Magico-medizinisches O. Varille
Übersetzung und Kommentar
Magico-medizinisches O. Varille
[… … …] [x+1] Honig (?)1 [… … …].1 ⸮⸢bj.t⸣?: Vorschlag zur Ergänzung von Herbin (in: GM 229, 2011, 31), die sich mit den erhaltenen Spuren vereinbaren lässt, auch wenn bj.t in Z. x+7 deutlich größer und schwungvoller geschrieben ist.
[... ... ...] [x+2] Die-vom-Gürtel (?)2 [… … …].2 tꜣ-n.t-⸮ꜥꜣ?~kꜣ~s: Herbin (in: GM 229, 2011, 30–31) geht an dieser Stelle – wie seiner Transliteration zu entnehmen ist – von ungewöhnlichen Schreibungen zunächst für ṯnr „stark sein“ (Wb 5, 382.6–10) und gsꜣ aus, wobei bei dem letzten Wort nicht ganz klar ist, welches Lemma er im Sinn hat. Es folgt recht deutlich das schlechte Paket, was hieratisch dem Zeichen V19 sehr ähnlich ist. Eventuell dachte er daher an gsꜣ „Sack“ (Wb 5, 206.3)? Vergleichbar wären ebenfalls vier Belege für eine im weitesten Sinne vergleichbare Schreibung für gs.w „Salbe“ (Wb 5, 202.14–16; MedWb 925) im medizinischen Papyrus Berlin P 3038 (Bln 89, 100, 101, 104). In Herbins Hieroglyphenabschrift fehlen zwei Zeichen, die sich direkt an die Gruppe, die er ṯnr liest, anschließen. Zudem gibt er dort das Zeichen unterhalb der Wasserlinie (N35) mit t (X1) wieder, was nicht zu seiner Transkription passt. Doch selbst wenn man dort r (D21) liest, kommt die Folge tj-n-r (U33-N35-D21) nicht mit den Schreibungen von ṯnr „stark sein“ zusammen, wo stets r syllabisch geschrieben mit dem Semogramm-Strich versehen ist. Viel eher erinnert die erste Gruppe an Schreibungen von tꜣ-n.t-ꜥꜣm.w „Asiatenkrankheit, wrtl. die (Krankheit) der Asiaten“ (MedWb 936). Könnte hier eine analoge Bildung für die Bezeichnung einer anderen Krankheit vorliegen? Das schlechte Paket (Aa2), eventuell gefolgt von Pluralstrichen als Klassifikator am Wortende, würde ebenfalls zu dieser Annahme passen. Doch wie ist die Gruppe dazwischen zu deuten? Die stark verblassten Zeichen in der Mitte haben einige Ähnlichkeit mit der ebenfalls in Zeile x+5 vorkommenden Gruppe ꜥꜣ (O29-D36), auch wenn die Gruppe in Zeile x+2 etwas gedrungener wirkt, was eventuell an einer Verzerrung des Fotos liegen könnte, da man erkennen kann, dass das Ostrakon dort eine leichte Krümmung aufweist. So könnte man mit syllabisch geschriebenem ꜥꜣ~kꜣ~s zumindest – wenn schon nicht auf die Asiaten persönlich – auf einen asiatisch anmutenden Begriff kommen. Bei der Suche nach Auflösung stößt man auf ꜥ~g~s „Gurt/Gürtel“ (Wb 1, 236.10; Hoch, Sem. Words, 84 [102]), das demot. ꜥqs (CDD ꜥ (03.1): 149) und kopt. (SB) ⲁⲕⲏⲥ (Vycichl, Dict. étym., 6) überliefert ist. In Ermangelung einer überzeugenderen Alternative sowie mit Hinweis auf den weiteren Verlauf des Textes, in dem offenbar von Bauchschmerzen die Rede ist, schlage ich daher mit größter Vorsicht und trotz aller bestehenden Unsicherheiten vor, hier tꜣ-n.t-⸮ꜥꜣ?~kꜣ~s zu lesen und „Die vom Gürtel“ als Bezeichnung einer sonst nicht bekannten Krankheit zu verstehen. Dies könnte der ansonsten enigmatischen Zeile zumindest einen leidlich zum Rest des Textes passenden Sinn abringen.
[... ... ...], [x+3] wobei du da stehst (oder: wobei sie/es steht/zum Stillstand gekommen ist/aufgerichtet ist ?)3, dass (?) […] finden kann (?) […] Ba/Geb (?)4 [… … …].3 ꜥḥꜥ.tj gmi̯: Es wird hier entweder ein Gegenüber direkt angesprochen oder ein Bezugswort im Femininum geht der Stelle voraus. Der fragmentierte Kontext lässt leider keine weiteren Schlüsse zu. In einem Spruch gegen Bauchschmerzen im magischen Papyrus Leiden I 348 (Spruch 20) ist vermutlich die Mannschaft der Sonnenbarke (jz.t) Subjekt von ꜥḥꜥ.tj: „[The crew (?)] stood still, ⟨saying⟩: ‛Re is suffering from his belly! (…)ʼ“, s. Borghouts, pLeiden I 348, 25, 121–122 [265–266]; vgl. hierzu auch Herbin, in: GM 229, 2011, 31–32.
Das Verb gmi̯ „finden“ (Wb 5, 166.6–169.8) ist medizinisch vor allem in Diagnosen und Prognosen gebraucht, s. MedWb 914–919. Dadurch, dass im vorliegenden Ostrakon die Zeichen, die auf das Verb gmi̯ „finden“ folgen, so stark verblasst sind, sind Bezug und konkrete Verbform leider nicht zu bestimmen. Möglicherweise liegt eine ähnliche Verbindung vor, wie im pGenf MAH 15274, III,9 – 7,5 passim (Massart, in: MDAIK 15, 1957, 177–178): j:ꜥḥꜥ tꜣ mtw.t gmi̯=j m=ṯ r jwn=ṯ „Halt ein, o Gift, damit ich deinen Namen entdecken kann gemäß deiner Wesensart“ (s. Stegbauer, in TLA, Version Oktober 2014).
4 ⸮bꜣ?/⸮Gb?: Nach sehr stark verblassten Resten von vermutlich drei Zeichen vermutet Herbin (in: GM 229, 2011, 35) vertikal angeordnete Pluralstriche (Z3A) sowie einen Vogel. Die Stelle, an der er die Pluralstriche sieht, ist sehr verblasst; die erkennbaren Spuren sprechen nicht gegen die Lesung doch auch nicht dafür. Das folgende Zeichen ist durch die Bruchkante am oberen Ende nicht ganz erhalten, aber gut zu sehen. Man erkennt ein S-förmiges Zeichen, bei dem der obere Teil eher wie ein spiegelverkehrtes Z ausgeführt ist und in einen deutlich ausgeprägten, halbkreisförmigen Rückschwung unter das Zeichen ausläuft. Über und um dieses Zeichen herum ist ein Strich im Halbkreis gezogen. Durch den ebenfalls sehr rund ausgeprägten unteren Schwung bei dem ersten Zeichen entsteht der Eindruck eines nach rechts geöffneten Winkels in einem Kreis. Herbin (ebd.) dachte wohl an G29, den Ba-Vogel, der im pWilbour (Hand C) zum Teil mit einem leicht gerundeten Oberstrich geschrieben ist, s. Bomhard, Paléographie, 40; vgl. auch Möller, Paläographie II, 18 [208: Ennene]. Möglicherweise könnte es sich auch um eine Schreibung für Gb (G38) handeln, s. Möller, Paläographie II, 19 [217bis], Bomhard, Paléographie, 41. Der Arm (D36) kann mitunter ebenfalls einen ausgeprägten Schwung aufweisen, vgl. beispielsweise pAbbott 5.10: Möller, Paläographie II, 8 [99]. Allerdings ist der darüber befindliche Halbkreis schwer zu erklären und im hier vorliegenden Text ist der Arm nur mit einem sehr kurzen Rückschwung geschrieben, wie z.B. in Z. x+5 und x+8. Durch den zerstörten Kontext lassen sich keine inhaltlichen Argumente für oder gegen eine der vorgeschlagenen Lesungen finden.
5 ḫft.j n(.j) Rꜥw: Die Stelle ist problematisch, zum einen durch den zu Beginn fehlenden Kontext und zum anderen durch zwei problematische Zeichen in der Zeile. So ist ḫft mit dem Abkürzungsstrich für den Toten (Z6) klassifiziert, was die Lesung ḫft.j „Feind“ nahe legt. Herbin (in GM 229, 2011, 31) geht von einer fehlerhaften Schreibung für die Präposition ḫft aus, da er keine plausible Lesung für die beiden folgenden Zeichen anbieten kann. Womöglich liegt hier allerdings lediglich eine ausführliche Schreibung für den Gott Re vor, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei dem waagerechten Strich um den Arm (D36) handeln könnte. Dann wäre hier „Feind des Re“ in der Euphemismusformel zu lesen (vgl. Posener, in: ZÄS 96, 1970, 30–35; Quack, in: RdE 40, 1989, 197–198), was in Verbindung mit den im Anschluss beschriebenen Schmerzen viel Sinn ergibt.
6 ḥr mn,j ẖ.t=f: Eine Verbindung von Bauchschmerzen und dem Gott Re bietet Spruch 20 im magischen Papyrus Leiden I 348 (rto 12,2–12,4): k.t [šnw n.t ẖ.t] [jst ?] ꜥḥꜥ.tj ḥr Rꜥ ḥr mn ẖ.t=f „Another [conjuration of the belly. The crew (?)] stood still, ⟨saying⟩: Re is suffering from his belly“ or „[the crew] (?) stood still because of Re, because of the suffering of his belly“, s. Borghouts, pLeiden I 348, 25, 121–122; Herbin, in: GM 229, 2011, 31–32. Auch drei weitere ähnliche Belege auf den Ostraka IFAO 1216 (Köhler, oDeM 1216, Übersetzung und Kommentar) und BM 43740 (Demarée, Ramesside Ostraca, Taf. 100) sowie im Papyrus Athen 1826 (x+vii,7–8: Fischer-Elfert, in: Koenig, Magie en Égypte, 171) bieten aufgrund des Erhaltungszustands keine für die hier diskutierte Stelle relevante Informationen, s. Herbin, in: GM 229, 2011, 32.
7 m s:ꜥꜣ.t nb.w: Durch den fehlenden Anfang ist die Zeile schwer zu deuten. Da mit der Interjektion j mit Sicherheit ein neuer Satz beginnt, liegt also das Ende eines Satzes vor.
Oh, Feind, {Feinde} ⟨Feindin⟩,8 Widersacher, Widersache[rin] (?) [… … …] [x+6] die große Neunheit (und) die kleine Neunheit hören Dich (?).8 ḫft(.j) ḫfty.pl: Hier ist das Paar mit dem Begriff im Singular und Plural genannt, wo man ḫft(.j) pf.t bzw. ḫft(.j) ḫft.t erwartet (vgl. pBrooklyn 47.218.49, x+10.15: j ḫft(.j) pf.t mwt mwt.t ḏꜣy ḏꜣy.t …; ebd. x+4,6: sḫm mwt mwt.t ḫft(.j) ḫft.t …). Leider ist das folgende Paar nicht vollständig erhalten, um zu prüfen, ob hier eine Variante in der Formulierung oder eine Ungenauigkeit in der Schreibung vorliegt, s. Herbin, in: GM 229, 2011, 32.
Worte zu rezitieren: [… … …], die [x+7] Kleine [Neunheit]9 in seinem Inneren.109 [psḏ.t] nḏs.t: Ergänzung nach Z. x+6, vgl. Herbin, in GM 229 (2011) 33.
10 m-ẖnw=f: Durch den fehlenden Kontext ist nicht zu bestimmen, welches Bezugswort für das Suffix =f in Frage kommen könnte, vgl. Herbin, in: GM 229, 2011, 33. Vermutlich gehört dies zu der Beschreibung einer Zeichnung, über die der Spruch gesprochen werden soll. Darauf deutet das folgende jꜥi̯ „abwaschen“ (MedWb, 24 ). Die Zeichnung wird mit Honig bestrichen, dann abgewaschen und die dadurch magisch aufgeladene Flüssigkeit vom Erkrankten zu sich genommen. Die auf dem Ostrakon in einer Reihe hintereinander sitzend dargestellten Götter passen ebenfalls in dieses Bild.
11 ḥs⟨ꜣ⟩y/ḥsy.t n.t: Nach gs.w m „werde gesalbt mit“ ist die Bezeichnung eines entsprechenden Produkts zu erwarten (vgl. Z. x+8: gs.w m bj.t „werde gesalbt mit Honig“). Der Begriff ḥsy.t (Wb 3, 154.1) bezeichnet allerdings die sogenannte ḥz-Vase vor allem in ihrer Nutzung als Libationsgefäß. Herbin (in: GM 229, 2011, 33) vermutet daher eine Verschreibung mit ḥsꜣ „Getreidebrei“ (DrogWb 364–369; Popko, Glossar: Pflanzenbrei), der in zwei Rezepten (Eb 511, 547) als Bestandteil von Salben belegt ist. Vor dem Zeichen des sitzenden Mannes (A2) befindet sich ein Punkt, der als t-Brot (X1) gedeutet werden könnte. Dies würde eher gegen die Lesung ḥsꜣ sprechen, doch Herbin (in: GM 229, 2011, 33) vermutet hier einen zu A2 gehörenden bedeutungslosen Punkt, da man in der folgenden Zeile bei dem Wort swr „trinken“ einen ähnlichen Punkt erkennen kann.
Die Tatsache allerdings, dass auf ḥsy.t ein Genitiv-Adjektiv Femininum Singular folgt, mag als Hinweis darauf gewertet werden, dass hier sehr wohl ein t zu lesen ist. Und bei genauer Inspektion der beiden Zeichen, scheint der Punkt bei ḥsy.t doch deutlich abgesetzt, wohingegen derjenige bei swr auch noch zum Schwung des angewinkelten Arms gehören könnte. Sollte man das t also ernst nehmen, so könnte die Bezeichnung des Gefäßes pars pro toto für dessen Inhalt stehen, so dass von einer Salbung mit Libationswasser auszugehen ist. Eine solche Angabe ist allerdings m.W. aus anderen Quellen nicht belegt, würde aber im Rahmen einer magischen Wirkmächtigkeit des Rezepts durchaus Sinn ergeben.