Papyrus Budapest 51.1961 + Papyrus Turin CGT 54058

Metadaten

Wissensbereiche
Alternative Namen
pTurin Cat. 2106/384 pTurin Cat. 2107/416
Aufbewahrungsort
Europa » Italien » (Städte Q-Z) » Turin » Museo Egizio, Europa » Ungarn » Budapest » Szépmüvészeti Múzeum (Museum of Fine Arts)

Der Papyrus ist heute auf zwei Museen verteilt. Der vordere Teil lagert im Museum of Fine Arts Budapest (Szépművészeti Múzeum Budapest), der hintere im Museo Egizio in Turin. Fragmente einer Kolumne finden sich in beiden Museen.

Erwerbsgeschichte

Laut Kákosy ist die Erwerbungsgeschichte der Budapester Fragmente unbekannt (Kákosy 1971, 159 = 1981, 239), aber Edith Varga hat Roccati darüber informiert, dass sie am Ende des 19. Jhs. in Kairo angekauft wurden (Roccati 1979, 555; die Begründung für diese Aussage lässt sich aktuell nicht nachweisen: E-Mail von Katalin Kóthay an P. Dils vom 02.02.2021). Der Papyrus war spätestens im Jahr 1933 Teil der Sammlung des Hungarian National Museum, denn Gardiner hat den Papyrus dort irgendwann abgeschrieben, wie Dawson in einem Artikel von 1933 erwähnt (Dawson 1933, 137). Im Jahr 1934 wurden die Fragmente mit allen übrigen ägyptischen Objekten vom Hungarian National Museum zum Museum of Fine Arts transferiert, aber erst 1951 inventarisiert.
Laut Roccati stammen die Turiner Fragmente „sans aucun doute“ aus der Sammlung Drovetti, die ca. 1820 zusammengetragen worden ist (Roccati 1979, 555). Die beiden größten Fragmente tragen die Nummern Cat. 2106/384 und Cat. 2107/416, die nahtlos Kol. 4 von pBudapest vervollständigen, und werden schon im Katalog von 1882 der Turiner Sammlung aufgelistet (Fabretti – Rossi – Lanzone 1882, 279).

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer

Die Erwerbungsgeschichte der Budapester Fragmente erlaubt keine Auskunft über die Herkunft bzw. den Fundort. Allerdings stammen die Turiner Fragmente zweifellos aus dem Umfeld von Deir el-Medineh, was also eine Provenienz aus Theben-West absichert (Roccati 2001, 419).

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 19. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

Kákosy 1971 datiert den Papyrus „aufgrund der Zeichenformen und des Schriftcharakters“ in die späte 18. oder frühe 19. Dynastie (ca. 1320–1260 v. Chr.) und vergleicht die Schrift mit der des magischen Papyrus Harris und des Papyrus Chester Beatty IX (Kákosy 1971, 159–160 = 1981, 239–240). Der Papyrus Chester Beatty IX datiert wahrscheinlich aus der Zeit Ramses’ II., aber der magische Papyrus Harris wird heute deutlich später als bei Kákosy 1971 datiert: eher in die (spätere) 20. Dynastie. Die Verwendung des herabschwebenden Vogels (G41) in Schreibungen von bꜣ (Kol. 2.3) passt jedenfalls zu der Zeit nach der 18. Dynastie, ähnlich wie die Form des Dechsels (U19) (Caminos 1956, 2 und 23). Kákosy 1981, 254 revidierte seine frühere Meinung und datierte den Papyrus in die späte 19. oder den Anfang der 20. Dynastie. Roccati 1979, 555 meint, das eine Datierung in die Zeit Ramses’ II. gut passen würde. Die grammatischen Merkmale und die Orthographie würden tatsächlich für eine Datierung in die frühere und nicht in die spätere Ramessidenzeit plädieren, denn es wäre zu vermuten, dass sonst mehr Neuägyptizismen in der Sprache und zweifelsohne in der Orthographie auftauchen würden.

Textsorte
Sammelhandschrift
Inhalt

Der Text besteht aus mindestens 8 Kolumnen mit mindestens 15 Sprüchen. Der Titel ist nicht erhalten und alle Zaubersprüche fangen mit „ein anderer Spruch“ an, was vermuten lässt, dass alle dem selben Zweck dienen – sicherlich Schutz gegen bestimmte Arten von Kopfschmerzen. Der Begünstigte der Beschwörungen ist „(Herr) NN, den (Frau) NN geboren hat“, der Text hat also Handbuchcharakter und ist kein angewandter Zauber. Die Sprüche sind kurativer Natur. In fast allen Fällen, in denen die Handlungsanweisung erhalten ist, werden unterschiedliche Arten von Binden mit Knoten versehen und an den Kopf des Patienten gelegt (im ersten Spruch an den Hals). Häufig findet auch die pflanzliche Substanz mꜣt.t n.t św.t während der Rezitation einzelner Sprüche Verwendung. In den meisten Beschwörungen geht es um einen Schutz des Kopfes, der „Hälfte des Kopfes“ (vgl. die Etymologie von „Migräne“ als „halber Kopf“) und der Schläfe, manchmal werden auch das Auge, die Finger, der Unterleib oder die Schenkel genannt. Die Dämonen (Untote/Wiedergänger und andere schädliche Wesen) sollen aus dem Patienten „ausfließen“ und keine schädliche Einwirkung gegen den Kopf oder irgendeinen anderen Körperteil entfalten. Der Text setzt sich aus mehreren Beschwörungen/Anrufungen zusammen, von denen die erhaltenen eindeutig gegen Einwirkungen böser Geister vorgehen. Dabei werden Drohungen, Amulette (deren genaue Herstellung und Applikation in den Kolophonen/Handlungsanweisungen beschrieben werden), Anrufungen an Götter und Historiolae (eher Anspielungen auf als Auszüge aus Mythen, v.a. die Gleichsetzung des Geschädigten mit Horus) eingesetzt, um die bösen Entitäten zum Verlassen des Kopfes des Patienten zu zwingen (Kákosy 1971, 160–162).
Spruch 8 auf Kol. 4 des Budapester/Turiner Papyrus ist identisch mit Spruch 8 des Papyrus Leiden I 348 (Rto 3.8–4.3). Die unpublizierten vier Kolumnen am Ende der Turiner Fragmente enthalten mindestens sechs Sprüche und haben laut Roccati weitere Textparallelen in den Sprüchen 12, 7, 18 und 17 des Papyrus Leiden I 348 und in Sprüchen des Papyrus Chester Beatty V (Roccati 2001, 419 mit Anm. 3). Zwischen den Sprüchen, die den Sprüchen 8, 12, 7 und 18 von Papyrus Leiden entsprechen, befinden sich zwei weitere, nicht identifizierte Sprüche (Roccati 1979, 555).
Es ist noch unklar, ob auf der Rückseite etwas geschrieben war oder nicht. Kákosy 1971 erwähnt auf der Rückseite „Reste eines verblaßten – anscheinend von einer anderen Hand geschriebenen – Textes“ (1971, 159 Anm. 1 = 1981, 239 Anm. 1), während Roccati (1979, 555) vermerkt: „Le verso n’a pas été utilisé, ou alors il a été postérieurement effacé“. Auf der Rückseite eines unpublizierten Turiner Fragments (in Höhe von Roccatis Kol. 6) findet sich die Zeichnung einer aufgerichteten Kobra (?), aber kein Text. Vielleicht war nur der Anfang des Versos beschriftet (unter der Annahme, dass Anfang Recto = Anfang Verso; Unterseite Recto = Oberseite Verso).

Ursprünglicher Verwendungskontext

Aufgrund der Natur des Textes, eine Spruchsammlung zu einem einheitlichen Thema (Kopfleiden) und nicht für eine spezifische Person zusammengestellt, war die Sammelhandschrift vielleicht ursprünglich Bestandteil der Bibliothek eines Tempels oder eines Heilers.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schriftrolle
Technische Daten

Der Papyrusabschnitt aus Budapest besteht aus einem größeren (Höhe × Breite: 18,5 × 67,7 cm) und einem kleineren Fragment (Höhe × Breite: 18,5 × 6,5 cm) und ist nur auf dem Recto beschrieben. Vier Kolumnen haben sich erhalten, wobei die erste und die letzte jeweils am Anfang bzw. Ende abgebrochen sind. Besonders in der vierten befindet sich eine größere Zerstörung durch die Lücke zwischen dem großen und dem kleinen Fragment, die glücklicherweise durch Fragmente in Turin ergänzt werden können. Bei der Verglasung durch einen etwas ungeschickten Restaurator wurden die Fragmente nicht ganz fachgerecht geklebt, so dass die Lektüre an einigen Stellen erschwert wird. Außerdem sind einige Zeichen heute im Vergleich zu einem alten Foto und einem ultravioletten Foto kaum noch lesbar (Kákosy 1971, 159).
Die Fragmente in Turin (mehr als 10 Fragmente) ergänzen die vierte Kolumne aus Budapest fast komplett und enthalten mindestens vier weitere Textkolumnen. Letztere sind allerdings in einem dermaßen fragmentarischen Zustand, dass sie noch nicht publiziert wurden. Auch sie sind nur auf dem Recto beschriftet (Roccati 1975, 246, Nr. 16). Ihre exakte Position kann durch die Textparallelen im Papyrus Leiden I 348 abgesichert werden.
Die zweite und dritte Kolumne Text von Budapest sind 26 bzw. 25 cm lang (25 cm auch für die vierte Kol.: Roccati 1979, 555), die Zwischenräume zwischen den Kolumnen ca. 2 cm. Extrapoliert man diese Angaben für die erhaltenen acht Kolumnen, war der Papyrus ursprünglich mindestens 2,20 m lang. Die Höhe von 18,5 cm entspricht dem gängigen Format einer halbierten Rolle.

Schrift
Hieratisch

Der Text wurde „in klarer schöner Buchschrift“ mit schwarzer und roter Tinte aufgetragen (Kákosy 1971, 159 = 1981, 239). Auch Roccati (1979, 555) spricht von „une écriture nette et soignée“. Die rote Tinte markiert die Spruchtitel und die Handlungsanweisungen. Jeder Spruch ist vom nächsten durch die Angabe „(Spruch)ende/Pause“ gekennzeichnet.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch, Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch

„Die Sprache des Textes ist klassisch mittelägyptisch; selbst in der Orthographie sind nur bei einigen Worten neuägyptische Schreibweisen zu erkennen“ (Kákosy 1971, 160 = 1981, 240). Gute mittelägyptische Formen sind z.B. das Partizip Passiv Perfekt tmm (Kol. 2.2) und der Subjunktiv jwi̯.t. Kákosy übersieht die erst im späten Mittelägyptischen auftretenden proklitischen Pronomina sw und tw=tn in Kol. 2.2 bzw. 2.3 (Präsens-I-Konstruktionen), oder die Konjugation jri̯ sqr.jt in Kol. 2.7 und 2.8. Orthographisch ist zu erwähnen, dass rḏi̯ noch überwiegend mit dem normalen Arm (D36) und nicht mit D37 geschrieben ist.

Bearbeitungsgeschichte

A. H. Gardiner hat vor dem Jahr 1933 eine unpublizierte hieroglyphische Transkription des Papyrus in Budapest angefertigt. Eine zweite Abschrift stammt von J. Černý, Notebook 115 (oder Kopie von Gardiners Abschrift?). L. Kákosy hat den Budapester Papyrus ediert. Er hat ihn zuerst in einem Vorbericht kurz mit einigen Übersetzungsauszügen abgehandelt (Kákosy 1963). 1971 publizierte er ihn dann mit Photo, Transliteration, Übersetzung und Kommentaren (Nachdruck: Kákosy 1981). Im Jahr 1973 identifizierte Roccati den zuvor von ihm rekonstruierten fragmentarischen Papyrus Turin CGT 54058 als den hinteren Teil von Papyrus Budapest 51.1961 (Roccati 1975, 246; Roccati 1979), allerdings blieben diese meisten Fragmente bisher unpubliziert. Nur die Komplementierung der vierten Kolumne von Papyrus Budapest 51.1961 mithilfe der Turiner Fragmente wurde 2001 von Roccati in neuer Übersetzung und Transliteration der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Fragmente von Budapest und Turin wurden gemeinsam in einer Ausstellung im Jahr 1985 gezeigt (Roccati 2001, 419).

Editionen

- Kákosy 1971: L. Kákosy, Ein magischer Papyrus des Kunsthistorischen Museums in Budapest, in: Acta Antiqua. Academiae Scientiarum Hungaricae 19, 1971, 159–177 und Taf. 37–38.

- Kákosy 1981: L. Kákosy, Ein magischer Papyrus des Kunsthistorischen Museums in Budapest, in: L. Kákosy, Selected Papers (1956–73), Studia Aegyptiaca 7 = Études Publiées par les Chaires d’Histoire Ancienne de l’Université Loránd Eötvös de Budapest 33 (Budapest 1981), 239–258 (Nr. 25), 316–317.

- Roccati 2001: A. Roccati, La quarta pagina del papiro Budapest Inv. No. 51.1961, in: H. Győry (Hrsg.), Mélanges offerts à Edith Varga. zšnn wbn m tꜣ „le lotus qui sort de terre“, Bulletin de Musée Hongrois des Beaux-Arts. Supplément 2001 (Budapest 2001), 419–421.

Literatur zu den Metadaten

- Caminos 1956: R. Caminos, Literary Fragments in the Hieratic Script (Oxford 1956).

- J. Černý, Notebook 115, 17–23 (im Griffith Institute, Oxford; http://www.griffith.ox.ac.uk/gri/4hicerpa.html (21.02.2021)).

- Fabretti – Rossi – Lanzone 1882: A. Fabretti – F. Rossi – R. V. Lanzone, Regio Museo di Torino, Antichità egizie, Catalogo general dei Musei di antichità e degli oggetti d’arte raccolti nelle gallerie e biblioteche del regno. Serie prima: Piemonte. Volume I (Torino 1882).

- A. H. Gardiner, Notebook 33, 24–35 (im Griffith Institute, Oxford; http://www.griffith.ox.ac.uk/gri/4higarpa.html (16.01.2021)).

- Kákosy 1963: L. Kákosy, Vorläufiger Bericht über den Zauberpapyrus des Kunsthistorischen Museums in Budapest, in: Anonymous (Hrsg.), Труды двадцать пятого Международного конгресса востоковедов, Москва, 9-16 августа 1960, I: общая часть, Заседания секций I-V (Moskva 1963), 96–99 (non vidi).

- Roccati 1975: A. Roccati, Scavi nel Museo di Torino. VII. Tra i papiri Torinesi, in: Oriens Antiquus. Rivista del Centro per le antichità e la storia dell’arte del vicino oriente 14, 1975, 243–253.

- Roccati 1979: A. Roccati, Procédés employés dans l’assemblage des papyrus de Turin, in: W. F. Reineke (Hrsg.), First International Congress of Egyptology, Cairo, October 2–10, 1976. Acts, Schriften zur Geschichte und Kultur des Alten Orients 14 (Berlin 1979), 553–556.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Katharina Stegbauer
Autoren (Metadaten)
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Spruch 1

[1,1] [... ... ...] dein [...].
Die Flut wird nicht kommen zu ihrer Zeit.
[... ... ...] der geschickt ist gegen NN., Sohn der NN., o Untoter, Untote, usw.
[... ... ...] Die Sprößlinge [werden nicht herauskom]men zu ihrer Zeit.
Wenn du nicht schickst [..., dann ... ...]
[Werde gesprochen (?) ... ... ...] Faden eines nḏ-Gewandes; werde an den Hals des Patienten gegeben; werde [... ... [1,5] ...]
[Pause.]

Spruch 2

[Spruch ... ...]:1
[Spei aus], du, [der] gekommen ist mit seiner Einwirkung, der Schlechtes tut [gegen ... ...]
[... ... ...], die in der Dämmerung herabsteigen, die schädigen [... ... ...], er die Oberschenkel [schlägt]2!
Beschädige nicht die Schläfe des [...]!
[... ... ...]
Wüte (?)3 [nicht] in seinen Schenkeln!
Trete nicht heran an [seinen ...!]4
[... ... ...]
Spei aus, Untoter, denn du bist beschworen!
Spei aus, Untote, denn du bist [1,10] [beschworen]!
[... ... ...] NN., Sohn der NN., euere Gesichter, weil er euere Frustration veranlassen wird.
[2,1] Das [Auge] des Re [vernichtet (?)], was in seinen Kiefern ist, sie vertreibt euch, die Leiterin der beiden Länder für Re.
Nachdem sie euch zurückgetrieben hat, veranlasst sie euere Frustration, sie frisst euere Bas, euere Leichname, euere Schatten, o Untoter, Untote usw.!
(Oh) Räuber, Räuberin, ob er bestattet oder unbestattet ist, der in irgendeiner Hölle ist, der in irgendeinem Tumulus ist, der an irgendeinem Schlachtplatz ist, der in irgendeinem Leintuch ist oder an irgendeinem Platz, oder in irgendeinem Loch, oder an irgendeinem Ort, an dem ihr seid,5 Untoter, Untote, Feind, Feindin, Widersacher, Widersacherin, jeglicher Räuber, jegliche Räuberin, die irgendetwas Böses oder Schlechtes gegen ihn tun wollen!
Ihr sollt zugrunde gehen!
Weicht vor der mꜣt.t-n.t-sw.t-Pflanze!
Werde viermal rezitiert über einer mꜣt.t-n.t-sw.t-Pflanze, einem Faden des nḏ-Gewandes.
[2,5] Werde zu 4 Knoten verfertigt.
Man spreche diesen Spruch über jeden Knoten.
Werde an den Kopf des Patienten gegeben.
(Das ist) das Vernichten eines Feindes, Jenes, eines Untoten oder einer Untoten, der seinen Einfluss auf den Kopf oder irgendein Körperteil ausübt.
(Dies ist) eine wahrhaftig (gute) Sache, millionenfach erprobt.
Pause.

1 Für eine mögliche Ergänzung vgl. den Anfang von Spruch 3: ky rʾ šp=k mwt nqm ...: "Ein anderer Spruch: Spei aus, (oh) Untoter, der verletzt ...".
2 [sqr]=f: Mit Kákosy 1981, 243, Anm. (k) ergänzt nach Kol. 2.7 und 2.8.
3 ⸮[q]nd?: Lesungsvorschlag von Kákosy 1981, 243, Anm. (l), aber sehr unsicher. Der Pavian ist nicht in den Spuren erkennbar, es sieht bestenfalls wie die abgekürzte Form des Rindes oder anderer Tiere aus.
4 m-ẖnw ...: Kákosy 1981, 241 denkt an das Wort "After (?)", d.h. pḥ.wt. Das Zeichen des Löwenhinterns ist sicher, aber die Spuren davor und dahinter sind zu gering, um eine Aussage zu machen. Er gibt als alternative Übersetzung (243, Anm. *): "nähere dich nicht [zu seinem(?)] After(?)." Das wäre dann der negative Imperativ m ẖn statt der Präposition m-ẖnw.
5 n.tj tw=tn jm: Die Lesung von Kákosy 1981 als n.tj mri̯=tn jm: "an dem ihr zu sein wünscht" ist falsch. Es liegt das neuägyptische proklitische Pronomen vor.

Spruch 3

Ein weiterer Spruch:
Du sollst zugrunde gehen, Untoter, der die Schläfe schädigt (?)1, der das Auge verschließt, der die Seite erweicht, der die Finger verdreht (?), der in den Unterleib eintritt, der in den Waden herumspaziert, der seine Schläge in seinen Schenkeln austeilt!
Richte keinen Schaden an (?)1 in der Schläfe des NN., Sohn der NN., verschließe nicht seine Augen, verdrehe (?)2 nicht seine Finger, tritt nicht in seinen Unterleib ein, spaziere nicht in seinen Waden herum, teile deine Schläge nicht aus in seinen Schenkeln!
Wenn du umsetzt, was du gegen ihn ausgedacht (wörtl.: bezüglich ihm gesagt) hast,3 dann wird er wirkmächtig sein auf Wunsch der Götter, dann wird er wirkungsvoll sein auf Wunsch der Ach-Geister!
Seine Arme werden gegen dich gerichtet sein als Horus, seine Kraft4 wird gegen dich gerichtet sein als Seth!
Er wird auf dich treten und deine Frustration auslösen durch die mꜣt.t-n.t-sw.t-Pflanze, die Fackel, [2,10] die für Re jeden Tag leuchtet,5 die Leiterin der Menschheit.
Werde eingerieben mit Pflanzenschleim, nach links verzwirnt, zu 4 Knoten verfertigt.
Werde an deinen Kopf gegeben, damit du gesundest, o NN., Sohn [3,1] der NN.!
Zu rezitieren über einer mꜣt.t-n.t-sw.t-Pflanze, werde befeuchtet mit Pflanzenschleim und nach links verzwirnt, werde zu 4 Knoten verfertigt.
Werde dem Patienten an den Kopf gegeben.
Pause.

1 nqf: Kákosy 1981, 244, Anm. (y) liest nqm "krank machen", aber der letzte Konsonant ist keine Eule, weder in Kol. 2.6 noch in Kol. 2.7. J. F. Borghouts, Ancient Egyptian magical texts: translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 29 übersetzt mit "who knocks on (? nḳf)".
2 ḥꜥnẖ: J. F. Borghouts, Ancient Egyptian magical texts: translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 29 übersetzt mit "who distorts (?)".
3 J. F. Borghouts, Ancient Egyptian magical texts: translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 29 emendiert den Text zu jr thm=k ḏd.t 〈n〉=k r=f und übersetzt: "If you defy what has been said 〈to〉 you about him – he is excellent in the heart of the gods ... – then his arms will be against you ...".
4 pḥ.tj: J. F. Borghouts, Ancient Egyptian magical texts: translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 29 mit Anm. 109 übersetzt mit "buttocks" und vermerkt, dass das Wort auch "force" bedeutet. Denkt Borghouts dabei an die Episode, in der Seth Horus sexuell angreift und würde Seth entsprechend seine sexuellen Lüste gegen den Dämon ausspielen? Der Klassifikator des schlagenden Mannes (A24) spricht gegen "Hinterteil, Hintern" (dies wäre eher pḥ.wj), aber die Bedeutung "Manneskraft, Potenz" könnte zutreffen.
5 Kákosy 1981, 241 übersetzt "... mit der mꜣt.t nt sw.t, die die Fackeln des Rēꜥ jeden Tag anzündet." J. F. Borghouts, Ancient Egyptian magical texts: translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 30 hat ähnlich "with stalks of reeds, which light the tapers for Rēꜥ daily". Borghouts, 104 Anm. 110 vermerkt noch, dass das Anzünden die Dämonen vom Sanktuar vertreibt.

Spruch 4

Ein weiterer Spruch:
Siehe, sie kommt, sie kommt, diese Isis, sie kommt!
Bewege dich wie eine Trauernde, zerzause dich (fem.) selbst wie das Haar ihres Sohnes Horus war, während sein Kopf (d.h. das Haar) auseinandergerissen und seine Locken aufgespalten wurden durch Seth, den Sohn der Nut, bei jenem Kampf im großen Wadi!
Tritt zu mir heran, damit ich dir deinen Kopf (wieder) zusammenfüge, damit ich deine Locken (wieder) zusammenbinde, o NN., Sohn der NN., mit Hilfe dieser mꜣt.t-[n.t-sw.t]-Pflanzen,1 die Horus in Chemmis schnitt!
Dieser Spruch soll gesprochen werden über einer [3,5] mꜣt.t-n.t-sw.t-Pflanze.
Werde dem Patienten an den Kopf gegeben.
Pause.

1 Kákosy 1981, 242 und 245 Anm. (pp-qq) denkt, dass drei verschiedene Pflanzen aufgelistet wurden.

Spruch 5

Ein weiterer Spruch:
O, dein Kopf hier, Horus, o, deine Schläfe hier, Seth!
Klage, Herrin von Dendera (?),1 wegen des Klagegeschreis der Isis und dem Gejammer der Nephthys!
"Wenn dieses Feuer gegen deinen Kopf hervorkommt, o [...]", sprach die Göttin Isis, "bin ich doch vor dir mit der mꜣt.t-n.t-sw.t-Pflanze, die nach links verdreht und mit Pflanzenschleim befeuchtet und an deinen Kopf gegeben werde, damit dir deine Schläfe gesund wird und du dich wohlfühlst."
Zu rezitieren über eine mꜣt.t-n.t-sw.t-Pflanze; werde mit Pflanzenschleim befeuchtet und nach links gedreht.
Werde dem Patienten an den Kopf gegeben, damit seine Schläfe für ihn gesund wird.
Pause.

1 Kákosy 1981, 242 übersetzt mit einem sḏm=f statt eines Imperativs: "Da schreit auf die Herrin der Heliopolitaner wegen der schreienden Stimme der Isis, wegen dem Klageruf der Nephthys."

Spruch 6

Ein weiterer Spruch:
Zurück, Untoter, Untote usw., der gegen den Kopf von NN., Sohn der NN., geschickt worden ist!
Komme nicht gegen seinen Kopf hier!
(Denn) das ist der Kopf des Herrn der lebenden ...1 und mächtigen Köpfe (?)!
So wahr Re jeden Tag lebt, so wahr Re lebt und sieht:
[3,10] Wenn du gegen den Kopf von NN., Sohn der NN., kommen solltest, o Untoter, Untote usw., dann wird dein Kopf angegriffen!
Umschließe (?)2 [nicht] seinen Kopf, auf dass er an dir leidet und krank wird!
Zurück du, Untoter, [4,1] Untote usw.!
Hau bloß ab!
Er kann nicht zu dir kommen!
Er ist Horus, der Sohn der Isis!
Er3 ist der Mächtige, der aus der Starken hervorging!
Er ist der Stier, der in Mendes ist, der Erstling (?), den sie gebar (oder: bevor sie das Gebären anfing/machte)!
O ihr südlichen, nördlichen, westlichen und östlichen Götter, kommt doch und gewährt eueren Schutz um den Kopf des NN., Sohn der NN., und um diesen seinen Scheitel herum!
Denn was seinen Kopf angeht, das ist der Kopf des großen Gottes; was jeden Untoten oder jede Untote angeht, 〈er〉 ist jeder Gott und jede Göttin!
Schutz ist dahinter, Schutz ist dahinter, es kommt ein Schutzamulett!
Dieser Spruch werde gesprochen über einem Lappen aus jdmj-Leinen, werde zu 7 Knoten verfertigt.
Werde dem Patienten an den Kopf gelegt.
Pause.

1 Unklar. Ob ꜥnḫ.w [tp] ⸢tꜣ⸣?
2 Unklar. Kákosy 1981, 246 Anm. (ddd) erwägt verschiedene Lesungen wie ẖnnw "Störung; Störender", nnw: "Müdigkeit; Müder", ḫnt/ḫnti̯: "stromauf fahren" oder "freuen", auch noch ḫnr: "einsperren". Das publizierte Photo ist an dieser Stelle nicht lesbar. Kákosy übersetzt "fahre (?) nicht gegen seinen Kopf".
3 ntf: Nicht von Roccati 2001, 421 identifiziert, aber die Spuren sind eindeutig auf den (unpublizierten) Photos erkennbar.

Spruch 7

Ein weiterer Spruch:
Verschlucker und Großer, der von Geschwulst lebt!
Wir werden euch beschwören!
Kommt heraus durch (?) euch!
Dieser Spruch werde rezitiert über einer Binde aus jdmj-Leinen.
Werde dem Mann an seinen Kopf, welcher schmerzt, gegeben.
Pause.

Spruch 8

Ein weiterer Spruch:1
[4,5] "Mein Kopf, mein Kopf", sprach Horus; "die Hälfte meines Kopfes", sprach Thot.
"Komm doch zu mir, meine Mutter Isis, {meine} Schwester meiner Mutter, Nephthys!
Du sollst mir deinen Kopf anstelle von meinem Kopf geben, die Hälfte deines Kopfes anstelle der Hälfte meines Kopfes!"
"Vom Saum des nḏ-Gewandes habe ich einen Faden gebracht, der mit 7 Knoten versehen und am linken Fuß von NN., Sohn der NN., angebracht ist.
Was ich an das Untere gebe, wird das Obere heilen, nachdem ich den verwirrt (?) habe, den die Götter suchen!"
Dieser Spruch werde rezitiert über einem Faden vom Saum des nḏ-Gewandes.
Werde zu 7 Knoten gemacht und an den linken Fuß des Patienten gegeben.
Pause.

1 Textparallele: Spruch 8 von pLeiden I 348, Rto 3.8-4.2 (siehe J. F. Borghouts, The magical texts of Papyrus Leiden I 348, Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 51 (Leiden 1970), 18), wie schon Kákosy 1981, 246 Anm. (hhh) erkannt hat.

Spruch 9

Ein weiterer Spruch:
"Meine (?) Mutter Isis, kümmere (?) dich um das, was ich sagte, als 〈ich〉 veranlasste, dass dein Kopf ein Ersatz für meinen Kopf sei, deine Schädelhälfte ein Ersatz für meine Schädelhälfte, deine Schläfe ein Ersatz für meine Schläfe1!"
"Ach, möge er zu Horus kommen, möge er kommen und ihn bespucken!
Der Kopf2 sei gegen seine Wege gerichtet, indem er ihn niederwirft!
Das Gefäß sei an seinem Platz!
Es soll sich niederlassen (?) 〈auf〉 deinem Kopf, Horus, 〈auf〉 deiner Schädelhälfte, Horus, der linken [...]!
Sage doch, dass es dir angenehm ist für (?) den 2. Monatstag (= 1. Sichtbarkeit des Mondes), [4,10] dass du ruhig bist für den 15. Monatstag (= Vollmond)!
Du sollst ausspeien! Weiche vor der Rage der beiden Königskinder, weil sie mir dieses Wasser für meinen Kopf hier gebracht haben, damit diese [...]-Kühe (?) kühles Wasser libieren [... ... ...]

1 smꜣ=ṯ: Roccati 2001 hat dieses Wort vergessen (Haplographie), aber die Spuren und erhaltenen Zeichen sind eindeutig.
2 tp: Es ist nicht unmöglich, dass noch ein Suffixpronomen "dein Kopf" am Zeilenende zerstört ist. Roccati 2001, 421 versteht den Satz ganz anders, aber dann stellt sich die Frage, wie tp aufzufassen ist: "cosicché venga Horo, venga e lo sputi sulle sue vie, lo abbatto", d.h. "so dass Horus kommt, er kommt und spuckt ihn aus auf seinen Wegen und wirft ihn darnieder".