Ostrakon Deir el-Medineh 1057

Metadaten

Wissensbereiche
Aufbewahrungsort
Afrika » Ägypten » Kairo » Institut Français d'Archéologie Orientale

Inventarnummer: oIFAO 2065

Digitaler Katalog
Erwerbsgeschichte

Das Ostrakon stammt aus den Grabungen des Institut Français d’Archéologie Orientale (IFAO) in Deir el-Medineh durch B. Bruyère aus dem Jahr 1930. Seitdem lagert es im IFAO (Posener 1938, 15 und http://www.ifao.egnet.net/archeologie/deir-el-medina/, geöffnet am 24.04.2019).

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer » Deir el-Medineh

Das Ostrakon trägt eine Markierung, die sowohl den Fundort als auch das Funddatum angibt: 12.1.30 KS. Die Zahl steht für das Datum, d.h. den 21.01.1930, und „KS“ für „Koms du sud“ in Deir el-Medineh. Dieser wurde neben anderem von 1922–1933 von B. Bruyère im Auftrage des Institut Français d’Archéologie Orientale (IFAO) untersucht (Posener 1938, 15 und http://www.ifao.egnet.net/archeologie/deir-el-medina/, geöffnet am 24.04.2019; zu dem Fundort Koms du sud siehe Bruyère 1933, 6).

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 19. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

G. Posener datiert alle Ostraka in dem von ihm veröffentlichten Band zwischen die Mitte der 19. und der Mitte der 20. Dynastie (Posener 1938, VI). Die Paläographie sowie der Fundort dürften hierbei für eine Datierung in die Ramessidenzeit sprechen. Die Tatsache, dass die Präposition im Futur III nicht geschrieben wurde, spricht eher für eine Datierung in die 20. Dynastie, obwohl die Präposition auch schon früher ungeschrieben bleiben kann.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Das Ostrakon bildet den bisher jüngsten Beleg eines Zaubers, der das Ziel hat, dass sich eine bestimmte weibliche Person in einen Mann, d.h. den Zauberwirkenden, im weitesten Sinne verliebt (von „Liebe“ wird nicht gesprochen, sondern nur, dass die Frau dem Manne sprichwörtlich hinterherrennt). Zunächst werden Re-Harachte und die sieben Hathoren angerufen. Diese werden gebeten bzw. wird ihnen befohlen, dafür zu sorgen, dass eine Frau (ihr Name kann an der entsprechenden Stelle während der Rezitation eingetragen werden), „hinter“ den Sprecher kommt. Es folgen mehrere Vergleiche, die das „hinter ihn kommen“ sehr metaphorisch erklären (z.B. „wie der Ochse zum Gras“). Zuletzt folgt eine Götterbedrohung, die angibt, was der Rezitator (auf mythologischer Ebene) anzustellen gedenkt, wenn seinem Wunsch/Befehl keine Folge geleistet wird (in diesem Falle Busiris in Flammen zu setzen und Osiris abzubrennen) (vgl. Smither 1941, 131; Fischer-Elfert 2018, 150).

Ursprünglicher Verwendungskontext

Die Beschwörung ist eine Vorlage und kein angewandter Zauber, denn die anvisierte Frau hat keinen Namen, sondern ist „NN, die NN geboren hat“.

Material
Künstliche Materialien » Keramik
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Ostrakon
Technische Daten

Es handelt sich um eine einseitig beschriebene Gefäßscherbe (Höhe 10 cm, Breite 13 cm), die mit acht Textzeilen versehen worden ist, die aufgrund der Objektbeschaffenheit von oben nach unten kürzer werden. Der Text ist vollständig erhalten. Vgl. die Objektbeschreibung und das Faksimile bei Posener, 1938, 15 mit Pl. 31a sowie die Photographie auf der Website des IFAO.

Schrift
Hieratisch

Das Hieratische entspricht dem Duktus der Ramessidenzeit. Auffällig sind die etwas gedrängt wirkenden Zeichen im unteren linken Bereich, was wohl daran liegt, dass der Schreiber den vorhandenen Platz nicht richtig abgeschätzt hatte. Außerdem erscheinen verschiedentlich kleinere Fehler im Text (Smither 1941, 131–132; Website IFAO; Posener 1938, Taf. 31–31a).

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch

Der Text weist mehrere neuägyptische Formen auf, wie z.B. Suffixpronomen =w in Z. 6, Konjunktiv mtw= in Z. 8 oder Relativform r-nt.j in Z. 2. Auch die Orthographie entspricht der des Neuägyptischen (Posener 1938, Taf. 31–31a; Smither 1941, 131–132).

Bearbeitungsgeschichte

Das Ostrakon ist bei G. Posener im „Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el-Médineh“ mit Beschreibung, Faksimile sowie hieroglyphischer Transliteration aufgeführt (Posener 1938, 15, Taf. 31–31a). Eine erste Übersetzung mit Kommentaren lieferte Smither 1941, 131–132. Diesem folgten Borghouts 1978, 1 (Nr. 1) (ebenfalls Englisch) und auf Deutsch Fischer-Elfert 2018, 78, Quack 2010, 52 und 2015, 113.

Editionen

- Posener 1938: G. Posener, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el-Médineh I,3, Documents de Fouilles de l’Institut Franҫais d’Archéologie Orientale du Caire 1, Fasc. 3 (Le Caire 1938), VI, 15, Taf. 31–31a.

Literatur zu den Metadaten

- Borghouts 1978: J. F. Borghouts, Ancient Egyptian magical texts: translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 1 (Nr. 1).

- Bruyère 1933: B. Bruyère, Rapport sur les fouilles de Deir el Médineh (1930), Fouilles de l’Institut Franҫais d’Archéologie Orientale du Caire 8, Fasc. 3 (Le Caire 1933).

- Colledge 2015: S. L. Colledge, The Process of Cursing in Ancient Egypt (Liverpool 2015), 98–101 (22.02.2022).

- Dieleman 2019: J. Dieleman, Egypt, in: D. Frankfurter (Hrsg.), Guide to the Study of Ancient Magic, Religions in the Graeco-Roman World 189 (Leiden/Boston 2019), 87–114, hier: 110–111.

- Fischer-Elfert 2005: H.-W. Fischer-Elfert, Altägyptische Zaubersprüche, Reclams Universal-Bibliothek 18375 (Stuttgart 2005), 78 und 150 (Nr. 59).

- Quack 2010: J.F. Quack, Zwischen Landesverteidigung und Liebeswunsch, in: Th. Pfeiffer (Hrsg.), Zauber und Magie, Studium generale 2008 (Heidelberg 2010), 33–61.

- Quack 2015: J. F. Quack, Dämonen und andere höhere Wesen in der Magie als Feinde und Helfer, in: A. Jördens (Hrsg.), Ägyptische Magie und ihre Umwelt, Philippika 80 (Wiesbaden 2015), 101–118.

- Smither 1941: P. Smither, A Ramesside Love Charm, in: Journal of Egyptian Archaeology 27, 1941, 131–132.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Marc Brose

Übersetzung und Kommentar

Ostrakon Deir el-Medineh 10571

Sei gegrüßt, Re-Harachte, Vater der Götter!
Seid gegrüßt, ihr Sieben Hathoren, die geschmückt sind mit Bändern aus rotem Leinen.
Seid gegrüßt, alle Götter des Himmels und der Erde!
Kommt,2 auf dass die NN, die die NN geboren hat, hinter mir herkomme wie ein Rind hinter dem Gras, wie eine Dienerin3 hinter ihren Kindern, wie ein Hirte hinter seiner Herde.
Wenn man nicht bewirkt, dass sie hinter mir herkommt, so werde ich 〈Feuer an〉 Busiris legen und ich werde 〈Osiris〉 abfackeln4.

1 Die Transliteration des Textes von Posener wurde durch Smither 1941 entscheidend verbessert. Alle Korrekturen, die nicht eigens kommentiert worden sind, wurden von Smither übernommen.
2 mj jj.t: Dazwischen ist vielleicht noch jmm „veranlasst“ ausgefallen; vgl. Smither 1941, 131 Anm. c. Allerdings ist dies nicht unbedingt notwendig; vgl. die Übersetzung von Fischer-Elfert 2005, 78, die hier übernommen worden ist.
3 bꜣkj: Nach Smither 1941, 131 Anm. e könnte hier auch eine Verschreibung aus mw.t „Mutter“ vorliegen, weil beide Wörter im Hieratischen recht ähnlich aussehen.
4 Die Korrekturen am Ende des Satzes hat Smither 1941, 132 Anm. h nach W. Pleyte – F. Rossi, Papyrus de Turin (Leiden 1869), Taf. 135.10 = pTurin Cat. 1993/CGT 54051 vs. 3,10 (A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 76) vorgenommen. Dieselbe Drohung findet sich auf oDeM 1213, Z. 7-8.