Papyrus Louvre E 3237 und E 3239

Metadaten

Wissensbereiche
Alternative Namen
Anastasi Nr. 1036, 1039 Trismegistos TM 56820, 56822
Aufbewahrungsort
Europa » Frankreich » (Städte M-P) » Paris » Musée du Louvre

Inventarnummer: E 3237, E 3239

Digitaler Katalog
Erwerbsgeschichte

Die beiden Papyri wurden im Jahr 1857 zusammen mit anderen Objekten aus dem Privatbesitz von Giovanni d’Anastasi erworben, s. Chassinat 1893, 10 und Musée du Louvre, papyrus magique.

Herkunft
(unbekannt)

Die Erwähnung des „Vordersten von Karnak“ auf Papyrus Louvre E 3237, Zeile 4 könnte ein, wenn auch nur schwacher, Hinweis auf den Raum Theben sein.

Datierung
(Epochen und Dynastien) » Griechisch-Römische Zeit

Kurth – Thissen – Weber 1980, 17–21 ziehen beide Papyri als paläographischen Vergleich für die Datierung des Kölner magischen Papyrus aeg. 3547 heran, den sie in die Zeit zwischen der 30. Dynastie und dem 2. Jh. v.Chr., und hier am ehesten in die Zeit um 300 v.Chr. datieren. Der daraus implizit folgenden Datierung auch von Papyrus Louvre E 3237 und E 3239 in ungefähr dieselbe Zeit hat Vittmann 1982, 120 widersprochen. Allerdings zweifelt Fischer-Elfert 2015, 255, Anm. 162 Vittmanns Widerspruch an und vermutet ebenfalls aufgrund paläographischer Beobachtungen, dass die beiden Papyri „(…) kaum älter als das 4. Jh. [v.Chr., L.P.] sein können“. Dem folgt auch Quack 2022, 128, wenn er auf Fischer-Elfert verweist und die beiden Papyri ebenfalls als „spätzeitlich“ einstuft.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Die beiden Papyri enthalten Varianten des ersten und zweiten Spruches aus einem Schutzritual für Osiris, bei dem vier Tonbälle in die vier Himmelsrichtungen geworfen werden sollen, um den Raum dazwischen zu schützen. Die vier Sprüche sollen dabei, wie längere Textvarianten zeigen, über den vier Kugeln gesprochen werden (s. Theis 2014, 258–259, 267, 273). Dieses Ritual kann zum einen im Tempelkontext zum Schutz von Osiriskapellen dienen und andererseits auch den Osiris NN, d.h. einen Verstorbenen, schützen. Reale Tonkugeln wurden an verschiedenen Orten gefunden, auch bei Bestattungen, wo bspw. Sarkophage von ihnen umgeben sein können, s. Quack 2022, 128–129, 311–315 mit Abwandlungen und Varianten dieses Rituals.

Während die längeren Vertreter eigene Einleitungen und Schlussformeln haben, beginnen die Louvre-Papyri unvermittelt mit dem Anruf einer unspezifischen Entität, die mit Seth verglichen wird und bei der es sich wohl um Schlangen (so Theis 2014, 259 und Quack 2022, 128) und ggf. weitere gefährliche Tiere handelt. In Papyrus Louvre E 3237, dem ersten der beiden, wird zunächst die namenlose Identität mit dem Gott Seth verglichen und dieser mit weiteren Beschreibungen spezifiziert. Daraufhin erfolgt ein konkreter Abwehrspruch, nämlich: „Neige dich, bleib an deinem Platz!“ Direkt anschließend erfolgt eine Gleichsetzung mit Isis, sicherlich, um auf diese Weise deren Zauberkraft nutzen zu können. Die nächsten Sentenzen können sich eigentlich nur auf den Nutznießer des Spruches beziehen, der mit Osiris verglichen wird – der Text bietet hier zwei alternative Schreibungen des Gottesnamens, was hier versucht wurde, mit „Osiris“ und „User“ widerzuspiegeln, sowie zwei verschiedene Verortungen des Gottes.

Im nächsten Abschnitt erfolgt ein kurzer Lobpreis auf den Gott Atum sowie ein indirekter Lobpreis des Horus, den die Götter und Verstorbenen umjubeln, weil er seinen Vater Osiris gerächt und die Herrschaft über Ägypten angetreten, ergo die kosmische Ordnung wiederhergestellt hat

Der abschließende Vermerk „vier Mal“, d.h. „vier Mal zu sprechen“, bezieht sich entweder nur auf den Abschluss des Spruches oder auf den Spruch in seiner Gesamtheit, ist aber in beiden Fällen die Kurzform einer Handlungsanweisung.

Der zweite Papyrus, Papyrus Louvre E 3239, ist generelle vergleichbar aufgebaut; hier ist aber die direkte Anrede an Seth (und damit an das mit ihm verglichene Tier) wesentlich länger gehalten und thematisiert über mehrere Zeilen dessen vollständige Vernichtung, die zur Folge hat, dass er nicht mehr „herantreten (kann), um den großen Gott zu schauen“. Dieser Passus wird erneut von dem Handlungsvermerk „vier Mal (zu sprechen)“ abgeschlossen.

Daran schließt sich ein zweiter Abschnitt an, in dem wohl erneut das gefährliche Tier angeredet wird oder allenfalls noch – wenn auch weniger wahrscheinlich – Osiris oder eine Schutzgottheit. Hierbei äußert der Sprecher kurze Abwehrsprüche, die ihn vor einer „Aktion“ bewahren sollen, die statt seiner Seth treffen soll – dieser Nebensatz in Zeile 20 macht deutlich, dass hier nicht Seth selbst angeredet wird.

Auch dieser Abschnitt endet mit der kurzen Anleitung „vier Mal (zu sprechen)“.

Die beiden Namen auf der Rückseite der beiden Papyri gehören den Schutzgöttinnen des jeweiligen Spruches und der mit ihnen verbundenen Himmelsrichtung, s. im Detail die beiden zugehörigen Kommentare.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Das Ritual selbst kann in verschiedene Kontexte einsortiert werden. Die Version im Hibistempel ist selbstverständlich im Tempel zu verorten und dient zum Schutz von Osiriskapellen. Die Versionen auf Papyri sind entweder Teil von Sammelhandschriften (zum Nutzen Pharaos), dienten dem Schutz von Verstorbenen, oder, wie im Fall der beiden Louvre-Papyri, vielleicht auch zum Schutz der Lebenden (vgl. zu den Kontexten Quack 2022, 128). Edwards 1960, XVIII, Anm. 4 schreibt zwar, dass beide Louvre-Papyri auf Mumien gefunden wurden. Sein Verweis auf Chassinat 1893, 10 ist jedoch irreführend, weil dieser lediglich schreibt, dass beide Papyri von derselben Art seien wie die Amulettpapyri, die am Körper getragen wurden. Auch Klasens 1975, 23, Anm. 18 betont, dass es keinen expliziten Beleg dafür gebe, dass die beiden Louvre-Papyri tatsächlich so gefunden wurden.

In jedem Falle sind beide Papyri so zusammengerollt worden, dass die beiden Göttinnennamen auf der Rückseite sichtbar blieben, und mithilfe von Ketten o.ä. um den Hals getragen worden, Chassinat 1893, 10.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schreibblatt
Technische Daten

Louvre E 3237 ist 19,7 cm hoch und 6,1 cm breit  (Musée du Louvre, papyrus magique). Louvre E 3239 ist 19,5 cm hoch und 7 cm breit (Musée du Louvre, papyrus magique). Auf den Fotos der Louvre-Datenbank gewinnt man den Eindruck, entlang des rechten Randes von E 3239 den Rest einer Klebung zu erkennen. Das bedeutet, dass mindestens dieser Papyrus und sicherlich auch sein Gegenstück E 3237 zur Nutzung als Amulett von einer Papyrusrolle abgeschnitten worden war. Beide Texte sind zudem, soweit es sich aufgrund dieser Fotos sagen lässt, mit der Faser und damit auf der technischen Vorderseite dieser ursprünglichen Rolle geschrieben worden.

Die Namen auf der Rückseite steht gegenüber der Vorderseite auf dem Kopf, der Papyrus ist also über die horizontale Achse gewendet worden. Auf beiden Papyri steht der Rückseitentext ganz unten auf dem Papyrus.

Louvre E 3239 ist auf der Rückseite nummeriert; ob auch Louvre E 3237 nummeriert war (dieser auf der Vorderseite), hängt von der Interpretation der Zeichengruppe in der oberen rechten Ecke ab (s. dazu den Kommentar im Text).

Schrift
Hieratisch

Der Text ist in einem späten Hieratisch der griechisch-römischen Zeit geschrieben worden (s. oben zur Datierung) und kommt fast ohne Ligaturen aus. An einigen Stellen finden sich Nachträge und Korrekturen. Der Text ist schwarz geschrieben und kommt ohne Rubra aus.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch » spätes Mittelägyptisch mit neuägyptischen Einflüssen

Das Ritual, dem der Text beider Papyri entnommen ist, zeigt insgesamt einen „weithin jungen Sprachcharakter“ (Quack 2022, 311). Konkret auf den beiden Papyri Louvre E 3237 und E 3239 finden sich mittelägyptische Satzkonstruktionen; die Besitzanzeige wird durchweg mit Suffixpronomina statt Possessivpronomina geregelt; in E 3239, Zeile 5 steht eine sḏm.n=f-Form, die als solche auch sinnvoll ist, so dass man annehmen kann, dass der Schreiber zwischen sḏm=f und sḏm.n=f unterschied.

In E 3239, Zeile 10 steht das absolute Personalpronomen ntk (statt neuägyptisches mntk), aber in einer jn-Konstruktion/„Participal statement“/„Cleft sentence“/Spaltsatz mit einem periphrastischen j:jri̯ ḏd.

In E 3239, Zeile 15 steht ein nn sḏm=f mit futurischer Funktion, wobei dem Verb nicht anzusehen ist, ob es ein Subjunktiv oder ein Prospektiv ist.

Die Verwendung der Artikel pꜣ, tꜣ und nꜣ könnte man als neuägyptischen Einschlag werten, wobei diese Form auch schon im nachklassischen Mittelägyptisch vorkommt. In E 3237, Zeile 4 und in E 3239, Zeile 7 und 14 steht das Objektspronomen tw=k, das sich im späten Neuägyptisch bildet und auch im Demotischen Verwendung findet.

Zum jüngeren Ägyptisch gehört die Verwendung von tꜣ-ḥꜣ.t in E 3239, Zeile 6 als Adverb und die Verwendung von n jwi̯ als „Pseudo-Qualitativ“ (Quack in Vorb., Kap. 12.2.5) im jeweils ersten Satz beider Papyri (wenn man die älteren Einzelfälle nicht mitzählt, die im Kommentar zur ersten Stelle erwähnt werden). Das Paradigma m-ḏr sḏm=f in E 3237, Zeile 16 ist ebenfalls eine neuägyptische und spätmittelägyptische Form. Das Passiv auf E 3239, Zeile 12–14 wird, wie im späteren Neuägyptisch und im Demotischen, mit aktivem sḏm=w, umschrieben.

Bearbeitungsgeschichte

Die beiden Papyri sind erstmals von Chabas 1860, 177–18 und Devéria 1872, 171–173 übersetzt worden, wobei diese Übersetzung heute zum Teil veraltet ist. Die eigentliche und bis heute maßgebliche Edition ist Chassinat 1893, 10–17. Eine etwas ausführlichere Bearbeitung findet sich noch bei Goyon 1975, 354–360, der die Textparallele Papyrus New York MMA 35.9.21 bearbeitete und im textkritischen Apparat sowie den Anmerkungen immer wieder auf Papyrus Louvre E 3237 und 3239 Bezug nahm.

Davon abgesehen werden beide Papyri zwar immer wieder in Besprechungen zum Ritual der vier Tonkugeln erwähnt (bspw. Theis 2014, 258–282) und in Ausstellungskatalogen des Louvre abgebildet und tlw. übersetzt (bspw. Étienne 2000, 39, 63, 103 und 110; Barbotin 2005, 116–119). Aber eine gründlichere Studie fehlt.

Die Datenbank des Louvre bietet inzwischen gute Fotos, Informationen zu den Metadaten und eine ausführliche Bibliographie.

Editionen

- Chassinat 1893: É. Chassinat, Les papyrus magiques 3237 et 3239 du Louvre, in: Recueil de travaux relatifs à la philologie et à l’archéologie égyptiennes et assyriennes 14, 1893, 10–17.

- Goyon 1975: J.-C. Goyon, Textes mythologiques II. „Les révélations du mystère des quatre boules“, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 75, 1975, 349–399, hier: 354–360.

Literatur zu den Metadaten

- Barbotin 2005: C. Barbotin, La voix des hiéroglyphes. Promenade au département des antiquités égyptiennes du Musée du Louvre (Paris 2005).

- Chabas 1860: F. J. Chabas, Le papyrus magique Harris. Traduction analytique et commentée d’un manuscrit égyptien, comprenant le texte hiératique publié pour la première fois, un tableau phonétique et un glossaire (Chalon-sur-Saône 1860).

- Chassinat 1893: É. Chassinat, Les papyrus magiques 3237 et 3239 du Louvre, in: Recueil de travaux relatifs à la philologie et à l’archéologie égyptiennes et assyriennes 14, 1893, 10–17.

- Devéria 1872: T. Devéria, Catalogue des manuscrits égyptiens écrits sur papyrus, toile, tablettes et ostraca en caractères hiéroglyphiques, hiératiques, démotiques, grecs, coptes, arabes et latins qui sont conservés au Musée Égyptien du Louvre (Paris 1872).

- Edwards 1960: I. E. S. Edwards, Oracular Amuletic Decrees of the Late New Kingdom. Vol. 1. Text, Hieratic Papyri in the British Museum 4.1 (London 1960).

- Étienne 2000: M. Étienne, Heka. Magie et envoûtement dans l'Égypte ancienne, Les dossiers du musée du Louvre 57 (Paris 2000).

- Fischer-Elfert 2015: H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin 2015).

- Goyon 1975: J.-C. Goyon, Textes mythologiques II. „Les révélations du mystère des quatre boules“, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 75, 1975, 349–399.

- Klasens 1975: A. Klasens, An Amuletic Papyrus of the 25th Dynasty, in: Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden te Leiden 56, 1975, 2028.

- Kurth – Thissen – Weber 1980: D. Kurth – H.-J. Thissen – M. Weber, Kölner ägyptische Papyri (P. Köln Ägypt.). Band 1, Papyrologica Coloniensia 9 (Opladen 1980).

- Quack (in Vorb.): J. F. Quack, Demotische Grammatik (in Vorb.).

- Quack 2022: J. F. Quack, Altägyptische Amulette und ihre Handhabung, Orientalische Religionen in der Antike 31 (Tübingen 2022).

- Theis 2014: C. Theis, Magie und Raum. Der magische Schutz ausgewählter Räume im alten Ägypten nebst einem Vergleich zu angrenzenden Kulturbereichen, Orientalische Religionen in der Antike 13 (Tübingen 2014).

- Vittmann 1982: G. Vittmann, Review: Kurth, Dieter, Heinz-Josef Thissen, and Manfred Weber 1980. Kölner ägyptische Papyri (P. Köln Ägypt.) I. Papyrologica Coloniensia 9; Abhandlungen der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Opladen: Westdeutscher Verlag, in: Enchoria 11, 1982, 119128.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Online-Ressourcen
Autoren
Dr. Lutz Popko
Autoren (Metadaten)
Dr. Lutz Popko

Übersetzung und Kommentar

Papyrus Louvre E 3237

Recto

[obere rechte Ecke] … (?)1.
[1] Es2 ist wie Seth3, die Schlange, das üble Gewürm, dessen Wasser im Maul (wörtl.: das Wasser in seinem Maul) eine Flamme ist, der kommt, um sich des ((Aufgehenden)) zu bemächtigen, dessen mit verborgenem Namen4, --- (?), des Vordersten von Karnak5. Neige dich, bleib [5] an deinem Platz!6

1 Ein unklarer Nachtrag rechts oberhalb des ersten Wortes von Zeile 1. Chassinat 1893, 10 zitiert einen Vorschlag von Maspero, der hier die Ordinalzahl mḥ-1: „erster“ vorschlägt. Das würde gut zu Papyrus Louvre E 3239 passen, auf dessen Rückseite ein deutliches mḥ-2: „zweiter“ steht. Diesem Vorschlag folgten bspw. Goyon 1975, 351; A. Motte – N. Sojic, Paratextual Signs in the New Kingdom Medico-Magical Texts, in: G. Lescuyer, et al. (Hrsg.), Signes dans les textes. Continuités et ruptures des pratiques scribales en Égypte pharaonique, gréco-romaine et byzantine. Actes du colloque international de Liège (2–4 juin 2016), Aegyptiaca Leodiensia 9 (Liège 2020), 57–94, hier: 63; M. S. Hefny – K. Hassan, Numbering Systems in the Ancient Egyptian Documents, in: Shedet 10, 2023, 48–68, hier: 49.
Allerdings lassen sich weder Masperos/Chassinats noch Goyons Lesung mit den Zeichenresten in Übereinstimmung bringen, die außerdem in Ausrichtung und Form von der Zeichengruppe bei dem mḥ-2 auf der Rückseite von Papyrus Louvre 3239 abweichen. Daher hat bereits K. Sethe, Von Zahlen und Zahlworten bei den alten Ägyptern und was für andere Völker und Sprachen daraus zu lernen ist. Ein Beitrag zur Geschichte von Rechenkunst und Sprache, Schriften der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Straßburg 25 (Straßburg 1916), 114, Anm. 2 diese Lesung abgelehnt. Er vermutet vielmehr, dass Papyrus Louvre 3237 „(…) ohne Ordnungsziffer gelassen [wurde], deren sie als erste der Serie nicht bedurfte.“ Auch R. A. Caminos, Mummy Bandages Inscribed with Book of the Dead Spells, in: J. Baines, et al. (Hrsg.), Pyramid Studies and Other Essays Presented to I. E. S. Edwards, Occasional Publications 7 (London 1988), 161–167, hier: 163, Anm. 10 lehnt diese Lesung ab und interpretiert das Zeichen stattdessen als bartloses Götterzeichen mit erhobenen Armen und Palmrispe auf dem Kopf. Zu dessen Bedeutung an dieser Stelle macht er keinen Vorschlag. 
Quack 2022, 128 schreibt, dass die beiden Papyri Louvre E 3237 und E 3239 „oben rechts in der Ecke kleine demotische Nummern“ trügen (dies trifft auf Papyrus Louvre E 3239 nicht zu). 

2 swt: Der Text entstammt eigentlich einem Schutzritual für den Gott Osiris, s. bspw. die monumentale Fassung in Hibis. Die Version des Papyrus Brooklyn 47.218.138 dient ihrer Einleitung in x+14,10 zufolge zum „Verschließen des Mauls eines jeden Kriechtieres/Gewürms (ḏdf.t)“ (in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 17.05.2024)). Auch die beiden Louvre-Papyri könnten gegen diese Tiere gerichtet sein. Vgl. Quack 2022, 128, der aufgrund der Parallele zum Brooklyner Text auch die Louvre-Papyri als Schutz gegen Schlangen sieht. Auf diese dürfte sich das Pronomen swt beziehen.

3 Der Gottesname wurde zunächst logographisch mit einem liegenden Seth-Tier mit Messer im Kopf geschrieben sowie mit dem Ersatzzeichen für den sterbenden Feind klassifiziert. Oberhalb des Kopfes des Seth-Tieres steht ein kurzer Nachtrag, der sich gut als Glossierung zum Gottesnamen erklären ließe und zeigt, dass er Stj zu lesen ist.

4 Jmn-rn=f wird keine weitere Bezeichnung des Seth bzw. des mit ihm gleichgesetzten Kriechtieres sein. Derartiges ist bislang nicht belegt (vgl. C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd I.  y, Orientalia Lovaniensia Analecta 110 (Leuven 2002), 344a–c), und dagegen spricht auch die Schreibung mit Götterklassifikator, der sich in diesem Text bei allen Göttern außer eben bei Seth findet. Am wahrscheinlichsten dürfte damit Osiris gemeint sein.

5 Wie die Götterbezeichnung am Beginn von Zeile 4 anzuschließen ist, ist unklar. Auf der einen Seite suggeriert der absatzartige Zeilenumbruch, dass mit ḫnt.j-Jp.t-sw.t: „Vorderster von Karnak“ ein neuer Abschnitt beginnt. Eine solche Annahme würde gestützt durch Zeile 12–13, wo ebenfalls am Beginn eines neuen Absatzes ein Göttername – in diesem Fall der des Atum – steht. Andererseits spricht einiges dafür, dass mit den auf ḫnt.j-Jp.t-sw.t folgenden Imperativen das Kriechtier oder Seth angerufen wird. Wenn nun ḫnt.j-Jp.t-sw.t ebenfalls zu dieser Anrufung gehört, müsste es ein Vokativ sein und sich ebenfalls auf Seth beziehen. Das ist jedoch unwahrscheinlich, weil diese Götterbezeichnung zum allergrößten Teil von Amun in verschiedenen Erscheinungsformen getragen wird, einmal immerhin auch von Osiris, aber nie von Seth, s. C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. V. , Orientalia Lovaniensia Analecta 114 (Leuven 2002), 782a–b.
Vor der Nennung des ḫnt.j-Jp.t-sw.t: „Vorderster von Karnak“ sind am Zeilenende zwei waagerechte Striche geschrieben worden. Chassinat 1893, 11 fragt sich, ob die Striche am Ende von Zeile 3 diese als gefüllt markieren sollen, was sie auch wäre, wenn er nicht das Wort wbn: „Aufgehender“ vergessen hätte, das später nachgetragen worden ist. Seine daran anschließende Überlegung, dass das passiert wäre, weil der Schreiber vielleicht zunächst den Anfang jeder Zeile schrieb, um seinen Text auf dem Papyrus zu verteilen, und daher ḫnt.j-Jp.t-sw.t schon dagestanden hatte, als er merkte, dass er damit die Lücke am Ende von Zeile 3 hätte füllen können, ist aber eher unwahrscheinlich.
Auch A. Motte – N. Sojic, Paratextual Signs in the New Kingdom Medico-Magical Texts, in: G. Lescuyer, et al. (Hrsg.), Signes dans les textes. Continuités et ruptures des pratiques scribales en Égypte pharaonique, gréco-romaine et byzantine. Actes du colloque international de Liège (2–4 juin 2016), Aegyptiaca Leodiensia 9 (Liège 2020), 57–94, hier: 61 interpretieren die beiden Striche als reine Raumfüller, ohne darauf weitere Interpretationen aufzubauen.
Man könnte sich fragen, ob die beiden Linien ein graphisches Spiel sein könnten und noch einmal – fast im wörtlichen Sinne – unterstreichen sollten, dass der Name des Osiris verborgen ist (jmn) und deswegen nicht genannt wird.

6 Aufgrund des vorangehenden Epithetons ḫnt.j-Jp.t-sw.t: „Vorderster von Karnak“ und dessen Bezug auf Amun-Re mutet das Verb hnn: „neigen“ fast an wie eine Anspielung auf die Orakelpraxis, konkret einen positiven Orakelbescheid, an, bei dem sich die Prozessionsbarke mit der Götterstatuette nach vorn bewegte, s. bspw. J. Černý, Questions adressées aux oracles, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 35, 1935, 41–58, hier: 56–57. Allerdings käme diese Anspielung relativ unvermittelt, und der anschließende Imperativ ꜥḥꜥ ist aus der Orakelpraxis unbekannt und lässt sich allenfalls  mit dem inhaltlich ähnlichen Verb smn: „(stehen)bleiben“, vergleichen, s. zu Letzterem J.-M. Kruchten, La terminologie de la constultation de l'oracle de l'Amon thébain à la Troisième Période Intermédiaire, in: J.-G. Heintz (Hrsg.), Oracles et prophéties dans l’antiquité. Actes du colloque de Strasbourg, 15–17 juin 1995, Travaux du Centre de recherche sur le Proche-Orient et la Grèce antiques 15 (Paris 1997), 55–64, hier: 63. Dagegen ist ꜥḥꜥ häufig in Anrufungen an Schlangen und Skorpione zu finden, bspw. in Papyrus Turin CGT 54051 und Papyrus Genf MAH 15274 + Turin CGT 54063. In einem solchen Kontext ist auch hnn: „neigen“ als Aufruf denkbar, konkret an Kobras gerichtet – vgl. die Gleichsetzung von Seth mit jꜥr.t: „Schlange“ im ersten Satz! –, die sich wieder in Ruhestellung bringen soll. In Papyrus Turin CGT 54051 vso. 4,9 wird derselbe Wunsch mithilfe des Verbs hꜣi̯: „fallen“ ausgedrückt (in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 21.05.2024)).

Ich bin Isis, die (gram)gebeugte (?) / die alleingelassene (wörtl.: abgewiesene) (?)1 Witwe.
Du wirst erhabener sein2 als Osiris – alternativ: User –, der inmitten der Erde ruht – alternativ: inmitten der Flut, (wo) die Fische fressen, die Vögel sich sättigen3, [10] die Uferränder in Klagen ausbrechen (?)4 (und) Osiris – alternativ: User – todkrank5 daliegt.
(O) Atum, Herr von Heliopolis, dein Herz ist froh und ⟨in⟩ Freude, weil du deine Gegner geschlagen hast!
Diejenigen, die im Schrein sind, [15] sind im Jubel, diejenigen, die im Sargkasten sind, jauchzen, wenn sie sehen, dass der Sohn des Osiris die an seinem Vater Frevelnden niederwirft, während er die Weiße Krone seines Vaters Osiris empfängt und den Frevler (d.h. Seth) angeht.
Komm [20] und erhebe dich, Osiris-Sepa! Siehe, die an dir Frevelnden sind niedergeworfen – 4 Mal (zu sprechen)6.

1 gwš: In erster Linie ist dieses Wort das Gegenteil von (s)ꜥqꜣ: „richtig; gerade (machen)“, bedeutet also rein physisch „krumm sein“ o.ä. Wohl davon abgeleitet, kann es auch „sich abwenden“ o.ä. bedeuten, s. die kurze Diskussion bei J. E. Hoch, Semitic Words in Egyptian Texts of the New Kingdom and Third Intermediate Period (Princeton, NJ 1994), 347–238, Nr. 509. Es dürfte sich hierbei um die jüngere Schreibung des Verbs gwš: „schielen“ o.ä. handeln, das im Papyrus Edwin Smith belegt ist (s. Hoch, a.a.O. und die Diskussion von Dils unter in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 10.05.2024)) und schon in Eigennamen des Mittleren Reiches vorkommt (J. J. Clère, Notes d’onomastique à propos du dictionnaire des noms de personnes de H. Ranke, in: Revue d’égyptologie 3, 1938, 103–113, hier: 112, Nr. 43). Dessen Bedeutung ist aber ebenso unsicher und scheint von den neuägyptischen Belegen beeinflusst zu sein.
Chassina 1893, 11–12 mit Anm. 6 vermutet konkret auf dem Louvre-Papyrus eher die metaphorische Bedeutung, die er mit „abandonner“ überträgt. Denkbar wäre aber auch, dass Isis’ vor Trauer gebeugte Haltung gemeint ist.
Im Kontext eines magischen Spruches gegen Schlangen oder andere gefährlichen Tiere könnte man auch verführt sein, das Wort im übertragenen Sinne als „nicht geradlinig“ >>> „listig“ zu übersetzen, vgl. die Bedeutungsentwicklung von qrf: „sich krümmen“ (in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 21.05.2024)) zu ⲕⲣⲟϥ: „listig, falsch“ (in: Coptic Dictionary Online, ed. by the Koptische/Coptic Electronic Language and Literature International Alliance (KELLIA) (Zugriff am: 21.05.2024)). Aber in letzterem Fall ist eher eine negative Listigkeit gemeint, und dasselbe wäre wohl auch bei gwš zu vermuten, da es eben das Gegenteil von „richtig“ ist. Daher ist diese Option trotz des Umstandes, dass Isis durchaus solche Züge trägt (vgl. die „List der Isis“ auf Papyrus Turin CGT 54051 rto., in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 22.05.2024), oder die Überlistung des Seth in Papyrus Chester Beatty I rto., 5,6–7,1, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 22.05.2024)), weniger wahrscheinlich.

2 ṯni̯ r: Chassinat 1893, 13 übersetzt mit „t’élever contre“, aber ṯni̯ r heißt: „sich erheben zu/über“ oder „prächtiger sein als“ (Wb 4, 374.10–11, 15 und 375.1), nicht „sich erheben gegen“. Infolgedessen muss man davon ausgehen, dass die hier angesprochene Person nicht dieselbe ist wie die zwei Sätze zuvor angesprochene Person: Während es dort Seth oder das mit ihm verglichene Tier ist, kann es hier nur der Nutznießer des Spruches sein.

3 sꜣjw: Die Stelle bot den meisten Bearbeitern Probleme. Chabas 1860, 177 und Devéria 1872, 172 übersetzen es unkommentiert mit „boire“, sicherlich aufgrund der Parallelität mit dem wnm: „fressen“ des vorherigen Satzes. An welches Wort sie dachten, ist unbekannt. Chassinat 1893, 12 mit Anm. 3 las das zweite Zeichen als g, vermutete ein zur Wortfamilie gꜣ: „singen“ (Wb 5, 149.3) gehörendes Kausativum und übersetzt auf S. 13 mit „caqueter“.
Die Lesung g ist jedoch sehr zweifelhaft. Viel eher dürfte das phonetische Zeichen sꜣ vorliegen (Vorschlag Fischer-Elfert), so dass schlicht das Verb sꜣi̯: „sättigen; sich sättigen“ (hier: sꜣjw) gemeint ist.

4 jw nꜣ ꜥd.w ṯꜣi̯ nḫwj: Chassinat 1893, 13 übersetzt: „où les filets enlèvent ceux qui se lamentent“. In der zugehörigen Anm. 1 schreibt er: „Il est employé ici métaphoriquement pour désigner les âmes qui implorent, se lamentent, tandis que les cynocéphales, montés sur la barque du soleil, les enlèvent avec leurs filets en drainant les cours d’eau où elles flottent.“ Wie er zu der Übersetzung kommt, ist nicht völlig klar. Vermutlich hat er das Verb als ṯꜣi̯: „ergreifen“ aufgefasst, was hier in abgekürzter Variante vorliegt. Aber ꜥd.wt: „Netze“ ist bislang nicht belegt. Ob er an eine verderbte Schreibung von jꜣd.t: „Netz“ gedacht hat? Die Lesung ist nicht eindeutig, in jedem Falle läge jedoch eine Landbezeichnung näher. Angesichts der Phonogramme kommt nur ꜥḏ infrage. Zu dessen Bedeutung „Uferrand“ statt der älteren Vermutung „Wüstenrand“ s. J. F. Quack, Ägyptisch, Demotisch, Koptisch? Vom Nachteil des Schubladendenkens in der Lexikographie des alten Ägypten, in: P. Dils – L. Popko (Hrsg.), Zwischen Philologie und Lexikographie des Ägyptisch-Koptischen. Akten der Leipziger Abschlusstagung des Akademienprojekts „Altägyptisches Wörterbuch“, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 84 (3) (Leipzig, Stuttgart 2016), 112–136, hier: 122–128.

5 Zur Bedeutung „todkrank“ s. Kommentar von Popko bei Papyrus Deir el-Medineh 42.

6 Es ist nicht sicher, ob sich diese Regieanweisung an den Rezitator nur auf diesen Satz bezieht, auf diesen und den vorherigen Satz, oder sogar auf eine längere Passage.

Verso

Selkis.1

1 Die Rückseite steht gegenüber der Vorderseite auf dem Kopf.
Der Name der Selkis scheint zunächst keinen Bezug zum Text auf der Vorderseite zu haben, ebenso wenig wie der Name der Bastet, der auf der Rückseite von Papyrus Louvre E 3239 steht. Beide können aber dennoch indirekt als Schutzgöttinnen mit den jeweiligen Sprüchen verbunden werden: Die Parallele zu dem hier zitierten Ritual auf Papyrus New York MMA 35.9.21 führt den Titel: „Die Erschließung der Geheimnisse der vier Kugeln aus Ton, die für den Schutz des Osiris-Chontamenti im täglichen Zyklus gefertigt werden. Werfen nach Süden, Norden, Westen und Osten.“ S. Goyon 1975, 354–355; Theis 2014, 260; Feder, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 15.05.2024), Sätze 1–2. Falls man die Reihenfolge der Strophen mit derjenigen der Himmelsrichtung korrelieren kann, bezieht sich die auf Papyrus Louvre E 3237 befindliche, „1. Strophe“ auf das Werfen der Kugel nach Süden. Die auf Papyrus Louvre E 339 befindliche, „2. Strophe“ bezieht sich demenentsprechend auf den Norden.
Nun werden an späterer Stelle auf dem New Yorker Papyrus jeder der Himmelsrichtung Schutzgottheiten zugesprochen. Dem Süden werden in Zeile 30,7 die Gottheiten Amun, Month, Nechbet, Ḥnb, Sachmet und Bastet zugeordnet, dem Norden dagegen in Zeile 30,12 Onuris, Mehyt, die Götter von Edfu, und „die in der Ägäis Befindlichen“, s. Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 15.05.2024) und Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 15.5.2024).
In Zeile 32,16–18 werden dem Süden dagegen zwar ebenfalls Amun und Month zugeordnet, die Göttinnen Sachmet und Bastet jedoch dem Osten, s. Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 15.05.2024). Vgl. auch die Übersicht bei Theis, a.a.O., 270–271.
Während Selkis in keiner der Listen genannt wird, auch nicht bei den anderen Himmelsrichtungen, wird Bastet auf diesem Papyrus demzufolge den Himmelsrichtungen Norden (30,7) oder Osten (32,17–18) zugeordnet.
Allerdings erscheint Selkis an anderer Stelle ebenfalls unter den mit bestimmten Himmelsrichtungen verbundenen Schutzgottheiten: Auf Särgen und Kanopenschreinen kann sie in der Korrelation Isis (Westen), Selkis (Süden), Nephthys (Osten), Neith (Norden) vorkommen, s. Theis, a.a.O., 601. Über diese Auflistung lässt sich dann doch eine Erklärung finden, warum der Name der Selkis auf der Rückseite von Papyrus Louvre E 3237 steht: Wenn die Reihenfolge der Sprüche tatsächlich mit der Reihenfolge der in der Einleitung von Papyrus New York MMA 35.9.21 genannten Himmelsrichtungen übereinstimmt, gehört der auf Papyrus Louvre E 3237 niedergeschriebene Spruch eben zum Süden, mit dessen Schutz auf den Särgen Selkis beauftragt ist.
Dagegen lässt sich die gleiche Assoziationskette nicht auf die Nennung von Bastet auf Papyrus Louvre E 3239 mit der 2. Strophe des Rituals übertragen. Denn diese müsste der Einleitung zufolge mit dem Norden verknüpft werden, was weder mit der Liste in Kolumne 30 noch mit derjenigen in Kolumne 32 des New Yorker Papyrus noch mit der Anordnung von Schutzgottheiten auf Särgen und Kanopenschreinen übereinstimmt. Dies zieht zwei Optionen nach sich:
1. Die Sprüche sind doch nicht nach den in der Einleitung genannten Himmelsrichtungen sortiert. Dann könnte man Papyrus Louvre E 3239 mit dem zweiten Spruch entweder gemäß Zeile 30,7 des New Yorker Textes dem Süden zuordnen (und müsste für die Position der Selkis eine andere Erklärung finden), oder gemäß Zeile 32,17–18 dem Osten. Für Letzteres könnte man an die Reihenfolge Süden – Osten – Norden – Westen denken, die sich bspw. auf der Schenkungsstele Medamud Inv.-Nr. 5413 (Zeit Ramses’ III.), Zeile 5 wiederfindet (K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions, Historical and Biographical. Vol. V, Monumenta Hannah Sheen dedicata 3 (Oxford 1983), 227.10).
2. Die Sprüche sind doch nach der in der Einleitung genannten Himmelsrichtungen sortiert, aber die Zuordnung der Schutzgottheiten entspricht weder der Reihenfolge der 30. noch der 32. Kolumne des New Yorker Papyrus. Für diese zweite Option sprechen erstens der Umstand, dass der New Yorker Papyrus eben schon zwei verschiedene und teilweise widersprüchliche Zuordnungen kennt, eine dritte also nicht ausgeschlossen ist; und zweitens, zumindest für die beiden Louvre-Papyri, die Anwesenheit von Selkis, die in keiner der beiden New Yorker Auflistungen erscheint.

Papyrus Louvre E 3237

Verso1

[unterer Rand] Zweite (Strophe).
Bastet2.

1 Das Verso steht gegenüber dem Recto auf dem Kopf.
2 Zur Nennung der Bastet und ihrem möglichen Bezug zum Spruch auf der Vorderseite s. den Kommentar zum Namen der Selkis auf der Rückseite von Papyrus Louvre E 3237.

Recto

[1] Es ist wie Seth1, der Wütende, die Schlange, das üble Gewürm, dessen Wasser im Maul (wörtl.: das Wasser in seinem Maul) eine Flamme ist, der kommt, indem sein Gesicht grimmig ist und seine Augen von Falschheit umgeben sind, um [5] erneut großes Leid anzurichten, so, wie er vordem ((gegen …?)) gegen Osiris handelte2, als er ihn auf dem Unglückswasser3 abtreiben4 ließ, wobei alle seine Körperteile verteilt waren.
Wende dich um! Du sollst dich [10] dem Gottesleib nicht nähern!
Du bist der, der gegen die vier Ziegel5 aus Fayence gesprochen hat, die in Heliopolis sind, von denen zwei heute zerbrochen sind6.
Dein Kopf wird eingeschlagen, deine Knochen werden zerbrochen, deine Ba-Seele wird an jedem deiner Orte vernichtet, dein Blick wird versperrt, dein Mund wird versiegelt, du wirst getötet, damit du [15] am Ort deiner Höhle stirbst. Du wirst nicht herantreten (können), um den großen Gott zu schauen.

1 Vgl. die glossierte Schreibung auf Papyrus Louvre E 3237, Zeile 1.

2 Die verschiedenen Versionen sind hier nah genug, um als Beinahe-Parallelen zu gelten, weichen aber im Detail voneinander ab (s. auch Goyon 1975, 359):
– Papyrus Brooklyn 47.218.138, Zeile x+14,15 schreibt: „wie er zuvor gegen den ‚Feind‘ des Osiris (d.h. gegen Osiris) gehandelt hat (…)“. Vgl. Brose, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 13.05.2024), der übersetzt mit: „wie er es als Feind des Osiris zuvor getan hat“. Zur ‚euphemistischen‘ (besser: antiphrastischen) Gebrauchsweise von ḫftj: „Feind“ vor Königs- oder Götternamen s. G. Posener, Sur l’emploi euphémique de ḫftj(w) „ennemi(s)“, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 96, 1969, 30-35.
– In Papyrus New York MMA 35.9.21, Zeile 26,8 steht: „so, wie er es zuvor getan hat“. Vgl. Feder, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 13.05.2024).
– Der noch unpublizierte Papyrus Berlin 3037 hat ein inhaltlich nicht korrekt eingebundenes: „(indem er) zuvor (Leid anrichtete) gegen Osiris“, vgl. Goyon 1975, 359 im textkritischen Apparat.
– Die hieroglyphische Fassung im Hibis-Tempel schreibt: „weil(?) er zuvor gegen den ‚Feind‘ des Osiris (d.h. gegen Osiris) gehandelt hat“, s. Chassinat 1893, 14 und Goyon, a.a.O.
– Das Verständnis der Variante von Papyrus Louvre 3239 wird nun nicht nur durch diese davon abweichenden Varianten erschwert. Vielmehr führt auch die Zeichenverteilung selbst zu zusätzlichen Interpretationsschwierigkeiten: In Zeile 5 hat der Schreiber einen Nachtrag gesetzt, den Chassinat, a.a.O., 14 und Goyon, a.a.O., 359, textkritischer Apparat, als jri̯.t=f transliterieren. Chassinats Übersetzung auf S. 15 spiegelt diesen Nachtrag jedoch nicht wieder: „comme il a fait jadis contre Osiris“. Zieht man ihn hinzu, müsste man die Stelle in etwa übersetzen mit: „so, wie er tat, was zuvor er gegen Osiris tat“. Der Nachtrag würde die Formulierung komplizierter machen, ohne deren Aussage um eine zusätzliche Nuance zu bereichern. Chassinat selbst hat die Lesung dann später in einer neueren Transliteration und Übersetzung dieses einen Satzes in É. Chassinat, Le mystère d’Osiris au mois de Khoiak. Fascicule II (Le Caire 1968), 479 auch angezweifelt und setzte daher an dieser Stelle in der Übersetzung nur drei Punkte.
Tatsächlich ist auch Chassinats’ Interpretation des Nachtrags unsicher. K. Sethe, Dramatische Texte zu altägyptischen Mysterienspielen, Untersuchungen zur Geschichte und Altertumskunde Aegyptens 10 (Leipzig 1928), 38 zitiert diese adverbiale Verbindung nach „einer (…) von Gardiner berichtigt[en]“ Abschrift als: „wie das, was er getan hat gegen Osiris vordem, als er ihn im Wasser ertrinken ließ“. Gardiner und ihm folgend Sethe haben also den Nachtrag anders als Chassinat gelesen.
Aus all diesen Gründen bleiben Lesung und Bedeutung des Nachtrags unklar. Ebenso unklar ist, was vorher in der Lücke gestanden hat. Tintenreste eines älteren, getilgten Wortes, wie bspw. des Pronomens „es“ wie im Papyrus New York MMA 35.9.21, sind auf dem Foto des Louvre nicht zu erkennen. Gleichzeitig sei wiederholt, dass das „gegen Osiris“ am Zeilenende zwar den Eindruck erweckt, zum ursprünglichen Textbestand zu gehören, dass es aber leicht über der Schreiblinie dieser Zeile steht. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Schreiber die adverbiale Verbindung „wie er vordem ((gegen …?)) gegen Osiris handelte“ auch nicht in einem einzigen Zug geschrieben hat.

3 mw ḏꜣ{.t}: Die Vermutung von J. G. Griffiths, The Origins of Osiris and his Cult, Studies in the History of Religions 40 (Leiden 1980), 9–10, dass ḏꜣ.t hier eine Schreibvariante der $dwꜣ.t$, der „Unterwelt“ sei, ist sicherlich abzulehnen. Die Geschehnisse, auf die in diesem Satz angespielt werden, sind noch im Diesseits, genauer: in Ägypten, zu verorten.

4 mḥi̯=f: Wb 2, 121.unten–122.11 gibt als Bedeutungen des Verbs u.a. „im Wasser sein“, „schwimmen“, „ertrinken“ und „ertränken“ an. K. Sethe, Dramatische Texte zu altägyptischen Mysterienspielen, Untersuchungen zur Geschichte und Altertumskunde Aegyptens 10 (Leipzig 1928), 38 entscheidet sich konkret an dieser Stelle für „ertrinken“. Jedoch konnte P. Vernus, Le mythe d’un mythe: la pretendue noyade d’Osiris. De la derive d’un corps à la derive du sens, in: Studi di Egittologia e di Antichità Puniche 9, 1991, 19–34, hier: 24–28 zeigen, dass die aktive Bedeutung „ertränken“ erst ab der Spätzeit bekannt ist und das Verb in früher Zeit eher „schwimmen, abtreiben“ u.ä. bedeutet. Textstellen, in denen vom mḥi̯ des Osiris die Rede ist, seien daher kein Beleg für das „Ertränken“ oder „Ertrinken“ dieses Gottes im Sinne von „périr par asphyxie dans un liquide“ (a.a.O., 24). Vielmehr seien diese Textstellen Belege für den Moment, in dem der schon tote Körper des Osiris in den Fluss geworfen sei und abtreiben würde (S. 26). (J. G. Griffiths, The Phrase ḥr mw.f in the Memphite Theology, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 123, 1996, 111–115, hier: 113 hält die Bedeutung „ertrinken“ in diesem Zusammenhang dagegen doch wieder für möglich.)
Das Verb ist u.a. in folgenden weiteren Texten belegt: Schachspielpapyrus: DZA 24.279.210; Papyrus Chester Beatty VIII, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 14.05.2024); Miscellanies auf Papyrus Turin A, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 14.05.2024); Delta-Mythen, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 14.05.2024); Amenemope: DZA 24.279.070 bzw. in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 14.05.2024)).

5 Bei diesen vier Ziegeln handelt es sich um magische Objekte, die Schutz bieten sollen, vergleichbar mit den vier magischen Ziegeln von Totenbuch Spruch 151, s. Theis 2014, 273. Die Materialangabe „Fayence“ ist bei letzterer Gruppe aber nur mit einem der Ziegel, dem mit dem ḏd-Pfeiler, verbunden, wohingegen die anderen laut dem Totenbuch aus sjn wꜣḏ: „frischem Ton“ sind, vgl. Theis, a.a.O., 557–569, mit kurzem Bezug zu den im Ritual zu den vier Tonkugeln erwähnten zwei Fayenceziegeln auf S. 563, Anm. f.

6 So die Einbindung des Satzes durch Chassinat 1893, 15. Die Zerstörung zweier Ziegel wäre bei dieser Übersetzung also die direkte Folge der schlechten Rede des Seth. Auch die Übersetzung von Barbotin 2005, 119 könnte man so interpretieren.
Dagegen wird der Satz gelegentlich auch als wörtliche Rede interpretiert und damit als das, was Seth „über die vier Ziegel aus Fayence gesagt“ hat: „Zwei von ihnen sind heute zerbrochen“. So Goyon 1975, 360 für die New Yorker Parallele (gefolgt von Feder, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 17.05.2024)) sowie, für die Brooklyner Parallele, von Brose, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 17.05.2024)), F. von Känel, Formules de protection contre les ennemis, in: C. Ziegler (Hrsg.), Naissance de l’écriture. Cunéiformes et hiéroglyphes. Galeries nationales du Grand Palais, 7 mai – 9 août 1982 (Paris 1982), 302. Bei einer solchen Auffassung wäre zwar impliziert, dass Seth derjenige ist, der die Ziegel zerbrach. Aber eigentlich bleibt dies offen, und Seth erscheint nur als Berichterstatter, was weniger wahrscheinlich ist.
J. F. Borghouts, The Magical Texts of Papyrus Leiden I 348 (Leiden 1971), 95, Kommentar 165 übersetzt diesen und den vorigen Satz mit: „You are the one who said about the four chests (db.wt) of fayence in Heliopolis: ‚there are (only) two of them (or: ‚there’)‘“. Bei dieser Übersetzung wäre der Schaden also nicht, dass Seth durch seine Rede das Zerbrechen der Ziegel verursacht, sondern dass er über ihre Anzahl lügen würde. Aber sie liefert keine Erklärung für das anschließende sd m pꜣ-hrw: „heute zerbrochen“.

Komm und erhebe dich, Osiris Chontamenti! 
Siehe, die Frevler sind niedergeworfen – 4 Mal (zu sprechen)1.
Deine Aktion sei nicht gegen mich (gerichtet)2, deine Aktion sei nicht gegen mich (gerichtet)! Hoch, hoch! Deine Aktion sei nicht gegen mich (gerichtet)! Schmerzhaft ist die Aktion! Deine Aktion sei nicht gegen mich (gerichtet), (o) Entgegentretender (?)3! Deine Aktion sei nicht gegen mich (gerichtet), [20] während deine Aktion (aber) gegen Seth gerichtet ist, die Schlange, dessen Wasser im Maul (wörtl.: das Wasser in seinem Maul) eine Flamme ist, und (gegen) seine Genossen!
So soll Re sie deswegen (?)4 bestrafen!
Komm (und) erhebe dich, Osiris-Sepa!
Siehe, die Frevler sind niedergeworfen – vier Mal (zu sprechen).

1 Es ist nicht sicher, ob sich diese Regieanweisung an den Rezitator nur auf diesen Satz bezieht, auf diesen und den vorherigen Satz, oder sogar auf eine längere Passage.

2 m ist hier vielleicht eher der Vetitiv und nicht die Präposition, wie meist übersetzt. Zu dieser elliptischen oder fehlerhaften Aussage vgl. Papyrus New York MMA 35.9.21, Zeile 40,6: „Nicht dauere (‚laste‘) deine Zeit fern von mir an!“, Feder, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 14.05.2024). Für diese Übersetzung spricht auch die parallele Formulierung in Zeile 44,6 desselben Papyrus, auf die dort der Satz: „Wie schlimm ist, (daß) wir den Mangel an dir erleiden (müssen)!“ folgt (Feder, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 14.05.2024)).
In Papyrus Louvre E 3239 scheint diese Phrase nun nicht nur eine Verkürzung, sondern auch eine Umdeutung erfahren zu haben, denn in Zeile 19–20 steht: „Deine Aktion sei nicht gegen mich (gerichtet), während deine Aktion (aber) gegen Seth gerichtet ist (...)“, so dass man mindestens dort, wenn nicht an allen Stellen dieses Papyrus, ꜣ.t besser als „moment (of action)“ auffassen sollte, vgl. dazu A. H. Gardiner, The First Two Pages of the Wörterbuch, in: Journal of Egyptian Archaeology 34, 1948, 12–18, hier: 13–15.

3 Hd: Unbekannte Gottesbezeichnung. Die Lesung ist unsicher:
– Chabas 1860, 178 übersetzte das Wort mit „frayeur“, und Devéria 1872, 172 mit „terreur“. Beide haben das Wort also vielleicht Hd gelesen und damit von dem Verb hd abgeleitet, das S. Birch, Dictionary of Hieroglyphics, in: C. C. J. v. Bunsen (Hrsg.), Egypt’s Place in Universal History. An Historical Investigation in Five Books. Vol. 5. Problems and Key: The Complete Hieroglyphic Dictionary and Grammar, a Comparison of Egyptian and Semitic Roots, the Book of the Dead, and a Select Chrestomathy of Historical Hieroglyphical Texts. With Additions by Samuel Birch, 2nd ed. (London 1867), 335–586, hier: 401 mit „terrify“ übersetzte (heute als „entgegentreten, abwehren o.ä.“ verstanden, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 15.05.2024)). Eine Gottesbezeichnung „Entgegentretender“ (vgl. C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. IV. nbth, Orientalia Lovaniensia Analecta 113 (Leuven 2002), 815a) wäre im hiesigen Kontext jedenfalls nicht unpassend.
– Chassinat 1893, 15–16 transliteriert hdn, übersetzt aber nicht als Gottesbezeichnung, sondern mit „renversement“. An welches Wort er dachte, ist unklar; „umgekehrt“ wäre jedenfalls die Entsprechung eines ägyptischen ṯs-pẖr.
– Goyon 1975, 351 versteht in den Zeilen 18–22 einen separaten Text mit einem „prière à Bastet-Hdn“, womit er implizit Chassinats Transliteration übernimmt und Hdn als Epitheton der auf der Rückseite genannten Göttin Bastet ansieht. Das ist jedoch unwahrscheinlich, weil in diesen Zeilen eine männliche Person angesprochen wird, die in Zeile 22 explizit als Osiris-Sepa identifiziert wird. Daher muss Hdn die Bezeichnung einer männlichen Gottheit sein. Die Bezeichnung ist aber wohl kaum identisch mit Hdn(.y): „der von der hdn-Pflanze“, einer Bezeichnung des Thot (C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. IV. nbth, Orientalia Lovaniensia Analecta 113 (Leuven 2002), 816b–c). Ob der Name mit dem Göttinnennamen Hdn.wt aus Pyr. 696e (LGG, a.a.O., in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 15.05.2024)) verbunden werden kann, ist ebenso unklar, weil zu diesem zu wenig bekannt ist.
Auch F. von Känel, Formules de protection contre les ennemis, in: C. Ziegler (Hrsg.), Naissance de l’écriture. Cunéiformes et hiéroglyphes. Galeries nationales du Grand Palais, 7 mai – 9 août 1982 (Paris 1982), 302 liest „Héden“, ohne sich aber zur Identität zu äußern.

4 ḥr=sn: Bezug unklar. Ob die zmꜣ.yw: „Genossen“ im vorherigen Satz in der Quelle dieses Papyrus weiter spezifiziert gewesen waren und ihnen eine konkrete Handlung vorgeworfen worden war, auf die das ḥr=sn: „deswegen“ Bezug nahm?