ḫꜣ.w-Blätter

ḫꜣ: Das Schriftzeichen, Gardiner Sign-list M12, zeigt eine stilisierte Lotospflanze mit Blatt, Stiel, Rhizom und angedeuteten Wurzeln, s. L. Keimer, La signification de l’hiéroglyphe rd [M31], [M32], etc., in: Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 48, 1948, 89–108, hier 92–93.

Die verwendeten Übersetzungen haben sich im Laufe der Zeit geändert: L. Stern, Glossarium, in: G. Ebers (Hrsg.), Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzeneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schrift. Vol. 2 (Leipzig 1875), 1–63, hier 59a vermerkte „enuntiatio incerta“, legte sich aber auf „flos“ fest. Daher wird ḫꜣ.w n.w sšn bei H. Joachim, Papyros Ebers. Das älteste Buch über Heilkunde (Berlin 1890), 50 auch durch „Lotusblume“ wiedergegeben, vgl. auch R.O. Faulkner, A Concise Dictionary of Middle Egyptian (Oxford 2002 (Repr. 1962)), 183: „[ḫꜣ.w n.w sšn] ‚lotus-f[lowers]“. Dagegen wendet Wb (s. DZA 27.591.560) ein, dass bei einer solchen Wortbedeutung die Phrase ḫꜣ.w n.w sšn tautologisch wäre und wohl eher das „Blatt“ des Lotos gemeint sei. So dann der entsprechende Eintrag in Wb 3, 219.1–2: „Blätter (?)“ (wobei sich der alte Vorschlag „Blumen“ vielleicht noch in Wb 3, 221.1 erhalten hat: ḫꜣ.w: „Kräuter, Blumen“); nachfolgend B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document (Copenhagen, London 1937), u.a. 55: „leaves“, H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 390: „Blätter“, G. Charpentier, Recueil de matériaux épigraphiques relatifs à la botanique de l’Égypte antique (Paris 1981), Nr. 803; „feuilles?“. G. Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne de l’époque pharaonique (Paris 1956), u.a. 154: „feuilles“, T. Bardinet, Les papyrus médicaux de l’Égypte pharaonique, Penser le médecine (Paris 1995), u.a. 283: „feuilles“.

D. Meeks, Année lexicographique. Égypte ancienne. Tome 3. 1979 (Paris 1982), 79.2128 nimmt die Zeichenbeschreibung von Keimer als Wortbedeutung: „rhizome et feuille de lotus“, ebenso R. Germer, Untersuchung über Arzneimittelpflanzen im Alten Ägypten. Dissertation zur Erlangung der Würde des Doktors der Philosophie der Universität Hamburg (Universität Hamburg 1979), 27, auf die er verweist, die aber den Bedeutungsschwerpunkt auf den „unterirdischen Teil der Pflanze“ einschränkt und S. 27 beim Lotos an das „Rhizom“ und S. 127 bei der šsp.t-Melone an „Wurzel“ denkt. Dem folgt W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I.36 (Leiden 1999), 503.

Gardiner Sign-list M12 gibt für ḫꜣ.w n.w sšn unspezifisches „lotus plants“. P. Wilson, A Ptolemaic Lexikon. A Lexicographical Study of the Texts in the Temple of Edfu, Orientalia Lovaniensia Analecta 78 (Leuven 1997), 702 vereint alle Bedeutungen und ist dadurch etwas inkonsequent: Als Hauptübersetzung für ḫꜣ.w gibt sie „leaves, blossoms“ und schreibt dann im Kommentar „ḫꜣw are the leaves or rhizomes of the lotus and as the sign [M12] is a lotus plant, it may be that the word means ‚lotus‘ or ‚lotus leaf‘ in general“. In der Gauliste Edfou IV 34, 7–8 kommt das pḥ.w-Gewässer mit „seinen Lotosknospen“ (nḥb.w=f), deren ḫꜣ.w sich (noch?) nicht geöffnet haben (oder: „leuchten“, oder: „grün sind“): n wbg ḫꜣ.w=sn. Hier scheint ḫꜣ.w ein Bestandteil der nḥb.w-Knospen zu sein, also jedenfalls nicht die Wurzel. Ob es die Blütenblätter meint? Bei einer solchen Übersetzung könnte man fragen, wieso das Zeichen M12 alle Bestandteile einer Lotospflanze zeigt außer der Blüte, aber die Bedeutung könnte sich natürlich im Laufe der Zeit gewandelt haben. Auf jeden Fall scheint diese Stelle eher in Richtung „Blatt“ als „Wurzel“ zu deuten.

Dr. Lutz Popko