Papyrus Wien D 6257
Metadaten
Inventarnummer: D 6257
Die Mehrzahl der Wiener demotischen Papyri (vormals Sammlung Erzherzog Rainer) wurde in den 1870er und 1880er Jahren vom österreichischen Geschäftsmann Theodor Graf in Ägypten erworben. Die Papyri wurden aus Oberflächenfunden bei Krokodilopolis/Kôm el-Charjâna (zur Lokalisation von Kôm el-Charjâna siehe: Schweinfurth – Wilcken 1887, 65, Taf. 2) und Soknopaiou Nesos/Dime gewonnen (Reymond 1976, 21; Westendorf 1999, 56; Hoffmann 2013, 25; Hoffmann – Quack 2010, 300–301). Die Sammlung ging später in den Privatbesitz des Erzherzogs Rainer von Habsburg über. Dieser übergab sie im Jahre 1899 an die Bibliothek des Kaisers Franz Joseph (heutige Österreichische Nationalbibliothek) anlässlich dessen Geburtstag (Reymond 1976, 21).
Die Herkunft des Textes, der vormals zur Sammlung Erzherzog Rainer gehörte, kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Das Papyruskonvolut stammt ursprünglich aus zwei fayumischen Raubgrabungen. Zum Einen handelt es sich dabei um Oberflächenfunde aus Krokodilopolis, die vor allem auf dem Kom el-Charjana, einer der vielen zur Stadt Krokodilopolis gehörigen Siedlungshügel, der sich nördlich von Medinet el-Fayum befindet, zutage gefördert wurden. G. Schweinfurth beschreibt diesen Fundplatz mit den Worten: "Nordwärts von der Salpeterpfanne der Westseite hat man eine Anhöhe vor Augen, die sich zum grössten Teile aus den stehengelassenen Luftziegelmauern der alten Stadt aufbaut. Sie wird Kōm el-Chariāna genannt und liegt dem größten Scherbenhügel von Arsinoe, dem Kom Fāres, gegenüber, von diesem durch den Eisenbahndurchstrich getrennt. Der höchste Teil von Kōm el-Chariāna wird es-Sāga genannt. (...) Trotz aller Ungenauigkeit der mir in dieser Veranlassung von den Ssebbáchsammlern gemachten Angaben geht doch aus Allem hervor, daß hier eine Stelle sein muß, wo bedeutende Papyrusfunde gemacht wurden und zwar zu wiederholten Male." (Schweinfurth – Wilcken 1887, 65). Ein zweiter Bereich raubgräberischer Aktivität liegt bei Kom el-Dimê, welches sich einige Kilometer nordwestlich des Birket el-Karun befindet (Reymond 1976, 21; siehe außerdem Schweinfurth 1895). Ob der vorliegende Papyrus ursprünglich aus Krokodilopolis oder Soknopaiou Nesos stammt kann nicht mehr ausgemacht werden. Von einer Herkunft aus der Fayumer Region ist aber auszugehen (Westendorf 1999, 56; Hoffmann – Quack 2010, 309).
Als Datierung findet sich im Allgemeinen die Angabe 2. Jh. n. Chr. (Froschauer – Römer 2009, 89; Hoffmann – Quack 2010, 300). Laut F. Hoffmann ist der Papyrus paläographisch jedoch eher in das 1. Jh. n. Chr. zu datieren. Dabei ist zu bemerken, dass der Text, aufgrund seiner paläographischen Einheitlichkeit, nicht im Laufe mehrerer Jahre entstanden sein wird, sondern vielmehr die direkte Abschrift einer älteren, wohl ptolemäischen Vorlage (oder Abschrift) darstellt: "Wie sich an dem unterschiedlichen Alter der im Text vorkommenden sprachlichen Erscheinungen ablesen lässt, ist er seit dem 7. Jh. v. Chr. kontinuierlich erweitert und verändert worden." (Hoffmann – Quack 2010, 301; Hoffmann 2013, 25; Froschauer – Römer 2007, 89).
Der Text umfasst eine Sammlung von Rezepten, wobei bei der Anordnung dieser keine Systematik ausgemacht werden kann. Auf sechs erhaltenen Textkolumnen können die Reste von 190 medizinischen Rezepten festgestellt werden (Hoffmann – Quack 2010, 300; Westendorf 1999, 56–58). Die einzelnen Abschnitte widmen sich verschiedenen Krankheiten und deren Symptomatik sowie einer Anweisung zur Heilung der Krankheitsbilder. Die Rezeptanfänge sind dabei in rot geschrieben. Die Mehrzahl folgt einem – nach F. Hoffmann – einfachen Rezeptschema: Überschrift – Drogen – Anweisung. Rund 60 Rezepte hingegen besitzen einen komplexeren Aufbau, innerhalb dessen die Abfolge: Drogen – Anweisung wiederholt werden kann oder die Anweisungen zu langen Instruktionen auswachsen (Hoffmann 2013, 26–27). Dabei treten unter anderem Hautkrankheiten, innere Krankheiten, Wundbehandlung, Frauenheilkunde und Hustenbeschwerden auf.
Der Papyrus ist in 22 Einzelfragmenten erhalten, da er stark vom Wurmfraß befallen war (Westendorf 1999, 56). Der Anfang der Rolle ist nicht erhalten, damit gibt es keine einleitende Überschrift oder einen Vorspann zum Gesamttext. Nach J. F. Quack gehören die ersten beiden Kolumnen jedoch nicht zum medizinischen Text, sondern bilden einen direkten Anschluss zum Papyrus Wien D 6321. Dieser umfasst eine Anleitung aus dem Bereich der Textilfärberei (Quack 1999, 455). Während die erste Hälfte des erhaltenen Papyrus 34 Textzeilen pro Kolumne aufweist, beträgt die Zeilenzahl der restlichen Kolumnen 38. Die insgesamt 6 erhaltenen Textkolumnen sind durch Linien eingerahmt und weisen eine Breite von 22,3 cm und eine Höhe von 21,5 cm auf. Der jeweils obere und untere Rand des Papyrus beträgt 3 cm. Eine senkrechte rote Linie markiert offenbar das Ende des Textes (Westendorf 1999, 56). Der Papyrus ist nur einseitig beschriftet. Die Rückseite blieb leer.
Der Text wird immer als demotisch bezeichnet, tatsächlich aber weist er eine Parallelverwendung von hieratischer und demotischer Schrift auf. Dabei sind laut F. Hoffmann etwa 81 % der Wörter rein demotisch und 16 % hieratisch. Der Rest von rund 3 % der Wörter stellt eine Kombination von hieratischer und demotischer Schrift dar (Hoffmann 2013, 25). Daneben finden sich im Text mehrfach semitische und griechische Drogennamen sowie ein persisches Hohlmaß. Die jeweiligen Rezeptanfänge werden als Rubra geschrieben (Hoffmann – Quack 2010, 300).
Die Erstbearbeitung legte E. A. E. Reymond im Jahre 1976 vor. Im Zeitraum von März 2008 bis einschließlich August 2010 hat sich F. Hoffmann im Rahmen des Projekts "Medical Systems in Transition: The Case of the Ancient Near East" des Exellenzclusters "Asia and Europe in a Global Context" (Universität Heidelberg) der Neubearbeitung des Papyrus gewidmet. Die Publikation der Forschungsergebnisse werden in der MPER NS-Reihe unter dem Titel: "Die spätägyptischen medizinischen Papyri der Österreichischen Nationalbibliothek" erscheinen.
- Hoffmann im Druck: F. Hoffmann, Die spätägyptischen medizinischen Papyri aus der Österreichischen Nationalbibliothek, Mitteilungen aus der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek (Papyrus Erzherzog Rainer). Neue Serie (im Druck).
- Reymond 1976: E. A. E. Reymond, From the Contents of the Libraries of the Suchos Temples in the Fayyum. I. A Medical Book from Crocodilopolis. P. Vindob. D 6257, Mitteilungen aus der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek (Papyrus Erzherzog Rainer). Neue Serie 10 (Wien 1976).
- Hoffmann – Quack 2010: F. Hoffmann – J. F. Quack, Demotische Texte zur Heilkunde, in: B. Janowski – D. Schwemer (Hrsg.), Texte zur Heilkunde, Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge 5 (Gütersloh 2010), 298–316.
- Hoffmann 2013: F. Hoffmann, Die Verwendung hieratischer Zeichen in demotischen medizinischen Texten, in: S. P. Vleeming (Hrsg.), Aspects of Demotic Orthography. Acts of an International Colloquium held in Trier, 8 November 2010, Studia Demotica 11 (Leuven 2013), 25–39.
- Quack 1999: J. F. Quack, [Review:] W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I, 36, 1 (Leiden/Boston/Köln), in: Orientalistische Literaturzeitung 94, 1999, 455–462.
- Schweinfurth – Wilcken 1887: G. Schweinfurth – U. Wilcken, Zur Topographie der Ruinenstätte des alten Schet (Krokodilopolis-Arsinoë), in: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 22, 1887, 54–88.
- Schweinfurth 1895: G. Schweinfurth, Ein altes Heiligtum an den Ufern des Moeris, in: Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte 78, 1895, 361–372.
- Westendorf 1999: W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I 36,1 (Leiden/Boston/Köln 1999), 55–58.
Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.
http://data.onb.ac.at/rec/RZ00000678 (19.10.2018).
Übersetzung und Kommentar
Übersetzung folgt - Translation is forthcoming