Papyrus Brooklyn 47.218.75+86
Metadaten
Inventarnummer: 47.218.75+86
Der Papyrus gehört zu einer Gruppe von Papyri, die durch Charles E. Wilbour (1833–1896) in Ägypten angekauft wurden. Irgendwann nach dem Tod von Wilbour in Paris, wo er seit 1874 oder 1875 lebte, gelangten sie von dort nach New York, wo sie in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts im Haus der Familie in einem Reise- oder Schrankkoffer wiedergefunden wurden. Im Jahr 1947 wurden sie von seiner Tochter Theodora Wilbour dem Brooklyn Museum vermacht. Schon in den vorangegangenen Jahrzehnten hatten die Kinder von Charles Wilbour dessen ägyptische Sammlung, ägyptologische Bibliothek und persönliche Dokumente dem Brooklyn Museum übergeben sowie den Charles E. Wilbour Fund gegründet. J. D. Cooney inventarisierte die unausgerollten Papyruspakete und Metallkästchen mit Fragmenten in 158 Einheiten unter der Nr. 47.218.xxx (Guermeur 2015–2016, 13–16). Der Papyrus, der Rücken- und Afterbeschwerden sowie Frauenleiden thematisiert, wurde mit den Nummern 47.218.75 und 47.218.86 inventarisiert.
Die exakten Fund- und Herkunftsumstände des Konvoluts der 47.218er Brooklyner Papyri waren lange Zeit unbekannt. S. Sauneron äußerte für 11 von ihm entrollte hieratische Papyri die Vermutung, dass sie aus einem Tempelarchiv aus Heliopolis stammen und in einem verschlossenen Gefäß gefunden worden sein könnten (Sauneron 1968–1969, 109; 1970, viii–ix).
Heute weiß man, dass die Brooklyner Papyrus 47.218er Gruppe in den 1940er Jahren in einem großen Reisekoffer von Charles Wilbour wiederentdeckt wurde, aufbewahrt in Metallkisten oder in Papier eingerollt, wobei einige Rollen mit „Elephantine, Feb. 1896“ beschriftet waren. Wilbour hat zumindest einen Teil von ihnen also im Februar 1896 während seines letzten Aufenthalts in Ägypten (Herbst 1895 – Frühling 1896) auf Elephantine erworben. Außerdem konnten von einem anderen Papyrus der Gruppe, dem magischen Papyrus Brooklyn 47.218.156, direkt anpassende Fragmente in Berlin gefunden werden, die aus den Grabungen von Friedrich Zucker und Otto Rubensohn in den Jahren 1906–1908 auf Elephantine stammen (Guermeur 2015–2016, 15–16). Die Gruppe der 47.218er Papyri bildet allerdings keine Einheit, denn sie erstreckt sich chronologisch vom Alten Reich bis in die Byzantinische Zeit und enthält Texte in hieratischer, demotischer, griechischer, aramäischer und lateinischer Schrift bzw. Sprache. Sie wurde also nicht in ihrer Gesamtheit als geschlossener Fund entdeckt und kann aus inhaltlichen Gründen nicht einmal aus einem einzigen Ort stammen. Ein römerzeitlicher Berliner griechischer Papyrus gehört mit einem Brooklyner Papyrus zusammen (TM 10288: pBerlin P 25513 und pBrooklyn 47.218.24) und enthält Quittungen für die Kamelsteuer in Soknopaiu Nesos. Es ist nicht einmal sicher, ob alle hieratischen Texte des Konvoluts zusammengehören. Der saitische Orakelpapyrus pBrooklyn 47.218.3 mit einem Orakelverfahren vor Amun-Re in Anwesenheit von vielen unterschreibenden Zeugen muss aus inhaltlichen Gründen aus Theben stammen. Deshalb ist Elephantine als Fundort des Papyrus 47.218.75+86 zwar wahrscheinlich, aber (noch) nicht mit absoluter Sicherheit nachgewiesen.
Eine genaue Datierung steht noch aus, weil der Papyrus unpubliziert ist. J. Unger ordnet den Rectotext paläographisch der 2. Hälfte der 26. Dynastie zu, der Versotext ist paläographisch etwas jünger und gehört vielleicht in die 27. Dynastie (Unger 2015; Dils – Popko 2018, 74). Die Gruppe der 47.218er hieratischen Papyri in Brooklyn wird von S. Sauneron – zweifellos aus paläographischen Gründen – zwischen der Libyerzeit ("époque «libyenne»") und den letzten (einheimischen) Dynastien datiert, wobei die Mehrzahl der Texte saitisch zu sein scheint (Sauneron 1970, viii). G. Burkard übersetzt diese Angaben von Sauneron in den Zeitraum um 1080–400 v. Chr., wobei die Mehrzahl in das 8.–7. Jh. v. Chr. zu datieren ist (Burkard 1980, 98; 1080–400 v. Chr. wäre die Zeit der 21.–30. Dynastie). Über die Elephantine-Papyri in Berlin sagt er aus, dass sie in der Hauptsache aus dem 9.–6. Jh. v. Chr. oder aus der Zeit ab dem 4. Jh. v. Chr. stammen (Burkard 1980, 96, 98; Burkard 1994, 101). In einer postumen Publikation nennt S. Sauneron Brooklyner Papyri mit medizinischem Inhalt, darunter 47.218.86, und datiert sie zwischen der Saitenzeit und dem Anfang der Ptolemäerzeit (Sauneron 1989, 188–189). U. Verhoeven-van Elsbergen listet fünf Papyri des Brooklyner Konvoluts auf, deren bisherige paläographische Datierungen einen Zeitraum von der 22. Dynastie bis zum Anfang der Ptolemäerzeit abdecken (9.–4. Jh. v. Chr.). Aufgrund ihrer eigenen paläographischen Untersuchung möchte sie jedoch drei von ihnen konkret in die Saitenzeit verorten (Verhoeven-van Elsbergen 2001, 19, 306, 318, 325), d.h. in die 26. Dynastie (664–525 v. Chr.). Ein anderer medizinischer Papyrus der Gruppe, Papyrus 47.218.2, wird aus paläographischen Gründen in die Saitenzeit oder zwischen dem 5.–3. Jh. v. Chr. datiert, der möglicherweise ebenfalls zugehörige medizinische Papyrus Rubensohn ins 4. Jh. v. Chr. J. F. Quack spricht für pBrooklyn 47.218.47 von einer "späthieratischen (etwa saitischen) Handschrift" (Quack 2013, 181, Anm. 16).
Der Papyrus enthält zwei unterschiedliche medizinische Traktate. Auf dem Recto stehen mindestens 240 Rezepte (Unger 2017, 192), genauer "Rezepte zur Behandlung von Rücken- und Afterleiden" (Unger 2015) bzw. "Beschwerden primär an Rücken, Rectum und Abdominaltrakt" (Unger 2017, 192). Diese wurden aus mehreren dem Schreiber vorliegenden Handschriften zusammengetragen (Dils – Popko 2018, 74). Auf dem Verso befinden sich "Mittel speziell zur Behandlung weiblicher Patienten" (Unger 2015) bzw. "Frauenkrankheiten" in knapper Formulierung (Unger 2017, 192). Die beiden Texte sind Rezeptsammlungen, nur vereinzelt werden ausführliche Symptombeschreibungen geboten (Unger 2015).
Der Papyrus gehört zu einer großen Menge von Papyri, die teils von Charles Wilbour angekauft wurden, teils bei Grabungen zutage kamen. Im Rahmen des ERC-Projekts "Elephantine: Localizing 4000 Years of Cultural History. Texts and Scripts from Elephantine Island in Egypt" wird aktuell eine Bestandsaufnahme des Materials vorgenommen. Erst danach können Vermutungen über den ursprünglichen Verwendungskontext des Papyrus angestellt werden. Die bislang bekannt gewordenen medizinischen Papyri in Brooklyn aus dem gleichen Materialfund sind der iatromagische Obstetrik-Papyrus (47.218.2), ein Papyrus, der sowohl Rücken- und Afterbeschwerden als auch Frauenbeschwerden enthält (47.218.75+86), ein Papyrus zu Mund- und Zahnbeschwerden (47.218.87) und ein Papyrus mit Frauenproblemen der Geschlechtsorgane (47.218.47). Außerdem gibt es ein Schlangentraktat (47.218.48+85) sowie einen Text zu Schlangenbissen (47.218.138), magische Papyri (47.218.156), Schutzrituale (u.a. zum Schutz der königlichen Ohren: 47.218.49), Königsrituale (47.218.50), geographische Texte (u.a. der Deltapapyrus 47.218.84) und ein Weisheitsbuch (47.218.135). Der in Berlin aufbewahrte medizinische Papyrus Rubensohn (pBerlin P 10456) (Westendorf 1974, 247–254) könnte zum gleichen spätzeitlichen Fund gehören. Einige Texte der 47.218er Gruppe gehören anscheinend nicht zur großen Gruppe der vorgenannten Texte, wie ein thebanischer Orakelpapyrus aus der Saitenzeit (47.218.3) und ein Brief aus dem Alten Reich (47.218.18). S. Sauneron mutmaßt als ursprünglichen Verwendungskontext einerseits die berufliche Bibliothek eines Vorlesepriesters oder eines Dorfmediziners, andererseits die Bibliothek eines religiösen Zentrums, nicht so sehr die eines Tempels, als eher die einer Kapelle von Heilern/Heilgöttern, eines Sanatoriums oder Lebenshauses (Sauneron 1970, viii). Goyon vermutet für die verschiedenen Papyri ebenfalls eine Herkunft aus einer Tempelbibliothek, einem Lebenshaus oder der Bibliothek eines Magiers (Goyon 1972, 13 mit Anm. 4). Unger meint, dass "es sich bei den beiden Texten um Rezeptsammlungen für erfahrene altägyptische Ärzte" handelt, "denn der Großteil der Verschreibungen ist in sehr knapper Form gehalten" (Unger 2015).
Die Rolle war bei Auffindung in mindestens zwei Teilen zerfallen, weshalb ihr zwei Inventarnummern zugewiesen wurden. Sie ist mehr als 3 m lang und wurde beidseitig beschriftet. Die Beschriftung der Rückseite erfolgte, nachdem der Papyrus in der Antike in zwei Teile zerbrochen war und anschließend falsch wieder zusammengeklebt wurde (Dils – Popko 2018, 74).
Rezeptanfänge und Quantenangaben sind auf dem Recto in roter Tinte geschrieben. Der Text auf dem Verso ist ausschließlich in schwarzer Tinte und von einem anderen Schreiber geschrieben.
Die Begründung der Sprachstufe beruht auf der Natur der Sprache in den übrigen Brooklyner Texten, sofern sie bislang bekannt geworden sind. Vom Rectotext weiß man, dass "es sich um ein Sammelwerk, das mit relativer Sicherheit aus mehreren dem Schreiber vorliegenden Handschriften zusammengestellt wurde", handelt (Unger 2015).
Erstmals untersucht wurde das Papyruskonvolut 1948 von Sir Alan Gardiner. In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts haben es sich Georges Posener und Michel Malinine angesehen, wobei Posener versucht hat, die Natur einzelner Texte anhand der wenigen sichtbaren Wörter zu bestimmen. Die Publikation des Konvoluts wurde 1966 Serge Sauneron anvertraut, der 11 Papyri entrollen und restaurieren ließ und einige veröffentlichte, jedoch vor Fertigstellung der Arbeit verstarb. Anfänglich war nur bekannt, dass der Papyrus 47.218.86 Rückenbeschwerden thematisiert (Sauneron 1968–1969: "treatment of backache and spinal injuries"; Sauneron 1989: "maladies du dos"; daher Bardinet 1995: "maladies du dos"; Westendorf 1999: "Krankheiten des Rückens"), erst später wurde festgestellt, dass 47.218.75 auch dazu gehört und dass der Inhalt thematisch reichhaltiger ist. Der Papyrus wird im Augenblick von Juliane Unger im Rahmen einer Heidelberger Dissertation bearbeitet. Bislang liegt ein Abschnitt mit Rezepten gegen Unterleibsbeschwerden (wḫdw-Schmerzstoffe, Blähungen (?), ꜥꜣꜥ-Krankheit) in Übersetzung vor (Unger 2017).
- Bardinet 1995: T. Bardinet, Les papyrus médicaux de l’Égypte pharaonique. Traduction intégrale et commentaire (Paris 1995), 20.
- Burkard 1980: G. Burkard, Bibliotheken im alten Ägypten. Überlegungen zur Methodik ihres Nachweises und Übersicht zum Stand der Forschung, in: Bibliothek. Forschung und Praxis 4,2, 1980, 79–115, hier: 96, 98.
- Burkard 1994: G. Burkard, Literarische Tradition und historische Realität, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertmuskunde 121, 1994, 93–106, hier: 101.
- P. Dils – L. Popko, Neue Texte zur (alt)ägyptischen Medizin, in: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 19, 2018, 58–82, hier: 74.
- Goyon 1972: J.-C. Goyon, Confirmation du pouvoir royal au nouvel an [Brooklyn Museum Papyrus 47.218.50], Bibliothèque d’Étude 52 (Le Caire 1972), 13–16.
- Guermeur 2015–2016: I. Guermeur, Le papyrus hiératique iatromagique n° 47.218.2 du musée de Brooklyn, in: Bulletin de la Société française d’égyptologie 193–194, 2015–2016, 10–28.
- Quack 2013: J. F. Quack, Zauber ohne Grenzen. Zur Transkulturalität der spätantiken Magie, in: A. H. Pries et al. (Hrsg.), Rituale als Ausdruck von Kulturkontakt. "Synkretismus" zwischen Negation und Neudefinition. Akten der interdisziplinären Tagung des Sonderforschungsbereiches "Ritualdynamik" in Heidelberg, 3.–5. Dezember 2010, Studies in Oriental Religions 67 (Wiesbaden 2013), 177–199, hier: 181, Anm. 16.
- Sauneron 1968–1969: S. Sauneron, The Wilbour Papyri in Brooklyn. A Progress Report, in: The Brooklyn Museum Annual 10, 1968–1969, 109.
- Sauneron 1970: S. Sauneron, Le papyrus magique illustré de Brooklyn. Brooklyn Museum 47.218.156, Wilbour Monographs 3 (Brooklyn 1970), VIII–IX.
- Sauneron 1989: S. Sauneron, Un traité egyptien d’ophiologie. Papyrus du Brooklyn Museum Nos 47.218.48 et 85, Bibliothèque Générale 11 (Le Caire 1989), 188.
- Unger 2015: J. Unger, in: Anonymus (Hrsg.), 47. Ständige Ägyptologenkonferenz 10. bis 12. Juni 2015 (Programm + Abstracts), 13.
- Unger 2017: J. Unger, Zum medizinischen Wissen der Alten Ägypter, in: B. Janowski – D. Schwemer (Hrsg.), Texte zur Wissenskultur, Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge 9 (Gütersloh 2017), 191–194 (im Druck).
- Unger (in vbr.): J. Unger, Edition des medizinischen Papyrus Brooklyn 47.218.75 und .86 (Arbeitstitel) [Diss. Heidelberg in vbr. bei J. F. Quack].
- Verhoeven-van Elsbergen 2001: U. Verhoeven-van Elsbergen, Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift, Orientalia Lovaniensia Analecta 99 (Leuven 2001), 19, 304–307.
- Westendorf 1999: W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I 36,1 (Leiden/Boston/Köln 1999), 78.
Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.
Übersetzung und Kommentar
Übersetzung folgt - Translation is forthcoming