Papyrus Turin Cat. 1858a
Übersetzung und Kommentar
Papyrus Turin Cat. 1858a
[1] Worte zu sprechen durch den Osiris des Königlichen Schreibers im Horizont der Ewigkeit, Butehamun, gerechtfertigt an Stimme, Sohn des Thutmose, den Baketamun erschaffen hat:
Ich habe den Phönix in den Osten übergesetzt und Osiris nach Busiris.
Ich habe die Quelllöcher der göttlichen Nilflut1 geöffnet.
Ich habe die Sonnenbahn gereinigt/geöffnet (o.ä.)2.
Ich habe Sokar auf seinem Schlitten gezogen.
Ich habe die Große (Uräusschlange) in ihrem Moment gestärkt.
Ich habe die Sonnenscheibe besungen und angebetet.
Ich habe mich zu den im Jubelgeschrei Befindlichen (d.h. den sonnenanbetenden Pavianen) gesellt. Ich bin einer von ihnen.
⟨Ich⟩ habe als Gefährte der Isis fungiert. Ich habe ihre Wirksamkeit gestärkt.
Ich habe das Schiffstau (?)3 festgeknotet.
Ich habe Apophis abgewehrt. Ich habe seine Schritte gehemmt.
Ich habe Re in einen guten Fahrtwind gesetzt.4 Seine Mannschaft soll mich nicht abwehren.
Bin ich stark, ist (auch) das Udjat-Auge stark. Ist das Udjat-Auge stark, bin (auch) ich stark.
[5] Was den angeht, der den Königlichen Schreiber Butehamun aufhalten sollte, der wird vom Ei und vom Abdju-Fisch aufgehalten werden.5
O Löwe, (du) großer Gott, der (du) aus der Dunkelheit kommst, dem (?) der Schreiber Butehamun sein „Horus-Auge“ (d.h. das ihm zustehende Opfer?) gibt6: Er ist einer aus dem großen Götterquartett [---] in der Nekropole im/am [---].
[Vignettentitel, unter dem Text] „Die Erde ist entstanden und erstrahlt“ (???) ist wahrhaft dein Name.
1 Ḥꜥpj: Zur spielerischen Schreibung vgl. bspw. H. Satzinger, Zur kryptographischen Beischrift eines „Gabenbringers“ (Relief Wien Inv. Nr. 5081/5082), in: Göttinger Miszellen 86, 1985, 31–32 und M.T. Derchain-Urtel, Epigraphische Untersuchungen zur griechisch-römischen Zeit in Ägypten, Ägypten und Altes Testament 43 (Wiesbaden 1999), 80–81. Die Schreibung könnte man nach Derchain-Urtel, a.a.O. inhaltlich als „der die Glieder mit seinem Quellwasser belebt“ o.ä. interpretieren.
2 ḫsr: Bedeutung unsicher. Die Schreibung des Verbs ḫsr ließen H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Bd. III (Leipzig 1868), 1131 vermuten, das Verb sei ursprünglich ḫrsk zu lesen und sei zusammengesetzt aus ḫr: „fallen, fällen“ sowie sk: „trennen, vernichten, abschneiden“. Daher setzt er die Bedeutungen „niederfallen lassen, zerstreuen, abtrennen, auflösen und dadurch öffnen“ an. Eine solche Verbalbildung ist im Ägyptischen jedoch unbekannt. Daher liest Wb nur ḫsr.
Außerdem trennt Wb das Verb in zwei Lemmata auf: (1) Zum einen Wb 3, 338.8–15 (= Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 11.03.2024)) mit der Bedeutung (1a) „beseitigen, vertreiben“ und (1b) – für zwei sehr späte Belege – „reinigen?“. (2) Zum anderen Wb 3, 338.16 (= Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 11.03.2024)) für das Verb in Tb 100, also den hiesigen Kontext, wo als Bedeutung „(den Weg der Sonne) bahnen o.ä.“ vermutet wird. Der Verweis von J. Osing, Die Nominalbildung des Ägyptischen, Sonderschrift, Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Kairo 3 (Mainz 1976), 562–563, Anm. 423 auf ein Ableitungsverbum ḫsr: „reinigen“ mit Referenz auf Wb 3, 338.14–15 suggeriert, dass er hierin ein eigenes Lemma sieht (d.h. ein Lemma (3) statt (1b)?). Umgekehrt kennen H. Satzinger – D. Stefanović, Egyptian Root Lexicon, Lingua Aegyptia, Studia Monographica 25 (Hamburg 2021), 301, Nr. 1000754 nur eine einzige Wurzel ḫsr: „to dispel“, von der sie nur Lemma (1) (sowie ein davon abgeleitetes Götterepitheton) ableiten. Analog dazu ist in der aktuellen Version des TLA (Corpus issue 18, Web app version 2.1.2) das Verb (2) nur ein Verweislemma auf (1), so auch schon im Legacy-TLA, in der 15. Aktualisierung vom 31. Oktober 2014 (Zugriff am 11.03.2024). Vielleicht beeinflusst dadurch, hat B. Backes auch die Belege von Lemma (2) mit „reinigen“ übersetzt, bspw. Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 11.03.2024): „Ich habe dem Aton den Weg freigemacht.“
Die Frage, ob ein, zwei oder drei Lemmata vorliegen, ist schwer zu beantworten. Das Lemma (1) vergleicht W. F. Albright, Notes on Egypto-Semitic Etymology. II, in: The American Journal of Semitic Languages and Literatures 34 (4), 1918, 215–255, hier: 240 mit arabisch ﺧﺴﻞ: „reject with contempt[ibility?]“ und mit hebräisch הסל: „destroy (locusts)“. F. Calice, Grundlagen der ägyptisch-semitischen Wortvergleichung. Eine kritische Diskussion des bisherigen Vergleichsmaterials, Beihefte zur Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 1 (Wien 1936), 76, führt ferner noch die Wörter (aramäisch) השל: „crush“ und (assyr.) ḫašâlu: „zermalmen“ an, die Albright explizit ausgeschlossen hatte. Das ägyptische Lemma ist transitiv, und bis auf die Belege Wb 3, 338.15 ist in der Verbindung „ḫsr NN“ das „NN“ immer etwas Negatives („Unheil“, „Unwetter“, „Dunkelheit“ u.ä.), das nach Beendigung des Vorgangs nicht mehr vorhanden ist. Daher passt in diesen Fällen die Übersetzung „beseitigen, vertreiben“ o.ä. sehr gut. Diese Übersetzung ist jedoch nicht möglich in 338.15, wo das direkte Objekt von ḫsr das Wort ḥꜥ.w: „Körper“ ist. Hier sollte das direkte Objekt, der „Körper“ nach dem Vorgang natürlich noch vorhanden sein; angedacht ist sicherlich nur eine Zustandsveränderung. Angesichts der nur zwei Belege ist es jedoch nicht auszuschließen, dass auch nur Textfehler vorliegen, und konkret für den Beleg aus den Stundenwachen von Philae weist A. Kucharek, Altägyptische Totenliturgien. Bd. 4. Die Klagelieder von Isis und Nephthys in Texten der Griechisch-Römischen Zeit, Supplemente zu den Schriften der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 22 (Heidelberg 2010), 199 auf eine „fast identische Formulierung“ in Dendera hin, wo nicht ḥꜥ.w: „der Körper“, sondern ḏw jr.j [ḥꜥ.w]=f: „das Böse, das an seinem [Körper] ist“ das direkte Objekt von ḫsr ist. Aus diesem Grund muss offenbleiben, ob es für dieses Verb überhaupt eine Sub-Bedeutung „reinigen“ gibt; das mögliche koptische Derivat ϣⲣⲱ: „Menstruation“ ließe sich sicherlich ebenso von einer Bedeutung „reinigen“ ableiten (so Osing, a.a.O., gefolgt von W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 2. Auflage (Heidelberg 2008), 559) wie von „beseitigen“.
Einzig in den Belegen von Tb 100 = hier Lemma (2) hat ḫsr mit wꜣ.t: „Weg“ zweifelsfrei ein direktes Objekt, das semantisch neutral, d.h. weder positiv noch negativ, ist und das auf jeden Fall nach dem Vorgang noch vorhanden sein sollte. Diese Belege wären daher zwar einerseits geeignet, eine Bedeutung „reinigen“ weiter zu stützen, doch ist eben eine ganz andere Bedeutung ebenso wenig auszuschließen. So könnte man bspw. wie schon Brugsch (wenn auch unter falscher Voraussetzung) an eine Assoziationskette „vertreiben“ >>> „aufbrechen“ (vgl. die Verbindung mit „Wolken“) >>> „öffnen“ denken und die Sonnenbahn vom Redner „geöffnet“ statt „gereinigt“ denken.
3 ꜥqꜣ: Möglicherweise liegt hier ein Spiel mit den Wörtern für „Schiffstau“ (scil.: der Sonnenbarke), in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 8.3.2024) und „Richtigkeit; Richtschnur“, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 8.3.2024), vor.
4 Lesung mit J. F. Quack, Beiträge zu einigen religiösen und magischen Texten, in: M. Collier – S. Snape (Hrsg.), Ramesside Studies in Honour of K. A. Kitchen (Bolton 2011), 413–416, hier: 415.
5 Der zoologisch bislang nicht bestimmbare Abdju-Fisch warnt den Sonnengott während dessen nächtlicher Fahrt durch die Unterwelt vor der Chaosschlange Apophis; gleichzeitig kann er auch mit dem Sonnengott selbst und ganz selten mit dem Verstorbenen, dem König oder einer nichtköniglichen Person gleichgesetzt werden, s. J. F. Borghouts, The Magical Texts of Papyrus Leiden I 348 (Leiden 1971), 210–212. Borghouts vermutet a.a.O., 212, dass die hier vorliegende Totenbuch-Passage in diesen letzten Kontext gehören könnte, ohne eine klare Erklärung geben zu können, wie der Satz genau zu verstehen ist. Vielleicht wird man eher an den Aspekt des Abdju-Fisches als Re oder als Warner des Re denken können – in dem Fall würde jemand, der den Nutznießer des Spruches (hier: Butehamun) behindert, seinerseits vom Sonnengott selbst behindert werden. Wie das Ei interpretiert werden kann, muss noch offenbleiben.
6 Dieser letzte Satz ist nicht Teil des Totenbuchspruches. Demichelis 2000, 269 übersetzt imperativisch: „donne au scribe Boutehamon son œil d’Horus“. Aber der Imperativ von rḏi̯: „geben“ lautet jmi̯: „gib“ und nicht wie hier im Text ḏi̯.w, und auch die Satzgliedstellung spricht nicht für einen Imperativ. Der hier gemachte Alternativvorschlag muss allerdings spekulativ bleiben.