Ostrakon Deir el-Medineh 1216

Metadaten

Alternative Namen
oIFAO Sequestre 1043
Aufbewahrungsort
Afrika » Ägypten » Kairo » Institut Français d'Archéologie Orientale

Inventarnummer: oIFAO 2271

Digitaler Katalog
Erwerbsgeschichte

Das Ostrakon stammt aus den Grabungen des Institut Français d’Archéologie Orientale in Deir el-Medineh und wird schon vor 1952 im IFAO aufbewahrt, wo es infolge der Suezkrise von 1956 eine Sequester-Nummer bekam (Posener 1951–1972, 29).

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer » Deir el-Medineh

Das Ostrakon wurde in Deir el-Medineh gefunden. G. Posener macht keine weiteren Angaben zum genauen Fundort (Posener 1951–1972, 29).

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 19. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

W. Westendorf datiert alle fünf von ihm behandelten Ostraka in die Zeit von der Mitte der 19. bis zur Mitte der 20. Dynastie (Westendorf 1999, 61). Dies beruht auf einer Notiz von G. Posener zu den Ostraka 1001–1108 der IFAO-Grabung in Deir el-Medineh, die er in einem früheren Band publizierte (Posener 1938, VI). Die Paläographie sowie der Fundort dürften hierbei für eine Datierung in die Ramessidenzeit sprechen.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Der Text beinhaltet eine magische Beschwörung gegen einen schmerzenden Bauch. Diese enthält eine wörtliche Rede der Göttin Isis, die vielleicht einen goldenen Abdschu-Fisch gegessen und dadurch Bauchschmerzen bekommen hat. Es gibt einen ganz ähnlichen Spruch in Papyrus Leiden I 348, Rt. 12.11–13.3, in dem Isis' Sohn Horus der Patient ist. Vielleicht ist das Ostrakon fehlerhaft und ist Isis nicht die Patientin, sondern die Heilerin.

Material
Nicht Organisch » Stein » Kalkstein
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Ostrakon
Technische Daten

Die Kalksteinscherbe hat eine Höhe von 6,5 und eine Breite von 10 cm, ist aber am linken und unteren Rand abgebrochen. Sie ist nur auf einer Seite mit 5 Zeilen beschriftet, deren linke Enden jeweils abgebrochen sind. Eine Spur einer 6. Zeile ist noch durch den Rest eines Zeichens erkennbar. Die Leserichtung verläuft von rechts nach links. Ein Rubrum kennzeichnet die Überschrift in der 1. Zeile. Darüber hinaus sind in allen Zeilen rote Gliederungspunkte vorhanden.

Schrift
Hieratisch

Die Verwendung eines Rubrums für die Überschrift ist zu bemerken sowie die roten Interpunktionen.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch

Abgesehen von einigen Orthographien, die typisch für die Ramessidenzeit sind, ist die Sprache des Textes, sofern er erhalten ist, Mittelägyptisch.

Bearbeitungsgeschichte

Das Ostrakon ist bei G. Posener im „Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el-Médineh“ mit Faksimile sowie hieroglyphischer Transkription aufgeführt (Posener 1951–1972, 29, Taf. 49–49a). J. Borghouts hat eine Textparallele im Papyrus Leiden I 348 erkannt und konnte den Text dadurch magisch-mythologisch einordnen (Borghouts 1970, 129–130). Eine Übersetzung liegt bisher nur auf der Internetplattform „Medizinische Papyri“ vor. Ein Kommentar steht noch aus.

Editionen

- Posener 1951–1972: G. Posener, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el-Médineh. II,2. Nos 1109 à 1266, Documents de Fouilles de l’Institut Franҫais d’Archéologie Orientale du Caire 18 (Le Caire 1951–1972), 29, Taf. 49–49a.

Literatur zu den Metadaten

- Borghouts 1970: J. F. Borghouts, The Magical Texts of Papyrus Leiden I 348, in: Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 51, 1970, 1–249, hier: 26, 122, 129–130.

- Posener 1938: G. Posener, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el-Médineh I,3, Documents de Fouilles de l’Institut Franҫais d’Archéologie Orientale du Caire 1, Fasc. 3 (Le Caire 1938), VI.

- Westendorf 1999: W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I 36,1 (Leiden/Boston/Köln 1999), 61–62.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Ines Köhler

Übersetzung und Kommentar

oDeM 1216

[1] Beschwörung des Bauches, der erkrankt ist.
„(Mein) Bauch, (mein) Bauch!“, sagte ⟨Horus zu⟩ Isis.1
[Ich habe gegessen] einen Abdju-Fisch aus Gold, [ich habe gegessen] einen Abdju-Fisch aus Gold2 – am Ufer des Großen-Grünen (Meeres) des [Re (?) … ... ...]
[Weh]klagen3 gilt/galt der Zaubermächtigen4 (d.h. Isis), während NN Bauchschmerzen hatte (wörtl.: an seinem Bauch litt).
Oh (?) [... ... ...] Widersacher.
Wenn er (d.h. der Patient) (auch nur) einen Augenblick5 an Bauchschmerzen leidend verbringt, [dann ... ... ...]
[… ... ... (eine Frau ?)] [5] hier (?)6, indem sie in seiner Bedrängnis (?7; d.h. die von ihm verursachte Bedrängnis) steht (?).
[...]

1 ẖ.t (=j) zp 2 j.n ⟨Ḥrw n⟩ ꜣs.t: vgl. pLeiden I 348, Rto 12.11, wo Horus Bauchweh hat, weil er den Abdju-Fisch gegessen hat: ẖ.t(=j) zp-2 j.n Ḥrw / pwy-n j.n Ꜣs.t / ḏd.jn Ḥrw / wnm(=j) ꜣbḏw .... Isis ist dort die Heilerin. In oDeM 1216 scheint Isis die Leidende zu sein, gleichzeitig ist allerdings weiter im Text von einem männlichen Patienten die Rede: jw mn{.t} ḥr mn ẖ.t=f. Deshalb ist eine Emendation zu j.n ⟨Ḥrw n⟩ Ꜣs.t: "sagte ⟨Horus zu⟩ Isis" wahrscheinlich. In einem unpublizierten magischen Papyrus in Athen (Kol. 7.7–9) steht ein fast identischer Spruch, ebenfalls mit Horus als Patienten (Info Fischer-Elfert).
2 [...] ꜣbḏw n.j nbw zp-2: Weil es keinen Sinn ergibt nbw oder ꜣbḏw n.j nbw einmal zu wiederholen, wird der ganze Satz gemeint gewesen sein. In pLeiden I 348, Rt. 12.11 hat Horus den Fisch gegessen (wnm) und Isis wiederholt dies in ihrer Frage. Auch im magischen Athener-Papyrus isst Horus vom goldenen Abdu-Fisch.
3 [j]mw: Borghouts 1970, 26 mit Anm. 302 ergänzt rmi̯ in der schwer beschädigten Stelle pLeiden I 348, Rto 13.1, ebenfalls mit dem Mann mit Hand am Mund. Dort scheint ein Fragesatz vorzuliegen: jn tr rmi̯ psḏ.t nḏs.t ḥr mn ẖ.t=f: "And does the Small Ennead [weep (?)] because of the suffering of his belly?" Diese Ergänzung rmi̯ ist zweifelhaft, weil der Mann mit Hand am Mund nicht das übliche Determinativ von rmi̯: "weinen" ist. Im magischen Athener-Papyrus steht jmw: "wehklagen" (Info Fischer-Elfert), das hier gut passt.
4 tꜣ ꜣḫw(.t): Die Verwendung von tꜣ lässt einen anaphorischen Gebrauch vermuten mit Rückverweis auf Isis (für ꜣḫ.t als Schutzgöttin, pEdwin Smith, Rto 5.2 und 3, dort zweifellos für Isis verwendet, denn der Patient ist Horus). Das ergibt in diesem magiko-medizinischen Kontext auch mehr Sinn, als hier einen weiblichen Ach-Geist in Erscheinung treten zu lassen. Die Übersetzung "diese Ach-Geister" im Internet (25.04.2017) ist abzulehnen.
5 jr jri̯.y=f jꜣ.t: Das Wort jꜣ.t ist geschrieben wie das Wort für "Hügel", wird aber für ꜣ.t: "Zeit; Höhepunkt" stehen. Die Kollokation jri̯ ꜣ.t ist gängig und wird in hieratischen Texten des NR gern als jꜣ.t und jꜣd.t geschrieben. Vgl. pLeiden I 348, Rto 12.3: jr jri̯=f jꜣ.t ḥr mn=st: "If he spends a time suffering from it" (Übersetzung Borghouts 1970, 25). Weitere Belege für jri̯ ꜣ.t in diesem Papyrus sind Vso 11.4 und 11.7 (an beiden Stellen mit der Graphie jꜣd.t). Weil ꜣ.t nicht für einen längeren Zeitraum verwendet wird, sondern den wichtigsten Moment (kann eine Weile andauern), den Höhepunkt, die kritische Phase usw. bezeichnet, könnte man "Falls er (auch nur) einen Augenblick an Bauchschmerzen leidend verbringt, dann ..." als eine Drohung an Gottheiten verstehen. Vom anschließenden Wort ist nur der Anfang eines horizontalen Strichs oben an der Zeile erhalten. Eventuell könnte man hier das negative nn (D35-D35) vermuten: "dann wird nicht [...]". Die Lesung "waschen" (d.h. jꜥi̯) statt jꜣ.t ist natürlich abzulehnen (so im Internet, 25.04.2017).
6 ꜥꜣ: Posener 1951–1972 erkennt ein ꜥꜣ-Zeichen und darunter das Weg-Zeichen (N31), ist sich bei letzterem jedoch nicht sicher. Deshalb ist die Lesung als Adverb "hier" unsicher.
7 gꜣb: Posener 1951–1972 gibt das Determinativ als den schlagenden Arm (mit Fragezeichen) an. Falls gbw: "Elend, Mangel, Schaden, Leiden" gemeint ist, erwartet man eher den "schlechten Vogel", der jedoch anders geschrieben wird auf diesem Ostrakon. Eventuell könnte man auch an gbꜣ: "Oberarm" denken, aber was hat das mit Bauchschmerzen zu tun? Weder gꜣb noch gbꜣ sind im DZA in Kombination mit dem Verb ꜥḥꜥ belegt. Die Endung .tj lässt vermuten, dass ꜥḥꜥ sich auf eine weibliche Person oder einen weiblichen Begriff bezieht. Eventuell könnte auch der Krankheitsdämon in der 2. Person angesprochen sein.