. Newberry übergeben, der erste konservatorische Maßnahmen durchführte und erste Abschriften anfertigte (Gardiner 1955, 2; Leach 2006, 226). Auf Vermittlung A. H. Gardiners wurde die Restaurierung dann an H. Ibscher (Ägyptisches Museum und Papyrussammlung Berlin) übertragen. H. Ibscher nahm nach Abschluss seiner Arbeiten die Anordnung der Papyri in Glasrahmen vor, wie sie heute noch vorliegt. Da P. Newberry kein weiteres Interesse an der philologischen Bearbeitung hatte, gingen die Papyri schließlich in den Privatbesitz von A. H. Gardiner über, den W. M. Flinders Petrie als geeignet für die Veröffentlichung ansah. A. H. Gardiner schreibt dazu: „realizing, that the cost of conservation and publication would be considerable, Petrie himself suggested that if I acquitted myself of both obligations, I could regard the papyri as my own and dispose of them as I thought best“ (Gardiner 1955, 2). Um die aufwendigen Konservierungsmaßnahmen bezahlen zu können, verkaufte A. H. Gardiner 1910 das Onomastikon Papyrus Ramesseum D aus dem Konvolut an das Berliner Ägyptische Museum. Den Papyrus Ramesseum A, der die Geschichte des Beredten Bauern und den Sinuhe enthält, hatte A. H. Gardiner bereits 1906 dem Berliner Ägyptischen Museum überlassen – unter der Bedingung, dass das Museum die Kosten für die Publikation tragen würde (Leach 2006, 226). Im Jahr 1955 legte A. H. Gardiner eine Edition der Ramesseumspapyri in Fotografie und tlw. in hieroglyphischer Transliteration vor, wobei allerdings viele der kleineren Fragmente unberücksichtigt blieben. Auch verzichtete er auf eine hieroglyphische Transliteration der Papyri Ramesseum I–V, da diese von J. W. B. Barns bearbeitet wurden. Dessen hieroglyphische Umsetzung und ausführliche Kommentierung dieses Teils des Konvoluts wurde 1956 publiziert (Barns 1956).
Während die medizinischen Papyri Ramesseum III–V mehrfach übersetzt wurden, blieben die „magischen“ Papyri, darunter auch Papyrus Ramesseum XVI, relativ unbeachtet. Gardiner 1955, 15–16 bespricht ihn nur kurz zusammen mit den anderen Ramesseumspapyri und liefert eine Übersetzung von lediglich vier vereinzelten Sätzen. Eine Gesamtbearbeitung der magischen Papyri, auch von Ramesseum XVI, legte Meyrat 2019, spez. 107–161, 276–278, 344–375, vor. Altenmüller 1979 liefert eine synoptische Übersetzung und Besprechung des Spruches von Kolumne 8.

Editionen

- Altenmüller 1979: H. Altenmüller, Ein Zauberspruch zum „Schutz des Leibes“, in: Göttinger Miszellen 33, 1979, 7–12.

- Gardiner 1955: A. H. Gardiner, The Ramesseum Papyri (Oxford 1955), 15–16, Taf. 48–61.

- Meyrat 2019: P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 107–161, 276–278, 344–375.

Literatur zu den Metadaten

- Barns 1956: J. W. B. Barns, Five Ramesseum Papyri (Oxford 1956).

- Downing – Parkinson 2016: M. Downing – R. B. Parkinson, The Tomb of the Ramesseum Papyri in the Newberry Papers, The Griffith Institute Oxford, in: British Museum Studies in Ancient Egypt and Sudan 23, 2016, 35–45.

- Geisen 2018: C. Geisen, A Commemoration Ritual for Senwosret I. P. BM EA 10610.1-5/P. Ramesseum B (Ramesseum Dramatic Papyrus), Yale Egyptological Studies 11 (New Haven, CT 2018).

- Gnirs 2009: A. M. Gnirs, Nilpferdstoßzähne und Schlangenstäbe. Zu den magischen Geräten des so genannten Ramesseumsfundes, in: D. Kessler, et al. (Hrsg.), Texte – Theben – Tonfragmente. Festschrift für Günter Burkard, Ägypten und Altes Testament 76 (Wiesbaden 2009), 128–156.

- Hermann 1957: A. Hermann, Buchillustrationen auf ägyptischen Bücherkästen, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo 15, 1957, 112–119.

- Kemp – Merrillees 1980: B. J. Kemp – R. S. Merrillees, Minoan Pottery in Second Millennium Egypt, Sonderschrift, Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Kairo 7 (Mainz 1980).

- Leach 2006: B. Leach, A Conservation History of the Ramesseum Papyri, in: Journal of Egyptian Archaeology 92, 2006, 225–240.

- Leblanc 2005: C. Leblanc, Recherches et travaux réalisés au Ramesseum durant la mission d’octobre 2004 à janvier 2005, in: Memnonia 16, 2005, 19–45.

- Morenz 1996: L. D. Morenz, Beiträge zur Schriftlichkeitskultur im Mittleren Reich und in der 2. Zwischenzeit, Ägypten und Altes Testament 29 (Wiesbaden 1996).

- Nelson 2006: M. Nelson, La tombe d’une nourrice royale du début de la XVIIIème dynastie découverte au Ramesseum. Concession funéraire STI.Sa05/pu01, in: Memnonia 17, 2006, 115–129.

- Parkinson 1991: R. B. Parkinson, The Tale of the Eloquent Peasant (Oxford 1991).

- Parkinson 2009: R. B. Parkinson, Reading Ancient Egyptian Poetry. Among Other Histories (Chichester, Malden, MA 2009).

- Porter – Moss 1964: B. Porter – R. L. B. Moss, Topographical Bibliography of Ancient Egyptian Hieroglyphic Texts, Reliefs, and Paintings. Vol. I. The Theban Necropolis. Part 2: Royal Tombs and Smaller Cemeteries (Oxford 1964).

- Quibell – Spiegelberg 1898: J. E. Quibell – W. Spiegelberg, The Ramesseum, British School of Archaeology in Egypt and Egyptian Research Account [2] (London 1898).

- Smith 1981: H. S. Smith, The Reverend Dr Anthony J. Arkell, in: Journal of Egyptian Archaeology 67, 1981, 143–148.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Katharina Stegbauer; Dr. Lutz Popko
Autoren (Metadaten)
Dr. Lutz Popko

Übersetzung und Kommentar

Recto: Magische Sprüche

Erster erhaltener Spruch

[Übersetzung: Lutz Popko]

[1,1] [---] du bist versorgt (?)1.
Dir gehört doch die Rede. (Oder: Denn du bist der Demagoge.)2
[---] sie meinen Mund/Ausspruch.
Einzigartig ist der Schweigsame(?) [---].
Er ist/war [---]3
[1,x+1]4 Frei5 [---].
Frei5 [---].
Ich bin der, der [---] legt [---]6
Sei gegrüßt [---]!
[---] [1,x+5] [---] [---]
[2,1] [---]7
[Es ist nicht der Ha]uch seines Mundes.
Es gibt keinen Gott oder Göttin [...] keine Untote, die es abwehren werden.
... [---].
Ich bin der, der ihnen [---] gibt [---]8
[---] empfangen [---]
[2,x+1] [---]
[---] dein Gesicht / auf dir (?) [---]
[---]9 Leute/Menschheit, loben [---]
[---] [2,x+5] mich loben, bezüglich/nach/mehr als ... [---] Klagefrauen/Umsorgende(?)10.
Nicht [---] und umgekehrt (?).
Er wird erscheinen ... (?)11 [---]
[3,1a]12 [---] ich habe deinen Arm ge[___]13.
Dieser [Spruch werde rezitiert] über [---] jeder [---]14

1 jtp: Mit der Buchrolle klassifiziert, Bedeutung unklar. Es kommt fast ausschließlich in den Sargtexten vor, nämlich in A. de Buck, The Egyptian Coffin Texts I. Texts of Spells 1-75, Oriental Institute Publications 34 (Chicago 1935), 4a, A. de Buck, The Egyptian Coffin Texts III. Texts of Spells 164-267, Oriental Institute Publications 64 (Chicago 1947), 270d = 271b/d, A. de Buck, The Egyptian Coffin Texts IV. Texts of Spells 268-354, Oriental Institute Publications 67 (Chicago 1951), 57d und A. de Buck, The Egyptian Coffin Texts V. Texts of Spells 355-471, Oriental Institute Publications 73 (Chicago 1954), 34g:
- In CT I, 4a (Spr. 1) steht es neben ꜣḫ als Attribut von Göttern; R.O. Faulkner, The Ancient Egyptian Coffin Texts. Vol. I. Spells 1-354 (Warminster 1973), 1 rät „strong(?)“.
- Ähnliches gilt für CT III, 270d (Spr. 228), wo es zusammen mit wr, ꜣḫ, ḫꜥw, ꜥpr, wsr, sḫm und nṯr.j als Attribut des Verstorbenen genannt wird. Auch hier übersetzt Faulkner, a.a.O., 181 mit „strong“ (ohne Fragezeichen).
- Das in einer Version von CT IV, 57d (Spr. 304) vorkommende jtp korrigiert Faulkner, a.a.O., 223 dagegen in das jp: „zuweisen“ der Parallelversion, „as yielding better sense“.
- In CT V, 34 (Spr. 372) wird ein Spruch als ꜣḫ jtp für den Verstorbenen bezeichnet – hier übersetzt R.O. Faulkner, The Ancient Egyptian Coffin Texts. Vol. II. Spells 355-787 (Warminster 1977), 9 mit „effective (?)“.
P. Barguet, Les textes des sarcophages égyptiens du Moyen Empire. Introduction et traduction, Littératures anciennes du Proche-Orient 12 (Paris 1986), übersetzt das Wort dagegen zweimal mit „nanti“ (Spr. 1, S. 94, und Spr. 228, S. 184 – in letzterer Stelle mit Fragezeichen) und zweimal mit „être efficace (?)“ (Spr. 304, S. 229, und Spr. 372, S. 272; diese Übersetzung übernimmt auch P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 108 für pRamesseum XVI).
R. van der Molen, A Hieroglyphic Dictionary of Egyptian Coffin Texts, Probleme der Ägyptologie 15 (Leiden 2000), 58 führt neben diesem jtp noch ein Lemma jtpw mit einem Beleg in A. de Buck, The Egyptian Coffin Texts I. Texts of Spells 1-75, Oriental Institute Publications 34 (Chicago 1935), 53a an. Die Bedeutung dieses Lemmas ist aber fraglich, weil der Anfang zerstört ist und das Ende keinen Klassifikator hat. Tatsächlich erscheint es nur in einer Variante, alle anderen haben an dieser Stelle den Ortsnamen Jwn.w: „Heliopolis“ stehen. R.O. Faulkner, The Ancient Egyptian Coffin Texts. Vol. I. Spells 1-354 (Warminster 1973), 10 und Barguet, a.a.O., 99 geben fraglos den letzteren Varianten den Vorrang und erwähnen nicht einmal die vereinzelte abweichende.
2 Der Alternativvorschlag in Klammern stammt von J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
3 wnn=f: Die Zeichenreste befinden sich auf einem zweiten Fragment, das zusammen mit Fragment 1 im selben Glasrahmen untergebracht ist. Es ist unsicher, ob Ibscher und Gardiner damit andeuten wollten, dass beide Fragmente direkt aufeinanderfolgende Kolumnen bildeten und die Zeichenreste an der rechten Abbruchkante des linken Fragments wirklich die Zeilenenden des rechten Fragments bildeten, oder ob die Unterbringung dieser beiden Fragmente im selben Glasrahmen rein aus Gründen einer effektiven Platznutzung geschah. Für erstere Möglichkeit könnte der Umstand sprechen, dass das linke Fragment etwas tiefer liegt als das rechte, so als ob tatsächlich eine – vielleicht durch den Faserverlauf vorgegebene – relative Position der beiden Fragmente zueinander angedeutet würde. Für letztere Möglichkeit könnte sprechen, dass beide Fragmente auf separate Unterlagen gelegt wurden statt auf eine durchgehende. A. H. Gardiner, The Ramesseum Papyri. Plates (Oxford 1955), Taf. 48 setzt beide Fragmente zwar nebeneinander, aber auf dieselbe Höhe – das könnte ausdrücken, dass all die Fragmente auf dieser Tafel als unverbunden zu verstehen sind. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 344 überträgt dagegen die Positionierung der beiden Fragmente im Glasrahmen auch auf seine hieroglyphische Transliteration und fasst die Zeichenspuren an der Abbruchkante des linken Fragments als Zeilenende von 1,2 auf.
Die Lesung der Reste als wnn=f beruht auf einem Vorschlag von J. F. Quack (E-Mail vom 21.03. 2022).
4 [x+1]: Meyrats Zählung, die beide Fragmente unter der Bezeichnung „pRam XVI, 1“ zusammenfasst, ist eigentlich irreführend, weil nach bisheriger Anordnung der beiden Fragmente – egal, ob man Gardiner oder Meyrat folgt – zwei Kolumnen statt nur einer vorliegen. Aus Gründen des Pragmatismus wird jedoch Meyrats Zählung beibehalten.
Wenn die Anordnung der Fragmente im Glasrahmen tatsächlich ein räumliches Verhältnis zueinander andeuten soll (vgl. den Kommentar zum Ende von 1,2), wäre über der aktuellen Zeile noch Platz für eine einzige Zeile. Unter Falschfarbenfiltern ist tatsächlich an der oberen Abbruchkante noch ein winziger möglicher Tintenrest zu erkennen, so dass über x+1 tatsächlich noch (mindestens) eine Zeile gestanden hat.
5 šwi̯ ist noch gut zu erkennen, unter Falschfarbenfiltern noch besser als unter normalem Licht. (Lesung nach Autopsie des Originals bestätigt von J. F. Quack, E-Mail vom 21.03.2022.) Die Zeilen x+1 und x+2 beginnen also mit demselben Wort.
6 P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 108 erwägt eine Ergänzung zu jnk wꜣḥ[-jb (?) ...]: „Je suis pa[tient (?) ...]“.
7 Fragmente C und D sind, auch schon im alten Glasrahmen (s. https://www.britishmuseum.org/collection/image/547098001), leicht versetzt zueinander untergebracht, was suggeriert, dass Ibscher und/oder Gardiner das linke Fragment als Fortsetzung des rechten – nur eben etwas weiter unten in der Kolumne – interpretierte/n. Damit wäre zuerst das rechte und danach das linke Fragment zu lesen; so hat es auch P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 108-109 getan. Allerdings hat A.H. Gardiner, The Ramesseum Papyri. Plates (Oxford 1955), Taf. 48 beide Fragmente auf gleicher Höhe nebeneinander positioniert und das im Rahmen rechte auf der linken Tafelhälfte positioniert und als Fragment D bezeichnet, und das im Rahmen linke auf der rechten Tafelhälfte positioniert und als Fragment C bezeichnet. Seine Benennung der Fragmente ist daher zu ihrer Anordnung im Glasrahmen entgegengesetzt. Bei der Neuverglasung(?) wurde ihre ursprüngliche Positionierung beibehalten, vgl. https://www.britishmuseum.org/collection/image/282919001 (= Meyrat, a.a.O., 345); allerdings ist unbekannt, ob das aus reinem Pragmatismus erfolgte, oder ob es andere Gründe dafür gab.
Hier wird aus reinem Pragmatismus Meyrat gefolgt; da beide Fragmente sehr klein sind und nur wenig Text enthalten, sind die Auswirkungen der einen oder anderen Orientierung nur marginal.
8 Übersetzung sicher. Der noch erhaltene Wortanfang vor der Abbruchkante lässt an ꜣḫ.t: „Nützliches“ denken, doch würde man das im Ägyptischen eher „tun“ (jri̯) als „geben“.
9 Auf gleicher Höhe wie Zeile x+4 sind an der rechten Abbruchkante des Papyrus Zeichenreste erhalten, die das Zeilenende einer der Zeilen der vorherigen Kolumne bilden. Ob das die Kolumne von Gardiners Fragment D oder eine andere ist, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten.
10 smw.t: Eine Gruppe von Frauen, unsichere Bedeutung. Das Wort ist 𓇐𓅓𓅱𓏏𓁐𓏥 geschrieben; da der Papyrus sonst, soweit erhalten, nie innerhalb eines Wortes umbricht, ist das Wort wohl tatsächlich ohne komplementierendes s am Anfang geschrieben worden, das man andernfalls am Ende der vorherigen Zeile postulieren könnte. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 109 und 124 übersetzt mit „les pleureuses“ und verweist auf C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. VI. -s, Orientalia Lovaniensia Analecta 115 (Leuven 2002), 307b – genauer gesagt meint er, nach seinen darauf aufbauenden Literaturangaben zu schließen, das Lemma von 307b-c (zusätzlich klassifiziert einmal mit A90, einem stehenden, vornübergebeugten Mann, dem etwas aus dem Kopf herauskommt [= A. de Buck, The Egyptian Coffin Texts IV. Texts of Spells 268-354, Oriental Institute Publications 67 (Chicago 1951), 2a], und einmal mit dem Äquivalent B77, einer vornübergebeugten Frau, der etwas aus dem Kopf herauskommt [= pRamesseum VI, Kol. 129, A.H. Gardiner, Hymns to Sobk in a Ramesseum Papyrus, in: Revue d’égyptologie 11, 1957, 43-56, hier 53 und Taf. 4]). J.F. Borghouts, The Magical Texts of Papyrus Leiden I 348 (Leiden 1971), 75 vermutet in der in LGG VI, 307b-c genannten Personengruppe ein Substantiv ähnlicher Bedeutung wie sꜣm.t, „probably meaning ‚locked women‘“, womit er die Haartracht von trauernden Frauen im Sinn hat. Was in den beiden Belegen den Personen aus dem Kopf kommt, interpretiert Borghouts als Haarsträhne (in Anlehnung an den von ihm genannten P. Kaplony, Kleine Beiträge zu den Inschriften der ägyptischen Frühzeit, Ägyptologische Abhandlungen 15 (Wiesbaden 1966), 68). N. Grimal – J. Hallof – D. van der Plas, Hieroglyphica. Sign list – liste des signes – Zeichenliste, Publications Interuniversitaires de Recherches Égyptologiques Informatisées 1, 2nd revised and enlarged. (Utrecht 2000), 2 A – 14 scheinen dagegen A90 eher als Mann mit Blutstrom aus dem Kopf zu interpretieren, da sie das Zeichen, wie auch die Variante A90C, zwischen gefesselten Männern einsortieren.
Den Beleg in CT IV, 2a übersetzt P. Barguet, Les textes des sarcophages égyptiens du Moyen Empire. Introduction et traduction, Littératures anciennes du Proche-Orient 12 (Paris 1986), 457 eben mit „les pleureuses“, worauf wohl Meyrats Übersetzung von pRamesseum XVI basiert; R.O. Faulkner, The Ancient Egyptian Coffin Texts. Vol. I. Spells 1-354 (Warminster 1973), 203 lässt die Stelle unübersetzt. Anders übersetzt sie J. Yoyotte, Religion de l’Égypte ancienne, in: Annuaire, École Pratique des Hautes Études: Ve section - sciences religieuses 76, in: <www.persee.fr/doc/ephe_0000-0002_1967_num_80_76_16482>, 1968–1969, 108-119, hier 117, nämlich mit „les soigneuses (funéraires)“, und er führt weitere Titel mit vielleicht ähnlicher Bedeutung an. Auch er nennt Kol. 129 von pRamesseum VI als weiteren Beleg. Die von ihm vorgeschlagene Übersetzung erinnert an die etwas anders geschriebenen sm.w-Skr von pRamesseum VI, Kol. 56, die Gardiner, a.a.O., 49 (ohne Querverweis auf die sm.wt von Kol. 129) mit „Tenders of Sokar“ übersetzt und dafür auf Wb 4, 120.11-13 (sm: „für jmd. sorgen, jmd. Gutes tun“) verweist. LGG VI, 307b hat ebenfalls diese Personengruppe mit Verweis auf Gardiner als von den smw.t getrennte Entität aufgenommen und mit „Die für Sokar sorgen“ übersetzt.
Das Gemeinsame dieser Gruppen ist, dass sie mit dem Gott Sobek assoziiert werden und als eine Art Konkubinen dieses Gottes erscheinen. Während Borghouts, a.a.O., den Fokus auf das Moment des Trauerns legt, vermutet Yoyotte eine Anspielung auf ein „rite érotico-funèbre“ bzw. eine Theogamie (a.a.O., 118); auch M. Zecchi, Sobek, the Crocodile and Women, in: Studi di egittologia e di papirologia: rivista internazionale 1, 2004, 149-153, hier 150 sieht den Hauptzweck dieser anonymen Frauengruppe darin, „[to] appease the sexual appetite of the god“.
11 Übersetzung unsicher, die Interpretation der Zeichenreihenfolge folgt P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 109.
12 Die Zeilenzählung erweist sich als komplex: In Frame 3 (https://www.britishmuseum.org/collection/object/Y_EA10769-3) liegt ein einzelnes kleines Fragment; und in Frame 4 (https://www.britishmuseum.org/collection/object/Y_EA10769-4) liegen zwei weitere Fragmente. Von diesen drei enthält dasjenige von Frame 3 die Reste zweier Kolumnen, genauer: die Enden der obersten vier Zeilen einer ersten Kolumne und die Anfänge von drei obersten Zeilen einer nachfolgenden Kolumne. Das rechte Fragment von Frame 4 wiederum enthält Reste der fünf obersten Zeilen einer Kolumne. In beiden Fällen ist über der jeweils ersten erhaltenen Zeile der obere Seitenrand zu sehen. Beide Fragmente tragen auch Text auf der Rückseite; und bei dem Fragment von Frame 4 ist unter der letzten erhaltenen Zeile ein Freiraum erhalten, der sich mit Hinblick auf den Vorderseitentext als unterer Kolumnenrand interpretieren lässt. Diese Gemeinsamkeit, dass beide Fragmente auf der Rückseite beschrieben sind, spricht dafür, sie einander zuzuordnen, wenn auch leider auf beiden Fragmenten weder auf der Vorderseite noch auf der Rückseite genug Text erhalten ist, um ihr genaues räumliches Verhältnis zueinander zu bestimmen.
Während Ibscher diese beiden Fragmente eben auf zwei verschiedene Glasrahmen verteilt hat, hat A.H. Gardiner, The Ramesseum Papyri. Plates (Oxford 1955), Taf. 49 sie als Teil derselben Kolumne aufgefasst, die er als „page 4“ bezeichnete. Aufkleber mit einer entsprechenden Benennung (nur mit der Bezeichnung „col.“ statt „page“) finden sich heute auch auf den beiden Glasrahmen mit den Originalen.
Dagegen ordnet P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 346-347 und 109-110 die Fragmente anders an und übernimmt die Frame-Nummern sozusagen als „Kolumnen“-Nummern (was, wie bei Meyrats Nr. 1 und 2, missverständlich ist, da das vereinzelte Fragment von Frame 3 allein Reste zweier Kolumnen zeigt). Außerdem ordnet er dem rechten Fragment von Frame 4 das linke Fragment desselben Frames (Gardiner, a.a.O.: „E recto“) bei und suggeriert durch diese Anordnung v.a. in der hieroglyphischen Transkription, dass er diese beiden Fragmente als Teil derselben Kolumne interpretiert.
Durch diese zwei unterschiedlichen Anordnungen ergeben sich auch zwei verschiedene Lesefolgen. Gardiners Anordnung ergibt die Lesefolge (1) Frame 4 Links (Fragment „E“), (2) Frame 4 Rechts („col./page 4“), (3) Frame 3 („col. 4 end“). Meyrats Lesefolge ist: (1) Frame 3, (2) Frame 4 Rechts, (3) Frame 4 Links.
Weder Ibscher noch Gardiner noch Meyrat geben eine explizite Begründung für ihre Anordnung der Fragmente; zudem ist anzumerken, dass das einzelne Fragment in Frame 3 in dessen rechter Hälfte liegt und nicht etwa mittig, so dass also ursprünglich noch ein weiteres Fragment in der linken Hälfte Platz gefunden hätte und vielleicht nur im Nachhinein anders zugeordnet wurde.
Die von Gardiner vorgeschlagene Zusammengehörigkeit könnte vielleicht auf dem Faserverlauf basieren, da der obere Seitenrand von Frame 3 und Frame 4 Rechts einander sehr ähnliche, markante horizontale Fasern zeigt, was eine räumliche Nähe beider Fragmente suggeriert. Für die von Ibscher vorgenommene und von Meyrat übernommene Trennung der beiden Fragmente spräche wiederum, dass die erste Kolumne von Frame 3 (= „col. 4 end“) am Ende der zweiten und dritten Zeile Rubra enthält, während die jeweiligen Zeilen in Frame 4 Rechts (= „page/col. 4“) schwarz sind – würde man die beiden Fragmente wie Gardiner einander zuordnen, müsste man annehmen, dass diese Kolumne am Ende ihrer zweiten und dritten Zeile (scil.: kurze) Rubra enthielt, während diese Zeilen gleichzeitig weiter in der Mitte schwarz geschrieben wären. Aus diesem Grund scheint es besser, die beiden Fragmente anders anzuordnen, als Gardiner es getan hat.
Sofern es wirklich die Faserstruktur war, die Gardiners Anordnung begründet, könnte man als weitere Option überlegen, ob man die Reihenfolge von Frame 3 und Frame 4 Rechts vertauscht: Frame 3 enthält nicht nur das Ende einer Kolumne, sondern links daneben auch den Beginn einer anderen Kolumne. Wenn man nun Frame 3 nicht hinter Frame 4 Rechts anordnet, sondern davor, könnte der Kolumnenanfang statt des Kolumnenendes von Frame 3 einen Teil von Frame 4 Rechts bilden, nämlich den – in Frame 4 Rechts ebenfalls zerstörten – Kolumnenanfang. Zur Verifizierung oder Falsifizierung dieser Hypothese wäre allerdings eine Untersuchung der physischen Beschaffenheit des Originals nötig. Bis dahin wird hier aus Pragmatismus der Nummerierung von Meyrat gefolgt. Es wird lediglich seine Zeilenzahl von Frame 3 um die Kürzel „a“ und „b“ erweitert, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass dieses Fragment die Reste zweier Kolumnen enthält.
13 [__]m.n=j: P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 109 und 125 ergänzt mit Zurückhaltung thm: „durchstoßen“ u.ä. (Wb 5, 321.6-322.3). Die in pRamesseum XVI vorliegende Klassifizierung mit dem schlagenden Arm ist für thm aber erst ab der Ramessidenzeit belegt. J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022) schlägt für diese Zeichengruppe eher Buchrolle über Pluralstrichen oder Buchrolle über n vor.
14 pn: Ergänzungsvorschlag J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022). Die schwarzen Zeichenreste in Zeile 3,5a gehören also schon zu einem neuen Spruch.

Neuer Spruch

[Übersetzung: Lutz Popko]

[---] du/dich (?) [3,5a] [---]
[---] [3,1b] Min [---]
[---] herauskommen(?)1 [---]
[---] kämpfen (?) [---]2
[---]
[---] [4,1] gegen mich / über mich / zu mir Schlechtes.
(Ende)
Was mir geschehen ist ist (?), [was ich ge]seh[en habe (?) ---]3
[---] die Sonnenbeschienene (Menschheit).
Ich roch (an) dem perfekten oberägyptischen Papyrus4 [---]
[---] Hunger, frei/leer [---]5
[---] Unordnung/Aufruhr [---]
[4,5] [---]
[4,x+1] [---]
[---] von/vor (?) [---]
[---] bekämpft (?); Thot ist zufrieden (?) [---]6
[---] ... (?) auf/mit jeder Sache [---]
[4,x+5] [---] schön als/mit Myrrhe [---]
[---] Herz [des] Horus [---]7
[---]
[5,1]8 Dass [---] bringt [---] mit Worten(?) [---].
[5,x+1] [---]9
[---] sie gerecht/richtig (oder: die rechtfertigt) [---]; möge sie dir ihren Schutz geben (???) [---]10
[---] [---]-Personen bringen/holen ihre [---]; Abgegrenztheit von ihr, nachdem du [deine] Aufmerksamkeit zugewendet hat [---]11
[---] meine Beliebtheit in den Herzen der Rechyt-Leute [---]
[5,x+5] [---] hoch [---], Milch (?)12 und Myrrhe [---]
[---] das/die schöne [---] meiner Fürstin.
Ich bin der Sohn [---]
[---]
[6,1] Du sollst über ... (?) sagen: „[---] in einer Sache (?) [---] ihr/sie [---].“13

1 Es ist nur der Hausgrundriss am Anfang der Zeile erhalten. Dieser kann zum Verb pri̯ gehören (so auch P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 109). Aber er könnte natürlich auch zu einem anderen Wort der Lesung pr gehören.
2 Lesungsvorschlag J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
3 Lesungsvorschlag J. F. Quack, E-Mail vom 21.03.2022 (d.h. 𓆣𓂋𓏏 statt Meyrats 𓆣𓂋).
4 wꜣḏ šmꜥ: Aufgrund der Verbindung mit dem Verb sn sicherlich nicht der grüne Jaspis (J.R. Harris, Lexicographical Studies in Ancient Egyptian Minerals, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Institut für Orientforschung. Veröffentlichungen 54 (Berlin 1961), 103), wie auch P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 125 betont.
Die Herkunftsbezeichnung „oberägyptisch“ findet sich in den medizinischen Texten bei jbw-Pflanzen, der Gerste (worin aber R. Müller-Wollermann, Die sogenannte ober- und unterägyptische Gerste, in: Varia Aegyptiaca 3 (1), 1987, 39-41 eine übertragene Bezeichnung für „volle Gerste“ vermutet), nšꜣ-Pflanzen und dem sjꜣ-Mineral, s. H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Zweite Hälfte (h-), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.2 (Berlin 1962), 852. (Das Pendant „unterägyptisch“ findet sich bei den jbw-Pflanzen, dem Sellerie, den nšꜣ-Pflanzen, dem Salz, dem sjꜣ-Mineral und der gj.t-Pflanze, s. H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Erste Hälfte (-r), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.1 (Berlin 1961), 387.)
5 Ob man zu [---] [šwi̯ m] ḥqr šwi̯ [m jb.t] [---]: „[---] [frei von] Hunger, frei [von Durst] [---]“ ergänzen könnte, in Anlehnung an die häufige Verbindung nn ḥqr=f nn jbi̯=f: „Er wird nicht hungern, er wird nicht dürsten.“ (u.ä.)?
6 ꜥḥꜣ: Lesungsvorschlag J. F. Quack gegenüber Meyrats zꜣu̯ (E-Mail vom 21.03.2022).
7 Vorschlag J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
8 Ab Kolumne 5 stimmen Gardiners und Meyrats Zählungen weitestgehend miteinander überein (siehe oben). Im Folgenden werden nur noch Abweichungen gekennzeichnet.
9 Die Zeilenzählung folgt P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 348. A.H. Gardiner, The Ramesseum Papyri. Plates (Oxford 1955), Taf. 49 hat dagegen diejenige Zeile, die Meyrat als „x+3“ bezeichnet, Zeile 5 genannt und geht daher implizit davon aus, dass zwischen den beiden kleinen Fragmenten, die zusammen Kol. 5 bilden, keine Zeile verloren ist.
10 Lesungsvorschläge J. F. Quack, E-Mail vom 23.03.2022.
11 Lesungsvorschläge J. F. Quack, E-Mail vom 23.03.2022.
12 ḥḏ.t: Die Wortfolge qꜣi̯ ḥḏ.t erinnert an das Epitheton „von hoher Krone“, das im Neuen Reich ein paar Mal in Götterhymnen sowie im Horusnamen Thutmosis’ III. belegt ist, s. die Reiterkarte DZA 27.580.530 mit den zugehörigen Zetteln. Die Stelle in pRamesseum XVI ist aber zu zerstört, als dass man andere Übersetzungen ausschließen könnte, und ḥḏ.t ist ohne Klassifikatoren geschrieben. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 110 denkt an das Lemma „Milch“. Weiter hinten im Text wird für Milch der gebräuchlichere Terminus jrṯ.t verwendet.
13 Ergänzungen in 6,2 nach J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022). Er erwägt „[werde] zu [einer] Substanz [gemacht], [werde] an es [gegeben]“, d.h. [jri̯(.w) m] (j)ḫ.t [wꜥ.t rḏi̯(.w)] r=s. Der Zeichenrest vor r=s scheint jedoch nicht ganz zu passen. Ob vielleicht ein anderes Verb?

Neuer Spruch unklaren Themas

[Übersetzung: Lutz Popko]

Ist [---] durch (?) [---] das, was in der Nase ist, beim/mit ... [---] jede [---]-Gottheit(?) dort die Schritte1, lebendig (?), vollkommen [---].
Ich bin Min, der [seine (?)] Gegenredner zerbricht [---](?), [6,5] der den Aufruhr niederschlägt2; ich zerbrach [---] [---].
Ich bin Re.
Leben ist bei [---].
Du sollst für mich den Kampf (scil.: anderer) [abbrechen]3!
[---] gegen mich / zu mir.
Du sollst über [---] sprechen: „[---]“.4
[---, wenn/währen] [7,1] dieser Spruch rezitiert wird.
Du sollst nach ihnen sagen:
„[---] der meine Gegenreder zerbrich, der den Aufruhr niederschlägt [---] zu mir kommen / ich bin gekommen [---] [G]ering[e] (?) [---].“

1 nb nmt.w: Eine Referenz auf den „Herrn des Schrittes“ (C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. III. p-nbw, Orientalia Lovaniensia Analecta 112 (Leuven 2002), 662b-c) ist verführerisch, umso mehr, als das Zeichen davor, an der Abbruchkante, vielleicht der Götterklassifikator ist (Lesung J. F. Quack, E-Mail vom 22.03.2022); doch kennt das LGG nur Belege aus der griechisch-römischen Zeit. Hier wird daher postuliert, dass bei nb der Quantifikator vorliegt, der sich auf ein heute zerstörtes Substantiv davor bezieht, mit dem zusammen es das Subjekt eines (Teil-)Satzes bildet; das nmt.w wäre dann vielleicht das Objekt. Der syntaktische Anschluss der beiden folgenden Wörter (die Lesung des direkt anschließenden als ꜥnḫ folgt P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 349) ist aufgrund der Lücken unklar.
2 [bḥni̯] ẖnn.w: Ergänzung des Verbs mit P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 349 aufgrund der noch erhaltenen Klassifikatoren, vgl. ferner Zeile 7,2. Zur Bedeutung des Verbs vgl. Wb 3, 383.19. Die dort für eine Gruppe von Kollokationen gegebene Übersichtsübersetzung „beseitigen“ ist allerdings im konkreten Fall bḥni̯ zu schwach, weil dieses Verb eher „zerstückeln“ o.ä. bedeutet – daher die hier vorgeschlagene Übersetzung „niederschlagen“, die zwar ein anderes Bild des Vorgangs und Ergebnisses ergibt, aber idiomatisch im Deutschen besser passt. Interessanterweise führt D. Franke, Schlagworte. Über den Umgang mit Gegnern in Memorialtexten des Mittleren Reiches, in: H. Felber (Hrsg.), Feinde und Aufrührer. Konzepte von Gegnerschaft in ägyptischen Texten besonders des Mittleren Reiches, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 78 (5) (Leipzig, Stuttgart 2005), 89-110, hier spez. 108-110 weder das Verb bḥni̯ noch das Substantiv ẖnn.w, geschweige denn eine Kombination aus beidem an – diese Phrase findet sich also nicht in der historisch-biographischen Literatur des Mittleren Reiches.
3 [sḏ] ꜥḥꜣ: Ergänzung des Verbs mit P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 349 auf Basis der Klassifikatoren und desselben Verbs zwei Zeilen darüber. Die Verbindung mit ꜥḥꜣ ist extrem selten (in militärischen Kontexten werden eher Feinde oder Länder sḏ-gemacht); aber bezeichnenderweise wird es einmal in PT 260, § 319a (K. Sethe, Die altägyptischen Pyramidentexte nach den Papierabdrücken und Photographien des Berliner Museums neu herausgegeben und erläutert. Bd. 1. Text, erste Hälfte, Spruch 1–468 (Pyr. 1–905) (Leipzig 1908), 173) parallel zu bḥni̯ ẖnn.w verwendet, das Meyrat oben in Zeile 6,5 (dort ebenfalls direkt vor sḏ) ergänzt hat. K. Sethe, Übersetzung und Kommentar zu den altägyptischen Pyramidentexten. Bd. 1. Spruch 213-260 (§§ 134a-323d) (Glückstadt, Hamburg, New York 1935), 403 sieht in der entsprechenden Passage der Pyramidentexte eine Anspielung auf den Toten als Friedensstifter bzw. Richter im Jenseits. Es ist aber zumindest darauf hinzuweisen, dass sḏ in militärischen Kontexten sonst eine destruktivere Note besitzt und eher als „Aufbrechen“ feindlicher Reihen oder „Zertrümmern“ feindlicher Länder zu verstehen ist. Es ist also vielleicht mehr als reines Streitschlichten gemeint.
4 Meyrats Lesung ḏd=k ḥr tr: „Tu récites au moment de [---]“ (P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 349 und 111) scheint nicht ganz zu den Spuren zu passen. Statt tr ist man verführt, : „Spruch“ zu lesen, aber davor ergibt ein ḥr keinen Sinn. H.-W. Fischer-Elfert (E-Mail vom 08.03.2022) schlägt das rʾ-jꜣꜣ.t-Gewebe vor, das in zwei Rezitationsanweisungen des London Medical Papyrus vorkommt (wie auch in einer Rezitationsanweisung in pRamesseum X), wenn auch dort als Nomen rectum nach dem ꜥꜣ.t-Leinen. J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022) erwägt eine Kurzschreibung rʾ-jꜣꜣ, gefolgt von m ꜣ[.t]: „im Mo[ment des ...]“.

Neuer Spruch unklaren Themas

[Übersetzung: Lutz Popko]

[7,5] [O ---]1 die Zauberkraft des Re ergreifen(?) in/an/mit/bei [---]
[---] jede/s/n [---] auflösen [---] herauskommen [---]
[8a,x = alt 7a,1]2 [---] in/an/mit/bei [---] aufziehen (?, oder: du wirst sein in) [---].

1 Die Ergänzung des sitzenden Mannes mit Hand am Mund zur Interjektion j ist rein hypothetisch und basiert allein auf den Annahmen, dass die Platzierung des Fragments im Verbund der Kolumne ungefähr korrekt ist und dass an dieser Stelle wirklich ein neuer Textabschnitt einsetzt.
2 Auf diesem Fragment stehen vor Kolumne 8 mit den Resten von 8 waagerechten Zeilen noch die Reste von 5 (sic?!) senkrechten Zeilen. A. H. Gardiner, The Ramesseum Papyri. Plates (Oxford 1955), Taf. 51 bezeichnete diesen Block senkrechter Zeilen als „(7a)“. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 351 bezeichnet ihn dagegen als „8a“; und den anschließenden Block waagerechter Zeilen, von Gardiner als „page 8“ bezeichnet, nennt Meyrat „8b“.
Zu dieser leicht abweichenden Zeilenzählung kommt noch das zusätzliche Problem in Gestalt der Anzahl senkrechter Zeilen: Auf dem großen Hauptfragment sind die Anfänge von vier senkrechten Zeilen erhalten. Zu diesem Fragment kommt noch ein weiteres, kleines Fragment (plus mehrere noch kleinere, von denen einige oder alle aber sicherlich ursprünglich mit diesem zusätzlichen physisch zusammenhingen und sich erst nach der Verglasung davon gelöst haben), das erst nachträglich in diesen Rahmen hineingeschoben ist, wie an der zurechtgeschnittenen Unterlage des Papyrus erkennbar ist. Auf diesem Fragment sind die Reste von zwei senkrechten Zeilen erhalten, und es ist so an das große Fragment von „page 8“ herangeschoben, dass die linke senkrechte Zeile die Fortsetzung der vordersten noch auf dem Hauptfragment erhaltenen Zeile bildet; die rechte senkrechte Zeile steht noch davor. Das war auch tatsächlich intendiert, denn Gardiner, a.a.O. schreibt über die letzte senkrechte Zeile dieses Fragments die Zeilenzahl „5“. Meyrat, a.a.O. bezeichnet jedoch die vier senkrechten Zeilen des Hauptfragments als „8a,x+1“ bis „8a,x+4“. Die von Gardiner noch davor gesetzte Zeile bzw. das ganze davorgesetzte Fragment scheint er zu übergehen – zwar lässt es Meyrats Zeilenzählung zu, diese übergangene Zeile als „8a,x“ zu zählen, aber wie seine Transkription und Übersetzung auf S. 111 zeigt, hat er selbst diese Zeile tatsächlich ausgelassen.

Schlangenzauber

[Übersetzung: Lutz Popko und Katharina Stegbauer]
Spruch für das Gesicht (?)1; Schutz [des Leibes vor jedem Schlangenmännchen und vor jedem Schlangenweibchen:]

[8b,1 = alt 8,1] Mein Schutz ist der Schutz des [Himmels]2.
Mein Schutz ist der Schutz der Erde.
Mein Schutz [ist der Schutz des Ra] im Himmel.
Wahrlich, ich habe die Feste der Uto verkündet.
Wahrlich, ich habe den Schenkel gegessen.
[8b,5 = alt 8,5] Wahrlich, ich habe das Fleischstück zurückgewiesen, bevor die Menschen geboren waren, [bevor] die Götter [gezeugt waren], bevor das Knotenamulett des Gebärens hinabgestiegen3 war, um die Bas von On aufzurichten.
[---] [---] [---]
[9,1] Das Auge sah Seinesgleichen (?).4
Der (betroffene) Mann spreche [---]
[Mein] Schu[tz] ist der Schutz des Gottes von Hefat gegen Schlangen [---].5
[---] blutrot6 (gebärende) [Frau], die Chepri zur Welt bringt:7
Dieser Granit8 ist (?) zerbrochen [---] (oder: Ihr Sohn ist zerbrochen, [---] ist zerbrochen [...])
Ich bin Ini-a-ef; in Abgegrenztheit9 bin ich gekommen.
Bringen/Holen10 [---]
[9,5] [---] [Ma]fdet11 zu dem / für das Schaf, Mehet-weret [---]
[---] das große Nilpferd12 [---]
[---] gehen [---]
[---] [---] [---]

1 Ergänzung nach der Parallele in pRamesseum X, 1,1, vgl. auch H. Altenmüller, Ein Zauberspruch zum „Schutz des Leibes“, in: Göttinger Miszellen 33, 1979, 7-12, hier 8. Während Altenmüller den Anfang nach der magischen Stele Ramses’ III. zu rʾ n mk.t ḥꜥ.w ergänzt (übernommen von K. Stegbauer, Magie als Waffe gegen Schlangen in der ägyptischen Bronzezeit (Borsdorf 2015 [= 2. Auflage 2019]), 214), scheint das Original eher rʾ n ḥr mk[.t ḥꜥ.w] zu bieten, s. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 351. Meyrat, 80-82, 111 und 126 vermutet eine zusammengesetzte Präposition n-ḥr und übersetzt die Überschrift mit „Formule devant une ‚protection des membres‘ (...)“. J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022) schlägt dagegen eher vor: „Spruch für das Gesicht; Schützen des [...]“.
2 Ergänzungen nach der Parallele auf pRamesseum X, vgl. Altenmüller, in: GM 33, 1979, 8-9 und Meyrat, Papyrus magiques du Ramesseum, 330 und 351.
3 ḫti̯: Die Parallele auf pRamesseum X, 1,4 ist an dieser Stelle tlw. zerstört. H. Altenmüller, Ein Zauberspruch zum „Schutz des Leibes“, in: Göttinger Miszellen 33, 1979, 7-12, hier 8 ergänzte sie auf Basis von pRamesseum XVI ebenfalls zu ḫti̯, aber die Zeichenspuren scheinen nicht ganz dazu zu passen. A.H. Gardiner, The Ramesseum Papyri. Plates (Oxford 1955), 13 mit Anm. 8 und Taf. 43A hat ḏsr: „set aside“ vorgeschlagen.
4 Zu diesem Satz s. den Kommentar von P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 129, der bei jr.t=s an „son semblable“ denkt. Er vermutet, dass hier ein bestimmter Moment im Verlauf des Tages angesprochen sei, und verweist dazu auf einen Ausdruck aus der Amarnazeit, in der auf die Nacht bezogen gesagt wird, dass das Auge nicht seinen Genossen (sn.nwt=s) sehen könne.
Alternativ könnte man noch überlegen, ob nicht jrj.t: „die Zugehörige“, sondern jrj.t: „das Zugehörige, die Pflicht“ gemeint ist und davon die Rede ist, dass das Auge auf seine Aufgaben blickt.
5 Ergänzungen und Emendationen weitestgehend mit P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 352, abgesehen von dem jw am Zeilenbeginn. Denn die Lücke am Anfang der Zeile wirkt nicht groß genug, um sowohl die w-Schleife des jw als auch das m von mk.t zu enthalten; vgl. das jw in der Zeile darüber. J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022) schlägt vor, den Zeichenrest am Zeilenanfang gar nicht als Schilfblatt, sondern als Rest eines m zu verstehen. Für die unterschiedliche Art und Weise, die Klassifikatoren von mk.t zu schreiben, s. dieselbe Phrase in 14,4 und 14,5.
Die Emendation am Ende der Zeile ist nicht völlig überzeugend, weil man für den „Gott von Hefat“ vielleicht eher einen Genitiv nṯr n(.j) Ḥfꜣ.t oder Verbindungen mit jm.j oder ḥr.j-jb erwartet. Ein besserer Alternativvorschlag kann aber nicht angeboten werden. J. F. Quack erwägt: „des Gottes als Schlange vor den Schlangen“.
6 Die Qualifizierung der Frau als dšr.t: „rot“ soll vermutlich keine Andeutung eines gefährlichen, „sethischen“ Charakters sein, wie man angesichts der negativen Konnotation der Farbe Rot denken könnte. Vielmehr handelt es sich vielleicht eher um eine Anspielung auf das mit dem Geburtsvorgang verbundene Blut (so als eine von mehreren Optionen N. Yamazaki, Zaubersprüche für Mutter und Kind. Papyrus Berlin 3027, Achet B 2 (Berlin 2003), 53, Anm. a) oder eine Anspielung auf die Sonne beim Sonnenaufgang (vgl. S. Donnat, L'enfant chétif d’une femme séthienne, ou le nouveau-né solaire d'une mère divine? À propos de ḥm.t dšr.t et ḫprw dans Mutter und Kind (formule V), in: Revue d’égyptologie 63, 2012, 83-101, hier 96-99 – die „rote Frau“ könnte u.U. eine Anspielung auf Isis oder Nephthys sein).
7 P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 352, 112 und 129 ergänzt den Anfang von Zeile 9,3 zu [ḥmw.t-rʾ n.t ḥm.t] dšr.t msi̯.t Ḫpr.j, wozu er auf eine dann parallele Formulierung in den Zaubersprüchen für Mutter und Kind, Spruch V, verweist (s. K. Stegbauer, P. Dils,Papyrus Berlin P 3027, in: Science in Ancient Egypt. URL: https://sae.saw-leipzig.de/de/dokumente/papyrus-berlin-p-3027?version=11). Eine solche Ergänzung würde nach sich ziehen, dass in Zeile 9,3 ein neuer Spruch beginnt. J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022) steht dieser Ergänzung skeptisch gegenüber, weil in der vorangehenden Zeile kein Rubrum vorhanden ist, wie es am Ende eines Spruches zu erwarten wäre. Er erwägt eher eine Ergänzung zu: „[Mein Schutz ist der Schutz] der roten [Frau]“. Bei einer solchen Ergänzung würde der Satz schon am Ende der vorigen Zeile begonnen haben.
8 Da mꜣṯ nicht nur den Granit allgemein, sondern speziell auch den Rosengranit von Assuan bezeichnen kann (J.R. Harris, Lexicographical Studies in Ancient Egyptian Minerals, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Institut für Orientforschung. Veröffentlichungen 54 (Berlin 1961), 72-74), erwägt H.-W. Fischer-Elfert (E-Mail vom 08.03.2022) eine Farbanalogie zur „blutrot (gebärenden) Frau“ im vorigen Satz.
Alternativ zu Meyrats Lesung pꜣ mꜣṯ schlägt J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022) zꜣ=s sḏ vor.
9 ḏsr.wt: Lesung und Übersetzung nach J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
10 jni̯: Möglicherweise beginnt hier ein Wortspiel mit dem Gottesnamen Ini-a-ef.
11 Kontext unklar. Die Ergänzung zu [Mꜣ]fd.t ist aufgrund des Tierfell-Klassifikators sicher. Angesichts des anschließenden Göttinnennamens ist es auffällig, dass Mafdet nicht ebenfalls mit einem Göttinnenklassifikator geschrieben ist. Dennoch ist die Identifizierung unzweifelhaft: Zwar ist der Name dieser Göttin klar als feminine Form eines lexikalisierten mꜣ(j)-fd: „reißender Löwe“ (vgl. lat. „leo-pardus“) etymologisierbar (F. Kammerzell, Panther, Löwe und Sprachentwicklung im Neolithikum. Bemerkungen zur Etymologie des ägyptischen Theonyms Mꜣfd.t, zur Bildung einiger Raubtiernamen im Ägyptischen und zu einzelnen Großkatzbezeichnungen indoeuropäischer Sprachen, Lingua Aegyptia, Studia Monographica 1 (Göttingen 1994)), doch es gibt keinen Beleg für diese Bezeichnung, die außerhalb des Göttinnennamens im rein taxonomischen Sinne gebraucht wird und nicht gleichzeitig oder ausschließlich Bezug auf die Göttin Mafdet nimmt. Vor diesem Hintergrund kann die Klassifizierung mit dem Tierfell sogar als typisch für diesen Göttinnennamen gelten.
12 P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 130-131 vermutet, dass hier kein echtes Tier, sondern ein nilpferdförmiges Amulett gemeint sein könnte.

Spruch gegen Schlangen1

[Übersetzung: Lutz Popko]

[Böses, Böses ist nach oben gerichtet ---]2
[--- ... (?) beim Suchen/Schlagen (?) des] [10,1] Seth wegen Osiris.3
Die Rede [---].
Ich [---] mit/bei Isis zu/wegen (?) Re ... vor Schrecken (?).4
[---] auf dich [---].5
Hüte dich vor Djudju6!
[Sohn der Uto (?)], bewache die Flammeninsel!7
[Handelst du,] [10,5] [um zu veranlassen, dass ich] Seth im/vom Leben [--- kann]?8
[Beiße mich] nicht!9
[Ich bin Re.]
[Schädige] mich [nicht!]
Ich bin Geb.
[Spritz dein Gift nicht in mich!]
[Ich bin] Horus, der Vorderste [von Leontopolis].10
[---]
[11,1] Ich bin doch der mit dem Falkengesicht, indem [--- nicht] zeugten11 [---]
Wenn du aufsteigst, Falkengesicht, zum Schlafenden (?) [---].
Du sollst nicht essen!12
Bring kein Feuer!13
[---] Atum.
(Pausezeichen)

1 Von der letzten erhaltenen Zeile dieser Kolumne sind nur wenige rote Zeichenreste erhalten. Ihre Farbe dürfte darauf hindeuten, dass hier eine Nachschrift und/oder der Beginn des nächsten Spruches vorliegt. Da die erste Zeile von Fragment 10 nicht mit einem syntaktisch vollständigen Satz beginnt, muss der dort stehende Spruch entweder noch in Kolumne 9 begonnen haben, oder Fragment 9 und 10 haben nicht direkt aneinander angeschlossen. Da manche Kolumnen dieses Papyrus Reste von neun Zeilen enthalten, könnte auch in Kol. 9 noch eine neunte Zeile (sowie eventuell weitere, die dann auf keinem einzigen Fragment erhalten wären) enthalten haben, in der die Einleitung für einen neuen Spruch Platz gefunden haben könnte.
2 Ergänzung nach der Parallele pRamesseum X,2, s. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 277, 331 und die Übersetzung im TLA. Leider ist auch dort die erste Zeile des Spruches komplett zerstört.
3 Ergänzungen nach der – ebenso bruchstückhaften – Parallele in pRamesseum X, 2,3-4, vgl. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 277 (Taf. 3) und 331. In pRamesseum X sind vor dem Seth-Tier noch ein m, gefolgt von zwei Dochten, erhalten. In diesen beiden Dochten vermutet Meyrat, a.a.O., 81 das Verb ḥjḥj: „suchen“ und in dem m davor den negierten Imperativ: „ne cherche pas …“. Obwohl er auf S. 331 nach dem Seth-Tier noch weitere Zerstörungen andeutet, schließt er in seiner Übersetzung das n, mit dem die folgende Zeile beginnt, direkt daran an: „ne cherche pas […] Seth pour […]“. Meyrats Seth-Tier folgt aber so nahe auf die beiden Dochte, dass man sich fragt, ob dazwischen wirklich etwas gefehlt haben kann, oder ob man nicht besser „ne cherche pas Seth pour“ übersetzen könnte. Als zusätzliche Option sei angeboten, nicht „suchen“, sondern ḥḥ: „schlagen“ zu lesen. Diese Schreibung des Verbs ḥwi̯ ist sicher bislang nur im Schiffbrüchigen und im Beredten Bauern belegt, aber einmal vielleicht auch in pRamesseum VIII, 12,8. Bei einer solchen Erklärung wäre es sinnvoller, das davorstehende m als Präposition und nicht als negativen Imperativ aufzufassen.
Meyrats Interpretation wie auch die hier gebotene Alternative werden allerdings durch das mögliche ḏi̯.t vor m verkompliziert: Vor diesem ḏi̯.t befindet sich in pRamesseum X eine kurze Lücke von maximal drei Schreibgruppen Länge, also so klein, dass sie kaum mehr als ein oder maximal zwei Wörter enthalten haben kann. Wiederum vor der Lücke ist ein jm=j deutlich erkennbar. Als Adverbiale wird diese am Ende eines Satzes oder Teilsatzes gestanden haben, so dass man annehmen muss, dass mit der Lücke eine neue syntaktische Einheit begann. Doch was kann hier gestanden haben, das kurz genug ist und sinnvoll auf ein ḏi̯.t enden kann?
4 Satz unklar. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 353 transliteriert das Wort nach jw als ḥn.wt: „Fürstin, Herrin“. Aber die Wortreste sehen anders aus als die Schreibung von ḥn.wt in 5,x+6 und 26,2, und zudem ergäbe der Satz so keinen Sinn. Ob irgendein Verb gestanden hat?
In der Parallele in pRamesseum X ist nur ein Geier erhalten, der irgendwo in diesem Satz vorkommen muss und daher zeigt, dass hier beide Versionen voneinander abweichen.
Das Satzende ist komplett fraglich. Zur Transliteration des Hieratischen vgl. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), Bd. 1, 277 (Taf. 3). Seine durchlaufende hieroglyphische Transliteration in Bd. 2, S. 353 bietet weniger, ebenso seine Transkription und Übersetzung auf S. 112-113. Da der Anfang der folgenden Zeile zerstört ist, ist unklar, wo die syntaktische Einheit endete. Eine Schreibung der zusammengesetzten Präposition m-dj kann bei m ḏi̯.t nicht vorliegen, weil nach der Präposition eine Nominalform stehen müsste, und weil sie erst im Neuägyptischen mit einem zusätzlichen t geschrieben werden kann. Sollte es ein negativer Imperativ sein: „Gib nicht!“? Aber auch das erfordert eine anschließende Nominalform, die das direkte Objekt des Gebens ausdrückt. Ist das anschließende m ḥr.w vielleicht ein zweiter negativer Imperativ, so dass hier das negative Gegenstück zu dem doppelten Imperativ mit jmi̯: „geben“ vorliegt, den H. Grapow, Wie die alten Ägypter sich anredeten, wie sie sich grüßten und wie sie miteinander sprachen. III. Zur Verwendung von Anrufen, Ausrufen, Wünschen und Grüßen, Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1941.11 (Berlin 1941), 26 (fürs Neuägyptische) und F. Hintze, Untersuchungen zu Stil und Sprache neuägyptischer Erzählungen. Bd 1-2, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Institut für Orientforschung, Veröffentlichung 2 & 6 (Berlin 1952), Bd. 2, 183 mit Anm. 4 (mit älteren Beispielen) erwähnen: „Gib! Fürchte dich nicht!“? Allerdings erwähnt keiner von beiden einen solchen doppelten Imperativ in negierter Form, sondern nur in affirmativen Konstruktionen; zudem wird das Negativkomplement von rḏi̯ nicht ḏi̯.t geschrieben, vgl. A. H. Gardiner, Egyptian Grammar. Being an Introduction to the Study of Hieroglyphs, 3rd, rev. edition (Oxford 1957 (Repr. 2001)), § 341 und die Reiterkarte DZA 23.620.060 mit den zugehörigen Belegzetteln.
Die Wortfolge (r)ḏi̯ m ḥr.w lässt an die deutsche Phrase „in Schrecken versetzen“ denken, aber das wird im Ägyptischen nach Ausweis der Belegstellen nicht auf dieselbe Weise ausgedrückt.
5 Erneut eine kleine Abweichung von der Parallele in pRamesseum X, wo auf das ḥr=k direkt zꜣu̯.w folgt, s. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 277 (Taf. 3). J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022) überlegt, ob das durch die Parallele gegebene ḥr=k vielleicht in der Lücke stand und die Zeichenreste zu einem Substantiv mit Suffixpronomen gehören.
6 Ḏwḏw ist ein Beiname des Apophis, vgl. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 131-132.
7 Zur möglichen Ergänzung des Zeilenbeginns vgl. die Parallele dieses Spruches in pRamesseum X, s. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 227 (Taf. 3). Es ist nicht ganz sicher, ob das allein die Lücke am Beginn von 10,4 ausfüllt.
Die Übersetzung dieser Zeile folgt K. Stegbauer, Magie als Waffe gegen Schlangen in der ägyptischen Bronzezeit (Borsdorf 2015 [= 2. Auflage 2019]), 203, wohingegen Meyrat, a.a.O., 113 und 132 das Epitheton „Sohn der Uto“ an Djudju anschließt – aber zugibt, dass das eine ungewöhnliche Filiation sei – und zꜣw Jw-nsrsr als zweites Epitheton versteht: „gardien de l’Île de la flamme“.
8 Die Parallele auf pRamesseum X, 2,6-7 bietet jn jrr=k r rḏi̯.t rḫ=j ḫ[__] | Stẖ m ꜥnḫ: „Handelst du, um zu veranlassen, dass ich [---] kenne?“ Das auf pRamesseum XVI noch erhaltene jn ist daher die Fragepartikel und nicht die Hervorhebungspartikel der jn-Konstruktion. In pRamesseum XVI lassen sich die marginalen Zeichenreste vor dem Gottesnamen mit J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022) zu ꜥnḫ ergänzen. Aber wie ließe sich der Satz dann sinnvoll ergänzen?
9 Ergänzungen nach der Parallele auf pRamesseum X, vgl. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 227 (Taf. 3).
10 Hiermit endet die letzte erhaltene Zeile der Parallele auf pRamesseum X.
11 [n] wtt: Ergänzung nach P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 354. Er ergänzt nach wtt noch nṯr.w und übersetzt [n] wtt [nṯr.w] auf S. 113 mit: „[alors que le dieux n’avait pas] été engendrés“.
12 Ergänzungsvorschlag J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
13 m jni̯ hh: Inhaltlich wird vielleicht auf das brennende Gift einer Schlange angespielt, s. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 133-134. Die Lesung des Hieratogramms vor jni̯ als m und Auffassung als negierter Imperativ folgt einem Vorschlag von J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).

Spruch gegen Schlangen1

[Übersetzung: Lutz Popko]

Kobra, zum [11,5] [Himmel]!
[Hundertfüßler,] zur Erde!2
Die Sohle des Horus [hat die Nḫj-Schlange3 getreten4, (nämlich) die Nḫj-Schlange3 des Horus, des kleinen Kindes]5 mit seinem Finger im Mund6.
[Ich bin Horus (o.ä.???), und weil ich (scil.: dieses) Kind bin, bin ich] auf dich7 [getreten].8
[Wäre ich erfahren(er) gewesen, wäre ich nicht auf dich getreten, denn du bist der Geheime, der Verborgene, wie die Götter sagen;]9
[12,1] [---] für dich deine Beine, mit denen du danach gehen wirst, [---] zusammen mit deinen Brüdern, den Göttern.10
Ihr beiden Schwachwerdenden11, ihr beiden Schwachwerdenden11, ihr beiden Erhobenen12, ihr beiden Erhobenen12,13 [---]14.
(Pausezeichen)

1 Parallele: PT 378.
2 Ergänzung nach P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 113 und Taf. 4 auf Basis der Parallele in PT 378. Sie ist aber als unsicher anzusehen, weil die Lücke dafür etwas zu lang erscheint: Das Wort p.t braucht im Hieratischen normalerweise zwei Schreibquadrate; das Wort spꜣ ist in pEbers 41,11, dem bislang einzigen hieratischen Beleg für dieses Wort, vier Schreibquadrate lang. Die Lücke in pRamesseum XVI, Zeile 11,5 ist aber ca. 8 Quadrate lang, also eigentlich zwei zu viel. Meyrat, a.a.O., 135 vermutet daher, dass der Klassifikator von spꜣ größer als normal gewesen sein könnte, „comme plusieurs autres déterminatifs d’animaux dans ce papyrus“.
3 nḫj: Eine nur in PT 378, also Kopien des vorliegenden Textes, belegte Schlangenbezeichnung. Daher ist unklar, ob eine poetische, religiöse oder taxonomische Bezeichnung vorliegt. K. Sethe, Übersetzung und Kommentar zu den altägyptischen Pyramidentexten. Bd. 3. Spruch 326-435 (§§ 534-787) (Glückstadt, Hamburg, New York 1937), 222-223 schlägt in seiner Bearbeitung der Pyramidentexte eine Ableitung von einem Verb nḫ: „angreifen, gefährlich werden für“ vor, das er aber nur mit diesem Spruch belegt, konkret mit § 664b, wo D. Topmann im TLA jedoch nicht nḫ n{=j} NN: „werde gefährlich für NN“, sondern nḫn{=j} NN: „weil NN ein Kind ist“ liest. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 136 vermutet dagegen eine Verbindung zum Verb nẖ: „ausspeien“, Wb 2, 318.14-15, und übersetzt den Schlangennamen mit „Cracheur“. Er verweist darauf, dass „plusieurs espèces de cobras africains“ ihr Gift ausspucken würden, und schlägt hier konkret Naja nigricollis nigricollis vor. Als dritte Option könnte man überlegen, ob das Wort mit dem Verb nḫj: „zerhacken, zerschneiden“ (TLA-Lemma 86900) verwandt ist. Dann läge ein magisch-religiöses Benennungsmotiv vor und es wäre wohl eine Schlange gemeint, die „zerschnitten“, also allein durch ihren Namen magisch unschädlich gemacht werden soll.
4 ḫnd: K. Sethe, Übersetzung und Kommentar zu den altägyptischen Pyramidentexten. Bd. 3. Spruch 326-435 (§§ 534-787) (Glückstadt, Hamburg, New York 1937), 221, Kommentar zu Pyr. § 663b versteht das Verb an dieser Stelle als „zertreten“. Dagegen wendet C. Leitz, Die Schlangensprüche in den Pyramidentexten, in: Orientalia 65 (4), 1996, 381-427, hier 427 ein, dass hier nicht das Zertreten einer Schlange angesprochen würde, sondern das reine Treten auf sie, was sie zum Biss reize. Syntaktisch ist immerhin auffällig, dass das Verb hier transitiv verwendet wird, während wenig später das, worauf getreten wird, mit Hilfe der Präposition ḥr angeschlossen wird. Es ist daher anzunehmen, dass sich die Bedeutung des Verbs an beiden Stellen zumindest um eine gewisse Nuance unterscheidet.
5 Ergänzung nach P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 113 und Taf. 4 auf Basis der Parallele in PT 378.
6 „Finger im Mund“: Das ist ein typisches Motiv der ägyptischen Ikonographie, mit dem kleine Kinder dargestellt werden.
7 ḥr=k: Das „du“ bezieht sich auf die Schlange und/oder den Hundertfüßler, wie die folgende Beschreibung zeigt. Wenn die Ergänzung korrekt ist, dann identifiziert sich der Sprecher hier, wie für magische Texte üblich, mit Horus und teilt damit dessen Schicksal, der als unerfahrenes Kind versehentlich auf die Schlange tritt und sie zum Biss reizt.
8 Ergänzung nach der Parallele in PT 378, s. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), Taf. 4. Der entsprechende Pyramidentextspruch enthält zwischen dem vorigen und diesem Satz noch einen weiteren Satz, nämlich: Ttj pw ḥm Ḥr.w ẖrd nḫn ḏbꜥ=f m rʾ=f: „Teti ist nämlich (dieser) Horus, das kleine Kind mit seinem Finger im Mund.“ Meyrat, a.a.O., 113 ergänzt diesen Satz auch in der Lücke von pRamesseum XVI, lediglich dahingehend modifiziert, dass er den konkreten Königsnamen Ttj des Originals durch ein jnk: „ich“ ersetzt hat. Man fragt sich jedoch, ob die Lücke von 11,7 tatsächlich die ganze Sequenz jnk pw ḥm Ḥr.w ẖrd nḫn ḏbꜥ=f m rʾ=f nḫn=j ḫnd.n=j enthalten haben kann, wenn die nur um zwei Wörter kürzere Lücke der vorherigen Zeile nur für ḫnd.tj nḫj nḫj n Ḥr.w ẖrd nḫn gereicht hat. Ob am Zeilenanfang eine auf „Ich bin Horus“ o.ä. verkürzte Aussage zu ergänzen ist?
9 PT 378 fährt nach dem vorigen Satz fort mit sꜣꜣ.n Ttj n j:ḫnd=f ḥr=k n ṯwt js štꜣ sfg j:ḏd.w nṯr.w, s. K. Sethe, Die altägyptischen Pyramidentexte nach den Papierabdrücken und Photographien des Berliner Museums neu herausgegeben und erläutert. Bd. 1. Text, erste Hälfte, Spruch 1–468 (Pyr. 1–905) (Leipzig 1908), 365, P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), Taf. 4 und C. Leitz, Die Schlangensprüche in den Pyramidentexten, in: Orientalia 65 (4), 1996, 381-427, hier 426.
10 PT 378 setzt hier noch den vorigen Satz fort: n-jw.t wn.t rd.wj=k n-jw.t wn.t ꜥ.w(j)=k j:šmi̯=k jm=sn m ḫt sn.w=k nṯr.w: „weil du keine Beine hast, weil du keine Arme hast, mit denen du gehen könntest im Gefolge deiner Brüder, der Götter“. Auf pRamesseum XVI liegt eine Abweichung vor.
P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 113-114 schlägt als Ergänzung und Lesung der ersten Zeichenreste vor: [... nn] dı͗=i rd.wj=k: „[...] je [ne] donnerai [pas] tes jambes (...)“ und vermutet a.a.O., 136, dass sich hier der Magier über die Schlange lustig macht und sich dadurch von ihr distanziert. Seine Ergänzung bleibt aber unsicher, weil konkret vom „geben“ der Beine die Rede ist, d.h. der Redner – und keine dritte Person – müsste der Schöpfer der Schlange sein. Außerdem ist der Sprecher der bisherigen Ergänzung der Betroffene und nicht der Magier.
Am Beginn der zweiten Zeile ergänzt Meyrat ebenfalls eine kurze Lücke. Es fragt sich aber, ob die Zeile nicht mit dem von ihm ergänzten [ḥ]nꜥ beginnt und es gar keine Lücke gibt. Inhaltlich ergäbe der Satz auf diese Weise jedenfalls Sinn und es bliebe einzig zu prüfen, ob die Wortstellung das erlaubt – leider ist die Untersuchung der Reihenfolge, in der im Ägyptischen adverbiale Erweiterungen stehen können, bislang ein Desiderat der Forschung. Allein die Umstellung des m ḫt hat jedenfalls die Ergänzung einer neuen Präposition vor sn.w=k notwendig gemacht.'
11 fnn.y: Wohl mit fn: „schwach sein“, Wb 1, 576.10-12 zu verbinden, s. schon K. Sethe, Übersetzung und Kommentar zu den altägyptischen Pyramidentexten. Bd. 3. Spruch 326-435 (§§ 534-787) (Glückstadt, Hamburg, New York 1937), 225, Kommentar zu Pyr. § 666a, übernommen von R.O. Faulkner, The Ancient Egyptian Pyramid Texts. Translated into English (Oxford 1969), 125, C. Leitz, Die Schlangensprüche in den Pyramidentexten, in: Orientalia 65 (4), 1996, 381-427, hier 426 und C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. III. p-nbw, Orientalia Lovaniensia Analecta 112 (Leuven 2002), 191c. Dagegen hält P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 137-138 diese Ableitung nicht für überzeugend, sondern schlägt eine Verbindung mit fnṯ: „Wurm, Schlange“ (Wb 1, 577.5-7) vor, das „parfois“ auch nur fn geschrieben sei. Tatsächlich ist diese Schreibung aber nicht „parfois“, sondern nur in der einen, von Meyrat genannten Stelle pAnastasi IV, 13,7 belegt. Hierbei könnte es sich daher um einen Individualfehler handeln: Vielleicht hat das inzwischen zu einem t entpalatalisierte dazu geführt, dass der Schreiber das Wort für ein Femininum *fn.t gehalten und das t unterschlagen hat. Jedenfalls hat das Wort fnṯ regulär seinen abschließenden Dental nie verloren, noch im Koptischen lautet es ϥⲛⲧ, s. Wb, ebd. und W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 2. Auflage (Heidelberg 2008), 345. Ebenfalls unwahrscheinlich ist Meyrats Idee, das Wort mit pnꜥnꜥ (sic, nicht pnnꜥnꜥ): „sich mehrmals umdrehen“ zu verbinden. Interessant ist sein zusätzlicher Verweis auf eine arabische Wurzel fnn und ein Wort ʾufnūn, vgl. den von Meyrat herangezogenen A. de Biberstein Kazimirski, Dictionnaire Arabe-Français contenant toutes les racines de la langues Arabe. Bd. 2 (1850), 636.
Die Vorschläge von G. Takács, Etymological Dictionary of Egyptian. Vol. 2. b-, p-, f-, Handbuch der Orientalistik I.48.2 (Leiden 2001), 571, es mit Wörtern der Bedeutung „sorcery, fortune-telling, magic“ bzw. „magic power“ zu verbinden, sind abzulehnen, weil die von Wb 1, 576.14 für fnnwj gegebene Definition „Zauberwort“, das Takácz offenbar als Tertium comparationis heranzieht, keine Übersetzung, sondern nur eine Kontextbeschreibung ist.
12 ṯnn.y hat bereits K. Sethe, Übersetzung und Kommentar zu den altägyptischen Pyramidentexten. Bd. 3. Spruch 326-435 (§§ 534-787) (Glückstadt, Hamburg, New York 1937), 225, Kommentar zu Pyr. § 666a von ṯni̯: „erheben“ u.ä., Wb 5, 374.1-375.28 abgeleitet. Dem folgen R.O. Faulkner, The Ancient Egyptian Pyramid Texts. Translated into English (Oxford 1969), 125, C. Leitz, Die Schlangensprüche in den Pyramidentexten, in: Orientalia 65 (4), 1996, 381-427, hier 426 und J.P. Allen, The Ancient Egyptian Pyramid Texts, Writings from the Ancient World 23 (Atlanta, Leiden 2005), 88, ebenso C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. VII. š-, Orientalia Lovaniensia Analecta 116 (Leuven 2002), 472a. Dagegen erwägt P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 138-139 eine Verbindung mit einer semitischen Bezeichnung für eine „serpent de mer“ vor, die im ugaritischen als tan und tnn, im arabischen tinnīn u.a. belegt sei.
13 fnn.y ṯnn.y: Das gemeinsame Vorkommen dieser beider Wörter dient zweifellos der Lautmalerei; die Wiederholung ist typisch für Anrufungen im magisch-religiösen Bereich. K. Sethe, Übersetzung und Kommentar zu den altägyptischen Pyramidentexten. Bd. 3. Spruch 326-435 (§§ 534-787) (Glückstadt, Hamburg, New York 1937), 225, Kommentar zu Pyr. § 666a vermutet, dass mit den beiden Entitäten Hu und Sia als Begleiter des Sonnengottes gemeint sein könnten, den er wiederum hinter dem „Gott“ in § 666b, beim „mtj-Strick des Gottes“ erkennt. Aufgrund der Verbindung mit einem Strick denkt C. Leitz, Die Schlangensprüche in den Pyramidentexten, in: Orientalia 65 (4), 1996, 381-427, hier 427 eher an die Schlangen, die die Sonnenbarke ziehen. Während die Entitäten in PT 378 im Dual stehen: fnn.wy und ṯnn.wy, vgl. auch das sich darauf beziehende jrr.wy, ist die Schreibung mit Doppelschilfblatt in pRamesseum XVI keine übliche Dualschreibung.
14 Nach der Anrufung der beiden Entitäten fährt PT 378 fort mit: jrr.wy mtj nṯr zꜣu̯ Ttj zꜣ=f ṯn: „die ihr den mtj-Strick des Gottes bildet: Schützt Teti, damit er euch schützt!“, s. K. Sethe, Die altägyptischen Pyramidentexte nach den Papierabdrücken und Photographien des Berliner Museums neu herausgegeben und erläutert. Bd. 1. Text, erste Hälfte, Spruch 1–468 (Pyr. 1–905) (Leipzig 1908), 365 und C. Leitz, Die Schlangensprüche in den Pyramidentexten, in: Orientalia 65 (4), 1996, 381-427, hier 426. Was der mtj-Strick ist, ist unklar. K. Sethe, Übersetzung und Kommentar zu den altägyptischen Pyramidentexten. Bd. 3. Spruch 326-435 (§§ 534-787) (Glückstadt, Hamburg, New York 1937), 226, Kommentar zu 666b vermutet dahinter eine Bezeichnung eines magischen Schutzknotens J.P. Allen, The Ancient Egyptian Pyramid Texts, Writings from the Ancient World 23 (Atlanta, Leiden 2005), 95, Anm. 35 denkt an eine Metapher für mt: „Penis“; allerdings ist die Bedeutung von mt als Penis unsicher, s. https://sae.saw-leipzig.de/de/glossar/kauens.

Spruch gegen Schlangen und die srf(.t)-Entzündung

[Übersetzung: Lutz Popko]

Willkommen!
[---] euch/eure für [12,5] den Herrn (?) [---] diese [---] diese [---] liegen/schlafen [---] [liegen/schlafen] [---]1
[13,1] [---] unter meinen Kopf ist und Selkis unter meinen(?) Füßen.2
Thot, er bestreicht(?)3 [---].
[Der (betroffene) Mann] spreche diesen [Spruch], während er daliegt zur Zeit des Abends.
Das ist ein Schutz des Leibes gegen Schlangenmännchen und Schlangen[weibchen(?)] [---] jeder [Gott und jede] Göttin [---].
Sie sollen (?) ihren „Schutz“ nicht für mich wirken!4
Sie sollen (stattdessen) die srf(.t)-Hautentzündung fernhalten (?)5 [---], denn ich bin doch der, der den / den der [---] Sohn umsorgen (muss). (???)
[13,5] Der den / Den der [---] Sohn umsorgen (muss) [---].
Die Sandale des Horus [trat] mich [nicht], während sie behinderte (?) den [---].
[--- jede Schlange und jeder Skorpion / jede Spinne; die] mit ihrem Maul [beißt] und die mit ihrem Schwanz sticht.6
[---] die [beiß]en werden und die stechen werden7 [---] [Anub]is [---]7
[---] [14,1] dieser Wiedehopf(?)8 zu dem, was sich vor eurem Mund befindet, wie (vor dem des) Urzeitlichen (Gottes), des Jünglings (oder: des Lebenden)8, der im Auge des Re ist.9
(O) großer Gott, wirke deinen Schutz für mich!
Siehe, ich liege [---]
[---] vordem (?).
Mein Schutz ist der Schutz [des ---], des großen Gründers(?).
Mein Schutz ist der Schutz [14,5] [des ---], wenn sie um ihn klagt.10
Mein Schutz ist der Schutz des [---] Schutz.
Auf dein Gesicht, Herr der Kraft (oder: Herr der Verbeugung)11!
[---] gegen mich / zu mir.
Ich bin der, der allein entstanden ist [---].
Sie sollen ihren Schutz gegen mich [wirken] [---]12
[15,1] Befalle [mich] nicht!
Ich bin Anubis [---] hinter dich.
[---] gegen mich / zu mir.
Der Hi[mmel] [---].
Befalle [mich] nicht!
Ich bin Sopdu.
[15,5] [---] jeder/alle [---] der Achet-Jahreszeit.13

1 Satzgrenzen unklar.
2 Erste und letzte Zeichengruppe gelesen nach einem Vorschlag von J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022). Der Umstand, dass etwas „unter“ und nicht „auf“ dem Kopf des Sprechers ist, impliziert, dass er daliegt, wie auch die Nachschrift zeigt.
3 dqr steht hier vielleicht für dgꜣ, ein Verb, das im Baugewerbe das Ausgleichen unebener Untergründe mit Putz bezeichnen kann, s. W.C. Hayes, Ostraka and Name Stones from the Tomb of Sen-Mūt (no. 71) at Thebes, Publications of the Metropolitan Museum of Art Egyptian Expedition 15 (New York 1942), 41; möglicherweise ist hier gemeint, dass Thot den Stachel des Skorpions bzw. die Zähne der Schlange mit etwas bestreicht, um es unschädlich zu machen (Hinweis Fischer-Elfert).
4 nn stp=sn zꜣ=sn: Es ist auffällig, dass die Aussage ins Negative verkehrt ist, denn normalerweise liegt mit stp zꜣ eine positive Handlung vor. Sollte diese Phrase eigentlich inhaltlich so neutral sein, dass sie, wenn das Agens eine negative Entität, wie bspw. ein Dämon oder Untoter, ist, auch negativ aufgefasst werden können, also als etwas, von dem man sich distanzieren möchte? Zu dieser Vermutung passt vielleicht auch die Beobachtung, dass der zꜣ-Schutz nach dem demotischen pInsinger 31,22 seine Wirkung einer Gottheit verdankt, s. J. F. Quack, Altägyptische Amulette und ihre Handhabung, Orientalische Religionen in der Antike 31 (Tübingen 2022), 34.
5 Das auf das Pronomen =sn folgende Wort ist partiell beschädigt, und wenn der Vorschlag zur Bedeutung von ḏr korrekt ist, müsste dieses teilzerstörte Wort ein Substantiv sein. Die Zeichenreste passen gut zur srf(.t)-Entzündung (Lesung bestätigt nach Autopsie durch J. F. Quack, E-Mail vom 21.03.2022). Hierbei handelt es sich wohl um eine Hautentzündung (s. den Kommentar mit Literatur hier: https://sae.saw-leipzig.de/de/dokumente/papyrus-chester-beatty-vii), und die Behandlung im Kontext von Sprüchen gegen Schlangen in pRamesseum XVI könnte u.U. ein Hinweis darauf sein, dass Schlangen wenn nicht als der, so doch als ein Verursacher dieser Entzündung galten.
6 Ergänzung mit P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 114 und 142, basierend auf Parallelen auf der Metternichstele und anderer Texte, auf die ihn Guermeur hingewiesen hat. Die Lesung ḏdm.t statt ḏdb.t folgt einem Vorschlag von J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
7 Lesungen am Ende von 13,8 und in 13,9 nach J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
8 ḏb.t und ꜥnḫ: Alternativvorschläge von J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
9 Das Ägyptische kennt den Ausdruck des ḥwn.t jm.jt jr.t Ḥr.w: „das Mädchen, das im Horusauge ist“; einmal in den Sargtexten und dann in griechisch-römischer Zeit. Häufiger kommt auch das maskuline Äquivalent ḥwn.w jm.j jr.t Ḥr.w: „der Jüngling, der im Horusauge ist“ vor, s. N. Gräßler, Konzepte des Auges im alten Ägypten, Studien zur Altägyptischen Kultur, Beihefte 20 (Hamburg 2017), 150-159. Wie das lateinische Wort „pupilla“, dem „Püppchen“, wird diese Bezeichnung auf die Spiegelung eines Betrachters im Auge von dessen Gegenüber anspielen. Es scheint sich hierbei um ein universales Benennungsmotiv zu handeln, s. Gräßler, a.a.O., 151 mit Literatur, wobei Gräßler zeigt, dass ḥwn.t eine metaphorische Bezeichnung bleibt und sich nicht auf die Pupille allein, sondern wohl auf den gesamten Irisbereich bezieht. Außerdem ist diese Metapher in den von ihr untersuchten Texten in älterer Zeit nur für das Auge des Horus belegt und wird erst in der 3. Zwischenzeit auch auf das Auge anderer Götter, wie etwa Amun-Re, übertragen. Daher liegt in pRamesseum XVI kaum eine Bezeichnung für die Pupille des Re vor. Vermutlich ist eher damit zu rechnen, dass pꜣ.wtj und ḥwn.w ein komplementäres Epithetapaar bilden und jm.j jr.t Rꜥw ein weiteres Epitheton darstellt. Ein solches Epitheton ist tatsächlich, wenn auch bislang nur zwei Mal, belegt, s. C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd I. -y, Orientalia Lovaniensia Analecta 110 (Leuven 2002), 227c-228a. Dort ist es übersetzt mit „Der im Auge des Re ist“. Ebenso übersetzt es P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 115: „qui est dans l’œil de Rê“, der aber eben wegen des voranstehenden ḥwn.w an die Pupille denkt (a.a.O., 142). Löst man es davon, wäre zu überlegen, ob man bei der Übersetzung des LGG bleibt oder alternativ an eine „Reversed Nisbe“ denkt: „der, an dem sich das Auge des Re (d.h. die Uräusschlange) befindet“.
10 Satzende nach J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
11 nb ks: P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 356 liest das Hieratische nach k:z als Krokodil und kommt unter Verweis auf C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. III. p-nbw, Orientalia Lovaniensia Analecta 112 (Leuven 2002), 766a zum „Herrn der Kraft“. J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022) liest dieselbe Zeichengruppe als w-Schleife über t, gefolgt von dem sitzenden Mann.
12 Lesung mit J. F. Quack (E-Mail vom 23.03.2022).
13 Ob hier ein saisonaler Zauberspruch vorliegt, vergleichbar zu den saisonalen Heilmitteln auf pEbers, Rezepte Eb 388, 389 und 393?

Spruch gegen schlechte Träume (?)

[Übersetzung: Lutz Popko]

[---] sich bewegen, Hirten [---] alle, die darin sind (?) [---].
[16,1] Es ist an seiner Rechten angeheftet, während seine Linke zur Rechten (gewandt) ist, wobei seine [---]1 nicht an ihnen sind.
(O ihr,) die (ihr) das Gewölk beseitigt, die ... (?), seht mich an, seht mich an! (???)2
[---].
Ach, möge ich doch Bastet(?) sehen [---] ... (?) [---], der/die/das in meiner Hand ist!
Er möge meine Bande lösen!3
[16,5] [---] sie/ihre [---] vor mir.
Er möge Schwachsichtigkeit meines (?)4 linken Auges beseitigen, [---] nachdem er mich vor dem Feind [rettete (o.ä.)], die holen/geholt werden (?) [---], der/die/das erhabene [---] in Heliopolis, während Tadel [---], ohne zu vergessen / zu ignorieren (?)5 [---]
[---] [17,1]6 mit/als ‚Durchwanderer‘-Dämonen(?)7, die meinen Mund (oder: mein Gesicht) von mir wegführen (wollen), damit das [---] nicht geschieht.8
Der (betroffene) Mann spreche diesen Spruch, während er sich am sehr frühen Morgen wäscht und (oder: so dass / damit er) in die Augen der Feinde spuckt und in die Augen eines jeden [schlechten] Traumes.9

1 nn [---] jm=f: P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 359 ergänzt in der Lücke noch einmal jꜣb.t und übersetzt a.a.O., 116 die gesamte erste Zeile dieser Kolumne mit „[L’]attacher sur sa main droi[te], sa main gauche vers la droi[te], pas sur sa [main gauche], avec [eux]“. Man gewinnt jedoch den Eindruck, als würde sich das pluralische Suffixpronomen =sn auf die zuvor genannte Linke und Rechte beziehen, so dass in der Lücke etwas anderes gestanden haben müsste.
2 Übersetzung völlig unsicher.
3 Lesung mit J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
4 jꜣb.t=j: Lesung des Suffixpronomens nach Vorschlag von J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
5 ḫm: Das Wortende ist zerstört, daher ist unsicher ob wirklich das Wort „nicht wissen; ignorieren“ vorliegt.
6 Nach der schrägen Schnittkante zu schließen, gehören die Frames 16 und 17 unmittelbar zusammen. Der Beginn des Satzes von 17,1 muss demzufolge in 16,9 oder einer eventuell darunter noch zu ergänzenden Zeile gestanden haben.
7 Nmt.(j)w: Dasselbe Wort scheint noch einmal, ebenfalls tlw. zerstört und ebenfalls in unklarem Kontext, in Zeile 20,1 vorzukommen. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 360 und 363 schlägt eine Lesung des ersten Zeichens als Drillbohrer, Gardiner Sign-list V25, vor. Das gesamte Wort liest er beide Male (116-117) ḥmw.t-mwt: „l’envoûtement“. Diese Lesung ist jedoch unsicher, weil zum einen der Drillbohrer im Wort ḥmw.t-rʾ in Zeile 26,2 etwas anders geschrieben ist und trotz seiner ebenfalls partiellen Zerstörung noch die Gewichtssteine am oberen Ende zeigt. Zum zweiten ist das Wort ḥmw.t-mwt, auf das die Lesung referiert, nämlich Wb 3, 85.4, ein Ghostword, denn an den entsprechenden Stellen ist šw.t: „Schatten“ statt ḥmw.t zu lesen, s. H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Zweite Hälfte (h-), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.2 (Berlin 1962), 840-841.
Möglichweise liegt beide Male eigentlich eine Schreibung der Nmt.jw-Dämonen von Wb 2, 271.20 vor, die in den nicht viel jüngeren Zaubersprüchen für Mutter und Kind genannt werden. Leider lässt sich über deren Natur nichts Weiteres sagen, als dass ihr Name vermutlich von der Wurzel nmt: „schreiten“ u.ä. abzuleiten ist (N. Yamazaki, Zaubersprüche für Mutter und Kind. Papyrus Berlin 3027, Achet B 2 (Berlin 2003), 33, Anm. s) und dass deren Abscheu das Essen der Meeräsche oder die Meeräsche an sich ist.
8 tm.w [_] ḫpr: Der Anschluss an das Vorherige ist wegen der kleinen Lücke unklar. Unter ihr ist noch ein langer Abstrich vorhanden, der aber anders, als man zunächst annehmen könnte, nicht zu einem =f ergänzt werden kann, weil dieses in der Handschrift des Papyrus Ramesseum XVI anders geschrieben wird. Möglicherweise wird durch diese Phrase den zuvor genannten dämonischen Wesen die Existenz abgesprochen.
9 [rs]w.t nb.t [ḏw.t]: Ergänzung von P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 362, zweifellos auf Basis derselben Phrase in 21,1. Dass hier der „schlechte Traum“, der Alptraum, so personalisiert wird, dass er Augen besitzt, in die man spucken kann, ist hervorhebenswert. Aufgrund dieser ungewöhnlichen Phraseologie ist auch die Zeitlage von psg=f: „er spuckt“ unsicher. Ist es syntaktisch und semantisch parallel zu jꜥi̯=f zu übersetzen? Dann wäre das Spucken eine weitere Begleithandlung und man könnte sich vielleicht ein nicht explizit genanntes Amulett vorstellen, auf das der Betroffene während des Waschens spucken solle – oder vielleicht ist es so gemeint, dass er in das Wasser spucken solle, mit dem er sich den „Schlaf“ und die Müdigkeit aus den Augen gewaschen hat. Eine andere Option ist, psg=f konsekutiv („so dass er spuckt“) oder final („damit er spuckt“) zu übersetzen. In diesem Fall würde damit die Konsequenz der Rezitation und Waschung ausgedrückt sein, nämlich dass dadurch dem schlechten Traum in die Augen gespuckt würde.

Spruch gegen schlechte Träume (?)

[Übersetzung: Lutz Popko]

Sei gegrüßt, Re, [17,5] [---] Himmlischer, Stern(enhafter) (?) [---] die Götter, die ihn (?) fahren lassen, [---] Jüngling, den er liebt, [---], [18,1] die mir den Schlaf rauben (wörtl.: die meine Traumphasen vergessen machen),1 die gegen mich vorgehen in Visionen, die mein Herz / meinen Verstand [---], wobei ich mir gegenüber nicht standhalten kann ... (???)2!
Der Gestaltwandler ist verstümmelt.
[---] die Augen.
[---] die ihn/es sehen und(?) die, [18,5] die [---] sehen [---].
[Mögen] sie3 mich vor jedem schlechten Traum [retten (o.ä.)]!
[Der (betroffene) Mann spreche diesen Spruch, wobei er sich am --- Morgen wäscht und in]4 die Augen [---] spuckt [---] [am sehr frühen] Morgen.

1 smhh.yw qdd.wt=j: smhi̯ heißt „vergessen lassen“, wobei sich hier durch das nachfolgende Wort qdd.wt eine Ambivalenz ergibt: Dieses Wort kann ab dem Neuen Reich konkret den Traum bezeichnen (s. K. Szpakowska, Behind Closed Eyes. Dreams and Nightmares in Ancient Egypt (Swansea 2003), 16-17); in älterer Zeit bezeichnet es eher den Schlaf, aber auch hier deutet sich konkret die Nuance des Schlafes mit Träumen an (vgl. Szpakowska, a.a.O. und S. Gerhards, Konzepte von Müdigkeit und Schlaf im alten Ägypten, Studien zur Altägyptischen Kultur, Beihefte 23 (Hamburg 2021), 188). Daher könnte man dieses Wort – mit aller Vorsicht – vielleicht als „Traumphase“ übersetzen, was auch den Vorteil hat, dass es, wie hier, in den Plural gesetzt werden kann. Diese Übersetzung darf aber nicht zu dem Missverständnis führen, dass die Ägypter ein Konzept des REM-Schlafes besaßen. Wie auch immer man den Begriff übersetzt – die Verbindung mit smhi̯ lässt fragen, was genau vergessen werden soll: die Träume, die man während des Schlafens hatte, oder den Schlaf selbst? Letzteres würde darauf hinauslaufen, dass der Betroffene nicht schlafen kann.
2 n rḫ=j ꜥḥꜥ ḫft-ḥr=j m ...: Das Verb rḫ ist hier wohl eher als Hilfsverb denn als Vollverb zu verstehen, weil ihm andernfalls das Objekt fehlen würde. Unklar ist die Kollokation ꜥḥꜥ ḫft-ḥr, die bislang nicht belegt ist. Zwar ist sie wörtlich gut zu verstehen, nämlich als „stehen, aufstehen; standhalten“ + „gegenüber [lokal], angesichts“; aber zusammen mit einem Suffixpronomen der 1. Person Singular ergibt diese Phrase hier semantisch keinen Sinn: Wie kann eine Person behaupten, nicht sich selbst gegenüber stehen zu können?
Das Verständnisproblem wird weiter erschwert durch die nachfolgende Adverbiale. Meyrat liest m ꜥnḫ: „en vie“ und beginnt danach einen neuen Satz rʾ pn jꜥi̯.w: „cette bouche ayant été lavée“. Dies ergibt jedoch im vorliegenden Kontext wenig Sinn, denn es ist unklar, worauf die explizite Deixis verweist. Außerdem wirkt die hieratische Gruppe hinter Meyrats ꜥnḫ zu schmal für ein . Könnte sein r eigentlich eine w-Schleife sein, so dass man ꜥnḫ.w zu lesen habe? Wenn damit nicht das Leben, sondern etwa der Spiegel gemeint wäre, würde die Stelle an das Traumbuch des pChester Beatty III, konkret an Zeile rto 7,11, erinnern: „Wenn sich ein Mann in einem Traum (m rs.wt) sieht, indem er sein Gesicht (ḥr) in einem Spiegel (m ꜥnḫ) sieht: (Das ist) schlecht – es bedeutet eine andere Ehefrau.“ (vgl. A.H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 1. Text (London 1935), 16 und im TLA). Sollte in pRamesseum XVI von einem Träumenden die Rede sein, der sich im Spiegel gerade nicht sieht? Dazu würde evtl. auch passen, dass zu Beginn des Spruches der Sonnengott Re angesprochen wird, der mit dem Spiegel konzeptuell verbunden ist (vgl. C. Lilyquist, Ancient Egyptian Mirrors from the Earliest Times through the Middle Kingdom, Münchner Ägyptologische Studien 27 (München, Berlin 1979), 94).
Gegen eine solche Interpretation spricht jedoch erneut das Demonstrativpronomen pn, das auf einen im Zusammenhang mit diesem Spruch verwendeten realweltlichen Gegenstand deutet, so dass hier nicht der im Traum gesehene Spiegel gemeint sein kann. Zudem wäre es schwierig, das anschließende Pseudopartizip(?) jꜥi̯.w semantisch sinnvoll anzuschließen.
3 [___=s]n: So nach einem Vorschlag von J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
4 Ergänzung des Satzanfangs nach 17,2-3. Die Passage würde die Lücke in Zeile 18,6 gut füllen. Nur der noch erhaltene, eher waagerechte Zeichenrest vor psg passt nicht zu dem zp-2 von Zeile 17,2. Zudem findet sich in Zeile 18,7 ein weiteres dwꜣ, das anzeigt, dass die beiden Rezitationsvermerke nicht völlig identisch waren.

Neuer Spruch, evtl. gegen schlechte Träume

[Übersetzung: Lutz Popko]

Gegrüßt seist [du, (Gottheit) NN, ---]
[---] [19,1] ihre Träume,1 die meine Traumphasen verwirren, die den Zustand (?)2 des (?) [---] Schutzes3 den „Kindern des Müden“ zu offenbaren, die eingesperrt4 sind in / abgesperrt4 sind von [---].
Du sollst nicht wissen, dass ich s[ie in] meinen [Tr]aumphasen sehe, die sind [---] jeder schlechte [Traum]5, [19,5] den ich in [dieser(?)] Nacht gesehen habe.
Gut!6
[Der (betroffene) Mann spreche diesen Spruch, (um) ab(zu)wehren] ... (?) am Tag (?), (um zu) vernichten [jeden schlechten Traum (?), verursacht von (?) --- Untoter,] Untote [---].7

1 ⸢___⸣.wt: P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 362 und 117 ergänzt zu [jmj].tw rs.wt=sn: „qui sont dans leurs rêves“. Die Präposition jmj.tw heißt jedoch nicht einfach „in“, sondern „zwischen, inmitten“ von mehreren Dingen, und es fragt sich, ob diese Präposition mit einem Wort wie rs.wt verbunden werden kann.
2 wbꜣ.yw dürfte der Schreibung zufolge das Partizip zu wbꜣ zu sein, und das Wortende besteht eher aus Buchrolle über Pluralstrichen als aus sitzendem Mann über Pluralstrichen; vgl. die Form, die der sitzende Mann über Pluralstrichen in Zeile 24,4 hat. Sollte dies korrekt sein, ist das anschließende Wort am wahrscheinlichsten das direkte Objekt. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 362 und 117 liest ḫp.w und vermutet eine Erwähnung der „Verstorbenen“ (Wb 3, 259.4-5; vgl. auch Wb 3, 259.13). J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022) schlägt dagegen ḫr.t: „Zustand“ vor; statt sitzendem Mann über Pluralstrichen wäre erneut Buchrolle über Pluralstrichen zu lesen. Bei dem teilzerstörten Wort danach überlegt er, ob es sich um nṯr: „Gott“ handeln könnte.
3 gs-dp.t: Die Bedeutung des Begriffes und seinen Unterschied zu anderen Ausdrücken des Schutzes zu fassen ist schwierig, zumal er nicht sehr häufig vorkommt. Der Titel zẖꜣ.w gs-dp.t wird mitunter verstanden als „Schreiber der Bootsseite“ unter der Annahme, es läge der Begriff gs: „Seite (einer Mannschaft)“ vor, vgl. die Literatur bei H.G. Fischer, Boats in Non-Nautical Titles of the Old Kingdom, in: Göttinger Miszellen 126, 1992, 59-78, hier 59. Die alternative Deutung als „Schreiber der Bordwachen“ (Lit.: Fischer, a.a.O.) basiert sicherlich auf der Passage bei Herchuf (s. unten). Gegen die erste Bedeutung hat J.A. Wilson, Rez. zu: Dendera in the Third Millennium B. C. Down to the Theban Domination of Upper Egypt . By Henry G. Fischer, in: American Journal of Archaeology 74 (2), 1970, 209-210 zu Recht argumentiert, dass die Unterteilung und Organisation einer Schiffsmannschaft (Wilson konkret: Ruderer) nach Schiffsseiten „hardly credible“ sei. (Für eine funktionierende Navigation müssen natürlich beide Seiten eines Schiffes koordiniert vorgehen; und ägyptische Schiffe waren nicht so groß, dass eine Verdopplung allein etwa aus Gründen einer besseren Kommunikation nötig gewesen wäre.) Als Grund, warum die „Schiffsseite“ zu einem Wort für „Schutz“ werden konnte, schlägt Wilson die Ableitung von rituellen Spielen vor, in denen die Rudermannschaften den Auftrag hätten, Feinde von den göttlichen Booten fernzuhalten; ein „Schreiber der Bordseite“ hätte dann vielleicht die Aufgabe gehabt, „to register and record the services of those nobles who were honored to row in the divine boat and to repel the enemies of the deity“. Eine noch viel simplere Erklärung bietet R.O. Faulkner, The Ancient Egyptian Coffin Texts. Vol. II. Spells 355-787 (Warminster 1977), 307, Anm. 8 zu CT, Spruch 783: „the meaning ‚protection‘ derives from the notion of the ship’s side as a bulwark against danger“. Notierenswert ist diesbezüglich auch die Altreichsbiographie des Herchuf, die auch von denen, die den Begriff gs-dp.t diskutieren (so auch Fischer, a.a.O. und Wilson, a.a.O.) herangezogen wird. In dieser Biographie findet sich der Brief des Königs Pepi zitiert, in dem Herchuf angewiesen wird, einen „Zwerg“ (also vielleicht Pygmäen), den er aus Nubien mitbringt, während der Schiffsreise zur Residenz gut zu bewachen: jri̯ rmṯ.w [j]qr.w wnn.w ḥꜣ=f ḥr gs.wj dp.t zꜣu̯.w ḫr=f m mw: „Lass fähige Leute um ihn herum sein zu beiden Seiten des Schiffes! Verhüte, dass er ins Wasser fällt!“ (Urk. I, 130.7-9, neueste Bearbeitung bei J. Stauder-Porchet, Harkhuf’s Autobiographical Inscriptions. A Study in Old Kingdom Monumental Rhetoric. Part I. Texts, Genres, Forms, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 147 (1), 2020, 57-91, hier 80). Diese Stelle war vom Wb-Team anfangs sogar als weiterer Beleg für gs-dp.t: „Schutz“ abgelegt worden: Darauf bezieht sich der einmalige AR-Beleg, zudem in dualischer Schreibung, auf dem Schreibungszettel DZA 30.708.510 (vgl. DZA 30.708.540 und DZA 30.708.550), die allerdings nachträglich gestrichen wurde. Von dieser singulären Stelle ausgehend, könnte man die Hypothese aufstellen, dass der gs-dp.t-Schutz nach innen gerichtet war, dass er also nicht primär der Abwehr äußerer Gefahren diente, sondern dazu, den zu Schützenden vor den Folgen eigener, potenziell Gefahr bringender Handlungen zu bewahren. Allerdings zeigen schon die CT-Belege, allen voran der oben erwähnte Spruch 783, dass dort gs-dp.t auch der Abwehr äußerer Feinde diente.
Das anschließende n ist von J. F. Quack nach Autopsie des Originals gelesen (E-Mail vom 21.03.2022).
4 ḫnr: Der Schreibung nach sicherlich nicht das Verb „disperser“ (P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 17 und 147), sondern „einsperren, absperren“.
5 [rs].wt: Die parallelen Formulierungen auf der übernächsten Kolumne legen nahe, auch hier rs.wt zu lesen. Die Zeichenspuren auf dem kleinen Fragment vor der Gruppe wt scheinen dem zu widersprechen, aber nach Autopsie des Originals äußert J. F. Quack den Verdacht, dass das Fragment falsch platziert ist (E-Mail vom 21.03.2022), so dass diese Ergänzung doch möglich scheint.
Für das von P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 117 davor noch rekonstruierte jmj.tw reicht der Platz nicht aus – von der Unsicherheit, ob eine solche Ergänzung semantisch überhaupt möglich ist (s. den Kommentar zu 19,1), einmal abgesehen.
6 Im Interkolumnium vor Zeile 19,5 steht ein vertikales Zeichen, das P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 362 als mj transliteriert und auf S. 117 als „copie“ übersetzt. Zu einem solchen Vermerk s. a.a.O. 147 und J. Jüngling, Hieratische Aktenvermerke, Hieratic Studies Online 2 (Mainz 2021), spez. 8, 11 (Tab. 2) und 15. Es fragt sich jedoch, warum diese Passage oder alternativ die gesamte Kolumne als „Kopie“ ausgewiesen werden sollte. Selbstverständlich werden solche magischen Sammelhandschriften wie pRamesseum XVI de facto Zusammenstellungen von schon existierenden Sprüchen, ergo Kopien sein, statt dass sie die „Masterhandschrift“ und eigentliche Quelle der anderen Textzeugen ist. Dennoch weisen sich solche Handschriften nicht als Kopie aus.
Da das Zeichen relativ blass und die Lesung als mj nicht eindeutig ist, sollten daher auch andere Lesemöglichkeiten in Betracht gezogen werden. Hier wird eine Transliteration als nfr vorgeschlagen. Mit einem solchen Vermerk werden im Papyrus Ebers und auch in den Papyri Ramesseum III und IV, also solchen aus demselben Konvolut wie pRamesseum XVI, bestimmte Rezepte als besonders wirksam ausgezeichnet (s. H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Erste Hälfte (-r), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.1 (Berlin 1961), 460, s.v. nfr, I.c).
Vermutlich dürfte sich der Vermerk aber nicht nur auf die Nachschrift beziehen, sondern auf den gesamten Spruch. Auch im Papyrus Ebers steht er nicht vor der Zeile, auf die er sich bezieht, sondern etwa mittig vor dem betreffenden Rezept.
Zugegebenermaßen passt auch die Lesung nfr nicht völlig zufriedenstellend zu der hieratischen Form. Sowohl für sie wie auch für mj fehlt eigentlich der waagerechte Balken in der oberen Zeichenhälfte. Noch ähnlicher als mj oder nfr ist das Ruder mit der Lesung ḥpt oder ḫrw, vgl. die Zeichenform in 26,3. Nur: Wofür könnte ein solches Kürzel stehen? Dass der Rezitationsvermerk besonders laut gesprochen werden soll? Aber wieso sollte das in Form einer Abkürzung im Kolumnenzwischenraum vermerkt worden sein?
7 Alle Ergänzungen sind rein spekulativ. Die Ergänzung von Zeile 19,6 erfolgt nach 21,6; der Vorschlag zur Ergänzung von Zeile 19,5 basiert auf Zeile 20,6; sie würde die Lücke jedenfalls gut füllen. Der Vorschlag m hrw stammt von J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022). Da auch die beiden Zeilen, die hier als Basis verwendet wurden, stark zerstört sind, ist die Syntax der Verben ḫsf und szwnu̯ unklar.

Spruch gegen schlechte Träume (?)

[Übersetzung: Lutz Popko]

[---].
[20,1] Die ‚Durchwanderer‘-Dämonen1, sie sind beseitigt; sie sind eingesperrt; ihre Wirkungsmacht ist (von ihnen) fortgenommen; sie mögen [vom] Abscheu ihres Mundes abgesperrt werden.2
Du mögest mich doch (?) beschützen, Re,3 wie du deine beiden Kinder Schu und Tefnut vor Feinden4 beschützt!
[20,5] Du mögest [jeden schlechten] Tra[um] vernichten [---].
Der (betroffene) Mann spreche diesen Spruch, damit (?) das, was [---] schädigt, abgewehrt wird (?) [---] am sehr frühen Morgen.
Du sollst sagen [---].

1 Zum ersten Wort in 20,1 vgl. den Kommentar zum selben Wort in 17,1. Vgl. hier erneut die Zaubersprüche für Mutter und Kind, wo in Spruch V (N. Yamazaki, Zaubersprüche für Mutter und Kind. Papyrus Berlin 3027, Achet B 2 (Berlin 2003), 52) die Nmt.jw-Dämonen als „Feinde“ klassifiziert werden, die sḫr: „vertrieben“ werden sollen, und wo der Name dessen, der um den Betroffenen klagt, šrj: „versperrt“ werden soll.
2 m bw.t rʾ=sn: Wenn die Lesung korrekt ist, dürfte gemeint sein, dass den Wesen, um die es geht, ihre Fähigkeit, Negatives und Gefährliches heraufzubeschwören, genommen werden soll.
3 𓅓𓂝 Rꜥw: Lesung des Götternamens mit P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 363; die Schreibung der Sonnenscheibe unterscheidet sich etwas von den anderen Schreibungen im Text. Es wäre jedoch höchst ungewöhnlich, dass jemand *vor* (m-ꜥ) Re geschützt zu sein wünscht (so Meyrat), so dass hier vielleicht die Partikel mj vorliegt.
4 ḫft.jw: Unter Umständen erwartet man noch eine weitere Spezifizierung der Feinde, etwa wenigstens ein rückverweisendes Pronomen =sn: „vor ihren Feinden“. Falls Fragment 20 und Fragment 21 direkt aneinander anschließen, ist allerdings die Lücke am Ende der Zeile nicht lang genug dafür.

Neuer Spruch, evtl. gegen schlechte Träume

[Übersetzung: Lutz Popko]

[---] retten/fortnehmen [---].
[20A] Ich will sie vertilgen zu diesen Zeiten [---] [21,1] jeden schlechten Traum, den ich in der Nacht gesehen habe, nachdem ihr vor dieses Hackmesser1 des Thot2 gegeben wurdet.
Macht nicht gegen mich ... (?).
Das ist3 ein Traum der ‚Durchwanderer‘-Dämonen (?), die ihn auslöschen3, damit kein Traum, den ich [21,5] in dieser Nacht gesehen habe, existiert.“
Der (betroffene) Mann spreche diesen Spruch beim W[aschen (?) ---] an/in/aus seinen Augen am sehr frühen Morgen.
Das bedeutet,4 einen Traum zu zerstören [---], damit die Feinde abgewehrt werden [---].

1 ḥsb.t: Ein ḥsb.t genanntes Messer wird in den Fangnetzsprüchen innerhalb der Sargtexte sowie in Tb 153 genannt (s. R. van der Molen, A Hieroglyphic Dictionary of Egyptian Coffin Texts, Probleme der Ägyptologie 15 (Leiden 2000), 356 und Wb 3, 168.5). Es wird regelmäßig als Messer einer Gottheit ausgewiesen (in den von van der Molen genannten Belegstellen Isis und Nephthys, im Tb einmal auch Schesemu); und diese Bezeichnung „ḥsb.t von (Gottheit) NN“ gilt als Name eines šꜥ.t-Messers. D. Bidoli, Die Sprüche der Fangnetze in den altägyptischen Sargtexten, Abhandlungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo, Ägyptologische Reihe 9 (Glückstadt 1976), 70 mit Anm. b leitet ḥsb.t von ḥsb: „zerbrechen“ ab und schlägt die Übersetzung als „Hackmesser“ vor. Die Stellen geben nur wenig Auskunft über die Natur des Messers: in A. de Buck, The Egyptian Coffin Texts VI. Texts of spells 472-786, Oriental Institute Publications 81 (Chicago 1956), 18f und 35k erfährt man immerhin, dass die Göttin Isis dieses Messer nutzte, um die Nabelschnur ihres Sohnes Horus „durchzuschneiden“ (šꜥ); in anderen Texten wird mit einer Nabelschnur auch ḥsq gemacht (vgl. etwa J. F. Quack, Apopis, Nabelschnur des Re, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 34, 2006, 377-379, hier 377), was neben „abschneiden“ o.ä. auch „köpfen“ bedeuten kann und daher neben Tätigkeiten von Schneidwerkzeugen ebenfalls solche von Hiebwerkzeugen benennen kann. Das vermutlich diesem Substantiv zugrunde liegende Verb ḥsb (Wb 3, 168.4) ist bislang nur einmal, in der 11. Stunde des Pfortenbuches, belegt (d.h. viel später als das Substantiv). Dort heißt es Ꜥꜣpp ḥsb(.w) m snf=f: „Apophis ist ḥsb-gemacht in seinem Blute“.
In den Fangnetzsprüchen tritt ḥsb.t als Bezeichnung, also mindestens als Teilsynonym, von šꜥ.t auf, ein Nomen, das sich vom Verb šꜥ: „schneiden, abtrennen“ ableitet. Das Substantiv ist selten, aber es ist von der Pyramidenzeit bis in die ptolemäischen Tempelinschriften belegt (sofern man diese letzteren Belege nicht, wie es P. Wilson, A Ptolemaic Lexikon. A Lexicographical Study of the Texts in the Temple of Edfu, Orientalia Lovaniensia Analecta 78 (Leuven 1997), 993 vermuten lässt, unter šꜥ.t: „Gemetzel“ subsummiert). Es ist etwas, mit dem man natürlich šꜥ: „schneiden“ kann; aber man kann damit auch ḥwi̯: „schlagen“ (DZA 29.957.300) und sṯi̯: „schießen“ (d.h. hier wohl: „stechen“) (DZA 29.957.250). Dieses Objekt mit „Schwert“ zu übersetzen, wie es bspw. K. Sethe, Übersetzung und Kommentar zu den altägyptischen Pyramidentexten. Bd. 1. Spruch 213-260 (§§ 134a-323d) (Glückstadt, Hamburg, New York 1935), 251 (PT 247, § 257) schon für die Belege aus den Pyramidentexten tut, hängt natürlich wesentlich davon ab, ob man entsprechende dolch- und messerartige Waffen dieser Zeit als Schwert klassifiziert; und ebenso fließend, wie die Grenze dieser modernen Waffenbezeichnung ist, könnte sie auch im Alten Ägypten gewesen sein: Wenn in einigen späteren Belegen vom šꜥ.t des Königs gesprochen wird, liegt die Bedeutung „Schwert“ tatsächlich näher als „Dolch“ oder „Messer“.
Ein weiterer Faktor, der die Frage nach der Bedeutung von ḥsb.t zumindest berührt, ist der Umstand, dass šꜥ.t und damit ḥsb.t in den Fangnetzsprüchen in einer Aufzählung von Teilen eben eines Fangnetzes erscheint, und zwar hinter mḏꜣ.t, dem „Gestänge“. Bidoli, a.a.O. vermutet dennoch in ḥsb.t eine Bezeichnung des Messers, nämlich des Messers, das verwendet würde, „(...) um das Seil zurechtzuschneiden, welches sie [d.h. die Ägypter, L.P.] für das Zusammenbinden der Pflöcke mit den Streben beim Aufstellen des Netzes benötigten“. Dennoch sollte mit der Option gerechnet werden, dass šꜥ.t an dieser Stelle eine metaphorische Bezeichnung für einen integralen Teil des Netzes ist. Vor diesem Hintergrund fragt sich, ob es vielleicht auch einen Zusammenhang zwischen dem ḥsb.t dieser Sprüche und dem bislang nur zweimal belegten Wort ḥsb.t in Darstellungen des Vogelfangs gibt (Wb 3, 166.8). Von den beiden Belegen des Wb für dieses letztere Wort ist der zweite zu stark zerstört, um bei der Bedeutungsfindung zu helfen; der erste Beleg stammt aus der Mastaba des Ptahhotep in Saqqara (westlich der Stufenpyramide, Opferkammer, Ostseite, nördliche Hälfte, 6. Register v.o.), s. F.L. Griffith – R.F.E. Paget – A.A. Pirie, The Tomb of Ptah-Hetep, in: J.E. Quibell – W. Spiegelberg (Hrsg.), The Ramesseum / The Tomb of Ptah-Hetep, British School of Archaeology in Egypt and Egyptian Research Account [2] (London 1898), 25-34, hier Taf. 32. Dort ist einer Gruppe von Männern sḫt m ḥsb.t: „(Vögel) fangen im/mit (?) ḥsb.t“ beigeschrieben, die so stark an einem Seil eines Fangnetzes voller Vögel ziehen, dass sie schon liegen.
2 In pRamesseum XVI, 21,2 (P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 364) liegt mit der Phrase ḥsb.t twy n(.j)t Ḏḥw.tj möglicherweise eine Anspielung auf die Phrase der Fangnetzsprüche vor. Auffällig ist, dass es im Papyrus das Messer des Thot ist, wohingegen es in den Sargtexten in der Regel ein Messer der Isis oder der Nephthys ist. Dass im Zusammenhang mit Thot von allen ebenfalls infrage kommenden Waffen ausgerechnet ein ḥsb.t-Messer gewählt wurde, ist vielleicht kein Zufall. So ist Thot im Grunde auch der Gott der Rechenkunst (äg. ḥsb: „rechnen, berechnen“; unsicher, ob dieselbe Wurzel wie das diskutierte Messer: H. Satzinger – D. Stefanović, Egyptian Root Lexicon, Lingua Aegyptia, Studia Monographica 25 (Hamburg 2021), 270 unterscheiden zwischen den „Deep Roots“ „to break“, „to count“ und „to slaughter“, wobei das Messer zur Letzteren gehört); und viele der mit der Wurzel ḥsb: „rechnen, berechnen“ gebildeten Götterepitheta von C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. V. -, Orientalia Lovaniensia Analecta 114 (Leuven 2002), 483c-487a beziehen sich (auch) auf Thot. Außerdem wird mit einem Bezug auf eine Passage mit Beschreibung eines Fangnetzes ein Bezug zur Vogeljagd hergestellt, so dass sich fragt, ob auch noch eine weitere Assoziation mit Thot als Helfer des jungen Horus gegen dessen Onkel Seth vorliegt, in dessen Zusammenhang Thot einmal Seth in einer Falle fangen konnte. Wohl darauf bezieht sich der Name ḥw.t-jbṯ.t: „Haus der Vogelfalle/des Schlagnetzes“, womit ein Tempel des Thot in Hermopolis bezeichnet wird, s. B. Grdseloff, Zum Vogelfang im Alten Reich. Ein Nachtrag, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 74, 1938, 136-139, hier 138-139, und vgl. auch D. Budde, Das „Haus-der-Vogelfalle“, Thot und eine seltsame Hieroglyphe auf einem Obelisken Nektanebos’ II. (BM EA 523), in: Göttinger Miszellen 191, 2002, 19-25.
3 pw und ꜥḫm.w: Lesungsvorschläge J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
4 pw: Lesung nach Autopsie des Originals durch J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).

Spruch gegen Übel an Gesicht und Augen

[Übersetzung: Lutz Popko]

„Komm zu mir, [---].
[22a,1]1 Komm doch, Re – Horus2, der das Übel vertreibt, [was vor ihm liegt], Horus, der Herr der Kraft, der Große, Horus, der seine Feinde besiegt, [22a,5] Horus, der von selbst entstand an der Grenze des Himmels, [22b,1] der du mich in deinem Namen als Horus, Herr der Doppelkrone, sehen wirst!
Du mögest das Übel beseitigen, das an meinem Gesicht ist, das an diesen meinen Augen ist, so wie du das Übel beseitigst, [22b,5] das vor dir ist!
[---] deine Güte sehen; Re [---]3
[23,1] Ich will mich in dieser Nacht [nicht] vor ihnen fürchten.4
Du mögest mir diese gute Sache gewähren, die vor dir liegt und die täglich hinter/nach dir herauskommt (???) in diesem deinem Namen [23,5] ‚Ältester Sohn‘, als gute Sache, die früher entstanden war.5
Der (betroffene) Mann spreche diesen Spruch beim Sich-[---]; seine Arme [---] sich hüten / bewachen (?) [---] absperren [---].6

1 Das Layout suggeriert, dass mit Kolumne 22a ein neuer Abschnitt einsetzt. Das würde jedoch voraussetzen, dass am Ende des erhaltenen Fragments von Kolumne 21 ein sehr kurzer Spruch stand, oder dass diese Kolumne und damit alle anderen von pRamesseum XVI ursprünglich weit mehr als nur neun Zeilen pro Kolumne enthielt.
2 P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 148 spricht sich mit Verweis auf den Synkretismus Rꜥw-Ḥr.w-ꜣḫ.tj für eine Kombination der beiden Gottesnamen in der Form Ra-Horus aus. Während die Kombination Re-Harachte tatsächlich schon aus dem Mittleren Reich stammt (C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. IV. nbt-h, Orientalia Lovaniensia Analecta 113 (Leuven 2002), 630a), ist die Kombination „Re-Horus“ viel seltener und bislang erst ab der Ramessidenzeit belegt (C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. IV. nbt-h, Orientalia Lovaniensia Analecta 113 (Leuven 2002), 692c, Belege [2] und [3]). Daher werden die beiden Götternamen hier lexikographisch separat behandelt, wobei die Satzkonstruktion zweifelsfrei die Gleichsetzung von Re und Horus aufzeigt.
3 Syntax unklar.
4 Ergänzung der Negation nach einem Vorschlag von J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022). Alternativ könnte man den Satz als vollständig ansehen und als emphatische Konstruktion übersetzen („In dieser Nacht fürchte ich mich vor ihnen.“) oder ihn als Nebensatz an einen Hauptsatz mit der generellen Aussage „Du mögest mich vor ... schützen“ anschließen.
5 Aussage unklar.
6 Sic! Die Nachschrift ist nicht rot geschrieben.

Spruch zum Erwerb von Beliebtheit

[Übersetzung: Lutz Popko]

[24,1] Sei gegrüßt, Re!
Sei gegrüßt, Leuchtender!
Sei gegrüßt, (du) mit glänzendem Gesicht!
Du mögest das Gesicht aller Menschen, aller Pat- und Rechyt-Leute, aller Frauen und aller Männer mir gegenüber1 freundlich machen!
Du mögest1 mich für sie aufgehen lassen, [24,5] wie Re bei seinem Herauskommen am/im [Osten (?) ---]2 aufgeht [---] am Himmel!
Ich bin der Große Schwarze, ich bin der Große Schwarze. (oder: ... der große Reiher ... der große Reiher)3
[---] die große (Uräusschlange) der Weißen Krone [---] zurückhalten [---] jede meiner [---] [---].
[25,1] Beim Näherkommen der (vergöttlichten) Nilflut jubeln die Kinder4.5
Dieser Spruch werde über Milch [auf] der Hand des (betroffenen) Mannes gesprochen.
Werde durch den (betroffenen) Mann am sehr frühen Morgen eingesogen6.

1 jm=j ḏi̯=k Lesung nach J. F. Quack (E-Mail vom 05.08.2021). P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 120 denkt an j m=k: „ô vois“, aber die Invokationspartikel j wird nicht mit dem einfachen sitzenden Mann klassifiziert.
2 pr.w=f ḥr [___]: Re und seine Gefährten fahren „in“ (m) der Sonnenbarke, und Re geht „am“ (m) Horizont auf. Weder das eine noch das andere kann demzufolge in der Lücke gestanden haben. J. F. Quack (E-Mail vom 05.08.2021) schlägt den „Osten“ vor. Dieser kann durchaus, wenn auch selten, mit ḥr angeschlossen werden.
3 Mit dem „Großen Schwarzen“ (so die Lesung von Meyrat), einem schwarzen Stier, ist hier wohl Horus Chenti-Cheti als morgendliche Sonne gemeint, vgl. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 151 mit Literatur. Wenn sich der Betroffene durch den Satz „Ich bin Kem-Wer“ mit dieser Gottheit identifiziert, vergleicht er sich demzufolge mit dem zuvor angerufenen Sonnengott, aber ebenso mit Horus, der in einer anderen Erscheinungsform in den mythischen Präzedenzfällen magischer Texte der am häufigsten von schlechten Dingen betroffene und befreite Gott ist.
Dasselbe trifft im Prinzip bei einer Lesung als nw[r] wr (so der Vorschlag von J. F. Quack, E-Mail vom 21.03.2022), wobei hier noch unsicher wäre, wer damit gemeint ist.
4 ḥꜥꜣ ist eine von zahlreichen Bezeichnungen für ägyptische Kinder. D.N. MacDonald, Terms for ‚Children‘ in Middle Egyptian. A Sociolinguistic View, in: The Bulletin of the Australian Centre for Egyptology 5, 1994, 53-59, hier 56 führt es in seiner Liste mit der Bedeutung „‚infant‘, ‚child‘ or ‚lad‘“ mit unbekannter Etymologie auf. Schon K. Piehl, Notes de philologie égyptienne, in: Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13, 1891, 40–53, 106–118, 235–245, hier 111 und K. Sethe, Neue Spuren der Hyksos in Inschriften der 18. Dynastie, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 47, 1910, 73-86, hier 80, Anm. 2 hatten allerdings vorgeschlagen, es von ꜥꜣ: „groß“ abzuleiten, so, wie ḥwrw analog von wr. Mit dieser Etymologie findet es sich auch bei G. Thausing, Über ein -Präfix im Ägyptischen, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 39 (3-4), 1932, 287-294, hier 290; sie vermutet hier und in weiteren Wörtern mit -Präfix eine Umkehr ins Gegenteil, also den Ausdruck der Polarität (vgl. M. Brose, Das Wurzelerweiterungsaffix im Ägyptischen (und im Afroasiatischen), in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 144 (2), 2017, 149-172, hier 151). Die meisten von Thausings Belegen für dieses Präfix, und damit auch ḥꜥꜣ, lehnt zwar J. Osing, Die Nominalbildung des Ägyptischen, Sonderschrift, Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Kairo 3 (Mainz 1976), 869, Anm. 1394 pauschal ab (vermutlich spiegelt MacDonalds Ansicht, keine bekannte Etymologie vorweisen zu können, genau diesen Forschungsstand wider); jedoch steht dieser Ablehnung wiederum D. Franke, Fürsorge und Patronat in der Ersten Zwischenzeit und im Mittleren Reich, in: Studien zur Altägyptischen Kultur 34, 2006, 159-185, hier 173 skeptisch gegenüber, der in Anm. 60 erneut ḥꜥꜣ als „nicht-groß: Kind“ nennt. Auch K.-T. Zauzich, Eine folgenreiche Etymologie: demotisch hwtn > koptisch howtn, in: C. Leitz – H. Knuf – D. von Recklinghausen (Hrsg.), Honi soit qui mal y pense. Studien zum pharaonischen, griechisch-römischen und spätantiken Ägypten zu Ehren von Heinz-Josef Thissen (Leuven 2010), 617-627, hier 620 nennt dieses Wort; er vermutet in dem Präfix jedoch nicht den Ausdruck einer Polarität, sondern ein „subjektbezogenes“ Affix, das die vom Simplex ausgedrückte Handlung auf das Subjekt überträgt: Ein ḥwrw sei jemand, der sich selbst für „groß“ (wr) halte, aber objektiv gesehen eben doch ein „Kleiner“ ist bzw. wegen dieses subjektiven Anspruchs auf Größe eigentlich ein Elender, Anmaßender. Und weiter: „Ähnlich denken Kinder von einem gewissen Alter an, sie seien schon ꜥꜣ: ‚groß‘, ja erwachsen. Das sind sie aber nur in ihrer eigenen Sicht, für andere bleiben sie noch eine Weile ḥꜥꜣ.w ‚Knaben‘.“ Dem schließt sich auch Brose, a.a.O., 163 weitgehend an und verbindet die von Zauzich vorgeschlagene Bedeutung des Affixes mit der von ihm selbst herausgearbeiteten „indirekt-reflexiven“ Funktion; er bleibt einzig etwas zögerlich, weil dafür eigentlich die Ableitung von einem – nicht belegten – Verb ḥꜥꜣ notwendig sei, denn nur dort habe das Affix diese Funktion.
Der Verwendung dieses Begriffes könnte also vielleicht eine gewisse verniedlichende Nuance innewohnen, ähnlich wie im Deutschen das eigene Kind als „Große(r)“ bezeichnet werden kann, was sicherlich dem objektiven Umstand einer gewissen Reife Rechnung trägt, aber dennoch auch zumindest in eindeutigen Kontexten die Bedeutung transportiert, dass der/die so Bezeichnete immer noch ein Kind ist.
In pRamesseum XVI, 25,1 hat der Begriff jedoch sicherlich eine rein neutrale Bedeutung und dürfte aufgrund der Assonanz mit ḥꜥꜥ und ḥꜥpj sowie der Ähnlichkeit des Anlauts mit ḫsf gewählt worden sein, wie bereits P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 152 schreibt.
5 Syntax unsicher; hier wird übersetzt, als wäre der Satz vollständig. J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022) überlegt, ob am Ende der vorigen Kolumne noch ein mj gestanden hat: „(...) wie die Kinder jubeln ...“.
6 sn: Die Wahl des Verbs ist ungewöhnlich, denn die Aufnahme von Materia magica wird üblicherweise mithilfe von ꜥm: „verschlucken“ ausgedrückt, selbst dann, wenn es sich um Rauch oder Abstrakta wie „Zauberkraft“ handelt, vgl. Wb 1, 184.4 und R.K. Ritner, The Mechanics of Ancient Egyptian Magical Practice, Studies in Ancient Oriental Civilization 54, 4th edition (Chicago 2008), 105-106. Vergleichbares findet sich in den medizinischen Texten: Auch dort ist ꜥm einer der Oberbegriffe für die Aufnahme von Materia medica (neben sꜥm, wnm u.a.), selbst dann, wenn die Inhalation von Rauch gemeint ist, s. H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Erste Hälfte (-r), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.1 (Berlin 1961), 138-139.
An der vorliegenden Stelle ist die Verwendung von sn: „einatmen, riechen“ umso ungewöhnlicher, als das affizierte Objekt Milch ist, also eine flüssige und keine gasförmige Substanz. Daher verweist P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 152 auf Wb 4, 154.1, wonach sn auch übertragen für „Speisen küssen[,] d.h. sie kosten“ steht. Die darunter abgelegten Belegstellen sind jedoch ambivalent, denn sie stammen aus dem Kontext von Gottesopfern und könnten auch das bloße Einatmen des Duftes meinen.
Für die vorliegende Stelle aussagekräftiger könnte vielmehr die Bedeutung von Wb 4, 154.2 sein: „die Hand küssen“ aus Deir el-Bahari. Dort steht sn rmn(?): „den Arm ‚riechen‘“ parallel zu nsbi̯ ḥꜥ.w: „Glieder ablecken“; und die zugehörige Abbildung zeigt die Hathorkuh beim Ablecken der Hand der Hatschepsut.
Dafür, dass sn auch mindestens den physischen Kontakt beschreibt, scheint zunächst zu sprechen, dass dieses Wort auch „küssen“ bedeuten kann. Zunächst ist einschränkend dazu zu sagen, dass die genaue Ausführung des „Küssens“ im Alten Ägypten nicht immer eindeutig ist. R. Schlichting, Kuß, küssen, in: W. Helck – W. Westendorf (Hrsg.), Lexikon der Ägyptologie. Bd. III. Horhekenu-Megeb (Wiesbaden 1980), 901-902 weist auf die Schwierigkeit hin, zu entscheiden, ob man im Alten Ägypten immer vom Mundkuss sprechen kann, oder ob an vielen Stellen eher an den Riech- oder Nasenkuss zu denken sei: „Den Mundkuß findet man allein dargestellt in der Amarnazeit als Zärtlichkeitsaustausch zwischen Mutter und Kind. Ob der Mundkuß auch während des Liebesspiels praktiziert wurde, läßt sich sich aus dem uns vorlegenden Material nicht entnehmen“. Die Zweifel an Letzterem können immerhin mit Blick auf das Liebeslied Nr. 20, oCairo CG 25218 + oDeM 1266, Zeile 16 relativiert werden: j𓀁 snn=j sj sp.tj=st wn: „Ach, ich will sie küssen; ihre Lippen sind geöffnet.“ (s. im TLA: https://aaew.bbaw.de/tla/servlet/GetCtxt?u=guest&f=0&l=0&db=0&tc=445&ws=500&mv=3).
Bezüglich pRamesseum XVI lässt sich aufgrund dieses mehrdeutigen Befundes nicht mit Sicherheit sagen, dass sn die Bedeutung „ablecken“ o.ä. hat. Allein der Umstand, dass es um Milch geht, spricht dafür; gleichzeitig fragt sich, ob in pRamesseum XVI nicht tatsächlich nur an das Einatmen des – tatsächlich vorhandenen oder nur imaginierten – Duftes der Milch gemeint sein könnte. Vielleicht sollten dem betroffenen Mann gewisse göttliche Qualitäten übertragen werden, wenn die Aufnahme der beschworenen Milch auf dieselbe Weise geschieht wie die Nahrungsaufnahme im Gottesopfer.

Spruch zum Erwerb von Beliebtheit

[Übersetzung: Lutz Popko]

Sei gegrüßt, Verehrter,1 jugendlich Machtvoller, der in Busiris ist,2 zufriedengestellt [25,5] [---] meine Beliebtheit3 zu den Menschen, meine Gunst [---], die mich sehen werden, [die mich] erblick[en werden] [---], die ihre [___] werden [---]
[---] [26,1] die/das die Sonnenbeschienene (Menschheit) erhöht/rühmt.
Du mögest mich lieben!
Ihr möget mich (?)4 lieben, all (ihr) Menschen, usw.
Ich bin dieser Favorit von Hathor,5 meiner Fürstin, [die] davon lebt,6 ihn zu sehen.
Möget ihr davon leben, mich zu sehen!
Ich bin ein Herr der Vollkommenheit,7 ein Herrscher der Beliebtheit.
Dieser Spruch werde über einem Papyrusstängel(-Amulett) aus Fayence, eingerieben mit Myrrhe, gesprochen.
[26,5] Werde vom (betroffenen) Mann eingesogen8.

1 bnr mrw.t: Wb 1, 463.2-5 gibt als Bedeutung für diese Wortverbindung „beliebt“, deutet durch die Setzung in Anführungszeichen an, dass es das nur als Umschreibung, nicht als Übersetzung vorschlägt. I. Köhler, Stele Louvre C 100 und die liebreizende Mutirdis. Von der Liebesdichtung zur bibliographischen Inschrift einer Frau, in: Göttinger Miszellen 259, 2019, 143-158, hier 147-148 diskutiert diese Phrase in ihrer Besprechung der Stele Louvre C 100 und kommt zu dem Schluss, dass sich bnr und bnr mrw.t „am ehesten mit ‚geschätzt‘ und ‚(sehr) beliebt‘ übersetzen lassen“. Ihre Frage, ob dieser Ausdruck als etwas Selbstempfundenes oder von außen Kommendes zu verstehen ist, lässt sich vielleicht mit Blick auf eine Statuette aus noch späterer Zeit beantworten, auf der sich ein Verstorbener als bnr mrw.t m jb n ḥqꜣ: „bnr mrw.t im Herzen / nach Meinung des Herrschers“ bezeichnet, s. J.J. Clère, Une statuette du fils aîné du roi Nectanabô, in: Revue d’égyptologie 6, 1951, 135-156, hier 138-139. Ebenfalls in diese Richtung weisen die jeweils einmal belegten Götterepitheta bnr mrw.t ḫr psḏ.t: „bnr mrw.t bei der Götterneunheit“ und bnr mrw.t ḫr mw.t=f: „bnr mrw.t bei seiner Mutter“ sowie das zweimal belegte bnr.t mrw.t ḫr nṯr.wt: „bnr.t mrw.t bei den Göttinnen“ (C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. II. -b, Orientalia Lovaniensia Analecta 111 (Leuven 2002), 804b-c und 805c-806a). Überhaupt wäre zu überlegen, welche Qualität genau damit ausgedrückt werden soll, wenn eine Gottheit als bnr mrw.t bezeichnet wird (vgl. insgesamt LGG II, 802c-806a; dort ebenfalls als „Der sehr Beliebte“ übersetzt). Das Attribut „geschätzt“ erscheint in diesem Fall zu schwach und dem Ausdruck „sehr beliebt“ wohnt eine gewisse Banalität inne, wenn die Gottheit, wie im Fall von pRamesseum XVI, gepriesen wird – wenn sie nicht beliebt wäre, zumindest beim Redner, wäre sie wohl kaum angerufen worden. B. Böhm (mdl. Mitteilung) schlägt „verehrt“ vor. Alternativ wäre vielleicht auch an „gütig“ zu denken.
2 sḫm rnp.w jm(.j) Ḏd.w: P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 152 verweist auf die fast identische Epithetakombination auf der Statue Kairo CG 563, Zeile 5, aus der 18. Dynastie, nur dass dort der Ortsname Mendes (Ḏd.t) statt Busiris (Ḏd.w) steht, s. M.G.-D. Mokhtar, Ihnâsya el-Medina (Herakleopolis Magna). Its Importance and its Role in Pharaonic History, Bibliothèque d’étude 40 (Le Caire 1983), 168 und 173-175. Auf dieser Stele beziehen sich diese Epitheta auf den Gott Herischef, und aufgrund dessen nimmt Meyrat an, dass auch in pRamesseum XVI Herischef gemeint ist. Mit Verweis auf die Ähnlichkeit beider Ortsnamen im Ägyptischen und der daraus resultierenden häufigen Verwechslung in den Texten erwägt er, auch auf dem Papyrus eher Mendes als Busiris zu lesen, bleibt in seiner Übersetzung (S. 120) aber doch bei Busiris. Tatsächlich sind die Bezüge des Herischef zu Osiris enger als die zu dem Widder von Mendes, sofern Letztere überhaupt vorhanden sind: Die von Mokhtar, a.a.O. zitierte Stelle H. Kees, Göttinger Totenbuchstudien. Ein Mythus vom Königtum des Osiris in Herakleopolis aus dem Totenbuch Kap. 175, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 65, 1930, 65-83, hier 68 kennt allenfalls eine indirekte Verbindung über Osiris. Daher ist es sicherlich besser, in pRamesseum XVI bei der Lesung Busiris zu bleiben, und man könnte aufgrund dessen sogar umgekehrt fragen, ob nicht auf der Kairener Stele der Ortsname von Mendes zu Busiris verbessert werden sollte.
3 mrw.t=j: Ergänzung der Zeichenreste nach einem Vorschlag von J. F. Quack (E-Mail vom 05.08.2021) contra P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 368 und 120, der rn=j: „mon nom“ liest.
4 Am Ende von Zeile 26,1 liest P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 369 und 121 n m(w)t, und das erste, kleine Zeichen am Beginn von Zeile 26,2 interpretiert er als sitzenden Mann, der als Klassifikator von m(w)t dient. Jedoch wäre zum einen der sitzende Mann als Klassifikator von mwt: „Untoter“ unerwartet. Zum zweiten hat der Schreiber von pRamesseum XVI eine Zeile, soweit sie erhalten sind, nie innerhalb eines Wortes umgebrochen; und von einer ersten Zeile einer Kolumne zur zweiten hätte er dazu noch weniger Grund gehabt als sonst, weil es in diesem Moment noch keinen Satzspiegel gab, den er einzuhalten versucht wäre.
Quack schlägt für das Ende von Zeile 26,1 die Lesung nwj als Sandhi-Form des enklitischen Pronomens wj nach einem auf n endenden Wort vor (E-Mail vom 05.08.2021) und für den Beginn von 26,2 die Lesung r(m)ṯ(.t) nb.t (E-Mail vom 21.03.2022).
5 Wer mit dem Favoriten der Hathor gemeint ist, ist unklar. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 153 vermutet eine Form der Schutzgottheit Aha bzw. Bes, mit der sich der Magier identifiziere, um dem Patienten oder der Patientin zu Hilfe zu kommen. Auffällig ist ferner das Demonstrativpronomen, das vermutlich auf etwas Realweltliches hinweist, vielleicht also ein dreidimensionales Amulett in Gestalt des göttlichen Favoriten der Hathor.
6 ꜥnḫ[.t] contra Meyrats ꜥnḫ[=j] nach einem Vorschlag von J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
7 nb nfr.t: P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 369 transliteriert nb ḫrw. Was genau ein solches Epitheton aussagen würde, bliebe jedoch unklar, und ungewöhnlich wäre ferner die Klassifizierung von ḫrw mit der Buchrolle.
Oben in Kolumne 19 wurde das fast identisch aussehende, ins Interkolumnium vor Zeile 19,5 geschriebene Zeichen nicht mit Meyrat als mj, sondern als ungewöhnliche Form eines nfr interpretiert. Ob man in Zeile 26,3 ähnlich denken könnte? Dann wäre es kein „Herr der Stimme“, sondern ein nb-nfr.t: „Herr der Vollkommenheit“ (bestätigt von J. F. Quack nach Autopsie des Originals, E-Mail vom 21.03.2022).
8 sn: Wie in Zeile 25,2 stellt sich die Frage, wie das sn zu interpretieren ist. in Zeile 26,5 kann es noch weniger „einnehmen“ o.ä. bedeuten, weil das betroffene Objekt ein fayencenes Amulett ist. Auch hier käme ein Ablecken infrage, aber ebenso ein Einsaugen, nämlich des Myrrheduftes.

Neuer Spruch unklaren Themas

[Übersetzung: Lutz Popko]

O (du) Großer, o (ihr) Großen, der über seiner Nahrung ist [---] zu ihm.1
Du mögest umherziehen, du mögest umherziehen, dein Herz möge zufrieden sein!
[Beliebt]heit (?)2 [---] dieser schöne [Tag] (?), nachdem du mich nämlich [vor ---] gerettet hast [---], (und) nachdem [du ... gerettet hast]3 [---]
[---] [27,1] Chaos.
Ich will nicht infolge eines großen Gemetzels fallen.
Die Götter sollen nicht tun, was sie mir an Schlechtem (antun) wollen.4
Die Nägel ihrer Finger sollen nicht mit meinem Blut beschmiert werden.
Ich bin Chepri, der von selbst entsteht.5
Ich bin dieses Vorderteil (oder: Körperteil)6 des Nun, [27,5] das inmitten der Unordnung7 aus dem Wasser aufgeht.
Die Menschen, die zu mir aufgestiegen sind, haben mich angebetet8 [---] zu mir / für mich [---]
[---] [28,1] ... (?).9
Siehe, die Kultstätte10 ist (mein) Körper.
Ich wurde/werde (?) nicht durch Granit (oder: durch mꜣd-Mineral)11 zerbrochen.
Ich bin das Erz,12 das den Knochen zerbricht.
Ich wurde/werde (?) nicht durch Feuer13 zerteilt.
Ich bin Horus, der den Papyrus ausreißt (?)14.
Mein ist der Schrein, während meine Nahrung die Wahrheit ist.
Dieser Schutz des Horus, dieses Kindes (?)15, [28,5] liegt auf mir.
Ich bin der große Gott, der in Assiut (oder: in Sais)16 ist, der unter (?) seinen Brüdern, den Göttern, lebt,17 der Herr des Jubels, der vom Aufschrei18 lebt [---] Kämpfer [---]
[---] [29,1] (Finger)nägel/Krallen.19
Ich bin Sopdu.
Dieser Spruch werde über einer Wüstendattel (?)20 gesprochen; sie möge über dem Kopf des (betroffenen) Mannes während des Sprechens dieses Spruches gespalten sein!

1 ḥr(.j) ḏfꜣ.w=f: Lesung mit P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 369. Die Bedeutung dieser Phrase im hiesigen Kontext ist unklar.
2 [mr]w.t: Höchst unsicherer Ergänzungsvorschlag, der aber die Lücke ungefähr füllen würde (bestätigt nach Autopsie des Originals durch J. F. Quack, E-Mail vom 21.03.2022). In der Lücke am Zeilenende würde dann inhaltlich ein =k gut passen: „[deine Beliebt]heit“.
3 Ergänzung in 26,8 nach J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
4 Satz unklar. Die Kollokation jri̯ mrw.t ist sehr selten. Der TLA (15. Aktualisierung, 31. Oktober 2014) kennt nur wenige aussagekräftige Belege, die zwei Möglichkeiten eröffnen: „einen Wunsch erfüllen“ oder „an Beliebtheit gewinnen“ (https://aaew.bbaw.de/tla/servlet/s0?f=0&l=0&ff=2&db=0&w1=72650&l1=0&c1=0&w2=851809&l2=0&c2=0&d2=4&d1=1&d3=0&d4=0). Keine von beiden Möglichkeiten passt an dieser Stelle.
Der vorangehende und der nachfolgende Satz drücken negative Handlungen aus, die dem Sprecher gerade nicht passiert sind. Ähnliches dürfte auch im hiesigen Satz vorliegen. Daher wird vorgeschlagen, den eigentlichen Satzkern in n jri̯ nṯr.w ḏw zu sehen: „Die Götter führten nichts Schlechtes aus“ (vgl. Wb 5, 549.10) und mrw.t=sn jm=j, wörtl.: „die Liebe zu ihnen ist in mir“ als eingeschobenen Satz zu behandeln, der als Apposition zu nṯr.w verstanden werden kann.
5 Mit diesem und dem folgenden Satz identifiziert sich der Redner gleichzeitig mit dem sich ewiglich selbst verjüngenden Sonnengott am Morgen sowie mit einem Urgott.
6 Lesung des Satzanfangs contra Meyrats „Tatenen“ nach einem Vorschlag von J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
7 ẖnn.w: Die Wortwahl ist ungewöhnlich, denn ẖnn.w bezieht sich allgemeiner eigentlich auf eine Unruhe, einen Streit oder Krieg, aber nicht auf das uranfängliche Chaos.
8 Lesung von Zeile 27,6 mit J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).
9 P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 371 und 122 liest sḥtp(w): „apaisé (?)“. Das ist jedoch zweifelhaft, weil dem ḥtp die üblichen phonetischen Komplemente fehlen, mit denen es auch an den anderen Stellen des Papyrus geschrieben wurde. J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022) schlägt =s wj: „sie [---] mich“ vor.
10 jꜣ.t: Da das Wort hier als syntaktisches Subjekt dient, wird vermutlich eine ganz bestimmte Lokalität damit gemeint sein statt nur eines unspezifischen „Hügels“, ohne dass klar ist, an welche zu denken ist. Aus kontextuellen Gründen auszuschließen ist sicherlich die Bedeutung als „Ruinenhügel“ o.ä. (vgl. dazu J.C. Moreno García, Administration territoriale et organisation de l’espace en Égypte au troisième millénaire avant J.-C. (III-IV): nwt mꜣwt et ḥwt-ꜥꜣt, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 125, 1998, 38-55, hier 39 und R. Hannig, Großes Handwörterbuch Ägyptisch - Deutsch (2800-950 v. Chr.). Die Sprache der Pharaonen (Marburger Edition), Kulturgeschichte der Antiken Welt 64, 4. Auflage (Mainz am Rhein 2006), 20, Nr. {657}). Durch den in der vorigen Kolumne genannten Gott Nun, das Urgewässer, ist man dazu verführt, an den Urhügel zu denken, der sich daraus erhebt. Dieser wird zwar gewöhnlich als ḫꜥ(.t) oder qꜣꜣ bezeichnet, doch sei daran erinnert, dass in der vorigen Kolumne wohl mit dem ebenfalls ungewöhnlichen ẖnn.w an das uranfängliche Chaos angespielt wird. Andere Optionen sind, dass hiermit ein Grabhügel gemeint ist, speziell derjenige, über dem der Sonnengott aufgeht (s. J. Assmann, Harfnerlied and Horussöhne. Zwei Blöcke aus dem verschollenen Grab des Bürgermeisters Amenemḥēt (Theben Nr. 163) im Britischen Museum, in: Journal of Egyptian Archaeology 65, 1979, 54-77, hier 62 mit Anm. 75), oder ein Tempel (s. A.R. Schulman, A Cult of Ramesses III at Memphis, in: Journal of Near Eastern Studies 22, 1963, 177-184, hier 181, Anm. s). Möglicherweise hatte auch der Anklang an das gleichradikalige Wort jꜣ.t: „Rückgrat“ einen Einfluss auf die Wortwahl.
11 Der Vorschlag, mꜣd statt mꜣṯ zu lesen, stammt von Quack, a.a.O. Sollte diese Lesung zutreffen, wäre dieser Beleg wichtig für die Diskussion um die Beudeutung von mꜣd, das bislang nur als Drogenname im Papyrus Ebers vorkommt. Vgl. zu dem Vorschlag, darin Bimsstein zu vermuten, J.R. Harris, Lexicographical Studies in Ancient Egyptian Minerals, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Institut für Orientforschung. Veröffentlichungen 54 (Berlin 1961), 171, der das für möglich, aber letztlich „purely conjectural“ hält. Das Material im pRamesseum XVI muss jedenfalls theoretisch in der Lage sein, einen menschlichen Körper zu „zerbrechen“.
12 Das „Erz“ könnte hier metaphorisch für eine Waffe, bspw. einen Speer oder eine Harpune, stehen, wie auch P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 155 schreibt. In der Erzählung vom Streit zwischen Horus und Seth auf dem ramessidenzeitlichen pChester Beatty I wird etwa die Harpune, mit der Göttin Isis in den Kampf eingreifen will, neben seiner wohl poetischen Benennung als „Wasserspeer“ auch als „Erz“ bezeichnet; dieselbe Bezeichnung findet sich für den Speer bzw. die Harpune, die Horus selbst verwendet.
Wie Meyrat, a.a.O., 156 schreibt, könnte jnk hier auch possessive Funktion haben und auf ein magisches Werkzeug Bezug nehmen: „Mein ist das Erz“. Dennoch bevorzugt er die erstere, identifizierende Lesung.
13 srf: P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 156 verweist zwar auf die aus magischen Texten bekannte srf(.t)-Hitze, eine Hautkrankheit, merkt aber an, dass hier wohl eher eine unspezifische Hitze gemeint sein wird, gegen die das „Erz“ immun ist.
14 zšš: Zur vieldiskutierten Bedeutung vgl. die bei P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 157, Anm. 881 aufgelistete Literatur sowie J. F. Quack, Rez. zu: P. Munro, Der Unas-Friedhof Nordwest I. Topographisch-historische Einleitung. Das Doppelgrab der Königinnen Nebet und Khenut, in: Die Welt des Orients 27, 1996, 145-149, hier 146-149. Meyrat entscheidet sich angesichts der oft vermuteten Verbindung zum sšš.t-Sistrum für den alten Bedeutungsansatz „rascheln“. Ihm zufolge ergibt diese Bedeutung hier einen guten Sinn, weil sich der Text angesichts der vorherigen Passage in einem Jagdkontext bewege. Hierfür wäre zumindest noch detaillierter zu fragen, wie dieser Jagdkontext genau zu verstehen wäre. Denn für manche Arten der Jagd wäre es umgekehrt sinnvoller, gerade nicht mit dem Papyrus zu rascheln.
Ganz rezent trennen H. Satzinger – D. Stefanović, Egyptian Root Lexicon, Lingua Aegyptia, Studia Monographica 25 (Hamburg 2021), 327 (leider unkommentiert) zwischen einer Wurzel zši̯, der sie das zšš des Papyrus zuordnen, und einer Wurzel zšš: „Sistrum“, der das gleichradikalige Verb „rasseln“ zuzuordnen ist.
15 P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 157-158 schlägt für das Wort am Ende von Zeile 28,4 eine Lesung als nḫn mit dem gelegentlich zu beobachtenden Wegfall des hinteren n vor. Der für den Klassifikator des sitzenden Kindes nötige senkrechte Schaft würde genau in der Lücke liegen. Auffällig ist aber, dass weder ein Rest des Kopfes noch Reste der angewinkelten Beine erhalten sein sollten; außerdem kann der noch erhaltene Strich rechts oberhalb des hinteren „Unterarms“ nicht zu dem sitzenden Kind gehören, sondern müsste anders erklärt werden. Zur Form des sitzenden Kindes im pRamesseum XVI s. 17,7 und 25,1 sowie, wenn auch zur Hälfte zerstört, 11,6.
Sinnvolle Alternativen können aber nicht angeboten werden. Die von Meyrat als Arme des Kindes interpretierten Striche ergäben ihrer Form nach auch ein gutes =f in der Graphie des pRamesseum XVI, vgl. Zeile 17,7, 18,3 oder 26,5. In diesem Fall könnte man den Satz als zweigliedrigen Nominalsatz verstehen: „Dieser Schutz des Horus ist dieser sein ... auf mir.“ Die Kombination aus Demonstrativpronomen + Substantiv + Possessivpronomen wäre zwar diskussionsbedürftig, ist aber nicht völlig ausgeschlossen. Bei den Demonstrativpronomina der pf-, pn- und pw-Reihe ist durchaus die Möglichkeit bekannt, dass das Substantiv zusätzlich mit einem Suffixpronomen erweitert werden kann, vgl. E. Edel, Altägyptische Grammatik, Analecta Orientalia 34+39 (Roma 1955-1964), §§ 186, 188 und 200; W. Westendorf, Grammatik der medizinischen Texte, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VIII (Berlin 1962), S. 59; M. Zöller-Engelhardt, Sprachwandelprozesse im Ägyptischen. Eine funktional-typologische Analyse vom Alt- zum Neuägyptischen, Ägyptologische Abhandlungen 72 (Wiesbaden 2016), 104, Bsp. 13. Mit den Pronomina der pꜣ-Reihe ist das äußerst selten, aber eben nicht singulär. Zöller-Engelhardt, a.a.O., 162-163 nennt zwei Beispiele (plus ein drittes mit doppelter Possession: gleichzeitig am Pronomen und am Substantiv) in dem von ihr untersuchten Briefkorpus. Da diese „in einen Zeitraum datieren, zu dem die Entwicklung des ‚Possessivartikels‘ [d.h. pꜣy=f usw., L.P.] bereits abgeschlossen“ sei (a.a.O., 162), ist dies nach ihrer Meinung kein Übergangsstadium hin zur Entwicklung dieses Possessivartikels. Eine Handvoll weiterer Beispiele lässt sich auch im TLA finden (15. Aktualisierung, 31. Oktober 2014; für pꜣ: https://aaew.bbaw.de/tla/servlet/s0?f=0&l=0&ff=2&db=0&w1=851446&l1=0&c1=0&w2=&l2=0&c2=21&d2=0&d1=0&d3=2&d4=2 und für tꜣ: https://aaew.bbaw.de/tla/servlet/s0?f=0&l=0&ff=2&db=0&w1=851622&l1=0&c1=0&w2=&l2=0&c2=21&d2=0&d1=0&d3=2&d4=2; wobei nicht alle dort zu findenden Belege für diese Frage von Relevanz sind).
16 Sꜣw(.t): P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 158 liest den Ortsnamen als Assiut, Quack (E-Mail vom 21.03.2022) versteht das letzte Zeichen als Ortsklassifikator und liest damit Sais.
Bei dem „großen Gott, der in ... ist“, wird es sich am wahrscheinlichsten um Upuaut handeln, wenn der Ortsname Assiut zu lesen ist. Bei einer Lesung als Sais muss die Frage offenbleiben, da die Hauptgottheit von Sais die Göttin Neith ist.
17 ꜥnḫ m sn.w=f: Bei ꜥnḫ: „leben“ wird mit der Präposition m entweder instrumental die Quelle angeschlossen, aus der man seine Lebensenergie schöpft (Nahrung, Wahrheit, etc.), Wb 1, 194.5-8, oder lokal der Ort, an dem man lebt, Wb 1, 194.9. Zwar ist Upuaut ein mitunter sehr gewalttätiger Gott, vor dem selbst die Götter zittern (bspw. Stele Hannover 1976.80b, Zeile B.3-B.5, P. Munro, Die beiden Stelen des Wnmj aus Abydos, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 85, 1960, 56-70, hier 64 und im TLA), aber er wird sie kaum gefressen haben – vgl. die Kritik an einer solchen wörtlichen Lesung des in diesem Zusammenhang zu erwähnenden sogenannten „Kannibalenspruchs“ bei F. Kammerzell, Das Verspeisen der Götter. Religiöse Vorstellung oder poetische Fiktion?, in: Lingua Aegyptia 7, 2000, 183-218, hier spez. 191-192 und 203. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 122 interpretiert die Präposition zwar ebenfalls instrumental, aber eher metonymisch: „vivant grâce à [ses] frères“.
Alternativ wäre es ferner denkbar, dass die sn.w hier im weiteren Sinne lokal aufzufassen wären, als eine Gruppe von Wesenheiten, in deren Mitte Upuaut lebt.
Wer diese sn.w: „Gebrüder“ bzw. männlichen Verwandten der eigenen, vorangegangen und folgenden Generationen, die keine Vorfahren oder Nachkommen sind, erweitert: „Geschwister“ und noch mehr erweitert: „Gleichgestellten“ (s. D. Franke, Altägyptische Verwandtschaftsbezeichnungen im Mittleren Reich, Hamburger Ägyptologische Studien 3 (Hamburg 1983), passim, v.a. 66-68; 163, Fig. 3; 311) des Upuaut sein könnten, ist jedoch bei jeder Übersetzung unklar. Genealogisch betrachtet ist er ein Einzelkind, und auch weitere „familiäre“ Beziehungen sind nicht bekannt. Als weibliches Komplement können ihm Neith oder Hathor von Medjed zur Seite gestellt werden (T. DuQuesne, The Jackal Divinities of Egypt: from the Archaic Period to Dynasty X, Oxfordshire Communications in Egyptology 6 (London 2005), 395; T. DuQuesne, The Great Goddess and her Companions in Middle Egypt. New Findings on Hathor of Medjed and the Local Deities of Asyut, in: A. Manisali – B. Rothöhler (Hrsg.), Mythos & Ritual. Festschrift für Jan Assmann zum 70. Geburtstag, Religionswissenschaft. Forschung und Wissenschaft 5 (Berlin 2008), 1-26, hier spez. 7), aber diese würden kaum als sn.w bezeichnet werden. In Assiut sind auch noch die Götter Medjedu und Wer-Sechemu bekannt (T. DuQuesne, The Great Goddess and her Companions in Middle Egypt. New Findings on Hathor of Medjed and the Local Deities of Asyut, in: A. Manisali – B. Rothöhler (Hrsg.), Mythos & Ritual. Festschrift für Jan Assmann zum 70. Geburtstag, Religionswissenschaft. Forschung und Wissenschaft 5 (Berlin 2008), 1-26, hier19-21), deren Verhältnis zu Upuaut unklar ist. Sie kämen u.U. als sn.w in Betracht. Oder sollten damit die v.a. von den sogenannten Salakhana-Stelen bekannten heiligen Tiere des Upuaut gemeint sein? Zu Osiris und Anubis in Assiut s. ferner D. Magee, Asyût to the End of the Middle Kingdom. A Historical and Cultural Study (Oxford 1988), Bd. 1, 189-193 und 195-202. Zumindest in Abydos kann aber Upuaut die Rolle des Horus übernehmen, sodass Osiris nicht sein „Bruder“, sondern sein Vater ist. Dagegen wäre Anubis als Sohn von Osiris und Nephthys „biologisch“ betrachtet ein Halbbruder von Horus, wäre also über den abydenischen Link Horus = Upuaut tatsächlich ein „Bruder“ des Upuaut.
18 jꜥn.w: Wb 1, 41, 11–12 vermutet in jꜥn.w einen Ausdruck für „Kummer“ o.ä., gibt aber für jꜥn.w n=k die Übersetzung „Preis dir!“ (mit Fragezeichen). B. Gunn, Review of: Egyptian Letters to the Dead, mainly from the Old and Middle Kingdoms. Copied, translated and edited by Alan H. Gardiner and Kurt Sethe. London: at the Offices of the Egypt Exploration Society, in: Journal of Egyptian Archaeology 16, 1930, 147-155, hier 151 denkt, dass jꜥn.w die Bedeutung „attention, consideration, solicitude“ haben könnte und daher sowohl „a kind of salutation“ sein könne als auch „an expression of anxious sympathy“. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 122 und 158 übersetzt „les cris“ und vermutet in dem gesamten Epitheton einen Bezug auf Anubis als Totengott und Gott der Einbalsamierung.
19 Der im folgenden Satz genannte Gott Sopdu, der Herr der Fremdländer, ist ein häufig falkengestaltig dargestellter Gott. Daher ist es gut denkbar, dass das Wort ꜥn.t hier die auch anderweitig gut belegte Bedeutung „Kralle“ oder „Vogelklaue“ hat.
20 jšd.t: Die medizinischen Texte unterscheiden zwischen einer maskulinen jšd-Frucht und einer femininen jšd.t-Frucht, s. H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 63-67. Während Erstere eine ganz konkrete Frucht, vermutlich die Wüstendattel (Balanites aegyptiaca L.), bezeichnet, ist Letztere eine Bezeichnung für die Früchte verschiedener Bäume. T. Pommerening, Bäume, Sträucher und Früchte in altägyptischen Listen – eine Betrachtung zur Kategorisierung und Ordnung, in: S. Deicher – E. Maroko (Hrsg.), Die Liste. Ordnungen von Dingen und Menschen in Ägypten, Ancient Egyptian Design, Contemporary Design History and Anthropology of Design 1 (Berlin 2015), 125-166, hier 130-131 versteht die maskuline und die feminine Form als Varianten derselben Bezeichnungen, und weil ihr die Wüstendattel als Prototyp der heilenden Früchte zu sein scheint, „entstehen Verbindungen wie ‚Heilfrüchte des ı͗mꜣ-Baumes (ı͗šd n.t ı͗mꜣ) [...] oder ‚Heilfrüchte des Christdornbaumes‘ (ı͗šd.t n.t nbs)“. In pRamesseum XVI ist trotz des eindeutig femininen Geschlechts sicherlich eine konkrete Frucht gemeint, also wohl die „Heilfrucht“ (jšd.t) par excellence, die Wüstendattel (jšd).

Verso

[vso 2,a,1]1 [---] [vso 2,a, x+1] [---]
[---] jb-Herz, leben im/vom ḥꜣ.tj-Herzen [---]
[---] Augenblick [---].
Die Ba-Seele der Westbewohner vernichtet [---]
[vso 2,a, x+5] [---] die Wut absperren [---]2
[vso 2,b,1] [---] [vso 2,b, x+1] [---]
[---] nicht ... (?) machen [---]
[---] ihn/sich (?), sitzen in [---]
O ... (?) [---]
[vso 2,b, x+5] [---] ihn.
Nicht [---]
[---]

1 Der Text befindet sich auf der Rückseite der beiden kleinen Fragmente, die von Gardiner als Fragment C und D und von Meyrat als Kolumne 2 bezeichnet wurden. Der Papyrus war für die Beschriftung der Rückseite über die horizontale Achse gedreht worden, d.h. die untere Kante des Rectos entspricht der oberen Kante des Versos.
2 Unter der Zeile ist ein Teil des unteren Kolumnenrandes erhalten. Das spiegelt sich darin wider, dass auf der Vorderseite an dieser Stelle der obere Kolumnenrand erkennbar ist; der Freiraum bildet also tatsächlich den Kolumnenrand und nicht etwa ein zufällig erhaltenes Stück eines freigelassenen Zeilenendes.
3 Lesung nach Autopsie des Originals durch J. F. Quack (E-Mail vom 21.03.2022).

[vso 4,a,1] [---] [vso 4,a, x+1] [---]4
[---] er [___]te (?) ... [---]
[---].
[---] den Biss eines Basenji-Hundes.5
[vso 4,b,1] [---]
[vso 4,b, x+1] [---] auf dir.
[---].
[---] meinen Rücken.
[---]

4 Der Text befindet sich auf der Rückseite der beiden kleinen Fragmente, die von Gardiner als Page 4 und Fragment E und von Meyrat als Kolumne 4 bezeichnet wurden. Der Papyrus war für die Beschriftung der Rückseite über die horizontale Achse gedreht worden, d.h. die untere Kante des Rectos entspricht der oberen Kante des Versos.
5 Unter der Zeile ist ein Teil des unteren Kolumnenrandes erhalten. Das spiegelt sich darin wider, dass auf der Vorderseite an dieser Stelle der obere Kolumnenrand erkennbar ist; der Freiraum bildet also tatsächlich den Kolumnenrand und nicht etwa ein zufällig erhaltenes Stück eines weiteren freigelassenen Zeilenendes.