Ostrakon Letellier

Metadaten

Wissensbereiche
Schlagwörter
Aufbewahrungsort
(Privatsammlung)
Erwerbsgeschichte

Das Ostrakon wurde 1970 bei einem Händler in Luxor erworben und befindet sich derzeit in Privatbesitz von Bernadette Letellier, s. Letellier 1980, 127.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer » Deir el-Medineh

Das Ostrakon ist aus weißem Kalkstein und wurde von einem Händler in Luxor angeboten. Diese zwei Punkte deuten bereits auf Theben-West. Da weitere Texte im Zusammenhang mit der Thematik der weisen Frau aus Deir el-Medineh stammen (oDeM 1688 und oDeM 1690), kann auch eine Herkunft aus Deir el-Medineh für dieses Ostrakon in Erwägung gezogen werden (Letellier 1980, 127). Tatsächlich sind aber keine sicheren Angaben über die Herkunft bekannt.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 19. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

Letellier (Letellier 1980, 132) datiert den Text auf Basis der Paläographie an das Ende der 19. Dynastie.

Textsorte
Brief
Inhalt

Es handelt sich um einen Brief. Absender ist ein Mann mit Namen Qenenchepesch. Er schreibt an eine Frau mit Namen Jneruau. Er beschwert sich, dass sie noch nicht zu einer weisen Frau gegangen sei, um diese wegen des Todes von zwei Kindern, die sich offenbar unter ihrer Aufsicht befunden haben, zu befragen. Er fordert sie nochmals auf, dies zu tun, und gibt ihr zwei Fragen an, die sie stellen soll. Er möchte wissen, ob es das Schicksal der Kinder gewesen sei, zu sterben

Ursprünglicher Verwendungskontext

Die Notiz ist als Aufforderung formuliert und diente offenbar der Kommunikation.

Material
Nicht Organisch » Stein » Kalkstein
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Ostrakon
Technische Daten

Das Ostrakon aus weißem Kalkstein ist 18,3 cm breit und 13,3 cm hoch. Es ist annähernd vollständig erhalten. Lediglich am unteren Ende ist durch abgebrochene Teile die letzte Zeile des Textes zum Teil zerstört. Das Ostrakon ist nur auf einer Seite mit insgesamt acht Zeilen beschriftet.

Schrift
Hieratisch » Neuhieratisch

Der Text ist in einem schön ausgeführten Neuhieratisch geschrieben.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch

Der Text ist neuägyptisch geschrieben. Dies wird durch den Gebrauch des Konjunktivs deutlich.

Bearbeitungsgeschichte

B. Letellier edierte das Ostrakon im Jahr 1980 (Letellier 1980, 127–133). E. Wente publizierte 10 Jahre später eine englische Übersetzung (Wente 1990, [184]), weitere 10 Jahre später übersetzte D. Karl den Text ins Deutsche (Karl, in: SAK 28, 2000, 134). Darüber hinaus findet es in weiteren Arbeiten Erwähnung (Quaegebeur 1975, 118 [2] u. 127 [4]; Kitchen 1989, 257–258; Mathieu 1993, 335 [1]; Toivari-Viitala 2001, 229; Neunert 2010, 108–109; Gabler 2018, 410–411; Nassar 2019, 45–47; Austin 2024, 148–151).

Editionen

- Letellier 1980: B. Letellier. La destinée de deux enfants: Un ostracon inédit. In: J. Vercoutter [Hrsg.]. Livre du centenaire, 1880-1980. MIFAO 104, Kairo 1980, 127–133.

- Karl 2000: D. Karl. Funktion und Bedeutung einer weisen Frau im Alten Ägypten. In: SAK 28, 2000, 131–160.

Literatur zu den Metadaten

- Austin 2024: A.E. Austin. Healthmaking in Ancient Egypt. The Social Determinants of Health at Deir el-Medina. CHANE 138. Leiden 2024.

- Gabler 2018: K. Gabler. Who’s who around Deir el Medina: Untersuchungen zur Organisation, Prosopographie und Entwicklung des Versorgungspersonals für die Arbeitersiedlung und das Tal der Könige. EU 31, Leuven 2018.

- Kitchen 1989: K.A. Kitchen. Ramesside Inscriptions VII. Oxford 1989.

- Mathieu 1993: B. Mathieu. Sur quelques ostraca hiératiques littéraires récemment publiés. In: BIFAO 93, 1993, 335–336.

- Nassar 2019: M.A. Nassar. The Wise Woman and the Healing Practice (O.OIM 16974), in: Journal of Ancient Egyptian Interconnections 24, 2019, 41–48.

- Neunert 2010: G. Neunert. Mein Grab, mein Esel, mein Platz in der Gesellschaft: Prestige im Alten Ägypten am Beispiel Deir el-Medine. Berlin 2010.

- Wente 1990: E. Wente, Letters from Ancient Egypt, Writings from the Ancient World 1. Atlanta/Georgia 1990.

- Quaegebeur 1975: J. Quaegebeur. Le Dieu égyptien Shaï dans la religion et l’onomastique. OLA 2. Leuven 1975.

- Toivari-Viitala 2001: J. Toivari-Viitala. Women at Deir el-Medina. A Study of the status and roles of the female inhabitants in the workmen’s community during the Ramesside Period. EU 15. Leiden 2001.

Autoren
Dr. Anke Ilona Blöbaum
Autoren (Metadaten)
Dr. Anke Ilona Blöbaum

Übersetzung und Kommentar

Ostrakon Letellier

[rto 1] Es sprach Qenenchepesch zu I[n]er⸢wa⸣[uu]1: „Warum gehst du denn nicht zu der weisen Frau wegen der beiden Jungen, die bei deinem Auftrag gestorben sind? Befrage die weise Frau über den Tod, den die beiden Jungen erlitten haben. War es ihre Bestimmung? War es ihr Schicksal?“ [rto 5] Du sollst sie (diese Fragen?) für mich fragen (und) du sollst nach dem Leben von mir selbst schauen (und) nach dem Leben ihrer (der Kinder) Mutter. Was einen jeden Gott angeht, den man dir 〈nennen〉 wird: Du sollst mir danach seinen Namen schicken (= schreiben) und den Auftrag erledigen als eine, die ihren Auftrag kennt.

1 I[n]er⸢wa⸣[uu] (J[n]r-⸢wꜢ⸣[ww]): Letellier stellt zur Diskussion, dass es sich bei diesem Namen um eine Verschreibung von Jni̯.t-wꜣww (RP I, 36.4) handeln könnte (Letellier, in: Livre du centenaire, 130 [3]). Sie geht davon aus, dass der Brief von einem Schreiber im Auftrag verfasst wurde und dieser den Namen eventuell falsch verstanden oder interpretiert hat. Sie führt ferner Interferenzen in der Schreibung zwischen jn.t „Tal“ (Lemma-ID 26780) und jnr „Stein“ (Lemma-ID 27560) an, die darauf schließen lassen, dass bereits im Neuen Reich wie im Koptischen beide Wörter homophon waren. Insofern ist eine Verwechselung mit einem ähnliche klingenden jni̯.t zumindest eine Möglichkeit, den ansonsten nicht weiter bekannten Namen an andere Belege anzuschließen. Dem wird hier gefolgt.