Papyrus BM EA 10732
Übersetzung und Kommentar
Spruch gegen srf-Entzündung
[1] Schriftstück zum Beseitigen jeder (Art) schlimmer srf-Entzündung1:
Seid gegrüßt2, ihr Herren der Ewigkeit, (die) ihr erhaben seid ... (?)3, wenn sie (d.h. ihr) als Fisch(e) ins Wasser hinabsteigen,
die (ihr) 〈als〉Vögel am Himmel fliegt, um den aufzustellen, der im Westen ist!
Veranlasst, dass der, der im Osten ist, herauskommt, um zu [---] ⸢den, der im⸣ (?)4 Westen ist!
Veranlasst, dass der Untote und die Untote herauskommen, um meine Worte zu beachten!
Wenn er5 [meine] Worte nicht beachtet, will ich verhindern, dass die Sonne aufgeht,
will ich verhindern, dass die Nilflut fließt,
will ich verhindern, [5] dass [für] die großen Gött[er, die] in Hut-Benben (in Heliopolis) sind, Kulthandlungen vollzogen werden,
werde ich verhindern, dass der Götterneunheit, die in der Nekropole ist, Wasser libiert wird6
– um den Untoten und die Untote, die 〈in〉 jedem Glied des Amunnacht, geboren von Ta-rech-anu, sind, für mich herauskommen zu lassen.7
Zu sprechen über diesen Göttern, den Herren der Ewigkeit (?)8, Re-Harachte, Osiris, Nut/Isis (?)9, Ahmes-Nefertari10, Atum (???), ... (?)11.
1 srf: Papyrus Chester Beatty VII und die Amulettpapyri gegen dieses Leiden, wie pDeM 42 oder pStrasbourg BNU hiérat. 69, schreiben ein maskulines srf, und im Amulettpapyrus pDeM 36 steht zudem der maskuline Artikel davor: pꜣ srf. Auch die Adjektive zeigen keine Femininendung. Im pChester Beatty VII folgt dem Spruch gegen srf ein solcher gegen rmn.t. Das erinnert an die Oracular Amuletic Decrees der 3. Zwischenzeit, in denen einem srf(.t) ebenfalls oft rmn.t folgt (vgl. dazu die Zusammenstellung bei J. F. Quack, Tabuisierte und ausgegrenzte Kranke nach dem „Buch vom Tempel“, in: H.-W. Fischer-Elfert (Hrsg.), Papyrus Ebers und die antike Heilkunde. Akten der Tagung vom 15.-16.3.2002 in der Albertina/UB der Universität Leipzig, Philippika 7 (Wiesbaden 2005), 63–80, hier: 78), so dass wohl in beiden Fällen dieselbe Gruppe von Krankheiten/Krankheitsphänomenen vorliegt; J. F. Quack, Beiträge zu einigen religiösen und magischen Texten, in: M. Collier – S. Snape (Hrsg.), Ramesside Studies in Honour of K. A. Kitchen (Bolton 2011), 413–416, hier: 415, geht davon aus, dass srf und rmn.t Hautkrankheiten bezeichnen. Erwähnenswert ist, dass in den Oracular Amuletic Decrees mitunter eine t-Endung steht: srf.t, s. dazu U. Luft, Ein Amulett gegen Ausschlag (srf.t), in: Anon. (Hrsg.), Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Berliner Ägyptischen Museums, Staatliche Museen zu Berlin. Mitteilungen aus der Ägyptischen Sammlung 8 (Berlin 1974), 173–179, hier: 175–176, Kommentar b. Diese strukturelle Parallele ist interessant für die Frage, ob maskulines srf und feminines srf.t dasselbe Krankheitsphänomen bezeichnen oder nicht. So unterscheidet B. Ebbell, Alt-ägyptische Bezeichnungen für Krankheiten und Symptome, Skrifter utgitt av Det Norske Videnskaps-Akademi i Oslo. II. Hist.-Filos. Klasse 1938 (Oslo 1938), 15 beide nicht, auch J. P. Allen, The Art of Medicine in Ancient Egypt (New York, New Haven, London 2005), 115 hat „fever“ für feminines srf.t, und umgekehrt geht Quack in den genannten Aufsätzen davon aus, dass das srf(.t) der Oracular Amuletic Decrees mit dem srf der Amulettpapyri und dem srf(.t) im Buch vom Tempel identisch ist und eine Hautkrankheit bezeichnet, wohingegen meist zwischen beiden Termini unterschieden wird.
2 ḥr=tn: Auf den Parallelen pChester Beatty VII und pDeM 42 steht ḥr=k:"Seid gegrüßt (...)", s. Y. Koenig, Deux amulettes de Deir el-Médineh, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 82, 1982, 283–293, hier: 293 und Taf. 48.
3 ḫꜣj tn (=ḫyi̯ tn) d...: Contra Donnat 2019, 247 und 248, Kommentar (c) ist das erste Hieratogramm wohl als ḫꜣ zu lesen, wohingegen die beiden Parallelen auf pChester Beatty VII und pDeM 42 qꜣi̯ bieten. Angesichts dieser Parallele sowie des Klassifikators dürfte eine bislang unbelegte, syllabische Schreibung von ẖyi̯: „hoch sein“ vorliegen, wie Donnat, a.a.O. angesprochen, aber verworfen hat. Das anschließende Wort oder die anschließende Wortgruppe ist nicht sicher les- und übersetzbar. S. Donnat 2019, 247 und 248-249, Kommentar (d) denkt entweder an einen Fehler für 〈wr.w〉 n.w ḏ.t: „〈grands〉 de la pérennité“ oder noch eher einen Possessivausdruck n.w ḏ.t: „ceux (?) de la pérennité“ analog zu den Gottesbezeichnungen Ny-pꜣ-ꜥrꜥr: „der vom ꜥrꜥr“, Ny-snḏ: „Der zur Furcht gehört“ und Ny-skm: „der zu den ergrauten Haaren gehört“ (C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. III. p–nbw, Orientalia Lovaniensia Analecta 112 (Leuven 2002), 477c und 478b). Als pluralische Konstruktion könnte man dem noch PT 370, Pyr. § 647b hinzufügen: n.w ẖ.t=f: „Die von seinem Leib“, vgl. K. Sethe, Die altägyptischen Pyramidentexte nach den Papierabdrücken und Photographien des Berliner Museums neu herausgegeben und erläutert. Bd. 1. Text, erste Hälfte, Spruch 1–468 (Pyr. 1–905) (Leipzig 1908), 353 und https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/sentence/IBUBd3NquocBz08FsTvRqOxTLZc, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 18.07.2023). Die beiden Parallelen haben qꜣi̯.y ḫnw statt ḫꜣi̯.y=tn ... und helfen nicht weiter, weil die Klassifikatoren von ḫnw unklar sind und daher nicht sicher ist, was es heißt. Quack 2020, 157 möchte in „dem fraglichen Zeichen (...) eine etwas unsaubere Form des Fischhinterteils“ Extended Library K23 sehen und vermutet in dem ḫnw der Parallele das Wort „Rückenfinne“ (https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/117800, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 3.7.2023)). Ihm zufolge liegt auch in pBM EA 10732 dieses Wort vor: Die Gruppe tn sei möglicherweise aus einer ähnlichen Ligatur für ḫn verlesen und in ein Suffixpronomen umgedeutet worden. Damit läge an dieser Stelle eigentlich das Epitheton qꜣi̯ ḫnw: „von hoher/langer Rückenfinne“ vor. Eine Erklärung für das Kobra-förmige Zeichen im Londoner Text bietet er jedoch nicht, und sein Verweis auf die „unsaubere Form“ der hieratischen Rückenfinne ist ohne eine in diesem Sinne „saubere“ Form als Vergleich nicht verifizierbar.
4 Eine längliche Lücke entlang einer der Faltkanten des Amuletts hat im mittleren Teil von Zeile 3 die obere Zeilenhälfte zerstört und macht die Lesung schwierig. J. F. Quack 2020, 155–164, hier: 159 ergänzt die Zeichenreste in der ersten Lücke, am Anfang basierend auf pChester Beatty VII, zu j (=r) ḏi̯.t ꜥq; die Zeichenreste in der zweiten Lücke glaubt er zu n.tj ḥr ergänzen zu können. Dies ergibt die Übersetzung: „um den eintreten zu lassen, der im Westen ist“, jedoch ist keine dieser Ergänzungen unproblematisch.
5 Das grammatische Bezugswort des Personalpronomens ist vermutlich der im vorigen Satz genannte Untote als pars pro toto für alle, die die srf-Entzündung verursachen können. Zur Grammatik s. Quack, 2020, 160.
6 Fischer-Elfert (E-Mail vom 06.07.2023) überlegt, „ob trotz des Standardvokabulars in dieser Drohung Nilflut und kühle(nde)s Wasser nicht doch auch einen kühlenden Effekt auf eine srf-Verbrennung oder -pustel suggerieren könnten“.
7 Der Satz kann satzsyntaktisch betrachtet eigentlich nur eine Erweiterung der vorangegangenen Pseudoverbalen Konstruktion / des negierten Futur III sein. Textsemantisch gesehen ist das jedoch der Zweck des gesamten Konditionalsatzes, ist also in gewisser Weise eine Apodosis zum eigentlichen Apodosisgefüge: Wenn ich diese Drohungen umsetze, dann, um die Unheilbringer herauskommen zu lassen.
8 Die Nachschrift ist nicht als Rubrum gestaltet, aber in einem deutlich anderen, etwas größeren und viel kursiveren Duktus geschrieben. Zu den Vignetten vgl. die ausführliche Besprechung bei Donnat 2019, 250–251 und Quack 2020, 163–164. Das erste Bildelement, dem Donnat eine gewisse Ähnlichkeit mit Gardiner Sign-list F30 (Lautwert šd) zusprach, ist Quack zufolge vielleicht eher ein nach links gewendeter hieratischer Fisch. Dieser würde Bezug nehmen zum Beginn der Anrufung, laut der die „Herren der Ewigkeit“ als Fische ins Wasser hinabsteigen; und der Vogel würde sich dementsprechend auf die anschließende Passage beziehen.9 Das letzte Element in dieser Zeile ist nach Quack eher ein Schwein als ein Nilpferd (so Donnat); einschränkend ist anzumerken, dass die Form eher an ein modernes Mastschwein erinnert als an ein altägyptisches. Die Parallele auf pChester Beatty VII zeigt deutlich ein Nilpferd (das zusätzlich von einer stehenden Gottheit gefesselt wird). Quack verbindet das mögliche Schwein in pBM EA 10732 mit dem Bild von der Himmelsgöttin Nut als Sau, die ihre Ferkel, die Sterne, frisst (s. dazu von Lieven, A. von Lieven, The Carlsberg Papyri 8. Grundriss des Laufes der Sterne. Das sogenannte Nutbuch, CNI Publications 31 (Copenhagen 2007), 158–161). Angesichts des davor sitzenden Osiris könnte man aber auch an Isis denken; zu Isis als Sau s. die kurze Bemerkung bei von Lieven, a.a.O., 159 und J. Bergman, Isis, in: W. Helck – W. Westendorf (Hrsg.), Lexikon der Ägyptologie. Bd. III. Horhekenu-Megeb (Wiesbaden 1980), 186–203, hier: 191. Auch im Fall eines Nilpferdes wären Assoziationen mit Nut wie mit Isis denkbar (wohingegen das gefesselte Nilpferd in der Parallele eher Seth darstellen würde). Die Kohlebecken am Ende der Vignettenreihe könnten vielleicht Bezug nehmen auf den Umstand, dass es sich um einen magischen Spruch gegen eine srf-Entzündung handelt.
10 Der Name lässt sich eindeutig identifizieren, nicht auch zuletzt unter Berücksichtigung der Parallele auf pChester Beatty VII, wo stattdessen eine Kartusche mit dem Namen Ḏsr-kꜣ-Rꜥw Amenophis’ I. steht.
11 Auf der Rückseite des Amuletts befindet sich eine Vignette mit einer hockenden Frau, die eine nicht mehr identifizierbare Krone o.ä. trägt. Vor ihrem Gesicht bzw. der Krone steht ein Udjatauge. Ein dunkler Tintenfleck darunter könnte der letzte Rest eines weiteren Bildelements sein oder ein reiner verschmierter Fleck. Die Bildgruppe blickt nach rechts und ist gegenüber der Textseite so um 90° gedreht, dass der rechte Rand der Rückseite dem oberen Rand der Vorderseite entspricht. In Relation zur Vorderseite befindet sich diese Gruppe auf der horizontalen Achse etwa in der Mitte des Papyrus, und in der vertikalen Achse im Zwischenraum zwischen Zeile 2 und 3, zwischen der zweiten und dritten Faltkante (von oben gezählt).