Horusstele des Anchpachered Boston MFA 05.90a–b

Metadaten

Wissensbereiche
Alternative Namen
Trismegistos 113331
Aufbewahrungsort
Nordamerika » U.S.A. » (Städte A-Ch) » Boston (MA) » Museum of Fine Arts

Inventarnummer: MFA 05.90a–b

Digitaler Katalog
Erwerbsgeschichte

Im Jahr 1905 von Theodore M. Davis dem Museum of Fine Arts in Boston geschenkt. Wie und wann Davis die Stele erworben hat, ist unbekannt.

Herkunft
(unbekannt)

Die Stele ist einem Amunpriester von Karnak, Sohn eines Amunpriesters von Karnak, gewidmet, was für eine Herkunft aus Theben spricht (Sternberg-el Hotabi 1989, 276). Sternberg-el Hotabi (1999, I, 77) vermutet Karnak als mutmaßlichen Fertigungs- und Aufstellungsort für alle Horusstelen mit der Sched-Streitwagendarstellung auf der zylindrischen Basis. Auf der Homepage des MFA steht „Possibly from the Fayoum (?)“ ohne weitere Begründung.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 22.–23. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 24. Dynastie

Sternberg-el Hotabi (1989, 282–287) bespricht ausführlich die Datierungsfrage. Datierungkriterien sind (1) die Präsenz der Streitwagenszene (typisch für Horusstelen der libyschen Zeit), (2) die Namen und Titel des Stifters und seines Vaters mit der Hypothese, dass beide Personen zu der berühmten Anchpachered-Familie der Dritten Zwischenzeit gehört haben, (3) eine Graphie des Namens „Osiris“ auf der Rückseite, die typisch für die 22.–23. Dynastie ist, und (4) die stemmatische Einordnung des magischen Spruchs „Text B“ auf den Horusstelen des Neuen Reiches und der Dritten Zwischenzeit. Das führt sie zu einer Datierung „in die 22./23., auf keinen fall später als die 25. Dyn.“ (S. 287). Gutekunst 1995 übernimmt an einer Stelle (S. 332) diese Angaben von Sternberg-el Hotabi, an anderer Stelle hat er 21./22. (S. 233) und 22./23. Dynastie (S. 66). Sternberg-el Hotabi 1999 ordnet die Stele allgemein in die „Frühphase II (21. bis 25. Dynastie)“ ihrer Typologie ein (1999, II, 14), präzisiert an anderer Stelle (1999, I, 84) zu „22. Dynastie (?)“ (mit Fragezeichen). Jansen-Winkeln 2007 beschränkt sich auf eine Einordnung in die „22.–24. Dynastie insgesamt“. Der Stifter Anchpachered oder sein Vater Djedhoriufanch können prosopographisch nicht genauer in die Amunpriesterschaft von Theben eingeordnet werden, was eine präzisere Datierung verhindert. Der Namenstypus Djedhoriufanch erscheint in der 21. Dynastie, ist häufig von der 22. bis 26. Dynastie (vor allem in der 22. Dynastie), wird danach wieder selten (Jansen-Winkeln 2016, 193, 198). Der Namenstypus Anchpachered kommt in der mittleren 22. Dynastie in Gebrauch und bleibt danach in der Spätzeit häufig (Jansen-Winkeln 2016, 197).

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Die Rückseite der Stele enthält den sogenannten Horusstelentext B in einer verkürzten Version und endet mit den Titeln und Namen des Dedikanten. Auf der rechten Schmalseite steht in der einzigen Textkolumne der Anfang des sogenannten Horusstelentextes A. Auf der symmetrischen linken Schmalseite ist nur der untere Bereich der Textkolumne mit den Titeln und Namen des Dedikanten erhalten. Auf der Vorderseite wird der Streitwagenkämpfer in drei kurzen Textkolumnen identifiziert als Horus-Sched, der das Maul der beißenden Tiere versiegelt. Einige der vom Streitwagenkämpfer gejagten Tiere (Antilope, Löwe, Skorpion, Schlangen) werden namentlich identifiziert. Unter dieser Darstellung findet sich die Weiheinschrift in zwei Zeilen.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Sternberg-el Hotabi (1989, 287) erwägt eine Aufstellung im Tempelkomplex von Karnak, wo zumindest im Mut-Bezirk eine Heilkultkapelle mit Horusstelentexten nachgewiesen ist.

Material
Nicht Organisch » Stein » Kalkstein
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Stele » Horusstele / Horuscippus
Technische Daten

Aktuelle Höhe beträgt 19 cm (ursprünglich vielleicht ca. 30–31 cm laut Sternberg-el Hotabi 1989, 276); Breite 15,5 cm; Dicke 10 cm (Maße nach Sternberg-el Hotabi 1989: 276; vgl. abweichend Homepage MFA: 18,5 x 16 x 6,5 cm). Halbrunder hoher Sockel einer Horusstele. Über dem Sockel sind vom frontal stehenden Kind auf den Krokodilen nur noch die Füße erhalten, sowie ein kleines Fragment der Stelenrückwand. In seiner linken Hand hielt das Kind einst einen Löwen und Schlangen (eine Tatze und zwei Schlangenköpfe sind erhalten), in der rechten eine Antilope (ein Huf ist erhalten). Links von ihm (Objektperspektive) schreitet ein männlicher Gott auf ihn zu (nur noch der Unterkörper erhalten), rechts sind Spuren einer weiteren Gottheit, vielleicht eine Göttin mit Kuhgehörn und Sonnenscheibe (erhalten auf Fragment b). Auf dem Sockel findet sich eine Streitwagenszene, nach links hin orientiert (aus der Objektperspektive). Im Streitwagen schießt ein nackter Kindgott mit Pfeil und Bogen auf verschiedene Schlangen, einen Skorpion, eine Gazelle und einen Löwen. Der Streitwagen wird von zwei geflügelten Greifen gezogen. Ein Zwerg im Streitwagen hält die Fesseln von zwei Krokodilen in der Hand. Bei manchen Tieren steht eine Beischrift.

Die Rückseite war ursprünglich mit zwei (!?) Bildfeldern und einem Textfeld versehen (ein Bruchstück vom linken Rand – Objektperspektive – ist auf Fragment b erhalten). Am Anfang des oberen Bildfeldes sind Spuren des Gehörns einer Oryxantilope zu erkennen, auf deren Rücken einmal ein Falke stand. Im zweiten Bildfeld ist nur noch ein Falke auf einem Kasten oder einer Standarte erhalten. Dass es zwei Bildfelder geben sollte (ein Foto ist bislang nicht publiziert), ist im Widerspruch mit der Typologie von Sternberg-el Hotabi, die besagt, dass es maximal ein Bildfeld auf der Rückseite gibt (Sternberg-el Hotabi 1999, I, 83). Das Textfeld zählt noch 13 Zeilen, ursprünglich können es 14 gewesen sein.

Schrift
Hieroglyphen
Bearbeitungsgeschichte

Das Objekt wurde von Sternberg-el Hotabi (1989) beschrieben, übersetzt und mit Fotos publiziert. Gutekunst 1995 behandelt die Inschrift Horusstelentext B in seiner texthistorischen Studie dieses Textes. Jansen-Winkeln (2007) hat die genealogischen Informationen in seine Inschriftensammlung der 22. bis 24. Dynastie aufgenommen. Berlandini 1998 zog diese Stele für ihre Studie der Streitwagenszenen heran. Aufrère 2013 hat die Beischriften zu den gefährlichen Tieren in der Streitwagenszene mit denen auf weiteren ähnlichen Stelen verglichen.

Literatur zu den Metadaten

- Aufrère 2013: S. H. Aufrère, Serpents, magie et hiéroglyphes. Études sur les noms d’ophidiens d’un ensemble de cippes d’Horus de Thèbes et d’ailleurs (époque libyenne), in: Égypte Nilotique et Méditerranéenne 6, 2013, 93–122, hier: 103–104 (Nr. VI).

- Berlandini 1998: J. Berlandini, Bès en aurige dans le char du dieu-sauveur, in: W. Clarysse – A. Schoors – H. Willems (Hrsg.), Egyptian Religion. The Last Thousand Years. Studies Dedicated to the Memory of Jan Quaegebeur. Part I (= Orientalia Lovaniensia Analecta 84) (Leuven 1998), 31–55, hier: 39–40, 53, Taf. 6.

- Gutekunst 1995: W. Gutekunst, Textgeschichtliche Studien zum Verjüngungsspruch (Text B) auf Horusstelen und Heilstatuen (Trier 1995), 66, 233, 241–253, 332.

- Jansen-Winkeln 2007: K. Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit II: Die 22.–24. Dynastie (Wiesbaden 2007), 455 (Nr. 45.113).

- Jansen-Winkeln 2016: K. Jansen-Winkeln, Zum Wandel der Personennamen von der Ramessidenzeit zur Spätzeit, in: H. Franzmeier – T. Rehren – R. Schulz (Hrsg.), Mit archäologischen Schichten Geschichte schreiben. Festschrift für Edgar B. Pusch zum 70. Geburtstag (= Forschungen in der Ramses-Stadt 10) (Hildesheim 2016), 191–199.

- Sternberg-el Hotabi 1999: H. Sternberg-el Hotabi, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen, 2 Bände, Ägyptologische Abhandlungen 62 (Wiesbaden 1999), Bd. I: Textband, 76–77, 80–81, 84, 86; Bd. II: Materialsammlung, 14, 119–120 (= Taf. IIIa–b).

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Online-Ressourcen
Autoren
Dr. Peter Dils
Autoren (Metadaten)
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Sockelvorderseite

Streitwagenszene

[1] Ich bin Horus, der Retter/Beschwörer, der jedes beißende/stechende Maul verschließt/versiegelt,
das beißt im Himmel (d.h. in der Luft), auf dem Land, im Wasser, in den Hügeln/Bergen, sie mögen hinfallen1.  
[bei der Antilope] Der Unheilvolle (?).2
[beim Skorpion, 5] Skorpion.
[bei einer Schlange] Die ḥfꜣw-Schlange.
[bei einer Schlange] Der Glatte (eine Schlange).3
[bei einer Schlange] Der Böse (eine Schlange).4
[vor zwei Greifen, die Schlangen im Maul haben] Die bšty (?)-Schlange.5
[zwischen den Greifen und einem Krokodil, 10] Die ḥṯ-Schlange.6

1 Sternberg-el Hotabi 1989, 282 übersetzt hier: „sie mögen niederstürzen!“ 

2 qn: Hat ein Schlangendeterminativ, genau so wie der Skorpion. Sternberg-el Hotabi 1989, 282 scheint es auf den Löwen zu beziehen (qn: „der Starke“ als Löwenbezeichnung), der jedoch erst zwei Tiere weiter unten abgebildet ist. Weitere Wörter, die mit einem Antilopenkopf determiniert oder geschrieben werden können, sind qn: „fett sein“, qn: „tapfer sein“ und qn: „Mangel“. Aufrère 2013, 93–122 äußert sich nicht zu dieser Bezeichnung, obwohl er die übrigen Namen diskutiert. 

3 Siehe Aufrère 2013, 107–109.

4 Aufrère 2013, 111 erwägt die Möglichkeit, dass ein anderes Tier als eine Schlange gemeint sein könnte.

5 Als Schlangenbezeichnung ist bšty auf zwei anderen Stelen mit einer ähnlichen Streitwagendarstellung belegt.

6 Aufrère 2013, 103–104, 105, 107, 109 vergleicht mit weiteren Stelen mit ähnlicher Streitwagendarstellung, wo ḥṯ als Schlangenbezeichnung zu lesen ist.

Stiftungsvermerk

[11] (Dieses Denkmal ist) das, was angefertigt/gestiftet hat der Gottesvater des Amun-Re, des Königs der Götter, der Schreiber und Gottessiegler der Domäne des Amun in der 3. Phyle, der Schreiber des Schatzhauses im Innern der Domäne des Amun, Anchpachered,  der Sohn [des] Gottesvaters und 〈〈Gottes〉〉geliebten, des Öffners der Tore des Himmels in Karnak, des Schreibers und Gottessieglers der Domäne des Amun in der dritten Phyle, Djedhoriufanch, des Gerechtfertigten.

Rückseite

Horusstelentext B = Metternichtstele Spruch 5 = Torso Wien ÄS 40 Spruch 1

[x+1] [Oh alter Mann, der sich zu seiner Zeit verjüngt, (oh) nḫḫ-Greis, der seine (kräftige) Jugendlichkeit durchführt, mögest du veranlassen, dass Thoth zu] ⸢mir⸣ ⸢auf⸣ (meine) [Stimme hin kommt].
'Möge er zurück[trei]ben [für mich (das Krokodil) Nehaher.]
[Siehe (?), Osi]ris ist auf dem Wasser. Das Horusauge1 ist in seiner Hand.
Erhebt nicht [eure Gesichter, (oh) ihr Wasserbewohner (?)2, bis/so dass3] Osiris an euch [vorbeigeht/vorbeigegangen sein wird]. Seht, er ist unterwegs nach Busiris.
[Versperrt/versiegelt wurde] ⸢euer⸣ [Maul], blockiert/verstopft wurde euer Schlund!
[x+5] Zurück mit dir, (du) Rebell! [Erhebe nicht] dein Gesicht!
Re ist auf seiner Sandbank4 (und) beobachtet5 die Neunheit in Babylon. 
Die [Herren] der Unterwelt stehen bereit, dich zu bestrafen.
Es sind die Neha-her-Krokodile, die ih〈re〉 Köpfe 〈auf〉 ihren Rücken drehen. (?)6
Euer Maul wurde von Re verschlossen. Euer Schlund wurde von Sachmet blockiert/verstopft. Eine klagende Stimme ist im Haus-der-Neith.
Ein [großes] Gejammer ist in {der Ra-Schlange ebenso} 〈dem Maul der Katze〉.
Die Götter (sagen:) „Was ist los, was ist los?“ wegen des Abdju-Fisches bei 〈seiner〉 Geburt.
[x+10] Du sollst meinetwegen dein Voranschreiten abbremsen, (du) Rebell!
Siehe, ich bin Chnum, der Herr von {Hut-wer} 〈Herwer〉
Hüte dich, den Schaden deines Übels für ein zweites Mal zu wiederholen! Sieh dich vor in Anwesenheit der Großen Neunheit! Du wirst doch abgewehrt werden! (?) Weiche von mir!
〈Ic〉h bin ein Gott.7
Hui, hui!
Der Gottesvater des Amun, der Schreiber und Gottessiegler der Domäne des Amun in der dritten Phyle, Anchpachered, der Gerechtfertigte.

1 Ist eine Begleitgöttin gemeint? Gutekunst 1995, 154, Anm. 367 übernimmt eine Idee von G. Steindorff, Catalogue of the Egyptian Sculpture in the Walters Art Gallery (Baltimore 1946), 163–170, Taf. 108–109, hier: 164 und S. Hodjash – O. Berlev, The Egyptian Reliefs and Stelae in the Pushkin Museum of Fine Arts, Moscow (Leningrad 1982), 248, Anm. (q), dass mit dem (metaphorischen) Horusauge die Stele selbst gemeint sein könnte (zumindest, wenn sie nicht größer als 10 bis 15 cm hoch war).

2 Mehrere Bezeichungen für Feinde können hier stehen, am häufigsten: „die im Wasser Befindlichen (Krokodile)“ (s. Gutekunst 1995, 171–172, Phrase 4.41).

3 Sternberg el-Hotabi 1989, 277 übersetzt: „damit Osiris an euch vorüberziehen kann“. Statt eines Finalsatzes steht aber ein Konsekutivsatz „so dass“. 

4 Diese kurze Formulierung kommt einige Male vor (s. Gutekunst 1995, 184, Phrase 9.1, Var. c5). In der ausführlichen Fassung steht hier eine Variante von: „Re besteigt seine Barke“. Die Graphie für: „Sandbank“ findet sich auch auf der Stele Brooklyn Museum Nr. 60.73 (Frühptolemäisch) und auf Stele Kairo Museum of Seized Antiquties Inv. 379.

5 Normalerweise steht hier: „... um die Neunheit in Babylon zu sehen“ (s. Gutekunst 1995, 188, Phrase 9.2). Man findet auch Textvertreter mit: "... um zu sehen", z.B. Horusstele des Sethnacht Kairo JE 60273.

6 Die Handschriften haben hier eine größere Auswahl an Varianten und die meisten davon sind nicht leicht zu übersetzen: s. Gutekunst 1995, 190–193, Phrase 10.11–12. Sternberg-el Hotabi 1989, 278 und 279 emendiert und übersetzt diese Textversion mit „(Wenn) Nehaher (sich nähert), dann dreht euer Gesicht um, auf daß ihr auf euren Rücken 〈gegeben werdet〉.“

7 Diese Sätze weichen stark von den üblichen Formulierungen ab, die in etwa: „Ziehe dich doch zurück! Weiche von mir! Ich bin ein Gott.“ lauten (s. Gutekunst 1995, 221–224, Phrasen 12.51–12.6). Für den zweiten Satz findet man auch eine andere Variante auf Stele Kairo Museum of Seized Antiquities Inv. 379.

Rückseite

Bildfeld

[1] Horus ...?... an (?) jedem seiner Orte.

Schmalseiten

Horusstelentext A = Metternichstele Spruch 10

[1] [Sei gegrüßt], (du) ⸢Gott⸣, Sohn eines Gottes. Sei gegrüßt [(du) Erbe, Sohn eines Erben. Sei gegrüßt, (du) Stier, Sohn eines] Stieres. Sei [gegrüßt], Horus, der aus Osiris hervorgegangen ist! 
... ... ...] Gotteserzieher (?), Gottesvater des Amun, Schreiber und Gottessiegler der Domäne des Amun in der 3. Phyle, Anchpachered.