Horusstele Chicago OIM E 16881
Übersetzung und Kommentar
Rechte Schmalseite, Rückseite + Unterseite, Oberkante, linke Schmalseite
Horusstelentext B (1–2, 3a–11a, 3b–11b)1 = Metternichtstele Spruch 5 = Torso Wien ÄS 40 Spruch 1
[rechte Schmalseite, 1] Oh alter Mann, der sich zu seiner Zeit verjüngt, (oh) Greis, der als Jugendlicher agiert (wörtl.: den Jugendlichen spielt), mögest du veranlassen, dass Thoth zu mir auf meine Stimme hin kommt, damit er für mich (das Krokodil) Neha/Neha〈-her?〉 vertreibt.
Osiris ist auf dem Wasser; das Horusauge ist bei ihm. Der große Flügelskarabäus steht mit gespreizten Flügeln (schützend) über ihm; die Große (Göttin)2 ist in seiner Faust, der die Götter (schon) als nḫn-Kind geboren/geschaffen hat.
Wenn man dem, der auf dem Wasser ist, zu nahe tritt, dann tritt man dem weinenden/verfinsterten (?) Horusauge [Rückseite + Unterseite] ebenfalls zu nahe.
Zurück mit euch, (ihr) Wasserbewohner, Feind, jener/Feindin, (Un)-Toter/Wiedergänger, (Un)-Tote/Wiedergängerin, Widersacher, Widersacherin und so weiter! Erhebt nicht eure Gesichter, (ihr) Wasserbewohner, bis Osiris an euch vorbeigegangen sein wird! (Denn) seht, er ist auf dem Weg nach Busiris.
Versperrt wurde euer Maul, blockiert/verstopft wurde euer Schlund!
Zurück mit dir, (du) Rebell! Erhebe nicht dein Gesicht gegen die, die auf dem Wasser sind.3
Sie sind Osiris (wenn er) hinaufsteigt (wört.: beim Hinaufsteigen) zu seiner Barke, [5a] um die Neunheit von Babylon zu betrachten!
Die Herren der Unterwelt stehen bereit, dich zu bestrafen.
Falls (das Krokodil) Neha/Neha〈-her?〉 gegen Osiris vorgeht, während dieser auf dem Wasser und das Horusauge bei/über ihm ist, [5b] dann wird euer Gesicht umgedreht werden, auf eurem Rücken gesetzt (d.h. zum Rücken hin orientiert).
Oh (ihr) Wasserbewohner, euer Maul wurde von Re verschlossen. Euer Schlund wurde von Sachmet verstopft/blockiert. Eure Zunge wurde von Thoth abgeschnitten. Eure Augen wurden von Heka geblendet.
Diese Vierergruppe jener großen Götter, die den Schutz des Osiris bereiten, sie sind es, die den Schutz für den bereiten, der auf dem Wasser ist, (d.h. den Schutz) aller Menschen und alles Kleinvieh, die heute auf dem Wasser sind. Der, der auf dem Wasser ist, wird wohlbehalten herauskommen. Der Schutz des Re im Himmel ist der Schutz des Großen Gottes, des Vorstehers des Sarges, ist der Schutz dessen, der auf dem Wasser ist.
Eine jammernde Stimme4 ist im Haus-der-Neith; eine laute Stimme ist im Großen-Haus; ein großes Gejammer ist im Mund des Katers (oder: der Katze).
Die Stimme5 der Götter und Göttinnen sagt: „Was ist los? Was ist los?“ bezüglich (?) des Abdu-Fisches, als er geboren wird (oder: bei seiner Geburt).
Weiche du doch zurück, (oh) Rebell! (Denn) ich bin Chnum, der Herr von Herwer.
Hüte dich davor, deine Verletzung (oder: dein Leid) ein zweites Mal zu wiederholen, wegen dessen, was du getan hast in Anwesenheit der Großen Neunheit!
Wende dich doch von mir ab! (Denn) ich bin ein Gott.
Hui! Hui!
Oh Re! [10a] Bekanntlich hast du keine (so) heftig schreiende Stimme (mehr) gehört seit dem Abend auf jenem Ufer von Nedit.
(Es ist) die heftig schreiende Stimme [10b] jedes Gottes und jeder Göttin. Die großen Götter [Oberseite] sind in Klage wegen des/dieses Übels, das du angerichtet hast, (du) Rebell.
[linke Schmalseite] Hui! Hui!
Siehe, Re tobt vor Wut (?) wegen deines (?) Gesichtes (?).6 Er hat befohlen, dass deine Zerstückelung durchgeführt wird.
Zurück mit dir, (du) Rebell!
Hui, hui!
1 Fängt auf der rechten (Objektperspektive) Schmalseite an (Kol. 1–2), dann Rückseite (mit Fortsetzung der Kol. auf der Unterseite) (Kol. 3–10), Fortsetzung auf der Oberseite (Kol. 11a, 12a) und Anfang der linken Schmalseite (Kol. 12b).
2 Siehe Gutekunst 1995, 158 zu (5) für eine mögliche Interpretation der „Großen“ als weiblicher Personifikation der Gotteshand. Meint er: „Die Große ist/personifiziert seine Faust“? Die Faust des Ur- und Sonnengottes Atum im nḫn-Kind-Alter erzeugte durch Selbstbefriedigung das Götterpaar Schu und Tefnut.
3 Man erwartet hiernach: „(Denn) sie sind Osiris. Re besteigt seine Barke ...“, aber es gibt auch Varianten wie hier mit Osiris statt Re als Subjekt, die Gutekunst als Folge der Verschmelzung von Re und Osiris erklärt (siehe ausführlich Gutekunst 1995, 184–187, Varianten b1–b2).
4 Diese Variante wird von Gutekunst 1995, 120–121, 213 (Phrase 11.1B:1) behandelt und in ihrer Dreigliedrigkeit (mit den beiden nächsten Sätzen) als redaktionelle Erweiterung und Erneuerung eingestuft.
5 Die Nennung der Stimme am Anfang ist unerwartet und sicherlich durch Verwirrung mit den vorangehenden Sätzen entstanden. Gutekunst 1995, 121, 214 (Phrase 11.21.c) kennt nur noch London BM EA 958 als Textvertreter mit demselben Anfang.
6 Normalerweise steht hier: „Siehe, Re tobt vor Wut deswegen.“ Vermutlich liegt hier eine Verwechslung vor.
Linke Schmalseite, Oberseite
Beschwörung einer Schlange (12a, 11b–12b)1
Ein anderer Spruch. Worte zu sprechen:
Beschworen wurde doch die Neunheit des Re durch die nꜥy-Schlange. Gebissen wurde das nww-Kind, gebissen wurde das nḫn-Kind durch die ḏsr-tp-Schlange.
Sei still! Sei still, mein Sohn!
Ich bin deine Mutter. Ich bin die, die dich aufzieht/rettet (?).
(Oh) Werethekau (?), komme und rette/ziehe auf mit (?) mir!2
Lasst uns den Lufthauch dem geben, Der-zu-den-beiden-Herrinnen-gehört, deinem Erben, (oh) Re. Zweimal!
1 Fängt auf der linken Schmalseite (Objektperspektive) an (Kol. 11b), Fortsetzung auf der Oberseite (Kol. 12a) und endet auf der linken Schmalseite (Kol. 12b)
2 Auf der Heilstatue des Hor Turin Cat. 3030 übersetzt L. Kákosy, Egyptian Healing Statues in Three Museums in Italy (Turin, Florence, Naples), Catalogo del Museo Egizio di Torino. Serie prima. Monumenti e testi 9 (Torino 1999), 81: „Come and read the command“.
Sockeloberseite
Spruch X1 (13–16)
Der Doppellöwe wurde in die Dunkelheit gesetzt; das Gift ist verspritzt/gegangen (?).
Schu (oder: die Aussaat des Schu?) ist vor den [15] beiden Augengöttinnen, die deinen Erben aufrichten.
1 Die Textparallele Turin Cat. 3030 (L. Kákosy, Egyptian Healing Statues in Three Museums in Italy (Turin, Florence, Naples), Catalogo del Museo Egizio di Torino. Serie prima. Monumenti e testi 9 (Torino 1999), 80–82 und Taf. XXII, XXIV) erfasst diesen Spruch nicht mehr.