Papyrus Chester Beatty XII
Übersetzung und Kommentar
Papyrus Chester Beatty XII (pBM 10692)
[1] [… … …]1 er […] ihn, wobei er/es getötet/niedergeworfen2 worden war (?).Da sprang3 er (hinauf) auf das Hinterteil4 des [… … …].
[… … …] Unterschenkel des Seth.
Sieh doch, er packt den Nacken des Min.
[… … …] [eine Göttin: Isis?]5.
Da kam er/es heraus aus dem Unterleib der Isis.
Sieh doch, er packt […] [… … …], (?) der NN (?)6.
[Sie]h doch, er packt die Fische, die in dem Wasser sind.
[5] „[… … …]“ nennt man es.7
Als/sobald er den Schenkel des Seth gepackt hatte, [… … …].
[… … …] [ein Körperteil: der Unterleib (?)]8 der Isis: „Frauenkrankheit“ nennt man es.7
„[… … …] [ein Körperteil]9“ nennt man es.7
Blind bist du geworden {{mit/durch/als}} der/die Achu-Krankheit10 (oder: oh, Achu-Krankheit)!11 {{?}}12
1 [___]nw =f: Leider sind die erhaltenen Zeichen (nw: – w: ) zu unspezifisch, um eine Ergänzung vorzunehmen.
2 ẖdb: Ohne einen ausführlicheren Kontext ist es schwer zu entscheiden, ob ẖdb „töten, ermorden“ (Wb 3, 403.3–13) oder ẖtb „niederwerfen, niederstrecken“ (Wb 3, 402.12–15) vorliegt, aber falls sich das Subjekt von pwy im nächsten Satz hierauf beziehen sollte, kann nur „niederwerfen“ gemeint sein.
3 pwy m pḥ.wj: Bei dem Verb pwy handelt es sich um eine Bedeutungsvariante von pꜣi̯: „hochfliegen“ (Wb 1, 494.1–12), das entsprechend mit den Beinen (D54) klassifiziert ist. Gardiner 1935 I verweist allerdings auch auf pChester Beatty 7, vso 1.6, wo das Verb pꜣy: „begatten, bespringen“ (Wb 1, 497.13–14) ebenfalls in Verbindung mit pḥ.wj „Hinterteil“ verwendet wird. Könnte auch an unserer Stelle eine sexuelle Konnotation vorliegen, obschon ein entsprechender Klassifikator nicht geschrieben ist?
4 pḥ.wj: Gardiner (1935 II, Taf. 69) liest in unserem Papyrus pḥ.tj, fasst das Wort aber ebenfalls als „Hinterteil: backside“ (Gardiner 1935 I, 122) auf. Eine Schreibung mit t verweist allerdings auf das zumeist im spezifischen Kontext bezeugte pḥ.wyt „Anus/Rektum“ (Wb 1, 537.3; H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962), 273–281); J. H. Walker, Studies in Ancient Egyptian Anatomical Terminology, Australian Centre for Egyptology. Studies 4 (Warminster 1996), 221–230; J. B. Jørgensen, Myths, Menarche and the Return of the Goddess, in: R. Nyord – K. Ryholt (Hrsg.), Lotus and Laurel. Studies on Egyptian Language and Religion in Honour of Paul John Frandsen, CNI Publications 39 (Copenhagen 2015), 133–164, hier: 139–140).
5 [__].t: Erhalten sind die Zeichen . Bezeichnet wird also hier mit Sicherheit eine Göttin. Da im weiteren Verlauf die Göttin Isis genannt ist, könnte auch hier Isis zu ergänzen sein.
6 [___].t mn.t: Die Stelle ist schwierig zu verstehen. Gardiner (1935 II, Taf. 69) sieht . Die Zeichen sind recht gut zu erkennen und ziemlich eindeutig. Auf dem rechten Rand sind noch Spuren von mindestens einem Zeichen zu erkennen, die nicht eindeutig zugeordnet werden können, aber eventuell mit einer weiteren Gruppe in Einklang zu bringen wären. Gardiner (1935 I, 122) übersetzt „[N, born of?] M“, was in magischen Texten häufig belegt ist, aber gerade hier aus verschiedenen Gründen problematisch ist. Die erhaltene Gruppe mn.t könnte man gut mit „N.N. (fem.)“ (Wb 2, 65.3–5) in Einklang bringen, auch wenn hier nicht noch zusätzlich B1 (die sitzende Frau) als Klassifikator geschrieben ist. Die vorausgehende Gruppe ist nun aber ebenfalls wieder als zu lesen, was sich eindeutig nicht mit einer Schreibung von msi̯.n in Verbindung bringen lässt. Eventuell könnte man diese Gruppe also als Rest eines weiteren (unbekannten) Substantivs im Status constructus deuten. Bliebe man bei dem Vorschlag von Gardiner, so müsste man auf jeden Fall von zwei weiblichen Personen ausgehen (jeweils ohne entsprechenden Klassifikator) und die Stelle folgendermaßen emendieren: [mn].t ⟨msi̯.n⟩ mn.t „N.N., die die N.N. geboren hat“. Da im weiteren Verlauf des Textes von einer „Frauenkrankheit“ die Rede ist, wäre das nicht ganz abwegig, auch wenn die fehlerhafte Auslassung von msi̯.n bei einer so geläufigen Gruppe unwahrscheinlich anmutet.
7 ḫr=tw r=f: zur Formulierung ḫr=tw r=f „sagt man dazu“ (Wb 3, 318; H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII. Wörterbuch der medizinischen Texte, 2 Bände (Berlin 1961–1962), 666) um Namen oder Bezeichnungen anzugeben, vgl. z.B. Eb 28; pLeiden I 348, 11.1 (Spruch 17); pBrooklyn 47.218.84, x+2,4; 2,6; 2,8; 3,3 usw., s. D. Meeks, Mythes et légendes du Delta d’après le papyrus Brooklyn 47.218.84, Mémoires publiés par les membres de l’Institut français d’archéologie orientale 125 (Le Caire 2006), 398 (Index).
8 [__].t ꜣs.t: Am rechten Papyrusrand sind noch die Reste eines t (X1) über dem Fleischstück (F51) zu erkennen, daher handelt es sich sehr wahrscheinlich um einen Körperteil, vermutlich um die bereits in Z. 3 erwähnte „Unterleibsregion“ kns{.t} der Isis.
9 [__].t: Am rechten Papyrusrand ist der Rest eines hohen Zeichens zu erkennen, darauf folgt das Fleischstück (F51) über einem t (X1). Es ist also mit einiger Sicherheit die Bezeichnung eines Körperteils zu ergänzen, doch aufgrund des fehlenden Kontextes sind keine näheren Angaben möglich.
10 Die Erwähnung von pꜣ ꜥḫ.w setzt das Papyrusfragment Chester Beatty 12 in die Nähe der Sāmānu/Achu-Dokumente, die überregional durch Vorderasiatische und Ägyptische Quellen überliefert sind (S. Beck, Sāmānu. Ein vorderasiatischer Dämon in Ägypten, Ägypten und Altes Testament 83 (Münster 2015), 3–93). Die hier belegten Reste können allerdings nicht mit der bekannten Überlieferung in Verbindung gebracht werden, auch wenn im pLeiden I 343+345 zwei Mal – ebenso wie im Papyrus Chester Beatty 12 – ein Erblinden bzw. Blenden angesprochen ist. So ist in der Beschwörung 12 einmal špw belegt (pLeiden I 343+345 V:V2), doch nur indirekt im Zusammenhang mit der/dem Achu-Krankheit/Dämon: „[… ebenso begann ich dich zu überwinden, o Achu,] indem ⟨du⟩ ergriffen bist. Als ich deine Mutter erschuf, die mit dir schwanger war: [W]ie soll [sie] gebären, während sie leidet (und) weint? Wegen der Schlange ist es, die, die dir der Gott gab. Sie lässt [sie (?)] blenden, [während sie] die N[acht] schlafend [verbringt].“ (S. Beck, Sāmānu. Ein vorderasiatischer Dämon in Ägypten, Ägypten und Altes Testament 83 (Münster 2015), 156; vgl. S. Beck, Exorcism, Illness and Demons in an Ancient Near Eastern Context. The Egyptian Magical Papyrus Leiden I 343 + 345, Papers on Archaeology of the Leiden Museum of Antiquities 18 (Leiden 2018), 91). In Beschwörung 2 wird zwar der/dem Achu-Krankheit/Dämon die Blendung der beiden Augen angedroht (V:IV2–3), doch wird anderes Vokabular verwendet: pꜣ ꜥḫ.w m[j](.t)r-bnr kꜣmn jr.tj=k „O Achu! Komm hinaus! Deine beiden Augen sollen geblendet werden!“ (S. Beck, Sāmānu. Ein vorderasiatischer Dämon in Ägypten, Ägypten und Altes Testament 83 (Münster 2015), 106–107; vgl. S. Beck, Exorcism, Illness and Demons in an Ancient Near Eastern Context. The Egyptian Magical Papyrus Leiden I 343 + 345, Papers on Archaeology of the Leiden Museum of Antiquities 18 (Leiden 2018), 26–27).
11 špw.n =k {{⸢⸮m?⸣}} pꜣ ꜥḫ.w: Der Sinn des Satzes hängt daran, ob man eine intentionelle Tilgung der Präposition m annimmt, oder nicht. Geht man von einer Tilgung aus, wäre auch ein Imperativ mit folgendem ethischen Dativ als Interpretation des Satzes möglich: „Erblinde! Oh, Achu-Krankheit/Dämon!“ In diesem Zusammenhang, wäre es ebenfalls möglich, eine Verwechslung der Verben šp „blind sein, blenden“ (Wb 4, 443.1–11) und šp „ausfließen, zu Grunde gehen“ (Wb 4, 443.14–444.7) anzunehmen (Hinweis von P. Dils, 23.01.19). Allerdings ist dies eine Aufforderung, die regelmäßig in Giftbeschwörungen belegt ist, nicht jedoch für die/den Achu-Krankheit/Dämon.
Der obere Teil der Präposition scheint ebenso wie die Zeichen am Ende der Zeile ausgewischt worden zu sein. Bei genauerer Betrachtung sehen die Spuren allerdings unterschiedlich aus. Am Ende der Zeile sind alle Zeichen gleichmäßig blass und man kann darüber hinaus keine weiteren Spuren erkennen. In der Mitte des Rubrums allerdings gibt es einen fast kreisrunden, leicht rötlichen Fleck im oberen Bereich der Zeile direkt auf dem m und der untere Teil des Zeichens scheint davon unberührt. Es sieht so aus, als wäre durch einen Tropfen Flüssigkeit die Tinte gelöst worden. Wischspuren sind nicht erkennbar. Man könnte also ebenso gut annehmen, dass es sich bei dieser Stelle nicht um eine gezielte Tilgung, sondern um eine zufällige Löschung des Zeichens handeln könnte. Allerdings ist nach dem Zeichen etwa ein halbes Quadrat unbeschrieben, was eher zu einer Tilgung passen würde. Doch ist in der darüber liegenden Zeile an der gleichen Stelle ebenfalls eine kleine Lücke zwischen den Zeichen zu beobachten. Der Papyrus an dieser Stelle ist auch etwas verfärbt. Möglicherweise war der Untergrund an dieser Stelle nicht gut zu beschreiben, was durch eine Autopsie des Originals übergeprüft werden müsste.
12 {{[__]}}: Nach dem Verspunkt sind Reste von mindestens drei weiteren mit roter Tinte geschriebenen Zeichen zu erkennen, die ausgewischt worden sind. Nach zwei hohen Zeichen sind Reste von ein oder eventuell auch zwei waagerechten Zeichen zu sehen.