ẖsꜣ.yt-Balsam
ẖsꜣ.yt: In den medizinischen Texten mit den Haaren oder dem Korn klassifiziert; als Herkunft wird das Medja-Land, also eine nubische Region, genannt. Einmal wird die Verbindung gnn n ẖsꜣ.yt genannt; gnn wiederum wird nur als Nomen regens für diese Droge und für nnjb: „Styrax“ verwendet. In Eb 655 = H 124 wechselt es mit der ḫꜣs.yt-Pflanze. Schon H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Enthaltend in wissenschaftlicher Anordnung und Folge den Wortschatz der heiligen- und der Volks-Sprache und -Schrift der alten Ägypter. Nebst deren Erklärung der einzelnen Stämme und der davon abgeleiteten Formen unter Hinweis auf ihre Verwandtschaft mit den entsprechenden Wörtern des Koptischen und der semitischen Idiome. Bd. VI (Leipzig 1881), 896, der pHearst noch nicht kannte, vermutet hinter ẖsꜣ.y.t (H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 417–418) und ḫꜣs.yt (ebd., 391–393) dieselbe Droge und versteht die ḫsꜣ.w-Pflanze (ebd., 403), die in Dendera einmal ẖs.y geschrieben ist, als weitere Graphie. Diese so polymorphe Pflanzenbezeichnung führt er auf ẖzi̯ (Wb 3, 398.Ende–399.10) und ẖzꜣ (Wb 3, 400.1) zurück, was er beides mit hebräisch חָשָׁה: „sich ruhig, untätig verhalten“ verbindet und mit „matt, müde werden“ übersetzt. Aufgrund dieser Etymologie sieht er in der Drogenbezeichnung „eine beruhigende, schlafbringende Pflanze und deren Bestandtheile, die Mohnpflanze, das Opium“. Darauf bezieht sich explizit H. Joachim, Papyros Ebers. Das älteste Buch über Heilkunde (Berlin 1890), 25 mit Anm. 5 und passim, der hinter diesen Pflanzenbezeichnungen die Mohnpflanze sieht. Diese Vermutung könnte eine der drei Quellen für den modernen Mythos sein, dass im Papyrus Ebers Opium verschrieben würde (vgl. pars pro toto http://drugtimeline.ca/event/opium-listed-natural-remedy-papyrus-ebers/, letzter Zugriff: 18.10.2019) – neben der angeblichen Verschreibung von Schlafmohn gegen Kindergeschrei in Eb 782 als Hauptquelle und vielleicht auch der veralteten Deutung von sḏr in Eb 156 (vgl. die entsprechenden Kommentare). W. R. Dawson, Studies in the Egyptian Medical Texts-III, in: Journal of Egyptian Archaeology 20, 1934, 41–46, hier 45 stellt die Gebrauchsweisen der ḫꜣs.yt-Pflanze zusammen. Er verweist besonders auf die Nennung von sd.w: „Schwänzen“ der Pflanze (in Eb 209), was auf Ranken hinweise; dies und die Verwendungsweisen lassen ihn an Bryonia dioica Jacq., die Rotfrüchtige Zaubrübe, denken. Zum Verhältnis von ḫꜣs.yt zu ẖsꜣ.yt und ḫsꜣ.w äußert er sich nicht explizit, aber die von ihm zusammengestellten Belege sind ausschließlich solche der ḫꜣs.yt-Pflanze, so dass er die Gleichsetzung dieser Drogennamen wohl ablehnt. Auf Dawson geht sicher Lefebvres Übersetzung von ḫꜣs.yt mit „bryone“ zurück; er folgt aber noch Brugsch/Joachim in der Annahme, ẖsꜣ.yt bezeichne dieselbe Droge (bspw. G. Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne de l’époque pharaonique (Paris 1956), 159 und 165; das Rezept Eb 837, in dem die ḫsꜣ.w-Pflanze vorkommt, behandelt er nicht, so dass seine Interpretation dazu unklar ist). Gegen die Gleichsetzung von ẖsꜣ.yt und ḫꜣs.yt spricht laut H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 418, dass im Rezept Eb 614 beide Drogen gleichzeitig genannt sind, denn in den Drogenaufzählungen würde dieselbe Droge nie zweimal aufgelistet. DrogWb vermutet stattdessen in ẖsꜣ.yt einen Balsam oder ein Harz, ohne dies weiter einzuschränken. Schon B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document (Copenhagen, London 1937), 92, und später W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I.36 (Leiden 1999), 632 und T. Bardinet, Les papyrus médicaux de l’Égypte pharaonique, Penser le médecine (Paris 1995), 338 differenzieren zwischen den beiden Drogen, wie v.a. bei den letzten beiden deutlich wird.
Für Belege von ẖsꜣ.yt außerhalb der medizinischen Texte vgl. die Sammlung von B. Koura, Die „7-Heiligen Öle“ und andere Öl- und Fettnamen. Eine lexikographische Untersuchung zu den Bezeichnungen von Ölen, Fetten und Salben bei den alten Ägyptern von der Frühzeit bis zum Anfang der Ptolemäerzeit (von 3000 v.Chr. - ca. 305 v.Chr.), Aegyptiaca Monasteriensia 2 (Aachen 1999), 234–235. Wie in den medizinischen Texten kann es auch außerhalb derselben mit Haaren oder Korn klassifiziert sein (zumindest in der 1. Zwischenzeit und im Mittleren Reich), ansonsten auch mit Gefäßen und in einem Fall mit dem „schlechten Paket“, Gardiner Sign-list Aa 2. M. Alliot, Les rites de la chasse au filett, aux temples de Karnak, d’Edfou et d’Esneh, in: Revue d’égyptologie 5, 1946, 57–118, hier 66, Anm. 5 vermutet einen Zusammenhang mit der personifizierten ḫns.wt-Perücke und denkt, wohl noch Brugsch/Joachim sowie Lefebvre folgend, an eine Pflanze. Dies nimmt P. Barguet, La déesse Khensout, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 49, 1950, 1–7, hier 6–7 auf und vermutet ebenfalls eine Pflanze und damit ein daraus gewonnenes Harz, das zur Salbenproduktion genutzt wurde. Etymologisch sieht er einen Zusammenhang mit dem südlich von Ägypten gelegenen Fremdland H̱sꜣ.j, so dass das Harz nach seinem Herkunfts- oder Zwischenhandelsort benannt wäre. E. Edel, Ein bisher falsch gelesenes afrikanisches Produkt in der Inschrift des Ḥrw-ḫwjf (Herchuf), in: Studien zur Altägyptischen Kultur 11, 1984, 187–193, hier 187–193 vermutet in dem Produkt „eine feste, kornartige Substanz (Harzkörner?)“, die aromatisch ist (S. 192), weil es im ältesten Beleg mit drei Körnern klassifiziert ist und auch in späterer Zeit oft mit dem kornähnlichen Rohstoffklassifikator geschrieben ist. Wie Barguet denkt auch er an eine Benennung nach dem Land H̱sꜣ.j. Außerdem verbindet er den Drogennamen mit dem aus Altreichstexten bekannten nubischen Produkt šsꜣ.t/ẖsꜣ.t und vermutet im šs(ꜣ).yt-Produkt des Neuen Reiches eine weitere Schreibvariante. Dieser letzte Punkt muss jedoch zurückgewiesen werden, weil das šsꜣ.yt-Produkt wohl eine grüne Fritte bezeichnet, die auch in den medizinischen Texten in verschiedenen Schreibungen vorkommt. Es wäre zwar nicht einmalig, aber doch auffällig, wenn dieselbe Droge in zwei derart verschiedenen Graphien genannt würde. Auch Koura, a.a.O., 234–235 differenziert zwischen ẖsꜣ.yt und šs(ꜣ).yt. Anstatt den Produktnamen von dem Ländernamen H̱sꜣ.j herzuleiten, bespricht sie mögliche etymologische Zusammenhänge mit dem seltenen Verb ẖzꜣ: „ungepflegt sein, ungesalbt sein“ o.ä. (ebenso, nur mit anderem Bedeutungsansatz, schon Brugsch, s.o.) sowie dem einmal belegten Verb šsꜣ: „duften“. Insgesamt lehnt sie einen Zusammenhang mit dem ersten Verb jedoch ab, einen solchen mit dem zweiten Verb konnte sie aufgrund fehlender Referenzen nicht besprechen (der konkrete Beleg, A. de Buck, The Egyptian Coffin Texts VI. Texts of spells 472-786, Oriental Institute Publications 81 (Chicago 1956), 293o, war ihr nicht bekannt). Da sie das ẖsꜣ.yt-Produkt im Kapitel zu pflanzlichen Ölen behandelt, sieht sie jedenfalls darin implizit eine Ableitung von einer Pflanzenbezeichnung. Ihre Argumentation zur Bedeutung des Verbs ẖzꜣ ist jedoch weniger plausibel: Sie stellt es in Zusammenhang mit ẖzi̯: „schwach sein“ und schlägt die Bedeutung „ungesund, befallen, ausgesetzt sein“ vor. Trotz der wenigen Belege scheint aber doch deutlich zu werden, dass „salben“ o.ä. sehr wohl Teil des Begriffsinhaltes von ẖzꜣ sein könnte. Im Graffito des Djehutinacht-anch (R. Anthes, Die Felseninschriften von Hatnub. Nach den Aufnahmen Georg Möllers, Untersuchungen zur Geschichte und Altertumskunde Aegyptens 9 (Leipzig 1928), Nr. 12), Zeile 12–13 wird nämlich die wrḥ-Salbe jemandem zugewiesen, der ẖzꜣ ist, und in den Admonitions wird darüber geklagt, dass Personen „ẖzꜣ durch mrḥ.t-Salböl“ sind. Ferner wird das Verb mit den Haaren klassifiziert, ein Zusammenhang mit dem ẖsꜣ.yt-Produkt ist also gut möglich; das šsꜣ des Sargtextbelegs ist dagegen unklassifiziert. Die Semantik des Verbs beinhaltet demzufolge sehr wahrscheinlich den Vorgang des Salbens, die Klassifizierung mit den Haaren bezeugt aber eventuell eine semantisch breitere Bedeutungsspanne, wie es „ungepflegt sein“ ist. Wenn ẖzꜣ also „ungepflegt sein“ o.ä. bedeutet, könnte ein davon abgeleiteter Produktname etwas bezeichnen, was zur Körperpflege benutzt wird resp. benutzt werden kann. Da ẖsꜣ.yt allerdings den Texten zufolge ein ganz spezifisches Produkt ist, verbietet sich jedoch eine semantisch indifferente Übersetzung etwa als *„Pflegemittel“. Vielmehr muss eine konkrete Produktbezeichnung vorliegen.