Ostrakon Deir el-Medineh 1216
Übersetzung und Kommentar
oDeM 1216
[1] Beschwörung des Bauches, der erkrankt ist.
„(Mein) Bauch, (mein) Bauch!“, sagte ⟨Horus zu⟩ Isis.1
[Ich habe gegessen] einen Abdju-Fisch aus Gold, [ich habe gegessen] einen Abdju-Fisch aus Gold2 – am Ufer des Großen-Grünen (Meeres) des [Re (?) … ... ...]
[Weh]klagen3 gilt/galt der Zaubermächtigen4 (d.h. Isis), während NN Bauchschmerzen hatte (wörtl.: an seinem Bauch litt).
Oh (?) [... ... ...] Widersacher.
Wenn er (d.h. der Patient) (auch nur) einen Augenblick5 an Bauchschmerzen leidend verbringt, [dann ... ... ...]
[… ... ... (eine Frau ?)] [5] hier (?)6, indem sie in seiner Bedrängnis (?7; d.h. die von ihm verursachte Bedrängnis) steht (?).
[...]
1 ẖ.t (=j) zp 2 j.n ⟨Ḥrw n⟩ ꜣs.t: vgl. pLeiden I 348, Rto 12.11, wo Horus Bauchweh hat, weil er den Abdju-Fisch gegessen hat: ẖ.t(=j) zp-2 j.n Ḥrw / pwy-n j.n Ꜣs.t / ḏd.jn Ḥrw / wnm(=j) ꜣbḏw .... Isis ist dort die Heilerin. In oDeM 1216 scheint Isis die Leidende zu sein, gleichzeitig ist allerdings weiter im Text von einem männlichen Patienten die Rede: jw mn{.t} ḥr mn ẖ.t=f. Deshalb ist eine Emendation zu j.n ⟨Ḥrw n⟩ Ꜣs.t: "sagte ⟨Horus zu⟩ Isis" wahrscheinlich. In einem unpublizierten magischen Papyrus in Athen (Kol. 7.7–9) steht ein fast identischer Spruch, ebenfalls mit Horus als Patienten (Info Fischer-Elfert).
2 [...] ꜣbḏw n.j nbw zp-2: Weil es keinen Sinn ergibt nbw oder ꜣbḏw n.j nbw einmal zu wiederholen, wird der ganze Satz gemeint gewesen sein. In pLeiden I 348, Rt. 12.11 hat Horus den Fisch gegessen (wnm) und Isis wiederholt dies in ihrer Frage. Auch im magischen Athener-Papyrus isst Horus vom goldenen Abdu-Fisch.
3 [j]mw: Borghouts 1970, 26 mit Anm. 302 ergänzt rmi̯ in der schwer beschädigten Stelle pLeiden I 348, Rto 13.1, ebenfalls mit dem Mann mit Hand am Mund. Dort scheint ein Fragesatz vorzuliegen: jn tr rmi̯ psḏ.t nḏs.t ḥr mn ẖ.t=f: "And does the Small Ennead [weep (?)] because of the suffering of his belly?" Diese Ergänzung rmi̯ ist zweifelhaft, weil der Mann mit Hand am Mund nicht das übliche Determinativ von rmi̯: "weinen" ist. Im magischen Athener-Papyrus steht jmw: "wehklagen" (Info Fischer-Elfert), das hier gut passt.
4 tꜣ ꜣḫw(.t): Die Verwendung von tꜣ lässt einen anaphorischen Gebrauch vermuten mit Rückverweis auf Isis (für ꜣḫ.t als Schutzgöttin, pEdwin Smith, Rto 5.2 und 3, dort zweifellos für Isis verwendet, denn der Patient ist Horus). Das ergibt in diesem magiko-medizinischen Kontext auch mehr Sinn, als hier einen weiblichen Ach-Geist in Erscheinung treten zu lassen. Die Übersetzung "diese Ach-Geister" im Internet (25.04.2017) ist abzulehnen.
5 jr jri̯.y=f jꜣ.t: Das Wort jꜣ.t ist geschrieben wie das Wort für "Hügel", wird aber für ꜣ.t: "Zeit; Höhepunkt" stehen. Die Kollokation jri̯ ꜣ.t ist gängig und wird in hieratischen Texten des NR gern als jꜣ.t und jꜣd.t geschrieben. Vgl. pLeiden I 348, Rto 12.3: jr jri̯=f jꜣ.t ḥr mn=st: "If he spends a time suffering from it" (Übersetzung Borghouts 1970, 25). Weitere Belege für jri̯ ꜣ.t in diesem Papyrus sind Vso 11.4 und 11.7 (an beiden Stellen mit der Graphie jꜣd.t). Weil ꜣ.t nicht für einen längeren Zeitraum verwendet wird, sondern den wichtigsten Moment (kann eine Weile andauern), den Höhepunkt, die kritische Phase usw. bezeichnet, könnte man "Falls er (auch nur) einen Augenblick an Bauchschmerzen leidend verbringt, dann ..." als eine Drohung an Gottheiten verstehen. Vom anschließenden Wort ist nur der Anfang eines horizontalen Strichs oben an der Zeile erhalten. Eventuell könnte man hier das negative nn (D35-D35) vermuten: "dann wird nicht [...]". Die Lesung "waschen" (d.h. jꜥi̯) statt jꜣ.t ist natürlich abzulehnen (so im Internet, 25.04.2017).
6 ꜥꜣ: Posener 1951–1972 erkennt ein ꜥꜣ-Zeichen und darunter das Weg-Zeichen (N31), ist sich bei letzterem jedoch nicht sicher. Deshalb ist die Lesung als Adverb "hier" unsicher.
7 gꜣb: Posener 1951–1972 gibt das Determinativ als den schlagenden Arm (mit Fragezeichen) an. Falls gbw: "Elend, Mangel, Schaden, Leiden" gemeint ist, erwartet man eher den "schlechten Vogel", der jedoch anders geschrieben wird auf diesem Ostrakon. Eventuell könnte man auch an gbꜣ: "Oberarm" denken, aber was hat das mit Bauchschmerzen zu tun? Weder gꜣb noch gbꜣ sind im DZA in Kombination mit dem Verb ꜥḥꜥ belegt. Die Endung .tj lässt vermuten, dass ꜥḥꜥ sich auf eine weibliche Person oder einen weiblichen Begriff bezieht. Eventuell könnte auch der Krankheitsdämon in der 2. Person angesprochen sein.