Pfeiler des „Sanatoriums“ von Dendara

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Dendara, bis in den 1990er Jahren im „Sanatorium“, heute im Lapidarium im nordöstlichen Vorhof des Hathorkomplexes. Seit der Restaurierung des „Sanatoriums“ in den Jahren 1996–1999 (Grimal 1997, 339, 402; Grimal 1998, 515–516; Mathieu 2000, 505–506) nicht mehr in oder neben Korridor E des „Sanatoriums“.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » zwischen Abydos und Theben » westliches Ufer » Dendara

Laut François Daumas wurde der Pfeiler von Emile Baraize in einem Korridor/Gang/Flur (Castel 2020: Corridor E, westlicher Teil) des sogenannten Sanatoriums von Dendara in horizontaler Position so gut wie in situ gefunden (Daumas 1957, 41). Baraize hat dieses Sanatorium möglicherweise im Jahr 1914 oder in der Kampagne von 1919–1920 während der Freilegung des ptolemäischen Mammisis entdeckt (Lacau 1920). Etwa vier Meter westlich des Sanatoriums wurde im August 1916 eine fast quadratische kleine Kapelle des Mentuhotep Nebhepetre bei Sebach-Arbeiten freigelegt (Daressy 1917, 226; Daumas 1969, 17). Das stark beschädigte Gebäude zeichnet sich durch Flure mit einer Flucht von kleinen Zimmern mit jeweils einer Nische in der Rückwand, durch einige Mauern in gebrannten Ziegeln und durch vier Bäder oder Bassins für Flüssigkeiten in einem 1,67 m tiefer liegenden Bereich in der Mitte des Gebäudes aus. Ein Bericht von Baraize oder Photos der ursprünglichen Fundsituation sind bislang unbekannt oder unpubliziert, es kann nicht nachgewiesen werden, ob Baraize den Pfeiler wirklich in Korridor E gefunden oder ihn dort bloß zwischengelagert hat. Auf einem Photo aus dem Jahr 1931 liegt der Block jedenfalls auf einer dicken Ziegelmauer zwischen dem Korridor und den „Bädern“ (Cauville 2004, 30, Fig. 2). Die von Daumas angedachte Positionierung des Pfeilers in einer der rechteckigen Aussparungen im Bodenmörtel des Korridors E (Daumas 1957, 49 und Taf. 13.B, 14) kann laut Castel wegen der divergierenden Maße von Pfeiler und Bodenaussparungen nicht stimmen (Castel 2020, 91). Sofern es einen Zusammenhang zwischen dem Pfeiler und den „Bädern“ gegeben hat, kann also nicht ausgeschlossen werden, dass der Pfeiler z.B. auf einem tieferen Niveau bei den Bädern gefunden und aus praktischen Gründen von Baraize hinaufgebracht worden ist.

Datierung
von: (Absolute Datierung: Jahrhunderte) » (Jahrhunderte v.Chr.) » 2. Jhdt. v.Chr. bis: (Absolute Datierung: Jahrhunderte) » (Jahrhunderte n.Chr.) » 1. Jhdt. n.Chr.

Der Form der Hieroglyphen sowie der Orthographie der Wörter nach zu urteilen, stammt der Pfeiler aus der griechisch-römischen Zeit. Eine detaillierte paläographische Studie der in Dendara verwendeten Hieroglyphen existiert noch nicht, so dass auf diesem Weg aktuell keine genauere Datierung möglich ist. Nichtdestotrotz erkennt Daumas (1957, 56–57) epigraphische Merkmale, die seiner Meinung nach für die Römerzeit, genauer für die Zeit vor dem Ende des 1. Jhs. n. Chr., sprechen. Cauville (2004, 29) datiert das Gebäude wegen der Höhe des Nutzungshorizonts in die Ptolemäerzeit und denkt konkret an die Zeit Ptolemaios VIII. Euergetes II., während dessen Regierungszeit ebenfalls eine Barkenkapelle beim Heiligen See und der vordere Bereich des Mammisis von Nektanebo errichtet wurden. Für Castel ist der Nutzungshorizont in Dendara nicht überall gleich, so dass dieses nicht als Datierungskriterium ausreicht. Er datiert den Bau des „Sanatoriums“ aus architektonischen Gründen hypothetisch in der Mitte des 1. Jhs. n. Chr., weil er einen Zusammenhang mit der unvollendeten steinernen Umfassungsmauer annimmt, für den er eine Datierung in der Mitte des 1. Jhs. n. Chr. annimmt (Castel 2020, 100). Allerdings ist das Datum „Mitte des 1. Jhs. n. Chr.“ zu korrigieren. Die Fundamentierung der Umfassungsmauer fand gleichzeitig mit der Fundamentierung des Pronaos statt und der komplette hintere Bereich der Umfassungsmauer in Höhe von Pronaos und Naos wurde parallel zum Bau des Pronaos im Rohbau fertiggestellt (Zignani 2010, 149–150). Der Pronaos wurde irgendwann nach 27/26 v. Chr. gebaut und war 34 n. Chr. fertig (Zignani 2010, 37–38), d.h. die architektonische Datierung des „Sanatoriums“ durch Castel müsste irgendwo grob um die Jahrtausendwende einzuordnen sein. Falls der Pfeiler in irgendeiner Weise zur Ausschmückung dieses Gebäudes gehört hat (Castel äußert sich nicht dazu), dürfte er nicht älter sein. Falls der Pfeiler jedoch zu den Bädern oder Becken gehört hat, die Castel einem Vorgängerbau zuweist, kann er nicht jünger sein. Weil das „Sanatorium“ laut Castel in Wirklichkeit ein provisorischer Tempel für Hathor war, kann man seine architektonische Datierung insgesamt hinterfragen, denn wozu wäre das Gebäude um die Jahrtausendwende noch genutzt bzw. erst errichtet worden, wenn die Göttin Hathor schon im Jahr 29 v. Chr. Einzug in ihr Sanktuar gehalten hat (Zignani 2010, 37).

Textsorte
Sammelhandschrift
Inhalt

Der Pfeiler ist mit zwei Texten oder einem Text mit zwei getrennten Abschnitten beschriftet. Im ersten Text, der die breite Seite des Pfeilers füllt, richtet sich ein Zauberer, sicherlich die Göttin Isis, an einen nicht namentlich genannten männlichen Schöpfergott mit universellen und solaren Eigenschaften (nicht Osiris, wie es Daumas 1957, 46–47 meint). Er soll kommen, seinem Sohn Horus helfen und ihn vor „jeglichem bösen Auge seitens der Bande des Sethtiergottes“ bewahren. Unklar ist, vor welcher Gefahr Horus hier geschützt werden soll. Laut Quack (2002, 54) ist die ursprüngliche Situation, dass das Kind Horus vor gefährlichen und giftigen Tieren als Manifestationen der Bande des Seth geschützt werden soll. Die Kollokation „jedes Auge“ steht normalerweise für „jeden Menschen“, d.h. Horus sollte geschützt werden vor jedem, der ihm Böses antun will. Es geht wahrscheinlich nicht um den „bösen Blick“, denn das wäre jr.t bjn.t „schlechtes Auge = Böser Blick“, nicht jr.t nb.t ḏw.t „jedes böses Auge“. Der Schöpfergott antwortet der Göttin Isis, dass sie sich keine Sorgen machen muss, denn er hat den, der gegen Horus vorgehen wollte, schon ausfindig gemacht und mit der Spucke seines Mundes beschworen. Der Schöpfergott beschreibt anschließend sich selbst in der ersten Person als einen universalen und solaren Gott, der den am Leben erhält, den er liebt. Am Ende wird er vom Magier oder von Isis (?) in einer abschließenden Textglosse als Horus, Sohn der Isis und des Osiris identifiziert.
Im zweiten Text richtet sich der Magier oder der Schöpfergott von vorhin zunächst an Isis und Thoth, die sich zu beiden Seiten des Horus oder des Patienten befinden (nicht Osiris, wie es Daumas 1957, 47 meint) und ihre Hände auf jedes/n Glied/Körperteil des Patienten im Rahmen des Mundöffnungsrituals legen. Anschließend bestätigt der Magier oder der Schöpfergott dem Patienten, dass jedes seiner Glieder mit einer Gottheit gleichgesetzt und so geschützt ist (eine Gliedervergottung). Am Ende wird die beschworene Entität aufgefordert, den Körper des Patienten, der als lebender Falke bezeichnet wird, zu verlassen. Quack (2002, 54) meint, dass dieser lebende Falke als heiliges Tier im Tempel ein Stellvertreter für den König gewesen sein kann.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Weil weder die Natur des sogenannten „Sanatoriums“ noch die exakte Fundsituation des Pfeilers bekannt sind, kann der ursprüngliche Verwendungskontext nicht rekonstruiert werden. Laut Daumas diente der Pfeiler als Sockel für eine Heilstatue. Tatsächlich weist der große Zapfen auf der Oberseite des Pfeilers auf die Befestigung eines größeren Gegenstands hin, aber dessen Natur ist unklar, weil solche Konstruktionen in Ägypten nicht üblich sind. Die magische Natur der beiden Texte auf dem Pfeiler in Kombination mit den „Bädern“ oder Becken und den vielen kleinen Zimmern weisen laut Daumas auf einen heilenden Kontext hin, weshalb er das Gebäude als ein Sanatorium mit Wasserheilung und Inkubation definiert (Daumas 1957, 46–49). Quack (2002, 54) berücksichtigt den Zapfen auf dem Pfeiler nicht, lässt das Wasser direkt über den Pfeiler laufen und durch den Kontakt mit den Texten magisch aufladen. Er erklärt das Wasser als das irdische Substitut für die Spucke des Schöpfergottes, mit dem er den Feind des Horus beschworen hat. Die von Daumas vermutete Nutzung als Sockel für eine Heilstatue, die mit Wasser übergossen wurde, welches anschließend in eine kleine Zisterne (meint er das von ihm δ genannte Becken?) geleitet und bei Bedarf in die Bäder geschöpft wurde (Daumas 1957, 48), wird von Cauville allein schon aus Gründen der rituellen Reinheit des Wassers und wegen der Gefahren, die von „Kranken“ in unmittelbarer Nähe des Tempels ausgehen könnten, abgelehnt (Cauville 2004, 31, 32). Cauville kann sich die Texte und die ziemlich kleinen Becken besser in einem Dienstgebäude des Tempels, genauer einer Färberei mit Kleidungsmagazin, vorstellen. Und der Text der Gliedervergottung hat ihrer Meinung nach zum Ziel, die körperliche Integrität des Osiris wiederherzustellen, so wie Bekleidung (Mumienbinden?) den Körper wiederherstellen und die Glieder des Gottes schützen (Cauville 2004, 39). Allerdings scheint nicht Osiris sondern Horus der zu beschwörende Patient des Textes zu sein. Für Castel ist das Gebäude eigentlich ein temporärer/provisorischer Tempel, der während des Baus des Sanktuarbereichs des Hathortempels genutzt wurde (Castel 2020, 99–100). Für ihn gehören die Bäder oder Becken, die auf einer tieferen Ebene liegen, zu einem älteren Gebäude (Castel 2020, 89, 96, 99).

Material
Nicht Organisch » Stein » Sandstein
Objekttyp
Architektur » Gebäude & Konstruktionen
Objektteil
Stütze » Pfeiler, Basis / Unterteil » Sockel
Technische Daten

Pfeiler von 40,5 × 31 cm (Breite × Tiefe) und 1,35 m Höhe, dessen breiteste Seite sich nach oben hin leicht verjüngt (Daumas 1957, 41). Eine breite Seite ist undekoriert und stützte früher einmal gegen eine Wand. Die gegenüberliegende breite Seite enthält 5 Textkolumnen, von links nach rechts geschrieben. Die beiden Schmalseiten waren für jeweils 3 Textkolumnen eines gemeinsamen Textes vorgesehen, aber am Ende musste bei der zweiten Schmalseite (links von der Hauptseite) noch eine Kolumne außerhalb des vorgesehenen Feldes eingequetscht werden, um den Text vollständig kopieren zu können. Die Positionierung und Orientierung der Texte sowie die undekorierte Fläche führen zu dem Schluss, dass die breite Seite mit den 5 Textkolumnen die „Vorderseite“ des Pfeilers ist. Auf der Oberseite des Pfeilers findet sich ein massiver Steinzapfen von 18 × 14 cm (ob so Breite × Tiefe gemäß Daumas 1957, Taf. 13.B) von 4 cm Höhe (Daumas 1957, 41), der laut Daumas einmal eine Statue (?) oben auf dem Pfeiler in Position gehalten haben dürfte. Die Vertiefungen im Bodenmörtel des Korridors E haben die Maße ca. 38 × 27/30 cm (Tiefe × Breite) und ruhen mit der schmaleren Seite gegen die Rückwand (Castel 2020, 91). Sie gehören zu geringfügig kleineren Pfeilern oder Sockeln als unser Sockel, haben allerdings die kurze Seite zur Wand gerichtet, wie man es eigentlich auch für einen Statuensockel erwartet. Zum Vergleich: die Heilstatue des Djedhor in Kairo (JE 46341) hat eine Grundfläche von ca. 44 × 26 cm (Tiefe × Breite) (mit Sockel: 94 × 56 cm) und würde nicht auf die Pfeileroberseite von 40,5 × 31 cm (Breite × Tiefe) passen. Ob der Pfeilersockel dann eher für eine kleine Horusstele gedacht gewesen sein könnte? Zum Vergleich: der Sockel der Metternichstele ist 33,5 cm breit und 14,4 cm tief; der Sockel der Horusstele Kairo CG 9402, der einen Wasserauffangbehälter integriert hat, ist 64 cm breit und 55 cm tief.

Schrift
Hieroglyphen » Ptol.-röm. Schriftsystem

Eingravierte Hieroglyphen der griechisch-römischen Zeit.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch » traditionelles Mittelägyptisch

In Spruch 2 wurden nachträglich Glossen eingefügt, die sprachlich Neuägyptisch oder später sind (Umstandssatz des Präsens-I; Cleft Sentence mit einer Infinitiv-Konstruktion).

Bearbeitungsgeschichte

Der Pfeiler wurde in Photo, Normhieroglyphen, Übersetzung und Interpretation durch Daumas 1957 publiziert. Nur die Liste der Körperteile der Gliedervergottung wurde später genauer betrachtet (Walker 1996). Quack 2002 lieferte eine an einigen Stellen verbesserte Übersetzung und Interpretation. Daumas’ Interpretation des Gebäudes, in dem der Pfeiler gefunden wurde, wurde durch Cauville 2004 und Castel 2020 infrage gestellt.

Editionen

- Daumas 1957: F. Daumas, Le sanatorium de Dendara, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 56, 1957, 3557 und Taf. 1–14, hier: 42–47 und Taf. 2.

- Daumas 1969: F. Daumas, Dendara et le temple d’Hathor. Notice sommaire, Recherches d’archéologie, de philologie et d’histoire 29 (Le Caire 1969), 79–81.

- Quack 2002: J. F. Quack, La magie au temple, in: Y. Koenig (Hrsg.), La magie en Égypte. À la recherche d’une définition. Actes du colloque organisé par le Musée du Louvre les 29 et 30 septembre 2000, Louvre, conférences et colloques (Paris 2002), 41–68, hier: 52–54.

Literatur zu den Metadaten

- Castel 2020: G. Castel, Le „sanatorium“ de Dendara. Nouvelle interprétation à la lumière d'une étude architecturale, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 120, 2020, 87–128.

- Cauville 1995: S. Cauville, Le temple de Dendara. Guide archéologique, 2. Auflage, Bibliothèque générale 12 (Le Caire 1995), 90.

- Cauville 2004: S. Cauville, Dendara. Du sanatorium au trinctorium, in: Bulletin de la Société Française d’Égyptologie 161, 2004, 28–40.

- Daressy 1917: G. Daressy, Chapelle de Mentouhotep III à Dendérah, in: Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 17, 1917, 226–236.

- Grimal 1997: N. Grimal, Travaux de l’Institut français d’archéologie orientale en 1996-1997, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 97, 1997, 313429, hier: 339, 402.

- Grimal 1998: N. Grimal, Travaux de l’Institut français d’archéologie orientale en 1997-1998, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 98, 1998, 497608, hier: 515–516.

- Lacau 1920: P. Lacau, Les travaux du Service des Antiquités de l’Égypte en 1919–1920, in: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions & Belles-Lettres 64.4, 1920, 359–366.

- Mathieu 2000: B. Mathieu, Travaux de l’Institut français d’archéologie orientale en 1999-2000, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 100, 2000, 443575, hier: 505–506.

- Walker 1996: J. H. Walker, Studies in Ancient Egyptian Anatomical Terminology, Australian Centre for Egyptology. Studies 4 (Warminster 1996), 332–333.

- Zignani 2010: P. Zignani, Le temple d’Hathor à Dendara. Relevés et étude architecturale, 2 Bände, Bibliothèque d’étude 146 (Le Caire 2010).

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Spruch 1 (Vorderseite)

[1] (Isis spricht:) Komm zu mir, (oh Du) dessen Name vor den Göttern verborgen ist,1 der den Himmel gemacht hat, der die Erde erschaffen hat, der alle Leute (wörtl.: jedes Gesicht) geboren hat.
Dein Sohn Horus ist gekommen.
Seine Feinde gibt es nicht.
Kein einziges böses Auge aus der Bande des (Sethtiergottes) Nehes2 wird ihm begegnen3.
(Der Erzähler/Zauberer spricht:) Derjenige, der das, was existiert, erschaffen hat, er öffnete seinen Mund (und antwortete):
(Der zur Hilfe gerufene Universalgott spricht:) Hab keine Angst, hab keine Angst, (oh) Isis, (du) Göttin!
Deinem Sohn/Kind Horus wird nichts Böses geschehen. (oder: Deinem Sohn/Kind Horus ist nichts Böses geschehen.)
Ich habe den gefunden, der gegen ihn vorgegangen ist.
Ich habe ihn mit der Spucke, die aus meinem Mund kommt, beschworen, mit dem Speichel, der von meinen Lippen kommt.
Nichts Böses wird ihm passieren / gegen ihn entstehen. (oder: Nichts Böses ist ihm passiert / gegen ihn entstanden.)
Ich habe den wiederbelebt, den ich liebe.
Ich bin das Wasser.
Ich bin der Himmel.
Ich bin die Erde.
Ich bin der Wind.
Ich bin Tatenen, der von der Maat/Wahrheit lebt.
– Es/Das ist Schai (der Schicksalgott)4 bei jedermann, der den Lebensatem dem gibt, den er liebt. –
Ich bin der große Pfeiler(hafte), der inmitten des Horizonts ist, bei dessen Leuchten jedes Auge hell erstrahlt.5
Ich bin der Ba der Bau, [5] der Ansehnliche der Ansehnlichen, der mit großer Ba-Macht unter den Göttern.
Ich bin der, dessen Name verborgen ist,6 dessen Statue/Bildnis für (?) die Göttern der Erde (oder: des Landes) glänzt/glitzert.7
– Das ist Horus, der Sohn der Isis und der Sohn des Osiris.
Das ist mein Sohn, der aus mir hervorgekommen ist. –

1 jmn rn =f r nṯr.w: Daumas 1957, 42 und Quack 2002, 53 übersetzen intransitiv: „toi dont le nom est caché aux dieux“. Eine aktiv-transitive Übersetzung „der seinen Namen vor den Göttern verbirgt“ ist ebenfalls möglich. Vgl. weiter unten in Z. 5 jnk jmn rn=f, wo Quack 2002, 53 transitiv übersetzt: „Je suis celui qui cache son nom.“
2 nhs: Daumas 1957, 42 übersetzt den Namen mit „le Malin“.
3 n ḫpi̯ s(w) jr.t nb(.t) ḏw(.t): Lesung ḫpi̯ „begegnen“ gemäß Quack 2002, 64, Anm. 47. Das Determinativ G37 stammt von ḫpi̯ „sterben“.
4 šꜣj: Ist dies eine Glosse zum Universalgott, zu Tatenen oder zu Maat? J. Quaegebeur. Le dieu égyptien Shaï dans la religion et l’onomastique, Orientalia Lovaniensia Analecta 2 (Leuven 1975), 98 listet keine Verbindungen von Schai zu Maat. Er kommentiert diese Textstelle bei Osiris, aber sie könnte auch zu Ptah als Urgott Ptah-Tatenen passen (S. 99–100) und an anderer Stelle thematisiert er Schai als Urgott und als Universalgott (S. 166–170). Letzteres passt am besten, denn der Gott, der spricht, ist ein solarer und pantheistischer Schöpfergott (s. Quack 2002, 64, Anm. 46).
5 sšp: Daumas 1957, 43, Quack 2002, 53 und C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Band VI. s, Orientalia Lovaniensia Analecta 115 (Leuven/Paris/Dudley, MA 2002), 612c übersetzen transitiv: „illuminant tout oeil lorsqu’il brille.“
6 jmn rn =f: Daumas 1957, 43 übersetzt intransitiv „Je suis Celui-dont-le-nom-est-caché“, Quack 2002, 53 transitiv „Je suis celui qui cache son nom.“
7 ṯḥn sšm,w =f n.w nṯr.w tꜣ: Die Präposition n ist merkwürdig geschrieben. C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Band VII. š, Orientalia Lovaniensia Analecta 116 (Leuven/Paris/Dudley, MA 2002), 483c übersetzt mit „für (?)“. Daumas 1957, 43 hat „dont la statue est brillante parmi les dieux de la terre“ (Schreibung von n.w für m/m-m?). Quack 2002, 53 übersetzt mit einer Genitivkonstruktion „dont la statue des dieux de la terre est brillant.“

Spruch 2 (rechte Seite)

Siehe doch Isis, die (du) auf seiner rechten Seite stehst, Thoth, der (du) auf seiner linken Seite stehst, wobei sie ihre Hände auf alle seine Glieder legen1 beim Mundöffnungsritual. (oder: Siehe, Isis steht ja auf seiner rechten Seite, Thoth steht auf seiner linken Seite, wobei sie ihre Hände auf alle seine Glieder legen bei der Mundöffnung.)
Ihr öffnet (ihm den Mund?),2 wenn er (es) sagt (?).
Die beiden Schwestern, die in ihm sind (?), (d.h.) die beiden Uräen erheben seine Vollkommenheit3.

1 jw=sn (ḥr) wꜣḥ: Wird als nachträglich eingefügte Glosse im (neuägyptischen) Umstandssatz des Präsens gedeutet (Quack 2002, 65, Anm. 51). Falls man Ꜣs.t ꜥḥꜥ.tj und Ḏḥw,tj ꜥḥꜥ.tj als Präsens-I-Konstruktionen auffasst, kann auch das Ganze eine nachträgliche Änderung sein. Der Übergang zu jw wpi̯=tn ist so oder so unklar.
2 r/jw wpi̯=tn: Der ganze Satz ist unklar. Liegt hier ein mittelägyptischer jw sḏm=f vor? Die Partikel jw wäre dann wie r geschrieben. Tatsächlich wird in der ganzen anschließenden Gliedervergottung die Partikel jw jedes Mal wie r geschrieben. Quack 2002 macht von sn.tj jm.j=f das direkte Objekt von jw wpi̯=tn: „Vous ouvres quand il dit les deux soeurs qui sont en lui.“ Daumas 1957, 44 übersetzt an unserer Stelle „...la bouche afin que vous l’ouvriez“ und denkt möglicherweise an die Konstruktion r + sḏm=f im Konsekutivsatz. Das direkte Objekt wäre ungeschrieben. Oder liegt hier eine präfigierte Relativform vor: ... m wp.t rʾ j:wpi̯=tn m ḏd=f: „bei der Öffnung des Mundes, den ihr öffnet, wenn er spricht/sagt (oder: gemäß seiner Rede).“?
3 wṯs nfr.w=f: So mit Quack 2002, 65, Anm. 52 gegen wṯs sꜣ=f von Daumas 1957, 44 „les deux uraeus élèvent sa protection“.

Gliedervergottung

Dein Kopf ist der Kopf des Atum, des göttlichen Gottes1 im Haus der beiden Kolleginnen/Weberinnen (?)2.
Deine Augenbrauen sind die Schlangen/Reptilien (wörtl.: die, die auf ihrem Bauch sind).
Deine beiden Augen sind Hormerti – das Öffnen des Visus ist das, was sie gemacht haben.
Sachmet und Bastet sind dort auf deinem Kopf.
Deine Nase ist Horus,-der-Unterweltliche3, der Stier der Stiere, der die Götter erzeugt (wörtl.: geboren) hat.
Deine Ohren sind (der Sehgott) Ir und (der Hörgott) Sedjem.
Dein Scheitel (?)4 ist Amun-Re 〈in?〉 der Neschmet-Barke.
Dein Hinterkopf ist die Fürstin der Götterkörper.
[linke Seite] Dein Mund ist mit der Maat gefüllt (oder: voll der Maat).
Deine Lippen sind Ptah.
Deine Zunge ist Tho〈th〉, Hu/Aussage und Sia/Einsicht.
Dein Hals ist Month.
Deine Kehle ist der Uräus, die Erste/Kobra des Re.
Deine beiden Schultern sind [10] der lebende Falke, Horus persönlich.
Deine beiden Oberarme sind die Ruder in (?)5 der Barke des Re.
Deine Unterarme (?)6 sind die vier Pfeiler des Himmels7.
Deine Finger sind die Sand-/Staubkörner aus Gold des Auges des Re.
Dein Herz ist Re-Harache.
Deine Brust ist Neith.
Dein Rücken/Rückgrat ist Geb.
Deine (beiden) Seiten/Rippengegenden sind die sieben Hathoren.
Dein Bauch ist Nut.
Deine Eingeweide sind der Allherr.
Dein Scham/Unterleib ist Nephthys.
Dein Phallus ist Min.
Deine Hoden sind die Samen/Früchte der $mꜣt.t$-Pflanze (Sellerie oder Calotropis procera/Sodomsapfel).
Dein Hintern ist Month.
Deine beiden Schienbeine8 sind [... und ...].
Deine beiden [Füße]9 sind Heqet und Selkis.
Deine Zehen10 sind die Götter des Himmels11.
Komm hinaus!
Vertrieben (?) ist/wurde das Unrecht (?),12 das in jedem Körperteil des lebenden Achom-Falken und (?) des lebenden Bik-Falken war, ewiglich.

1 nṯr nṯr.j m ḥw.t-rḥ.tj: Die ersten beiden Hieroglyphen sind sicherlich als nṯr und nicht als Determinativ von Atum zu lesen, denn die Kombination nṯr nṯr.j m + Toponym ist gängig. Daumas 1957, 44 hat „le dieu divin dans la demeure-de-Hehenet“ (so auch C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Band IV. nbth, Orientalia Lovaniensia Analecta 113 (Leuven/Paris/Dudley, MA 2002), 434c), während Quack 2002, 53 „Atum, le divin dans la maison des deux blanchisseuses“ übersetzt.
2 ḥw.t-rḥ.tj oder ḥw.t-rḫ.tj ist ein sehr seltenes Toponym (nicht in C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen (Leuven/Paris/Dudley, MA 2002) oder H. Gauthier, Dictionnaire des noms géographiques contenus dans les textes hiéroglyphiques I (Le Caire 1925–1928). Daumas 1957 liest vorläufig ḥw.t-ḥḥn.t. Die Belege in É. Chassinat, Le mammisi d’Edfou, Mémoires publiés par les membres de l’Institut français d’archéologie orientale 16 (Le Caire 1910–1939), 13.16, 13.18 und 14.5–6 betreffen alle dieselbe Szene und verbinden Atum und Chepre mit der Gebäudebezeichnung bzw. dem Toponym ⸮bnb〈〈n〉〉? bzw. ḥw.t-⸮bnb〈〈n〉〉? oder rḥ.tj bzw. ḥw.t-rḥ.tj. Daumas 1957, 44, Anm. 3 fragt sich wegen des Zusammenhangs mit Atum, ob ein Fehler für ḥw.t-bnbn vorliegen kann. D. Kurth, Einführung ins Ptolemäische. Eine Grammatik mit Zeichenliste und Übungsstücken I (Hützel 2007), 321, Anm. 37a mit Anm. 211 listet mehrere Belege aus dem Mammisi von Dendara für hier vorliegende Schreibung mit der Lesung bnbn, aber es betrifft jedesmal das Mammisi von Edfu (!) und die drei Belege wurden schon von Daumas aufgelistet. H. W. Fairman, Ptolemaic notes, in: Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 44, 1944, 263–277, hier: 263–268, der die Lesung rḥ.tj bzw. (jünger) rḫ.tj für die beiden Wäscherinnen entdeckt hat, listet die drei Belege aus dem Mammisi von Edfu nicht auf. B. Backes, Von nun an sollt ihr Rḥ.tı͗ heißen: die „Beiden Kolleginnen“ von Sais, in: Göttinger Miszellen, 2001, 23–28, 23–28 wählt die Lesung rḥ.tj und die Übersetzung „die beiden Kolleginnen“, eventuell „die beiden Stoffherstellerinnen, Weberinnen.“ und schließt rḫ.tj „die beiden Wäscherinnen“ für die beiden Stoffherstellerinnen aus Sais und für das Kolleginnenpaar Isis-Nephthys aus.
3 Ḥr.w-dwꜣ.tj: Daumas 1957, 45 mit Anm. 3 übersetzt „Horus, le triomphateur (?)“, denn er meint wegen des t, dass die Lesung Ḥr.w dwꜣ.y „dieu du matin“ nicht möglich ist, und er fragt sich, ob dwn.tj gelesen werden sollte. Quack 2002, 53 hat „Horus, le matinal“. In der Sonnenlitanei (E. Hornung, Das Buch der Anbetung des Re im Westen (Sonnenlitanei). Nach den Versionen des Neuen Reiches. 2 Bände, Aegyptiaca Helvetica 2–3 (Genève 1975–1976), 209) ist die Nase (fnḏ) des Sonnengottes die Nase des Ḥr.w-dwꜣ.tj, wobei dwꜣ.tj mit dem Hausgrundriss determiniert wird, was für eine Interpretation als „Horus, den Unterweltlichen“ spricht.
4 ⸮wp.t?: Lesung unsicher. Steht das Horn pars pro toto für das Kuhgehörn wp.t? Jedenfalls ist wp.t ein gängiger Körperteil in den Gliedervergottungslisten und wird mehrfach mit dem Gott Re verbunden (s. Walker 1996, 290–341).
5 wsr.w m wjꜣ: Daumas 1957, 45 und Quack 2002, 54 übersetzen mit Genitiven „les rames de la barque de Rê“. Dann ist m eine Allographie für n (vgl. die umgekehrte Situation in jw jm.jw-ẖ.t=k n Nb-(r-)-ḏr „Deine Eingeweide sind der Allherr“ in Z. 11).
6 ⸮mḥ?.w =k: Lesung unsicher. In der Reihenfolge der Körperteile erwartet man die Hände (so Quack 2002, 54 und 65, Anm. 55). Daumas 1957, 45, Anm. 7 erwägt die Lesung ꜥn.t „Nagel, Kralle“ und übersetzt mit „pouces (?)“, d.h. „Daumen“. Als Alternative denkt er an das „volle Horusauge“ mḥw, dass dann eine Schreibung für mḥ „die Elle“ wäre. Entsprechend transkribiert Walker (1996, 333, Nr. 16) mḥ.w und übersetzt mit „forearms“. Das Udjatauge kann noch die Lesung mn haben und mnjꜣ ist die Stelle am Arm, wo der Puls gemessen wird. Dann wären mn.w vielleicht die Handgelenke.
7 sḫn.t 4 n.t p.t: Daumas 1957, 57, Anm. zu S. 46 übersetzt „quatre piliers de Nout“ oder „quatre piliers du ciel“.
8 sḏḥ.wj: Lesung aus der Reihenfolge der Körperteile erschlossen. Die Oberschenkel fehlen.
9 rd.wj oder sst.wj: Daumas 1957, 46 denkt an sst.wj: „Waden“, aber weil schon sḏḥ.wj vorangeht und ein Wort für „Zehen“ folgt, kann hier auch ohne weiteres rd.wj gestanden haben, dass sich ebenfalls häufig in den Gliedervergottungen findet.
10 ⸮ꜥn.t/ḏbꜥ/sꜣḥ?: Das gängige Wort nach den Füßen in der Gliedervergottung ist sꜣḥ.w, das sich so jedoch nicht schreiben lässt. In der Gliedervergottung von pChester Beatty VII, Vso 5.5 steht ꜥn.t: „Kralle, Nagel“. Daumas 1957, 46, Anm. 6 erwähnt die Verwendung von ḏbꜥ: „Finger“ mit der Bedeutung „Zehe“ im koptischen ⲧⲏⲏⲃⲉ (vgl. W. E. Crum, A Coptic Dictionary (Oxford 1962), 397b).
11 nṯr.w n.w p.t: Walker 1996, 333 liest nṯr.w Nw(.t). Vgl. weiter oben sḫn.t 4 n.t p.t oder sḫn.t 4 nw.t.
12 ⸮dr? ⸮b[tꜣw]/b[w.t]?: Ergänzung unsicher. Daumas 1957, 46 mit Anm. 7 erwägt jri̯ b[sꜣ] n.t(j) m [ꜥ].t nb(.t): „Faites la protection qui est dans tout membre ...“, aber dann bleibt ein Zeichen über dem mutmaßlichen Auge unerklärt.