Ostrakon UC 39634 = Ostrakon Petrie 35

Metadaten

Wissensbereiche
Aufbewahrungsort
Europa » Großbritannien » (Städte K-N) » London » Petrie Museum of Egyptian Archaeology

Inventarnummer: oUC 39634
Inventarnummer (intern von Černý – Gardiner 1957 vergeben): O. Petrie 35
Inventarnummer: LDUCE-UC39634

Erwerbsgeschichte

Vermutlich ca. 1907 durch W. M. F. Petrie für die Edwards Library des University College London angekauft (s. Gardiner, in: Černý – Gardiner 1957, v). Die Sammlung der Edwards Library wurde später mit vielen weiteren durch Petrie ausgegrabenen Objekten umbenannt in Petrie Museum of Egyptian Archaeology.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer

Die exakte Herkunft ist nicht bekannt, aber anzunehmen ist, dass das Ostrakon aus Theben-West stammt. Gardiner schreibt, dass bis auf eine Ausnahme alle Ostraka, die er 1957 gemeinsam mit Černý publiziert, eine thebanische Herkunft haben (Černý – Gardiner 1957, v). Das wird also auch für dieses Ostrakon zutreffen. Die Verwendung eines Kalksteinsplitters als Textträger ist gerade für Theben im Neuen Reich sehr gut belegt.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 19. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

Die Datierung ist paläographisch begründet. Gardiner schreibt, dass alle Ostraka, die er 1957 gemeinsam mit Černý publiziert, zwischen der 18. und 20. Dynastie datieren (Černý – Gardiner 1957, v). Paläographisch gehört dieses Ostrakon in die 19. oder 20. Dynastie.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Der Spruch bzw. die Beschwörung ist bislang auf mindestens neun Textträgern überliefert (3 Papyri, 3 Heilstatuen, 1 Horusstele, 1 Ostrakon, 1 Flügelskarabäus) und kann daher weitestgehend rekonstruiert werden. Die Textträger datieren von der 19./20. Dynastie bis in die frühe Ptolemäerzeit. Die Göttin Isis spricht in der ersten Person. Sie ist Isis, die Magierin, die von ihrem Vater Geb Zaubersprüche bekommen hat, um ihren Sohn Horus zu schützen. Sie wird das Maul jedes beißenden und giftigen Tieres verschließen (Schlange, Löwe, Krokodil), das Gift vertreiben und den Patienten mit Atembeschwerden (Teillähmung durch das Gift) retten. Sie fordert die Venen und Muskelstränge auf, ihr zu gehorchen, sowie die Giftstoffe, den Körper zu verlassen. Isis oder der Zauberer befiehlt anschließend dem Gift, auszufließen, sowie den Venen und Muskeln, das Gift auszuscheiden. Die Beschwörung muss viermal wiederholt werden.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Der unvollständig aufgeschriebene Textanfang „ein anderer Spruch für 〈...〉“ spricht für einen Auszug aus einer größeren Textsammlung. Die Verwendung des Rubrums bei „Spruch für“ zeugt von einem gewissen Aufwand bei der Kopierarbeit. Ein solcher Anfang könnte ein Hinweis dafür sein, dass ein lokaler Magier eine Ostrakasammlung mit Einzelsprüchen griffbereit hatte.

Material
Nicht Organisch » Stein » Kalkstein
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Ostrakon
Technische Daten

Die heutigen Maße betragen 12,6 cm Breite bei 11,5 cm Höhe. Der obere Rand und auch der Anfang des rechten Randes sind original erhalten. Links ist das Ostrakon abgebrochen, mindestens die Hälfte von jeder Textzeile fehlt. Durch einen Abbruch unten rechts sind die Anfänge der Zeilen 3–6 immer mehr zerstört, von Zeile 7 ist nur noch eine winzige Spur erhalten. Eine oder zwei Textzeilen sind gänzlich verloren. Daher ist von einer ursprünglichen Größe von mindestens 25 cm Breite und mindestens 13 cm Höhe auszugehen.

Schrift
Hieratisch

Schwarze Tinte mit einem Wort des Spruchtitels in roter Tinte. Hieratische Buchhandschrift eines geübten Schreibers.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch » spätes Mittelägyptisch mit neuägyptischen Einflüssen

Die besser erhaltenen Versionen des Textes zeigen ein traditionelles Mittelägyptisch mit zahlreichen jw=f r sḏm-Formen, die auch als neuägyptisches Futur III beschrieben werden können. Die Verwendung von r-bnr (nicht auf dem Ostrakon erhalten) spricht für eine Redaktion des Textes nicht früher als das Neue Reich, vom Imperativ mj-n nicht früher als das Neuägyptische. In Kombination mit den jw=f-r-sḏm-Formen könnte man daher auch von einem frühen Neuägyptisch oder einem Mittelägyptisch mit Neuägyptizismen sprechen.

Bearbeitungsgeschichte

Das Ostrakon ist von Černý – Gardiner in Faksimile sowie hieroglyphischer Transliteration präsentiert worden. Sie haben den Text schon als die Kopie eines Spruches des magischen Papyrus Turin identifiziert, der heute die Nummer CGT 54051 trägt. Seitdem sind weitere Papyri und sonstige Objekte mit demselben Text entdeckt und einzeln (zuletzt Perdu 2013) oder in synoptischer Darstellung (Roccati 2011) veröffentlicht worden.

Editionen

- Černý – Gardiner 1957: J. Černý – A. H. Gardiner, Hieratic Ostraca I (Oxford 1957), 4 und Taf. 12–12A, Nr. 2.

Literatur zu den Metadaten

- Perdu 2013: O. Perdu, L’Isis de Ptahirdis retrouvée, in: Revue d'Égyptologie 64, 2013, 93–133, hier: 102–111.

- Roccati 2011: A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 144–146, § 281–289.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Peter Dils
Autoren (Metadaten)
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Beschwörung von Gift durch Isis1

[1] Ein anderer Spruch {zum}.
Ich bin Isis, die Herrin von Chemmis, [mit effektiven Reden/Worten an den geheimen Orten2], der Geb seine (magischen) Fähigkeiten/Zaubermacht gegeben hat, um den Schutz [des Horus] zu bereiten.
[Ich werde das Maul eines jeden Gewürms verschließen und (ich werde)] jeden [Löw]en auf dem Wüstenplateau, die Krokodile [auf dem Fluss und alle beißenden -Schlangen in ihren Höhlen zurücktreiben.]
[Ich werde] das Gift in Theben3 [abwehren], wobei 〈seine〉 (des Giftes) Flamme durch das, was ich sage, abgewehrt ist.
[Ich werde Atemluft geben an der Nase des Beengten (d.h. der in Atemnot ist), durch die (magischen) Fähigkeiten/Zaubermacht meiner Formeln/Äußerungen.]
[5] Gehorcht mir (?), (ihr) mt.w-Stränge (Venen, Muskeln, Sehnen, Nerven) des K[örpers, gemäß des Dekrets des Geb, des Prinzen der Götter!]
[Kommt heraus, (ihr) schmerzende Säfte (wörtl.: Wasser), die in jedem Glied des NN], geboren [von NN sind!]
[... ... ...]

1 Textparallelen:
- 19. Dyn.: Papyrus Chester Beatty XI = Papyrus London BM EA 10691, Rto 4.2–7 (= Roccati 2011, 144–147, § 281–291; stark beschädigt)
- 20. Dyn.: Papyrus Turin CGT 54051, Rto 5.5–10 (= Roccati 2011, 71, 144–147, § 281–291; vollständig)
- 26. Dyn.: Isisstatue des Ptahirdis (Perdu 2013, 102–111 und Taf. 9–11; vollständig)
- 26. Dyn. (?): Papyrus Brooklyn 47.218.138, Kol. x+8.2–9 (J.-C. Goyon, Le recueil de prophylaxie contre les agressions des animaux venimeux du Musée de Brooklyn. Papyrus Wilbour 47.218.138, Studien zur spätägyptischen Religion 5 (Wiesbaden 2012), 46–48 mit § 23, 169–175; stark beschädigt; Synopse ist fehlerhaft!)
- 26. Dyn. (?): Flügelskarabäus BM EA 35403, Kopfende (C. A. R. Andrews, An Unusual Source for Magical Texts, in: A. Leahy – J. Tait (Hrsg.), Studies on Ancient Egypt in Honour of H. S. Smith, Occasional Publications 13 (London 1999), 11–15, hier: 11–12: enthält nur letztes Drittel)
- 30. Dyn.-Frühptol.: Socle Béhague + Torso Wien ÄS 40, Spruch V (Z. g.2–10) (A. Klasens, A Magical Statue Base (Socle Behague) in the Museum of Antiquities at Leiden, Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden te Leiden 33 (Leiden 1952), 3, 35–37, 58–59, 98–99 (Spell V: Z. g.2–10) und Taf. V; Textsynopse ohne oPetrie 35; fast vollständig)
- 30. Dyn.–Frühptol.: Moskau, Heilstatue des Harchebis (M. Panov, Die Statue des Horchebe, Egipetskie tekstyi 2 (Novosibirsk 2014),  48–51; fast vollständig)
- 30. Dyn.–Frühptol.: Horusstele BM EA 36250, Rückseite, Z. 6–14? (H. Sternberg-el Hotabi, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen, 2 Bände, Ägyptologische Abhandlungen 62 (Wiesbaden 1999), Teil II: Materialsammlung: 55)

2
 Perdu 2013, 105 übersetzt mit: "les situations critiques".

3 In den Parallelen steht: "in seinem Aktionsmoment".